GELENKSCHMERZEN IM ALTER SIND HÄUFIG!
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GELENKSCHMERZEN IM ALTER SIND HÄUFIG! Im Alter von 65 Jahren kennt jeder dritte Mensch Gelenkschmerzen, vor allem im Bereich der Hüfte, Knie und Hände. Auslöser für diese Schmerzen sind meist eine Arthrose, in selteneren Fällen kann es sich aber auch um eine Rheumatoide Arthritis (RA) handeln. Im Volksmund werden beide Gelenkerkrankungen oft als «Rheuma» bezeichnet. In diesem Artikel soll erklärt werden, inwieweit sich Arthrose und Arthritis unterscheiden und welche Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Wichtig für beide Ursachen von Gelenkschmerzen sind zudem deren Konsequenzen bezogen auf das Risiko, eine Osteo porose zu entwickeln und einen Sturz zu erleiden. Prof. Dr. med. Heike A. Bischoff-Ferrari, DrPH Klinik für Geriatrie, UniversitätsSpital, Zürich Universitäres Zentrum für Alterstraumatologie, Zürich Lehrstuhl Geriatrie und Altersforschung, Universität Zürich Was unterscheidet die Arthrose von einer Rheumatoide hen Knochens. Typische Zeichen in der Untersuchung sind Arthritis (RA)? symmetrische (wie beide Hände), teigige und schmerzhafte Die Arthrose ist die zehnmal häufigere Gelenkerkrankung Verdickungen der Gelenke. Charakteristisch sind auch der Be- als die RA und wird vor allem durch Belastung und zuneh- fall mehrerer Gelenke und ein generelles Krankheitsgefühl mendes Alter begünstigt. Es kommt typischerweise zu einer was sich unter anderem in Müdigkeit äussert. Die wichtigen Abnahme des Knorpelüberzugs auf der Gelenkfläche und zu Unterschiede zwischen Arthrose und RA sind in Tabelle 1 knöchernen Anbauten im Bereich des Gelenkspalts. Diese zusammengefasst. Veränderungen sind im Röntgenbild als eine Verminderung des Gelenkspalts, Zysten im Knochen und knöcherne Auszie- hungen am Gelenkspalt zu sehen. Bei der Untersuchung eines Alter und Diagnostik arthrotischen Gelenks, beispielsweise bei Befall des Kniege- Während die Arthrose typischerweise im fortgeschrittenen lenks, fällt eine knöcherne Verdickung und im fortgeschrit- Lebensalter auftritt, langsam voranschreitet und sich oft in tenen Stadium eine Verminderung der Gelenkbeweglichkeit einem Gelenk manifestiert, kann die Rheumatoide Arthritis auf. Typisch sind sogenannte Anlaufschmerzen, die nach einer in jedem Lebensalter auftreten. Eine RA können sowohl junge als gewissen Gehstrecke abnehmen. auch ältere Menschen entwickeln. Im Gegensatz zur Arthrose kommt es bei der Rheumatoiden Arthritis zu einer schnellen Die Rheumatoide Arthritis ist eine sogenannte Autoimmun (innert Tagen/Wochen) auftretenden Schwellung der betrof- erkrankung, bei der der Körper zwischen körpereigenen fenen Gelenke. Eine frühzeitige Untersuchung durch einen und körperfremden Zellen nicht unterscheiden kann. Das Facharzt ist bei der RA besonders wichtig, um die heute körpereigene Immunsystem greift Gelenkstrukturen an und zur Verfügung stehenden wirksamen Therapiemassnahmen beschädigt diese. Es kommt zum Abbau des Gelenkknorpels schnellstmöglich einzuleiten. Damit sollen der gelenkzerstö- und zu sogenannten Usuren mit Zerstörung des gelenkna- rende Entzündungsprozess möglichst gestoppt und bleibende 5
Behinderungen abgewendet werden. Der Arzt kann bereits Sturz- und Osteoporoseprävention bei Rheumatoider anhand der körperlichen Untersuchung und Befragung des Arthritis und Arthrose mithilfe von drei einfachen Patienten zwischen Rheumatoider Arthritis und Arthrose un- Massnahmen terscheiden. Bei der vermuteten RA sind zudem Blutuntersu- Wir empfehlen insbesondere bei älteren Menschen mit RA chungen im Labor angezeigt. oder Arthrose einfache Massnahmen zur Unterstützung der Knochen- und Muskelgesundheit und damit zur Prävention von Stürzen und Knochenbrüchen: Therapie Rheumatoide Arthritis (RA) und Arthrose Die Behandlung der RA wird durch einen Facharzt eingeleitet 1. Protein- und calciumreiche Ernährung und beinhaltet eine medikamentöse Therapie, die zum Ziel 2. Vitamin D 800 IE am Tag (Empfehlung BAG 2012) hat, die Entzündungsreaktion anzuhalten. Dazu kommen in 3. Bewegung der Regel Krankengymnastik und Ergotherapie zur Stabili sation und Optimierung der Gelenkfunktion. Im fortge schrittenen Stadium sind eventuell chirurgische Massnahmen Protein- und calciumreiche Ernährung mit Gelenkersatz angezeigt. Proteine sind wichtige Bausteine unserer Muskeln und Knochen. Calcium ist das wichtigste Knochenmineral. Eine ausreichen- Die Behandlung der Arthrose zielt in erster Linie auf eine de Zufuhr von Calcium und Protein kann über eine gesunde Reduktion der Risiken und Behandlung der Schmerzen ab. Ernährung erreicht werden. Laut heutigen Empfehlungen Bezüglich Verminderung der Schmerzen sind physiothera- für eine gute Knochen- und Muskelgesundheit sollten ältere peutische Massnahmen, die die Muskulatur um das Gelenk Menschen täglich 1 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht stärken, sehr gut belegt und wirksam. Weitere Massnahmen plus 1000 mg Calcium zu sich nehmen. Milchprodukte liefern umschliessen eine medikamentöse Schmerzbehandlung sowie Calcium und hochwertiges Protein. Calciumquellen aus der den Einsatz ergotherapeutischer Hilfsmittel. Im fortgeschritte- Ernährung siehe Tabelle 2. nen Stadium kommen wie bei der RA eventuell chirurgische Massnahmen mit Gelenkersatz zum Einsatz. Vitamin D Vitamin D fördert die Kalziumaufnahme aus dem Darm – spart Sturzrisiko bei Rheumatoider Arthritis und Arthrose damit Calcium – und hat zudem einen unmittelbaren, stär- Patienten mit einer RA oder einer Arthrose in den tragenden kenden Einfluss auf die Muskulatur. Dieser Benefit führt in Gelenken wie Kniegelenk oder Hüftgelenk haben durch den der heute empfohlenen Dosierung von 800 IE / Tag zu einer Schmerz, aber auch durch die eingeschränkte Gelenkbeweg- belegten Verminderung von Stürzen und Hüftbrüchen um lichkeit ein deutlich erhöhtes Sturzrisiko. Damit besteht insbe- 30 Prozent. sondere bei älteren Patienten bei beiden Gelenkerkrankungen ein hohes Knochenbruchrisiko. So haben zum Beispiel Patien- Im Unterschied zu Calcium ist die Sicherstellung einer ausrei- ten mit einer Kniearthrose ein doppelt erhöhtes Hüftbruch chenden Vitamin-D-Versorgung ohne Supplemente schwierig, risiko. Das Knochenbruchrisiko wird bei beiden Erkrankungen da die hauteigene Vitamin-D-Produktion via Sonnenexposi- zusätzlich durch ein erhöhtes Osteoporoserisiko begünstigt. tion von der Jahreszeit, dem Tragen von Sonnenschutz und dem Alter abhängt und Vitamin-D-Quellen in der Ernährung rar sind (siehe Tabelle 3). Das spiegelt sich in der weit verbrei- Osteoporoserisiko bei Rheumatoider Arthritis teten Vitamin-D-Unterversorgung in der Bevölkerung. Man und Arthrose geht heute davon aus, dass etwa 50 Prozent der Personen Bei Patienten mit einer RA kommt es durch die chronische Ent- aller Altersstufen und insbesondere Personen im Alter 65+ zündungsreaktion zu einem generellen Knochenabbau und einen Mangel aufweisen. damit zur Osteoporose. Dies wird weiter begünstigt durch die schmerzbedingte Mobilitätseinschränkung im aktiven Krank- heitsstadium sowie viele der medikamentösen Therapien Bewegung (beispielsweise Kortison). Bei Patienten mit einer Arthrose Neben einer gesunden calcium- und proteinreichen Ernäh- wurde lange angenommen, dass diese nicht gleichzeitig an rung plus Vitamin D braucht der Knochen Bewegung als zen- einer Osteoporose leiden können. Diese Lehrmeinung ist trale Stimulation des Knochenaufbaus. Wer sich nicht bewegt veraltet. Tatsächlich haben Patienten mit einer Arthrose sehr und keine Schwerkraft auf den Knochen bringt, baut Kno- häufig auch eine Osteoporose. Diese wird einerseits durch chen ab. Dazu ist Bewegung wertvoll für die Erhaltung der das fortgeschrittene Alter von Arthrose-Patienten, aber auch allgemeinen Gesundheit und förderlich für die Muskelkraft. durch die schmerzbedingte Mobilitätseinschränkung begünstigt. Wie Vitamin D wirkt sich Bewegung positiv auf die Knochen und Muskelgesundheit aus – ein effizientes Team in der Prä- In Kombination mit dem ebenfalls erhöhten Sturzrisiko haben vention von Knochenbrüchen. Wer sich mehr bewegt hat eine Patienten mit einer Rheumatoiden Arthritis und Patienten bessere Knochendichte, eine stärkere Muskulatur, stürzt we- mit einer Arthrose der tragenden Gelenke ein sehr hohes niger und hat damit ein geringeres Knochenbruchrisiko. Knochenbruchrisiko. weiter auf Seite 8 6 SPV / ASP-info · Nr. 136 · Juli / Juillet / Luglio · 2015
Tabelle 1 UNTERSCHIEDE ZWISCHEN ARTHROSE UND RHEUMATOIDER ARTHRITIS Arthrose Rheumatoide Arthritis In welchem Alter treten die Typischerweise 60+ Kann bereits im Kindesalter Gelenkschmerzen auf? auftreten Risikofaktoren • Alter • Erbliche Belastung • Übergewicht • Frauen sind häufiger betroffen • Berufliche oder sportliche Überbelastung der Gelenke • Frühere Gelenkverletzungen • Erbliche Belastung • Frauen sind häufiger betroffen Wie treten die Beschwerden Langsame Zunahme, in der Regel Schnelle Zunahme, in der Regel auf? Verlauf? über Jahre über Wochen oder wenige Monate Sichtbare Veränderung Gelenke sind schmerzhaft und Gelenke sind schmerzhaft und an den Gelenken oft druckempfindlich, eher wenig geschwollen Schwellung Welche Gelenke sind betroffen? Beginnt meist auf einer Seite und Typischerweise symmetrischer oft Konzentration auf gewicht- Befall kleine und grosse Gelenke. tragende Gelenke (z.B. Knie-Gelenke, Befallen sind oft Fingergelenke Hüftgelenke). (in unmittelbarer Handteller Nähe), Bei Handarthrose sind die Finger Handgelenke, Ellenbogengelenk, gelenke in Nagelnähe betroffen Fussballen-Gelenke Steifigkeit? Morgensteifigkeit in den betroffenen Morgensteifigkeit in den betroffenen Gelenken dauert in der Regel Gelenken dauert in der Regel < eine > eine Stunde Stunde. Anlauf-Steifigkeit, Schmerz nimmt mit Bewegung ab und kehrt am Tagesende zurück Ganz-Körper-Symptome Nein • Müdigkeit ausserhalb der Gelenke? • generelles Krankheitsgefühl Risiko Osteoporose / hoch hoch Knochenbrüche Risiko Stürze hoch hoch 7
Tabelle 2 CALCIUMQELLEN AUS DER ERNÄHRUNG – ZIEL 1000 MG PRO TAG Milch Jogurt Hartkäse Weichkäse Haselnüsse Kohlrabi Mandarine Eier Sardinen Mineralwasser 1 Glas 1 Becher 100 g 100 g 100 g 100 g 100 g 100 g 100 g 1 Glas 300 mg 200 mg 1020 mg 600 mg 226 mg 68 mg 33 mg 56 mg 380 mg bis 50 mg Besonders empfehlenswert sind Bewegungen, die Gewicht knochen- und muskelstärkende Bewegungsmuster einfach auf das Skelett bringen, wie Gehen oder Tanzen. In einer ins tägliche Leben integriert werden, indem man zum Beispiel grossen Kohortenstudie hatten Frauen, die in der Woche etwa Treppen statt Aufzüge nutzt und sich die Zähne im Einbein- vier Stunden spazieren gingen (brisk walking = strammen stand putzt (bitte mit einer Hand festhalten!). Schrittes) ein um 40 Prozent vermindertes Hüftbruchrisiko. Bei älteren Menschen ist ein zusätzliches Kraft- und Gleich Wann beginnen? gewichtstraining mit einer Evidenz aus vielen klinischen Für alle drei einfachen Massnahmen der Prävention ist es nie Studien belegt. Diese Studien weisen auf eine Verbesserung zu früh und nie zu spät, einen Benefit auf die Knochen und der Knochendichte und Funktion hin, sowie eine Verminde- Muskelgesundheit zu erzielen. rung des Sturzrisikos um 25 bis 50 Prozent. Dazu können 8 SPV / ASP-info · Nr. 136 · Juli / Juillet / Luglio · 2015
Tabelle 3 FAKTEN VITAMIN D Vitamin D Warum ist die Warum kann Vitamin Wirkung auf Knochen Sonnenexposition D nicht ausreichend und Muskeln keine verlässliche über eine gesunde Vitamin-D-Quelle? Ernährung zugeführt werden? • Vitamin D fördert die Calcium- • Kleidung: Wir exponieren Natürliche Vitamin-D-Quellen und Phosphat- Aufnahme aus nur etwa 5 Prozent unserer aus der Ernährung sind rar. Wir dem Darm Haut der Sonne und schützen müssten täglich zwei Portionen uns bewusst vor ihr, weil die fetten Fisch oder zwanzig Eier • Vitamin D hemmt somit den Sonnenbestrahlung Risiken essen um 800 IE (internationale Knochenabbau und führt zu wie Hautkrebs birgt, was die Einheiten) zu erreichen einer Zunahme der Knochen- hauteigene Vitamin-D-Produk- dichte tion deutlich vermindert • Vitamin D hat einen direkten • Jahreszeiten: Unabhängig Effekt auf die Muskulatur. vom Alter wird in ganz Europa Es fördert damit die Muskel- über die verminderte Sonnen- kraft und das Gleichgewicht, intensität zwischen November reduziert das Sturzrisiko und April sehr wenig Vitamin D in der Haut gebildet. Da die • Vitamin-D-Supplementation Halbwertszeit von Vitamin (800 IE/Tag) verhindert nach- D nur drei bis sechs Wochen weislich jeden dritten Sturz beträgt, fällt der Vitamin- und jeden dritten Hüftbruch D-Spiegel über den Winter bei Menschen im Alter 65+ deutlich ab • Alter: Die hauteigene Vitamin- D-Produktion nimmt mit dem Alter etwa 4-fach ab. Ferner vermeiden ältere Menschen die direkte Sonnenexposition Hinweis Anm. d. Red.: Im info 135 /April erschien der Artikel «Rheumatoide Arthritis im höheren Lebensalter», der hier seine Ergänzung findet 9
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