Fänger der Flüchtigkeit: Daniel Spoerri im Bank-Austria-Kunstforum Wien

 
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Fänger der Flüchtigkeit: Daniel Spoerri im Bank-Austria-Kunstforum Wien
Fänger der Flüchtigkeit: Daniel Spoerri im Bank-Austria-Kunstforum Wien about:reader?url=https://www.derstandard.at/story/2000125292123/fa...

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                   Fänger der Flüchtigkeit: Daniel
                   Spoerri im Bank-Austria-Kunstforum
                   Wien
                   7-8 Minuten

                   Aufgetischt

                   Die dichte Retrospektive manövriert gekonnt durch sieben
                   Schaffensdekaden des großen Objektkünstlers und
                   Fallenstellers. Ausgelassen wird dabei nichts

                   Katharina Rustler

                   24. März 2021, 07:00
Fänger der Flüchtigkeit: Daniel Spoerri im Bank-Austria-Kunstforum Wien
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                   Zeitzeugen: Vergessene Streichholzschachteln, leere Flaschen
                   und halb gegessene Brotstücke tummeln sich in Spoerris an die
                   Wand gehängten Assemblagen.

                   "Nein", antwortet Daniel Spoerri. Er könne nicht sagen, worin
                   das Reizvolle des Alltäglichen liege. Es ist dem Objektkünstler
                   und Meister der Assemblagen vorgefundener Gegenstände
                   schier nicht möglich. Den Reiz müsse jeder Mensch für sich in
                   seinem Werk finden. Irgendwo liegt er zwischen dem vertikal
                   gehängten Geschirr, den Essensresten, den aufgereihten
                   Kartoffelschälern und aufgetürmten Flohmarktwaren.

                   In einer umfassenden Retrospektive, die am Mittwoch eröffnet,
                   fächert das Bank-Austria-Kunstforum Wien das Werk des
                   Schweizer Künstlers auf, der seit 2007 in Wien lebt. Erstmals
                   seit 30 Jahren wird es in einer solchen Dichte präsentiert und
                   mit mehr als 100 Werken aus sieben Jahrzehnten offengelegt.
                   Regiert wird sein Werk vom Zufall. Und dieser ist Spoerri, der
                   am Samstag 91 Jahre alt wird, bereits mehrmals in die Falle
                   gegangen.

                   Bekannt für seine "Fallenbilder"("Tableaux pièges"), auf denen
                   er ab den 1960er-Jahren Tischszenen mitsamt Tischtüchern,
                   gefüllten Gläsern und Aschenbechern festgehalten hat, schrieb
                   sich Spoerri in die Kunstgeschichte ein. Seine Werke befinden
                   sich in den großen Museen der Welt. Zwar beeinflusste ihn das
                   Konzept des Readymades von Marcel Duchamp – den er
                   einmal als seinen Großvater bezeichnete. Doch anders als
                   dieser erklärte er nicht einzelne Gegenstände zu Kunstwerken,
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                   sondern ganze Situationen. Dies sei, laut Spoerri, sehr viel
                   komplexer.

                   Begonnen hat Daniel Spoerri mit Konkreter Poesie: Seine
                   Objekte entpuppten sich zunehmend als konkrete
                   Selbstdarsteller.

                   Klapperschlange und Zeit

                   Insbesondere das gemeinsame Essen als sozialer Akt rückte
                   immer stärker ins Zentrum seiner Arbeit. Er verwandelte
                   Galerien in Paris, Zürich oder New York in Lokale, ließ
                   Kunstkritiker servieren und bekochte das Publikum. Was dieses
                   übrig ließ, hielt Spoerri fest.

                   1968 eröffnete er in Düsseldorf das Restaurant Spoerri, wo er
                   Exotisches wie Seehundragout oder Klapperschlange anbot und
                   den Begriff der Eat Art (essbare Kunstobjekte!) prägte. Indem er
                   diese Alltagssituationen ins Vertikale kippte, erhob er sie zu
                   Kunstwerken – und machte sie zu ewigen Zeugen des
                   Gelebten. In den reliefartigen Wimmelbildern fing Spoerri das
                   Flüchtigste überhaupt ein: Zeit.
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                   Doch um Spoerris Hauptwerk verstehen zu können, müssen
                   seine Ursprünge ergründet werden. Als Daniel Isaac Feinstein
                   1930 in Rumänien geboren, wuchs er nach der Flucht 1942 in
                   die Schweiz bei seinem Onkel auf, von dem er seinen
                   Nachnamen erbte. Nach einer Ballettausbildung wurde er Erster
                   Tänzer des Berner Stadttheaters und ging 1957 als
                   Regieassistent nach Darmstadt. Dort kam er mit Konkreter
                   Poesie in Berührung, die Ausgangspunkt seiner Kunst wurde.

                   In loser Chronologie startet die Ausstellung mit ebendiesen
                   Anfängen. Unterschiedliche Stationen zeigen Spoerri als
                   Sprachkünstler und Netzwerker. Er kam mit der Zero-Gruppe in
                   Düsseldorf in Kontakt und wurde Gründungsmitglied des
                   Nouveau Réalisme in Paris.
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                   In seinen "Détrompe-l’Œils" erweiterte Spoerri Gemälde (in
                   diesem Fall einen Teppich) durch Objekte ins Dreidimensionale.

                   Demokratisierung der Kunst

                   In dieser Zeit initiierte er auch die Edition MAT (Multiplication
                   d’art transformable) und produzierte mit Künstlerfreunden wie
                   Jean Tinguely oder Man Ray Kunsteditionen. "Nicht die
                   Ausführung, sondern die Idee der Kunstwerke ist das Wichtige",
                   erklärt Kuratorin Veronika Rudorfer. "Und diese kann laut
                   Spoerri multipliziert werden."

                   Von diesem Gedanken einer demokratisierten Kunst
                   angetrieben, erschafft Spoerri bis heute Kunst, aus dem, was er
                   vorfindet. 2009 eröffnete er in Hadersdorf am Kamp sein
                   Ausstellungshaus mit angehängtem Esslokal.

                   Neben seinen "Fallenbildern" entstanden Anfang der 1960er-
                   Jahre auch "Détrompe-l’Œils", also durch Objekte ins
                   Dreidimensionale erweiterte Gemälde, sowie zu Assemblagen
                   aufgetürmte Flohmarktwaren: Puppenteile, Lampen, Besteck.
                   Oft sieht es so aus, als seien hier Theaterrequisiten zu Boden
                   gefallen und Spoerri habe sie nur noch fixieren müssen.

                   Hier widerspricht einer der letzten Ausstellungsräume, der als
                   Mix aus akkurater Werkstatt und Sammelsuriumkabinett
                   komponiert ist. Nudelräder, Sonnenbrillen oder Eierbecher
                   (sogar in eiförmigem Regal) sind hier zu Kollektionen aufgereiht.
                   Zumindest hier scheint dem Zufall ein Schnippchen geschlagen.
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                   Eine klassische "Tableau piège" aus dem Jahr 1972.

                   Lebenswerk-Knoten

                   Einerseits gerät die Schau an manchen Stellen zu dicht, hängen
                   hier doch viele (prallgefüllte) Werke nahe beieinander.
                   Andererseits harmoniert diese – wenn auch etwas brav auf
                   Vollständigkeit bedachte – Präsentation genau deshalb mit den
                   Arbeiten. Spoerris diverses Lebenswerk spiegelt sich hier in
                   seiner Dichte wider.

                   Die Retrospektive fängt alle Fäden seiner Praxis ein und knotet
                   sie fest. So stellt sie die "Fallenbilder" als Herz ins Zentrum,
                   mäandert in einem Seitenraum zu Spoerris auf der griechischen
                   Insel Symi entstandenen "Zimtzauberkonserven" aus
                   gefundenen Materialien, vorbei an seinen Bronzeskulpturen und
                   mündet schließlich in seinem toskanischen Anwesen Il Giardino
                   di Daniel Spoerri, das er seit 1997 als öffentlichen
                   Skulpturengarten gestaltet.
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                   Mit Arbeiten bekannter Kunstschaffender wie Meret Oppenheim
                   und Niki de Saint Phalle hat er dort seine größte Assemblage
                   geschaffen. Zur Abwechslung aber in der Horizontalen.
                   (Katharina Rustler, 24.3.2021)
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