GTS-Bilanz - Qualität für den Ganztag - Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren Ganztagsschulforschung
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GTS-Bilanz – Qualität für den Ganztag. Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren Ganztagsschulforschung
INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG 3 Qualität für den Ganztag: Befunde aus 15 Jahren Ganztagsschulforschung im Überblick Brigitte Brisson KAPITEL 1 8 Schulentwicklung und Lernkultur an Ganztagsschulen in Deutschland Johanna M. Gaiser KAPITEL 2 15 Leitung und Steuerung im Ganztag Katrin Pfaff und Lisa Brücher KAPITEL 3 24 Den Wandel mitgestalten: Partizipation, Innovationsbereitschaft und die neue Rolle von Lehrkräften an Ganztagsschulen Karsten Wutschka KAPITEL 4 30 Multiprofessionelle Kooperation Stephan Kielblock und Markus Rinck KAPITEL 5 37 Außerschulische Akteure im Ganztag Bettina Arnoldt KAPITEL 6 46 Individuelle Entwicklung von Schüler:innen – Wirksamkeit von Ganztagsschule in Deutschland Katrin Heyl, Amelie Hirsch, Natalie Fischer und Wolfram Rollett KAPITEL 7 54 Weiterentwicklungsperspektiven aus 15 Jahren Ganztagsschulforschung hinsichtlich der Qualität für den Ganztag Stephan Kielblock, Nora Wazinski und Kai Maaz AUSWAHL AN FORSCHUNGSPROJEKTEN FÜR DIE FORSCHUNGSÜBERSICHTEN 58 IMPRESSUM 63 2
QUALITÄT FÜR DEN GANZTAG: BEFUNDE AUS 15 JAHREN GANZTAGSSCHULFORSCHUNG IM ÜBERBLICK Brigitte Brisson (DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation) Ganztagsschulen sind aus der heutigen Bildungslandschaft in WAS BEDEUTET „EVIDENZBASIERT“? Deutschland nicht mehr wegzudenken. Gut zwei Drittel aller Schulen sind derzeit in Ganztagsform organisiert. Etwa die Hälfte aller Schüler:innen in Deutschland besucht entspre- ▶ Für evidenzbasierte Erkenntnisse liegen wissenschaft- chende Angebote am Nachmittag. Mit der Einführung des liche Belege vor. Sie stützen sich nicht auf persönliche Rechtsanspruchs auf ganztägige Förderung für Grundschul- Meinungen oder Erfahrungen, sondern auf nachprüf- kinder ab 2026 ist mit einem weiteren Anstieg von Ganz- bare Belege aus Forschungsstudien. Diese untersu- tagsangeboten und deren Nutzung zu rechnen. chen mittels wissenschaftlicher Methoden beispiels- weise das Vorhandensein, die Wirksamkeit oder die Ein Blick in die Vergangenheit zeigt dabei, dass Ganztags- Vor-und Nachteile von außerunterrichtlichen Ange- schulen bis zur Jahrtausendwende einen noch eher unschein- boten an Schulen. Je mehr Forschungsstudien vor- baren Teil der deutschen Schullandschaft ausmachten. liegen, die unterschiedliche Schulen beforschen und Damals besuchten nur etwa 16 Prozent aller Schüler:innen zu den gleichen Ergebnissen kommen, desto stärker ist in Deutschland Ganztagsangebote. Als Katalysator für den die empirische Evidenz für eine Annahme. Ausbau gilt das Investitionsprogramm „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB), das von 2003 bis 2009 Fördermittel für den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen zur Verfü- BILANZIERUNG DES FORSCHUNGSSTANDES gung stellte. Ein zentraler Anlass für die Auflegung dieses ZUR QUALITÄTSENTWICKLUNG IM GANZTAG Programms war die Veröffentlichung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie im Jahr 2001. Dabei schnitten deut- Die Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG, sche Jugendliche, die zu dem Zeitpunkt der Befragung 15 2005–2019) hat als großes bundesweites Projekt den Ganz- Jahre alt waren, in ihren Grundfähigkeiten in Mathematik, tagsschulausbau von der ersten Stunde an wissenschaftlich Lesen und Naturwissenschaften im internationalen Vergleich begleitet. StEG hat aufgezeigt, welche Rahmenbedingungen unterdurchschnittlich ab. Dafür lag Deutschland im Bereich an den Schulen zu einer Verbesserung und stärkeren Nut- „Bildungsungerechtigkeit“ weit vorne. Nach diesem soge- zung der außerunterrichtlichen Angebote durch Kinder und nannten „Pisa-Schock“ wurde das IZBB unter anderem mit Jugendliche beitragen. Zu diesen Rahmenbedingungen zäh- der Erwartung verabschiedet, dass durch Ganztagsangebote len insbesondere die individuelle Förderung gestärkt werden könnte und sich Bildungshürden abbauen lassen. ▶ die Entwicklung und Organisation des Ganztags sowie die Lernkultur an der Schule, Mit dem Ziel, jeder Grundschülerin und jedem Grundschü- ▶ die Zusammenarbeit des schulinternen Personals sowie ler ab 2026 einen Ganztagsbetreuungsplatz zur Verfügung die Kooperation mit außerschulischen Partnern und zu stellen, steht Deutschland aktuell vor einem neuen Ent- ▶ die Gestaltung einzelner Angebote, um zur individuellen wicklungssprung in der Ganztagsschullandschaft. Allerdings Förderung beizutragen. darf neben der quantitativen Erweiterung die Frage nach der qualitativen (Weiter-)Entwicklung des Ganztags nicht Durch StEG wurde deutlich, dass das Ganztagsprogramm aus dem Blick geraten. Im Gegenteil – um das Potenzial nur dann seine Wirksamkeit entfalten kann, wenn Schüler:in- von Ganztagsangeboten voll ausschöpfen zu können, gilt es, nen die Qualität der Angebote als hoch einschätzen. viele Aspekte zu beachten. Schulen, die ihr Ganztagskonzept auf- oder ausbauen wollen, sind mit unzähligen Fragen kon- frontiert: Welche Rolle spielen Schulleitung, Lehrkräfte und außerschulische Partner im Umgestaltungs- und Weiterent- WAS IST EINE FORSCHUNGSÜBERSICHT? wicklungsprozess? Wie kann die Kooperation und Kommu- nikation unter allen Beteiligten gelingen? Wie können der Ganztag im Allgemeinen und Ganztagsangebote im Speziel- ▶ Eine Forschungsübersicht sichtet möglichst alle Stu- len zur persönlichen Entwicklung von Kindern und Jugend- dien zu einem bestimmten Thema, prüft ihre Qualität lichen beitragen? Die Ganztagsforschung hat zum Ziel, mit und fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Sie ihren Untersuchungen evidenzbasierte Antworten auf solche liefert einen Überblick über den wissenschaftlichen und ähnliche Fragen zur Qualitätsentwicklung im Ganztag zu Erkenntnisstand zu einem Thema. liefern. 4
Neben StEG haben unzählige weitere Forschungsprojekte 2. ÜBERSICHT: den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Gestaltung einer qualitativ hochwertigen Ganztagsschule in Deutschland vor- „LEITUNG UND STEUERUNG IM GANZTAG“ angetrieben. Die in der vorliegenden Broschüre versam- (AB S. 15) melten Forschungsübersichten fassen den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammen. Mit den darin präsentierten Wissenschaft und Praxis sind sich einig: Die Schulleitung Befunden zur Schul- und Lernorganisation, zur Zusammen- spielt eine ganz zentrale Rolle in jeglichen Schulentwick- arbeit des beteiligten Personals und zur Angebotswirksam- lungsprozessen. Aus diesem Grund beleuchtet die zweite keit decken sie große Teile der wissenschaftlichen, politi- Forschungsübersicht das Leitungs- und Führungshandeln in schen und professionellen Diskussionen über die qualitative Ganztagsschulen. Sie zeigt auf, welche Personen oder Gre- Weiterentwicklung von Ganztagsschulen ab. Ziel ist es, die mien an der Koordination des Ganztags beteiligt sind und wie Erkenntnisse der deutschen Ganztagsschulforschung (soweit diese ihre Führungsrolle ausgestalten. Insbesondere werden möglich) zusammenzufassen und einen schnellen Überblick die Rolle und die Aufgaben der Schulleitung und der Ganz- darüber zu bieten, was bei der Qualitätsentwicklung im tagskoordination bei der Steuerung des Ganztags in den Ganztag als wichtig erscheint. Gleichzeitig zeigen die Über- Blick genommen. Außerdem geht es um die Qualität des sichten, zu welchen Themen der Qualitätsentwicklung im Leitungshandelns und die Frage, wie diese von den Lehrkräf- Ganztag aktuell noch keine belastbaren Aussagen getroffen ten und der Schulleitung selbst eingeschätzt wird und wie werden können. Die wichtigsten Erkenntnisse aus den ein- sich das Handeln der Leitungspersonen auf weitere Quali- zelnen Übersichten sowie Bedarfe für zukünftige wissen- tätsbereiche des Ganztags auswirkt. Die zweite Forschungs- schaftliche Projekte sind im Gesamtfazit der Broschüre ab übersicht befasst sich zuletzt mit den Qualitätsdimensionen S. 54 aufgeführt. des Leitungshandelns und mit bewährten Koordinationsfor- men. Die in ihr zusammengetragenen Hinweise können Per- sonen mit leitender oder steuernder Funktion als handlungs- THEMENBEREICH „SCHUL- UND LERNORGANI- leitende Impulse dienen. SATION AN GANZTAGSSCHULEN“ Die ersten drei Forschungsübersichten befassen sich mit den 3. ÜBERSICHT: Merkmalen auf Schulebene, die für die Qualität und Ent- wicklung außerunterrichtlicher Angebote an Ganztagsschu- „DEN WANDEL MITGESTALTEN: PARTIZIPATION, len ausschlaggebend sind. Angelehnt an vielfältige Erkennt- INNOVATIONSBEREITSCHAFT UND DIE NEUE nisse zur Schul- und Lernorganisation werden in ihnen die ROLLE VON LEHRKRÄFTEN AN GANZTAGS- Themen Schulentwicklung und Lernkultur, Leitungs- und SCHULEN“ (AB S. 24) Führungshandeln sowie Mitwirkung von Lehrkräften im Ganztag behandelt. Lehrkräfte stellen den größten Teil des schulischen Personals. Ihr Engagement und ihre Mitarbeit sind nicht nur im unter- richtlichen Bereich gefragt. Auch bei der Umsetzung und 1. ÜBERSICHT: (Weiter-)Entwicklung des Ganztagsbetriebs übernehmen sie eine wichtige Rolle. Die dritte Forschungsübersicht behan- „SCHULENTWICKLUNG UND LERNKULTUR AN delt ein Thema, zu dem es bislang vergleichsweise wenige GANZTAGSSCHULEN IN DEUTSCHLAND“ Forschungsarbeiten gibt: die Mitwirkung der Lehrkräfte bei (AB S. 8) der Konzeption, Durchführung und Weiterentwicklung der Ganztagsschule. Dabei handelt es sich um wichtige Bedin- Schulentwicklung ist ein andauernder und nie vollständig gungen für eine gelingende Ganztagsschulpraxis. Gerade die abgeschlossener Prozess, der die Umgestaltung einer Halb- Innovationsbereitschaft der Lehrkräfte kann zu Qualität und tagsschule hin zum Ganztag, aber auch die Weiterentwick- Breite der Ganztagsangebote beitragen. Jedoch fällt es man- lung von Ganztagsschulen begleitet. Alle am Umgestal- chen Lehrkräften schwer, den Nutzen der Ganztagsschule zu tungsprozess beteiligten Personen müssen sich mit Fragen erkennen. Die dritte Forschungsübersicht zeigt daher auch zur Lernkultur der Schule auseinandersetzen, um zu einem auf, unter welchen Bedingungen es gelingt, die Lehrkräfte stimmigen Ganztagsschulkonzept zu gelangen. Die erste von der Ganztagsschule zu begeistern. Forschungsübersicht beschreibt, wie die Umgestaltungs- prozesse ablaufen, wer an der Entwicklungsarbeit beteiligt ist und welche Ziele hinter der Schulentwicklungsarbeit stehen. THEMENBEREICH „ZUSAMMENARBEIT DES Sie erläutert, wie die Schulentwicklung zum Ganztag dadurch PERSONALS“ beeinflusst wird, dass Schulen systematische Verfahren der Zweifelsohne zählt die Zusammenarbeit der Lehrkräfte einer Qualitätsentwicklung anwenden oder externe Unterstützung Schule untereinander zu den Grundlagen einer erfolgreichen nutzen. Zuletzt stellt die erste Übersicht dar, wie die Ent- Lehr- und Lernkultur an den Schulen. An Ganztagsschulen wicklungsaktivitäten im Ganztag mit Diskussionen über die kommen allerdings weit mehr Berufsgruppen miteinander in Lernkultur der Schule einhergehen. Diese beziehen sich bei- Berührung – insbesondere, wenn der Ganztag gemeinsam spielsweise auf die Verknüpfung der außerunterrichtlichen mit außerschulischen Einrichtungen wie Horten oder Ver- Angebote mit dem Unterricht, auf flexible Zeitorganisation einen organisiert ist. Arbeiten mehr als zwei Berufsgruppen oder auf die individuelle Förderung von Schüler:innen. miteinander, die ihre Handlungen aufeinander abstimmen 5
und sich fachlich austauschen, spricht man von multipro- Auch wenn in der bildungspolitischen Diskussion über die fessioneller Kooperation. Die vierte und fünfte Forschungs- Ganztagsschule häufig der Betreuungsaspekt im Vorder- übersicht widmen sich den wissenschaftlichen Erkenntnissen grund steht, wird der Ganztagsschule insgesamt ein großes zur multiprofessionellen Zusammenarbeit von pädagogisch Potenzial zur Förderung fachlicher und fächerübergreifender tätigen Personen sowie zur Kooperation von Ganztagsschule Kompetenzen zugesprochen. Sie soll insbesondere Kindern und außerschulischen Organisationen. und Jugendlichen aus bildungsbenachteiligten Schichten erleichterte Zugänge und verbesserte Bildungschancen bie- ten. Die sechste Forschungsübersicht beschäftigt sich mit 4. ÜBERSICHT: den Wirkungen der Teilnahme am Ganztagsangebot auf die individuelle Entwicklung von Schüler:innen. „MULTIPROFESSIONELLE KOOPERATION“ (AB S. 30) 6. ÜBERSICHT: Eine enge Verzahnung von Ganztagsangeboten und Unter- richt gilt als eine der Grundlagen für erfolgreiche Lehr-Lern- „INDIVIDUELLE ENTWICKLUNG VON SCHÜ- Prozesse, schulische Inklusion und individuelle Förderung an LER:INNEN – WIRKSAMKEIT VON GANZTAGS- Ganztagsschulen. Notwendige Grundvoraussetzung für diese SCHULE IN DEUTSCHLAND“ (AB S. 46) Verzahnung ist der regelmäßige Austausch zwischen den Lehrkräften und dem für die Angebote zuständigen Perso- Die Frage, ob Ganztagsschulen „wirken“, ist leider nicht leicht nal an den Schulen. Die multiprofessionelle Zusammenarbeit zu beantworten. Schließlich unterscheiden sich nicht nur die stellt somit einen zentralen Schlüssel dar, um die Vorteile des Einzelschulen in der Ausgestaltung des Ganztags, sondern es erweiterten Zeitrahmens an Ganztagsschulen möglichst breit werden in den Bundesländern zum Teil auch unterschiedli- ausschöpfen zu können. Die vierte Forschungsübersicht che Vorgaben gemacht. Regionale Unterschiede unterstüt- umfasst verschiedene Bereiche des Zusammenwirkens unter- zen die beachtliche Vielfalt der Ganztagsschullandschaft. schiedlicher Beteiligter an Ganztagsschulen. Insbesondere Die meisten Schulen in Deutschland sind als offene Ganz- geht es um Formen der Kommunikation, Rollenverteilungen tagsschulen mit freiwilliger Teilnahme der Schüler:innen am und um gegenseitiges Vertrauen als Basis für Kooperation. Ganztag organisiert – so unterscheidet sich der Schulalltag Die Forschungsübersicht beschreibt die Bedingungen, unter von Ganztagsschüler:innen nicht zwangsläufig von dem der denen die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen an Kinder und Jugendlichen an Halbtagsschulen. Gerade in der Ganztagsschulen gelingen kann. Sekundarstufe I sind sich Ganztagsschulen untereinander nicht zwingend ähnlicher als Ganz- und Halbtagsschulen. Vergleiche zwischen Ganz- und Halbtagsschulen, beispiels- 5. ÜBERSICHT: weise in Bezug auf den Lernerfolg von Schüler:innen, sind aufgrund dieser Lage kaum möglich. Dennoch versucht die „AUSSERSCHULISCHE AKTEURE IM GANZTAG“ sechste Forschungsübersicht den spezifischen Mehrwert, (AB S. 37) den Ganztagsangebote für die teilnehmenden Schüler:in- nen haben können, herauszuarbeiten. Sie trägt Ergebnisse zu Für den Erhalt der Fördermittel aus dem IZBB-Programm Wirkungen der Ganztagsschule in den Bereichen Noten und galt die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern im Leistung, soziale Kompetenzen, Wohlbefinden, Motivation Ganztag als erwünscht. So hat mit dem Ausbau der Ganz- und Selbstkonzept zusammen. Dabei wird auf widersprüch- tagsschulen die Kooperation mit außerschulischen Einrich- liche Ergebnisse eingegangen und aufgezeigt, zu welchen tungen deutlich zugenommen. Von der Übernahme einer Fragen bislang keine oder nur einzelne Ergebnisse vorliegen. Trägerschaft im Ganztag, einer Zusammenarbeit mit Hor- ten bis hin zur reinen Angebotsdurchführung durch außer- schulische Partner ist die Kooperationslandschaft allerdings HERANGEHENSWEISE ZUR AUSWAHL DER sehr vielfältig. Die fünfte Forschungsübersicht benennt STUDIEN FÜR DIE FORSCHUNGSÜBERSICHTEN Ziele der Zusammenarbeit, die Formen der Ausgestaltung der Kooperationsbeziehung und die Gelingensbedingungen Die vorliegenden Forschungsübersichten beziehen sich auf der Zusammenarbeit zwischen Schule und außerschulischer veröffentlichte Ergebnisse aus Forschungsprojekten und Einrichtung. Hierbei gilt es zu beachten, um welche Art von Studien, die seit Beginn des IZBB an deutschen Ganztags- Kooperationspartner, um welche Kooperationsform und um schulen bis zum Abschluss der StEG-Forschung Ende 2019 welche Schulform es sich handelt. Denn je nach der spezi- durchgeführt wurden. Dabei gilt es zu beachten, dass aus fischen Situation vor Ort müssen nicht alle Gelingensbedin- einem Forschungsprojekt mehrere Einzelstudien und somit gungen gleichermaßen wichtig sein. Veröffentlichungen hervorgehen können. Alle sechs For- schungsübersichten zeichnet bei der Auswahl der Studien eine systematische Herangehensweise aus. Ausgehend von THEMENBEREICH „INDIVIDUELLE ENTWICK- einem oder mehreren Schlagwörtern wurden in den wich- LUNG VON SCHÜLER:INNEN“ tigsten Forschungsdatenbanken in der Erziehungswissen- Schlüsselkompetenzen wie Lernmotivation, soziale und schaft, der Soziologie und der Psychologie jene Veröffent- demokratische Kompetenzen sind Voraussetzungen für lichungen ausfindig gemacht, die sich mit dem jeweiligen einen erfolgreichen Übergang in das Erwachsenenleben und Thema der Forschungsübersicht beschäftigen. die Bewältigung künftiger Lebens- und Berufssituationen. 6
WAS UNTERSCHEIDET QUANTITATIVE Ein Bezug zum Ganztag stellte dabei das zentralste Kriterium UND QUALITATIVE STUDIEN? für die Aufnahme einer Studie in eine Forschungsübersicht dar. Weiter spielte die Qualität des Forschungsdesigns und der Datenanalyse eine wichtige Rolle. Dies beinhaltet unter ▶ In quantitativen Studien erhalten die Befragten meist anderem, dass die für die Studie an den Ganztagsschulen in Form von Fragebogen vorgegebene Listen mit Aus- gewonnenen Daten einen gewissen Grad an Repräsentativi- sagen und Antwortmöglichkeiten, denen sie mehr oder tät für andere Ganztagsschulen der Zielgruppe erfüllen und weniger zustimmen können. Dadurch kann man sehr dass die Auswertung dieser Daten aktuell gültigen wissen- viele Personen gleichzeitig befragen und ihre Angaben schaftlichen Standards genügt. gut miteinander vergleichen. Es kann aber passieren, dass die vorgegebenen Antworten nicht genau so Die vorliegenden Forschungsübersichten berücksichtigen formuliert sind, wie es die befragte Person selbst aus- Studien, deren Erkenntnisse auf querschnittlichen oder gedrückt hätte. längsschnittlichen Daten beruhen. Diese Daten unterschei- den sich im Hinblick auf die Messzeitpunkte einer Studie ▶ In qualitativen Studien können die Befragten bei- sowie die Auswahl der Stichprobe. Ebenso sind in die Über- spielsweise in Form eines persönlichen Interviews sichten Studien einbezogen, deren Daten mit quantitativen eigene Formulierungen verwenden und Prioritäten set- oder qualitativen Forschungsdesigns gewonnen wurden. zen. Auch Beobachtungen vor Ort oder Dokumenten- Hierbei handelt es sich um unterschiedliche methodische analysen zählen zu qualitativen Forschungsansätzen. Zugänge in der Bildungsforschung, die ausgehend vom jewei- Diese Art von Forschung kann helfen, Forschungs- ligen Ziel einer Untersuchung ausgewählt werden. Sie unter- lücken aufzudecken, Sachverhalte neu zu gewichten scheiden sich unter anderem im Hinblick auf die Form der oder Erklärungen für gewisse Sachverhalte zu finden. Datenerhebung, die Zahl der untersuchten Personen und die Durch die verhältnismäßig kleine Zahl von befragten Allgemeingültigkeit der Ergebnisse. Die Analysemöglichkei- oder beobachteten Personen stehen die Ergebnisse ten der Daten sind bei allen genannten Herangehensweisen für eine sehr spezifische Gruppe und können schwer so vielfältig, dass weder an dieser Stelle noch in den For- verallgemeinert werden. schungsübersichten explizit auf die Auswertungsmethoden einzelner Studien eingegangen werden kann. ▶ Bei Studien mit Mixed-Methods-Ansatz werden sowohl quantitative als auch qualitative Forschungs- Es ist möglich, dass es Studien und Projekte gibt, die eines strategien eingesetzt. der hier behandelten Themen untersucht haben, aber trotz- dem nicht Einzug in die entsprechende Forschungsübersicht gefunden haben. Dies lässt sich durch die spezifische Recher- che mittels Schlagwörtern erklären, die letztlich dafür aus- schlaggebend waren, ob eine Studie überhaupt aufgefunden werden konnte. In anderen Worten: Mindestens eines der für Die genutzten Schlagwörter und die Vorgehensweise bei der eine Forschungsübersicht gewählten Schlagwörter musste Auswahl der Veröffentlichungen werden jeweils in den ein- exakt mit mindestens einem Schlagwort übereinstimmen, zelnen Übersichten erläutert. das die Studienautor:innen für die Eingabe ihrer Veröffent- lichung in die Forschungsdatenbank gewählt hatten. ZENTRALE PROJEKTE FÜR DIE FORSCHUNGS- ÜBERSICHTEN WAS UNTERSCHEIDET QUERSCHNITT- LICHE UND LÄNGSSCHNITTLICHE Die systematische Herangehensweise bei der Literatur- STUDIEN? recherche für die Forschungsübersichten führte zur Auf- nahme zahlreicher Studien bzw. Projekte in die vorliegende Broschüre. Dabei stellten sich einzelne Forschungsprojekte ▶ Bei einer Querschnittstudie wird eine Erhebung ein- als inhaltlich besonders relevant oder methodisch sehr reprä- malig durchgeführt. Die Daten liefern dementspre- sentativ heraus. Dadurch kann es vorkommen, dass eine oder chend eine Momentaufnahme, mit der Zusammen- mehrere Forschungsübersichten ein ganz bestimmtes Pro- hänge zwischen verschiedenen Merkmalen untersucht jekt besonders häufig zitieren, andere Projekte dahingegen werden können. nur ein einziges Mal als Referenz aufgeführt sind. ▶ Bei einer Längsschnittstudie finden mehrmals hinter- Die Forschungsübersichten zeigen: Es gibt zahlreiche For- einander Datenerhebungen statt. Dadurch lassen schungsprojekte, die sich durch mehrfache und lang jährige sich Entwicklungen und Veränderungen über den Erhebungen, eine große Breite an Teilnehmenden oder ein Erhebungszeitraum feststellen. Werden die gleichen besonders hochwertiges Forschungsdesign auszeichnen. Personen mehrfach befragt, spricht man von einer Eine Tabelle am Ende dieser Broschüre (S. 59) bietet einen Panelstudie. Ändern sich die Befragten mit jedem Überblick über jene Projekte, deren Veröffentlichungen Messzeitpunkt, spricht man von einer Trendstudie. einen besonders zentralen Beitrag zu einem oder mehreren Themen der hier präsentierten Forschungsübersichten gelie- fert haben. 7
KAPITEL 1
SCHULENTWICKLUNG UND LERNKULTUR AN GANZTAGSSCHULEN IN DEUTSCHLAND Johanna M. Gaiser (Justus-Liebig-Universität Gießen) Der Themenbereich Schulentwicklung und Lernkultur bezieht sich auf die Frage, welche Aspekte es beim Ausbau und der Weiterentwicklung einer Ganztagsschule zu beachten gilt und wie diese Aspekte mit der Diskussion über die sogenannte neue Lernkultur zusammenhängen. An der Justus-Liebig-Universität Gießen wurde hierzu eine systematische Literaturre- cherche bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse durchgeführt. Im Folgenden werden diese Forschungsergebnisse gebün- delt vorgestellt. Mit dem Start des Investitionsprogramms „Zukunft Bildung Aus Forschung und Praxis wissen wir bereits, dass dabei jede und Betreuung“ (IZBB) im Jahr 2003 nahm der Ausbau der Schule ihren eigenen Weg geht, überall aber ähnliche Pro- ganztägigen Bildung in Deutschland rasant Fahrt auf. Für die zesse in Gang gebracht werden. zahlreichen Schulen, die sich seither auf den Weg gemacht haben, ein ganztägiges Angebot auf- bzw. auszubauen, war Zweitens ist Schulentwicklung als Prozess nie wirklich abge- das mit vielfältigen Veränderungen in der Schulorganisation schlossen. Schule ist genauso wie die Gesellschaft, in der sie verbunden. Zeitstrukturen mussten geändert, Baumaßnah- ihren Platz hat, stets im Wandel. Die Qualität von Lehren men unternommen, zusätzliche Mitarbeiter:innen eingestellt und Lernen sollte jederzeit gesichert und weiterentwickelt und neue Lehr-Lern- und Betreuungskonzepte entwickelt werden. Wie laufen Veränderungsprozesse an Schulen ab, werden. Kurz: Ganztagsschulentwicklung wurde eine zent- die bereits längere Zeit ganztägig arbeiten? Was passiert, rale Aufgabe, um den Wandel von der Halbtags- zur Ganz- wenn sie beispielsweise ihr Ganztagsangebot ausbauen oder tagsschule zu bewältigen. Damit einher ging auch die Dis- von einem offenen Ganztagsmodell zu einem gebundenen kussion über eine potenziell neue Lernkultur an Ganztags- gelangen möchten? Welche unterschiedlichen Aspekte sind schulen, die durch das Mehr an Zeit möglich wird und die den für diese Umgestaltungen relevant? Neben Organisation, individuellen Bedürfnissen und Interessen der Schüler:innen Personal und Unterricht gewinnen an Ganztagsschulen dabei gerecht werden soll. besonders die außerunterrichtlichen Angebote und die Lern- kultur an Bedeutung. ZENTRALE FRAGEN DER FORSCHUNGS Drittens wird in der Diskussion über den Ausbau ganztägi- ÜBERSICHT ger Bildung vielfach von der sogenannten neuen Lernkultur gesprochen. Sie wird als Entwicklungspotenzial und damit Drei Aspekte sind für den Themenbereich Schulentwicklung auch als Hoffnungsträger für einen Wandel des Lernens in und Lernkultur von zentraler Bedeutung. Erstens ist ein Ganztagsschulen betrachtet. Wichtig ist: Die neue Lernkul- Großteil der allgemeinbildenden Schulen von dem Wan- tur sollte über den reinen Betreuungsaspekt oder die einfa- del hin zu mehr ganztägiger Bildung betroffen. Schulen, die che Verlängerung des Schulunterrichts hinausgehen. Doch einen solchen Wandel erleben, stellen sich viele Fragen: Wie zeigt sich der gewünschte Wandel in der Lernkultur über- geht die Umgestaltung von der Halbtags- zur Ganztags- haupt – und wenn ja, wie genau? schule vonstatten? Welche Faktoren können Hürden dar- stellen? Welche sind für den Wandel förderlich? METHODISCHES VORGEHEN m einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse zu den hier aufgeworfenen Fragen zu bekommen, wurde eineLite- U raturrecherche für den Zeitraum 2005–2020 nach folgenden Kriterien durchgeführt: ▶ Schlagworte: Schulentwicklung, Lernkultur Die gesichteten Studien wurden eingehend auf ihre Qualität geprüft. Ausgeschlossen wurden Studien, bei denen folgende Kriterien zutrafen: ▶ fehlende empirische Nachvollziehbarkeit (zum Beispiel Forschungsvorgehen unklar, keine gesicherten Ergebnisse); ▶ kein Ganztagsbezug; ▶ inhaltliche Schwerpunkte zu Kooperation (siehe hierzu Kielblock & Rinck in dieser Broschüre) und Leitung/Steu- erung (siehe hierzu Pfaff und Brücher in dieser Broschüre). Insgesamt wurden 34 empirische Untersuchungen einbezogen. 43 Prozent davon stellten Fragebogenstudien dar, 49 Prozent nutzten qualitative Erhebungsmethoden (etwa Interviews) und die übrigen kombinierten beide Herangehens- weisen. 9
BEFUNDE ZUR SCHULENTWICKLUNG Weitere pädagogisch Tätige, Eltern und Schüler:innen sind deutlich seltener beteiligt (an maximal 53 bzw. 51 Prozent der DER ABLAUF VON UMGESTALTUNGSPROZESSEN Schulen)6. Zudem wurde bei systematischen Beobachtungen Umgestaltungsprozesse von Halbtags- zu Ganztagsschulen in der Praxis festgestellt, dass die Reaktionen von Lehrkräf- sind vielfältig. Nötig sind zahlreiche Einzelschritte. Die betei- ten auf Veränderungsprozesse und die Beteiligung an diesen ligten Akteur:innen führen dabei unterschiedliche Motive durchaus ambivalent sein können7. Durch Schulentwick- und Auslöser für den gewünschten Wandel auf, die entweder lungsarbeit wird es möglich, Routinen in der pädagogischen eher auf internen Überzeugungen und Entwicklungszielen Arbeit aufzubrechen7 und Neuerungen, beispielsweise eine oder auf externen Impulsen wie politischen Beschlüssen oder in den Vormittag integrierte Lernzeit, einzuführen8. Aus Schulevaluationen beruhen1, 2, 3. Bei der konkreten Umset- Sicht der Forschung ist aber mit Widerständen vonseiten der zung des Wandels zum Ganztag kommen unterschiedliche Beteiligten zu rechnen, da pädagogische Überzeugungen, Strategien zum Einsatz: Der Wandel kann in kleinen Schrit- Zuständigkeiten und Rollen geklärt bzw. neu ausgehandelt ten über einen längeren Zeitraum vollzogen werden oder werden müssen7. möglichst schnell. In beiden Varianten kommen unterschied- liche Vor- und Nachteile zum Tragen. So kann beispielsweise MASSNAHMEN UND ZIELE DER SCHULENTWICK- ein Wandel in kleinen Schritten darauf abzielen, möglichst LUNGSARBEIT viele Personen aus dem Kollegium für die Veränderungen zu Am häufigsten setzen Schulleitungen interne Evaluationen gewinnen und damit im Team großen Rückhalt für die Vorha- oder Arbeitsgruppen zur Weiterentwicklung des Ganztags ben zu erreichen. Allerdings kann diese Strategie auch dazu ein. Auch eine Veränderung der Schulorganisation wird führen, dass neue und alte Strukturen eine Zeit lang paral- häufig umgesetzt. Am seltensten Teil der Schulentwick- lel laufen und mit weiteren Schritten nachgesteuert werden lungsarbeit ist die Erarbeitung von – mit dem Curriculum muss4. verknüpften – außerunterrichtlichen Angeboten6. Aus qua- litativen Studien ist bekannt, dass sich Neuerungen, die von Die Nachhaltigkeit des Entwicklungsprozesses scheint wie- außen an die Schulen herangetragen werden, nicht ‚einfach derum von dessen Dauer abzuhängen. So zeigt eine Unter- so‘ umsetzen lassen. Vielmehr werden sie von den beteilig- suchung, die über mehrere Jahre hinweg Fragebogendaten ten Personen für die spezifische Ausgangslage an der Schule an Ganztagsschulen erhoben hat, dass eine lang jährige aktive ‚übersetzt‘ und entsprechend angepasst9, 10. Schulentwicklung die Verbesserung zentraler Qualitätsbe- reiche fördern kann (zum Beispiel die Aktivierung des Leh- BEDINGUNGEN FÜR EINE ERFOLGREICHE rerkollegiums oder die Qualität des erweiterten Bildungsan- SCHULENTWICKLUNG gebots)5. Zeitlich begrenzte Schulentwicklungsarbeit führt Die Forschung hat eine Reihe von Gelingensbedingungen dahingegen nicht automatisch zu einer nachhaltigen Weiter- zutage gebracht, die für erfolgreiche Schulentwicklungsar- entwicklung des Ganztags5. beit eine wichtige Rolle spielen. Zwei Aspekte werden jedoch in mehreren Studien zum Thema gemacht und könnten sich AN DER ENTWICKLUNGSARBEIT BETEILIGTE somit als besonders relevant erweisen. Erstens sollten – auch UND IHR UMGANG MIT DEM WANDEL im Sinne einer demokratischen Schulführung – nach Mög- Die Schulleitung spielt als aktive und steuernde Instanz eine lichkeit alle Beteiligten in die Schulentwicklungsarbeit einbe- zentrale Rolle beim Auf- und Ausbau des Ganztags4 – nicht zogen werden. Zweitens sind ein grundsätzliches Problembe- zuletzt auch dadurch, dass sie ohnehin in nahezu alle Schul- wusstsein und eine Innovationsbereitschaft aller Beteiligten entwicklungsprozesse eingebunden ist6. Daneben sind je zentrale Voraussetzungen für das Gelingen von Umgestal- nach Schulform an den meisten Schulen Lehrkräfte in die tungsprozessen. Ohne die Bereitschaft und die Motivation Schulentwicklungsarbeit miteinbezogen (an 77–85 Prozent der ausführenden Praktiker:innen können Widerstände der Schulen)6. immer wieder zu Reibungen im Prozess führen. DEFINITION: SCHULENTWICKLUNG ▶ Unter Schulentwicklung werden aktiv initiierte, zielgerichtete Prozesse von Schulen verstanden, die einen Wandel mit sich bringen sollen. Allgemeine Entwicklungen wie Veränderungen im Schulgeschehen, die beiläufig zustande kommen, werden in dieser Übersicht nicht berücksichtigt. 10
TIPPS FÜR EINE ERFOLGREICHE SCHULENTWICKLUNGSARBEIT ▶ Wandel gut vorbereiten (zum Beispiel Vorgespräche führen), mit den Beteiligten transparent kommunizieren3, 11 ▶ möglichst viele Beteiligte auf Augenhöhe in die Schulentwicklungsarbeit einbeziehen8, 10, 12, 13 ▶ für ausreichende Ressourcen sorgen12 ▶ positives Klima im Team fördern12 ▶ realistische Ziele setzen9, 10, 14 ▶ Nachjustieren von Einzelschritten und Zielen ermöglichen8 ▶ Entwicklungsprozess reflektieren, um Professionalität zu fördern11 ▶ Konkurrenzsituationen und Konflikte, zum Beispiel zwischen unterschiedlichen Berufsgruppen, auflösen13 ▶ Veränderungen strukturell absichern, zum Beispiel durch eine Steuergruppe10 ▶ regelmäßige interne und externe Evaluationen durchführen, zum Beispiel durch Elternbefragung oder Schul entwicklungsberater:innen9 ▶ Unterstützungssysteme nutzen, gegebenenfalls auch Begleitforschung10 ▶ Schulentwicklung als dauerhaften Prozess anlegen13 BEFUNDE ZUR LERNKULTUR VERÄNDERUNG DER LERNKULTUR AN GANZ- Andere Untersuchungen zeigen jedoch, dass sich die Lern- TAGSSCHULEN kultur in Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten Mehrere Studien haben die Veränderung der Lernkultur an oft nur wenig unterscheidet. Im Hinblick auf den Unterricht Ganztagsschulen untersucht. Aus deutschlandweiten Fra- führt das ‚Mehr an Zeit‘ an Ganztagsschulen häufig vor allem gebogenerhebungen ist bekannt, dass sich ein Großteil der zu einem ‚Mehr desselben‘2, 23. Zudem laufen Angebote oft- Schulen die Erweiterung der Lernkultur als ein Ziel für den mals weiterhin zentriert auf die Lehrperson ab24. Ähnlich wie Ganztag setzt. Allerdings hat der Anteil der Schulleitungen, im Unterricht bestehen aus Sicht der Schüler:innen daher die das in solchen Erhebungen angeben, in den vergangenen wenig Möglichkeiten für Partizipation und auch in Bezug auf Jahren deutlich abgenommen6, 15. Neben dem Unterricht die Inhalte fühlen sie sich wenig einbezogen25. sind die außerunterrichtlichen Angebote dabei ein zentraler Bereich, in dem eine neue Lernkultur zum Tragen kommen Eine neue Lernkultur kann außerdem durch die inhalt- kann. Diese Angebote finden sich grundsätzlich in vielen liche Verzahnung von Unterricht und Angeboten her- Formen und in einer großen Breite an Ganztagsschulen1, 16, 17. gestellt werden. Auch hier hat die Forschung zahlreiche Qualität, Dauer und Häufigkeit der Angebotsdurchführung Gelingensbedingungen herausgearbeitet5, 12, 26. Zwar gibt können hierbei stark variieren18, 19, 20, 21 und wirken sich damit es bereits unterschiedliche Ansätze einer solchen Ver- auch ganz unterschiedlich auf die Lernkultur aus. Durch eine zahnung, etwa eine Verknüpfung von Unterricht und Frei- klare Zielorientierung im Ganztag lässt sich die Angebots- zeit- bzw. Förderangeboten oder von Unterricht und Haus- qualität aber durchaus steigern14. aufgabenbetreuungen26. Dennoch belegt die Forschung, dass die Verzahnung noch deutlich ausbaubar ist5, 12, 27. WEGE HIN ZU EINER NEUEN LERNKULTUR Eine neue Lernkultur kann sich auch in der erfolgreichen Aktivierung der Schüler:innen zeigen. Eine Fallstudie konnte Hinweise dafür liefern, dass Angebote von den Schüler:in- nen besonders dann aktivierend wahrgenommen werden, wenn sie ein Kontrastprogramm zum Unterricht bieten und beispielsweise anderes Personal, andere Themen oder neue Methoden eingesetzt werden. Wie die Studie zeigt, ist das sogar in eher unterrichtsnahen Angeboten, zum Beispiel Hausaufgabenangeboten, umsetzbar22. 11
FOLGEN EINER NEUEN LERNKULTUR ZUSAMMENFASSUNG Ein Aspekt, den die Erweiterung der Lernkultur mit sich bringen kann, ist die individuelle Förderung von Schüler:in- Fasst man die bisherigen Erkenntnisse zu Schulentwick- nen. Sie ist in den vergangenen Jahren zunehmend in den lung und Lernkultur zusammen, so zeigt sich, dass es bei der Blick gerückt und wird von den Schulen angestrebt28, 29, 30, 31. Umsetzung von Veränderungsprozessen vieles zu bedenken Bei Förder- und Hausaufgabenangeboten geht es allerdings gilt, wenn alle an einem Strang ziehen sollen. Eine klare und häufig eher um ein Abarbeiten von Aufgaben; eine intensive belastbare Erkenntnis ist, dass unterschiedliche Maßnahmen individuelle Zuwendung für Schüler:innen findet sich eher in und Methoden der Schulentwicklung auch unterschiedlich Kleingruppen oder nachhilfeähnlichen Settings32. Schließlich häufig zum Einsatz kommen. Wenn sie von außen an die zeigen mehrere Untersuchungen, dass sich durch den Aus- Schulen herangetragen werden, werden sie von der Praxis bau der Ganztagsschule die Grenzen zwischen Schule und an die jeweiligen Bedingungen vor Ort angepasst. Die For- Familie verschieben können. So können im Ganztag bei- schung hat zahlreiche Gelingensbedingungen für ganztags- spielsweise engere persönliche Beziehungen zwischen Schü- schulische Schulentwicklungsprozesse abgeleitet, die auch ler:innen und Schulpersonal entstehen, die ihrerseits wiede- zukünftige Vorhaben in der Praxis anleiten können (siehe die rum Voraussetzung für individuelle Förderung sind. Darüber Tipps im Kasten). Besonders wichtig für das Gelingen von hinaus kann der Ganztag auch die Zunahme von selbstständi- Transformationen scheint die Einbeziehung möglichst vieler gem und selbstverantwortlichem Lernen ermöglichen2, 7, 33, 34 bzw. aller Beteiligten zu sein, die vom Wandel betroffen sind. und erweitert dadurch das inhaltliche und methodische Daneben ist es förderlich, bei den Beteiligten zunächst für Repertoire des Unterrichts. Grundvoraussetzungen wie Bereitschaft und Motivation für Veränderungen zu sorgen. DEFINITION: LERNKULTUR Hinsichtlich der Lernkultur fallen die Ergebnisse eher zurückhaltend aus. Veränderungen zeigen sich zwar, jedoch nicht wie erwartet in der Breite und nur in spezifischen ▶ Mit dem Ausbau der Ganztagsschule kam auch die Bereichen. Insgesamt ähneln sich Unterricht und Angebote Forderung nach einer Erweiterung bzw. Erneuerung hinsichtlich der eingesetzten Lehr-Lern-Konzepte oft sehr der Lernkultur auf. Hinter der sogenannten neuen und werden der geforderten Erweiterung der Lernkultur Lernkultur verbergen sich verschiedene Erwartungen noch nicht immer gerecht. Auch die inhaltliche Verzahnung an das Lehren und Lernen in Unterricht und Angebo- von Unterricht und Angeboten bleibt eine Aufgabe, die es ten: Unter anderem sollen selbstständiges und selbst- durch systematische Schulentwicklungsarbeit zu bearbeiten verantwortliches Lernen gestärkt (Stichwort: Lernbe- gilt. Wichtige Voraussetzung hierfür ist eine gute Koopera- gleiter), Unterricht und Angebote zeitlich umgestaltet tion zwischen den verschiedenen Professionen an Ganztags- (Stichwort: Rhythmisierung) und miteinander ver- schulen. knüpft (Stichwort: Verzahnung) sowie die individuellen Bedürfnisse und Interessen der Schüler:innen stärker berücksichtigt werden (Stichwort: individuelle Förde- rung und Lebensweltorientierung). 12
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KAPITEL 2
LEITUNG UND STEUERUNG IM GANZTAG Katrin Pfaff & Lisa Brücher (TU Dortmund, Institut für Schulentwicklungsforschung) Die Forschungsübersicht zur Leitung und Steuerung im Ganztag gibt einen Überblick darüber, wer hauptsächlich für die Koordination des Ganztags zuständig ist und welche Aufgaben durch die leitende(n) Person(en) übernommen werden. Außerdem wird die Qualität des Leitungshandelns und dessen Wirkungen auf andere ganztagsschulspezifische Bereiche in den Blick genommen. Hierzu wurde von den Autorinnen eine systematische Literaturrecherche durchgeführt, auf deren Basis handlungsleitende Empfehlungen für die Koordination des Ganztags ausgesprochen werden. In (inter-)nationalen Forschungsdiskussionen wie auch in der Die Forschungsliteratur zum Leitungshandeln an Ganztags- schulischen Praxis ist es mittlerweile Konsens, dass Schullei- schulen lässt sich thematisch in vier Unterpunkte gliedern: tungen bei der Umsetzung von bildungspolitischen Reformen sowie Maßnahmen zur Qualitätssicherung an Einzelschulen ▶ Leitung und Steuerung des Ganztags: Wer koordi- eine Schlüsselrolle einnehmen. Durch den stetigen Aus- niert hauptsächlich den Ganztagsbetrieb an Schulen? bau der Ganztagsschulen in Deutschland rückt somit auch die Leitung und Steuerung durch Schulleitungspersonen an ▶ Leitungstätigkeiten und -umfang: Welche Aufgaben ganztägig organisierten Schulen in den Vordergrund. Laut fallen in das Handlungsspektrum einer Schulleitung der Kultusministerkonferenz (KMK) wird das Ganztagsange- oder Ganztagskoordination an Ganztagsschulen, bot unter (Mit-)Verantwortung der Schulleitung organisiert vor allem welche neuen Aufgaben ergeben sich im und in enger Kooperation mit der Schulleitung durchgeführt. Gegensatz zur Halbtagsschule? Bedeuten diese Auf- Insgesamt liegen jedoch kaum wissenschaftliche Befunde gaben auch ein Mehr an zeitlicher Belastung? zur innerschulischen Leitung von Ganztagsschulen und zur ganztagsbezogenen Steuerung vor. Die in diesem Bei- ▶ Führungsverhalten der Schulleitung: Wie gehen trag dargelegten Erkenntnisse und Empfehlungen basieren Schulleitungen bei Führungsaufgaben vor? daher auf vereinzelten empirischen Ergebnissen. Ziel dieser Übersicht ist es, aufzuzeigen, wie der Ganztag an Schulen ▶ Wirkungen des Leitungshandelns: Wie wirkt sich das in Deutschland koordiniert wird, welche Führungsaufga- Agieren der Schulleitung auf weitere Bereiche der ben das Leitungspersonal übernehmen muss und welche für Ganztagsschulqualität aus? die Schulqualität relevanten Aspekte das Führungshandeln beeinflusst. Diese Aspekte werden im Folgenden gesondert betrach- tet und die Forschungsbefunde zu den einzelnen Punkten dargelegt. Darüber hinaus werden abschließend Qualitäts- aspekte erfolgreichen Leitungshandelns zusammengefasst, förderliche Rahmenbedingungen aufgelistet und Koopera- tionsmuster aufgezeigt, die sich bereits als hilfreich für die Koordination des Ganztags bewährt haben. METHODISCHES VORGEHEN ▶ Suchverfahren: Erste Suche anhand der Schlagwörter Ganztag in Verbindung mit Schulleitung, Koordination, Steuergruppe, Führung oder Leitung in mehreren Online-Datenbanken. Erweiterte Suche anhand des Schneeball- prinzips sowie auf Basis von Tipps von Expert:innen. ▶ Ausschlussverfahren: Es wurde im Sinne eines narrativen Reviews vorgegangen. Es wurden nur Arbeiten einbezo- gen, die inhaltlich den Fokus auf Schulleitungshandeln an Ganztagsschulen in Deutschland legen oder dieses als einen Aspekt thematisieren und Ergebnisse hierzu präsentieren. Theoretische Arbeiten und Praxisberichte wurden aufgrund der Kürze des Beitrags nicht explizit berücksichtigt. ▶ Zeitraum der in die Forschungsübersicht einbezogenen Publikationen: 2004-2021 ▶ Anzahl der ausgewerteten Quellen: 26 Veröffentlichungen aus 9 Forschungsprojekten, davon 57,7 Prozent quanti- tativ, 34,6 Prozent qualitativ, 7,7 Prozent Mixed-Methods-Ansätze. 16
LEITUNG UND STEUERUNG DES GANZTAGS Schulleitung und Ganztagskoordination8, 9, 10. Dabei ist die Schulleitung vor allem für die Entwicklung von Konzepten Die Organisation des Ganztagsbetriebs fällt laut KMK in den und die übergreifende Steuerung zuständig und die Ganz- Verantwortungsbereich der Schulleitung. Jedoch zeigt sich, tagskoordination kümmert sich eher um die alltägliche dass in der schulischen Realität teilweise auch andere Perso- Organisation des Ganztagsbetriebs10. Diese Aufgabenteilung nen oder Personengruppen mit dieser Aufgabe betraut sein ist jedoch bisher noch nicht tiefgehender überprüft worden. können. Hier bräuchte es weiterführende Forschungen, die unter- suchen, wie die Aufgabenteilung in den einzelnen Schulen Trotz der uneinheitlichen Forschungslage sowie nur beding- tatsächlich gestaltet ist und wer welche (organisatorischen) ter Vergleichbarkeit der Ergebnisse der ausgewerteten Stu- Aufgaben übernimmt. Im Folgenden werden daher einzelne dien kann festgehalten werden, dass die Schulleitung durch- Befunde zu ganztagsschulspezifischen Aufgaben zusam- weg die wichtigste Instanz bei der Steuerung des Ganztags mengefasst, die in den Verantwortungsbereich der Schullei- darstellt, da sie in allen Befragungen am häufigsten genannt tung fallen oder von einer Ganztagskoordination übernom- wurde1, 2, 3, 4, 5: men werden (können): Weitere häufig anzutreffende Steuerungsinstanzen sind ▶ der Aufbau und die Koordinierung der Zusammen- ▶ einzelne Lehrkräfte6, 3, arbeit des beteiligten Personals11, 12, ▶ einzelne pädagogische Kräfte6, ▶ die Bereitstellung struktureller (zeitlicher und ▶ Vertreter:innen des Ganztagsträgers6, 4, sachlicher) Rahmenbedingungen9, zum Beispiel die ▶ didaktische1, 3 bzw. Fachbereichsleitungen1, Festlegung von Kooperationszeiten oder der Mittel- ▶ die Steuergruppe3, 5 oder bewirtschaftung3, 12, 13, ▶ ein spezielles Ganztags-3, 5 oder Koordinations ▶ die Förderung der Partizipation von Lehr- und Fach- gremium6. kräften9, 10, ▶ die Überzeugung von Kritiker:innen und die Steige- Es kann auch vorkommen, dass mehrere der genannten Per- rung der Akzeptanz im Kollegium, vor allem bei der sonen(gruppen) an der Steuerung beteiligt sind und somit als Implementation des Ganztags3, 12, 14, erweiterte Schulleitung fungieren. Im Trend zeigt sich: Die ▶ das Qualitätsmanagement: Evaluation und Bericht- Bedeutung der Steuergruppe als Steuerungsinstanz nimmt erstattung8, schulformübergreifend über die Zeit ab. Auch Schulform- ▶ die Mitarbeit in Koordinationsgremien wie der unterschiede sind erkennbar: An Gymnasien wird die Steue- Steuergruppe3, 10, rung tendenziell delegiert, an Grundschulen hingegen wird ▶ die (Weiter-)Entwicklung sowie Evaluation der Ange- sie über die Jahre hinweg wieder öfter von der Schulleitung botsstruktur8, 10, selbst ausgeführt5. ▶ die Kooperation mit externen Partner:innen11, 15, 16 und die Vernetzung mit anderen Ganztagsschulen in Zudem kann festgehalten werden, dass vor allem die Schul- Netzwerken10, größe entscheidend für die Art der Steuerung des Ganz- ▶ die Herstellung eines symbolischen Orientierungs- tagsbetriebs ist1, 2. Je mehr Schüler:innen eine Schule hat, rahmens durch die Entwicklung eines Leitbildes oder desto seltener liegt die Koordination des Ganztagsbereichs Konzepts und die Formulierung von Zielen für den bei der Schulleitung1. An größeren Schulen sind dafür eher Ganztag8, 9, 10, 13, die pädagogische bzw. didaktische Leitung, Fachbereichslei- ▶ die Unterstützung der Ganztagskoordination durch tungen oder einzelne Lehrkräfte als Leitungspersonen tätig. die Schulleitung bzw. die Kooperation der Ganztags- Dies deutet darauf hin, dass an größeren Schulen mit kom- koordination mit der Schulleitung9 und plexeren Anforderungen die Koordination des Ganztags ganz ▶ die Beratung von Eltern, Lehrkräften und Schüler:in- oder teilweise von der Schulleitung abgegeben wird1. Neben nen8. der Schulleitung als wichtigste Steuerungsinstanz wird auch häufig der Begriff Ganztagskoordination erwähnt. Diese Funktion können laut einer Befragung von sechs Schulen Die Befunde einer bundesweiten Erhebung zeigen, dass die unterschiedlichste Personen übernehmen, zum Beispiel eine Schulleitung bzw. die erweiterte Schulleitung schulform- einzelne Lehrkraft, ein Team aus Lehrkräften (mit Funktions- übergreifend an Ganztagsschulen nahezu immer an Schul- stelle) oder ein:e diplompädagogische Fachkraft8. Insgesamt entwicklungsprozessen beteiligt ist5. Sie ist somit Steue- findet sich also eine bunte Mischung an Koordinationsmo- rungsorgan und Verantwortungsträger11, insbesondere bei dellen7. wichtigen strukturellen Veränderungen wie der Einführung des Ganztags oder dem Ausbau zu einem gebundenen Ganz- tagsmodell. Der Schulleitung kommt im Ganztag dem- LEITUNGSTÄTIGKEITEN UND -UMFANG entsprechend eine koordinierende Rolle als Impuls- bzw. Ideengeber:in sowie eine Initiativ- und Vorbildfunktion Der Frage nach der Person(-engruppe), die den Ganztag zu11. Diese herausgehobene Stellung verstärkt sich vor dem steuert, schließt sich die Frage an, welche konkreten Auf- Hintergrund, dass Schulen durch strukturelle Reformen als gaben die koordinierenden Personen übernehmen müssen Organisationen immer selbstständiger werden, da der Schule und welche Rolle sie innerhalb der Schule einnehmen. Einige und damit der Schulleitung zunehmend mehr Gestaltungs- Veröffentlichungen unterscheiden diesbezüglich zwischen autonomie zukommt, zum Beispiel in der Personalauswahl10 17
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