Fördermodelle für die regenerative Stromerzeugung in der EU - ein Überblick
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ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA Fördermodelle für die regenerative Stromerzeugung in der EU – ein Überblick Michael Häder Welche Schritte sind zu unternehmen, um innerhalb der Europäischen Union zu einem Förderrahmen für die erneuerbaren Energien (EE) zu gelangen, der die wesentlichen Kriterien – Erreichung der Ausbauziele, Kosteneffizienz des EE-Ausbaus, Marktintegration der EE-Stromerzeugung und Binnenmarktkompatibilität – erfüllt? Bedarf es dazu eines EU-weit voll har- monisierten Förderregimes und damit einer Abkehr von dem bisherigen, subsidiär angelegten Politikansatz? Oder schälen sich im „Wettbewerb der Fördersysteme“ die besten Regelungen zur Förderung der regenerativen Stromerzeugung von selbst heraus und führen auf diese Weise zu einer zunehmenden Konvergenz der nationalen Förderregime? In diesem Fall würden sich die „best practices“ der Förderung zunehmend als Förderstandard in den Mitgliedstaaten durchsetzen und im Idealfall einen zentralisierten Politikansatz vollständig erübrigen. Im Folgenden werden die nationalen Förderregime vor diesem Hintergrund im Überblick dargestellt. Im Fokus der Untersuchung steht dabei die Frage, ob sich im Laufe des letzten Jahr- zehnts die Fördersysteme in den Mitglied- staaten tatsächlich einander angenähert ha- ben und sich bestimmte Regelungen als sog. „best practices“ identifizieren lassen. In die Analyse gehen nur solche Förderregelungen ein, die gesetzlich verabschiedet wurden und tatsächlich implementiert sind. Dabei sind alle Entwicklungen bis Ende 2013 be- rücksichtigt. Richtlinie definiert rechtsver- bindliche nationale Ziele Mit der Richtlinie von 2009 hat die Euro- päische Union erstmals rechtsverbindliche nationale Ziele für den EE-Ausbau formu- liert, die von den Mitgliedstaaten bis 2020 erreicht werden sollen. In Summe sollen die nationalen Anstrengungen dazu führen, den EE-Anteil am Endenergieverbrauch in der Auf dem Weg zur Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes für EE-Strom bleibt noch viel zu tun Foto: alphaspirit | Fotolia.com EU von 8,5 % im Jahr 2005 auf 20 % in 2020 zu steigern. Die verpflichtenden EE-Ziele für das Jahr 2020 reichen dabei von 10 % für Anteil am Endenergieverbrauch etwa 20,6 % gliedstaaten haben ihre selbstgesetzten na- Malta bis hin zu 49 % für Schweden. betragen. Dabei streben die Mitgliedstaaten tionalen Zwischenziele nicht erreicht [1]. vor allem einen EE-Ausbau im Stromsektor Die Richtlinie schreibt den Mitgliedstaaten an, wo der regenerative Anteil am Strom- Für den Sektor Strom, in dem die nationalen nicht vor, in welchen Sektoren oder mithilfe verbrauch von knapp 20 % (2010) auf 34 % Ausbaupläne am weitesten gehen, haben so- welcher EE-Technologien die jeweiligen natio- (2020) zunehmen soll. gar 15 Mitgliedstaaten ihre selbstgesteckten nalen Ziele erreicht werden sollen. Vielmehr Zwischenziele nicht erreicht. Dabei nehmen war es Aufgabe der Mitgliedstaaten, eigene Ein erster Fortschrittsbericht zur Umset- die Zwischenzielvorgaben der EU in den EE-Ausbaustrategien zu erarbeiten und diese zung der nationalen Aktionspläne für den nächsten Jahren erheblich an Steilheit zu [2]. 2010 der Europäischen Kommission in sog. EE-Ausbau – den die Europäische Kom- „nationalen Aktionsplänen für erneuerbare mission der Richtlinie folgend alle zwei Die Europäische Kommission stellt fest, dass Energien“ (NREAP) vorzulegen. Jahre vorlegt – zeigte ein gemischtes Bild bei Fortschreibung des EE-Wachstumspfa- des EE-Ausbaus: Zwar wurde das EU-weite des der Jahre 2009/2010 11 Mitgliedstaaten Auf Basis dieser Aktionspläne würde das Zwischenziel für 2011/12 von 10,7 % um ihre nationalen Ausbauziele für 2020 ver- EE-Ausbauziel für 2020 erreicht und der EE- 2 %-Punkte übertroffen, aber sieben Mit- fehlen würden [3]. Ihre Projektionen lassen 8 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA ZUKUNFTSFRAGEN erwarten, dass ohne weitere Maßnahmen und damit als ein Hemmnis auf dem Weg zu nachdem, für welche Zeiträume die Prämie die von den Mitgliedstaaten geplanten Aus- einem einheitlichen Energiebinnenmarkt. angepasst wird (z. B. jährlich, monatlich, bauziele in 2020 etwa für den Stromsektor stündlich), für den Anlagenbetreiber weitge- um mehr als ein Viertel verfehlt werden [4]. Preis- und mengenorientierte hend ausgeschlossen. Fördermodelle Ausbau der Erneuerbaren Mengenorientierte Fördermodelle setzen in der Diskussion Als Ansatzpunkte für die Regenerativen-För- nicht am Preis der Förderung an, sondern derung bieten sich grundsätzlich preisorien- fixieren die zu fördernde EE-Strommenge Vor diesem Hintergrund wird eine Reihe tierte und mengenorientierte Fördermodelle oder –kapazität. Diesbezüglich sind Ten- von Ansatzpunkten administrativer, rechtli- an. Bei den preisorientierten Förderformen derverfahren (TEN) und Quoten-/Zertifi- cher und finanzieller Art zur Verbesserung können wiederum Einspeisevergütungssys- katssysteme (QZS) zu unterscheiden. Beim des Regenerativen-Ausbaus diskutiert. Im teme (EVS) und Einspeiseprämiensysteme Tenderverfahren wird der Zubau bestimm- Strombereich sind dies insbesondere die Be- (EPS) unterschieden werden. EVS zeichnen ter EE-Kapazitäten wettbewerblich ausge- seitigung von administrativen Hemmnissen sich dadurch aus, dass EE-Anlagenbetreiber schrieben und auktioniert. Die potenziellen bei Planungs- und Genehmigungsverfahren für jede in das Netz gelieferte kWh Strom Investoren werden in der Reihenfolge der von EE-Anlagen, der Ausbau des Stromnet- einen ex ante festgelegten Erlös erhalten. günstigsten Gebote bezuschlagt. zes, Modalitäten der Netznutzung und der Zuordnung von Netzkosten sowie die wei- Diese Vergütungen sind i. d. R. für einen Basis für die abzugebenden Gebote können tere Entwicklung der Förderregelungen für langfristigen Zeitraum oder eine bestimmte je nach Ausgestaltung des Tenders Investi- die regenerative Stromerzeugung. Produktionsmenge garantiert und können tionszuschüsse sein oder auch Einspeise- je nach Entwicklungsstand der Technologie vergütungen oder -prämien, die für einen Die subsidiär ausgerichtete Erneuerbare- (und weiteren Parametern, wie Größe der bestimmten Zeitraum gezahlt werden. Die Energien-Politik in der EU hat hier zu ei- Anlage, Auslastungsgrad, Brennstofftyp) in Höhe der Förderung ergibt sich somit im ner sehr fragmentierten Förderlandschaft unterschiedlicher Höhe festgelegt sein. Ver- Wettbewerb der Bieter um die knappe Zu- geführt. Aktuell existieren in der Europä- bunden mit einem prioritären Netzzugang baukapazität. Je nachdem, welche Förde- ischen Union mehr unterschiedliche För- entheben sie einen EE-Anlagenbetreiber rung erfolgt, sind die bezuschlagten EE- derregelungen als es Mitgliedstaaten gibt. jeglichen Preis- und Absatzrisikos. Als Un- Anlagenbetreiber einem unterschiedlichen Nicht nur haben die 28 Mitgliedstaaten ei- sicherheiten verbleiben bei ihm allein Be- Ausmaß an Marktrisiken ausgesetzt. gene Förderregelungen implementiert. In- triebs- und Brennstoff-/Witterungsrisiken. nerhalb mancher Staaten (z. B. in Belgien) Bei QZS werden Produzenten oder Lieferan- existieren zudem regional differenzierte Bei Förderung durch Einspeiseprämien er- ten von Strom verpflichtet, einen bestimm- Förderrahmen. halten Anlagenbetreiber einen Zuschlag auf ten und im Zeitablauf steigenden Anteil den am Markt herrschenden Strompreis. ihrer Stromproduktion/-lieferung aus rege- Aus ökonomischer Sicht ist dieser „Flicken- Die Prämie kann einen festen Betrag je kWh nerativer Produktion zu decken. EE-Anlagen- teppich“ an Förderregelungen zu kritisie- umfassen oder variabel ausgestaltet sein. betreiber erhalten für ihre Stromproduktion ren. National unterschiedliche Fördersyste- Wie bei EVS erhalten Anlagenbetreiber die Zertifikate und können diese an die Quoten- me können bspw. dazu führen, dass Anlagen Prämie garantiert für einen längerfristigen verpflichteten verkaufen. Die Zertifikatzutei- nicht dort gebaut werden, wo sie die besten Zeitraum und/oder eine bestimmte Produk- lung kann für jegliche EE-Stromproduktion Standortbedingungen, sondern die besten tionsmenge. Ebenso können die Prämienzah- gleich sein oder aber technologiespezifisch Förderbedingungen vorfinden. Volkswirt- lungen technologiespezifisch ausdifferen- differenziert erfolgen. Die EE-Anlagenbe- schaftlich entstehen damit aber erhebliche ziert sein. treiber vermarkten ihren Strom selbst und Ineffizienzen, die durch einen EU-weit abge- sind sämtlichen Marktrisiken ausgesetzt. stimmten Förderansatz tendenziell vermie- Im Unterschied zum EVS übernimmt beim Ihre Erlöse erzielen sie aus dem Verkauf der den werden könnten. Auch ist die Binnen- EPS der EE-Anlagenbetreiber aber bestimm- Elektrizität am Strommarkt sowie der Zerti- marktkonformität national ausgerichteter te Marktrisiken. Da er nun für die Vermark- fikate am Zertifikatmarkt. Beide Erlöskom- Fördersysteme zunehmend zweifelhaft. tung des von ihm produzierten Stroms selbst ponenten sind variabel und unterliegen dem verantwortlich ist, trägt er das Prognoserisi- Spiel von Angebot und Nachfrage. Allerdings Der Anteil regenerativer Stromerzeugung ko. Bei Fixprämien-Modellen entfällt auf ihn kann etwa durch Mindestpreise das Preisri- am Stromverbrauch in der EU hat sich von zudem das volle Marktpreisrisiko, das aller- siko auf dem Strom- wie Zertifikatmarkt be- 2001 bis 2010 von 14 % auf fast 20 % erhöht dings durch die Einführung von Zuschlägen grenzt werden. [5]. Damit hat der Regenerativen-Sektor bei Unterschreiten bestimmter Marktpreise längst den Nischenbereich verlassen. Ein begrenzt werden kann. Bei variablen Prämi- Neben den o. g. vier Fördersystemen werden Ausschluss von EE-Anbietern aus dem EU- ensystemen, die darauf angelegt sind, den auch noch Investitionszuschüsse, Finanzie- Ausland von nationalen Förderungen er- Gesamterlös aus Marktpreis plus Prämie rungshilfen (wie zinsvergünstigte Kredite) scheint zunehmend als eine wettbewerbsver- auf eine ex ante garantierte Vergütung an- sowie steuerliche Vergünstigungen zur Un- zerrende Bevorteilung heimischer Anbieter zuheben, wird dieses Marktpreisrisiko je terstützung des EE-Ausbaus in der EU ein- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5 9
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA gesetzt. Diese Instrumente werden jedoch Hinsichtlich des Verfahrens zur Festlegung Quoten-/Zertifikatsysteme nur als ergänzende Hilfen verwendet. Als der Fördersätze für Neuanlagen hat sich bis- auf dem Rückzug? Hauptinstrumente fungieren in sämtlichen her kein Standard herauskristallisiert: wäh- 28 Mitgliedstaaten allein EVS, EPS, TEN rend in sieben Systemen Degressionssätze QZS finden derzeit in sieben Mitgliedstaa- und/oder QZS. und/oder Anpassungen an die Inflation ge- ten als Hauptförderinstrument für die re- setzlich fixiert sind, findet in acht weiteren generative Stromerzeugung Anwendung. Preisorientierte Modellen eine jährliche Neufestlegung der Allerdings scheint ihr Zenit überschritten: Fördermodelle überwiegen Vergütungen statt. In den restlichen Model- in Italien ist das 2002 eingeführte QZS-Mo- len sind Anpassungen bei Bedarf vorgese- dell inzwischen durch ein EVS/EPS-Modell In der Europäischen Union dominiert der hen. Eine zunehmende Anzahl der preisori- abgelöst worden [7]. Das britische Quoten- Einsatz preisorientierter Fördermodelle. entierten Fördersysteme enthält Regelungen modell schließt zum 31.3.2017; Anlagen, die Derzeit werden sie in 24 der 28 Mitgliedstaa- zur Begrenzung der EE-Förderung. In sieben danach ans Netz gehen, werden nach einem ten eingesetzt. Nur vier Staaten (Belgien, Systemen gibt es technologiespezifische Aus- neuen, preisorientierten Modell gefördert. Polen, Rumänien und Schweden) verzichten baudeckel, in vier weiteren sind jährliche Das lettische Fördersystem, das neben ei- vollständig auf ihren Einsatz und setzen oder Gesamtbudgets für die Förderung von nem EVS auch Elemente eines QZS enthält, mit dem QZS allein auf eine mengenorien- Neuanlagen fixiert, bei deren Überschrei- ist aufgrund von Korruptionsverdacht bis tierte Förderung. In vielen Mitgliedstaaten tung keine weitere Förderung erfolgt. Ende 2015 außer Kraft gesetzt. werden mehrere der vier Hauptinstrumen- te gleichzeitig angewendet. So haben fünf Während EVS anscheinend an Attraktivität Von den „aktiven“ QZS wird nur das britische Staaten – darunter Deutschland – sowohl verlieren, befindet sich die Anwendung von Modell in Kombination mit einem preisorien- ein EVS als auch ein EPS implementiert. EPS auf dem Vormarsch. Aktuell setzen neun tierten Förderinstrument betrieben. Dort wer- Sieben Länder nutzen bei der Vergabe von Mitgliedstaaten auf den Einsatz von Prämien den Anlagen bis 50 kW ausschließlich durch preisorientierten Förderungen das Modell für die EE-Förderung. In fünf Ländern erfolgt ein EVS gefördert. Anlagen bis 5 MW können der wettbewerblichen Ausschreibung; drei eine kombinierte Anwendung von EPS und zwischen EVS und QZS wählen, während weitere setzen neben dem QZS zudem auf EVS. Die EE-Anlagenbetreiber können hier zwi- darüberliegende Kapazitäten durch das QZS eine EVS/EPS-Förderung. schen einem Einspeisevergütungs- und Prämi- gefördert werden. Demgegenüber werden in enmodell wählen, wie dies etwa in Deutschland Schweden, Polen, Rumänien und Belgien rein Aus der Tabelle ist zu ersehen, wie häufig und Spanien (bis zur Beendigung des Systems mengenorientierte Modelle eingesetzt. die vier Hauptförderinstrumente in den EU- in 2013) der Fall ist. In Italien, Tschechien und Staaten eingesetzt werden. Bei den preisori- Slowenien ist die Wahl allerdings auf kleinere Gemein ist allen QZS, dass die Quotenvor- entierten Förderansätzen überwiegt die Ver- EE-Anlagen begrenzt. Größeren Anlagen steht gaben längerfristig fixiert sind. Allerdings wendung von Einspeisevergütungsmodellen. dort nur das EPS-Modell offen [6]. sind in einigen Ländern kurzfristige Quo- Allerdings ist ihr Einsatz rückläufig. Setzten tenreduzierungen bei Zertifikatsknappheit 2010 noch 23 EU-Staaten auf Einspeisevergü- In vier weiteren Ländern (Dänemark, Est- (Rumänien) oder Quotenerhöhungen bei tungen, so sind es aktuell nur noch 20 Län- land, Finnland und den Niederlanden) wird starkem EE-Ausbau (UK) möglich. der. Sämtliche EVS zeichnen sich dadurch den EE-Anlagenbetreibern allein die Förde- aus, dass sie nach Technologie und Anlagen- rung durch Prämien offeriert. Hinsichtlich Zwei Länder (Belgien und Rumänien) sehen größe differenzierte Einspeisevergütungen der Frage der Ausgestaltung der Prämien als Mindestpreise für Zertifikate vor, zwei ande- vorsehen. In etwa der Hälfte der Systeme fixe oder variable Zuschläge hat sich bisher re Systeme (Polen und Schweden) kennen wird auch bei der garantierten Förderdau- kein Standard herausgebildet. So verwenden hingegen keinerlei preisstützende Rege- er nach Technologien differenziert, in der vier Staaten fixe Prämienmodelle (Däne- lungen. Auch in der Frage einer technolo- anderen Hälfte hingegen sind einheitliche mark, Estland, Slowenien und Tschechien), giespezifischen Differenzierung der Zertifi- Förderdauern vorgesehen. Als Förderdauern während in den anderen fünf Ländern varia- katvergabe bildet sich keine Konvergenz der sind meist Zeiträume von 15 oder 20 Jahren ble Prämien gezahlt werden, die als Differenz Systeme heraus: während in drei Ländern fixiert. Darüber hinausgehende oder weit zwischen technologiespezifischem Zielpreis Formen des „Banding“ erfolgen (UK, Belgi- kürzere Förderzeiten bilden die Ausnahme. und dem Marktpreis ermittelt werden. en (Flandern) und Rumänien), werden in Po- len und Schweden für jede MWh EE-Strom Tab.: Entwicklung des Einsatzes der Hauptförderinstrumente in den gleich viele Zertifikate ausgegeben. EU-Staaten 2000 2005 2010 2013 Wettbewerbliche EVS 7 16 23 20 Ausschreibungen nehmen zu EPS - 4 7 9 TEN 2 2 6 7 Wettbewerbliche Ausschreibungsverfahren QZS 1 6 6 7 werden inzwischen in sieben EU-Staaten Quelle: Eigene Fortschreibung von Kitzing et al.: Renewable energy policies in Europe: Converging or diverging? In: angewendet. Als Standard haben sich dabei Energy Policy, Vol. 51 (2012), S. 196. Gebotsverfahren etabliert, bei denen erfolg- 10 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA ZUKUNFTSFRAGEN reiche Bieter einen Zuschlag auf eine garan- ser Entwicklung dürfte die Notwendigkeit Schließlich nutzen die Mitgliedstaaten die tierte preisorientierte Förderung erhalten. sein, die Marktintegration der steigenden von der EU eingeräumten Kooperationsmög- In drei Ländern (Dänemark, Italien und EE-Anteile an der gesamten Stromversor- lichkeiten zur Erreichung ihrer nationalen Niederlande) ist dies eine variable Prämie, gung voranzutreiben. EE-Ausbauziele nur sehr rudimentär. Ein- in drei weiteren (Frankreich, Lettland und Q Eine zunehmende Anzahl von Staa- ziges Beispiel für die Etablierung grenz- Litauen) eine Einspeisevergütung. Allein in ten verwendet bei der Vergabe einer preis- überschreitender, gemeinsamer Förderre- Slowenien ist ein Investitionszuschuss Basis orientierten Förderung wettbewerbliche gelungen ist die Implementierung eines der Ausschreibung. In der Regel geben die Ausschreibungen. Daneben hat die Hälfte gemeinsamen Quotensystems mit handel- potenziellen Investoren Preisgebote ab, die der Mitgliedstaaten mit preisorientierten baren EE-Zertifikaten zwischen Schweden in aufsteigender Reihenfolge bis zur ausge- Förderinstrumenten allgemeine oder tech- und Norwegen im Jahr 2012. Kooperationen schriebenen Kapazität bezuschlagt werden. nologiespezifische Caps fixiert, die einen zwischen Ländern mit preisorientierten För- kapazitären oder budgetären Deckel für die dermodellen zur Etablierung gemeinsamer Eine Ausnahme bildet das niederländische Förderung definieren. Fördermechanismen zeichnen sich bisher Modell: Hier werden Zuschläge in sechs se- Q Die Länder, die mit QZS arbeiten, neh- nicht ab. Auf dem Weg zur Schaffung eines quenziellen Vergaberunden erteilt, wobei die men ab. Unter den Staaten, die weiterhin auf einheitlichen Binnenmarktes für EE-Strom fixierten technologiespezifischen Prämien dieses Instrument setzen, vertraut die große bleibt also noch viel zu tun. von Vergaberunde zu Vergaberunde zuneh- Mehrzahl auf eine reine Mengensteuerung men. Die Zuschlagserteilung erfolgt nach (Belgien, Polen, Rumänien und Schweden). Anmerkungen dem „first come – first served“-Prinzip bis Q Die weit überwiegende Zahl der Mit- zum Erreichen des Gesamtfördervolumens. gliedstaaten finanziert die EE-Förderung [1] Dies sind Malta, Zypern, die Niederlande, Öster- über Umlagen auf den Stromverbraucher. reich, Polen, Frankreich und Litauen. Tenderverfahren finden vor allem bei der Nur in zwei Ländern erfolgt die Finanzie- [2] So mussten die Mitgliedstaaten bis 2011/12 nur Förderung größerer Anlagen Anwendung. rung i. W. aus dem öffentlichen Budget 20 % des verpflichtenden nationalen Zubauziels für So konzentriert sich das italienische Modell (Finnland und Niederlande). 2020 erreichen. In den folgenden 2-Jahres-Schritten auf Anlagen mit einer Mindestleistung von sind 30 % (2013/2014), 45 % (2015/16), 65 % (2017/18) 5 MW, das dänische Ausschreibungsver- Noch erhebliche Heraus- und schließlich 100 % (2020) vorgegeben. fahren ist auf die offshore-Windkraft fokus- forderungen zu erwarten [3] Vgl. Europäische Kommission: Fortschrittsbericht siert. In einigen Ländern nehmen neben den Erneuerbare Energien COM(2013) 175 final, Brüssel großen Kapazitäten aber auch kleinere An- Trotz dieser Entwicklungen bestehen wei- 27.3.2013. lagen an dem Wettbewerbsverfahren teil; in terhin erhebliche Herausforderungen, um [4] Vgl. European Commission: Renewable Energy Pro- Litauen Anlagen mit einer Leistung >30 kW, zu einem Förderrahmen zu gelangen, der gress Report. Commission Staff Working Document. in Frankreich PV-Anlagen ab 100 kW und in die angestrebten Ziele sicher, kosteneffizi- Accompanying the Document. COM(2013) 175 final, den Niederlanden ab 15 kW. ent, binnenmarktkonform und bei vollstän- Brüssel 27.3.2013. diger Marktintegration der regenerativen [5] Vgl. Eurostat: Statistik der Erneuerbaren Energien, Konvergenz in Ansätzen Energien zu erreichen vermag. Wenn in 19.9.2013 [http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_ 14 EU-Staaten sämtliche (oder Teile der) explained/index.php/Renewable_energy_statistics/de; Betrachtet man die Entwicklung der nationa- EE-Anbieter mit Preis- und Prognoserisiken Download: 17.1.2014]. len EE-Fördersysteme in der Gesamtschau, konfrontiert werden, so bedeutet dies auch, [6] Für Anlagen >100 kW ist in Tschechien jedoch ein so lassen sich einige Trends beobachten, die dass in der anderen Hälfte der Mitglied- Förderstopp verfügt werden. Sie erhalten nur noch eine zumindest partielle Annäherung der staaten EE-Anbieter weiterhin ihre Anlagen dann eine EPS-Förderung, wenn sie vor dem 2.10.2013 Förderregeln erkennen lassen: nach dem Grundsatz des „produce and for- eine Lizenz erhalten haben und bis Ende 2015 in Be- get“ betreiben können. trieb gehen. Q Preisorientierte Förderregeln haben an [7] Alte Anlagen erhalten zwar noch für einen Zeitraum Dominanz gewonnen. Einspeisevergütungs- Auch unter Effizienzgesichtspunkten sind von 15 Jahren für ihre EE-Produktion Zertifikate zuge- systeme scheinen dabei insbesondere bei die nationalen Förderregelungen weit von teilt. Neuen Anlagen steht dieses System aber nicht der Förderung kleiner Anlagen das Instru- einer Konvergenz entfernt. So unterschei- mehr offen. ment der Wahl zu sein. Auch einige Länder, den sich die Förderhöhen für die verschie- [8] So wurden im Oktober 2013 für kleine PV-Auf- die mit QZS arbeiten, haben diese im Be- denen EE-Technologien in den einzelnen dachanlagen in Italien bis zu 21,8ct/kWh gezahlt (für reich der Förderung kleiner Kapazitäten um Staaten z. T. erheblich. Für neue Wind- 20 Jahre), während in Slowenien 12,257 ct/kWh (für EVS ergänzt (UK und Italien). kraftanlagen (>1 MW) etwa werden derzeit 15 Jahre) garantiert wurden. Q Neben den EVS (oder auch an deren Einspeisevergütungen von 6,3 ct/kWh für Stelle) etablieren sich mehr und mehr Ein- 12 Jahre (Bulgarien) bis hin zu über 13 ct/ speiseprämiensysteme. So machen inzwi- kWh für 20 Jahre (Italien und Zypern) ga- schen neun von 24 Mitgliedstaaten, die mit rantiert. Für PV-Aufdachanlagen liegen die Prof. Dr. M. Häder, Institut für Energie- und preisorientierten Fördermodellen arbeiten, Vergütungssätze ebenfalls in einer Spanne Wasserwirtschaft, Hochschule Bochum von einem EPS Gebrauch. Hintergrund die- von fast 100 % auseinander [8]. michael.haeder@hs-bochum.de ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5 11
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA Europäische Kooperation bei der Förderung erneuerbarer Energien: Wie geht es nach 2020 weiter? Michaela Unteutsch und Dietmar Lindenberger Aufgrund von unterschiedlichen meteorologischen Standortbedingungen in Europa kann eine Kooperation zwischen den europäischen Mitgliedstaaten die Kosten zur Erreichung von Ausbauzielen erneuerbarer Energien signifikant senken. Den- noch wollen die meisten Mitgliedstaaten die 2020er-Ziele weitestgehend ohne die Nutzung von Kooperationsmechanismen umsetzen. Vor diesem Hintergrund wird zunächst anhand einer modellbasierten quantitativen Analyse untersucht, welche Auswirkungen ein Festhalten an den nationalen Ausbaustrategien im Zeitraum 2020-2030 hätte. Zudem zeigen die Autoren auf, welche Hemmnisse bezüglich der Nutzung von Kooperationsmechanismen bestehen und welche beseitigt werden müss- ten, um die Kosteneinsparungspotenziale von Kooperationsmechanismen zu nutzen. Der Anteil erneuerbarer Energien am eu- ropäischen Stromverbrauch betrug im Jahr 2010 19,9 %. Bis 2020 soll dieser Anteil auf 34 % steigen. Der Beitrag der einzelnen Mitgliedstaaten zur Erreichung dieses Ziels wurde in der Direktive 2009/28/EC der Eu- ropäischen Kommission, unter anderem auf Basis des Bruttoinlandsprodukts und den bisherigen Anstrengungen der Mitgliedstaa- ten beim Ausbau erneuerbarer Energien, festgelegt [1]. Die Direktive beinhaltet sog. Kooperationsmechanismen, die eine kosten- günstige Erreichung der nationalen Ziele erlauben sollen. Bislang machen allerdings kaum Mitglied- staaten von dieser Möglichkeit Gebrauch, um ihre 2020er-Ziele zu erreichen. Wie es danach weitergeht ist noch unklar – sowohl in Bezug auf Kooperationsmechanismen als auch in Bezug auf die Förderung erneuerba- rer Energien im Allgemeinen. Während ein- zelne Mitgliedstaaten, wie bspw. Deutsch- land, langfristige Ausbauziele bis 2050 Trotz der erheblichen Kosteneinsparungen für Erneuerbare durch Kooperationsmechanismen in der EU herrscht bisher nur geringes Interesse an ihrer Nutzung Foto: DragonImages | Fotolia.com verfolgen, gibt es auf europäischer Ebene nach 2020 keine Ziele für den Ausbau er- neuerbarer Energien. tiv durch eine Fortführung von nationalen volllaststunden, deutlich zwischen den euro- Zielen erreicht würde? päischen Regionen. Dies schlägt sich unmit- Vor diesem Hintergrund wird die Frage Q Inwieweit hängt der Vorteil einer eu- telbar in den jeweiligen Erzeugungskosten untersucht, welche Rolle Staaten-übergrei- ropäischen Kooperation vom Ausbau der nieder. Strom aus Windkraft ist entlang der fende Kooperation bei der Förderung erneu- Grenzkuppelstellen ab? Aus welchen Grün- europäischen Küstenlinien kostengünstig, erbarer Energien in einem Zeitraum nach den werden Kooperationsmechanismen bis- Solarstrom im Süden billiger. 2020 spielen könnte. Eine ausführliche, wis- lang kaum genutzt? senschaftliche Darstellung der Analyse ist Kooperationen zwischen den europäischen in [2] veröffentlicht. Im Detail wurden drei Fortschreibung nationaler Mitgliedstaaten können dazu beitragen, Hauptfragen bearbeitet: Ziele ohne europäische dass unabhängig von der Höhe der nationa- Kooperation ist teuer len Ziele erneuerbare Energien vermehrt an Q Welche Kosten würden durch ein Er- den Standorten zugebaut werden, wo dies neuerbare-Energien-Ziel für 2030 entste- Wie die Abbildung zeigt, variieren die Ver- zu geringen Kosten möglich ist. Mitglied- hen, wenn es entweder durch die Nutzung fügbarkeiten von Sonnen- und Windenergie, staaten mit vergleichsweise hohen Zielen der besten Standorte in Europa oder alterna- hier gemessen durch die jeweiligen Jahres- und relativ hohen Stromgestehungskosten 12 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA ZUKUNFTSFRAGEN können durch Kooperationsmechanismen auch Standorte außerhalb der nationalen Grenzen, beispielsweise mit hohen Wind- geschwindigkeiten oder einer hohen So- lareinstrahlung, mitnutzen, um ihr Ziel zu erreichen. Mitgliedstaaten mit vergleichs- weise niedrigen Ausbauzielen und güns- tigen Standorten können im Gegenzug durch Kooperation zusätzliche Einnahmen erzielen. Wie ebenfalls in der Abbildung ersichtlich, hat sich der bisherige Zubau erneuerbarer Energien an den nationalen Förderpolitiken und nicht an europaweiten Standortvorteilen orientiert. In einer Szenarienanalyse, die mit dem DI- MENSION-Strommarktoptimierungsmodell des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) durchgeführt Abb. Photovoltaik-Volllaststunden bei optimaler Neigung (Performance Ratio Q=75 %) sowie installierte wurde, haben wir die Kosteneinsparungsef- Photovoltaik-Kapazitäten im Jahr 2011 [MW] (linke Grafik); Volllaststunden für 3 MW-Onshore-Wind- kraftwerke sowie installierte Windkraft-Kapazitäten im Jahr 2011 [MW] (rechte Grafik) fekte europaweiter Kooperation bei drei ver- Quelle: EWI (basierend auf Eurowind, EWEA, EurObserv’ER) schiedenen angenommenen Fortführungen nationaler Ziele für erneuerbare Energien bis 2030 untersucht: und Speichertechnologien in einem inte- zum Referenzfall der rein nationalen Ziel- grierten Ansatz optimiert, berücksichtigt erfüllung günstigere Standorte und ein Q Die nationalen 2030er-Ziele für erneu- die optimale europaweite Standortwahl günstigerer Technologiemix genutzt wer- erbare Energien im Stromsektor belaufen der Erneuerbaren bereits die Auswirkun- den können. Standorte mit hohen Wind- sich auf 55 % in allen Ländern. gen unterschiedlicher regionaler Zubauten geschwindigkeiten oder hoher Sonnenein- Q Die 2020er-Ziele werden entsprechend auf den konventionellen Kraftwerkspark strahlung liegen oftmals jedoch relativ weit des angestrebten Zuwachses zwischen 2010 (Stichwort: Integrationskosten). Werden von den großen Lastzentren entfernt. Daher und 2020 bis 2030 fortgeschrieben. dagegen Kooperationsmöglichkeiten nicht stellt sich die Frage, inwieweit die Vorteile Q Das 2030er-Ziel liegt in jedem Land 20 genutzt und die nationalen Ziele allein von europäischer Kooperation davon abhän- Prozentpunkte über dem nationalen Ziel für durch Stromerzeugung aus erneuerbaren gig sind, dass die grenzüberschreitenden 2020. Energien innerhalb der einzelnen Länder Stromleitungen zwischen den europäischen erreicht, so steigen die durch das Ziel für Ländern ausgebaut werden. Sämtliche Fortschreibungen führen zu ei- erneuerbare Energien verursachten Zusatz- nem europaweiten Ziel für erneuerbare kosten deutlich an: statt, je nach Zielfort- Die oben ausgewiesenen Kooperations- Energien von ca. 55 % in 2030. Bei allen schreibung, Zusatzkosten von 68, 79 oder gewinne von 54-73 Mrd. € bzw. 41-45 % handelt es sich um rein fiktive Szenarien, 93 Mrd. €2010 (kumuliert von 2021-2030 beziehen sich auf den Fall, dass alle Aus- die allerdings eine große Bandbreite von und diskontiert mit 5 % auf das Basisjahr bauten von Grenzkuppelstellen, die im Ten- möglichen europäischen Zielsystemen für 2020) gegenüber einem reinen CO2-Ziel Year-Network-Development-Plan (TYNDP) erneuerbare Energien bis 2030 abdecken. belaufen sich die Zusatzkosten ohne Ko- geplant sind, auch umgesetzt werden. In operation auf 125, 133 oder 166 Mrd. €2010. diesem Fall werden im Kooperationsfall In allen Szenarien wurde angenommen, Durch Kooperation können die Zusatzkos- gute Windstandorte in der Nordseeregion dass bis 2030 ein CO2-Minderungsziel von ten des unterstellten Ziels für erneuerbare (insbesondere in den Niederlanden, Irland, 40 % gegenüber 1990 erreicht wird. Wird Energien gegenüber einem reinen CO2-Ziel Norwegen, Dänemark) und gute Solarstand- zusätzlich ein europäisches Ziel für erneu- also um 54-73 Mrd. €2010 bzw. um 41-45 % orte auf der Iberischen Halbinsel stärker erbare Energien implementiert, so steigen gesenkt werden. genutzt als bei rein nationaler Zielerrei- die Stromsystemkosten in Europa im Zeit- chung. In einer Sensitivitätsrechnung wird raum 2020 bis 2030 dadurch um 5-7 %, Kooperationsgewinne angenommen, dass Grenzkuppelstellen wenn dieses Ziel durch die Nutzung der eu- weitgehend unabhängig vom gegenüber heute nicht weiter ausgebaut ropaweit günstigsten Standorte (also durch Ausbau der Grenzkuppelstellen werden. In diesem Fall können die Wind- eine vollständige Kooperation aller Länder) standorte in Nordeuropa nur in geringerem erreicht wird. Da das DIMENSION-Modell Kooperationsgewinne, definiert als (Sys- Ausmaß genutzt werden. Die im Koopera- den Zubau und Einsatz von erneuerbaren tem-) Kosteneinsparungen durch Koopera- tionsfall zusätzliche solar-basierte Strom- Energien, konventionellen Kraftwerken tion, entstehen dadurch, dass im Vergleich erzeugung beispielsweise in Spanien wird ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5 13
ZUKUNFTSFRAGEN ENERGIEMARKT EUROPA dagegen kaum davon beeinflusst, ob Grenz- von Kooperationsmechanismen im Wege Quellen kuppelstellen ausgebaut werden oder nicht. stehen, analysiert. Auch dort wird als eine Der Grund hierfür ist, dass die gegenüber Hauptherausforderung die Verteilung von [1] Der Beitrag der einzelnen Mitgliedstaaten zum Er- dem Fall der nationalen Zielerreichung hö- (direkten und indirekten) Kosten und Nut- neuerbare-Energien-Ziel am Primärenergieverbrauch here Erzeugung von erneuerbaren Energi- zen von Kooperationsmechanismen heraus- wurde in der europäischen Direktive 2009/28/EC fest- en hauptsächlich heimische konventionelle gestellt, die häufig kaum zu quantifizieren gelegt. Den Anteil, den der Stromsektor dabei leisten Erzeugung ersetzt und nicht unbedingt ex- sind. Indirekte Kosten beziehen sich bei- soll, haben die Mitgliedstaaten in ihren Nationalen Ak- portiert werden muss. spielsweise auf (Netz-) Integrationskosten tionsplänen fixiert. oder den Einfluss der erneuerbaren Ener- [2] Unteutsch, M. und Lindenberger, D.: Promotion of Insgesamt zeigen die Sensitivitätsrechnun- gien auf die Landschaft. Indirekte Nutzen electricity from renewable energy in Europe post 2020 gen, dass Kooperationsgewinne auch ohne können dagegen lokale wirtschaftliche Vor- – the economic benefits of cooperation. Zeitschrift für einen weiteren Ausbau der Grenzkuppel- teile sein. In [7] werden zudem spezifische Energiewirtschaft 2014. Im Druck. stellen in einer beachtlichen Größenordnung Herausforderungen diskutiert, die mit der [3] Fürsch, M.; Hagspiel, S.; Jägemann, C.; Nagl, S.; Lin- von 47-62 Mrd. € bzw. 36-37 % liegen. Dies Einführung unterschiedlicher Kooperati- denberger, D.; Tröster, E.: The role of grid extensions heißt nicht, dass ein Ausbau der Grenzkup- onsmechanismen (statistische Transfers, in a cost-efficient transformation of the European elec- pelstellen (und des weiteren Netzes) nicht gemeinsame Projekte oder gemeinsame tricity system until 2050. Applied Energy, 104 (2013): wichtig sei und einen geringen Einfluss auf Fördersysteme) einhergehen. Bei einem 642-652. die Stromsystemkosten hätte. Im Gegenteil: gemeinsamen Fördersystem besteht die [4] Beurskens, L.; Hekkenberg, M.; Vethman, P.: Renew- Eine stärkere Vernetzung der europäischen Schwierigkeit naturgemäß in der Notwen- able Energy Projections as Published in the National Strommärkte führt dazu, dass sowohl im digkeit, sich auf eben dieses zu einigen. Renewable Energy Action Plans of the European Mem- erneuerbaren als auch im konventionellen Gemeinsame Projekte können dagegen ber States. Technical Report. ECN 2013. Stromerzeugungsbereich günstigere Optio- hohe Transaktionskosten beinhalten, ins- [5] Del Río, P.: A European-wide harmonized tradable nen nutzbar werden und dass zudem überre- besondere, wenn es sich um relativ kleine green certificate for renewable electricity: is it really so gionale Ausgleichseffekte zwischen Angebot Projekte handelt. beneficial? Energy Policy 33 (2005): 1239-1250. und Nachfrage verstärkt werden können [3]. [6] Klessmann, C.; Lamers, P.; Ragwitz, M.; Resch, G.: Sowohl mit als auch ohne einen Ausbau der Im November 2013 hat die Europäische Design Options for cooperation mechanisms under the Grenzkuppelstellen führt eine europäische Kommission ihre Leitlinien für die Nutzung new European renewable energy directive. Energy Poli- Kooperation im Bereich der Förderung er- von Kooperationsmechanismen für erneu- cy 38 (2010): 4679-4691. neuerbarer Energien zu Kosteneinsparun- erbare Energien veröffentlicht [8]. Darin [7] Pade, L.-L.; Jacobsen, H.; Nielsen, L. S.: Cost-efficient gen in ähnlicher Größenordnung. werden prozedurale Fragen bezüglich der and sustainable deployment of renewable energy sour- Umsetzung von Kooperationsmechanismen ces towards the 20 % target by 2020, and beyond. As- Schritte zu vermehrter geklärt und verschiedene Design-Optionen sessment of Cooperation Mechanism options. Technical Kooperation für die einzelnen Mechanismen beschrie- Report. RES4less Project (2012). ben. Zudem werden indirekte Kosten und [8] EC: Commission Staff Working Document Trotz der erheblichen Kosteneinsparungen, Nutzen von Kooperation dargestellt – wobei „Guidance on the use of renewable energy cooperation die durch Kooperation erzielbar sind, lässt die Richtlinie feststellt, dass eine Quantifi- mechanisms“, accompanying the document „Delivering sich bislang nur ein geringes Interesse an zierung schwierig ist. the internal electricity market and making the most of der Nutzung von Kooperationsmechanis- public intervention“ (SWD(2013) 440 final). Technical men verzeichnen. Einer der wenigen Fäl- Hohe Kosteneinspareffekte Report. European Commission 2013. le ist das gemeinsame Quotensystem von Schweden und Norwegen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, Dipl.-Volkw. M. Unteutsch (geb. Fürsch), dass durch Kooperation bei der Förderung Wissenschaftliche Mitarbeiterin, PD Dr. D. In ihren Nationalen Aktionsplänen [4] ha- erneuerbarer Energien hohe Kosteneinspa- Lindenberger, Direktor für Anwendungsfor- ben die einzelnen Mitgliedstaaten beschrie- rungseffekte realisiert werden können. Ob schung und Mitglied der Geschäftsleitung, ben, welche Herausforderungen sie bei der ein europäisches 2030er-Ziel für erneuerba- Energiewirtschaftliches Institut an der Uni- Umsetzung von Kooperationsmechanismen re Energien beschlossen wird oder nicht, ist versität zu Köln (EWI) sehen. Diese beziehen sich zum einen auf unklar. Unabhängig davon können die Län- michaela.unteutsch@ewi.uni-koeln.de die tatsächliche prozedurale Umsetzung der der, die langfristige nationale Ausbauziele Mechanismen und zum anderen vor allem verfolgen (wie beispielsweise Deutschland), auf Verteilungseffekte, also beispielsweise durch bi- oder multilaterale Zusammen- auf die Frage, wer für die Integrationskosten arbeit mit anderen Ländern diese Ziele zu von erneuerbaren Energien aufkommt. geringeren Kosten erreichen. Das Beispiel des schwedisch-norwegischen Fördersys- In verschiedenen Studien, beispielsweise tems zeigt, dass sich die damit verbundenen [5], [6] und [7], wurden mögliche Hinder- Herausforderungen durch gemeinsame An- nisse, die einer verstärkten Umsetzung strengungen überwinden lassen. 14 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
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ZUKUNFTSFRAGEN INTERVIEW „Höchste Zeit für die EU, ein energiepolitisches Gesamtbild zu entwickeln“ Schwierige Bedingungen auf dem deutschen Energiemarkt haben zu einer Debatte und Versuchen einer Neuausrichtung der Energiewende geführt. In der Europäischen Union hingegen sind Weichenstellungen über die zukünftige Energie- und Klimapolitik nicht zuletzt wegen der schwierigen politischen Entwicklung in der Ukraine verschoben worden. Ergebnis ist ein weiter bestehender Flickenteppich der Fördersysteme für Erneuerbare und eine in weiter Ferne stehende Einigung über die künftige Energie- und Klimapolitik in der EU. Eine Überarbeitung des deutschen Fördersystems für erneuerbare Energien ist zwar gerade im Entstehen – darin werden europäische Mindesterfordernisse eingehalten. Dennoch verbleibt man dem alten Denken in nationalen Bahnen verhaftet. Dabei ließen sich bei einem konsequent europäisch konzipierten System Synergien in Milliarden Euro Höhe erschließen. Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln (EWI) zeigt im „et“-Interview Wege für mehr Synergien und Gemeinsamkeit in der Energie- und Klimapolitik auf. „et“: 2010 untersuchte das EWI mögliche Effizienz- der Szenariorechnung möglich gewesen, wenn lich darauf, dass die entsprechenden Fördermaß- gewinne bei einer Harmonisierung der Fördersys- zusätzlich auch noch die jeweils kostengünstigs- nahmen national ausgestaltet und zudem auf lan- teme für erneuerbare Energien in Europa und bei ten Technologien zum Einsatz kommen würden. deseigene Standorte beschränkt werden dürfen. einer Konzentration auf die EU-weit kostengüns- Im Rahmen einer neuen Forschungsarbeit an Solche Argumente haben also in der Regel eher tigsten Standorte und Technologien. Was war der unserem Institut wurden inzwischen hypothe- etwas mit nationaler Verteilungspolitik als mit Hintergrund dieser Studie? tisch auch die Folgen von Ineffizienzen für den europäischem Klimaschutz zu tun, sich aber bis- Zeitraum 2020 bis 2030 untersucht. Hier wird ein lang – vor allem in der Erneuerbaren-Richtlinie Bettzüge: Im Vorfeld der Erneuerbare-Energien- Sparpotenzial in hoher zweistelliger Milliardenhö- des Jahres 2009 – durchgesetzt. Es wird interes- Richtlinie 2009 wurde intensiv darüber disku- he ausgewiesen. sant sein, zu sehen, ob und wie lange diese Posi- tiert, ob die Förderung der Erneuerbaren europa- tion europarechtlich und europapolitisch Bestand weit harmonisiert oder von jedem Mitgliedstaat Auf der Suche nach einer haben kann und wird. mit separaten Mechanismen gesteuert werden gemeinsamen Strategie sollte. Im Auftrag eines größeren Konsortiums „et“: Es fehlt also eine EU-weite Energiestrategie? aus Verbänden, Unternehmen und der öffentli- „et“: Das sind beeindruckende Beträge. Woher chen Hand hat unser Team damals die finanziel- rührt denn der Dissens unter den EU-Staaten, der Bettzüge: Eindeutig ja, und das ist ein sehr grund- len Folgen berechnet, die eine Harmonisierung eine Harmonisierung verhindert? sätzliches Problem. Die EU hat sich in den letzten für die Jahre 2010-2020 haben würde. Jahren sehr stark und einseitig vom Klimaschutz Bettzüge: Einerseits gibt es einen Dissens darü- und den Interessen der erneuerbaren Energien „et“: Welche Synergien würden sich durch einen ber, ob es überhaupt eine spezifische Förderung treiben lassen. Die Folgen der mangelnden Be- europäisch koordinierten Ausbau erneuerbarer erneuerbarer Energien geben soll. Einige Staaten rücksichtigung der fundamentalen Zielkonflikte Energien ergeben? sind – nicht ganz zu Unrecht – der Meinung, dass zu den beiden anderen Dimensionen des ener- die Förderung der Erneuerbaren mit Klimaschutz- giepolitischen Trilemmas – Wirtschaftlichkeit Bettzüge: Bezogen auf die konkreten Festle- argumenten allein nicht begründet werden kön- und Versorgungssicherheit – werden zunehmend gungen in der Richtlinie 2009 und die damals ne. Um ein vorgegebenes CO2-Ziel zu erreichen, deutlich. Zudem stellt sich heraus, dass viele der getroffenen Annahmen ergäbe sich ein Synergie- würde das Europäische Emissionshandelssystem damals von der Politik getroffenen Annahmen, potenzial von mehr als 100 Mrd. €, wenn optima- (ETS) ausreichen. Die Befürworter einer zusätzli- beispielsweise zur Entwicklung der globalen le Standorte in Europa genutzt werden würden. chen Förderung der erneuerbaren Energien, allen Energiepreise, zu den möglichen Ergebnissen der Weitere rund 60 Mrd. € Kostensenkung wäre laut voran Deutschland, bestehen andererseits zusätz- Klimaschutzverhandlungen oder zu den industrie- „Die EU hat sich in den letzten Jahren sehr stark und einseitig vom Klimaschutz und den Interessen der erneuerbaren Energien treiben lassen. Die Folgen der mangelnden Berücksichtigung der fundamentalen Zielkonflikte zu den beiden anderen Dimensionen des energiepolitischen Trilemmas – Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit – werden zunehmend deutlich. Zudem stellt sich heraus, dass viele der damals von der Politik getroffenen Annahmen, beispielsweise zur Entwicklung der globalen Energiepreise, zu den möglichen Ergebnissen der Klimaschutzverhandlungen oder zu den industriepolitischen Effekten der Erneuerbaren-Förderung, sehr einseitig waren und sich letztlich als nicht korrekt herausgestellt haben. Auch die geopolitischen Entwicklungen rund um das Schiefergas und die Krise in der Ukraine zeigen dieses Manko gerade sehr deutlich auf. Daher wird es höchste Zeit für die EU, ein energiepolitisches Ge- samtbild zu entwickeln.“ Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, geschäftsführender Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) 16 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
ZUKUNFTSFRAGEN INTERVIEW ZUKUNFTSFRAGEN politischen Effekten der Erneuerbaren-Förderung, die Subvention von inzwischen rund 20 Mrd. € gäbe oder wenn die staatlichen Eingriffe sich sehr einseitig waren und sich letztlich als nicht aus dem allgemeinen Steueraufkommen beglei- nur noch auf das CO2-Handelssystem beschrän- korrekt herausgestellt haben. Auch die geopoli- chen, wäre das eine erhebliche Belastung für ken würden. Doch aus politischen Gründen tischen Entwicklungen rund um das Schiefergas den Staatshaushalt. Und die Gesellschaft würde wird weiterhin der Ausbau der Erneuerbaren an und die Krise in der Ukraine zeigen dieses Manko transparent darüber diskutieren, welche Priori- deutschen Standorten forciert – Stichworte sind gerade sehr deutlich auf. Daher wird es höchste tät die Finanzierung der erneuerbaren Energien hier beispielsweise „Energie in Bürgerhand“ oder Zeit für die EU, ein energiepolitisches Gesamtbild gegenüber anderen gesellschaftlichen Zielen wie „ländliche Strukturpolitik“. Eine solchermaßen zu entwickeln. Eine gemeinsame Energiestrategie beispielsweise Bildung, Entwicklungshilfe oder ausgerichtete deutsche Politik braucht zwingend ist eine große Chance für Europa, und sie wür- Sicherheit haben soll. Aus der Umlagefinanzie- den nationalen Alleingang jenseits der Prinzipien de unsere weltweite Verhandlungsposition – in rung resultiert daher auch ein gewaltiges Umver- des Binnenmarkts. den Klimaschutzverhandlungen wie auch in all- teilungsproblem. gemeinen Energiefragen – in erheblichem Maße „et“: Wie kompatibel ist das deutsche EEG mit dem stärken. „et“: Das ebenfalls ignoriert wird? EU-Recht? „et“: Wie könnte dieses Gesamtbild aussehen? Bettzüge: Interessanterweise selbst von den So- Bettzüge: Die gesamte Erneuerbaren-Förderung zialdemokraten, obwohl es vor allem mit ande- in der EU ist eine technologiespezifische Beihilfe. Bettzüge: Allgemein formuliert: nach außen eine ren Parteien in Verbindung gebrachte Schichten Diese Beihilfe ist allerdings kompatibel mit dem kohärente und konsistente Klimaschutz-, Partner- sind, die von der Umverteilung in besonderem EU-Recht, da sich die Europäische Union ein ge- schafts- und Diversifikationsstrategie, nach innen Maße profitieren. Doch weil Strom für die meis- meinsames Ziel für den Anteil der erneuerbaren die konsequente Stärkung des Binnenmarkts und ten Verbraucher nur ein „low interest“-Produkt Energien im Jahr 2020 gesetzt hat und somit ein der europäischen Koordination bei gleichzeitiger ist, beklagten sich hörbar bislang nur die ener- gemeinsames Interesse aller Mitgliedstaaten an Rückführung nationaler Eingriffe auf solche Be- gieintensiven Industrien. Ergebnis: Diesen Unter- einer solchen Förderung besteht. Mindestens bis reiche, die die Wirkweise des Binnenmarkts nicht nehmen gewährt der Staat spezielle Konditionen. zum Jahr 2020 bleibt eine Erneuerbaren-Förde- beeinträchtigen. Im Speziellen liegen hier natur- Wichtig für das Verständnis der langen politi- rung also im Grundsatz möglich. In der konkre- gemäß vielfältige und komplexe Einzelfragen, schen Lebensdauer des EEG ist übrigens auch die ten Ausgestaltung liegen dann aber weitere bei- insbesondere auch zu Übergangsregeln und Zwi- Tatsache, dass die Umlage bundesweit ermittelt hilferechtliche Fragen, beispielsweise bezüglich schenlösungen. Für das in Deutschland besonders wird – und nicht für jedes einzelne Bundesland. der Möglichkeiten, eine Umlagefinanzierung zu bedeutsame Thema, die Erneuerbaren-Förderung In diesem sozialisierenden System haben alle nutzen, die bestimmte Verbrauchergruppen ganz an deutschen Standorten, sehe ich jedoch in ei- Bundesländer ein Interesse daran, dass mög- oder teilweise auslässt. Oder auch bezüglich der nem solchen Gesamtbild kaum einen sinnvollen lichst viele Anlagen zur Erzeugung von Strom Frage, ob eine Förderung davon abhängig ge- Platz. Egal, welche übergreifende Energiestrategie aus erneuerbaren Energien auf ihrem Gebiet macht werden darf, dass sich der jeweilige Stand- für Europa formuliert wird: Mir fehlt die Fantasie, gebaut werden. Deswegen fällt es auch dem Bun- ort der Anlage auf dem Territorium des Mitglied- wie man darin eine dauerhafte nationalstaatliche desrat so schwer, dieses System zu verändern. staats befindet. Die erstgenannte Frage wird in und standortspezifische Subvention für erneuer- Kurz: Die Art der Finanzierung der Erneuerba- den neuen Beihilferichtlinien der EU-Kommission bare Energien rechtfertigen will. ren-Förderung über eine „Strom-Sondersteuer“ eine prominente Rolle spielen, die zweitgenann- ist politisch sehr bequem, woraus auch klar wird, te Frage wird derzeit vor dem Europäischen Ge- „et“: Dennoch hält gerade die deutsche Politik un- warum gerade die deutsche Politik eine europäi- richtshof verhandelt. beirrt an der nationalen Förderung fest. Weshalb? sche Harmonisierung verhindert. „et“: Der in Deutschland gesetzlich geregelte Bettzüge: Das stimmt, und das ist einer der wich- „et“: Obwohl bilaterale Mechanismen Potenzial Einspeisevorrang für Strom aus erneuerbaren tigsten Gründe, warum die EU so weit davon hätten? Energien beeinflusst auch die Großhandelspreise entfernt ist, eine gemeinsame Energiepolitik zu der Nachbarländer. Wie schätzen Sie solche Wech- entwickeln. Für den deutschen Fall gibt es mehre- Bettzüge: Selbstverständlich! Und auch mit unse- selwirkungen durch einzelstaatliche Maßnahmen re Gründe, warum diese Form der Erneuerbaren- ren unmittelbaren Nachbarn: Zum Beispiel gibt es ein? Förderung bei uns über die letzten 15 Jahre so in Frankreich oder Polen sehr gute Windstandor- stabil war. Meines Erachtens liegt das vor allem te, die Deutschland bei einer länderübergreifen- Bettzüge: Sie sind teilweise bereits sehr rele- an der besonderen Form der Umlagefinanzierung. den Zusammenarbeit sinnvoll nutzen könnte. Es vant, insbesondere in Kontinentaleuropa, wo es Die Politiker bestellen die erneuerbaren Energien finden hierzu zwar immer wieder Gespräche auf vergleichsweise geringe Netzengpässe an den und verwirklichen damit bestimmte politische Regierungsebene statt, doch im Kern sind keine Grenzen der Mitgliedstaaten gibt. Wir haben Agenden, aber sie bezahlen die entstehenden Fortschritte zu verzeichnen. Das ist – verteilungs- 2013 in einer Studie für den Bundesverband der Mehrkosten nicht aus dem Staatshaushalt, son- politisch betrachtet – auch wenig überraschend. Deutschen Industrie (BDI) beispielsweise gezeigt, dern über eine Umlage auf die Stromverbraucher. Alle Studien – auch eine aktuelle EWI-Studie, die dass von den derzeit im Bau befindlichen und Das ist ein wichtiger Punkt, der von der deut- auf unserer Webseite zu finden ist – zeigen, dass den noch geplanten Wind- und Solarzubauten in schen Öffentlichkeit nach wie vor viel zu wenig deutsche Erneuerbaren-Standorte wohl kaum im Deutschland bei Wind mehr als 30 % und bei Pho- problematisiert wird, und der auch verfassungs- Geld sein würden, wenn es in der EU ein harmo- tovoltaik mehr als 40 % nur noch dafür sorgen, rechtlich sehr fraglich ist. Denn: müsste der Staat nisiertes Fördersystem für erneuerbare Energien den deutschen Nettoexportsaldo zu erhöhen. ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5 17
ZUKUNFTSFRAGEN INTERVIEW „Ich glaube, dass der Binnenmarkt und die wirtschaftliche Integration – ähnlich übrigens wie die gemeinsame Währung – für einen faktischen Konvergenzzwang sorgen, der zwar langsam, aber stetig wirkt. Zudem wächst die Erkenntnis, dass Europa seine Stellung in der Welt nur aufrechterhalten kann, wenn wir immer stärker kooperieren. Auf der anderen Seite gewinnen nationale Tendenzen und Selbstvergewisserungen derzeit wieder Oberwasser, nicht zuletzt auch in der ‚Berliner Republik‘, die ja Gefahr läuft, das relative Wiedererstarken Deutschlands innerhalb der EU überzubewerten und gleichzeitig die Veränderung der globalen Kräfteverhältnisse zu wenig ernst zu nehmen. Die gegenläufigen Strömungen ‚Europäisierung‘ und ‚Renationalisierung‘ sorgen für erhebliche Spannungen und Verunsicherungen der Märkte und der Bürger. Das sehen wir beim Euro und wahrscheinlich auch bei den Wahlen zum EU-Parlament. Langfristig ist zu hoffen, dass die europäische Vernunft sich gegen nationale Romantizismen und Partikularinteressen durchsetzen wird, auch und gerade im Feld der Energiepolitik.“ Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, geschäftsführender Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) Abschied von der einheitlichen „et“: Wieso das? Bettzüge: Das wichtigste wären Realitätssinn Preiszone in Deutschland und ein umfassender Blick. Aus der Erkenntnis Bettzüge: Der wesentliche Punkt ist, dass keine der Entwicklung auf den globalen Märkten, den „et“: Für den Erhalt eines konventionellen Back- Transparenz darüber besteht, was süddeutscher globalen Klimaschutzverhandlungen und den glo- up-Systems zur Gewährleistung der Versorgungs- Strom wert ist. Wir haben einen deutlichen balen Technologien muss eine vernünftige euro- sicherheit stehen zurzeit diverse Mechanismen Netzengpass, was in der einheitlichen Preiszo- päische Energiestrategie abgeleitet und umgesetzt in der Diskussion. Wie ist Ihre Haltung zu diesem ne bedeutet, dass zum ermittelten Preis und bei werden. Im Gegenzug müssten nationale vertei- Thema? den gegebenen Übertragungskapazitäten zu viel lungspolitische Interessen aus der Energiepolitik Strom im Norden und zu wenig Strom im Süden herausgedrängt und in die dafür eigentlich zu- Bettzüge: Die gesamte Debatte zu Kapazitätsme- erzeugt werden würde. Dieser Netzengpass wird ständigen Politikfelder zurückverlagert werden. chanismen ist sehr komplex. Grundsätzlich halte in den kommenden Jahren noch größer werden, ich den bestehenden Markt für leistungsfähig weil bis zum Jahr 2022 weitere Kernkraftwerke in „et“: Sehen Sie Tendenzen, dass Europa dereinst und die derzeit vorgebrachten Argumente für Süddeutschland vom Netz genommen werden, für eine gemeinsame Energiestrategie angeht? fundamentale Änderungen für wenig stichhal- die es – im derzeit überversorgten Markt der ein- tig. Zudem beobachte ich aktuell eine erhebli- heitlichen Preiszone – wohl keine wirtschaftlich Bettzüge: Ich glaube, dass der Binnenmarkt che Überkapazität im kontinentaleuropäischen zu finanzierenden Ersatzkraftwerke im selben und die wirtschaftliche Integration – ähnlich üb- Kraftwerkspark. Und ob es jenseits von 2020 Umfang geben wird. Stattdessen sollen vor allem rigens wie die gemeinsame Währung – für einen tatsächlich weitere Mechanismen braucht, erfor- Leitungen gebaut werden. Aber solange diese Lei- faktischen Konvergenzzwang sorgen, der zwar dert mehr empirische Evidenz, die bislang nicht tungen noch nicht da sind, ist süddeutscher Strom langsam, aber stetig wirkt. Zudem wächst die Er- vorliegt. Deshalb sehe ich keinen Bedarf für ra- in einer zunehmenden Zahl von Engpassstunden kenntnis, dass Europa seine Stellung in der Welt sche Änderungen und Schnellschüsse, sondern ein anderes Gut als norddeutscher Strom. Er soll- nur aufrechterhalten kann, wenn wir immer stär- plädiere dafür, den im Einzelnen vielleicht erfor- te also einen anderen Preis haben. ker kooperieren. Auf der anderen Seite gewinnen derlichen Änderungsbedarf – beispielsweise bei nationale Tendenzen und Selbstvergewisserungen den Intraday- und Reservemärkten – sorgfältig Das würde einerseits die richtigen Anreize für derzeit wieder Oberwasser, nicht zuletzt auch in zu prüfen. Eine andere drängende Frage ist, wie den Bau neuer Kraftwerke im Süden setzen, und der „Berliner Republik“, die ja Gefahr läuft, das in den nächsten Jahren die Versorgungssicher- andererseits die Stromverbraucher im Süden relative Wiedererstarken Deutschlands innerhalb heit in Süddeutschland aufrechterhalten werden Deutschlands dazu anleiten, ihre Nachfrage auf der EU überzubewerten und gleichzeitig die Ver- kann. die Situation in Süddeutschland anzupassen. Das änderung der globalen Kräfteverhältnisse zu we- ist insbesondere für die Fahrweise der Pumpspei- nig ernst zu nehmen. Die gegenläufigen Strömun- Das allerdings ist kein Problem des Stromgroß- cher in den Alpen von größter Bedeutung. Doch gen „Europäisierung“ und „Renationalisierung“ handelsmarkts an sich, sondern ein Problem der solange es die einheitliche Preiszone gibt, liefern sorgen für erhebliche Spannungen und Verunsi- mangelnden Passung der deutschen Preiszone wir unseren südlichen Nachbarstaaten den süd- cherungen der Märkte und der Bürger. Das sehen zur deutschen Netzrealität. Daher bin ich der deutschen Strom zu einem „falschen“ Preis, was wir beim Euro und wahrscheinlich auch bei den Auffassung, dass wir uns von der einheitlichen, das Versorgungsproblem in den süddeutschen Wahlen zum EU-Parlament. Langfristig ist zu hof- letztlich willkürlich an Bundesländer-Grenzen Bundesländern weiter und in unnötiger Weise fen, dass die europäische Vernunft sich gegen na- orientierten Preiszone verabschieden sollten. Die verschärft. tionale Romantizismen und Partikularinteressen relevanten Engpässe liegen in Kontinentaleuropa durchsetzen wird, auch und gerade im Feld der weniger an den Staatsgrenzen, sondern innerhalb Realitätssinn und ein Energiepolitik. der Mitgliedstaaten, vor allem auch zwischen umfassender Blick gefragt Nord- und Süddeutschland. Ein erster wichtiger „et“: Herr Prof. Bettzüge, vielen Dank für das In- Schritt müsste darin bestehen, Deutschland in „et“: Energiepolitik ist ein wesentlicher Bestand- terview. zwei Preiszonen aufzuspalten. Wenn wir diese teil der Wirtschaftspolitik. Was ist aus Ihrer Sicht beiden Preiszonen dann jeweils sogar grenzüber- erforderlich, um den Industriestandort Europa Die Fragen stellte André Behr, schreitend ausgestalten könnten, umso besser. bzw. Deutschland zu erhalten? Wissenschaftsjournalist, Zürich 18 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 5
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