Flirten, Streiten und Reden übers Wetter - ganz diskret

Die Seite wird erstellt Emil Dittrich
 
WEITER LESEN
Essay

                       Prof. Dr. Nadine Rentel

                       Flirten, Streiten und Reden
                       übers Wetter – ganz diskret
 faik as far as i know / soweit4EVER
                                  ich weiß afair as far as i remember / soweit
ch mich erinnere aight alright, in Ordnung aij Am I jesus? / Bin ich Jesus?
 is as i said akla Alles klar? ALDI Am liebsten Dich ALDIR Alles Liebe Dir
AmO Hinterteil mit Ohren asap as soon as possible asl age sex location
  Alter Geschlecht Ort aso achso AT Arbeitstag atm at the moment / im
moment  2L8
          ayor at your own risk aza azad b* bitch b2t back to topic b4 be-
ore B:-) Sonnenbrille über den Augen BaB Bussi auf´s Bauchi BABS Bin
 uf Brautschau BaPBIDUNOWA
                       Bussi auf Pussy bb bye bye BBB bye-bye baby BBS
 e back soon bd Bis dann! bDd bist du doof bddt Bis denn dann tschüss
       GN8 bgnd bin grade nich da BGZ Bin gleich zurück! BIALZHA
 g background
 in allein zu Haus biba Bis bald bibabu bis bald bussi bidunowa bist Du
 och wach? bigbedi bin gleich bei Dir hoba bis hoffentlich bald bimo bis
morgen BLBR Bussi links, Bussi rechts blh baby löwen herz ( kosena-
                            :@) bmdan bis morgen dan boeBBB
me) bmaw bist mir assi wichtig                                     böse boon
 nfänger br best   regards brb be right back / bin gleich zurück brd bun-
               ZUMIOZUDI
 esrepublik deutschland BS Bulshit bse bin so einsam btw by the way /
 usserdem BULIBUR Bussi links, Bussi rechts bvid bin verliebt in Dich
 ö böse c(_) Kaffeetasse / Teetasse (-pause) C=:-) Chef cb come back /
 omm zurück COLA Come later - komme später cs Cyber Sex cu see you
       :-)ss
  Man sieht sich cul see you (00)
                                later cya see ya / Man sieht sich oder cover
 our ass / Pass auf dich auf cz because tbc to be continued / Fortsetzung
olgt TD Trau dich tds te dua shum tgif thank god, it´s friday thx thanks

          4   Detecon Management Report • 1 / 2012
Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret

Peter möchte seinen Freund Michael fragen, ob dieser am kommenden Wochenende Lust und
Zeit hat, mit ihm die Partie des heimischen Fußballvereins im Stadion anzuschauen. Es ist 22.30
Uhr am Donnerstagabend. Peter verfasst eine SMS mit dem Text „Lust am WE auf Stadion?
Habe Karte übrig. Bitte kurz melden, P.“

Warum hat Peter seinen langjährigen Freund nicht direkt angerufen? Dann hätte er umgehend
gewusst, ob dieser mitkommt oder bereits etwas anderes vorhat. Nun muss er warten, bis die
Antwort-SMS eintrifft oder bis er einen Rückruf seines Freundes erhält. Vermutlich wollte Peter
Michael um diese Uhrzeit nicht mehr stören, da er nicht sicher war, ob dieser seine Freundin
zu Besuch hatte oder bereits im Bett war – einen Anruf hätte er daher wohl als unberechtigtes
Eindringen in dessen Privatsphäre empfunden. Eine Störung spät am Abend, auch wenn es sich
um enge Freunde handelt, könnte den Angerufenen verärgern und für den Anrufer peinlich sein.
Die versandte SMS hingegen überschreitet diese Grenze nicht.

Gründe für den Siegeszug von SMS: der Vorläufer sozialer Netzwerke?

Seit seiner Kommerzialisierung zu Beginn der 90er Jahre erfreut sich der Versand von SMS
einer ständig wachsenden Beliebtheit. Dabei ist die Tatsache bemerkenswert, dass die Mobil­
funkunternehmen SMS (Short Message Service) ursprünglich nicht als primären Dienst kon-
zipiert hatten, sondern die Kurznachrichten an ihre Kunden versandten, um diese über ent-
gangene Anrufe oder Nachrichten auf ihrer Sprachbox zu informieren. Der Erfolg von SMS
als Kommunikationsform zwischen einzelnen Nutzern kam völlig unerwartet, so dass man aus
heutiger Perspektive sagen kann, dass der unter wirtschaftlichen Aspekten bedeutendste mobile
Dienst aus einem Nebenprodukt entstanden ist. In 2010 haben die Mobilfunkunternehmen
weltweit rund 105 Milliarden US-Dollar mit SMS-Diensten umgesetzt, was 80 Prozent der
Einnahmen aller Datenkommunikationsdienste entspricht. Für das Jahr 2015 werden weltweite
Einnahmen von rund 140 Milliarden US-Dollar durch den Versand von SMS prognostiziert1.
Dieser p­ rognostizierte Wachstumstrend ist umso erstaunlicher, als dass eine Vielzahl alternativer
Kommunikationsmöglichkeiten existiert, die es erlauben, technisch komfortabel multimedial zu
kommunizieren.

Die Vorteile gegenüber der Sprachtelefonie

Warum entscheiden sich also so viele Nutzer für den Versand einer SMS, statt mit dem Mobilte-
lefon zu telefonieren? In der Forschung besteht die Hypothese, dass dies in erster Linie durch
einen höheren Grad an Diskretion zu erklären ist, den eine SMS gewährleistet. Während man
bei einem Anruf nie sicher sein kann, ob der Gesprächspartner gerade disponibel, das heißt zu
einem Telefonat aufgelegt, ist, können SMS zwar rund um die Uhr empfangen werden – wann
man darauf antwortet, bleibt letztendlich aber jedem Einzelnen überlassen. Zudem ist der Sender
im Rahmen der SMS-Kommunikation, anders als beim Telefonat oder gar in der face-to-face-
Kommunikation, nicht unmittelbar mit der Reaktion des Empfängers konfrontiert. Dies wiede-
rum ermöglicht ihm, sein Gesicht zu wahren – ein entscheidender Vorteil in der interpersonalen
Interaktion – und erklärt, weshalb man gerade bei heiklen Themen die SMS dem Telefonat vor-
zieht. Dazu gehört auch das Beendigen einer Beziehung, umgangssprachlich „Schluss machen“
genannt, wozu es aus der Welt der Prominenten zahlreiche Belege gibt.

1 Computerworld.ch; Merkur-online.de; blog.norberteder.com

                                                                              5   Detecon Management Report • 1 / 2012
Essay

                   Die Vorteile gegenüber der E-Mail-Kommunikation und Sozialen Netzwerken

                   SMS stellen, im Vergleich zur Kommunikation in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twit-
                   ter oder auch zum E-Mail-Versand, eine sehr einfache Art der Kommunikation dar. Man be-
                   nötigt keine Passwörter, keine E-Mail-Adresse des Empfängers oder gar ein Zugangskonto, um
                   miteinander zu kommunizieren. Die regelmäßige Pflege zum Beispiel eines Facebook-Auftritts
                   beziehungsweise eines Twitter-Kanals erfordert zudem einen vergleichsweise hohen Aufwand.
                   Anders als auf der öffentlichen Plattform Facebook, deren dominierende Funktionen neben
                   der Pflege sozialer Kontakte in der positiven Selbstdarstellung der Kommunizierenden besteht,
                   handelt es sich bei SMS um eine privat-intime one-to-one-Kommunikation zwischen einzelnen
                   Individuen, die es ermöglicht, seinen Emotionen spontan Ausdruck zu verleihen. Bei sozialen
                   Netzwerken hingegen handelt es sich um massenmediale Kommunikation, da die Inhalte eines
                   Nutzerkontos häufig dem gesamten Netzwerk zugänglich sind. Will man zudem sichergehen,
                   dass eine Botschaft umgehend ihren Empfänger erreicht, wird man sich statt für die E-Mail oder
                   das soziale Netzwerk für den Versand einer SMS entscheiden, da für diese Kommunikations-
                   form aufgrund der Semi- beziehungsweise Quasi-Synchronizität davon auszugehen ist, dass der
                   Empfänger binnen kurzer Zeit antworten wird. Der E-Mail-Posteingang hingegen wird nicht
                   permanent abgefragt, und auch ein Facebook-Account wird nicht unbedingt stündlich oder gar
                   ­minütlich aktualisiert, weshalb sich diese Kommunikationsformen nicht für die Organisation des
                    Alltags oder die spontane emotionale Entlastung eignen. Beim SMS-Versand fällt die F  ­ unktion
                    der Selbstdarstellung, die häufig in sozialen Netzwerken zu finden ist, weg; in SMS ist es mög-
                    lich, ganz offen und ehrlich über negative Emotionen, Ängste und ähnliches zu kommunizieren.

                   Man kann daher auch sagen, dass SMS eine sehr einfache Form der sozialen Netzwerke darstel-
                   len, mit spezifischen Funktionen wie der Pflege privater Beziehungen oder der spontanen Koor-
                   dination des Alltags, einem exakt bestimmbaren Adressatenkreis und einer dialogischen one-to-
                   one-Kommunikation. Auch wenn es mittlerweile möglich ist, eine SMS an mehrere Empfänger
                   gleichzeitig zu schicken, ist davon auszugehen, dass die one-to-one-Kommunikation überwiegt.
                   Und auch die Antwort ergeht in der Regel an einen einzelnen Empfänger, im Gegensatz zur
                   one-to-many- beziehungsweise massenmedialen Kommunikation mit dispersem Publikum via
                   Facebook oder Twitter.

                   Die drei zentralen Vorteile der SMS-Kommunikation gegenüber den sozialen Netzwerken be-
                   stehen somit in der technisch einfachen Bedienung und der damit verbundenen permanenten
                   Erreichbarkeit (Ubiquität), in der quasi-synchronen Kommunikation, die zeitnahe Reaktionen
                   ermöglicht, sowie in ihrem privaten, nicht-öffentlichen Charakter. Vermutlich macht eben diese
                   Kombination den Reiz von SMS aus – selbst gegenüber den sozialen Netzwerken, die doch mit
                   einer ganzen Reihe an Vorteilen, zum Beispiel der Integration von Audio- und Videodateien,
                   aufwarten.

                   Forschungsprojekt enthüllt die „Black Box“ SMS

                   Obwohl SMS unter den Datenkommunikationsdiensten der Haupt-Umsatzträger der
                   ­Mobilfunkunternehmen sind, stellen sie für die Betreiber eine „Black Box“ dar: Es liegen keine
                    ­gesicherten Erkenntnisse darüber vor, worüber in Kurznachrichten überhaupt kommuniziert
                     wird. Aussagen diesbezüglich basieren entweder auf der Intuition einzelner Personen oder auf
                     Probandenbefragungen. Hier stellt sich allerdings das Problem, dass die Befragten vermut-
                     lich nicht offen zugeben, worüber sie sich in ihren SMS austauschen. Obwohl SMS also täg-
                     lich ­milliardenfach versendet werden – alleine die Deutschen versenden zirka 1.300 SMS pro
                     ­Sekunde –, weiß niemand wirklich, was die Inhalte dieser Nachrichten sind.

6   Detecon Management Report • 1 / 2012
Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret

Um aber die Frage nach den Inhalten von SMS beantworten und einen Blick in die „Black Box“
werfen zu können, bedarf es einer ausreichend großen Sammlung authentischer sprachlicher
Daten. Ein solches Korpus lag für SMS bisher nicht vor.

In einem Forschungsprojekt, das an der Fakultät Sprachen der Westsächsischen ­Hochschule
­Zwickau angesiedelt ist, wird derzeit ein mehrsprachiges Korpus von SMS ausgewertet, die
 ­Nutzer am Computer verfasst und an Mobiltelefone weitergeleitet haben. Die Daten wurden
  während eines Zeitraums von 24 Stunden vom Server eines Internetproviders aufgezeichnet und
  für die weitere Auswertung anonymisiert, um die Privatsphäre der Nutzer zu wahren. Gelöscht
  beziehungsweise ersetzt wurden auf diese Weise zum Beispiel Adressangaben, Telefonnummern,
  E-Mail-Adressen und Bankdaten.

Aufgrund ihres Umfangs von zirka einer Million Nachrichten und der Authentizität der Daten
ist diese Materialsammlung bislang einzigartig. Die Verteilung auf die einzelnen Sprachen zeigt
die Tabelle.

 Sprache                                               Anzahl SMS                % Korpus
 Deutsch                                                658.640                    82,3%
 Englisch                                                29.484                     3,7%
 Italienisch                                             11.105                     1,4%
 Französisch                                              1.780                     0,22%
 Spanisch                                                 1.229                     0,15%
 Andere (Rumänisch, Türkisch, Polnisch)                  98.075                    12,25%

Kommunikationsanlässe in privaten SMS

Im Rahmen der Analyse wurde die Relevanz bestimmter Themenbereiche beziehungsweise Kom-
munikationsinhalte anhand der Häufigkeit von Schlüsselwörtern festgemacht. Nach einer ersten
Analyse ergibt sich, dass private SMS in der Tat mit dem Ziel verfasst werden, den Alltag zu
koordinieren – in diesem Kontext wird auch versucht, den Empfänger zu bestimmten Hand-
lungen zu veranlassen – und soziale Beziehungen zu pflegen; dies wiederum prädestiniert SMS
für den Einsatz in sozialen Netzwerken. Geschäftliche Kommunikationsanlässe kommen in dem
Korpus nicht vor. Andererseits muss man sich aber auch die Frage stellen, weshalb vermutlich
in der geschäftlichen Kommunikation seltener SMS verschickt werden als in der privaten Inter-
aktion. In der geschäftlichen Kommunikation greift man zum Telefon oder schickt eine E-Mail,
wenn Informationen mit dem Geschäftspartner ausgetauscht werden sollen. Der Versand einer
SMS hingegen würde als Eindringen in die Privatsphäre des Kommunikationspartners angese-
hen beziehungsweise von der kommunikativen Funktion her nicht angemessen sein, da nicht
die spontane Alltagsorganisation oder der Austausch von Emotionen im Zentrum stehen. Der
Vertrautheitsgrad zwischen den Beteiligten und die dadurch möglichen Kommunikationsinhalte
scheinen sich somit auf die Wahl der Kommunikationsform auszuwirken.

Im Folgenden werden exemplarisch vier Kategorien vorgestellt, die sich besonders häufig im Kor-
pus nachweisen lassen. In allen bereits untersuchten Sprachen (Deutsch, Französisch, Italienisch
und Spanisch) umfassen diese Kommunikationsinhalte zusammen genommen mehr als zwei
Drittel aller behandelten Themen:

• Organisieren des Alltags und Informationsaustausch (socio-coordinative): Bestätigen und
Ändern von Verabredungen, Frage nach dem Aufenthaltsort des Kommunikationspartners, Aus-
tausch von Telefonnummern.

                                                                            7   Detecon Management Report • 1 / 2012
Essay

                   • Zuneigungsbekundungen und Beziehungspflege (affective):   Erkundigen nach dem Befin-
                   den, Kundgabe über eigenes Befinden, Dank für eine vorhergegangene Nachricht.

                   • Phatische Kommunikation (phatic): Reden über das Wetter; Anbahnen und Aufrechterhal-
                   ten einer sprachlichen Interaktion, Vermeiden von „Sendepausen“.

                   • Metakommunikation: Thematisierung der Kommunikationsform; häufig mit dem Zweck,
                   Kommunikationspausen zu vermeiden beziehungweise diese, wenn sie bereits entstanden sind,
                   zu erklären und zu entschuldigen; auf diese Weise soll das gute Funktionieren sozialer Bezie-
                   hungen gewährleistet werden.

                   „Warum schreibst du mir nicht zurück?“ – „Sorry, Guthaben war alle“ –
                   Metakommunikation in SMS

                   Nach der quantitativen Analyse zeichnet sich die Tendenz ab, dass die als metakommunika-
                   tiv klassifizierten Kommunikationsanlässe in allen bisher untersuchten Sprachen besonders
                   häufig auftreten. Als metakommunikativ werden SMS-Nachrichten bezeichnet, deren Thema
                   das ­Medium Mobiltelefon, die Kommunikationsform SMS und die damit verbundenen tech-
                   nischen, finanziellen und kommunikativen Rahmenbedingungen ist.

                   In den Beispielen (1) bis (4) werden Schwierigkeiten mit dem Kommunikationsmedium
                   ­thematisiert. Ein Teil der Nutzer ist entweder mit der Bedienung von Mobiltelefonen überfor-
                    dert oder möchte die Verantwortung für eine seit Längerem ausstehende Antwort auf technische
                    Aspekte zurückführen. In den Beispielen (5) bis (7) hingegen steht das aufgebrauchte Guthaben,
                    das heißt begrenzte finanzielle Ressourcen, im Zentrum. Beispiel (8) schließlich verweist auf
                    die begrenzte Textlänge beziehungsweise Zeichenanzahl, die es in einigen Fällen erfordert, eine
                    Mitteilung in mehrere Nachrichten aufzusplittern.

                   1.   „Ich hab jetzt mal versucht dir ne sms zu schicken wenn das klappt sag Bescheid. “
                   2.   „Nun versuche ich dir ein sms zu schreiben antworte bitte ob es funktioniert.“
                   3.   „Ich hoffe diese sms kommt an.“
                   4.   „Ich weiß nicht ob du meine sms bekommen hast oder nicht.“
                   5.   „Handykarte war leer.
                   6.   „Hab leider kein Geld mehr auf der Karte.“
                   7.   „Kann selber nicht texten kein Geld.“
                   8.   „Winterliche Grüße aus Köln und eine längere sms in mehreren Teilen.“

                   Bedingt durch den hohen Grad an Dialogizität der SMS-Kommunikation weckt eine längere
                   zeitliche Distanz oder „Sendepause“ Misstrauen und provoziert Nachfragen und Entschuldi-
                   gungen. Muss der Kommunikationspartner mehrere Stunden auf die Antwort warten, betrachtet
                   er die Kommunikation in der Regel als abgebrochen. Stark verspätete Reaktionen greifen daher
                   nicht das Gesprächsthema auf, sondern thematisieren die Verspätung. Der Verweis auf die hohen
                   Kosten kann hierbei sprachlich explizit als Entschuldigung oder Begründung verwendet werden
                   beziehungsweise tritt als Mutmaßung und/oder Vorwurf auf (Beispiele (9) bis (13)).

                   Weiterhin lässt sich in den untersuchten SMS nachweisen, dass die Sender zwischen unterschied-
                   lichen – traditionellen und modernen – Kommunikationsmedien wechseln (mode-switching).
                   Dabei kann die SMS der Ankündigung weiterer kommunikativer Handlungen dienen (Beispiel
                   (16), in dem der Versand eines klassischen Briefs in Aussicht gestellt wird; Beispiel (17), das
                   die Einladung zur Teilnahme am Chat enthält) oder auf vorhergegangene Interaktionen Bezug
                   nehmen (Beispiel (15)):

8   Detecon Management Report • 1 / 2012
Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret

19. „Ich hab so lange nicht geschrieben, weil ich fast kein Geld mehr drauf hatte.“
10. „Hat etwas länger gedauert denn ich hatte noch kein Guthaben.“
11. „Er meldet sich nicht mehr. Warum nur? Hat er kein Geld mehr drauf?“
12. „Bist Du schon im Bett oder schickst du mir keine sms weil du dein guthaben schonen willst?“
13. „Was ist los mit Dir? Warum antwortest Du nicht?“
14. „Lebst Du noch? Es ist sehr ungewöhnlich, so lange nichts von Dir zu hören!“
15. „Die Postkarte war cool. “
16. „Ich schicke Dir bald einen Brief.“
17. „Bin gleich wieder im Chat, wenn du vorbeischauen willst.“

„Kann ohne dich nicht leben“ – Liebesbekundungen und soziale Kontaktpflege

Im Rahmen von emotional-affektiv geprägten SMS teilen sich die Kommunikationspartner mit,
dass man sich liebt oder einander vermisst:

18. „Ich liebe Dich so, Julia.“
19. „Ich vermiss dich ganz doll.“

In Nachrichten dieses Typs wird die Funktion der sozialen Kontaktpflege par excellence erfüllt,
indem man sich versichert, dass die Beziehung trotz räumlicher Distanz reibungslos funktioniert.
SMS bieten hier eine ideale Plattform, um affektiv-emotionalen Kommunikationsbedürfnissen
nachzukommen.

„Mir geht’s total dreckig“ – Thematisieren der allgemeinen Befindlichkeit

Das Kommunizieren über das körperliche und/oder seelische Befinden der Interaktionspartner
ist, wie die Liebesbekundungen, der affektiv geprägten SMS-Kommunikation zuzurechnen. Auf-
grund des dialogischen „Gesprächs“-Charakters von SMS auf Nachrichten wie in Beispiel (20)
und (21) ist ein Trost zu erwarten, was wiederum der Beziehungspflege dient.

20. „Mir geht es schlecht.“
21. „Bin krank.“

„Wo um alles in der Welt steckst du?“ – Thematisieren des Ortes

Bedingt durch die räumliche Distanz der SMS-Kommunikation kann der Kommunikations-
partner nicht wissen, wo sich sein Gegenüber gerade befindet, Hierdurch entstehen Nachfragen
hinsichtlich des Aufenthaltsortes. Eine weitere Funktion von Ortsthematisierungen ist der Hin-
weis darauf, dass der Kommunikationspartner für einen bestimmten Zeitraum, bedingt durch
bestimmte Umstände wie Meeting, Discobesuch, Arztbesuch und andere, nicht uneingeschränkt
erreichbar ist (antizipierte Entschuldigung):

22. „Gehe gleich in den Schnee.“
23. „Ich gehe jetzt in die Disco. Ich kann jetzt nicht mehr sms schicken.“
24. „Hallo wo seid Ihr jetzt was sollen wir kochen?“
25. „In was für einem Land bist Du eigentlich?“
26. „Bist Du schon unterwegs? Wenn ja, wo bist Du schon?“
27. „Schöne Grüße hier aus Deutschland!“
28. „Wo bist Du?“

                                                                               9   Detecon Management Report • 1 / 2012
Essay

                   Nachrichten dieser Kategorie erfüllen somit sozio-koordinative Funktionen. Dies gilt insbeson-
                   dere für das iterative kommunikative Aushandeln von Verabredungen im Rahmen umfassender
                   SMS-Dialoge.

                   „Schönes Wetter heute, oder?“ - Thematisieren des Wetters

                   Bei der Thematisierung der Wetterlage in SMS handelt es sich, wie beim Smalltalk im münd-
                   lichen Gespräch, um die Realisierung phatischer Kommunikation („Kommunizieren um des
                   Kommunizierens willen.“). Die Funktion solcher Mitteilungen besteht darin, im Rahmen der
                   sozialen Beziehungspflege Kontakte anzubahnen oder aufrechtzuerhalten. In SMS dient die The-
                   matisierung des Wetters häufig dazu, den Einstieg in die Kommunikation zu finden oder nach
                   einer längeren Pause deren Fortsetzung zu initiieren.

                   Äußerungen dieser Art entstehen in der SMS-Kommunikation oft in Phasen der Langeweile, der
                   Nichtaktivität oder in Übergangsphasen (im Stau stehen, im Zug sitzen).

                   29. „Bei uns schneit es noch.“
                   30. „Es ist doch ein geiles Wetter draußen, oder?“
                   31. „Mir ist todlangweilig in der Vorlesung.“

                   Anwendungsperspektiven: Diensteoptimierung und Mobile Marketing

                   Die ersten Ergebnisse der Studie zeigen, dass die häufigsten Kommunikationsanlässe in SMS
                   die Alltagskoordination und die Beziehungspflege sind. Aus diesem Grund stellen SMS eine
                   einfache, aber auch sehr intime Form sozialer Netze dar. Dies eröffnet gerade in Märkten mit
                   einer noch geringen Smartphon-Penetration neue Anwendungsgebiete. Hier könnten nutzer-
                   freundliche SMS-Dienste die Realisierung der oben genannten Kommunikationsanlässe weiter
                   unterstützen und erleichtern. Zusätzlich ließen sich die bekannten sozialen Netze und Dienste
                   wie beispielsweise Twitter um eine intimere Komponente, die insbesondere dem Zweck der All-
                   tagskoordination und der Beziehungspflege dient, erweitern. Weitergehende Untersuchungen
                   des vorliegenden Korpus werden zeigen, ob eine detaillierte Kategorisierung der Kommunika­
                   tionsanlässe möglich ist.

                   Eine Ausweitung der Inhaltsanalyse von SMS erfordert natürlich, dass die Kunden im Vorfeld
                   einer Nutzung ihrer Daten, das heißt der regelmäßigen Auswertung der von ihnen v­ ersandten
                   SMS hinsichtlich ihrer Inhalte, zustimmen. Ist es im Rahmen des operativen Geschäfts, unter
                   Berücksichtigung und Schutz der Privatsphäre, möglich, einzelne SMS zu analysieren, können
                   die Kenntnisse über die Kommunikationsanlässe gezielt genutzt werden. Beispielsweise könnten
                   zielgruppen- beziehungsweise nutzerspezifische Werbebotschaften auch im Browser des Smart-
                   phones platziert werden (Mobile Marketing), die ganz auf die Bedürfnisse und Vorlieben indivi-
                   dueller Mobilfunkkunden zugeschnitten sind. In Phasen der Langeweile könnten die Mobilfunk­
                   unternehmen den Kunden Vorschläge zur Freizeitgestaltung machen, ebenso im Kontext von
                   Ortsthematisierungen unter Nutzung von Geodaten. Lässt sich aus einer Nachricht entnehmen,
                   dass deren Sender krank ist, empfiehlt sich der Hinweis auf den nächstgelegenen Arzt bezie-
                   hungsweise eine Apotheke. Steht die Koordination des Alltags im Zentrum, können auf der Basis
                   von Schlüsselwortanalysen passende Geschäfte in der näheren Umgebung empfohlen werden.

                   Sind die Nutzer hingegen nicht mit der Verwendung ihrer Kurznachrichten einverstanden, be-
                   steht immer noch die Möglichkeit, die bestehenden Forschungsergebnisse zu verwenden, um
                   signifikant häufig auftretende Inhaltskategorien zu identifizieren und die Dienste, ausgehend
                   von diesen Kommunikationsanlässen, situations- und überindividuell, zu optimieren. Um zum

10   Detecon Management Report • 1 / 2012
Flirten, Streiten und Reden übers Wetter – ganz diskret

Beispiel die Sender längerer Nachrichten von einem expliziten Hinweis auf die Aufteilung ihrer
Botschaft zu entbinden, wäre es denkbar, in solchen Fällen automatisch generierte SMS mit
einem entsprechenden Hinweis zu verschicken, damit der Empfänger sich auf den sukzessiven
Empfang der Nachrichtenteile einstellen kann.

Diese würden aber vermutlich nur dann angenommen werden, wenn die Einfachheit der SMS-
Kommunikation nicht in Frage gestellt wird. In jedem Fall gehen Prognosen davon aus, dass
der Versand von SMS auch in den kommenden Jahren weiter ansteigen wird2. Dies betrifft zum
einen den Versand privat-informeller SMS zwischen einzelnen Personen, zum anderen aber auch
die Verknüpfung von SMS mit weiteren Kommunikationsdiensten wie Twitter oder Facebook.

Ausblick: Medienkonvergenz

Die ohnehin komplexe Aufgabe, SMS und andere Kommunikationsformen voneinander ab-
zugrenzen, wird durch die verstärkte Nutzung von Smartphones zusätzlich erschwert. Hat man
zu Beginn der E-Mail-Kommunikation sein Postfach vielleicht einmal pro Tag kontrolliert, wer-
den die Nutzer von Smartphones nun permanent über eingehende Mails auf dem Laufenden
gehalten. Auch wird der Versand von E-Mails und SMS von Smartphones durch die im Vergleich
zu herkömmlichen Mobiltelefonen komfortable Tastatur erleichtert, so dass sich die kommuni-
kativen Rahmenbedingungen des SMS- und E-Mail-Versands, insbesondere die Quasi-Synchro-
nizität und damit Dialogizität, einander annähern beziehungsweise konvergieren. Dies wirkt sich
auf die Länge und auf die sprachliche Form der Nachrichten aus: Vom Smartphone versandte E-
Mails können, ähnlich wie eine SMS, sehr kurz sein und beispielsweise lediglich einen Satz um-
fassen. Den einzigen Hinweis darauf, dass es sich um eine E-Mail und eben nicht um eine SMS
handelt, bekommt der Empfänger anhand metakommunikativer Hinweise des Typs „Sent from
my iphone“ oder „Sent from my Blackberry“. Umgekehrt könnten SMS, die vom Smartphone
aus versendet werden, aufgrund der Eingabemodalität den Charakter einer E-Mail annehmen.

Die Frage ist nun aber, ob sich die von Smartphones versandten SMS und E-Mails nicht doch
aufgrund ihrer funktionalen Komplementarität voneinander unterscheiden, das heißt, dass Nut-
zer gezielt eine SMS verfassen, wenn es um privat-intime Kommunikationsinhalte geht, und
tendenziell häufiger auf die E-Mail zurückgreifen, wenn die reine Informationsvermittlung im
Zentrum steht? Stehen die technischen Rahmenbedingungen im Hintergrund der Entschei-
dungsfindung, indem die Nutzer bewusst zwischen den beiden Kommunikationsbereichen tren-
nen? Die Erkenntnisse aus der Materialauswertung scheinen zu bestätigen, dass es sich zumin-
dest bei E-Mails und SMS um funktionale Varietäten mit eigenen inhaltlichen Schwerpunkten
handelt: Obwohl zwischen SMS, die vom Mobiltelefon verschickt werden und jenen, die am
Computer verfasst werden, auf der sprachlichen Ebene Unterschiede bestehen, konvergieren die
Kommunikationsinhalte. Es handelt sich keinesfalls um E-Mails.

Die Medienkonvergenz scheint sich somit nicht nachteilig auf die Verbreitung von SMS auszu-
wirken. Im Gegenteil: Der Siegeszug von SMS ist noch lange nicht beendet und wird vielleicht in
Zukunft verstärkt Einzug halten in die Kommunikation über soziale Netzwerke – ganz diskret.

Prof. Dr. Nadine Rentel ist Professorin für Romanische Sprachen mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsfranzösisch an der
Fakultät Sprachen der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Nach ihrem Studium der Romanistik und der Computer-
linguistik an den Universitäten Duisburg und Poitiers (Frankreich) und ihrer Promotion zu Sprache-Bild-Relationen in
der französischen Anzeigenwerbung war sie vier Jahre lang als DAAD-Lektorin in Frankreich tätig, zuletzt an der Pariser
Sorbonne. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Wirtschafts- und Wissenschaftskommunikation, der Sprach-
und Kulturvergleich sowie die Besonderheiten der SMS-Kommunikation. Im Rahmen der Kooperation mit der Elite-
hochschule EHESS (École des Hautes Études en Sciences Sociales) in Paris veranstaltet sie regelmäßig ­internationale,
interdisziplinär ausgerichtete Konferenzen zur Interkulturellen Kommunikation.

2 Quelle: Informa Telecoms & Media

                                                                                             11   Detecon Management Report • 1 / 2012
Sie können auch lesen