NICHT AUF DEM BODEN DES GRUNDGESETZES - WARUM DIE AFD ALS RASSISTISCHE UND RECHTSEXTREME PARTEI EINZUORDNEN IST
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Analyse Nicht auf dem Boden des Grundgesetzes Warum die AfD als rassistische und rechtsextreme Partei einzuordnen ist Hendrik Cremer
Das Institut Der Autor Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist die Dr. iur. Hendrik Cremer ist wissenschaftlicher Mitar- unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution beiter des Deutschen Instituts für Menschenrechte; Deutschlands. Es ist gemäß den Pariser Prinzipien er arbeitet zu den Themen Recht auf Asyl, Rechte in der Vereinten Nationen akkreditiert (A-Status). Zu der Migration und Recht auf Schutz vor Rassismus. den Aufgaben des Instituts gehören Politikbera- Er studierte Rechtswissenschaften in Marburg und tung, Menschenrechtsbildung, Information und Do- Hamburg. Anschließend war er als Anwalt mit den kumentation, anwendungsorientierte Forschung zu Schwerpunkten Aufenthalts- und Sozialrecht tätig. menschenrechtlichen Themen sowie die Zusammen- arbeit mit internationalen Organisationen. Es wird Die vorliegende Analyse gibt die Auffassung des vom Deutschen Bundestag finanziert. Das Institut Deutschen Instituts für Menschenrechte wieder. ist zudem mit dem Monitoring der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der UN-Kin- derrechtskonvention betraut worden und hat hierfür entsprechende Monitoring-Stellen eingerichtet.
Analyse Nicht auf dem Boden des Grundgesetzes Warum die AfD als rassistische und rechtsextreme Partei einzuordnen ist Hendrik Cremer
Vorwort Die Grund- und Menschenrechte und die ihnen und die gesamte Gesellschaft aufzuzeigen. Dabei zugrunde liegenden Werte bilden das Fundament wächst die Gefahr der Normalisierung rassistischer der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und rechtsextremer Positionen, wenn sie sich so- im Sinne des Grundgesetzes. Rassistische und gar in Parteien finden, die in den Parlamenten ver- rechtsextreme Positionen stehen den Grund- und treten sind und die die Menschenwürde als den Menschenrechten diametral entgegen. Konsens aufkündigen, der in einer demokratischen, auf den Menschenrechten beruhenden Gesell- Als unabhängige Nationale Menschenrechtsins- schaft und für unsere grundgesetzliche Ordnung titution Deutschlands hat das Deutsche Institut konstituierend ist. Gerade die deutsche Geschichte für Menschenrechte gemäß seinem gesetzlichen hat gezeigt, dass die freiheitliche demokratische Auftrag und den Pariser Prinzipien der Vereinten Grundordnung eines Staates zerstört werden kann, Nationen den Auftrag, zu Förderung und Schutz wenn rassistische Grundhaltungen nicht rechtzei- der Menschenrechte in Deutschland beizutragen. tig auf energischen Widerstand stoßen und sich so Dazu gehört insbesondere der Einsatz für die verbreiten und durchsetzen können. Wahrung der Grundlagen der Menschenrechte – Menschenwürde und Verbot jeglicher Diskrimi- Vor diesem Hintergrund wird die Partei „Alter nierung und damit auch und gerade rassistischer native für Deutschland“ (AfD) analysiert. Dabei Diskriminierung. Deshalb hat das Institut im Au- wurden die Ausführungen zur AfD, die bereits gust 2019 die Analyse „Das Neutralitätsgebot in Bestandteil der zuvor genannten Analysen sind, der Bildung. Neutral gegenüber rassistischen und aktualisiert und erweitert, um insbesondere die rechtsextremen Positionen von Parteien?“ ver fortschreitende Radikalisierung dieser Partei zu öffentlicht. Die Publikation richtet sich an Akteure verdeutlichen. Die Analyse zeigt, dass es sich im in der schulischen und außerschulischen Bildung. Fall der AfD um eine rassistische und rechtsex Im Mai 2020 folgten die Analyse „Politische Bil- treme Partei handelt. Wie das Bundesverfassungs- dung in der Polizei. Zum Umgang mit rassistischen gericht in seiner Entscheidung über den Antrag und rechtsextremen Positionen von Parteien“ wie auf Verbot der NPD ausgeführt hat, vertraut das auch die Analyse „Politische Bildung in der Bundes- Grundgesetz auf die geistige Auseinandersetzung wehr. Zum Umgang mit rassistischen und rechts als wirksamste Waffe gegen die Verbreitung men- extremen Positionen von Parteien.“ schenverachtender Ideologien. Diese Auseinan- dersetzung braucht rechtliche und tatsächliche Die vorliegende Publikation richtet sich nun über Fundierung. Hierzu trägt die Analyse bei. Um die den Bildungskontext hinaus auch an staatliche, Grundlagen unserer Verfassungsordnung wirksam politische und gesellschaftliche Akteure, um sie zu verteidigen, müssen insbesondere die auf dem darin zu unterstützen, rassistische und rechtext- Boden des Grundgesetzes stehenden Parteien reme Positionen zu erkennen. Dies ist die Grund- rassistischen und rechtsextremen Positionen voraussetzung dafür, solche Positionen kritisch zu widersprechen, sich klar von Parteien, die solche thematisieren, sich von ihnen abzugrenzen bezie- Positionen vertreten, abgrenzen und verhindern, hungsweise ihnen entgegenzutreten. dass diese direkt oder indirekt politische Gestal- tungsspielräume erlangen. Die Publikation möchte einen Beitrag dazu leisten, gegenwärtige Erscheinungsformen von Rassismus Professorin Dr. Beate Rudolf und Rechtsextremismus und die damit verbunde- Direktorin des Deutschen Instituts für nen Auswirkungen und Gefahren für Betroffene Menschenrechte
Inhalt Zusammenfassung 9 1 Einleitung 10 2 Der absolute Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: Artikel 1 Absatz 1 GG 11 3 Rassistische und rechtsextreme Positionen 12 4 Rassistische und rechtsextreme Positionen der AfD 15 4.1 Grundsatzpapiere der Partei 15 4.2 Strategie zur Durchsetzung ihrer Positionen 19 4.3 Positionen von Führungspersonen und Mandatsträger_innen 20 4.4 Gesamtbewertung der Partei 23 5 Fazit 26 6 Literatur und Dokumente 27
Z U S A M M E N FA S S U N G 9 Zusammenfassung Rassistische und rechtsextreme Positionen haben fern die AfD entsprechende Positionen vertritt. im öffentlichen und politischen Raum deutlich Dabei zeigt der Beitrag auf, dass rassistische zugenommen. Dies stellt staatliche, politische und und rechtsextreme Positionen Bestandteil des gesellschaftliche Akteure vor erhebliche Heraus- AfD-Programms, der AfD-Strategie sowie der forderungen. Zugleich steht dabei immer wieder Positionierungen von AfD-Führungspersonen und die Frage im Raum, woran rassistische und rechts- Mandatsträger_innen sind und sich damit gegen extreme Positionen als solche zu erkennen sind. die in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz veranker- ten unabdingbaren Grundlagen der Menschen- Vor diesem Hintergrund erörtert der Beitrag, welche rechte richten. Diese Positionen wenden sich Bedeutung den in Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz somit gegen den Grundsatz der allen Menschen verankerten unabdingbaren Grundlagen der Men- gleichermaßen zustehenden Menschenwürde schenrechte als Bestandteil der freiheitlichen de- und den damit einhergehenden Grundsatz der mokratischen Grundordnung bei der Einordnung Rechtsgleichheit aller Menschen. Hierbei handelt von Positionen als rassistisch und rechtsextrem es sich um nicht verhandelbare Grundsätze des zukommen. Grundgesetzes. Führungspersonen und Mandats- träger_innen der AfD vertreten darüber hinaus Er erläutert, was unter rassistischen und rechts- sogar Positionen, in denen sie der Gewalt das extremen Positionen zu verstehen ist und inwie- Wort reden.
10 EINLEITUNG 1 Einleitung Rassistische und rechtsextreme Positionen haben erzählungen thematisiert werden, die bei der im öffentlichen und politischen Raum deutlich zu- Verbreitung rassistischen und rechtsextremen genommen. Dies stellt staatliche, politische und Gedankenguts eingesetzt werden.3 gesellschaftliche Akteure vor erhebliche Heraus- forderungen. Zugleich steht dabei immer wieder Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch Parteien die Frage im Raum, woran rassistische und rechts- rassistische und rechtsextreme Positionen vertre- extreme Positionen als solche zu erkennen sind. ten können, die mit der freiheitlichen demokrati- schen Grundordnung nicht vereinbar sind, ohne Als Reaktion auf eine Reihe von rassistisch und deswegen verboten zu werden. Die Hürden für das antisemitisch motivierten Terroranschlägen hat Verbot einer Partei, das allein durch das Bundesver- die Bundesregierung im März 2020 einen Kabi- fassungsgericht erfolgen kann, sind deutlich höher.4 nettausschuss zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus gebildet,1 der im Novem- Die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) setzt ber 2020 zahlreiche Maßnahmen beschlossen Akteure, die Rassismus und Rechtsextremismus be- hat.2 Damit hat die Bundesregierung ein wichtiges ziehungsweise die AfD kritisch thematisieren, mit Zeichen gesetzt: Sie hat Rassismus als Bedrohung unterschiedlichen Mitteln unter Druck. Hierzu ge- für die Demokratie, die Menschenrechte und den hören Schulen und Lehrer_innen wie auch Akteure gesellschaftlichen Zusammenhalt anerkannt und in der außerschulischen Bildung,5 soziale Organisa- sich dazu bekannt, ihm aktiv zu begegnen. Eine tionen, Einrichtungen in der Jugendarbeit oder etwa der zentralen Zielsetzungen der Maßnahmen be- Projekte zivilgesellschaftlicher Akteure, die im Rah- steht darin, das Bewusstsein für Rassismus als men der Demokratieförderung des Bundes und der gesamtgesellschaftliches Phänomen zu stärken. Länder Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu Rassis- mus und Rechtsextremismus leisten.6 Gerade dann, wenn das Ausmaß der Verbreitung rassistischen Gedankenguts in einer Gesellschaft Vor diesem Hintergrund erörtert der Beitrag, wel- zunimmt – sei es im öffentlichen und politischen che Bedeutung den in Artikel 1 Absatz 1 Grund Raum, sei es im Internet und in den sozialen gesetz verankerten unabdingbaren Grundlagen der Medien, in Magazinen oder Büchern, die auch Menschenrechte als Bestandteil der freiheitlichen den Weg in öffentliche Bibliotheken finden –, ist demokratischen Grundordnung bei der Einordnung es elementar, dass solche Entwicklungen etwa von Positionen als rassistisch und rechtsextrem von Akteur_innen im Bereich der Bildung, der zukommen. Er erläutert, was unter rassistischen Wissenschaft und auch von den Medien kritisch und rechtsextremen Positionen zu verstehen ist aufgegriffen werden und dabei gängige Argumen- und inwiefern die AfD entsprechende Positionen tationsmuster, Strategien oder Verschwörungs vertritt. 1 Siehe dazu Bundesregierung (2020). 2 Bundesregierung, Presse- und Informationsamt (2020). 3 Vgl. dazu ebenso: Overwien (2019), S. 30; Heinrich (2016), S. 180. 4 Siehe dazu Bundesverfassungsgericht (2017): Urteil vom 17.01.2017, Aktenzeichen 2 BvB 1/13. 5 Siehe dazu bereits Cremer (2019), S. 10 f. In einem Fall hat die AfD auch die Suspendierung des Kommandeurs des Zentrums für Innere Führung der Bundeswehr, das für die politische Bildung von Soldat_innen zuständig ist, gefordert. Siehe dazu genauer Cremer (2020a), S. 8. 6 Siehe dazu etwa Hafeneger / Jestädt / Schwerthelm / Schuhmacher / Zimmerman (2021); Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband (2021); Der Tagesspiegel (07.05.2021): „Sie wollen uns einschüchtern“. Initiative gegen Rechts beschwert sich über Brandenburger AfD. https://www.tagesspiegel.de/berlin/sie-wollen-uns-einschuechtern-initiative-gegen-rechts-beschwert-sich-ueber- brandenburger-afd/27167424.html (abgerufen am 08.05.2021).
D ER A B SO LU T E K ER N D ER FR EI H EI T L I C H EN D EM O K R AT I S C H EN G R U N D O R D N U N G: A R T I K EL 1 A B S AT Z 1 G G 11 2 Der absolute Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: Artikel 1 Absatz 1 GG Die unabdingbaren Grundlagen der Menschen- verbot zentral. Das Diskriminierungsverbot ist in rechte sind in prägnanter Weise im ersten Satz von sämtlichen Menschenrechtsverträgen verankert, Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschen- so etwa im Internationalen Pakt über bürgerliche rechte von 1948 zusammengefasst: „Alle Menschen und politische Rechte (Artikel 2 Absatz 1) oder sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ in der Europäischen Menschenrechtskonvention Im Grundgesetz lassen sich die unabdingbaren (Artikel 14). Im Grundgesetz ist das Verbot von Grundlagen der Menschenrechte insbesondere Arti- Diskriminierung in Artikel 3 Absatz 3 verankert. kel 1 Absatz 1 GG entnehmen, Ausgangspunkt und Es verbietet etwa Benachteiligungen aufgrund zugleich zentrale Bestimmung des Grundgesetzes. von Merkmalen wie „Geschlecht“ oder „Behin- In Artikel 1 Absatz 1 GG heißt es: „Die Würde des derung“ eines Menschen. Zweck des Diskrimi- Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu nierungsverbotes ist es, Angehörige strukturell schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Be- Die hier verankerte Garantie bedeutet, dass jeder nachteiligung zu schützen.8 Es umfasst ebenso Mensch allein aufgrund seines Menschseins die das Verbot rassistischer Diskriminierung,9 was gleiche Menschenwürde und gleiche Rechte hat.7 insbesondere bedeutet, dass Menschen nicht in Anknüpfung an physische Merkmale wie Haut- Für die Gewährleistung dieses Grundsatzes der farbe10, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen gleichen Menschenwürde und der gleichen Rechte Herkunft oder Religionszugehörigkeit benachtei- eines jeden Individuums ist das Diskriminierungs- ligt werden dürfen.11 7 Vgl. dazu etwa Bundesverfassungsgericht (2017): Urteil vom 17.01.2017, Az. 2 BvB 1/13, Rn. 538 ff. 8 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2017): Beschluss vom 10.10.2017, Az. 1 BvR 2019/16, Rn. 59. Das Verbot umfasst dabei nicht nur Gesetze und Handlungen, die eine Diskriminierung gezielt beabsichtigen. Entscheidend ist vielmehr ihre tatsächliche Wirkung. Bundes- verfassungsgericht (2008): Beschluss vom 18.06.2008, Az.: 2 BvL 6/07, Ziff. 48 f.; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2007): Große Kammer, Urteil vom 13.11.2007, Antragsnummer 57325/00 (D.H. und andere gegen Tschechien), insbesondere Ziff. 175, 185, 193. 9 Vgl. Bundesverfassungsgericht (2020): Beschluss vom 2.11.2020, Az. 1 BvR 2727/19. 10 Siehe dazu etwa: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2016): Urteil vom 21.04.2016, Az. 7 A 11108/14; Verwaltungsgericht Dresden (2017): Urteil vom 01.02.2017, Az. 6 K 3364/14. 11 Siehe hierzu etwa Baer / Markard (2018), Rn. 469 f.; Cremer (2020), S. 19 ff., mit weiteren Nachweisen.
12 R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN 3 Rassistische und rechtsextreme Positionen Der Begriff „Rassismus“ ist entstehungsgeschicht- setzen sich bis heute fort. Rassismus setzt aller- lich damit zu erklären, dass die für Rassismus dings kein Gedankengut voraus, das auf biologis- typische Kategorisierung und Hierarchisierung von tischen Theorien von Abstammung und Vererbung Menschen historisch mit dem Begriff „Rasse“ ein- basiert und auf biologistische Begründungsmuster hergingen.12 Das ist auch der Grund, warum der zurückgreift.15 So treten häufig weitere Begrün- Begriff „Rasse“ in menschenrechtlichen Normen dungsmuster hinzu, etwa beim Antisemitismus.16 zum Verbot rassistischer Diskriminierung und zum Im Fall des antimuslimischen Rassismus17 wird oft Schutz vor Rassismus Eingang gefunden hat.13 In neben der Religionszugehörigkeit auch auf „die Kul- diesem Sinne greift auch das Verbot rassistischer tur“ von Menschen Bezug genommen, um sie auf Diskriminierung in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz dieser Grundlage mit pauschalen Zuschreibungen die Konstruktion von homogenen Menschengrup- zu kategorisieren und abzuwerten.18 pen als Anknüpfungsmerkmal verbotener Diskrimi- nierung auf, bei der Menschen unter Bezugnahme Rassistische Argumentationsmuster haben sich auf biologistische Begründungsmuster anhand mithin gewandelt.19 Insbesondere auch politische physischer Merkmale in Kategorien eingeteilt Akteur_innen, die sich mit rassistischen Positio- werden.14 Dabei werden aus einer Vielzahl sichtba- nen profilieren, sprechen in der Regel nicht mehr rer physischer Merkmale einzelne herausgegriffen von „Rassen“; manche nutzen – als Ersatzbegriff und Grenzen zwischen den variierenden körperli- – den Begriff der „Ethnie“. Sie versuchen ihre ras chen Merkmalen von Menschen gezogen. Auf die- sistischen Positionen jedenfalls gezielt und auf viel- ser Grundlage werden Menschen unterschieden fältige Weise zu verschleiern. Hierzu gehört etwa, und ihnen pauschal bestimmte Eigenschaften oder Menschen zwar nicht explizit abzuwerten, aber Verhaltensmuster zugeschrieben (Stereotype). unter Hinweis auf eine vermeintliche „Anders- artigkeit“ zu propagieren, sie auszugrenzen („Die Solche willkürlichen Kategorisierungen unter Be- passen nicht zu uns“).20 Mit solchen Argumenta- zugnahme auf biologistische Begründungmuster tionsstrategien, die damit begründet werden, dass 12 Siehe dazu etwa Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (2005): Urteil vom 13.12.2005, Antragsnummer 55762/00 u. 55974/00 (Timishev gegen Russland), Ziff. 55. 13 Siehe zur Problematik des Begriffs „Rasse“ in Rechtstexten: Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) (2017), S. 5; Cremer (2020); Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) (2015). 14 Siehe genauer zum Verbot rassistischer Diskriminierung gemäß Art. 3 Abs. 3 GG: Cremer (2020). 15 Vgl. Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) (2017), S. 5; Thieme (2019), S. 4; Scharathow / Melter / Leiprecht / Mecheril (2011), S. 10 ff.; Auma (2017); Bundesregierung (2017), S. 8 ff. 16 Antisemitismus kann sich nicht nur in Handlungen und Äußerungen, die sich explizit gegen Jüd_innen richten, ausdrücken, sondern bei- spielsweise auch in vermeintlich israelbezogenen Äußerungen oder dadurch, dass Jüd_innen als vermeintlich Verantwortliche für israe- lische Regierungspolitik ausgegrenzt werden. Klarstellend sei angemerkt, dass es hier nicht um die Frage geht, in welchem Verhältnis Rassismus und Antisemitismus stehen. Während in der diesbezüglichen Debatte insbesondere aus historischer Perspektive die Eigenstän- digkeit des Phänomens Antisemitismus betont wird (siehe dazu Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus, Antisemitis- mus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11970 vom 07.04.2017, S. 23 ff., insbesondere S. 29), ist aus grund- und menschenrechtlicher Perspektive hervorzuheben, dass Antisemitismus als spezifische Form von Rassismus dem Schutzbereich des internationalen und europäischen Schutzes vor Rassismus unterfällt. Dies gilt auch für den Schutzbereich von Art. 3 Abs. 3 GG, der Schutz vor rassistischer Diskriminierung garantiert. 17 Siehe zu dem Begriff und Phänomen des antimuslimischen Rassismus etwa Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Bundesprogramm Demokratie leben (2019), S. 24 f.; Keskinkılıç (2019). 18 Siehe ebenso Bundesregierung (2017), S. 8 ff. 19 Siehe dazu etwa Auma (2017); Quent (2019); Bundesregierung (2017), S. 8 ff. 20 Siehe dazu etwa Bundeszentrale für politische Bildung: Glossar, Ethnopluralismus. http://www.bpb.de/politik/extremismus/ rechtsextremismus/173908/glossar?p=17 (abgerufen am 08.04.2021).
R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN 13 verschiedene „Ethnien“ beziehungsweise „Völker“ liche demokratische Grundordnung fundamentalen zur Entfaltung ihrer Kultur abgegrenzte Territorien Rechtsgleichheit aller Menschen einher.29 bräuchten („Ethnopluralismus“), werden heute oft- mals rassistische Positionen vertreten.21 Dement- Die fundamentalen und zugleich unverhandelbaren sprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht Grundsätze eines demokratischen Rechtsstaates in seiner Entscheidung zum NPD-Verbot deutlich spiegeln sich im Grundgesetz in der „Ewigkeitsga- gemacht, dass nicht nur biologistische, sondern rantie“ des Artikel 79 Absatz 3 GG wider. Dort ist auch andere, kulturalistische Argumentationsmus- festgelegt, dass die Garantie der Menschenwürde ter „rassistisch“ sein können.22 in Artikel 1, die Menschenwürdegehalte der einzel- nen Grundrechte und die in Artikel 20 GG niederge- Die rassistische Konstruktion von Menschengrup- legten Grundsätze – wie etwa die Gewaltenteilung – pen und damit einhergehende Diskriminierungs- nicht durch eine Grundgesetzänderung abgeschafft verhältnisse sind jeweils historisch und gesell- werden dürfen. Artikel 79 Absatz 3 GG macht da- schaftlich verankert, ohne jedoch statisch zu sein. mit deutlich, dass die Menschenrechte auch einem Es gibt eine Vielzahl von Rassismen mit jeweils demokratisch legitimierten Parlament unverhan- unterschiedlichen historischen Bezügen und sich delbare Grenzen setzen. Der Grundsatz, dass alle daraus speisenden Stereotypen.23 Menschen als Individuen mit gleicher Würde und gleichen Rechten zu achten sind, ist für eine rechts- Erreichen rassistische Positionen einen gewissen staatliche Demokratie konstituierend. „Härtegrad“, sind sie als rechtsextrem einzustufen, wobei der Übergang von rassistischen zu rechtsex- Rechtsextreme Positionen zeichnen sich demge- tremen Positionen fließend verläuft. Grundsätzlich genüber durch einen politischen Autoritarismus kennzeichnet rechtsextreme Positionen, dass sie aus, der auf die Ablösung der freiheitlichen demo- die freiheitliche demokratische Grundordnung24 kratischen Grundordnung zielt.30 Auch Demokra- ablehnen.25 Sie können unterschiedlich stark ausge- tieverständnisse, die dem zugrunde liegen können, prägt sein, auch Drohungen und Gewalt explizit mit wonach es angeblich einen einheitlichen Volkswil- einbeziehen,26 was allerdings keine Voraussetzung len gäbe, der auch noch durch eine einzige Partei für die Einordnung als rechtsextrem ist.27 Kenn- oder einen Führer repräsentiert werden könnte, zeichnend sind insbesondere rassistische Positio- sind mit der freiheitlichen demokratischen Grund- nen in einem national-völkischen Sinne, also auf ordnung nicht vereinbar.31 Zu deren Grundideen Rassismus basierende Konzeptionen einer Nation. zählt die Gleichberechtigung aller zum Staatsvolk Demnach müsse – so die rechtsextreme Vorstel- zählenden Menschen. National-völkische Positi- lung – das „deutsche Volk“ vor einer „Völkervermi- onen zielen hingegen darauf ab, dass dieser die schung“ bewahrt werden.28 Mit national-völkischen grundgesetzliche Demokratie kennzeichnende Positionen geht eine Ablehnung der für die freiheit- Grundsatz durchbrochen wird, indem bestimmte 21 Siehe dazu ebenso Pfahl-Traughber (2019), S. 4. Ethnopluralismus teilt die rechtsextreme Propaganda von der Ungleichwertigkeit der Menschen, begründet sie aber nicht vordergründig mit biologistischen Theorien, sondern mit unterschiedlichen (kulturellen) Identitäten. Siehe dazu etwa Bundeszentrale für politische Bildung: Glossar, Ethnopluralismus. http://www.bpb.de/politik/extremismus/ rechtsextremismus/173908/glossar?p=17 (abgerufen am 08.04.2021). 22 Bundesverfassungsgericht (2017): Urteil vom 17.01.2017, Az. 2 BvB 1/13, Rn. 634 ff.; siehe dazu auch Kutting / Amin (2020), S. 616. 23 Siehe dazu etwa Bundesregierung (2017), S. 8 ff.; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2015); Liebscher / Wetzel (2020); Cremer / Cobbinah (2019). 24 In der Literatur werden diesbezüglich auch andere Begriffe verwendet, so wird etwa vom „demokratischen Verfassungsstaat“ gesprochen. Siehe dazu etwa Jesse (2017), S. 17; Jesse / Mannewitz (2018), S. 15 f. 25 Siehe dazu Pfahl-Traughber (2019), insbesondere S. 3 f.; Jesse (2017), S. 17, unter Hinweis auf Jesse / Backes (2005); Jesse / Mannewitz (2018), S. 15; Mannewitz / Ruch / Thieme / Winkelmann (2018), S. 5 ff. 26 Siehe dazu etwa Jesse (2017), S. 17; Pfahl-Traughber (2019). 27 Jesse (2017), S. 17; siehe dazu genauer Pfahl-Traughber (2019), S. 4, der auch darauf hinweist, dass Absichten zur gewaltsamen Machtergreifung oftmals aus strategischen Gründen verschwiegen werden. 28 Siehe dazu etwa Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). 29 Jesse (2017), S. 17; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). 30 Pfahl-Traughber (2019), Seite 3 f.; siehe dazu ebenso Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). 31 Dazu auch Pfahl-Traughber (2019), S. 3 f.; Jesse (2017), S. 17.
14 R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN Menschen auf der Grundlage rassistischer und da- Rechtsextreme Positionen setzen kein klar umris- mit willkürlicher Kriterien ausgeschlossen werden. senes ideologisches Gebilde voraus; sie sind ins- besondere nicht nur dann anzunehmen, wenn sie Typische Merkmale rechtsextremer Positionen der nationalsozialistischen Ideologie entsprechen, sind außerdem das Verschweigen, Verharmlosen inhaltlich darauf Bezug nehmen oder sprachlich un- oder Leugnen der Menschheitsverbrechen, die mittelbar oder assoziativ auf nationalsozialistische unter der nationalsozialistischen Herrschaft verübt Terminologie zurückgreifen.34 Dies bedeutet etwa, worden sind, oder auch die Betonung ihrer angeb- dass sich rechtsextreme Positionen in ihrer primä- lich positiven Leistungen.32 Wer den Nationalso- ren Zielrichtung jeweils auch gegen unterschied- zialismus oder einzelne Elemente nationalsozia- liche Minderheiten richten können. So gehört es listischer Politik relativiert oder gar verherrlicht, etwa bei politischen Akteuren mit rassistischen relativiert damit die mit dem Nationalsozialismus und rechtsextremen Positionen gegenwärtig untrennbar verbundenen rassistischen Mensch- nicht selten zum Repertoire, sich rhetorisch vom heitsverbrechen und bringt damit seine eigene Antisemitismus abzugrenzen. Wie unglaubwürdig rassistische Positionierung zum Ausdruck. Solche dies ist, zeigt sich, wenn dieselben Akteure die Positionierungen dienen insbesondere dazu, ras- Verbrechen des Nationalsozialismus und damit den sistisches und völkisches Gedankengut wieder Genozid an den Jüd_innen relativieren. Rechtsext- gesellschaftsfähig zu machen.33 reme Positionen werden etwa auch unter Berufung auf „Ethnopluralismus“35 oder die „Konservative Re- volution“36 vertreten.37 32 Siehe etwa Pfahl-Traughber (2019), Seite 3 f.; siehe dazu ebenso Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). 33 Siehe dazu ebenso Pfahl-Traughber (2019), S. 4. 34 Vgl. dazu etwa Jesse / Mannewitz (2018); 14 f.; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2020). 35 Ethnopluralismus teilt die rechtsextreme Propaganda von der Ungleichwertigkeit der Menschen, begründet sie aber nicht vordergründig mit biologistischen Theorien, sondern mit unterschiedlichen (kulturellen) Identitäten. Danach habe jeder Mensch nur in den „angestamm- ten Territorien“ seinen festen Platz. Siehe dazu etwa Bundeszentrale für politische Bildung (2014): Glossar, Ethnopluralismus. http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/173908/glossar?p=17 (abgerufen am 27.03.2021). 36 „Konservative Revolution“ gilt als Sammelbegriff für antiliberale, antidemokratische und antiegalitäre Strömungen, die sich in der Wei- marer Republik entwickelten und in der Geschichtswissenschaft als geistige Wegbereiter für den Nationalsozialismus behandelt werden. Siehe dazu etwa: Deutsches Historisches Museum: Konservative Revolution. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/ innenpolitik/konservative-revolution.html (abgerufen am 27.03.2021); ebenso Giesa (2015). 37 Siehe dazu ebenso Pfahl-Traughber (2019), S. 4.
R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD 15 4 Rassistische und rechtsextreme Positionen der AfD In der AfD sind rassistische, national-völkische Im Grundsatzprogramm der AfD von 2016 heißt Positionen Bestandteil ihrer Programmatik, ihrer es dazu wörtlich: Strategie sowie von Positionierungen durch Füh- rungspersonen und Mandatsträger_innen bis hin „Die Ideologie des Multikulturalismus, die impor- zu offen ausgesprochenen Drohungen, in denen tierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde sie der Gewalt zur Erreichung ihrer politischen Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und Ziele das Wort reden.38 deren Werte damit zutiefst relativiert, betrach- tet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als 4.1 Grundsatzpapiere der Partei kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche Identität als Die AfD fokussiert in ihrem Grundsatzprogramm Leitkultur selbstbewusst verteidigen.“42 von 2016 auf ein Bevölkerungsideal in Deutsch- land, das eine kulturelle Homogenität aufweist, die Demzufolge sei die Nation als „kulturelle Einheit“ es gegen „importierte kulturelle Strömungen“39 zu zu verstehen, die in ihrer Substanz durch „impor- verteidigen gilt. tierte kulturelle Strömungen“ gefährdet sei und angesichts dieser postulierten Konkurrenzsitua- Das Grundsatzprogramm zeigt beispielhaft, dass tion „selbstbewusst“ verteidigt werden müsse. rassistische Argumentationsmuster heute anders Durch die Betonung einer vermeintlich unange- „verpackt“ werden, als es noch bis ins 20 Jahr- brachten Gleichstellung verschiedener Kulturen hundert der Fall war. Im Unterschied zum Rassis- impliziert die AfD eine Abstufung ebenjener Men- mus im frühen 20. Jahrhundert wird er heutzu- schen, die nicht der deutschen „einheimischen tage nicht allein unter Bezugnahme auf physische Kultur“ entstammen. Diese Menschen sind es, die Merkmale und biologistisch begründet, sondern die AfD als „ernste Bedrohung“ für den „Fortbe- auch oder vor allem unter Bezugnahme auf „die stand der Nation“ betrachtet, und der Grund, wes- Kultur“ oder die Religionszugehörigkeit von Men- halb die „deutsche Identität“ zu verteidigen sei.43 schen.40 Die Wortwahl der Akteure, die sich mit rassistischen Positionen profilieren, hat sich Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 hat geändert. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die AfD entsprechende Aussagen konkret ge- „Rassen“ erfolgt nicht mehr; vielmehr nehmen gen Muslim_innen gerichtet, bis hin zu der Aus- sie auf „die Kultur“ oder die Religionszugehörig- sage, dass die bloße Präsenz von Muslim_innen in keit Bezug. Dies lässt sich auch bei Parteien in Deutschland eine „große Gefahr“ sei: anderen europäischen Ländern beobachten.41 38 Die folgenden Ausführungen basieren teilweise auf Cremer (2019). 39 Alternative für Deutschland (2016), S. 47. 40 Siehe dazu bereits oben unter 3. 41 Siehe dazu etwa auch Thieme (2019), S. 4. 42 Alternative für Deutschland (2016), S. 47. 43 Vgl. dazu ähnlich und in die gleiche Richtung gehend Bundesamt für Verfassungsschutz (2019): Gliederungspunkt C., I., 1., 1.1, 1.1.1 (Menschenwürde).
16 R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. In der Grundsatzpapieren nicht weiter ausführt, welche Ausbreitung des Islam und der Präsenz von über Maßnahmen sie ergreifen will, um die „deutsche 5 Millionen Muslimen, deren Zahl ständig wächst, Identität“ und den „Fortbestand der Nation“ zu sieht die AfD eine große Gefahr für unseren Staat, verteidigen, sind ihre programmatischen Ausfüh- unsere Gesellschaft und unsere Werteordnung.“44 rungen grundsätzlich als Ankündigung von Maß- nahmen zu verstehen, die gegen eine angebliche Den Grundsatzpapieren der AfD lässt sich damit Bedrohung durch Menschen vorgehen werden, eine rassistische Positionierung entnehmen, die und sich damit gezielt gegen Menschen richten mit den Garantien aus Artikel 1 Absatz 1 GG und werden, die nicht der „einheimischen Kultur“ ent- Artikel 3 Absatz 3 GG unvereinbar ist. Sie stellt stammen. den Grundsatz der gleichen Menschenwürde eines jeden Individuums (Artikel 1 Absatz 1 GG) funda- Die national-völkische Ausrichtung der Program- mental infrage: Mit der Garantie der Menschen- matik der AfD kommt auch in dem von der Bun- würde sind Vorstellungen von einer Gesellschaft desprogrammkommission (BPK) im März 2020 unvereinbar, die den Achtungsanspruch des Men- beschlossenen und auf dem Bundesparteitag im schen von etwas anderem als von seinem bloßen November 2020 verabschiedeten Leitantrag zur Menschsein abhängig machen. Dies bedeutet Ausrichtung der AfD in der Sozialpolitik47 zum umgekehrt auch, dass dieser Achtungsanspruch Ausdruck. Der Leitantrag beschäftigt sich unter unabhängig von der Herkunft, der Religionszuge- anderem mit dem Thema Rentenpolitik. Das im hörigkeit oder etwa physischen Merkmalen wie Leitantrag anfangs formulierte Bekenntnis zum Hautfarbe gelten muss. Wer Menschen demgegen- Sozialstaat ist auf gegenseitige Hilfe und Solidari- über allein unter Bezugnahme auf ihre Herkunft tät „innerhalb unseres Volkes“ beschränkt.48 und/oder Religionszugehörigkeit pauschal abwer- tet und mit negativen Eigenschaften belegt, indem Damit untermauert die AfD ihre national-völki- sie per se als gefährlich eingestuft werden, wen- schen Vorstellungen auch im Bereich der Sozial det sich gegen den in Artikel 1 Absatz 1 GG ver- politik. Es ist grundrechtswidrig, etwa in der brieften Achtungsanspruch eines jeden einzelnen Alterssicherung zwischen Deutschen und Nicht- Menschen – und damit gegen die unabdingbaren Deutschen zu unterscheiden. Eine solche Unter- Grundlagen der Menschenrechte und eines demo- scheidung verstößt gegen den unabdingbaren kratischen Rechtsstaates.45 grund- und menschenrechtlichen Grundsatz der gleichen Rechte eines jeden Individuums, wie er im Die Grundsatzpapiere der AfD weisen auch eine Grundgesetz in Artikel 1 Absatz 1 und zu dessen national-völkische Ausrichtung auf. Die Ausfüh- Absicherung sowohl in Artikel 3 Absatz 1 (Allgemei- rungen der AfD machen deutlich, dass sie eine ner Gleichheitssatz) als auch in Artikel 3 Absatz 3 geschlossene und homogene Gesellschaft pro (Diskriminierungsverbot) manifestiert ist. Der allge- pagiert.46 Dabei begründet sie Bedrohungsszena- meine Gleichheitssatz des Grundgesetzes wie auch rien für den Staat und die Gesellschaft allein mit das Verbot rassistischer Diskriminierung lassen der Existenz und Anwesenheit von Menschen, zwar Unterscheidungen zu, wenn sie zwischen die nicht der deutschen „einheimischen Kultur“ Staatsangehörigen und Nicht-Staatsangehörigen entstammen beziehungsweise eine bestimmte differenzieren. Gleichwohl können auch Unter- Religionszugehörigkeit (Muslim_innen) aufweisen. scheidungen zwischen Staatsangehörigen und Auch wenn die AfD in ihren programmatischen Nicht-Staatsangehörigen rassistische Dimensionen 44 Alternative für Deutschland (2017), S. 34. 45 Siehe zu alledem auch Bundesamt für Verfassungsschutz (2019): B., II. 2., 2.1.1 (Menschenwürde), ohne konkreten Bezug zu den Grund- satzpapieren der AfD. 46 Vgl. dazu auch Pfahl-Traughber (2019), S. 13. 47 Alternative für Deutschland (2020). Der verabschiedete Leitantrag hat in der Programmatik der AfD als „Konzept zur Sozialpolitik“ Auf- nahme gefunden. Siehe dazu: Konzept zur Sozialpolitik. Alternative für Deutschland, 11. Bundesparteitag in Kalkar, 28. bis 29. November 2020. https://www.afd.de/sozialkonzept/ (abgerufen am 25.05.2021). 48 Alternative für Deutschland (2020), S. 3.
R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD 17 annehmen.49 Eine solche grund- und menschen- ein „uns“ und „die anderen“ unterteilt und hierar- rechtswidrige Unterscheidung ist dann anzuneh- chisiert werden, findet sich ebenso im Wahlpro- men, wenn sie ohne sachlichen Grund erfolgt oder gramm der AfD zur Bundestagswahl 2021. Auch zumindest unverhältnismäßig ist. Der Ansatz, in hier wird ein Menschenbild offenbar, das den un- der Rentenversicherung zwischen Deutschen und abdingbaren Grundlagen der Menschenrechte dia- Nicht-Deutschen zu unterscheiden, indem Nicht- metral entgegenläuft. Deutsche ausgeschlossen werden, kann sich auf keinen sachlichen Grund stützen. Vielmehr müssen So heißt es in dem Kapitel, das mit dem Begriff alle Menschen, die als sozialversicherungspflichtig „Kultur“ überschrieben ist, an erster Stelle unter Beschäftigte in die Rentenversicherung einzahlen, der Überschrift „Deutsche Leitkultur statt ‚Multi- ein Recht auf Zahlung von Rente erlangen und vor kulturalismus‘“ wie folgt: Altersarmut geschützt werden. Menschen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit vom Recht auf Zahlung „Unsere Identität ist geprägt durch unsere deut- von Rente auszuschließen, ist keiner Rechtferti- sche Sprache, unsere Werte, unsere Geschichte gung zugänglich. und unsere Kultur. Letztere sind eng verbunden mit dem Christentum, der Aufklärung, unseren Nach dem Leitantrag solle das bestehende Ren- künstlerischen und wissenschaftlichen Werken. Un- tensystem dadurch gestärkt werden, dass jede sere Identität bestimmt die grundlegenden Werte, Frau im Schnitt 2,1 Kinder bekommt, um das Pro- die von Generation zu Generation weitergegeben blem der weniger werdenden Beitragszahlenden werden. Die deutsche Leitkultur beschreibt unse- bei gleichzeitig mehr Empfänger_innen zu behe- ren Wertekonsens, der für unser Volk identitäts- ben.50 Diese Aussage bezieht sich – das zeigt der bildend ist und uns von anderen unterscheidet. Kontext – allein auf deutsche Frauen. Denn dann, Sie sorgt für den Zusammenhalt der Gesellschaft so führt der Text weiter aus, sei auch keine Zuwan- und ist Voraussetzung für das Funktionieren unse- derung von Menschen notwendig. Ohnehin werde res Staates. Die gemeinschaftsstiftende Wirkung – so die Behauptung der AfD – „der überwiegende der deutschen Kultur ist Fundament unseres Grund- Teil dieser Migranten […] dauerhaft auf staatliche gesetzes und kann nicht durch einen Verfassungs- Transferleistungen angewiesen sein“.51 Eine Stei- patriotismus ersetzt werden. gerung der Geburtenrate sei hingegen die „ein- zige Möglichkeit zur Stabilisierung und zum Erhalt Kulturrelativismus und Multikulturalismus füh- unserer Sozialsysteme, aber auch zur Bewahrung ren zu einem Neben- und Gegeneinander von unserer Kultur und zum Fortbestand unseres Vol- Parallelgesellschaften, denen es an gemeinsamen kes“,52 wie es im Leitantrag vom November 2020 Werten für das Zusammenleben fehlt. In einer der- formuliert ist. Die AfD hat die national-völkische art fragmentierten Gesellschaft entstehen Kon- Ausrichtung ihrer Programmatik damit nochmals flikte, die kaum noch beherrschbar sind. Die AfD untermauert; sie setzt sich weiter fort.53 wird nicht zulassen, dass Deutschland aus falsch verstandener Toleranz vor dem Islam seine tra- Die rassistische, national-völkische Ausrichtung, dierte Kultur verliert.“54 wonach die AfD eine geschlossene und homo- gene Gesellschaft propagiert, in der Menschen Die Ausführungen dienen als weiteres Beispiel unter Bezugnahme auf das Kriterium der Kultur in dafür, dass die AfD Menschen nicht als Individuen 49 Siehe dazu etwa UN, Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) (2004), Ziff. 4; UN, Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) (1999): Entscheidung vom 17.03.1999, Communication No. 10/1997, CERD/C/54/D/10/1997, Ziff. 9.3; ebenso Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) (2017), S. 5; Cremer (2020), S. 22. 50 Alternative für Deutschland (2020), S. 6. 51 Ebd., S. 9. 52 Ebd., S. 6. 53 Siehe dazu auch: Mueller-Töwe, Jonas (28.11.2020): Streit um Rentenkonzept. Höcke entscheidet AfD-Machtkampf mit Meuthen für sich. https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_89018536/afd-rentenkonzept-hoecke-entscheidet-machtkampf-mit- meuthen-fuer-sich.html (abgerufen am 08.04.2021). 54 Alternative für Deutschland (2021a), S. 156.
18 R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD betrachtet, die alle die gleiche Menschenwürde deren“ weiter zu begründen. Danach würden und gleiche Rechte haben, sondern – unter Abweichungen in der Durchsetzung des postu- Bezugnahme auf den Begriff der „Kultur“ – in lierten Dominanzanspruchs der zuvor beschriebe- Gruppen unterteilt und hierarchisiert. So werden nen „deutschen Leitkultur“, die mit den Begriffen Menschen, die als „unser Volk“ bezeichnet wer- „Kulturrelativismus“ und „Multikulturalismus“ um- den, als Träger einer „deutschen Kultur“ beschrie- schrieben werden, zu einem Neben- und Gegen- ben. Dabei wird „unser Volk“ als eine homogene einander von Parallelgesellschaften führen, denen Gruppe konstruiert, in der die „deutsche Kultur“ es an gemeinsamen Werten für das Zusammen- als ein identitätsstiftendes Wesensmerkmal für leben fehle. Die AfD redet damit gesellschaftliche dessen Zusammenhalt wirke, wobei sie als eine Spaltung herbei („In einer derart fragmentierten geschlossene und geschlossen bleibende Gruppe Gesellschaft“), um schließlich ein Bedrohungs konstruiert wird, in der die „deutsche Kultur“ „von szenario zu kreieren, in dem Deutschland „dem Generation zu Generation“ übertragen werde. Die Islam“ gegenüberstünde und die AfD in dieser Ausführungen basieren mithin auf der Annahme, Auseinandersetzung als rettende Kraft dafür dass dem „uns“ eine Identität innewohne („Unsere sorge, dass Deutschland nicht seine „tradierte Identität“), wobei diese Identität wiederum „grund- Kultur“ verliere. Die Ausführungen gipfeln damit in legende Werte“ bestimme, die wiederum von „Ge- der Gegenüberstellung einer homogenen Gruppe neration zu Generation weitergegeben“ würden. des „uns“, die „eng verbunden mit dem Christen- Die „deutsche Leitkultur“ wird dementsprechend tum“ ist, und den „anderen“, denen die „deutsche so erläutert, dass sie „unseren“ Wertekonsens be- Kultur“ und es damit „an gemeinsamen Werten für schreibe, der für „unser Volk“ identitätsbildend sei das Zusammenleben“ fehle, wobei explizit der Is- und „uns“ von „anderen“ unterscheide. lam und damit implizit Menschen islamischer Reli- gionszugehörigkeit pauschal („dem Islam“) als Be- Konsequent werden in Abgrenzung zur beste drohung dargestellt werden. henden Verfassungsordnung nicht etwa die in Artikel 1 Absatz 1 GG verankerten menschen- Auch im Wahlprogramm der AfD zur Bundestags- rechtlichen Garantien als Fundament des Grund- wahl 2021 wird damit die national-völkische Aus- gesetzes gewürdigt, sondern die „gemeinschafts- richtung der Partei deutlich, indem die AfD unter stiftende Wirkung der deutschen Kultur“ (die Bezugnahme auf den Begriff Kultur Menschen in „nicht durch einen Verfassungspatriotismus er- homogene Gruppen unterteilt, wobei die „deut- setzt werden“ könne) zum „Fundament unseres sche Kultur“, die einem „uns“ zugeschrieben wird, Grundgesetzes“ erhoben, womit die AfD zum Aus- die mit einer „von Generation zu Generation“ wei- druck bringt, dass die von ihr konstruierte „deut- ter gegebenen Identität einhergehe, und somit sche Leitkultur“ einen absoluten Anspruch auf als Wesensmerkmal wie in einem geschlossenen Dominanz habe. Die Ausführungen der AfD laufen Kreislauf weitergetragen werde, als etwas erach- darauf hinaus, dass sich grund- und menschen- tet wird, das „Voraussetzung für das Funktionieren rechtswidrige Ausgrenzungen von Menschen, des Staates“ sei. den „anderen“, begründen und rechtfertigen lie- ßen. Nach der Behauptung der AfD, die von ihr Die rassistische, national-völkische Ausrichtung beschriebene „gemeinschaftsstiftende Wirkung der AfD, mit der die Partei die in Artikel 1 Absatz der deutschen Kultur“ sei „Fundament des Grund- 1 GG verbrieften unabdingbaren Grundlagen der gesetzes“, wäre die damit verbundene Kategori- Menschenrechte in ihrer Geltung für jeden einzel- sierung und Hierarchisierung von Menschen, das nen Menschen negiert, ist nach alledem fest in national-völkische Menschenbild der AfD, „Funda- der Programmatik der AfD verankert. ment des Grundgesetzes“ und demzufolge norma- tiv an der Spitze der Normenhierarchie verankert. Der zweite Absatz der hier wieder gegebenen Passage dient dazu, eine rassistische Kategorisie- rung der Gesellschaft in ein „uns“ und die „an-
R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD 19 4.2 Strategie zur Durchsetzung ihrer waffeneinsatz gegen Flüchtlinge gefordert hat, Positionen womit sie Menschen, die ein Recht haben, Schutz zu suchen,61 zu Angreifern erklärt: „Wer das HALT an Zu der Strategie der AfD gehört das Ziel, die Gren- unserer Grenze nicht akzeptiert, der ist ein Angrei- zen des Sagbaren immer weiter zu verschieben,55 fer“, schrieb sie auf Facebook. „Und gegen Angriffe sodass eine Gewöhnung an ihre rassistischen, na- müssen wir uns verteidigen.“ Auf die Nachfrage ei- tional-völkischen Positionen – auch im öffentlichen nes Facebook-Nutzers: „Wollt Ihr etwa Frauen mit und politischen Raum – erfolgt. Dementsprechend Kindern an der grünen Wiese den Zutritt mit Waffen- erklärt Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende im Bun- gewalt verhindern?“ antwortete von Storch mit „Ja.“62 destag, auf dem Bundesparteitag im April 2017: „Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen Hinter den Äußerungen und Inszenierungen ein- der Geschichte.“56 Alexander Gauland, zum damali- zelner Funktionsträger_innen der AfD lässt sich gen Zeitpunkt noch Partei- und Fraktionsvorsitzen- ein wiederkehrendes Muster erkennen, das darauf der, mittlerweile Fraktions- und Ehrenvorsitzender abzielt, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. der Partei, hat in einem im Juni 2018 erschienenen Es beginnt mit einer – oftmals diskriminierenden Interview zu unterschiedlichen Äußerungen von Sei- – Äußerung. Darauf folgt die ritualisierte Behaup- ten der AfD und politischen Positionen der Partei zu- tung, es sei zu Fehlinterpretationen oder Missver- dem konstatiert, dass „wir in der Tat versuchen, die ständnissen gekommen, verbunden mit der Ein- Grenzen des Sagbaren auszuweiten“ und außerdem nahme eines Opferstatus nach dem Motto „Wir ergänzt: „Und ja, da findet eine Ausweitung der sag- werden mit unserer Meinung ausgegrenzt“.63 Mit baren Zone statt, und das ist auch beabsichtigt.“57 dieser Methode, die auf ständige Verletzung des in Artikel 1 Absatz 1 verankerten Grundkonsenses Um dieses Ziel zu erreichen, gehen AfD-Funktio- in einer pluralen, auf den Menschenrechten basie- när_innen typischerweise so vor, dass sie über renden Demokratie zielt, setzt die Partei darauf, Minderheiten und/oder in Deutschland lebende dass ihre Positionen schrittweise zur Normalität Nicht-Staatsangehörige sprechen, sie dabei mit und damit gesellschaftsfähig werden. negativen Eigenschaften oder diskriminierenden Begriffen belegen, sie beschimpfen („Kopftuchmäd- Zur Durchsetzung ihrer rassistischen und rechts- chen, alimentierte Messermänner und sonstige extremen Positionen zeichnet die AfD zudem re- Taugenichtse“58) und dadurch die Verrohung der gelmäßig ein Bild von Deutschland, in dem sie Sprache und der gesellschaftlichen Auseinander die Zustände in Deutschland bar jeder Realität setzung vorantreiben.59 Zugleich bedienen sie verzerrt darstellt oder etwa tatsächlich beste- bestehende Ängste und schüren sie weiter, um so hende Missstände, die es in jedem Land, in jeder das Bild einer Bedrohung zu kreieren.60 Dieses freiheitlichen rechtsstaatlichen Demokratie gibt, Bedrohungsszenario wiederum bildet die Grund- völlig überzeichnet. Pessimismus zu verbreiten, lage für die Inszenierung der AfD als einzig wahren gehört zum Kerngeschäft völkischer, rechtsextre- Anwalt des „Volkes“. Beispielhaft lässt sich hier die mer Akteure. Dabei hat der völkische Kulturpessi- stellvertretende AfD-Bundes- und Fraktionsvorsit- mismus, wonach die moderne Gesellschaft einen zende Beatrix von Storch zitieren, die einen Schuss- Prozess des Niedergangs durchlaufe, eine lange 55 Siehe dazu genauer: Niehr / Reissen-Kosch (2018), S. 123 ff.; Häusler (2018), S. 3 ff. 56 Das Zitat findet sich unter https://www.youtube.com/watch?v=HDNHljUH0OI (abgerufen am 07.05.2021). 57 Frankfurter Allgemeine Woche (08.06.2018): Interview, „Wir versuchen, die Grenzen des Sagbaren auszuweiten“, S. 25. 58 So Alice Weidel, die Co-Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag, in einer Debatte zum Haushalt im Bundestag am 16.05.2018, Deutscher Bundestag (2018): Plenarprotokoll 19/32, S. 2972. 59 Siehe dazu genauer, mit weiteren Beispielen, Niehr / Reissen-Kosch (2018), S. 123 ff. 60 Siehe dazu etwa Häusler (2018), S. 2 ff., unter Bezugnahme auf Äußerungen von Führungspersonen und Mandatsträger_innen sowie Stra- tegiepapiere der AfD. 61 Siehe dazu etwa Hruschka (2018); Deutsches Institut für Menschenrechte (2018). 62 Frankfurter Allgemeine Zeitung (31.01.2016): AfD-Vizechefin will Polizei sogar auf Kinder schießen lassen. https://www.faz.net/aktuell/ politik/fluechtlingskrise/beatrix-von-storch-afd-vizechefin-will-polizei-sogar-auf-kinder-schiessen-lassen-14044186.html (abgerufen am 27.03.2021). 63 Siehe dazu ebenso Häusler (2018), S. 3; Niehr / Reissen-Kosch (2018), S. 123 ff.
20 R ASSISTISCHE UND RECHTSEX TREME POSITIONEN DER AFD Tradition. Angst zu schüren und in Gang zu halten, informationellen und medialen Einflusses auf die Be- ist schließlich ein wichtiges Instrument totalitärer völkerung in Händen“ halte. Herrschaft. Die Verbreitung von Angst ist der erste Schritt, um Akzeptanz für autoritäre politische Maß- Dieser Linie folgend sprach Alexander Gauland – wie nahmen zu schaffen. Dabei richtet sich die rassis- viele andere in der AfD – mit Blick auf Maßnahmen, tisch motivierte Agitation nicht immer gegen ein- die von der Bundesregierung gegen die Corona- zelne Menschen, sondern allgemeiner gegen die Pandemie ergriffen wurden, im November 2020 von bestehende freiheitliche, rechtsstaatliche Demo- einer „Corona-Diktatur“. Der parlamentarische Ge- kratie.64 So zielt die AfD etwa auch auf Repräsen- schäftsführer der Bundestagsfraktion Bernd Bau- tant_innen „des Systems“ ab.65 Sie verunglimpft mann hat von einer „Ermächtigung der Regierung, Deutschland regelmäßig als Quasi-Diktatur, um wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr sich selbst als rettende Kraft zu inszenieren. gab“ gesprochen und damit auf das Ermächtigungs- gesetz der Nationalsozialisten angespielt, mit dem Im Grundsatzprogramm der AfD – im Eingangs- sich der Reichstag 1933 selbst entmachtet und den kapitel „Demokratie und Grundwerte“ – findet sich Weg zur Diktatur unter Hitler ermöglicht hatte.68 dazu Folgendes: „Deutschlands Staatsapparat hat inzwischen ein ungutes Eigenleben entwickelt. Die Inszenierung vom drohenden Untergang, die Die Machtverteilung entspricht nicht mehr den vonseiten der AfD permanent betrieben wird, ist Grundsätzen der Gewaltenteilung. […] Heimlicher ein weiterer Baustein ihrer Strategie, die der Mar- Souverän ist eine kleine, machtvolle politische kierung von Feinden und der Konstruktion eines Führungsgruppe innerhalb der Parteien. Sie hat heroischen Selbstbildes dient. Sie erzeugt Hand- die Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte zu lungsdruck, suggeriert die Notwendigkeit gewalt- verantworten. Es hat sich eine politische Klasse von samen Widerstands und rechtfertigt Gewalt.69 Die Berufspolitikern herausgebildet, deren vordringli- ideologischen Ursprünge dieses Denkens liegen im ches Interesse ihrer Macht, ihrem Status und ihrem völkischen Kulturpessimismus des frühen 20. Jahr- materiellen Wohlergehen gilt. Es handelt sich um ein hunderts. Auf diesen Mechanismus, die Gegenwart politisches Kartell, das die Schalthebel der staatli- in völliger Verzerrung der Realität möglichst düster chen Macht, soweit diese nicht an die EU übertragen zu zeichnen, um sich selbst als Erlöser auszugeben, worden ist, die gesamte politische Bildung und große setzt heutzutage neben anderen rechtsextremen Teile der Versorgung der Bevölkerung mit politischen Akteuren70 auch die AfD zur Durchsetzung ihrer Informationen in Händen hat.“66 Dementsprechend rassistischen und rechtsextremen Positionen. ist auch im Wahlprogramm der AfD zur Bundestags- wahl 2021 unter der Überschrift „Das Volk muss wieder zum Souverän werden“67 davon die Rede, 4.3 Positionen von Führungspersonen dass sich in Deutschland eine „politische Klasse“ und Mandatsträger_innen herausgebildet habe, die „die Schalthebel der staatlichen Macht, der politischen Bildung und des Die in ihrer Programmatik zum Ausdruck kom- mende rassistische, national-völkische Ausrich- 64 Siehe zu alledem Quent (2019), S. 179 ff. 65 Siehe dazu etwa Bender, Justus, Frankfurter Allgemeine Zeitung (04.09.2018): Gauland für „friedliche Revolution“ gegen das „politische System“. https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/afd-chef-gauland-friedliche-revolution-gegen-das-politische-system-15771150. html sowie Kohler, Berthold, Frankfurter Allgemeine Zeitung (5.9.2018): Früher nannte man das Säuberung. https://www.faz.net/aktuell/ politik/afd-phantasien-von-alexander-gauland-man-nannte-es-saeuberung-15773410.html (abgerufen am 08.04.2021); Pfahl-Traughber (2020), S. 88 f. 66 Alternative für Deutschland (2016), S. 14 f. 67 Alternative für Deutschland (2021a), S. 12. 68 Siehe dazu ZDF, heute (28.11.2020): Rede auf AfD-Parteitag - Warum Meuthen die Systemfrage der AfD stellt. https://www.zdf.de/ nachrichten/politik/corona-afd-parteitag-meuthen-querdenken-100.html; tagesschau.de (28.11.2020): AfD-Parteitag. Meuthen knöpft sich eigene Leute vor. https://www.tagesschau.de/inland/afd-bundesparteitag-105.html (abgerufen am 08.04.2021). 69 Vgl. Quent (2019), S. 183. Siehe dazu auch nachfolgend unter 4.3. 70 Siehe dazu etwa Quent (2019), S. 179 ff.
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