Handy-Videos im Physikunterricht
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Handy-Videos im Physikunterricht Gerhard Rath Mobiltelefone in Schulen sind derzeit ein kontroversielles Thema. Wie der Umgang mit ihnen zu regeln ist, wird intensiv diskutiert. In vielen Schulen sollen sie im Unterricht ausgeschaltet sein, manche verbieten Handys überhaupt. Dabei sind diese elektronischen Geräte vor allem in Form der immer stärker aufkommenden Smartphones wahre Alleskönner und aus der Welt der Jugendlichen nicht mehr wegzudenken. Daher sollen hier praxiserprobte Möglichkeiten aufgezeigt werden, wie man Handys im Unterricht sinnvoll nutzen kann. Was man mit Handys im Physikunterricht machen kann Zuerst einmal kann die Technologie der Mobiltelefone selbst ein Thema des Physikunterrichts sein. Eine mögliche Aufgabe: Stelle dir vor, du telefonierst gerade mit einem Freund. Was passiert da eigentlich genau? Wie wird die Sprache von deinem zu seinem Handy und umgekehrt übertragen? Erstelle dazu eine Skizze, die den Weg der Übertragung darstellt! Es ist interessant zu sehen, wie sich Jugendliche diese Funktion vorstellen. Oft meinen sie anfangs, die Daten werden direkt von Handy zu Handy übertragen. Daran anknüpfend lassen sich elementare technische Verfahren wie das elektromagnetische Spektrum, Analog-Digital-Wandlung oder Modulation gewinnbringend einführen. Ein weiteres mit Mobiltelefonie verknüpftes Thema ist die Problematik des Elektrosmogs, also der Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Menschen. Was bewirkt das Telefonieren mit Handys in unserem Körper? Bestehen Gefahren durch diese Strahlung? Wie gehen wir sinnvoll mit dieser Technologie um? Eine zweite Möglichkeit ist die Nutzung von Standardprogrammen, die auf praktisch allen Handys vorhanden sind. So kann es als Taschenrechner, als Digitalkamera oder als Stoppuhr dienen. Smartphones erweitern diese Möglichkeiten enorm, sie sind eigentlich Mini-Computer und Vielfachmessgeräte, digitale Schweizermesser sozusagen. Ihre Sensorik ist beeindruckend, zum Beispiel: Licht (Kamera), Schall (Mikrofon), Beschleunigung in drei Raumdimensionen, GPS, Magnetfeld in drei Raumdimensionen. Mit entsprechenden Programmen (Apps) kann man eine Reihe interessanter Messungen durchführen, etwa die Erfassung der Lautstärke (dB) im Schulgebäude. Das Themenheft Praxis der Naturwissenschaften „Physik mit Handy und Smartphone „beschreibt einige Beispiele (1) Diese Programme sind aber abhängig von der Plattform und vom Gerät (Android, Apple, Windows…). Sie sind also nicht einheitlich verfügbar und betonen soziale Unterschiede: Wer hat das modernere, das bessere Smartphone? Daher soll hier nicht weiter auf diese Möglichkeiten eingegangen werden. Warum Videos? Die Video-Funktion ist praktisch auf allen Handys verfügbar, auch auf älteren Modellen. Diese erzeugen zwar Videos mit geringerer Auflösung, was aber den Vorteil von kleineren Dateigrößen mit sich bringt. Daher können alle Schüler selbst Filme produzieren, auch zu Hause.
Laut der jährlichen BITCOM Studie ist sie auch eine der von Jugendlichen am häufigsten genutzten Funktionen (2). Sie sind mit dem Medium an sich vertraut und beherrschen die Bedienung. Die Verwendung im Unterricht lässt also auf jeden Fall eine Steigerung der Motivation für das damit verbundene Thema erwarten. Mit Videos wird im Physikunterricht schon lange gearbeitet, bisher aber meistens mit Videokameras oder mit fertigen, professionellen Filmen. Die eigenen Videos der Jugendlichen sind natürlich von der Qualität her schlechter, aber: Sie sind authentisch, sie kommen von ihnen selbst, sie sind direkt mit ihrer Lebenswelt verbunden. Damit haben wir die Chance, diese Lebenswelt in den Unterricht und die Physik in ihr Leben zu bringen. Ein weiteres Ziel betrifft den sinnvollen Umgang mit Mobiltelefonen. Die Jugendlichen lernen Möglichkeiten ihrer Handys kennen, sie lernen zielgerichtet zu filmen und das Gesehene zu interpretieren. Dies betrifft vor allem Experimente, für deren Erfassung sich der multimediale Aspekt von Videos mit Bild, Ton und Zeitablauf besonders eignet. Für Lehrkräfte eröffnen Videos ihrer Schüler einen Zugang zu Diagnose und Feedback. Über den fachlichen Lernstand hinaus werden kreative oder sprachliche Fähigkeiten sichtbar. Die dauerhafte Verfügbarkeit begünstigt entsprechende Einschätzungen und Rückmeldungen. Wir erklären Experimente Schon 2007 begann Eduard Schittelkopf (Pädagogische Hochschule Steiermark) im Rahmen des Projekts mobile@classroom Handy-Videos im Physikunterricht einzusetzen (3). Die Schüler hatten den Auftrag, eigene Experimente am Schluss der Stunde als „I did IT“-Videos festzuhalten: Sie filmten sich selbst beim Erklären. Für dieses Projekt konnten Handys in Klassenstärke angeschafft werden, alle Schüler hatten also das gleiche Gerät. Die Fachhochschule Joanneum Graz richtete eine Lernplattform ein, auf welche die Schüler ihre Videos direkt hochladen konnten. Ich ließ mich von dieser Idee inspirieren, begann aber gleich, die eigenen Handys der Schüler verwenden zu lassen. Allerdings müssen dann die Filme in oder nach der Stunde dem Lehrer zugänglich sein. Dazu verwende ich mehrere technische Kanäle, etwa Bluetooth (direkte Übertragung Handy Schüler – Handy Lehrer), dropbox oder e-mail. Jedenfalls haben die Schüler den Auftrag, mir noch am gleichen Tag ihre Videos zukommen zu lassen. Diese lade ich dann auf meinen YouTube Channel hoch, deklariere sie dort als „nicht gelistet“, das heißt: Sie sind nicht öffentlich, können nicht per Videosuche gefunden werden. Nur wenn man über den Link verfügt, sind sie abrufbar. Sodann verlinke ich alle Videos einer Klasse auf einer moodle Lernplattform, die von den Schülern mit ihrem Passwort benutzt werden kann. Damit sind vor der nächsten Stunde die Videos verfügbar. Die Lernplattform hat den Vorteil, Videos mit Texten, Bildern und Links kombinieren zu können. Über Foren ist es auch möglich, dass Schüler dort ihre Videos kommentieren oder interpretieren. (Abbildung 1)
Web YouTube Lernplattform Unterricht Analyse Filmen Abbildung 1: Videos von Experimenten. Feedback-Kreislauf. (Foto: Eduard Schittelkopf) Soweit die technische Seite. Wie kann man aber in einer Klasse beginnen, Experimente zu filmen? Wir starten mit einem eher einfach durchzuführenden Schülerversuch in Gruppen. Im Gespräch vor der Durchführung schlage ich eine Dokumentation mit Handy-Video (statt schriftlichem Protokoll) vor und begründe dies. Wichtig ist gleich die erste Regel: Wer möchte gefilmt werden? Es dürfen nur
Personen zu sehen sein, die auch gefilmt werden wollen. Alternativ kann man auch nur das Experiment und die Hände filmen. In der nächsten Stunde sehen wir die ersten Ergebnisse an, sie sind meistens enttäuschend: Die Filme sind zu lang, die Kamera wackelt, die Erklärungen gehen im Lärm unter… Wir besprechen, wie man dies verbessern könnte, daraus ergeben sich klare Regeln für das Filmen, die explizit festgehalten werden: Nur das Experiment filmen Einen neutralen Hintergrund verwenden Hintergrundlärm vermeiden Kurz und prägnant filmen (ca. eine Minute) Die Kamera ruhig halten Es folgt der zweite Versuch mit einem anderen Experiment. Wegen des Klassenlärms ist es notwendig, einen weiteren Raum (oder auch Gang, Pausenhalle) für ruhiges Filmen verfügbar zu haben. Auch daher empfehlen sich einfachere Experimente mit transportablem Material. Nach der zweiten Feedbackschleife ergeben sich weitere Verbesserungsmöglichkeiten. Die Schüler erkennen meist von selbst, dass für kompakte Erklärungen ein Drehbuch sinnvoll ist. Sie schreiben also schon während des Experiments die wichtigsten Sätze auf und machen eine Probe ohne Kamera. Wichtig ist auch der Muster-Ablauf: 1. Wie heißt das Experiment? Worum geht es? Was ist die Frage? 2. Zeigen der Anordnung, was sieht man? 3. Durchführen des Experiments. 4. Erklären, Antwort auf die Frage. Statt der Zoom-Funktion geht man einfach mit dem Handy nahe an das Versuchsobjekt heran oder hält umgekehrt dieses nahe zum Handy. Vorteilhaft sind auch kurze Texte (z.B. eine Formel, die Namen der Gruppenmitglieder), die man schon groß auf ein Blatt Papier geschrieben hat, das man passend in die Kamera hält. Ein Beispiel einer solchen Folge zeigt der Kurs „Experimente zur Wärmelehre“ der 3.c-Klasse des BRG Kepler Graz: http://www4.edumoodle.at/physiklernen/course/view.php?id=89 (für Gäste frei). Er zeigt, wie sich die Kompetenzen der Schüler entwickeln. Genaueres zum Filmen von Experimenten findet sich im Artikel Mobile@classroom (4). Videoanalyse 1: Geschwindigkeitspfeile (Unterstufe) Das Münchener Mechanik Konzept begegnet Lernschwierigkeiten im Anfangsunterricht über Mechanik durch die Konzentration auf zweidimensionale Bewegungen, also zum Beispiel geworfene Bälle (5). Die Geschwindigkeit wird von Anfang an als Pfeil eingeführt, die Änderung der Richtung oder Größe benötigt eine Kraft. In diesem Konzept spielt Videoanalyse eine wichtige Rolle, denn Videos bieten eine bekannte Zeitauflösung. So sehen wir die Bewegung Schritt für Schritt und können die Geschwindigkeit als Pfeil einzeichnen.
Abb. 2: Die Spur eines Balls Es ist sinnvoll, nicht gleich mit eigenen Videos zu beginnen. Die Grundidee lässt sich besser mit händischer Analyse von Spur-Aufnahmen zeigen, also mit Ausdrucken von Videos, wo das bewegte Objekt in gleichen Zeitschritten abgebildet ist (Abb. 2). Es sollte auch der Umgang mit einem Videoanalyse-Programm gelernt werden, am besten mit einem vorgegebenen Video, an dem man die Technik üben kann. Ich verwende das Programm EVA aus dem Buch von Michael Suleder (6), es gibt aber freie Programme im Internet, z.B. Tracker (7). Dann kann es ans Herstellen eigener Filme gehen. Dieses braucht einige zusätzliche Regeln: Die ganze Bewegung muss auf dem Film sein Die Kamera muss fixiert sein, kein Zoom Die Ebene der Kamera muss zur Ebene der Bewegung parallel sein Wir brauchen einen sichtbaren Maßstab in der Ebene der Bewegung. Abb. 3: Filmen eines Pendels Wenn dann eigene Videos gemacht wurden, müssen diese meist konvertiert werden (z.B. .avi), was am besten zentral erfolgt. Ob die Auswertung (Pfeile zeichnen, messen…) händisch oder in einer Textverarbeitung erfolgt, hängt von den IT-Kompetenzen der Schüler ab. Auswertung: Zuerst werden die Positionen zu gleichen Zeiten (in Abb. 4 eine Sechstel Sekunde) mit Pfeilen verbunden.
Wo ist der Ball am schnellsten, wo ist er am langsamsten? Wie ändert sich seine Geschwindigkeit? Wie groß ist sie? Abb. 4: Geschwindigkeitspfeile Mit einem bekannten Maßstab (z.B. die Größe des Schülers) lässt sich die reale Länge der Pfeile bestimmen und damit die Geschwindigkeit des Balles. Abb. 5: Geschwindigkeitsänderung Mit einer einfachen Konstruktion (Verschieben der Pfeile) ermitteln wir die Änderung der Geschwindigkeit Δv, die auch die Richtung der Beschleunigung und Kraft anzeigt. Dies ist eine Vorstufe zur Arbeit mit Vektoren, auf die ich hier aber nicht eingehen möchte. Videoanalyse 2: Modellieren von Bewegungen (Oberstufe) Die Zeit/Ort-Daten, die man aus Videos erhält, ermöglichen auch das Erstellen von Bewegungsdiagrammen. Für einen hüpfenden Gummiball ist dies in Abb. 6 dargestellt:
Abb 6: Videoanalyse eines hüpfenden Gummiballs. Die Daten lassen sich exportieren und in einer Tabellenkalkulation weiter bearbeiten. In Abb. 7 wurde ein Modell der Abnahme der Sprunghöhe erstellt. Abb. 7: Vergleich von gerechneten mit gemessenen Daten. Mit dieser Modellierung haben wir eine typische wissenschaftliche Vorgangsweise im Kleinen nachvollzogen. Wir haben aus einem Vorgang Daten gewonnen und diese dann am Computer mit einem mathematischen Modell verglichen. Wenn der Vorgang eine alltägliche Bewegung ist und die Aufnahme der Daten mit dem eigenen Handy erfolgt, konnten die Lebenswelt der Schüler erfolgreich in den Physikunterricht einbezogen werden. Dort zeigen sich aber auch die Grenzen dieser Methode. Schon bei Fallbewegungen reicht die zeitliche Auflösung der Handykamera (meist 30 frames pro Sekunde) nicht mehr aus, das Bild
verschmiert sich, es wird unscharf. Andererseits drängt sich dadurch eine Fehleranalyse auf, auch ein wichtiges wissenschaftliches Verfahren. Ausblick Schon allein die Videofunktion von Mobiltelefonen zeigt eine Reihe von Möglichkeiten für den Physikunterricht. Mit der weiteren Verbreitung von Smartphones und Tablets wird die Videoanalyse einfacher werden, da man sie dann in Form entsprechender Apps ohne PC direkt am Mobilgerät durchführen kann (8). Dann wird auch das Smartphone als vielseitiges Messgerät allgemein interessant. Es müsste jedoch durch empirische Untersuchungen belegt werden, inwieweit sich die Motivation und der Einbezug der Lebenswelt in Form von Lerneffekten der Schüler niederschlägt. Quellen (1) Physik mit Handy und Smartphone (2011). Praxis der Naturwissenschaften Physik 7/60, Aulis- Verlag. (2) BITKOM. Jugend 2.0. Eine repräsentative Untersuchung zum Internetverhalten von 10- bis 18-jährigen. Berlin 2011.Quelle: http://www.bitkom.org/de/publikationen/38338_66711.aspx (21.5.2013) (3) Projekt mobile@classroom: http://virtuelleschule.bmukk.gv.at/projekte-national/ikt- projekte-visat/mobile-classroom/ 2007. (21.5.2013) (4) Rath G., Schittelkopf E (2011).: Mobile@classroom. Handyclips im Physikunterricht. In: Praxis der Naturwissenschaften Physik 7/60, S. 12 (5) Münchener Mechanik Konzept http://www.didaktik.physik.uni- muenchen.de/archiv/inhalt_materialien/mechanikkonzept/index.html (21.5.2013) (6) Suleder, M. (2010): Videoanalyse und Physikunterricht. Aulis-Verlag Köln. (7) Tracker: http://www.cabrillo.edu/~dbrown/tracker/ (21.5.2013) (8) Video Physics for iPad, iPhone and iPod touch: http://www.vernier.com/products/software/video-physics/ (21.5.2013)
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