FACHSPRACHEN STUDIEREN - Hinweise zum Ausbau der Lernkompetenz im Fachenglischen - ERHARD JUERKE
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FACHSPRACHEN STUDIEREN Hinweise zum Ausbau der Lernkompetenz im Fachenglischen ERHARD JUERKE © E. Juerke 2005 1
EINLEITUNG ............................................................................................................................ 4 I. DER LERNGEGENSTAND: DIE ENGLISCHE SPRACHE ............................................... 7 1. Englisch als Lingua Franca .......................................................................................................................... 7 2. Allgemeinsprache ........................................................................................................................................ 10 3. Fachsprache ................................................................................................................................................. 11 II. SPRACHKOMPETENZ...................................................................................................... 14 4. Was beinhaltet Sprachkompetenz?............................................................................................................ 14 4.1 Linguistische Kompetenz ........................................................................................................................ 14 4.2. Soziolinguistische Kompetenz .............................................................................................................. 17 4.3. Interkulturelle Kompetenz...................................................................................................................... 17 4.4. Strategisch-rhetorische Kompetenz........................................................................................................ 18 5. Fachsprachenkompetenz ............................................................................................................................ 20 6. Kompetenzstufen ......................................................................................................................................... 21 III. SPRACHEN lERNEN........................................................................................................ 24 7. Spracherwerb und Sprachenlernen ........................................................................................................... 24 8. Lernen und Speichern................................................................................................................................. 25 9. Die Rolle des Gehirns .................................................................................................................................. 26 10. Learning by doing ..................................................................................................................................... 27 11. Lernertypen ............................................................................................................................................... 28 12. Konzepte zum Sprachenlernen ................................................................................................................ 29 13. Lernen und Studieren ............................................................................................................................... 31 IV.FACHSPRACHENLERNEN ............................................................................................. 33 ALS MANAGEMENTPROZESS ........................................................................................... 33 14. Merkmale ‚guter’ Lerner.......................................................................................................................... 33 14.1 Motivation ............................................................................................................................................. 34 14.2 Zieldefinition......................................................................................................................................... 35 14.3 Effektivität............................................................................................................................................. 36 14.4 Effizienz ................................................................................................................................................ 38 14.5 Controlling ............................................................................................................................................ 39 15. Die Funktion von Lehrveranstaltungen .................................................................................................. 40 16. Hilfsmittel................................................................................................................................................... 42 16.1.Wörterbücher......................................................................................................................................... 43 16.2. Grammatiken....................................................................................................................................... 45 16.3 Materialien zum Selbstlernen............................................................................................................... 45 V. REPERTOIRETRAINING: ZU BREITEREN VOKABULAR UND GRAMMATIK- GRUNDLAGEN ...................................................................................................................... 48 17. Vokabular .................................................................................................................................................. 48 17.1. Vokabeltypen ....................................................................................................................................... 48 17.2. Wortschatzausbau................................................................................................................................. 50 18. Die Funktionen von Grammatik .............................................................................................................. 54 18.1. Grammatiktypen................................................................................................................................... 55 18.2 Grammatikkompetenz ........................................................................................................................... 56 2
VI. FERTIGKEITSTRAINING: ZU EINER SICHEREN ANWENDUNG VON SPRACHE .................................................................................................................................................. 59 19. Gesprochene Sprache und Schriftsprache .............................................................................................. 59 19.1. Gesprochene Sprache ........................................................................................................................... 60 19.2.Schriftsprache........................................................................................................................................ 62 20. Rezeptive und Produktive Fertigkeiten................................................................................................... 63 21. Leseverstehen............................................................................................................................................ 64 22. Hörverstehen.............................................................................................................................................. 67 23. Sprechen..................................................................................................................................................... 68 24. Schreiben.................................................................................................................................................... 70 STATT EINER ZUSAMMENFASSUNG............................................................................... 75 ANHÄNGE .............................................................................................................................. 79 ANMERKUNGEN................................................................................................................... 86 3
EINLEITUNG Dieser Text ist zunächst das Ergebnis der Beobachtung, dass bei einer beträchtlichen Zahl von Sprachenlernern ein deutliches Missverhältnis von Aufwand und Ertrag existiert, dass die angestrebten Ziele nur begrenzt erreicht werden. Erhebliche Inputs in Form von Zeit, Energie oder auch Nerven führen zu unbefriedigenden Noten beziehungsweise nicht zu der erwarteten Sprachkompetenz. Für den Ausbau der Sprachfertigkeiten in einzelnen Bereichen haben sich eine Reihe von Rezepten in der Vergangenheit bewährt und mit diesen lassen sich durchaus auch wichtige Fortschritte erreichen. Solche Techniken für die Beschäftigung mit Vokabular, Grammatik sowie für den Ausbau grundlegender Fertigkeiten werden in den Kapitel V und VI beschrieben. Diese sind häufig kurzfristig wirksam, d.h., wer gezielte und unmittelbare Fortschritte abstrebt, der sollte sich zunächst auf diese Abschnitte konzentrieren. Die folgenden Ausführungen basieren auf langjährigen Erfahrungen in der Lehre unterschiedlicher Fachsprachen und der dabei gefestigten Annahme, dass ein bewusstes, selbstverantwortliches Lernen langfristig noch weitaus effektiver und erfolgreicher sein kann, dass auf dieser Basis eine grundlegende Fachsprachen-Lernkompetenz entwickelt werden kann. Ein solches Lernen, in der Literatur auch als autonomes, selbstbestimmtes oder selbstgesteuertes Lernen bezeichnet 1 setzt Ziele und übernimmt Verantwortung für das Erreichen dieser Ziele. In diesem Zusammenhang können die Rezepte durchaus eine wichtige Rolle spielen. Dabei wird zunächst davon ausgegangen, dass jeder Lerner über ein ganz spezifisches Profil verfügt und demzufolge zwischen den Lernenden beträchtliche Unterschiede existieren. Unterschiede etwa im Hinblick auf - Motivation, - Zielsetzungen - Vorkenntnisse - Lernerfahrungen und Lernkompetenzen - Speicher- und Verarbeitungsfertigkeiten In Lehrveranstaltungen kommen mithin viele verschiedene Lernpersönlichkeiten und Lerntypen zusammen. Man kann wohl davon ausgehen, dass in kaum einem anderen Bereich die Vorkenntnisse so stark variieren wie in einer typischen fachsprachlichen Lehrveranstaltung. Dort wird allerdings von vielen überwiegend reaktiv gelernt, in dem die Anweisungen und Anleitungen von Dozenten und/oder Lehrbüchern befolgt werden Ein derartiges reaktives Lernen kann schon deshalb nicht völlig effektiv sein, weil die besonderen Lernbedingungen der Teilnehmer weitgehend ausgeklammert bleiben. Lehrveranstaltungen enthalten andererseits für nahezu alle Teilnehmer wichtige Angebote für den Ausbau ihrer Sprachkompetenz, die am wirkungsvollsten sind, wenn sie gezielt für den jeweiligen Kontext genutzt werden. Lernen ist immer dann langfristig am erfolgreichsten, wenn es von den Lernenden weitgehend selbst gesteuert wird, es ist effektiv, weil die jeweils besonderen Voraussetzungen die Grundlage des Lernprozesses bilden. Selbstverantwortliches 4
Lernen erwächst aus dem Bewusstsein dieser Bedingungen und hat daher besondere Bedeutung im Hochschulbereich, so etwa für das Studium von Fachsprachen. Für fachsprachliche Lehrveranstaltungen steht zumeist nur eine äußerst begrenzte Stundenzahl zur Verfügung, die Lerngruppen sind häufig sehr groß, außerdem liegt zumeist eine beträchtliche Zeitspanne zwischen der Teilnahme an der Lehrveranstaltung und der Berufspraxis. Dort können dementsprechend nur Grundlagen im Hinblick auf Kenntnisse, Fertigkeiten und Methodenkompetenz gelegt werden, entsprechend hat selbstverantwortliches Lernen im Hochschulbereich einen solch hohen Stellenwert. In einem dynamischen Umfeld ist die Aneignung von Wissen nur von relativer Bedeutung, bildet demgegenüber Methodenkompetenz eine entscheidende Qualifikation. Wohl nahezu jeder, der sich in der Studiumsphase mit Fachsprachen beschäftigt, kann heute davon ausgehen, dass im Zuge der Berufstätigkeit wiederholt die Notwendigkeit zur Erweiterung der Fremdsprachenkenntnisse auftreten wird. Eine Fachsprachen-Lernkompetenz ist damit nicht nur im Hinblick auf unmittelbare Lernergebnisse und Noten ein erstrebenswertes Ziel, sondern auch mit Blick auf Aktualisierungen des Gelernten und zukünftige fremdsprachliche Lernanforderungen angesichts der wachsenden Bedeutung des lifelong-learning. Wer also bereits im Studium seine Fähigkeiten im effektiven Sprachenlernen entwickelt hat, dem wird dies in späteren Phasen des Berufslebens zugute kommen. In jeder Phase des lebenslangen Lernprozesses sind Entscheidungen zu treffen, die auf bestimmten Kenntnisgrundlagen über den Lerngegenstand und Lernmethoden aufbauen sollten. Selbstverantwortliches Lernen basiert neben einem Bewusstsein der individuellen Lernsituation auf einem Bewusstsein und Kenntnissen: - der Wesenselemente von Sprache - der Besonderheiten des Lerngegenstandes Fachsprache - der mit dem Lerngegenstand verbundenen Kompetenzbereiche und Kompetenzebenen - der Bedingungen von Lernen - von Lernrezepten und Lernmitteln Das vordringliche Ziel dieses Textes ist es, derartige Grundlagen für den Ausbau einer fachsprachlichen Lernkompetenz in knapper Form bereitzustellen. Im Kapitel I werden zunächst die Bedeutung der englischen Sprache als dem zentralen internationalen Kommunikationsmedium beschrieben und danach die Beziehungen zwischen Allgemeinsprache und Fachsprache behandelt Das Kapitel II beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Elementen von Sprachkompetenz. Es soll einem unangemessenen, da rein mechanischen, Verständnis vom Fremdsprachenlernen entgegenwirken, indem es den Blick für Wesenselemente, Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten des komplexen Gegenstandes Sprache schärft. Ein vordringliches Ziel dieser Darstellungen der Organisations- und Verwendungsprinzipien von Sprache ist der Ausbau einer Sensibilität für Fachsprache, mit der die Integration neuer Erfahrungen und Lernelemente erleichtert werden kann.2 Lehren bedeutet dabei letztlich nur, Angebote zu machen, Stoff bereitzustellen, über Techniken zu informieren, ein Feedback zu geben, es liegt dann in der Verantwortung des Lernenden, auf der Grundlage dieser Angebote seine Kompetenzen zu erweitern, eben zu lernen. Hierfür existiert eine Reihe von – durchaus steuerbaren - Einflussfaktoren, die im Kapitel III beschrieben werden Fachsprache und Allgemeinsprache sind vom Sachzusammenhang her ebenso wenig zu trennen wie Sprachenlernen und allgemeines Lernen. Dementsprechend werden, wo dies sinnvoll war, auch die Allgemeinsprachen und allgemeinere, nicht unmittelbar auf Sprachen 5
gerichtete, Aspekte von Lernen berücksichtigt, sofern Sie einen nützlichen Rahmen für spezifische Hinweise darstellen. Diese folgen dann in den Kapiteln IV bis VI. Einige Elemente des hier verfolgten Ansatzes mögen bisweilen recht konventionell erscheinen. Wenn das Bessere der Feind des Guten ist, dann kann das darin liegen, dass bisher noch keine überzeugenderen Konzepte vorliegen. In letzter Instanz misst sich Lernerfolg an den Fortschritten des einzelnen Lernenden, die Methoden für diesen Weg können nur nach dem Kriterium der Nützlichkeit eingeordnet werden, und nicht immer werden insbesondere neue Medien trotz enormer visueller Möglichkeiten diesem Anspruch gerecht. Mittlerweile beträgt die Zahl der Studierenden, die Englisch als Nebenfach zur Aneignung von Kommunikationskompetenzen in ihrem Hauptfach belegen ein Vielfaches derjenigen, die Anglistik oder Amerikanistik als Kultursprachen studieren. Diesem Trend soll hier Rechnung getragen werden. Die wesentliche Zielgruppe dieses Textes bilden Studierende der Fachsprache Wirtschaftsenglisch, aber viele Aspekte sollten auch für Lerner anderer Fachsprachen sowie Lernende außerhalb des Hochschulsektors von Relevanz sein . So wie es beim Fachsprachenlernen verschiedene Zielsetzungen gibt, sollte auch die Lektüre dieses Textes auf der Basis unterschiedlicher Interessen erfolgen. Entsprechend können einzelne Abschnitte auf der Suche nach Rezepten durchgesehen werden. Außerdem können für eine Orientierung auf Anregungen und die Kerninhalte die nummerierten Anmerkungen ignoriert werden. Diese richten sich in erster Linie an Leser mit besonderen sprachlichen Interessen, sie sollen zunächst ,wo dies geboten schien, Aussagen und Zitate belegen, darüber hinaus finden sich dort Hinweise zur weiterführenden Lektüre im Bereich der Sprachwissenschaft. 6
I. DER LERNGEGENSTAND: DIE ENGLISCHE SPRACHE 1. Englisch als Lingua Franca Zu den Besonderheiten der englischen Sprache gehört, dass sie zu schätzungsweise 80% von Nichtmuttersprachlern für Kommunikationszwecke verwendet wird, sei es für allgemeine oder fachspezifische Zwecke. Wohl jeder hat dieses Phänomen bereits erfahren. Beim Zusammenschluss einer deutschen und französischen Firma wird Englisch bei Aventis zur Firmensprache. In der Zentrale der deutschen Bank kommt es häufiger vor, dass die Führungskräfte auch dann auf Englisch weiter reden, wenn jeder Nichtdeutsche längst das Zimmer verlassen hat. Internationale Veranstaltungen, wie etwa Kongresse, werden in aller Regel auf Englisch abgehalten Das Internet ist zu einem erheblichen Teil ein englischsprachiges Medium, Fernsehsender wie CNN werden auf der ganzen Welt als Informationsquelle benutzt, in internationalen Organisationen ist Englisch die einzige oder zumindest erste Sprache. Das gleiche gilt für wissenschaftliche Publikationen, von denen international bereits etwa 90% auf Englisch sind.3 In etwa vergleichbar nur mit der Bedeutung der Lateinischen Sprache in der Antike ist Englisch heute zu einer Art Universalsprache, zur Lingua Franca, geworden, noch nie war eine Sprache auf der Welt so verbreitet wie Englisch. Deshalb werden neben Lingua Franca auch Bezeichnungen wie Global English oder English as an International Language verwendet. Die Fähigkeit zur Kommunikation in der englischen Sprache nimmt dabei international zunehmend den Charakter einer allgemeinen Kulturtechnik an, die man beherrschen muss, wenn man im Beruf bestehen will4 und die daher in den Fachsprachen von besonderer Bedeutung ist. Studien führen zu der Prognose, dass um 2015 die halbe Menschheit in der Lage sein wird, auf English zu kommunizieren. Ob sich die beschriebene Entwicklung danach ungebrochen in der Zukunft fortsetzen wird, ist offen. Aber selbst wenn Sprachen wie etwa Mandarin an Bedeutung gewinnen sollten, kann man wohl davon ausgehen, dass die Funktion des Englischen als Lingua Franca auf absehbare Zeit erhalten bleiben wird. Gemeinhin geht man bei der Betrachtung der englischen Sprache von drei Sprachkreisen aus: - der innere Kreis umfasst die Länder, in denen Englisch als Muttersprache von der Mehrzahl der Bevölkerung gesprochen wird, also insbesondere Großbritannien, die USA , Kanada, Australien und Neuseeland. Ca. 350 Millionen Menschen sprechen Englisch heute als Muttersprache. 7
- der zweite Kreis bezieht sich auf Länder, in denen Englisch einen mehr oder weniger offiziellen Status als Zweit- und Verwaltungssprache hat, also insbesondere die ehemaligen englischen Kolonien wie Indien, Singapore, Nigeria oder Südafrika. Zu diesem Kreis gehören derzeit etwa 1,5 Milliarden Menschen. - der äußere Kreis umfasst Länder, in denen einem erheblichen Teil der Bevölkerung im Bildungssystem Englischkenntnisse vermittelt werden, die dann in verschiedenen Situationen im In- und Ausland genutzt werden. Nur wenige Länder werden sich in den kommenden Jahrzehnten von der Teilhabe an diesem Prozess ausschließen können. Was sind die Konsequenzen, wenn sich der überwiegende Teil der Verwendung einer Sprache in diesem äußeren Kreis vollzieht? Eine solche Lingua Franca existiert nahezu ausschließlich auf einer funktionalen Ebene, sie ist jedoch nicht in den unmittelbaren Lebenszusammenhängen verwurzelt wie eine Muttersprache und bringt dementsprechend wohl eine gewisse Angleichung in den Denkmustern, aber keine Kultur im engeren Sinne hervor. Das bedeutet nun keineswegs, dass sie keine Dynamik besitzt. Auf der gegenwärtigen Stufe bleiben allerdings Aussagen zur Entwicklung des Englischen als Lingua Franca weitgehend spekulativ. Es zeichnet sich ab, dass in der Praxis im Streben nach einer gemeinsamen Kommunikationsgrundlage eine weitere Vereinfachung stattfinden wird, die Prognosen der Linguisten reichen vom allmählichen Verschwinden des ‚th’ in der Aussprache bis zum weitgehenden Verzicht auf Artikel vor Nomen.5 Ob sich diese Sprache allerdings als ‚bad simple English’ angemessen bezeichnen lässt, wie dies in einem Bericht des SPIEGEL zur Sprachpraxis im Europaparlament6 gefolgert wird, ist zweifelhaft. Ein Verständnis der Lingua Franca als defizitäre Version der muttersprachlichen Variante ist sicher nicht angemessen. Zudem hat Ihr Entwicklungsprozess erst vor relativ kurzer Zeit begonnen und bisher haben sich differenzierte Gesetzmäßigkeiten noch kaum ausprägen können. Richtig ist aber wohl auch, dass die englische Sprache für ihre internationale Funktion auch deshalb besonders geeignet ist, weil sie auf einer eher elementar-funktionalen Ebene mit ihren überschaubaren Grundregeln zur Grammatik relativ leicht zu handhaben ist, dafür aber erst auf den höheren Sprachebenen recht komplex wird.. Unzweifelhaft ist jedoch wohl, dass die Unterschiede zwischen dem dritten Kreis und dem ersten zunehmend wachsen werden. Entsprechend wird vermutlich auch die Differenz etwa zwischen den Englischkursen auf der gymnasialen Oberstufe und einem Fachenglischstudium weiter zunehmen. Nach wie vor ist eine philologische, überwiegend auf literarischen Werken und teilweise auch Landeskunde basierende, Beschäftigung mit der englischen Sprache interessant und genauso spannend wie die Beschäftigung etwa mit der französischen oder italienischen Sprache, dies geschieht in den philologischen Studiengängen wie Anglistik oder Amerikanistik und nach wie vor ist dies der Schwerpunkt in der deutschen gymnasialen Oberstufe. Allerdings stellt sich die Frage, welche Ziele damit angestrebt werden und inwieweit eine solche Vorgehensweise tatsächlich zu einer kommunikativen Kompetenz auf der internationalen Ebene beiträgt. Eine Orientierung auf Englisch als Lingua Franca impliziert u.a. auch, dass sämtliche Varianten der Lingua Franca, also etwa spanisches oder deutsches Englisch mit den jeweils typischen Interferenzen den gleichen Stellenwert besitzen wie asiatische oder gar britische oder amerikanische Varianten des Englischen. Authentisch ist dann demzufolge nicht mehr ausschließlich der Sprachgebrauch von Angehörigen des ersten Kreises, die Bedeutung von Muttersprachlern mit ihrem sogenannten idiomatischen Sprachgebrauch wird damit stark relativiert. In vielen neueren Lehrwerken für den praxisorientierten Englischunterricht ist diese Erkenntnis bereits berücksichtigt, denn das ohnehin für die meisten Lerner völlig 8
unerreichbare Ziel ist dann nicht mehr eine muttersprachliche Sprachkompetenz, sondern die Fähigkeit zur angemessenen und möglichst differenzierten Kommunikation im internationalen Rahmen. Dabei ist die Umsetzung dieser Zielverschiebung durchaus auch eine erhebliche Herausforderung für die Fachsprachenlehre. In der Fachdiskussion geht man mittlerweile davon aus, dass Muttersprachler, native speakers, in diesen Kommunikationszusammenhängen möglicherweise sogar benachteiligt sind, fehlt ihnen doch in der Regel die Erfahrung des Sprachenlernens und damit ein Bewusstsein für wichtige Elemente interkultureller Kommunikation. So wird die Tatsache, dass etwa zwei Drittel der Briten über keine Fremdsprachenkenntnisse verfügen, im Land selbst als zunehmend problematisch gesehen.7 Jedenfalls ist im Zuge der Globalisierung das Interesse an Fremdsprachen in den Ländern des ersten Kreises deutlich zurückgegangen. Und außerdem sind die typischen Insidercodes einer Sprache, die für das Bewusstsein nationaler Gemeinsamkeiten wichtig sein mögen, in einer Lingua Franca alles andere als funktional. Insofern ist auch die Bedeutung von Muttersprachlern in der englischen Sprachausbildung im Rahmen einer Neuorientierung auf English als Lingua Franca einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. 8 Andererseits bleiben die Wörterbücher und Grammatiken, in denen die praktizierte Sprache der Muttersprachler abgebildet wird, weiterhin die zentralen Quellen für die Normen der englischen Sprache, auch in ihrer Funktion als Lingua Franca. Noch befindet sich der Prozess der Herausbildung einer Universalsprache auf einer relativ frühen Stufe, noch gibt es keine speziellen Grammatiken und Wörterbücher für Englisch als Lingua Franca. Für die Sprachwissenschaft stellen sich damit eine Reihe von Aufgaben, insbesondere eine präzisere Beschreibung der Differenzen zwischen Englisch als Muttersprache und als Lingua Franca sowie, darauf aufbauend, die Entwicklung eines spezifischen Regelwerkes für die Universalsprache. Solange dies nicht erreicht ist, werden die bestehenden Grammatiken weiterhin ihre normsetzende Funktion behalten werden, wobei allerdings im äußeren Kreis der Sprachgebrauch sich auf weniger komplexen Ebenen bewegen wird und die Toleranz gegenüber Normabweichungen, also Verstößen gegen die Regeln der Sprache, in der Praxis größer sein wird als in den anderen Kreisen. Englisch als Lingua Franca ist ein außerordentlich diverses internationales Kommunikationsmedium mit einer Vielzahl von Varianten und einem entsprechend relativ kleinen gemeinsamen Nenner. Für die Lernenden weltweit folgt daraus: Ohne Normen kann es keine funktionierende Kommunikation geben, aber die Angst, Fehler in der Fremdsprache zu machen, ist zu einem beträchtlichen Teil unbegründet, da in der Praxis die Inhalte entscheidend sein werden und Normen nur eine dienende Funktion für einen reibungslosen Informationsaustausch haben. 9
2. Allgemeinsprache Plansprachen wie das Esperanto bilden die wohl einzigen und auch nicht besonders erfolgreichen Ausnahmen. Alle gewachsenen Sprachen sind nicht nach den Regeln der Logik konstruiert worden, sie enthalten durchaus systematische Teile, aber eben auch zahlreiche Ausnahmen und in der jahrhundertelangen historischen Entwicklung gewachsene Besonderheiten. Dementsprechend schwierig ist es, das Phänomen Sprache zu beschreiben. Die unterschiedlichen Definitionsansätze in den linguistischen Literatur widerspiegeln diese Komplexität des Gegenstandes. Richards/Rogers9 identifizieren 3 wesentliche Beschreibungsansätze 1. Das strukturell orientierte Verständnis sieht Sprache als ein System zusammenhängender Elemente zur Beschreibung von Inhalten, mit lexikalischen, grammatikalischen und phonologischen, die Aussprache und Intonation betreffenden, Bestandteilen.. 2. Im funktionalen Verständnis ist Sprache das zentrale, wenn auch nicht das einzige, menschliche Kommunikationsmedium im sozialen Raum. Im Vordergrund steht der Einsatz von Sprache zur Vermittlung von Informationen und zum Erreichen bestimmter Absichten. 3. Das interaktive Verständnis sieht Sprache in ihrer Kommunikationsfunktion für die gemeinsamen Steuerung von Beziehungen und Verständigung zwischen Individuen Hier geht es um Kommunikation als einem Prozess, der von den Kommunikationspartnern im Beziehungsgeflecht von Sender, Botschaft und Empfänger in Gang gehalten wird. Dies erfordert Strukturen, Inhalte und Absichten, insofern sind die beiden anderen Ansätze hier impliziert. Diese Ansätze verweisen auf weitere wichtige Merkmale von Sprache. Ohne gemeinsame Regeln für Sender und Empfänger von Botschaften ist keine Verständigung vorstellbar, deshalb bedarf Sprache als Kommunikationsbasis einer Vielfalt von Normen, also Regeln zum Gebrauch von Wörtern, über ihre Zusammensetzung zu Aussagen, über die Selektion zum Ausdruck bestimmter Ziele und Absichten. Auf einer funktional technischen Ebene gewährleistet Sprache so allgemein den Informationsaustausch, ohne den ein Zusammenleben bzw. Zusammenarbeiten nicht vorstellbar wäre. Als solche nimmt eine Sprache auch Teil an der Entwicklung der Gesamtgesellschaft. Für eine Lingua Franca gilt dies entsprechend, nur wirkt diese eben auf der globalen Ebene. Eine lebende Sprache befindet sich in einem ständigen kreativen Entwicklungsprozess, neue Wörter kommen hinzu, andere verlieren ihre Funktion, neue Fachsprachen entstehen, Normen werden aufgeweicht oder variiert. All dies trägt zur Komplexität des Phänomens Sprache bei. Sprache entfaltet als Teilbereich des allgemeinen Handelns Wirkungen in bestimmten gesellschaftlichen Situationen und Konstellationen. Mit der richtigen Auswahl von Sprachelementen kann man sich, sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene, von anderen abheben, kann man Machtverhältnisse ordnen, kann man Mitmenschen diskriminieren, ausgrenzen oder auch integrieren. Der Beitrag zur Schaffung einer Identitätsbasis kann als eine weitere Funktion von Sprache angesehen werden. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch Englisch als Lingua Franca in gewisser Weise eine solche 10
identitätsstiftende Funktion einnimmt, aus ihrer Funktion als Kommunikationsgrundlage für die Teilnehmer am Prozess der Globalisierung. „Speaking the lingua franca separates the haves from the have-nots”, hat das Wirtschaftsmagazin Business Week diese Funktion formuliert.10 3. Fachsprache Die oben angeführten Beschreibungsansätze spielen auch in den Fachsprachen eine, wenn auch unterschiedlich relevante, Rolle , wenn es um die Rolle von Sprache in spezifischen Bereichen, in der Fachliteratur Domänen genannt, geht. Sprache wird immer im Kontext spezifischer Situationen in bestimmten Lebensbereichen realisiert, in denen jeweils ganz unterschiedliche Funktionen, Themen und Texte im Vordergrund stehen. Dafür ist die Allgemeinsprache mit ihren Kompetenzanforderungen weiterhin unverzichtbar, in den Fachsprachen werden diese allgemeinen Elemente mit den Spezifika eines ganz bestimmten Bereiches verbunden sowie entsprechend dann in Lernprogrammen und Lehrwerken beschrieben und systematisiert. Allerdings sind die Grenzen zwischen Allgemeinsprache und Fachsprachen zunehmend schwieriger zu beschreiben, insbesondere im Hinblick auf eine Ausrichtung der Allgemeinsprache für generelle berufliche Zwecke . Letztlich existieren so viele Fachsprachen, wie es Lebens- und Berufsbereiche gibt. Nur wenige werden freilich systematisch erfasst, mit speziellen Wörterbüchern, Lehrwerken und Lehrangeboten. Hierzu gehören insbesondere die Fachsprachen Technik, IT, und vor allem Wirtschaft. Diese nehmen im Spektrum des Fachgebietes eine zunehmend wichtige, aber letztlich doch ‚dienende’ Funktion, wahr indem sie die Kommunikation in der jeweiligen Domäne gewährleisten. Für die Beschreibung von Fachsprachen sind drei Bestandteile von besonderer Bedeutung11 - Fachterminologie Erfolgreiche Kommunikation erfordert in jedem Falle zunächst ein möglichst umfangreiches Fachvokabular, da jede Fachkommunikation zunächst durch die Verwendung spezifischer Begriffe gekennzeichnet ist. Diese sind häufig für Fachfremde schwer verständlich, gewährleisten aber die präzise Verständigung der ‚Fachleute’. Häufig handelt es sich dabei um Begriffe mit hohem, genau bezeichneten, Informationsgehalt, aber diese sind eingebunden in Wendungen und Wortverbindungen, sogenannte Kollokationen, und ihre Verwendung vollzieht sich im Rahmen des Regelsystems der Allgemeinsprache -Fachtexte Der Begriff Text wird hier im weitesten Sinne verstanden als aus mehreren Sätzen bestehende mündliche oder schriftliche Spracheinheiten mit erkennbaren Besonderheiten und einem bestimmten Zweck. Hier geht es dementsprechend um die Beschreibung und Klassifikation fachsprachentypischer Textsorten mit den dazugehörigen Regeln und Konventionen, im Wirtschaftsbereich etwa Korrespondenz, Berichte oder Präsentationen, im technischen Bereich insbesondere Beschreibungen und Anleitungen. 11
-Fachfunktionen In jedem Fall impliziert die Orientierung auf einen bestimmten Bereich einen engen Praxisbezug und es ist diese, auf einen bestimmten Zweck orientierte, Ausrichtung, die ein wichtiges Element von Fachsprachen darstellt, mit einem Verständnis von Sprache als Kommunikationsmedium und dem Ziel der sprachlich funktionalen Vermittlung on Intentionen und Informationen in fachbezogenen Situationen und Konstellationen. Mit der Fachsprache sollen bestimmte Absichten und Ziele umgesetzt werden, sie bildet die Kommunikationsbasis für die in dem jeweiligen Bereich tätigen Menschen. Im technischen Englisch und im IT-Englisch spielt dabei die rezeptive Beschäftigung mit schriftlichen Texten, Anleitungen und Beschreibungen, sicherlich die größte Rolle. Das Verfassen von Texten, auch die schriftliche und mündliche Interaktion ist in der Regel weniger wichtig für die Berufspraxis. Demgegenüber enthält der Begriff ‚funktionale Bewältigung’ in den Wirtschaftssprachen auch den Aspekt des angemessenen Sprachgebrauchs in der Interaktion.. Hier kann die affektive Seite von Kommunikation, also emotionale Aspekte, äußerst wichtig sein kann . Der Sprachgebrauch wird hier von der Beziehungsebene, von den sozialen Rollen, in besonderer Weise beeinflusst. Generell ist wohl richtig, dass aus verschiedenen Gründen für das Erlernen von Fachsprachen sehr viel weniger Zeit zur Verfügung steht als etwa im schulischen Bereich zum Erlernen der Allgemeinsprache. Es ist also auf der Basis eines allgemeinsprachlichen Grundrepertoires möglich, sich konsequent auf relevante Bereiche zu orientieren, das bedeutet, dass fachspezifische Situationen und Bereiche identifiziert werden, denen bestimmte Fertigkeiten zugeordnet werden können, die sich dann so praxisorientiert wie möglich trainieren lassen. Fachsprachen bieten unterschiedliche Ansätze für praxisbezogene Differenzierungen. Dies kann etwa im Hinblick auf bestimmte Funktionsbereiche geschehen. In der bekannten Reihe Business Management English12 finden sich etwa Lehrbücher zu Marketing, Finance, Production and Operations sowie Personnel, dazu im allgemeinen Programm noch Lehrwerke für Sekretärinnen und für den Bankenbereich. Ein andere Differenzierung orientiert sich auf Kommunikationsbereiche, denen jeweils relevante Kompetenzen und Teilfertigkeiten zugeordnet werden können. Für die Fachsprache Wirtschaft sehen Ellis /Johnson13 eine Reihe solcher Bereiche (performance areas): - Sitzungen und Besprechungen (meetings and discussions) - Informationen geben, Berichte verfassen, Präsentieren (giving information) - Telefonieren (telephoning) - Korrespondenz (Business correspondence) - Geselligkeit (socialising) Auf dieser Grundlage beschreiben die Autoren14 die spezifischen funktional-sprachlichen Anforderungen an verschiedene Berufskategorien - Manager in leitenden Funktionen sollten u.a. in der Lage sein, Sitzungen zu leiten, formale Präsentationen zu geben und sowohl bei formalen als auch bei geselligen Anlässen zu kommunizieren - im mittleren und unteren Management wird eher die Beteiligung an Sitzungen and die Fähigkeit zu informelleren Präsentationen erwartet, dazu insbesondere Kompetenzen im Telefonieren und Verfassen von Berichten 12
- Für Techniker und Ingenieure spielen Kompetenzen im Bereich der Geselligkeit eine geringere Rolle, dafür sind Präsentationen und die Beschäftigung mit Beschreibungen von großer Bedeutung. - Für Sekretärinnen und Verwaltungsangestellte sind insbesondere Telefon- und Korrespondenzkompetenzen wichtig, bei Sitzungen werden sie häufig als Protokollführer fungieren, die Informationsvermittlung vollzieht sich in begrenzten Bereichen. Im Hinblick auf alle beschriebenen Differenzierungen von Fachsprachen ist noch einmal hervorzuheben , dass eine Trennung von Allgemeinsprache und Fachsprache künstlich wäre und zudem dem Praxisanspruch widersprechen würde. 13
II. SPRACHKOMPETENZ 4. Was beinhaltet Sprachkompetenz? Was bedeutet es, wenn man von einer Person sagt, dass sie eine oder mehrere Fremdsprachen, eventuell gar fließend, beherrscht? Festzuhalten bleibt zunächst, dass sich diese Kompetenz auf Handeln, auf die praktische Anwendung, bezieht. Ohne Kenntnisse und Wissen ist Sprache nicht vorstellbar, eine sogenannte lebende Sprache realisiert sich jedoch immer erst im Gebrauch dieser Kenntnisse. Diese Anwendungsfertigkeiten sind das wesentliche Element von Sprachkompetenz, ohne sie haben alle Kenntnisse über eine Sprache eben nur einen sehr begrenzten praktischen Wert. Dies gilt natürlich für Fachsprachen in ganz besonderer Weise. In der Regel wird diese Fähigkeit zur bewussten und gezielten Anwendung sprachlicher Mittel als ‚Kommunikative Kompetenz’15 und der damit verbundene, auch hier im Vordergrund stehende, als der kommunikative oder funktionale Ansatz bezeichnet. Dabei wird dieser Begriff hier so weit gefasst, dass er die oben beschriebenen Verständnisse von Sprache integriert, und neben der inhaltlichen Funktion auch Interaktion und die strukturellen Sprachelemente einschließt. Kommunikative Kompetenz bezeichnet dann umfassend die Fähigkeit zur funktionalen und angemessenen Bewältigung sprachlicher Anforderungen in spezifischen Kontexten. Kurz: Kommunikative Kompetenz ist die Fähigkeit zum Handeln mit sprachlichen Mitteln. Als solcher enthält der Begriff mehrere Teilkompetenzen: - Linguistische Kompetenz - Soziolinguistische Kompetenz - Interkulturelle Kompetenz - Strategisch-rhetorische Kompetenz. Das Wesen von Sprachkompetenz besteht darin, dass eine Vielzahl von Einzelelementen nach bestimmten Regeln situationsangemessen gezielt eingesetzt werden kann. Von fließender Sprachbeherrschung kann man also dann sprechen, wenn eine Person zu problemlosen sprachlichen Handeln in der Lage ist. 4.1 Linguistische Kompetenz Für die mehr oder weniger sichere Beherrschung einer Sprache sind zunächst einmal Kenntnisse erforderlich, Kenntnisse insbesondere der Grammatik und des Vokabulars im 14
Sinne eines potentiellen Reservoirs, aus dem man für die Sprachpraxis schöpfen kann. Diese Vokabeln und Regeln müssen gespeichert und gelernt werden, so wie Stoff in anderen Themenfeldern auch gelernt werden muss. Dies ist das Repertoire, aus dem die Elemente gezielt für Sprachäußerungen entnommen werden können, dabei sind beim Vokabular auch die Aussprache und die Rechtschreibung eingeschlossen. Aber derartige Kenntnisse, so wichtig sie als Gegenstand von Prüfungen sein mögen, sind noch keineswegs gleichzusetzen mit Sprachkompetenz. Praktische Sprachbeherrschung heißt, eine Sprache sowohl zu ‚kennen’ als auch zu ‚können’. Der Engländer Christopher Taylor, der als sogenannter ‚Savant’ über eine sogenannte ‚Inselbegabung’ im Speichern von Informationen verfügt, hat sich das Vokabular von mehr als 20 Sprachen bis zu einer Wortschatzbreite von Muttersprachlern angeeignet – aber es gelingt ihm nicht, diese Vokabeln korrekt und angemessen in Zusammenhänge zu integrieren, er kann sie nicht als Sprache anwenden.16 Genauso wenig nützlich sind Grammatikkenntnisse, die sich in der mehr oder weniger erfolgreichen Bewältigung von Übungen erschöpfen, aber nicht für den Anwendungsbereich aktiviert werden können. Metaphorisch gesehen, bildet das Vokabular die Bausteine und die Grammatik den Bauplan für das ‚Sprachgebäude’, aber zwischen dem bloßen Vorhandensein dieser Elemente und der funktionellen Nutzung existiert eine beträchtliche Kluft. Das Repertoire bildet ein Potential, das in vielfältiger Weise in unterschiedlichen Situationen genutzt werden kann. Linguistische Kompetenz ist damit die Kenntnis der formalen Mittel von Sprache und die Fähigkeit, diese einzusetzen. Sie impliziert damit mindestens die folgenden Teilkompetenzen: - Lexikalische Kompetenz im Hinblich auf Bedeutung (Semantik) Aussprache (Phonologie) und Rechtschreibung (Orthographie) - Grammatikalische Kompetenz im Hinblick auf die Bildung von Wörtern (Morphologie) und die Anordnung von Wörtern (Syntax) Die praktische Sprachverwendung wird in 4 Fertigkeitsbereiche, die sogenannten four skills, differenziert und häufig auch separat geprüft , diese basieren auf der Anwendung des gelernten lexikalisch, grammatikalischen und wirkungsbezogenen Repertoires beim Hören ,Lesen, Schreiben und Sprechen in situativen Zusammenhängen. Die wesentlichen qualitativen Aspekte der linguistischer Kompetenzen sind Korrektheit und Präzision Korrektheit Schon seit längerem hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die bei der Anwendung des Repertoires die Komplexität von Sprache nicht angemessen mit dem simplen Gegensatzpaar ‚richtig-falsch’ erfasst werden kann. Dies gilt für die englische Sprache in ganz besonderer Weise, nicht nur wegen der zahlreichen muttersprachlichen Varianten, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Funktion als Lingua Franca . Stattdessen geht man üblicherweise zunächst von einem relativ breiten Spektrum akzeptabler Sprache aus, wobei akzeptabel hier in der Praxis aber immer noch zumeist aus der Sicht von Muttersprachlern verstanden wird. 17 Des weiteren gibt es einen Bereich ungewöhnlicher und damit auch eher ungebräuchlicher Sprache sowie schließlich inakzeptable, normverletzende Sprachäußerungen. Sprache ist kreativ und ständig im Fluss begriffen, insofern verwendet nahezu jeder in der Muttersprache durchaus bisweilen ungewöhnliche und auch inakzeptable Sprache. Erst in der Häufung von Problemen in der konkreten Situation lässt sich daher die Bedeutung von Korrektheit erkennen. Diese, der Realität wohl angemessene, Dreiteilung bleibt daher sicher mit ihren Generalisierungen problematisch, man kann andererseits jedoch davon ausgehen, dass trotz wachsender Toleranz und der Suche nach Differenzierungen die Sprachregeln ihre für die Verständigung wichtige normative Rolle behalten werden. Eine Lingua Franca 15
integriert eine große Zahl von Varianten, aber sie kommt natürlich nicht ohne Regeln aus, die erst eine Verständigung gewährleisten. Für praxisorientierte Sprache ist allerdings der jeweilige Fehlertyp weniger wichtig als die Auswirkungen. Allgemein wirken Fehler in schriftlichen Texten stärker, da hier in der Regel nicht die Möglichkeit zu klärenden Nachfragen besteht. Fehler können, zumal wenn sie vereinzelt auftreten und kleinere, vor allem mündliche, Sprachproduktionen betreffen, ohne Auswirkungen bleiben, schließlich ist auch der Sprachbebrauch von Muttersprachlern nach den Kriterien der Regelwerke keineswegs immer fehlerfrei. Fehler können Irritationen hervorrufen, d.h. die Beziehungsebene zwischen den Kommunikationspartnern beeinträchtigen, indem sie Zweifel an der Zuverlässigkeit der Ausdrucksfähigkeit begründen oder die Kommunikation mühsam werden lassen, indem sie Nachfragen notwendig machen. Hier sind fremdsprachliche Benutzer des Englischen sicherlich gegenüber Muttersprachlern im Nachteil, bei ihnen kommen in der Regel schneller Zweifel auf, ob das Gesagte wirklich dem Gemeinten entspricht. Fehler sind dann besonders schwerwiegend, wenn sie die Verständigung beeinträchtigen und zu Miss- bzw. Fehlverständnissen führen, sei es, weil ein sogenannter Globalfehler gemacht wurde und etwa die Satzkonstruktion misslang oder weil aus dem Fachrepertoire eine völlig unverständliche Vokabel eingesetzt wurde. Ihre konkrete Wirkung haben Fehler dann allerdings erst in der jeweils spezifischen Fachpraxis. So können selbst sehr geringfügige Normverstöße, etwa in einem Bewerbungsschreiben schwerwiegende Konsequenzen haben, so spielt die irritierende Wirkung von Fehlern sicher in der stark von Beziehungen geprägten Wirtschaftskommunikation eine große Rolle, während sie in den Feldern Technik und IT zweifellos weniger relevant ist. Auch das Medium spielt hier eine Rolle. Sind auf dem Firmenbriefkopf geschriebene Briefe eine Art Visitenkarte des Unternehmens mit entsprechenden Ansprüchen, so werden Fehler in Emails fast als selbstverständlich akzeptiert. Ansonsten hätte der Strunkenwhite-Virus, der Mails mit grammatischen oder lexikalischen Fehlern blockierte, wohl kaum seine verheerende Wirkungen entfalten können. Präzision Die Fähigkeit zum präzisen sprachlichen Ausdruck basiert in erster Linie auf dem Umfang des Repertoires. Eine erhebliche Herausforderung für Sprachenlernende, und dies gilt wegen der Bedeutung der Beziehungsebene insbesondere für die Fachsprachen, besteht darin, die Gedanken und Intentionen in der Fremdsprache möglichst genauso präzise auszudrücken wie man das in der Muttersprache machen würde. Die entscheidende Voraussetzung in fachbezogenen Situationen hierfür ist und bleibt neben der Beherrschung der Fachterminologie das Vorhandensein eines möglichst umfassenden Repertoires an allgemeinsprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, die einen flexiblen Umgang mit unterschiedlichen Sachverhalten und situativen Anforderungen im Hinblick auf die Beziehungsebene ermöglichen. Dies beginnt mit einfacher Informationsvermittlung, wird aber 16
auf den höheren Stufen dann die Versprachlichung von Feinheiten , etwa von Gewichtungen, und Einstellungen wie Zweifel oder Unsicherheit etc. beinhalten18 4.2. Soziolinguistische Kompetenz Dieser Aspekt bezieht sich auf die Fähigkeit zum Erfassen der Kommunikationssituation im Hinblick auf Ort, Zeit und Kommunikationspartner, insbesondere der sozialen Beziehungsebene als Grundlage für die Auswahl von Elementen aus dem Repertoire. Es geht um die Berücksichtigung sozialer Beziehungen im Sprachgebrauch, zunächst im Sinne von Rollen, mit denen bestimmte Verhaltenserwartungen verknüpft sind, die dann auch entsprechend sprachlich umzusetzen sind. Hiermit verbunden existiert häufig eine ‚power relationship, also eine hierarchische bzw. Machtbeziehung, ebenfalls mit Einfluss auf den Sprachgebrauch. Mit Kollegen wird man anders sprechen als mit dem Firmenleitern, mit einem kleineren Zulieferer wird man anders kommunizieren als mit einem wichtigen Kunden. Dies kann sich zum einen auf die Wortschatzverwendung beziehen, betrifft aber auch Sprachstile wie formal oder informell und, damit zusammenhängend, die Verwendung von Konventionen wie Anredeformen und Höflichkeitsfloskeln. 4.3. Interkulturelle Kompetenz Hierbei handelt es sich um die Ergänzung und Ausweitung der soziokulturellen Elemente auf die internationale Ebene. Die Berufspraxis erfordert in zunehmendem Maße auch interkulturelle Fertigkeiten für eine angemessene und gezielte Kommunikation mit Angehörigen fremder Kulturen mit einem Bewusstsein für Verständnisproblemen und kulturelle Besonderheiten. Zu den spezifischen Kompetenzelementen gehören hier insbesondere: - ein interkulturelles Problembewusstsein - Anpassungsfähigkeit - Aufgeschlossenheit - Kenntnisse der Fremdkultur - Kommunikationstrategien Zunehmend wird interkulturelle Kompetenz bereits als übergeordnetes Konzept betrachtet, in dem kommunikative Kompetenz nur noch einen Teilbereich darstellt. Es scheint jedoch noch nicht völlig geklärt, welche spezifischen Teilkompetenzen hiermit verbunden werden und auf welcher Stufe diese ansetzen können, zumal wenn es um eine Lingua Franca geht und nicht um die Sprache einer bestimmten Kultur. Interkulturelle Kompetenz ist ohne Sprache nicht vorstellbar, ebenso reichen rein linguistische Fertigkeiten in der Kommunikation mit Vertretern fremder Kulturen häufig nicht aus. Für die Praxis heißt dies immerhin, so weit wie geboten und möglich Elemente beider Bereiche zu integrieren. Zu diesem Bereich existiert 17
mittlerweile eine umfangreiche Literatur, deren Berücksichtigung jedoch den Rahmen dieses Textes sprengen würde.19 Angemessenheit Der zentrale qualitative Aspekt der beiden letzteren Kompetenzen ist somit der angemessene Gebrauch von Sprache. Zweifellos stellt dies angesichts umfassender Differenzierungsmöglichkeiten viele Lernende im Fremdsprachenbereich vor beträchtliche Schwierigkeiten. Hier geht es um Präzision im Formalitätsgrad von Sprache, in Abstufungen zwischen formal, neutral und freundschaftlich. Dieser ist abhängig von der kulturellen Prägung und /oder der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern. Der Formalitätsgrad von Sprache wird beeinflusst - von der Vokabelauswahl, z.B. im Hinblick auf informelle Ausdrücke oder eine besonders ‚gewählte’ Sprache, in der Linguistik Register genannt. - vom Direktheitsgrad bei der Formulierung von Anliegen, etwa zwischen einer unmittelbaren Aufforderungen oder einer mit umfassenden Höflichkeitsformeln versehenen Bitte - vom Einsatz von Höflichkeitskonventionen, wie z.B. Bedauern , Entschuldigungen - von Begrüßungs- und Anredeformeln Angesichts ständig zunehmender internationaler Kontakte ist davon auszugehen, dass insbesondere die interkulturell orientierte Angemessenheit eine zunehmend größere Bedeutung im Sprachenlernen einnehmen wird. 4.4. Strategisch-rhetorische Kompetenz Diese bezieht sich auf den Einsatz des sprachlichen Repertoires in der Interaktion, auch unter Berücksichtigung sozialer sowie ggf. interkultureller Faktoren. Als solche beinhaltet sie u.a. eine sogenannte Diskurskompetenz, also einen kritisch-analytischen Umgang mit Kommunikation, und die Fähigkeit zum kompetenten Umgang mit Texten unter Berücksichtigung rhetorischer Mittel Für die Beschäftigung mit Texten spielen dann auch die linguistischen Qualitäten eine Rolle, wie etwa Korrektheit im Textverständnis und ein möglichst hohes Maß an Präzision. Hinzu tritt hier ein angemessenes Verständnis der Wirkungselemente des Textes im Kontext des sozio-kulturellen Hintergrundes. Hier geht es vor allem um die affektive Wirkung von Sprache, um die Wirkungen auf die Beziehungsebene. Aus dieser Aufstellung wird deutlich, dass praxisbezogene Kommunikation ein breites Spektrum an Kompetenzanforderungen enthält, darunter auch Fachkenntnisse sowie bewusstseinsgesteuerte kognitive und soziale Strategien. Diese sind zwar sehr schwierig von Sprachkompetenz zu trennen und spielen auch zweifellos eine Rolle, ein gezieltes Training solcher Bereiche geht aber wohl in aller Regel über die realen Möglichkeiten der organisierten Sprachenausbildung hinaus. Insofern spricht vieles für eine interdisziplinäre Integration von verschiedenen Bereichen im Sprachenlernen, wo immer dies möglich ist, und für eine Beschäftigung mit Sprache in umfassenden Kontexten. 18
Flüssiger Sprachgebrauch Flüssigkeit resultiert aus der optimalen Nutzung der vorhandenen Sprachressourcen auf einer bestimmten Kompetenzebene. Die Formulierung von Gedanken dauert immer länger, wenn dies zunächst in der Muttersprache geschieht und dann übersetzt werden muss. Wer sich dabei zu viel vornimmt und sich auf eine hohe Sprachebene mit komplexen Strukturen begibt, ohne dafür über das entsprechende Repertoire zu verfügen, der wird leicht ins Stocken geraten. In diesem Fall ist es empfehlenswert, zunächst bewusst auf den Einsatz komplexer Sprachmittel zu verzichten und die Sprachproduktion an den vorhandenen Ressourcen auszurichten. Langfristig ist dann die Fähigkeit zum unmittelbaren Formulieren in der Fremdsprache der beste Weg zur Flüssigkeit im Sprachgebrauch. Zunächst impliziert Flüssigkeit beim Sprechen die Vermeidung störender Unterbrechungen auf der Suche nach Vokabeln und Strukturen , dies ist nur gewährleistet, wenn die Abrufbarkeit des Repertoires auf einer bestimmten Stufe funktioniert und ein unrealistisches Bemühen um die Formulierung komplexerer Sachverhalte nicht zu Problemen führt. Ein anderer Aspekt von Flüssigkeit ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zur Umgehung von Sprachflussproblemen durch die rasche Ersetzung oder Umschreibung eines nicht vorhandenen Wortes. Das abrufbare Repertoire sollte für die Interaktion auch Wendungen für grundlegende Sprachfunktionen, wie Zustimmung, Ungewissheit, Zweifel etc. beinhalten, insbesondere aber auch einen Fundus an sogenannten ‚Conversational Routines’ oder ‚Routine Phrases’, allgemeinen Wendungen, die in ganz verschiedenen Situationen einsetzbar sind und für die Aufrechterhaltung des Sprechflusses sehr nützlich sein können. Hierzu gehören etwa Wendungen wie ‚you can say that again’ oder ‘it’s not as simple as that.’ Aber ein völlig flüssiges Pidgin-English ist auch in einer Lingua Franca in der Regel nicht akzeptabel. Insofern sind Korrektheit und Präzision auch hier wichtig. Unsicherheiten im Bereich der Aussprache können hier ebenso störend wirken. Beim Schreiben von Fachtexten steht ein flüssiger Stil für eine wirksame, auf den Anlass des Schreibens bezogene, ansprechende Präsentation mit klarer Struktur, Varianten, anschaulichen Darstellungen und die Gedankenführung verdeutlichenden Übergängen. Auf diese Weise kann die angestrebte Wirkung verstärkt werden, kann beim Leser die Akzeptanz des Anliegens gefördert werden. Auch wenn Korrektheit eine Rolle spielt, Flüssigkeit ist vor allem eine Präsentationsfertigkeit, die im Bereich der sogenannten Pragmatik auf der affektiven Ebene wirkt. Defizite machen Kommunikation nicht unmöglich, behindern sie aber und erschweren so das Erreichen der angestrebten Ziele. 19
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