Gemüse-, Obst- und Fleischverzehr und das Risiko für ausgewählte er- nährungsmitbedingte Erkrankungen - DGE
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4 WISSENSCHAFT 1 | 2021 © alicjane/iStock/Getty Images Plus Gemüse-, Obst- und Fleischverzehr und das Risiko für ausgewählte er- nährungsmitbedingte Erkrankungen Im Rahmen des 14. DGE-Ernährungsberichts entstand ein Umbrella- Review1, welches den Zusammenhang zwischen Gemüse-, Obst- und Fleischverzehr und kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 sowie Kolorektalkrebs und Brustkrebs untersuchte. Ziel war es, mittels einer systematischen Darstellung aktueller und relevanter Meta-Analysen die lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen der DGE zum Gemüse-, Obst- und Fleischverzehr hinsichtlich ihres primärpräventiven Potenzials zu überprüfen. Bei der Untersuchung von Beziehungen zwischen Lebensmittel- der Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 in Deutschland gehen verzehr und Erkrankungsrisiken stehen vor allem die chronischen von 5,8 bis 9,5 % Betroffenen in der erwachsenen Bevölkerung ernährungsmitbedingten Erkrankungen im Fokus. Kardiovaskulä- aus. Die Krankheitszahlen weisen auf Handlungsbedarf in der re Erkrankungen zählen mit 37,2 % aller Sterbefälle zu den häu- Prävention der genannten Erkrankungen in Deutschland hin. figsten Todesursachen in Deutschland im Jahr 2018, gefolgt von Krebserkrankungen mit ca. 25 % aller Sterbefälle. Schätzungen
DGEwissen WISSENSCHAFT 5 Eine Aufgabe der Ernährungswissenschaften und damit auch Analysen nach vorab festgelegten Ein- und Ausschlusskriteri- der DGE ist es, die Risikozusammenhänge zwischen ernäh- en im Vier-Augen-Prinzip. Für die Betrachtung des Zusam- rungsmitbedingten Erkrankungen und dem Verzehr be- menhangs zwischen dem Verzehr der ausgewählten Lebens- stimmter Lebensmittel zu erforschen, um darauf aufbauend mittelgruppen und dem Risiko für die ernährungsmitbeding- Ernährungsempfehlungen abzuleiten. Diese stellen ein wich- ten Krebserkrankungen (Kolorektalkrebs und Brustkrebs) tiges Instrument zur Förderung der Gesundheit der Bevölke- diente der 3. Expertenbericht des Continuous Update Project rung sowie eine Grundlage für die Ernährungs- und Agrarpo- (CUP) des World Cancer Research Fund International (WCRF) litik dar. Zukünftig sollen Krankheits-Risiko-Beziehungen stär- als Bezug. Im Rahmen des Umbrella-Reviews wurden deshalb ker bei der Ableitung der lebensmittelbezogenen Ernäh- für die Endpunkte Kolorektalkrebs und Brustkrebs nur Meta- rungsempfehlungen der DGE berücksichtigt werden. Analysen eingeschlossen, deren Literatursuchzeitraum nach dem 30. April 2015 endet und damit jünger ist als der des Die aktuellen Ernährungsempfehlungen der DGE zu diesen WCRF-Reports. Jede eingeschlossene Meta-Analyse wurde im Lebensmittelgruppen werden einer nährstoffdeckenden Er- Vier-Augen-Prinzip mittels NutriGrade2 bewertet. nährung gerecht und lauten: „Genießen Sie mindestens drei Portionen Gemüse und zwei Portionen Obst am Tag“ und „Wenn Sie Fleisch essen, dann Ergebnisse nicht mehr als 300 bis 600 g/Woche“. Ergebnisse Literatursuche Methode Im Rahmen der systematischen Literaturrecherche wurden für Gemüse- und Obstverzehr n = 20 und für Fleischverzehr n = 18 Meta-Analysen von prospektiven Kohortenstudien, Die systematische Literatursuche wurde in der Literaturdaten- bank PubMed von zwei Autorinnen unabhängig voneinander 1 er Begriff Umbrella-Review steht für die Zusammenfassung und Bewertung der D Ergebnisse mehrerer Übersichtsarbeiten zur gleichen Fragestellung. Dies kann so- durchgeführt. Gesucht wurde nach Meta-Analysen von pros- wohl rein deskriptiv als auch durch eine neue Analyse der Effektschätzer erfolgen; siehe auch: Backes G: Unter der Lupe: das Umbrella-Review. DGEwissen 11/2020. pektiven Kohortenstudien und/oder randomisierten kontrol- 2 utriGrade ist ein numerisches Bewertungsinstrument für Meta-Analysen von N lierten Interventionsstudien (randomised controlled trials, RCTs und prospektiven Kohortenstudien. Es zielt darauf ab, die Meta-Evidenz eines RCTs), die zwischen April 2008 und Februar 2019 publiziert Effekts oder einer Assoziation zwischen verschiedenen Ernährungsfaktoren und Endpunkten zu beurteilen. In Abhängigkeit von der erreichten Punktzahl wird die worden sind. Im Anschluss erfolgte eine Auswahl der Meta- Meta-Evidenz als hoch, moderat, gering oder sehr gering eingestuft. © choochart choochaikupt/iStock/Getty Images Plus
6 WISSENSCHAFT 1 | 2021 jeweils inklusive der zwei Studien des WCRF, identifiziert, Ergebnisse Obst welche die vorab definierten Einschlusskriterien erfüllen. Es In allen Meta-Analysen, die den Zusammenhang zwischen wurde keine Meta-Analyse von RCTs identifiziert. dem Obstverzehr und dem Risiko für verschiedene ernäh- rungsmitbedingte Erkrankungen untersuchten, war für das Ergebnisse Gemüse Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen ein statistisch signi- In allen Meta-Analysen, die den Zusammenhang zwischen fikanter inverser Zusammenhang zu erkennen. Die Meta-Evi- dem Gemüseverzehr und dem Risiko für verschiedene ernäh- denz wurde fast ausschließlich als moderat bewertet. Ledig- rungsmitbedingte Erkrankungen untersuchten, war ein sta- lich eine Meta-Analyse schnitt bei der Evidenzbewertung mit tistisch signifikanter inverser Zusammenhang für das Risiko gering ab. kardiovaskulärer Erkrankungen (Schlaganfall und korona- re Herzerkrankung [KHE]) zu erkennen. Die Meta-Evidenz3 Für Diabetes mellitus Typ 2 waren die in den Meta-Analy- war durchgängig moderat. sen festgestellten Risikobeziehungen zum Obstverzehr he- terogen. Die Meta-Analysen wurden überwiegend mit einer Die eingeschlossenen Meta-Analysen konnten mehrheitlich geringen bis moderaten Meta-Evidenz bewertet. Eine Meta- keinen Zusammenhang zwischen dem gesamten Gemüsever- Analyse schnitt bei der Beurteilung der Meta-Evidenz mit zehr und dem Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 aufzeigen. sehr gering ab. In zwei Meta-Analysen war ein Trend für einen inversen Zu- sammenhang zu erkennen. Die Meta-Analysen schnitten in Für den Zusammenhang zwischen dem Obstverzehr und Ko- der Evidenzbewertung unterschiedlich von sehr gering bis lorektalkrebs waren die Ergebnisse aus den eingeschlosse- moderat ab. nen Meta-Analysen widersprüchlich. Für das Brustkrebsrisi- ko zeigte sich ein statistisch signifikanter inverser Zusam- In Bezug auf das Risiko für Kolorektalkrebs lässt sich ein menhang mit dem Obstverzehr. Die drei Meta-Analysen, die inverser Risikozusammenhang mit dem Gemüseverzehr er- das Krebsrisiko untersuchten, wurden mit moderater Meta- kennen. Die Ergebnisse des WCRF-Reports deuten darauf Evidenz bewertet. hin, dass kein Zusammenhang zwischen Gemüseverzehr und Brustkrebsrisiko besteht. Die drei Meta-Analysen, die das Kolorektal- und Brustkrebsrisiko untersuchten, wurden alle 3 er Begriff Meta-Evidenz ist definiert als die Qualität der Evidenz von Meta-Analy- D mit moderater Meta-Evidenz bewertet. sen. Die Qualität der Evidenz spiegelt das Vertrauen in die Effektschätzer wider. © Jasper Chamber/iStock/Getty Images Plus Die Ergebnisse des Umbrella- Reviews legen nahe, dass eine hohe Gemüse- und Obstzufuhr eine günstige gesundheitliche Wirkung hat.
DGEwissen WISSENSCHAFT 7 Ergebnisse Fleisch Ein risikosteigernder Zusammenhang konnte zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch bzw. verarbeitetem Fleisch und kardiovaskulären Erkrankungen festgestellt werden. Aus- schließlich in einer Meta-Analyse war der Verzehr von rotem Fleisch bzw. verarbeitetem Fleisch nicht mit dem Schlagan- fallrisiko bzw. dem KHE-Risiko assoziiert. Zu berücksichtigen ist, dass in dieser Meta-Analyse nur zwei bzw. drei prospekti- ck/Getty Images Pl us aths/iSto © AlexR ve Kohortenstudien zusammengefasst wurden. In allen Me- ta-Analysen, die den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von rotem Fleisch insgesamt (rotes und verarbeitetes Fleisch) und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen unter- suchten, war eine statistisch signifikante Risikosteigerung festzustellen. Die Meta-Evidenz wurde in der Mehrheit der geringen Anzahl eingeschlossener prospektiver Kohortenstu- Studien als sehr gering bis gering bewertet. Für den Zusam- dien, ein Trend für einen positiven Zusammenhang zu erken- menhang des Verzehrs von weißem Fleisch mit dem Risiko nen. für Schlaganfall lagen zwei Meta-Analysen vor, deren Er- gebnisse nicht eindeutig waren. Die Meta-Evidenz wurde als Für Kolorektalkrebs war in den eingeschlossenen Meta- moderat bewertet. Analysen ein risikosteigernder Zusammenhang bzw. ein Trend für einen positiven Risikozusammenhang mit dem Verzehr In den Meta-Analysen die den Zusammenhang zwischen von rotem Fleisch zu erkennen. Für den Verzehr von verarbei- dem Verzehr von rotem Fleisch bzw. verarbeitetem Fleisch tetem Fleisch war ein risikosteigernder Zusammenhang zu und dem Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 untersuchten, beobachten. Die Meta-Evidenz der Meta-Analysen zu Kolo- lag eine statistisch signifikante Risikosteigerung vor. Die Me- rektalkrebs wurde überwiegend als moderat bewertet. Auch ta-Evidenz der Meta-Analysen wurde mit Ausnahme einer für den Verzehr von rotem Fleisch insgesamt und dem Auftre- Studie, die mit geringer Qualität bewertet wurde, mit mode- ten von Kolorektalkrebs lag ein positiver Risikozusammen- rat oder hoch eingestuft. Auch für den Verzehr von rotem hang bzw. ein Trend dafür vor. Der Verzehr von weißem Fleisch insgesamt war in den Meta-Analysen, trotz der sehr Fleisch war nicht mit dem Risiko für Kolorektalkrebs assoziiert. Ein als hoch eingestufter Konsum von rotem und verarbeitetem Fleisch hat einen eher ungün- stigen Einfluss auf die untersuch- ten Krankheitsrisiken. © etienne voss/iStock/Getty Images Plus
8 WISSENSCHAFT 1 | 2021 Die Ergebnisse des Umbrella- Reviews stützen die aktuellen Ernährungsempfehlungen der DGE. © spin ka/iSto ck/Ge tty Im ages Plus In den Meta-Analysen, die den Zusammenhang zwischen schlossen wurden, und zum anderen die geringen Effektgrö- dem Verzehr von rotem Fleisch und Brustkrebsrisiko unter- ßen in der Mehrheit der untersuchten Meta-Analysen. suchten und eine moderate Meta-Evidenz aufwiesen, war ein risikosteigernder Zusammenhang in den Dosis-Wirkungs- Gesundheitsbezogene Effekte einer bestimmten Ernährung Analysen zu beobachten. In den Meta-Analysen mit geringer zeigen sich oftmals erst über einen Zeitraum von Jahrzehn- Meta-Evidenz konnte kein Risikozusammenhang festgestellt ten. Ernährungsstudien in der notwendigen Länge sind in der werden. Hingegen zeigte sich in den Ergebnissen aller Meta- Praxis kaum durchführbar. Die geringen Effektgrößen bisheri- Analysen zum Verzehr von verarbeitetem Fleisch ein positiver ger Studien können hierdurch bedingt sein. Umso wichtiger Zusammenhang bzw. ein Trend für einen positiven Zusam- ist es, weitere Aspekte wie zum Beispiel die biologische Plau- menhang zum Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Für den sibilität und die Wirkmechanismen einzelner Lebensmittelbe- Verzehr von rotem Fleisch insgesamt und weißem Fleisch war standteile in der Gesamtbewertung zu berücksichtigen. in der Mehrheit der Meta-Analysen kein Zusammenhang mit Wünschenswert wäre, dass aussagekräftige Ernährungsemp- dem Brustkrebsrisiko zu verzeichnen. Die Meta-Evidenz hier- fehlungen auf einer mindestens moderaten bis – in optimaler für fiel sehr heterogen aus. Weise – hohen Qualität der Evidenz basieren. Die den einzelnen Berechnungen der Meta-Analysen zugrun- deliegenden Verzehrmengen waren innerhalb der einzelnen Diskussion methodischer Gesichtspunkte Lebensmittelgruppen Gemüse, Obst und Fleisch sehr hetero- gen. Ein konkreter Rückschluss auf optimale Verzehrmengen und eine Bewertung der aktuellen Orientierungswerte ist da- Das Umbrella-Review liefert einen umfassenden Überblick her anhand dieser Auswertung nicht ohne weiteres möglich. über die zum Suchzeitpunkt vorhandenen Meta-Analysen und eine qualitative Einordnung der eingeschlossenen Studien. Handlungsempfehlungen Wesentliche Gründe für die mehrheitlich als sehr gering bis moderat eingestufte Meta-Evidenz der eingeschlossenen Me- ta-Analysen waren zum einen die geringe Anzahl an pros- Die Ergebnisse des Umbrella-Reviews untermauern, dass eine pektiven Kohortenstudien, die in die Meta-Analysen einge- pflanzenbetonte Ernährung mit einem geringen Fleischver-
DGEwissen WISSENSCHAFT 9 zehr gesundheitsfördernd ist. Somit stützen die Ergebnisse Fazit die aktuellen Ernährungsempfehlungen der DGE. Die DGE empfiehlt eine vollwertige Mischkost, die zum größten Teil aus pflanzlichen Lebensmitteln wie Gemüse und Obst be- Eine in den untersuchten Meta-Analysen als hoch beschrie- steht, ergänzt durch tierische Lebensmittel, zum Beispiel bene Gemüse- und Obstzufuhr hat eine günstige gesund- Fleisch. heitliche Wirkung, während ein als hoch beschriebener Ver- zehr von rotem Fleisch und verarbeitetem Fleisch einen eher Die aktuell gültigen Ernährungsempfehlungen der DGE be- ungünstigen Einfluss auf die untersuchten Krankheitsrisiken züglich des Gemüse-, Obst- und Fleischverzehrs werden der- hat. Perspektivisch können die Ergebnisse dieser Arbeit für zeit von den Verbraucher*innen in Deutschland durchschnitt- die Weiterentwicklung von Ernährungsempfehlungen ge- lich nicht erreicht. Der Gemüse- und Obstverzehr der Bevöl- nutzt werden. kerung liegt im Durchschnitt unter den Empfehlungen der Nicole Kalotai, DGE (mind. 400 g/Tag bzw. 250 g/Tag), während der durch- Referat Wissenschaft DGE schnittliche Fleischverzehr über der empfohlenen Verzehr- menge (300–600 g/Woche) liegt. Daher sind weitere Maß- nahmen notwendig, um den Verzehr von Gemüse und Obst Quelle in der Bevölkerung zu erhöhen bzw. den Verzehr von Fleisch, Wurstwaren und Fleischerzeugnissen zu verringern. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE): 14. Ernährungsbericht. 355– 389 (2020) In Deutschland beruhen Bestrebungen zur Verbesserung der Ernährungs- und Gesundheitssituation der Bevölkerung ins- besondere auf einer verbesserten Ernährungsbildung, bei- spielsweise durch die Bereitstellung von Informationen. Die bisherigen Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass solche verhaltenspräventiven Maßnahmen zur Förderung gesunder Lebensstile auf Bevölkerungsebene nicht zu den gewünsch- ten Verhaltensänderungen und der damit assoziierten Reduk- tion ernährungsmitbedingter Erkrankungen geführt haben. Vielversprechendere Public-Health-Maßnahmen im klassi- schen Sinne verfolgen einen verhältnispräventiven Ansatz, d. h. sie setzen gezielt bei den Bedingungen des Lebensum- felds an: Es soll den Verbraucher*innen einfacher gemacht werden, gesundheitsfördernde Entscheidungen zu treffen. Möglich ist zudem eine Mischung aus Verhältnis- und Verhal- tensprävention.
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