Burnout: Handlungsoptionen auf individueller und organisatorischer Ebene - In dieser Rubrik greifen wir das Schwerpunktthema der letzten Ausgabe ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Management Burnout: Handlungsoptionen auf individueller und organisatorischer Ebene In dieser Rubrik greifen wir das Schwerpunktthema der letzten Ausgabe (6/2012) „Demenz – ein Grund für Überforderung und Burnout" erneut auf.
Selbstmanagement und Burnout Was man in schwierigen Situationen tun kann Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) hat sich am 21. Juni 2012 im Rahmen einer Tagung mit dem Thema „Demenz, ein Grund für Überforderung und Burnout!?“ beschäf- tigt. Im Folgenden beschreibt Christine Sowinski, Krankenschwester und Diplom-Psycho- login, Leitung des Bereichs Beratung von Einrichtungen und Diensten, anhand von vier Strategien – das Leben als Abenteuer sehen, Entscheidungen treffen, gemeinsam jammern und Alternativen suchen –, was man in schwierigen Situationen trotzdem tun kann. Gesellschaftliche, aber auch persönliche Krisen können dabei helfen, dass Syste- Hilfreiche Literatur zum Selbstmanagement me oder Personen sich weiterentwickeln. Gerade zugespitzte Situationen können Unter Selbstmanagement versteht man die Bemühungen einer so eine Art Neuanfang nach dem Leiden Person, das eigene Verhalten zielgerecht zu beeinflussen. Ver- darstellen. Katastrophen können noch wandte Begriffe sind Selbstorganisation und Selbstcoaching. etwas Gutes beinhalten, denn man kann Hilfreich sind auch Techniken des Zeitmanagements. Auch die daraus lernen. Nicht umsonst heißt ein sogenannte Work-Life-Balance wird damit in Zusammenhang KDA-Projekt „Aus kritischen Ereignis- gebracht. sen lernen“. Im Folgenden möchte ich als ehemals betroffene Tochter eines an De- Allen, David (2007): Wie ich die Dinge geregelt kriege: menz erkrankten Vaters, als Pflegefach- Selbstmanagement für den Alltag. München: Piper person und als Beraterin für Einrichtun- Allen, David (2011): Ich schaff das!: Selbstmanagement gen und Dienste im KDA die fachliche, für den beruflichen und privaten Alltag. Offenbach: GA- die Angehörigen- und die individuelle BAL-Verlag GmbH Sicht zum Thema Burnout und Demenz Allen, David (2008): So kriege ich alles in den Griff: Selbst- beleuchten und dazu folgende Gegensatz- management im Alltag. München: Piper paare behandeln: Berndt, Frank H. (2011). 30 Minuten gegen Burn-out. Of- fenbach: GABAL-Verlag GmbH Leben meistern oder Abenteuer „Leben“ Demann, Stefanie (2011): 30 Minuten Selbstcoaching. Of- Betrachtet man die Ratgeber-Literatur, fenbach: GABAL-Verlag GmbH z. B. in einer Buchhandlung, findet man König, C. J. & Kleinmann, M. (2006). Selbstmanagement. eine Fülle von Publikationen, die sich mit In: H. Schuler (Hrsg.), Lehrbuch der Personalpsychologie (2., Lebensfragen, aber auch der Selbstop- überarb. und erweit. Aufl., S. 331–348). Göttingen: Hogrefe timierung beschäftigen, wie z. B. „Wie Seiwert, Lothar (2001): Life-Leadership: Sinnvolles Selbst- werde ich erfolgreich?“, „Wie nehme ich management für ein Leben in Balance. Frankfurt: Campus ab?“, „Wie finde ich den richtigen Part- Verlag ner?“ Hinter all diesen berechtigten An- Seiwert, Lothar (2007): Life-Leadership. So bekommen Sie liegen steckt oft die verlockende, aber Ihr Leben in Balance. Offenbach: GABAL-Verlag GmbH auch gefährliche Illusion, dass sich vie- Seiwert, Lothar; Küstenmacher, Werner Tiki (2012): 30 Minu- les, wenn nicht sogar das meiste im Le- ten Work-Life-Balance. Offenbach: GABAL-Verlag GmbH ben „herstellen“ lässt. Je mehr man dieser Idee anhängt, desto furchtbarer wird das Management | Pro Alter | Januar/Februar 2013 39
Leben, denn entscheidende politische, soziale Wohngemeinschaften durch die Anwendung und persönliche Weichenstellungen passieren von Benchmarkingprozessen“ (Kuratorium außerhalb meines Einflussgebietes. Ob ich nun Deutsche Altershilfe; Konkret Consult Ruhr die Wirtschaftskrise, die Euro-Krise oder per- 2010 a, b) gesehen haben, hilft die Gestaltung sönliche Schicksalsschläge und Krankheiten in sogenannter offener Situationen. Indem man erheblichem Maße beeinflussen kann, sei da- sich mehr auf Menschen mit Demenz einlässt, hingestellt. Es geht oft darum, Situationen, und kann man mehr Wohlbefinden auch für die seien sie noch so schmerzhaft, hinzunehmen, Mitarbeitenden erreichen. Eine den Menschen anzunehmen und zu akzeptieren, auch wenn es vergewaltigende Funktionalität stresst auch schwerfällt. die Mitarbeitenden, nach dem Motto: „Um Viele pflegende Angehörige erleben die plötz- 9 Uhr müssen alle gewaschen sein.“ Gerade liche oder allmähliche Pflegebedürftigkeit ei- die Rolle von Leitungen ist es, immer wieder nes nahen Verwandten als schockierend und nach Alternativen zu suchen, z. B. wie können erschütternd, besonders wenn es sich um eine wir morgendliche Arbeitszeiten entzerren mit Demenz handelt. Oft braucht man Jahre, sich eventuellen abendlichen Wohlfühlbädern. daran zu gewöhnen und im Sinne der Verar- Es steht in vielen Lebensratgebern: Kein beitungsstrategien von Elisabeth Kübler-Ross Mensch ist vollkommen. In einem Teil unseres (2009) damit umzugehen. Viele Menschen sa- Lebensreifungsprozesses geht es darum, uns gen, dass sie durch diese Krisen dem Glauben so, wie wir sind, anzunehmen. Der Hang zum näher gekommen sind oder andere religiöse Perfektionismus ist eine individuelle Ursache oder weltanschauliche Positionen daraufhin für Burnout. Weniger Perfektion, mehr Genuss verändert haben im Sinne von: Jetzt erkenne auch am Unvollkommenen bedeutet Aufgabe ich, was wirklich wichtig ist im Leben. Der der narzisstischen Selbstoptimierung. Das Le- Konflikt in den Familien besteht also zwischen ben lässt sich oft nicht meistern, sondern ist den Polen: gemeinsamer Weg in den Unter- ein Einlassen auf das Abenteuer „Leben“. gang oder schicksalhafter gemeinsamer Rei- fungsprozess. Der Zusammenhang von De- Laufenlassen oder menz und Burnout liegt auch darin begründet, Entscheidungen treffen dass der demenzielle Prozess unübersichtlich Als pflegende Angehörige ist diese Frage der ist. Man kann nicht sagen, die Krankheit dau- Entscheidung überlebensnotwendig. In viele ert so und so lange und verläuft in der und der Pflegesituationen rutscht man regelrecht hin- Weise. Die Reise ins große Unbekannte macht ein (Michell-Auli, Sowinski 2012) und kann den Angehörigen so zu schaffen. Ein typisches sich nicht bewusst dafür entscheiden. Gera- Zitat ist: „Hätten wir gewusst, es sind drei har- de die Überforderung, z. B. in der Begleitung te Jahre, auf so etwas kann man sich einstellen, von Menschen mit Demenz, führt zu einer aber jeden Morgen mit einer unendlichen Last Entscheidungslähmung. Man hat keine Kraft auf der Brust aufzuwachen, was ist heute, wo- mehr, lässt die Dinge laufen. Es wird alles hin entwickelt sich die Krankheit, schaffen wir immer schlimmer. Entscheidungen zu treffen, das gemeinsam auch finanziell, ist schlimm.“ z. B. wir brauchen dringend jemanden, der Das vermeintliche in den Griff zu bekommen, dreimal in der Woche nachmittags zu unse- also geschlossene Situationen zu schaffen, ist rem demenzkranken Angehörigen nach Hause das, was den Burnout in der Begleitung von kommt, damit seine Partnerin in Ruhe einkau- Menschen mit Demenz begünstigt. Je mehr fen kann, kann gegenüber dem Angehörigen ich versuche, die Situation zu beherrschen, auch sehr schmerzhaft sein: „Was, da soll eine desto mehr wird der Mensch mit Demenz fremde Person ins Haus kommen, die will ich zum „Feind“. Wie wir in vielen Forschungs- aber nicht, und du haust einfach ab?“ Gerade projekten, so auch im Projekt „Evaluation Alzheimer Gesellschaften und andere Selbst- der Potenziale in der Betreuung und Beglei- hilfeorganisationen raten dazu, sich frühzeitig tung von Menschen mit Demenz in Haus- und Hilfe zu holen. Man muss sich in der Beglei- 40 Management | Pro Alter | Januar/Februar 2013
tung von demenzkranken Angehörigen also Alleine bleiben oder zum Teil für sich selbst und gegen den Ange- gemeinsam „jammern“ hörigen entscheiden. Das Jammern ist ja an sich „uncool“. Jammern In der professionellen Begleitung von Men- wird als sich wiederholender Gefühlsausdruck schen mit Demenz ist es genau anders herum. mit infantilen Anteilen gesehen. Jammern Dort ist es wichtig, sich für die Klientin bzw. kann aber in bestimmten Situationen sehr hilf- den Klienten und oft gegen die Rahmenbe- reich sein, z. B. der gemeinsame Austausch mit dingungen zu entscheiden. Fast jeder Mitar- SchicksalsgenossInnen. Selbsthilfegruppen, beitende kennt das. Man hat in einer Situation Gruppen pflegender Angehöriger tragen dazu nachgegeben, um keinen Ärger mit den Kolle- bei, dass gemeinsam geteiltes Leid halbes Leid gInnen zu bekommen, muss dann aber mit den ist. Gerade Angehörige jammern viel zu we- Schuldgefühlen gegenüber den KlientInnen nig und rutschen immer tiefer in die Überfor- fertig werden, z. B. bei einer zu späten Einlei- derung. Schon Naomi Feil (1999, 2000, 2009, tung einer Dekubitusprophylaxe. 2010) und Cora van der Kooij (2007, 2010) be- Auch die Vielzahl der Möglichkeiten – Überan- tonten immer wieder, nicht nur bei Menschen gebot im Supermarkt, Partnerwahl über Inter- mit Demenz, dass ein ausgedrücktes Gefühl netbörsen – stresst Menschen bei der Entschei- von seiner destruktiven Kraft verliert. dungsfindung und kann zum Burnout führen. In der Pflege ist das Jammern ein zweischnei- Jede Entscheidung für etwas, ist gleichzeitig diges Schwert, weil viele Leitungen mit der auch eine Entscheidung gegen unzählige wei- chronifizierten Jammer-Kultur in den Teams tere Möglichkeiten. Dabei erinnere ich mich nicht mehr zurechtkommen: „Immer dieses an eine Situation im Supermarkt. Eine Mutter Jammern, wir sind zu wenige, wir schaffen das fragt ihren etwa vierjährigen Sohn: „Welchen nicht. Das macht mich auch mürbe.“ Dass in Joghurt möchtest du gerne?“ Im gut gefüllten der Pflege viel gejammert wird, liegt auch dar- Kühlregal stehen an die hundert verschiedene an, dass man hier mit letzten Seins-Fragen wie Joghurtsorten und -marken. Der Junge wirft Elend, Leid und Tod konfrontiert wird, und einen verzweifelten Blick darauf und beginnt zwar in einem Maße, wie dies beim Rest der zu weinen. Gesellschaft nicht der Fall ist. Dies ist in der Management | Pro Alter | Januar/Februar 2013 41
Regel, gerade wenn man keine professionellen Aushalten oder Alternativen suchen Gegenstrategien hat, eine Überforderung für Eine wichtige Burnout-Strategie ist, dass trotz Menschen. Deshalb braucht man ein weniger aller Belastungen der Kontakt zu PartnerInnen, schädliches Ventil, und das wäre Abenteuer Familie, FreundInnen, NachbarInnen und Ver- und Teamgeist und kontrollierter Gefühlsaus- einsmitgliedern nie abreißen darf. Pflegenden druck, z. B. im Rahmen einer Besprechung Angehörigen raten wir zu Familienkonferen- oder Supervision. Wenn man fußballspielen- zen, bei denen man sich zusammensetzt und de Menschen beobachtet, dann steht vor dem nach Alternativen aus schwierigen Situationen Wettkampf oft die mentale Einstimmung. sucht („Wie können wir aus der jetzt schwieri- Manch einer spricht davon, dass dies auch gen Situation mit unserer Mutter eine bessere in der professionellen Begleitung fehlt, nach für uns alle machen?“). dem Motto „Wir sind heute im Spätdienst nur Ich war und bin immer wieder Beirätin in zu fünft und ausgerechnet heute kommt der Fachzeitungen. Einmal führten wir eine Le- nervige Dr. X zur Visite, aber wir werden das serumfrage durch und waren gespannt, wel- auch diesmal gut hinkriegen und dann frohen che Rubrik besonders beliebt ist. Keiner hatte Mutes die Arbeit unseren beiden Kolleginnen damit gerechnet, dass es die Stellenanzeigen im Nachtdienst übergeben.“ Dieses nicht ganz sind, aber dies ist psychologisch verständlich. ernst gemeinte Beispiel zeigt, wie wichtig das Belastende Arbeitssituationen werden leich- positive Zureden gerade seitens der Leitung ter, wenn es Alternativen gibt. Wenn man sich und ein gemeinsamer konstruktiver Gefühls- beruhigen kann: „Die Arbeit ist schwierig und ausdruck im Team sind („Mensch war das heu- anstrengend, ich könnte aber auch woanders te wieder anstrengend, wir sind froh, dass wir arbeiten, dann hätte ich einige Vorteile, aber es wieder mal geschafft haben“). auch viele Nachteile wie z. B. längere Wege- 42 Management | Pro Alter | Januar/Februar 2013
zeiten. Deshalb bleibe ich besser da, wo ich Literatur bin.“ Auf individueller Ebene ist es wichtig, dass Feil, Naomi (1999): Validation. Ein Weg zum Ver- man Handlungsoptionen hat, beispielsweise ständnis verwirrter alter Menschen. München: Reinhardt kleine Tagträume: Was würde besser, wenn man viel Geld gewinnen würde oder doch Feil, Naomi (2000): Validation in Anwendung und seine Jugendliebe geheiratet hätte. Viele Men- Beispielen. München: Reinhardt schen müssen selber schmunzeln und – Humor Feil, Naomi; Klerk-Rubin, Vicki de (2009): Valida- ist auch eine Entlastungsstrategie – geraten tion. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. 9., überarb. u. erw. Aufl. München: regelrecht in Stress beim mentalen Durchspie- Reinhardts Gerontologische Reihe, 16 len scheinbar idealer Lösungen. Wie lege ich das viele Geld an, hoffentlich bleibt es unbe- Feil, Naomi (2010): Validation in Anwendung und Beispielen. Der Umgang mit verwirrten alten merkt …, meine Jugendliebe könnte nicht das, Menschen. 6., akt. u. erw. Aufl. München: Rein- was mein Partner leistet, und unsere Kinder hardts Gerontologische Reihe, 17 gäbe es nicht … Gerade diese idealisierten Kübler-Ross (2009): Interviews mit Sterbenden. Vorstellungen vom Leben als Trauminseln, die Freiburg: Kreuz-Verlag man vorübergehend besucht, wirken psychisch sehr entlastend, wenn sie nicht zu dauerhaften Kuratorium Deutsche Altershilfe; Konkret Consult Ruhr (Hrsg.) (2010 a): Benchmarking als ein Ins- Zwangsvorstellungen eines zu meisternden trument zur Qualitätsentwicklung in Haus- und Lebens werden. Wohngemeinschaften für Menschen mit De- menz – Ein Leitfaden. Köln /Gelsenkirchen Fazit Kuratorium Deutsche Altershilfe; Konkret Consult Unter Umständen müssen sich die anderen Ruhr (Hrsg.) (2010 b): Evaluation von Potenzialen schwarz ärgern, damit man selbst nicht aus- der Betreuung und Begleitung von Menschen gebrannt ist. Man kann es nicht jedem recht mit Demenz in Wohn- und Hausgemeinschaften machen und das Eintreten für die eigene Psy- durch die Implementation von Benchmarking- chohygiene ärgert vielleicht andere. Im Leben prozessen. Köln /Gelsenkirchen (unveröffentlichter Abschlussbericht zum Projekt). Download unter: brauchen wir oft weniger Perfektion und mehr www.kda.de/leuchtturmprojekt.html Genuss am Unvollkommenen. Michell-Auli, Peter; Sowinski, Christine (2012): Hin- gehen statt Wegsehen: Gewalt und Missbrauch in der Pflege. In: ProAlter, Heft 1, S. 11– 30 van der Kooij, Cora (2010): Das mäeutische Pfle- ge- und Betreuungsmodell: Darstellung und Do- kumentation. Bern: Huber van der Kooij, Cora (2007): Ein Lächeln im Vor- übergehen: Erlebensorientierte Altenpflege mit Hilfe der Mäeutik. Bern: Huber Zur Autorin: christine Sowinski … ist Leiterin des Bereichs Beratung von Einrichtungen und Diensten im KDA, Krankenschwester und Diplom-Psychologin. Management | Pro Alter | Januar/Februar 2013 43
Sie können auch lesen