HEGGE MITTENDRIN - in Gesellschaft, Kirche, Welt
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HEGGE MITTENDRIN – in Gesellschaft, Kirche, Welt NACHGEFRAGT… bei Dr. Sandra Legge Wenn Diskussion zur Bedrohung wird, ist die humane Diskussionskultur in Gefahr Wir leben in einer Zeit der gesellschaftlichen Unruhe. Nicht nur politisch und wirtschaftlich, sondern auch sozial und kommunikativ. Die Coronakrise wirkt in diesem Zusammenhang wie ein Brennglas. In öffentlichen, privaten und virtuellen Diskussionen ist immer häufiger das Muster des Schwarz-Weiß-Denkens, eine Einteilung in Gut und Böse, in ‚Wir‘ und ‚Die anderen‘, in Unten und Oben zu beobachten, mit weitreichenden Folgen für das soziale Zusammenleben, letztlich für die demokratische Gesellschaft.
Diskussionen verlieren immer häufiger ihr fruchtbares Potential durch die vorschnelle Einteilung in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß (Bild: Pexels auf Pixabay). Sich auf andere, auf neue Perspektiven einzulassen, sie zu ergründen, zu erforschen und kritisch zu prüfen, sich auf sachlicher Ebene – sowohl privat als auch öffentlich - zu streiten, ist für viele schon länger kein Abenteuer mehr; keine Chance sowohl den eigenen Horizont zu erweitern, als auch gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen. Andere Perspektiven und die Mühe zur differenzierten Betrachtungsweise werden vielmehr per se als Bedrohung eingestuft, die sachliche Ebene nicht selten emotional verwässert.
Andere Meinungen werden nicht als Chance für die eigene Perspektivenerweiterung betrachtet, sondern viel häufiger als Bedrohung (Bild: Göttinger Studentin auf der Suche nach Belegen zur zunehmenden Hasskommunikation; hier „Fuck you Greta!“-Aufkleber auf Auto). Sucht man nach Gründen, die diese Entwicklung befeuern, so lässt sich nicht auf ein einfaches Ursache-Wirkungs-Schema zurückgreifen. Festzustehen scheint, dass die digitalen Medien eine besondere Rolle in diesem Zusammenhang spielen. Sie bieten neue Möglichkeiten von sozialschädlicher Kommunikation. Einzelne Individuen oder auch ganze Gruppen können angegriffen, diskriminiert und verhöhnt werden, ohne dass der Verursacher tatsächlich und vollumfänglich zur Rechenschaft gezogen wird. Im Internet können einzelne Individuen oder auch ganze Gruppen zumeist ohne Konsequenzen angegriffen, diskriminiert und verhöhnt werden.
„Die Anonymität im Netz erweist sich dabei vielfach als zentraler ‚Explosionsmechanismus‘“ (Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020, S.70). Fake News können mitunter nur schwer als solche identifiziert werden, und selbst wenn, haben sie emotional allein über die Informationsaufnahme Spuren bei dem Rezipienten hinterlassen. Der einzelne ist dabei um so manipulierbarer, je größer seine oder ihre Passivität ist (vgl. Edler 2019, S.198). Nicht selten wird diese von gefühlter oder tatsächlicher Machtlosigkeit gespeist. Da bietet das Netz eine neue Form der Zugehörigkeit, denn „Milieubildung findet auch im virtuellen Raum statt“ (Heitmeyer/Freiheit/Sitzer 2020, S.60). Gerade Menschen in unsicheren Situationen sind empfänglich für einfache Antworten – ein Einfallstor für Populisten, für die Unterteilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse, in „Wir hier unten“ und „Die da oben“. Gerade das Erleben von Machlosigkeit, macht die Menschen anfälliger für Populisten (Bild: John Hain auf Pixabay). Um Populisten den Nährboden zu entziehen, um den betroffenen Individuen die erlebte Machtlosigkeit, nicht selten gepaart mit Wut, zu nehmen, um zu verhindern, dass sich die Pole weiter zementieren, um zu vermeiden, dass Kinder und Jugendliche
in einem Umfeld aufwachsen, das immer seltener Übungsfelder für fruchtbare Auseinandersetzungen bereithält, bedarf es verschiedener Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Zuvorderst brauchen wir politisch einen offenen, einen ehrlichen Diskurs über gesellschaftliche Missstände. Die Coronakrise hat unter anderem gezeigt, dass in unserer Gesellschaft die Herkunft nicht nur maßgeblich über den Bildungserfolg entscheidet, sondern auch über den Gesundheitszustand. Es bedarf einer genauen Analyse dieser, strukturellen Benachteiligungsstrukturen. Denn, „[w]er nicht offen analysiert, kann keine Lösungen anbieten. Lieber wehrt man ab, was die Abgewehrten weiter radikalisiert“ (Marinìc 2021, 5). Wer aber keine Lösungen anbieten kann, schafft neue Probleme und befördert die gesellschaftliche Polarisierung. Gesellschaftliche Teilhabe ist ein Grundbaustein für einen konstruktiven gesellschaftlichen Diskurs. Da, wo Teilhabe verwehrt wird, ist der Anschluss an Populisten als vermeintliche Problemlöser, die Abwertung anderer gesellschaftlicher Gruppen als Sündenbock, der Verlust der Abenteuerlust auf andere Perspektiven nicht weit. Parallel dazu müssen gesellschaftliche Institutionen, allen voran Kitas, Schulen und Elternhäuser Erfahrungsräume für das Erleben einer humanen Diskussions- und Streitkultur für Kinder und Jugendliche auf Augenhöhe schaffen. Denn je früher Kinder und Jugendliche erlernen, welch großes Abenteuer darin steckt, desto häufiger werden sie es suchen. Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf das Erlernen und Erleben einer humanen Diskussions- und Streitkultur als Abenteuer in allen wesentlichen Institutionen (Bild: Gerd Altmann auf Pixabay). Zugleich sind aber auch erwachsene Gesellschaftsmitglieder in den Fokus zu nehmen. Viele Erwachsene reagieren durch die Schärfe in der Kommunikation mit Mitmenschen zunehmend verunsichert. Bildungsangebote zum Umgang mit schwierigen
Gesprächspartnern, zur kritischen Selbstreflexion in Bezug auf den eigenen Kommunikationsstil etc. sind in diesem Zusammenhang sicher fruchtbare Angebote. Das Internet ist zu einem dominanten Kommunikationsmedium geworden. Dieser wachsenden Bedeutung steht zugleich eine noch immer in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete Unkenntnis im Umgang mit Informationen aus dem Netz gegenüber. Welchen Informationen kann ich trauen? Wie erkenne ich Fake News? Wie schütze ich mich und meine Daten? Wichtige Fragen, auf die die Mitglieder einer digitalisierten Gesellschaft fundierte Antworten parat haben sollten. Auch hier können Fort- und Weiterbildungseinrichtungen über passende Bildungsangebote den einzelnen stärken. Mit der Umsetzung dieser Aspekte ist das augenscheinliche Problem einer größer werdenden sozial schädlichen Kommunikationskultur in unserer Gesellschaft sicher nicht gelöst, aber erste, bedeutsame Schritte wären getan, oder?! Lassen Sie uns darüber diskutieren ! Sandra Legge Angaben zur Person: Dr. Sandra Legge ist pädagogische Mitarbeiterin und Leitungsassistenz beim Christlichen Bildungswerk DIE HEGGE. Zitierte Quellen: Edler, Kurt 2019. Alltagsweltliche Denkmuster als Ansatzpunkte populistischer Rhetorik. In: Gutjahr-Löser et al. (Hg.). 1918-2018: Demokratie und Bildung – Anspruch und Wirklichkeit. Leipziger Universitätsverlag GmbH: 195-204. Heitmeyer, Wilhelm; Freiheit, Manuela; Sitzer, Peter 2020. Rechte Bedrohungsallianzen. Suhrkamp Verlag: Berlin. Marinić, Jagoda 2021. Hinter der Wut. Politiker sollten erkennen, was Identitätspolitik ist: ein Schrei nach Teilhabe. In einer Demokratie muss auf Ungerechtigkeiten hingewiesen werden, gerade jetzt. In: Süddeutsche Zeitung, Nr. 65, S.5.
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