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Elisabeth Schaumann, Christina Simon-Philipp Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung Methodendiskussion TransZ Working Paper No. 1/2021
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung Methodendiskussion Elisabeth Schaumann, Christina Simon-Philipp Kontakt: kontakt@transz.de Dieses Working Paper wurde im Kontext des Projekts „TransZ: Transformation urbaner Zentren“ verfasst, das vom BMBF in der Förderinitiative Nachhaltige Transformation urbaner Räume fi- nanziert wird. Kurzfassung Abstract Der öffentliche Raum hat als Treffpunkt für The importance of public space as a meeting die Stadtgesellschaft und Identitätsstifter place for urban society and as a source of eine zentrale Bedeutung, vor allem in Stadt- identity is central. Particularly in district cen- teilzentren, die von Transformationsprozes- ters that are affected by transformation pro- sen betroffen sind. Oftmals funktionieren cesses, public space is of great importance. diese Räume jedoch nicht, sie sind wenig be- Often, however, these spaces do not func- lebt oder es kommt zu Nutzungskonflikten. tion, they are not used or there are conflicts of use. Wie Menschen einen Raum nutzen, hängt stark von dessen Gestaltung und den Nut- How people use space strongly depends on zungsmöglichkeiten ab. Um bedarfsorien- its design and the possibilities of use. In or- tierte Planungsprozesse für den öffentlichen der to enable demand-oriented planning pro- Raum zu ermöglichen, ist eine eingehende cesses for public space, an in-depth analysis Analyse des öffentlichen Raums erforderlich. of public space is necessary. Im Rahmen des Forschungsprojekts TransZ Within the research project TransZ, different wurden verschiedene Methoden zur Analyse methods for analyzing the use and percep- der Raumnutzung und Raumwahrnehmung tion of space in public space were tested in im öffentlichen Raum in den Projektgebieten the project areas S-Wangen, HH-Osterstraße S-Wangen, Fellbach, HH-Osterstraße und HH- and HH-Rissen. These are analyzed, dis- Rissen erprobt. Diese werden im folgenden cussed and subsequently evaluated in the Beitrag analysiert, diskutiert und anschlie- following article. ßend bewertet. II
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Inhalt Kurzfassung 2 Abstract 2 1 Das Forschungsvorhaben „Transformation urbaner Zentren (TransZ)“ 3 2 Methoden zur Erhebung der Raumnutzung 4 2.1 Burano Methode 4 2.2 Tracking 6 2.2 Tracing 7 2.4 Fotografie 8 3 Methoden zur Erhebung der Raumwahrnehmung 8 3.1 Mental Map 8 3.2 Mehrsprachige Fragetafeln 9 4 Diskussion der Methoden 11 Literaturverzeichnis 13 Hochschule für Angewandte Wissenschaften 1 Das Forschungsvorhaben Trans- Hamburg (HAW), Hochschule für ange- formation urbaner Zentren (TransZ) wandte Wissenschaft und Kunst, Hildes- heim/Holzminden/Göttingen (HAWK) und Das Forschungsvorhaben TransZ – Transfor- der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT). mation urbaner Zentren beschäftigt sich mit Kommunale Praxispartner sind die Bezirks- den vielfältigen funktionalen und räumlichen ämter Hamburg-Altona und Hamburg-Eims- Transformationsprozessen urbaner Stadt- büttel sowie die Stadtverwaltungen von Holz- (teil)zentren. In fünf Projektgebieten (Stutt- minden, Höxter und Stuttgart (bis 2019 auch gart Wangen, Hamburg Rissen, Hamburg Os- Fellbach). Das Forschungsprojekt startete im terstraße, Höxter und Holzminden) werden Februar 2017 und befindet sich seit April innovative Projekte entwickelt, um den 2020 in der zweiten Förderphase (Anschluss- Transformationsprozess vor Ort nachhaltig vorhaben), die im März 2022 enden wird. zu gestalten. Herausforderungen für Stadtteilzentren lie- Grundannahme des Forschungsprojekts ist gen beispielsweise im Strukturwandel des es, dass eine nachhaltige Transformation Einzelhandels (vgl. Junker/ Pump-Uhlmann von Zentren nur gelingen kann, wenn lokale 2019: 8, Kalandides / Kather / Köper 2016: Akteur*innen den Prozess vor Ort tragen. 13f, Mensing 2019: 192), dringend erforder- Aus diesem Grund müssen diese Akteur*in- lichen lokalen Klimaanpassungsstrategien nen ihre eigenen Potenziale und Ressourcen (vgl. Fahle / Burg 2014: 41, Laue 2019: 12, erkennen, mobilisieren und organisieren, um Lüscher 2015: 23, Riechel 2020: 5, 39) und zukunftsweisende und tragfähige Entwick- zukunftsfähigen Mobilitätskonzepten (vgl. Al- lungsperspektiven initiieren zu können. bers / Hartenstein 2018: 42f, Höffken 2019: TransZ wird vom Bundesministerium für Bil- 29f, Frauns / Scheuvens 2010: 15, Lüscher dung und Forschung (BMBF) im Rahmen der 2015: 27). Fördermaßnahme „Nachhaltige Transforma- tion urbaner Räume“ gefördert und ist ein Durch die immer vielfältiger werdende Ge- Verbundprojekt der vier Hochschulen Hafen- sellschaft und die daraus resultierenden City Universität Hamburg (HCU), diversifizierten Ansprüche und Anforderun- gen an Zentren entstehen vermehrt Interes- sensdifferenzen und -konflikte, besonders im 3
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion öffentlichen Raum (vgl. Junker / Pump-Uhl- wird der Platz daher ausschließlich von jun- mann 2019: 29, Fahle / Burg 2014: 70, gen Personen genutzt? Es gilt herauszufin- Frauns / Scheuvens 2010: 10). Darüber hin- den, warum ein Raum (nicht) genutzt wird. aus haben insbesondere Stadtteilzentren oft- Hierzu werden zunächst Methoden zur Erhe- mals eine wenig ausgeprägte eigene Identi- bung der Raumnutzung aufgezeigt. Mit ihrer tät und kein positives Image (vgl. Schau- Hilfe kann abgebildet werden, wie die Men- mann / Simon-Philipp 2018: 247ff, Simon- schen den öffentlichen Raum nutzen, wie sie Philipp 2011: 61, Trommer 2015: 32). sich fortbewegen und sich im Raum aufhal- Der öffentliche Raum hat als Treffpunkt für ten. Die Methoden dienen der qualitativen Er- die Stadtgesellschaft und als Identitätsstifter hebung der Raumwahrnehmung und sollen in jenen Stadtteilzentren, die von den ge- Aufschluss über das (Nicht-)Funktionieren ei- schilderten Transformationsprozessen be- nes Raumes geben. troffen sind, eine große Bedeutung (vgl. Schaumann / Simon-Philipp 2018: 247ff). Dabei sind eine attraktive Gestaltung und vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, die den 2 Methoden zur Erhebung der diversen Ansprüchen der Nutzer*innen ge- Raumnutzung recht werden, essentiell. Vor diesem Hinter- grund werden verschiedene Planungspro- 2.1 Burano Methode zesse im öffentlichen Raum hinsichtlich der Die Burano Methode wurde 1972 von einer Mitwirkungsmöglichkeiten unterschiedlicher Gruppe von Architekt*innen und Stadtpla- Akteur*innen näher untersucht. ner*innen im venezianischen Stadtteil Um bedarfsorientierte Planungsprozesse zu Burano entwickelt. Ziel der Methode ist es, ermöglichen, ist zunächst eine eingehende die Wechselwirkungen zwischen baulichen, Analyse des öffentlichen Raums erforderlich. sozioökonomischen und zwischenmenschli- Daher wurden in einem ersten Schritt ver- chen Aspekten zu identifizieren. Sie soll als schiedene Methoden zur Analyse der Raum- Entscheidungshilfe dienen, wenn es um die nutzung und Raumwahrnehmung in öffentli- Planung oder Sanierung von öffentlichen chen Räumen in den Projektgebieten S- Räumen geht. Zu verschiedenen Zeitpunkten Wangen, Fellbach, HH-Osterstraße und HH- werden alle Menschen, die sich an einem Ort Rissen erprobt und diskutiert. Im Folgenden befinden, auf einer Karte festgehalten. Zu- werden verschiedene Methoden zur Analyse dem wird notiert, welchen geschätzten Ge- der Raumnutzung und Raumwahrnehmung schlechts und Alters sie sind und was ihre Be- vorgestellt und anschließend bewertet. schäftigung im Moment der Erhebung war. Mit dieser Momentaufnahme als Basis wer- Die analysierten Methoden sind qualitativer den in der folgenden halben Stunde wesent- Natur, zeigen also vornehmlich subjektive liche Ereignisse oder Veränderungen erfasst Empfindungen auf. Diese Empfindungen (vgl. Fugmann / Karow-Kluge 2017: 14, Kül- sind jedoch wichtig, um einen bedarfsge- per / Zibell 2005: 173f, Fugmann / Karow- rechten öffentlichen Raum entwickeln zu Kluge / Selle 2017: 24). können. Dabei geht es nicht nur darum, ob eine Sitzbank genutzt wird oder nicht, son- Bei Erhebungen vor Ort erwies sich die dern vielmehr darum, warum diese Sitzbank Burano Methode als ein hilfreiches Instru- an dieser Stelle nicht genutzt wird, an wel- ment, um vor allem Laufverbindungen und cher Stelle sie besser stehen sollte oder ob Raumnutzungen zu dokumentieren. Durch sie überhaupt einen festen Platz braucht. die schnell angefertigten Momentaufnah- Wie Menschen einen Raum nutzen, hängt men wird mit geringem zeitlichem Aufwand stark von dessen Gestaltung und den Nut- ersichtlich, wie der öffentliche Raum wann zungsmöglichkeiten ab. Ist die Sitzfläche der von wem genutzt wird. vorhandenen Sitzbänke vielleicht zu tief für körperlich eingeschränkte Personen und 4
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Abb. 1: Notiz Burano Methode, Teil 1/5 Quelle: Eigene Darstellung Zur Reduzierung des personellen Erhebungs- Um aufschlussreiche und validierbare Ergeb- aufwands wäre beispielsweise eine automa- nisse zu erhalten, sollte die Methode jedoch tisierte Aufnahme der sich verändernden Si- über einen längeren Zeitraum wiederholt tuation per Kamera möglich. Hierbei muss werden, da die Frequentierung von öffentli- jedoch neben den rechtlichen Rahmenbedin- chen Räumen je nach Uhrzeit, Jahreszeit und gungen auch bedacht werden, dass das Ver- Wetterverhältnissen variiert. halten der Passant*innen durch eine Ka- Erst mehrmalige Wiederholungen können si- mera beeinflusst werden kann. chere Aussagen ermöglichen, allerdings sind diese zeitaufwändig. 5
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Abb. 2: Auswertung Burano Methode, Hamburg, Fanny – Mendelssohn – Platz, 12:00 Uhr Quelle: Eigene Darstellung (Annabell Gronau) Abb. 3: Auswertung Burano Methode, Hamburg, Fanny – Mendelssohn – Platz, 17:00 Uhr Quelle: Eigene Darstellung (Annabell Gronau) 2.2 Tracking Tracking zielt darauf ab, die Bewegungen beispielsweise eine Beschleunigung der von Menschen in einem größeren Umge- Laufgeschwindigkeit, plötzliches Stehenblei- bungsradius nachzuvollziehen. Dazu wird ben oder suchendes Umsehen. Menschen, ohne ihr Wissen, unauffällig ge- Die Daten sind objektiv geprägt und ermögli- folgt. Als Variante ist es auch möglich, die chen eine leichte Interpretation (vgl. Fug- Person nach ihrem Weg zu fragen. Festge- mann / Karow-Kluge / Selle 2017: 23ff, Gehl halten werden vor allem bedeutende Wege- / Svarre 2013: 29). Während der Erhebung verbindungen sowie auffallende Verhaltens- wurde oft auf die Variante zurückgegriffen, weisen entlang des Weges, Passant*innen nach deren Weg zu fragen. Dabei war auffällig, dass sich ein Großteil der 6
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Befragten nicht auf einem Luftbild oder können, verwendet werden. Hierzu bieten Schwarzplan orientieren konnte, weshalb es sich beispielsweise Tablets an, auf denen sich als schwierig erwies, den genauen Weg entsprechende Wege auch direkt eingezeich- zu vermerken. Um eine Orientierung zu er- net werden können. Die direkte digitale Erhe- leichtern und mit groben Ortsangaben zu- bung von Daten beschleunigt auch den Aus- recht zu kommen, sollte man selbst mit der wertungsprozess. Ein weiteres Thema dieser Umgebung des Gebiets vertraut sein. Methode stellt der Datenschutz der Befrag- ten dar. Ortsangaben wie „Ich komme von Abb. 4: Aufzeichnungen aus einem Tracking 1 Zuhause” oder „Ich komme von der Arbeit” im Projektgebiet Fellbach wurden ungern genauer lokalisiert. Vielmehr nannten die Befragten grobe Orientierungs- punkte zur Beschreibung ihres Weges: „Ich komme aus Richtung des Parks”. Natürlich ist es so möglich, einen groben Überblick über wichtige Laufverbindungen zu erhalten, genaue Wegangaben sind jedoch nicht im- mer zu erwarten. Auch spontane Reaktionen auf dem Weg können in dieser Variante nicht beobachtet werden. Wird den Menschen unauffällig gefolgt, kann die Problematik der Orientierung auf der Karte, des Datenschutzes und der unge- nauen Wegangaben umgangen werden. Al- lerdings ist diese Analysemethode oftmals mit einem großen Zeitaufwand verbunden und steht nur selten in Relation zu den ge- wonnenen Erkenntnissen. 2.3 Tracing Durch Tracing werden die Bewegungen von Menschen in einem bestimmten Gebiet ge- nauer beobachtet und anschließend auf ei- nem Plan dargestellt 2017: 23). Welches Ge- biet für die Erhebung nach der Tracing Methode interessant und geeignet ist, stellt sich erst vor Ort und nach vorangegangenen Beobachtungen heraus. Daher muss spon- tan auf mögliche Ortswechsel der beobach- tenden Person reagiert werden können. Quelle: Eigene Darstellung (Annabell Gronau) Wie bei der Tracking Methode, muss auch diese Methode intensiv angewendet werden, um eindeutige Erkenntnisse zu erhalten und Das Problem kann umgangen werden, in- Besonderheiten beobachten zu können. dem digitale Karten, deren Maßstab und Per- spektive vor Ort flexibel geändert werden 1 Die Ursprüngliche Erhebung fand zur besseren Orientierung mit einem modifizierten Luftbild statt. Auf diesem waren U-Bahn-Stationen etc. vermerkt. 7
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Es werden hauptsächlich alltägliche Wege- Platzes zu erkennen. Dies ist sowohl durch verbindungen abgebildet. Erst bei der Einzelfotografien wie auch durch Videofoto- grafie möglich. Film und Fotografie sind vor Anwendung über einen längeren Zeitraum allem für einen nachträglichen, reflektieren- können Auffälligkeiten erfasst werden. Als den Blick über die festgehaltenen Situatio- eine zeitsparende, alternative Methode kann nen hilfreich, die möglicherweise einer de- die klassische Beobachtung angewandt wer- taillierteren Betrachtung bedürfen (vgl. den. Fugmann / Karow-Kluge 2017: 14, Fugmann / Karow-Kluge / Selle 2017: 23). Abb. 5: Modifiziertes Luftbild, Projektgebiet HH-Osterstraße Momente und Situationen fotografisch fest- zuhalten erleichtert die Darstellung von räumlichen Gegebenheiten sehr. Dennoch kann durch die Auswahl des Motivs und des Bildausschnitts nur ein sehr subjektives Bild der Situation generiert werden. Licht- und Witterungsverhältnisse spielen bei der Dar- stellung der Situation ebenfalls eine wichtige Rolle – auch eine triste Straße kann bei bes- tem Wetter einer Idylle gleichen und so eine räumliche Problemlage verharmlosen. Eben- so muss darauf geachtet werden, dass aus der Momentaufnahme einer Raumnutzung keine Regelmäßigkeiten und Verallgemeine- rungen abgeleitet werden. Gilt es nur eine Momentaufnahme abzubilden, bietet sich eine einzelne Fotografie an. Die unterschied- liche Nutzung des öffentlichen Raums im Ta- gesverlauf sollte jedoch auch mit entspre- chenden Fotoserien beobachtet werden. Fotografie ist ein sehr weites Themenfeld, auf das an dieser Stelle nicht weiter einge- Quelle: Eigene Aufnahme gangen wird. Wichtig ist jedoch anzumerken, dass durch das weite Spektrum der fotografischen Methoden sehr viele Möglich- 2.4 Fotografie keiten zur Analyse von Raumnutzung und Raumwahrnehmung bestehen (z.B. reflexive Durch gezielte Fotoaufnahmen des öffentli- Fotografie). chen Raums können Situationen dokumen- tiert werden, die das (Nicht)-Funktionieren des öffentlichen Lebens abbilden. Die Anzahl der Personen auf einem Platz 3 Methoden zur Erhebung der kann festgehalten werden, ebenso ihre Ver- Raumwahrnehmung teilung, Bewegungs- und Aufenthaltsorte, die 3.1 Mental Map vorhandenen Nutzungsarten etc. zu einem bestimmten Zeitpunkt. Genauso können Mental-Maps werden von Nutzer*innen des aber auch Reaktionen auf eine zeitweise Ver- öffentlichen Raums erstellt. Passant*innen änderung des Raums abgebildet werden. werden dazu aufgefordert, die Umgebung, die im Rahmen der Untersuchung von Inte- Ziel der Methode ist es, Zusammenhänge resse ist, aus der Erinnerung heraus zu zeich- zwischen Verhaltensweisen der Nutzer*in- nen. Dabei ist es interessant zu sehen, wie nen und der materiellen Ausstattung des 8
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion unterschiedlich Größenverhältnisse, Raum- Für eine optimale Erhebung durch Mental beziehungen und die Bezeichnung von Orten Maps ist ein stabiles Zeichenbrett oder Tab- ausfallen. let nötig. Die Ansprache der Person sollte in einem ruhigen Moment erfolgen, beispiels- Dieser verhaltens- und wahrnehmungsgeo- weise im Park auf einer Bank. Die Hemmun- graphische Forschungsansatz ist sehr sub- gen der Passant*innen gegenüber dem jektiv geprägt. Zeichnen waren sehr auffallend. Diese schwanden meist erst nach weiteren Erläute- Abb. 6: Mental Map, Projektgebiet S-Wangen rungen; dass es keiner künstlerisch hochwer- tigen Zeichnungen bedarf, sondern lediglich schematischer Skizzen. Zur Not kann das Skizzieren auch durch die befragende Person erfolgen. Weiterhin lehnten auffallend viele Passant*innen die Teilnahme ab, da sie we- nig Zeit hatten, z.B. während der Mittagszeit oder auf dem Weg zur Arbeit. Auch, wenn kein Interesse an der Erstellung einer Mental Map besteht, können auf- schlussreiche Informationen in den kurzen Gesprächen mit den Passant*innen gewon- nen werden, die bei einer reinen Beobach- Quelle: Eigene Erhebung tung nicht zustande kommen. Die ursprüngliche Interpretation der Ergeb- 3.2 Mehrsprachige Fragetafeln nisse ist nur mit den Erläuterungen der zeich- Als weiteres Erhebungsinstrument wurden in nenden Person möglich. Beurteilen For- den Untersuchungsgebieten Holztafeln im öf- schende das produzierte Bild im Nachhinein, fentlichen Raum aufgestellt, die mit präg- ist es möglich, dass Rückschlüsse gezogen nanten Fragen zum Untersuchungsraum und werden, die die zeichnende Person nur unter- ausreichend Platz zum Antworten versehen bewusst in die Abbildung aufgenommen hat. waren. Um eine Sprachbarriere von Beginn Das Verhalten der Menschen im Raum ist an zu umgehen, wurden entsprechend der nicht nur auf rationale Fakten und Informati- sozialdemographischen Situation vor Ort onen zurückzuführen, sondern vielmehr auf passende Sprachen ausgewählt (vgl. Abb.7 subjektive Empfindungen und Bewertungen und 8). objektiver Informationen (vgl. Fugmann / Karow-Kluge 2017: 14, Fugmann / Karow- Die Erhebung durch Fragetafeln funktio- Kluge / Selle 2017: 26). nierte in urbanen Strukturen gut, wohinge- gen sie in weniger dichten, suburbanen Die Erhebung der Raumwahrnehmung mit Strukturen nur bedingt erfolgreich war. In ur- Mental Maps erwies sich während der Durch- banen Räumen sind die Teilnehmer*innen führung in allen Projektgebieten als sinnvoll. weitgehend anonym, da sich die Passant*in- Die entstandenen Bilder stellen zunächst nen untereinander kaum kennen, und die öf- subjektive Wahrnehmungen im Einzelnen fentliche Räume sind von Grund auf beleb- dar, Prioritäten werden schnell deutlich. In ei- ter. In weniger urbanen, ruhigeren Gebieten ner größeren Anzahl können sie Aufschluss fühlten sich potenzielle Teilnehmer*innen über wichtige Merkmale des Viertels, bedeu- oftmals beobachtet und ungeschützt, wenn tende Wegeverbindungen oder auch die Ge- die Tafeln zu exponiert standen. Es ist wich- staltung des öffentlichen Raums geben. tig, dass die Fragetafeln weder zu versteckt noch zu präsent positioniert sind und eine an- genehme Höhe zum Beschreiben aufweisen. 9
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion In den weniger urbanen Untersuchungsge- Abb. 8: Fragetafel im Stadtraum, Projektge- bieten war es oftmals eine Hürde, die Tafeln biet HH-Osterstraße tatsächlich zu beschriften. Zwar blieben Pas- sant*innen vor den Tafeln stehen oder be- sprachen sich mit ihrer Begleitperson, doch nur wenige wollten etwas schriftlich festhal- ten. Es war auffällig, dass jüngere Leute we- niger Hemmungen hatten, die Tafeln zu be- schriften. Je älter die Passant*innen waren, desto hö- her erschien die Hürde zu sein. Als positiv ist die mehrsprachige Ansprache zu bewerten. Auf diese Weise können Personengruppen einbezogen werden, die aufgrund von Sprachbarrieren durch eine direkte Anspra- che nicht erreicht werden können. Abb. 7: Fragetafel im Stadtraum, Projektge- biet HH-Osterstraße Quelle: Eigene Aufnahme Abb. 9: Gut zugänglich platzierte Fragetafeln, Projektgebiet HH-Osterstraße Quelle: Eigene Aufnahme Quelle: Eigene Aufnahme 10
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion 4 Diskussion der Methoden mungsgabe der Teilnehmenden zutage tre- ten, diese sind für Raumanalysen jedoch Bei allen Methoden fällt auf, dass der Tages- zentral. Unterstützung durch die befragende zeitpunkt und die Witterungsverhältnisse er- Person kann an dieser Stelle erneut wichtig heblich zur Teilnahmebereitschaft beitragen. sein, beispielsweise durch gezielte Nachfra- Schönes Wetter bringt eine höhere Passan- gen bzgl. der skizzierten Situation oder erläu- tenfrequenz mit sich, auch der Berufsverkehr terten Thematik. Suggestivfragen, die Ant- und Mittagspausen sind natürlich, je nach worten vorwegnehmen, müssen in jedem Standort, stärker spürbar. Um ein differen- Fall vermieden werden. ziertes Bild der komplexen Situation am je- weiligen Ort zu erlangen, ist es daher unum- Die Analyse zeigt deutlich, dass nicht jede gänglich, die gewählte Methode zu Methodik in jeder Situation passend ist und unterschiedlichen Zeiten und Witterungen zu der Methodenkatalog daher sorgsam zusam- wiederholen, wetterfeste Materialien helfen. mengestellt werden muss. Zunächst ist eine entscheidende Frage, ob die Raumnutzung Die Mitwirkungsbereitschaft einiger Perso- oder die Raumwahrnehmung der Teilneh- nengruppen scheint von der gewählten Me- menden herausgearbeitet werden soll. Da thodik abzuhängen. So gibt es Erhebungsar- die Raumwahrnehmung die Raumnutzung ten, die in einem bestimmten Umfeld positiv oftmals beeinflusst, bietet sich eine Metho- angenommen werden, an einem anderen Ort denkombination an. Die weitere Methoden- hingegen kaum Beachtung finden. Die Expe- auswahl sollte anhand der Rahmenbedin- rimentierfreudigkeit scheint im urbanen gungen des Quartiers erfolgen: Wann könn- Raum größer zu sein. Auch das Alter der Per- en die Menschen in Ruhe antworten? Han- sonen scheint eine Rolle zu spielen. Je jünger delt es sich eher um ein Wohnquartier oder die befragten Personen waren, desto gerin- um ein gemischtes Quartier, aus dem die ger waren die Hemmungen gegenüber den Menschen nachmittags wieder auspendeln? unkonventionellen, experimentellen Metho- Welche Sprachen sind stark vertreten und den. sollten daher mindestens in den schriftlichen Allgemein muss auf eine möglichst barriere- Ergänzungen zu finden sein? Welche Alters- arme Befragung geachtet werden. Körperli- gruppen sind im Quartier vertreten? Die Nut- che Einschränkungen, wie beispielsweise zung von Fragetafeln fällt jungen Menschen Seh- oder Hörbehinderungen oder auch geis- auf dem Schulweg beispielsweise einfacher, tige Einschränkungen können die Teilnahme als beispielsweise gehbehinderten Se- an einer Methode stark erschweren oder nior*innen mit Rollator. Es wird deutlich, ganz verhindern. dass unterschiedliche Personengruppen nur durch einen Methodenmix angesprochen Grundsätzlich sollten Fragen und Arbeitsauf- werden können, um die unterschiedlichen träge den Teilnehmenden gegenüber einfach Anforderungen an den öffentlichen Raum und klar formuliert werden. Sprachliche Bar- abzufragen. rieren können bei fast allen Methoden zum Problem werden. An dieser Stelle sind Ein großer Vorteil der alternativen Analyse- schriftliche, mehrsprachig formulierte Erklä- methoden gegenüber klassischen Befragun- rungen hilfreich. So können Arbeitsaufträge gen liegt darin, dass auch unterbewusstes auch an hörbehinderte Teilnehmende ver- Verhalten ersichtlich werden kann. Anzumer- mittelt werden, im Falle einer Sehbehinde- ken ist, dass die Ergebnisse der Erhebungen rung kann die Verwendung von Blinden- immer einer modifizierten Wahrheit entspre- schrift weiterhelfen. Natürlich kann auch chen und generalisiert sind. Das Verhalten durch die befragenden Personen unterstützt der Nutzer*innen im öffentlichen Raum ist werden. nicht vorhersagbar oder generalisierbar. Die genannten Methoden können aber dabei hel- Weitere Probleme können bezüglich des Er- fen, den Raum aus Sicht der Nutzer*innen zu innerungsvermögens und der Wahrneh- verstehen und entsprechend zu modifizieren. 11
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Ergänzend zu den genannten Methoden kön- die unterschiedlichen Meinungen, Anforde- nen Interviews mit Schlüsselpersonen ge- rungen und Bedürfnisse verschiedener Be- führt werden, die z.B. auf Grund ihrer berufli- völkerungsgruppen jedoch dringend auf eine chen Tätigkeit einen guten Überblick über vielschichtige Weise abgefragt werden. Auf das entsprechende Gebiet haben und somit Grundlage einer umfassenden Analyse kön- einen zusätzlichen Blickwinkel einbringen nen Planungsprozesse initiiert werden, die können. den Bedürfnissen an diese wichtigen Orte ge- recht werden und so zu einer lebenswerteren Auf Grund der großen Bedeutung des öffent- Stadt beitragen können. lichen Raums für das Zusammenleben der Bewohner*innen sowie für das Funktionie- ren von Stadt(teil)zentren sollten Abb. 10: Bewertung der Methoden Quelle: Eigene Darstellung 12
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Literaturverzeichnis Albers, Hans-Hermann / Hartenstein, Felix 2018: Öffentlicher Raum im Fokus der Digitalwirt- schaft. Funktionsverlust, Bereicherung und neue Herausforderungen. In: PLANERIN, Heft 2/18, 2018, Berlin: Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) e.V., S. 42-45 Anders, Sascha / Kreutz, Stefan / Krüger, Thomas 2017: Transformation urbaner Zentren. Den „Marktplatz“ neu definieren. In: PlanerIn 6_17, S. 16-18 Fahle, Bernd /Burg, Stefanie 2014: Unternehmung Innenstadt, Management der Innenstadtent- wicklung von Mittelstädten. Ludwigsburg: Wüstenrotstiftung Fugmann, Friederike / Karow-Kluge, Daniela 2017: Wie erforscht man öffentliche Räume und was findet man da? in: vhw FWS1 / Januar – Februar 2017, S. 13-18 Fugmannn, Friederike / Karow-Kluge, Daniela / Selle, Klaus 2017: Öffentliche Räume in stadt- gesellschaftlich vielfältigen Quartieren: Nutzung, Wahrnehmung und Bedeutung, PT_Materialien 37, Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung, RWTH Aachen Gehl, Jan / Svarre, Brigitte 2013: How to study public life, Wahington DC: Island Press Hilber, Maria Luise 2012: Städte gehen in die Zukunft. Kreative Konzepte, viele Rezepte, unter- schiedliche Ansätze. In: Hilber, Maria Luise; Götz, Dako (Hrsg.): Stadtidentität der Zukunft. 1. Auflage, Berlin: jovis, S. 17-34 Höffken, Stefan 2019: Die Zukunft ist schon da. Perspektiven zur digitalen Transformation in Städten, In: PLANERIN, Heft 4/19, 2019, Berlin: Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landes- planung (SRL) e.V., S. 28-30 Junker, Rolf / Pump-Uhlmann, Holger 2019: Einkaufsstraßen neu denken. Bausteine für neue Perspektiven, Gelsenkirchen: Stadtbaukultur NRW e.V. Kalandides, Ares / Kather, Markus/ Köther, Paul 2016: Gute Geschäfte: Was kommt nach dem Einzelhandel? Landesinitiative StadtBauKultur NRW 2020 (Hrsg.), Broschüre Külper, Heiderose / Zibell, Barbara 2005: Stadt- und Regionalplanung, in: Kessl, Fabian /Reut- linger, Christian / Maurer, Susanne / Frey, Oliver: Handbuch Sozialraum, Wiesbaden: Springer Verlag, S. 165-180 Laue, Hendrik 2019: Klimagerechte Landschaftsarchitektur. Handbuch zum Umgang mit Ele- menten und Faktoren des Klimas im Freiraum, 1. Auflage, Berlin-Hannover: Patzer Verlag Lüscher, Regula 2015: Transforming Cities. In: Feireiss, Kristin / Hamm, Oliver G. in co-operation with the Senate Department for Urban Development and the Environment (Hrsg.): Transforming Cities. Urban Interventions in Public Space. Berlin: jovis, S. 22-31 Mensing, Klaus 2019: Was kommt, wenn der Handel geht? In: STANDORT Zeitschrift für Ange- wandte Geographie, Heft 03/19, 2019, Berlin: Deutscher Verband für Angewandte Geographie e.V. (DVAG), S. 192-197 Riechel, Robert 2020: Quartiersebene als Infrastrukturverbund – Klimaschutzpotenziale und Sy- nergien mit dem Umweltschutz, Broschüre DIFU / SRU, Berlin, 2020 Schaumann, Elisabeth / Simon-Philipp, Christina 2018: Urbane Interventionen im öffentlichen Raum. Transformationspotenziale in Stadtteilzentren. In: Forum Stadt 3/2018, S. 247-258 13
TransZ WP 01|2021 Öffentlicher Raum in Stadtteilzentren Erhebung der Raumnutzung und Raumwahrnehmung - Methodendiskussion Simon-Philipp, Christina 2011: Stadterneuerung in den Stadtteilzentren. In: Brombach, Karolin / Kurth, Detlef / Simon-Philipp, Christina (Hrsg.), Quartiersmitten, 1. Auflage, Stuttgart: HFT Stutt- gart, S. 60-65 Trommer, Sigurd 2015: Identität als Katalysator für Stadtentwicklungsprozesse. In: Verbands- zeitschrift Forum Wohnen und Stadtentwicklung (vhw FWS), Nr. 1, 2015, Berlin: vhw-Dienstleis- tung GmbH, S. 28-32 14
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