"Gewichtheben heißt geduldig sein!" Workshop Olympisches Gewichtsheben bei CrossFit Schmiede
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
“Gewichtheben heißt geduldig sein!” Workshop Olympisches Gewichtsheben bei CrossFit Schmiede Hallo zusammen, mein heutiger Beitrag ist ein kleines Review zum vergangenen Gewichtheber- Workshop in der CrossFit Schmiede in Kassel. Wie ja schon häufig erwähnt, ist CrossFit an sich zwar eine neue Sportart und ein eigener funktionierender Fitnessweg, der seinen Sportgedanken denkt und vertritt. Die sportlichen Disziplinen, derer CrossFit sich bedient, sind jedoch nicht neu, sondern alt(bewehrt). Dazu gehören die großen Sportarten: Turnen, Leichtathletik und Gewichtheben. Um CrossFit allumfänglich praktizieren zu wollen, darf man also im Prinzip keine dieser drei auslassen. Gewichtheben – und hier ist Olympische Gewichtheben gemeint – ist eine traditionelle, komplexe schwerathletische Sportart. Es ist ein Wettkampfsport, mit dem bereits seit 1891 Athleten in Weltmeisterschaften ihre Kräfte messen. Leider gehört es zu den Randsportarten, was wahrscheinlich auch an seiner Komplexität liegt, denn das Erlernen der Disziplinen aus dem olympischen Gewichtheben ist vom Schwierigkeitsgrad weit über dem normalen Pensum verbreiteter Sportarten hinaus. Und weil Gewichtheben für uns CrossFitter nun mal auch so wichtig ist, hat Jörn von CrossFit Schmiede sich gedacht: Warum nicht von denen lernen, die es praktizieren? Und dafür hat er sich gleich die Besten geschnappt, die Deutschland zu bieten hat: Almir Velagic, Jürgen Spieß und Alexej Prochorow aus dem Raum Heidelberg. Die drei haben sich bei den Herkules Games in Kassel bereits ein Bild von CrossFit
und seinen „Spielen“ machen können. Dabei entstand die Idee, einen Workshop für CrossFitter anzubieten. Gesagt getan! Und das vergangene Wochenende war es dann soweit und die drei Weltmeisterschafts-Teilnehmer luden in der CrossFit Schmiede zum olympischen Gewichtheben ein. AK und ich waren dabei! :-) Kurz zu den drei Persönlichkeiten. Almir Velagic – 33 Jahre alt . Gewichtsklasse +105 kg Homepage Deutsche Olympiamannschaft AV Facebook-Fanpage AV Homepage Bundesverband Deutscher Gewichtheber AV Eigene Homepage Jürgen Spieß – 30 Jahre alt . Gewichtsklasse -105 kg Homepage Bundesverband Deutscher Gewichtheber JS Facebook-Fanpage JS Alexej Prochorow – 24 Jahre alt . Gewichtsklasse +105 kg Homepage Bundesverband Deutscher Gewichtheber AP Alle drei kamen frisch von den Weltmeisterschaften aus Kasachstan. Viele von uns haben die Herren auf dem Bildschirm schon beobachten können. Einer von ihnen holte einen weiteren Titel nach Hause. Almir Velagic wurde siebter in seiner Gewichtsklasse mit 421 kg (191 kg Reißen/230 kg Stoßen). Kurz zum Olympischen Gewichtheben allgemein: Die Sportart wird wettkampfmäßig jährlich in Europa- und Weltmeisterschaften ausgetragen. Im Frühjahr findet die EM statt, am Ende des Jahres die WM. Sportvereine gibt es bereits seit 1880, wie bereits gesagt, mit einer langen Tradition. Das Olympische Gewichtheben besteht aus zwei Disziplinen: Dem Reißen und dem Stoßen. Aus dem CrossFit bzw. aus dem Englischen bekannt als Snatch und Clean&Jerk. Beide Bewegungen gehören zu den anspruchsvollsten der gesamten Sportwelt, was
es noch beeindruckender macht, welche Gewichte die Weltspitze damit in die Luft bewegen kann. Der Workshop wurde von ungefähr 30 Teilnehmern besucht. Die drei Gewichtheber stellten am ersten Tag ihren geplanten Ablaufplan für die beiden Tage vor. Für Tag eins stand grob Folgendes auf dem Plan: Reißen – Theorie + Praxis Pause Stoßen – Theorie + Praxis Für den zweiten Tag hatten die drei geplant, uns Zubringerübungen des Olympischen Gewichthebens näher zu bringen, wie Züge und Kniebeugen. Wichtiger war ihnen aber, dass wir Themen, Wünsche und Anregungen selbst einbringen durften, welche sie dann für den kommenden Tag vorbereiten wollten. Der theoretische Teil zum Reißen begann am Projektor. Dabei lernten wir die unterschiedlichen Abläufe der Disziplin kennen und die aufeinander folgenden Positionen. Hierbei ging Alexej auf jede Position genau ein: Den Griff an der Stange, die Position der Füße und der Höhe des Arsches beim Start (ja, er hat Arsch gesagt), die Abfolge und die wichtigen Elemente. Begriffe wie Parallelverschiebung und V1 und V2 (1. Zug und 2. Zug) kannten wir noch aus dem Oly-Training von Dennis. Reißen / Snatch – kurz erklärt: Die Hantelstange muss vom Boden über den Kopf gebracht werden, in einer einzigen Bewegung, ohne Zwischenschritt.
Dies klingt einfacher als es ist. Denn Timing und korrekte Ausführung, sowie eine ausgeprägte Mobilität und Körperspannung sind dafür nötig. Dazu kommen, wie bei allen olympischen Disziplinen feste Regeln dazu, wie eine Übung auszuführen ist. Bei einem Wettbewerb kontrollieren Kampfrichter über die Gültigkeit eines Versuchs. In unserem Workshop ging es aber ausschließlich um die Effektivität – wie bringe ich mit dem geringsten Aufwand die höchste Last über Kopf – und dies möglichst sauber und ohne Verletzungsgefahr! Zu aller erst wurden die – ich nenne sie mal – Vorstufen des kompletten Reißens theoretisch besprochen; das Kraftreißen oder gestrecktem Reißen (Muscle Snatch), das Standreißen (Power Snatch) und der finalen Reißhocke (Squat Snatch). Um das Gelernte gleich anwenden zu können standen in der Halle Plattformen zur Verfügung, sowie Hanteln und Gewichte. In kleinen Gruppen verteilten wir uns auf die Flächen je nach dem jeweiligen eigenen Kraftstand, um möglichst wenig Umzubauen. Nacheinander übten wir gemeinsam unter den geschulten Augen der Wettkampf- erfahrenen Kraftsportler die Startposition und den 1. und 2. Zug. Almir, Jürgen und Alexej gingen währenddessen rum, sahen sich unsere Versuche an, korrigierten uns und gaben uns Hilfestellungen. War es ein CrossFit-Einsteiger, der noch nie Gewichtheben gemacht hatte oder bereits erprobte Competition-Teilnehmer – bei jedem gab es einiges zu korrigieren. Ich würde sogar behaupten, dass sich bei erfahrerenen CrossFittern eher noch böse Fehler eingeschlichen hatten, welche die drei schnell erkannten. Bei mir war es in jedem Fall so… Beim gestreckten Reißen, Standreißen und bei der Reißhocke merkte ich, dass irgendwo zwischen Start und Endposition erheblicher Nachholbedarf bestand. Hier habe ich wirklich sehr hilfreiche Tipps erhalten, die ich zukünftig anwenden werde!
Nach einer Pause von ca. 1,5 Stunden mit thailändischem Essen, ging es an den theoretischen Teil des Stoßens – der zweiten Disziplin. Diese unterteilt sich in zwei Teile – dem Umsetzen und Ausstoßen. Stoßen / Clean&Jerk wieder kurz: Das Gewicht wird vom Boden vorn auf das Schlüsselbein gehoben und von hieraus über Kopf gestoßen. Auch hierzu gab es eine theoretische Einführung in die einzelnen Abschnitte, welche ähnlich wie beim Reißen aus Start, 1., 2. Zug, dem Umgruppieren und dem Ausstoßen bestand. Dabei wurde auch wieder unterteilt in Kraftstoßen (Push Jerk), Standstoßen (Power Jerk) und Ausstoßen (Split Jerk). Die Lasten, die mit dieser Technik über Kopf geführt werden können, sind noch mal um einiges höher. Dann ging es wieder an die Stange. Hier möchte ich noch mal betonen: Was für ein unglaubliches Auge diese Jungs haben. Klar, ihre Disziplin kennen und können sie, keine Frage. Aber bei anderen Athleten die Fehler zu sehen, trotz der Schnelligkeit der Bewegung, ist für mich immer wieder beeindruckend. Und das ist – ungelogen – unvergleichbar mit wahrscheinlich jedem CrossFit-Coach dieser Welt. Natürlich muss man beachten:
Die Fehler, die wir CrossFitter machen, sind für Gewichtheber ungefähr so offenkundig sichtbar, wie ein Kind, dass sich mit einer Gabel Butter auf’s Brot schmiert. :-D Der erste Tag des Workshop neigte sich um 19 Uhr dem Ende zu. Ich muss zugeben, das war dann auch gut so, denn die Konzentration war bereits am Limit. Am Sonntag ging es weiter mit den Wunschthemen vom Vortag, welche u.a. waren: Details der Trainings- und Wettkampfvorbereitung der drei Gewichtheber. Dieser Vortrag war meiner Meinung nach das absolute Highlight. Mit der ein oder anderen Vorbereitung für CrossFit-Wettkämpfe habe ich meine Erfahrungen, wie auch mit CrossFit-Trainingsmethoden für das Gewichtheben. Aber einen Einblick zu bekommen, wie ein erfolgreicher und im Kader eingetragener Gewichtsheber seinen Trainingsplan gestaltet, das allein sind Informationen und Erfahrungen, für die sich der gesamte Workshop gelohnt hat. Wie bereits geschrieben, gibt es zweimal im Jahr für die Athleten einen Wettbewerb. Anders, als bei CrossFit-Competitions, geht es hier nicht um Workouts, ggf. sogar Team-Workouts, sondern es geht um insgesamt 6 Versuche eines jeden einzelnen Athleten. Mehr nicht. Das gesamte Trainingshalbjahr ist auf diesen einen Tag ausgerichtet. Drei Versuche im Reißen und drei Versuche im Stoßen. Dann gilt nur das maximal Umgesetzte. Und zwar nur um das Gewicht. Technik und Regeln nach Regelwerk sind hier Basis. Es zählen nur die Lasten. Deshalb ist es klar, dass ein solcher Trainingsplan ganz anders aussieht, als ein CrossFit-Trainingsplan. Während ein CrossFitter seine Kraftausdauer und Ausdauer schulen muss, wäre das für den Gewichtheber absolut kontraproduktiv, da reine Kraftwerte erreicht werden müssen. Jürgen schilderte uns anhand seines Trainingsplans, welche Wiederholungen und Gewichte ihm vorgegeben wurden und was er dann tatsächlich erreicht hat. Anschließend stellte er uns die Systematik der Technikanalyse vor. Er meinte: Grob 95 % der Fehler kann der Trainer erkennen. Für die restlichen 5 % Nü’s ist die Videoanalyse da. Hier erstellt ein Programm die sogenannte Kurvenanalyse der Hantelstange, wodurch der noch so klitzekleine Fehler in der Technik erkannt, berechnet und in knallharten Zahlen und Fakten ausgespuckt wird. Daran war
natürlich jeder CrossFitter besonders interessiert (da wir ja fancy stuff so lieben). Wobei uns aber Jürgen schonend durch die Blume zu verstehen gegeben hat, dass unsere Technikfehler nicht digital analysiert werden müssen. (Die sieht man! :D ) Aber für Spitzensportler, wo Gewichte weit über dem zweifachen Körpergewicht hinaus in die Luft geschmissen werden, geht es genau um diese klitzefitzekleinen Fehler in der Bewegung, im Schwung, im Timing. Die sieht bei der Geschwindigkeit keiner mehr. Trotzdem war es unglaublich interessant für uns zu sehen, wie so etwas analysiert werden kann. Dann ging es an die Zubringerübungen, welche aus Kniebeugen und Zügen bestanden. Als Almir fast beiläufig erwähnte: „Das Gewicht, was man dreimal frontbeugen kann, kann man auch umsetzen.“ war es, als hätte er den Splint einer Granate gezogen und wir wussten nicht, ob wir lachen oder weinen sollten. :D Die drei standen unseren vielen Fragen über Ernährung, Taktiken, Verläufe und Gedanken stand; so viele, dass wir fast vergaßen, noch Praktisch zu arbeiten. (Mein Muskelkater hätte es auch okay gefunden!) Doch dann ging es noch mal an die Hantelstangen und wir übten zum Teil individuell, z. B. Die Reißkniebeuge (Overhead Squat) und das Hangreißen (Hang Snatch). Dann kamen auch die drei Gewichtheber zum Schwitzen und zeigten uns, was sie drauf hatten. Alexej bewies seine wunderschöne Reißkniebeuge mit 180 kg. (aus dem Nacken)
Jürgen riss (Squat Snatch + Hang Snatch Complex) aus dem Hang 130 kg. Und Almir versuchte sich an 180 kg Thruster – erfolgreich! (Ich habe von allem auch Videos gemacht, aber die kann ich wegen der Datenmenge leider nicht beifügen. Wer sich dafür interessiert, darf mich gerne anschreiben.) Nach einigen Praxisübungen und erneutem Korrigieren und vielen nützlichen Hilfestellungen, neigte sich auch dieser Tag des Workshops gegen 14 Uhr dem
Ende entgegen. Mein Abschlußplädoyer: Ich bin immer wieder auf’s neue erstaunt von der Anmut des Gewichthebens. Der eine oder andere mag darüber lachen aber es fasziniert mich, wie ein menschliches Wesen allein mit Kraft, effizienter Arbeitsweise und perfektem Timing die Physik nutzt – fast austrickst – um Gewichte dieser Größenordnung zu bewegen. Während im CrossFit alles schnell-schnell und hektisch, manchmal auch leider unsauber, absolviert wird, nimmt sich das Gewichtheben die Zeit, die Geduld und die Akkuratesse, die nötig ist. Vielleicht klingt das sentimental, doch das ist es, was die Bewegungen des Gewichthebens nun mal so schön macht; es ist nicht simpel und es bedarf so viel Konzentration. Dinge, die wir in der heutigen, schnelllebigen Zeit häufig vernachlässigen. Ich bin sehr froh, diesen Workshop mitgemacht zu haben und ich denke, da spreche ich für alle Teilnehmer, dass ich hier sehr viel mitnehmen konnte. Für mein eigenes Training und vielleicht sogar für meinen gesamten Alltag. Frei nach dem Motto: Gelassen und geduldig sein. ;-) Schön wäre es, wenn Gewichtheben einen höheren Stellenwert in der Sportwelt hätte. Hoffentlich kann CrossFit durch seine steigende Popularität
das Gewichtheben aus der Randsport-Sparte verhelfen. Damit könnte CrossFit dem Gewichtheben etwas zurück geben. Am Ende ganz viel Danke: Vielen Dank an Almir, Jürgen und Alexej! Ihr seid ein super freundlicher, entspannter (Muskel-)Haufen! Es war sehr lustig und aufschlussreich mit euch und ich hoffe sehr, dass wir mal wieder zusammen kommen. (Ich kenne es ja, auf Fotos mit anderen Personen winzig auszusehen aber das ist schon grotesk! :D) Vielen Dank für’s Lesen! Ihr findet mich in der Sauna, wo ich hoffe, meinen Muskelkater auszukurieren! :D Jennie PS: Vielen Dank, Dominik Gottschalck, für die Bereitstellung der Fotos!
Sie können auch lesen