Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC

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Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC
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       Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020
       Im Jahr 2020 haben in der Schweiz tätige Ärztinnen und Ärzte dem Bundesamt für Gesund-
       heit (BAG) 938 neue Fälle von Hepatitis B gemeldet. Die Meldezahlen insgesamt waren in
       der Schweiz in den letzten 30 Jahren weitgehend stabil; seit 2017 sind sie tendenziell
       rückläufig. Die Melderate pro 100 000 Wohnbevölkerung lag im Jahr 2020 mit 10,8 pro
       100 000 niedriger als in den Vorjahren; die Inzidenz akuter Hepatitis B ist in den letzten
       zehn Jahren kontinuierlich gesunken und lag im Jahr 2020 bei unter 0,4 pro 100 000
       Wohnbevölkerung – das ist die tiefste Inzidenz seit Beginn der Überwachung im Jahr
       1988. Da sexuell übertragene Hepatitiden im Folgeprogramm des aktuell gültigen Natio-
       nalen Programms HIV und andere sexuell übertragene Infektionen (NPHS) verstärkt be-
       rücksichtigt werden, enthält dieser Bericht erstmalig auch ein Kapitel zu Hepatitis B.
       Obwohl die Hepatitis-B-Impfung seit 2019 bevorzugt im Säuglingsalter verabreicht wird,
       wird sie weiterhin allen ungeimpften Jugendlichen im Alter von 11–15 Jahren sowie
       besonders vulnerablen Gruppen ausdrücklich empfohlen. Handlungsbedarf liegt auch
       bei den klinischen Akteuren: Jeder Test auf HIV oder eine andere sexuell übertragene
       Infektion sollte von einer Abklärung des Hepatitis-Impfstatus begleitet werden.

       DATENLAGE UND FALLDEFINITION                die Meldung ebenfalls als akuter Fall       Dies entspricht einem Rückgang von
       Die Entwicklung der Hepatitis-B-Fälle       betrachtet.                                 42 % gegenüber dem Spitzenwert im
       wird in der Schweiz im Rahmen der           Alle anderen Fälle mit erhöhten Transa-     Jahr 1988, bzw. von 16 % gegenüber
       Meldepflicht für Infektionskrankheiten      minasen und/oder Ikterus sowie Fälle        dem Jahr 2000. Die nachfolgenden Aus-
       seit 1988 lückenlos überwacht. Schwei-      mit Leberzirrhose oder Leberkrebs wer-      wertungen beruhen auf den Informatio-
       zer Laboratorien müssen zunächst der        den als chronische Hepatitis B gezählt.     nen, die dem BAG zu diesen 938 neuen
       Kantonsärztin oder dem Kantonsarzt          Fehlen solche Hinweise auf Leberent-        Fällen vorlagen. Nachmeldungen wur-
       sowie dem BAG alle positiven Tester-        zündung oder deren Folgen, wird der         den bis zum 15. September 2021 be-
       gebnisse melden (Antikörper gegen das       Verlauf als asymptomatisch gewertet.        rücksichtigt. Nur für 657 Fälle (70 %)
       Hepatitis-B-Virus [HBV] Core-Antigen        Fehlt die klinische Meldung, ist der Ver-   lag mindestens eine klinische Meldung
       [HBc], Direktnachweis von HBV-Surface-      lauf unbekannt (siehe auch Tabelle 4).      vor, die Informationen zur Person ent-
       Antigen [HBs-Ag] oder HBV-DNA) [1,2].       Das dem Fall zugeordnete Jahr ent-          hält, die über Alter und Geschlecht hin-
       Wenn der betreffende Fall nicht bereits     spricht dem Jahr der ersten Meldung,        ausgehen und für die epidemiologische
       früher gemeldet wurde, wird der be-         weil der Zeitpunkt der Infektion im All-    Interpretation wichtige Hinweise liefern.
       handelnde Arzt oder die behandelnde         gemeinen unbekannt ist. Im Ausland          Der Anteil klinischer Meldungen im Jahr
       Ärztin vom kantonsärztlichen Dienst         lebende Patientinnen und Patienten wur-     2020 war bedingt durch die Covid-
       aufgefordert, ein Meldeformular mit         den von den Analysen ausgeschlossen.        Pandemie niedriger als in den Vorjahren
       den Ergebnissen zum klinischen Befund       Die jährlich gemeldete Zahl von Hepati-     (93 %).
       auszufüllen, wobei namentlich die klini-    tis-B-Fällen in der Schweiz begann mit      Die Inzidenz akuter Hepatitis B lag –
       schen Manifestationen und der Verlauf       einem Spitzenwert von 1614 Fällen im        adjustiert für fehlende Angaben auf den
       (akut oder chronisch), der vermutete        Jahr 1988, war in der ersten Hälfte der     klinischen Meldeformularen – bei knapp
       Ansteckungsweg, sowie die Nationalität      1990er-Jahre rückläufig (vor allem bei      0,4 pro 100 000 Wohnbevölkerung
       und das Herkunftsland anzugeben sind.       Männern) und blieb dann 20 Jahre auf        (Abbildung 4). Das ist die tiefste Inzi-
       Als Fälle akuter Hepatitis B gelten Fälle   einem Niveau von ca. 1200 Fällen pro        denz seit Beginn der Erfassung.
       mit einem positiven Laborergebnis für       Jahr stabil. Seit 2017 zeigen die Fall-
       Hepatitis B mit erhöhten Transaminasen      zahlen für Männer und Frauen einen          GEOGRAFISCHE VERTEILUNG
       und/oder Ikterus ohne Hinweise auf          abnehmenden Trend (Abbildung 1).            Für die ganze Schweiz und beide Ge-
       eine chronische Infektion. Bei allen Fäl-   Für das Jahr 2020 trafen insgesamt          schlechter zusammen lag die Melderate
       len mit dokumentierter Serokonversion       960 Meldungen ein, von denen 938 als        der Hepatitis-B-Diagnosen im Jahr 2020
       in den vorangehenden zwei Jahren wird       neue Hepatitis-B-Fälle gewertet wurden.     bei 10,8 pro 100 000 Wohnbevölkerung

BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC
ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN                       48/21             47

Abbildung 1
Labordiagnosen von Hepatitis-B nach Geschlecht und Diagnosejahr seit Beginn der Erfassung, 1988–2020

und ist somit niedriger als in den Vorjah-                 akuter Hepatitis-B, bei der eine Inzi-        nen Infektionen ein wenig nach rechts
ren. Es bestanden jedoch grosse regio-                     denzberechnung noch am ehesten                verschoben – sowohl bei Männern als
nale Unterschiede (Tabelle 1, Abbil-                       möglich ist, noch zu den Diagnoseraten        auch bei Frauen wurden (gerechnet
dung 5). Die höchsten Werte fanden                         von Hepatitis B insgesamt, wie es bei-        über die letzten fünf Jahre) die meisten
sich in der Genferseeregion und im Tes-                    spielsweise bei HIV üblich ist (siehe ent-    Fälle in der Altersgruppe der 25- bis
sin. In allen Grossregionen der Schweiz                    sprechendes Kapitel in diesem Bulletin).      34-Jährigen diagnostiziert (Abbil-
zeigt sich jedoch ein abnehmender                                                                        dung 2). Für Frauen mit einer Hepati-
Trend. Vergleichsdaten anderer Länder                      GESCHLECHT UND                                tis-B-Diagnose lag der Altersmedian bei
sind kaum verfügbar: Dem jüngsten                          ALTERSVERTEILUNG                              37, für Männer bei 41 Jahren.
Report des Europäischen Zentrums für                       Von den Hepatitis-B-Fällen im Jahr 2020       Bei Personen, die sich über heterosexuel-
die Prävention und Kontrolle von Krank-                    betraf die Mehrheit Männer (57 %).            le Kontakte infiziert haben, lag der Al-
heiten (ECDC) zufolge liegen im Euro-                      Bei Transpersonen wurde kein Fall von         tersmedian mit 37 niedriger als bei Per-
päischen Wirtschaftsraum (EWR) keine                       Hepatitis B gemeldet.                         sonen, die sich über intravenösen (oder
empirischen Daten zur «Inzidenz neuer                      Die Altersverteilung der Hepatitis B ist      intranasalen) Drogenkonsum infiziert
Hepatitis-Infektionen» vor [3], weder zu                   gegenüber anderen sexuell übertrage-          haben (40 Jahre), oder Personen mit
                                                                                                         unklarem Übertragungsweg (40 Jahre).
                                                                                                         Den höchsten Altersmedian wies die
                                                                                                         kleine Gruppe der Personen auf, die sich
                                                                                                         mit Hepatitis B im Rahmen medizinischer
Tabelle 1
                                                                                                         Behandlungen oder beruflicher medizini-
Melderate von Hepatitis-B-Diagnosen pro 100 000 Wohnbevölkerung nach
                                                                                                         scher Tätigkeit infiziert haben (47 Jahre).
BFS-Grossregion1 und Diagnosejahr, 2015–2020
Diagnosejahr                       2015         2016           2017       2018        2019        2020   ANSTECKUNGSWEG
Ganze Schweiz                       16,7            17,1       14,0        14,1       12,7        10,8   Das Hepatitis-B-Virus wird durch sämtli-
    Genfersee                      28,1             26,0       20,4        19,2       14,7        15,5   che Körperflüssigkeiten und -sekrete
     Espace Mittelland             14,2             14,3       12,1        11,8       14,0         9,7   übertragen; am häufigsten durch Ge-
     Nordwestschweiz               14,5             15,3       12,7        14,8       13,3         9,7   schlechtsverkehr und durch Kontakt mit
     Zürich                        14,0             17,3       14,3        14,3       12,9        11,1   Blut. Generell gilt Hepatitis B als extrem
                                                                                                         ansteckende Infektionskrankheit – zehn-
    Ostschweiz                     11,4             10,1       10,1        10,7        8,4         8,1
                                                                                                         mal infektiöser als HIV. Dennoch ist die
    Zentralschweiz                 11,3             13,8        9,2         9,1        9,3         7,4
                                                                                                         Identifizierung von Übertragungswegen
    Tessin                         25,9             26,2       22,3        21,2       17,1        13,6   aufgrund des meist unbekannten Infek-
1
    Definition der BFS-Grossregionen siehe Anhang                                                        tionszeitpunkts oft schwierig. Entspre-

                                                                                                                        BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC
48         48/21            ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN

       Abbildung 2                                                                              15 Fällen eine untergeordnete Rolle.
       Altersverteilung von Personen mit neuer Hepatitis B nach Geschlecht                      Weiterhin wurden 43 Fälle von perinatal
       (Fälle der letzten 5 Jahre aus statistischen Gründen zusammengefasst)                    erworbener Hepatitis B gemeldet, aller-
                                                                                                dings handelte es sich zum grossen Teil
                                                                                                um Personen mit Herkunft aus Hochprä-
                                                                                                valenzländern für Hepatitis B. All diese
                                                                                                Fälle sind in Tabelle 2 als andere darge-
                                                                                                stellt, in allen weiteren Tabellen in der
                                                                                                Kategorie als unbekannt/andere zusam-
                                                                                                mengefasst.

                                                                                                GESCHLECHTSSPEZIFISCHE TRENDS
                                                                                                Im Verlauf der letzten sechs Jahre war
                                                                                                der Trend, dass sich Männer und Frauen
                                                                                                über sexuelle Kontakte infizieren, deut-
                                                                                                lich rückläufig. Adjustiert für fehlende
                                                                                                klinische Meldungen (oberer Rand der
                                                                                                farblichen Schattierung) fiel die Fallzahl
                                                                                                bei MSM kontinuierlich, von 17 im Jahr
       chend war in 94 % der Fälle der Über-        Personen mit heterosexueller Übertra-       2015 auf 1 im Jahr 2020. Bei anderen
       tragungsweg unbekannt, Tabelle 2 zeigt       gung lag der Frauenanteil bei 28 %, bei     Männern sank die Fallzahl im gleichen
       die Varianz nach Grossregionen. Bei Fäl-     nosokomialer Übertragung bei 33 %,          Zeitraum von 42 auf 36, und bei Frauen
       len chronischer wie auch bei akuter He-      bei Personen mit IDU bei 33 %. Auf-         von 25 auf 15 Fälle (Abbildung 3).
       patitis B lag der Anteil mit unbekann-       grund der relativ kleinen Fallzahlen wird   Bei nosokomialen Infektionen war im
       tem Übertragungsweg bei 83 % und             bei diesen zwei Übertragungswegen in        Verlauf der letzten sechs Jahre bei bei-
       damit niedriger als bei asymptomati-         den Tabellen auf eine nach Geschlecht       den Geschlechtern kein eindeutiger
       schen Infektionen. Hier lag der Anteil       getrennte Darstellung verzichtet.           Trend erkennbar; die adjustierte jähr-
       unbekannter Übertragungswege bei             Der konsistente Gebrauch von Kondo-         liche Fallzahl lag bei durchschnittlich 9
       92 % (vergleiche auch Tabelle 4).            men bei Anal- und Vaginalverkehr            (Männer) bzw. 15 Fällen (Frauen).
       Der im Jahr 2020 am häufigsten gemel-        schützt wirkungsvoll gegen HIV, aber        Auch bei Personen mit IDU war im Ver-
       dete vermutete Ansteckungsweg von            wenig gegen die meisten anderen sexu-       lauf der letzten sechs Jahre kein eindeu-
       Hepatitis B waren sexuelle Kontakte.         ell übertragenen Infektionen, inklusive     tiger Trend erkennbar; die adjustierte
       Dies war bei 4 % aller Fälle so.             HBV. Gegen HBV gibt es aber seit An-        Fallzahl lag bei durchschnittlich 12
       An zweiter Stelle folgten im medizini-       fang der Achtzigerjahre eine wirksame       (Männer) bzw. 2 Fällen (Frauen).
       schen Kontext erworbene Infektionen          und sichere Impfung, welche weltweit
       (1 % aller Fälle). Diese werden im Fol-      angewendet wird. Vor der Verfügbarkeit
       genden zusammenfassend als nosoko-           einer Impfung war Hepatitis B bei Män-      HERKUNFTSLAND
       mial bezeichnet («Krankenhausinfekti-        nern, die Sex mit Männern haben             Als Regionen mit den weltweit höchsten
       on») und umfassen neben Dialyse,             (MSM) sehr stark verbreitet, mit Sero-      HBV-Prävalenzen gelten die WHO-Regi-
       therapeutischen oder diagnostischen          prävalenzen von über 50 % [4]. Heute        onen Afrika und Westpazifik. Aber auch
       Eingriffen auch die Transfusion von Blut-    sind MSM in den meisten europäischen        Länder der WHO-Region Europa sind in
       produkten, aber auch berufliche Exposi-      Ländern mehrheitlich gegen Hepatitis B      besonderem Masse von Hepatitis B be-
       tionen (z.B. Nadelstichverletzung). Eine     geimpft, die Durchimpfungsraten von         troffen [7], etwa Südosteuropa und die
       Transfusion wurde bei sieben der im          Schweizer MSM sind vergleichsweise          Türkei, aber auch die fünf Nachfolge-
       Jahr 2020 bekannt gewordenen Fälle als       hoch [5]. Im Schweizer STAR-Trial wur-      staaten der Sowjetunion in Zentralasien.
       Übertragungsweg genannt. Es sei an           den bei über 10 % aller teilnehmenden       Auf dem klinischen Meldeformular wird
       dieser Stelle nochmals hervorgehoben,        MSM Hinweise auf eine durchgemachte         neben der Nationalität auch das Her-
       dass das dem Fall zugeordnete Jahr sich      Hepatitis B gefunden, 32 % hatten           kunftsland erfasst. Fehlte der Eintrag in
       auf den Eingang der ersten Meldung           jedoch keine Immunität. Insofern über-      diesem Feld, wurde das Herkunftsland
       bezieht, nicht auf den Zeitpunkt der         rascht es, dass im Jahr 2020 nur            der Person durch ihre Nationalität er-
       HBV-Infektion, welcher in der Regel un-      eine Person mit diesem Übertragungs-        setzt. Bei 47 % der im Jahr 2020 gemel-
       bekannt ist.                                 weg identifiziert wurde.                    deten Fälle war das Herkunftsland un-
       An dritter Stelle folgten Infektionen, die   Andere Arten der Exposition, vor allem      bekannt. Mindestens 16 % der Fälle
       beim Drogenkonsum mit Spritzen er-           nicht weiter beschriebene Kontakte mit      betrafen Personen mit Schweizer Her-
       worben wurden, im Folgenden als IDU          infizierten Personen (22 Fälle), oder       kunft. Auch bei Personen mit IDU oder
       (injection drug use) abgekürzt. Dies         Tätowierungen, Piercings oder Barbier-      mit nosokomial erworbener Hepatitis B
       betrifft 1 % aller Fälle. Tabelle 2 zeigt    besuche bei hygienisch nicht einwand-       kam über die Hälfte der Patienten aus
       die Varianz nach Grossregionen. Bei          freien Bedingungen spielten mit             der Schweiz.

BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC
ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN                                 48/21             49

Tabelle 2
Neue Hepatitis-B-Fälle nach Ansteckungsweg1 und BFS-Grossregion2, 2020
Ansteckungsweg:                          IDU                nosokomial                MSM               heterosexuell                andere           unbekannt
                                     N         %            N        %            N         %           N           %            N            %        N           %
Ganze Schweiz                        9      1,0 %          12     1,3 %           1     0,1 %          36        3,8 %          80       8,5 %       800    85,3 %

    Genfersee                        4      1,5 %           2     0,8 %                                15        5,8 %          28      10,8 %       210    81,1 %

    Espace Mittelland                1      0,5 %           2     1,1 %           1     0,5 %           8        4,3 %          10       5,4 %       163    88,1 %

    Zürich                           1      0,6 %           2     1,2 %                                 6        3,5 %          13       7,5 %       151    87,3 %

    Ostschweiz                       3      3,1 %           1     1,0 %                                 1        1,0 %           9       9,4 %        82    85,4 %

    Nordwestschweiz                                         1     0,9 %                                 2        1,7 %          11       9,6 %       101    87,8 %

    Zentralschweiz                                          1     1,6 %                                 1        1,6 %           8      13,1 %        51    83,6 %

    Tessin                                                  3     6,2 %                                 3        6,2 %           1       2,1 %        41    85,4 %
1
  IDU: intravenöser (oder intranasaler) Drogengebrauch; nosokomial: «Krankenhausinfektion» umfasst Infektionen durch Transfusion von Blutprodukten, Dialyse,
therapeutische oder diagnostische Eingriffe, aber auch berufliche Exposition (z.B. Nadelstichverletzung). MSM: sexuelle Kontakte zwischen Männern; andere:
nicht weiter beschriebene Kontakte mit infizierten Personen, Tätowierungen, Piercings, Barbierbesuche
2
  Definition der BFS-Grossregionen siehe Anhang

10 % der Personen mit Hepatitis B im-                   KLINISCHER VERLAUF                                      Infektionen war 2020 in der Mehrheit
migrierten aus einem Land des europäi-                  Die meisten Personen, bei denen im                      der Fälle (20 von 23) kein Übertragungs-
schen Wirtschaftsraums, dem Vereinig-                   Jahr 2020 eine neue Hepatitis-B-Infekti-                weg eruierbar.
ten Königreich, den USA oder Kanada;                    on festgestellt wurde, befanden sich in                 In Tabelle 4 sind auch die harten klini-
9 % aus einem Nachfolgestaat der                        einem asymptomatischen Stadium                          schen Endpunkte chronischer Leberent-
Sowjetunion (ohne Baltikum), Südosteu-                  (60 %). 2 % der Patienten hatten einen                  zündungen – die Leberzirrhose und das
ropa oder der Türkei; 12 % aus einem                    akuten Verlauf, 7 % Zeichen einer chro-                 Leberzellkarzinom (HCC) – nach Anste-
afrikanischen Land oder dem Nahen/                      nischen Hepatitis B. In 30 % der Fälle                  ckungsweg dargestellt. Insgesamt wur-
Mittleren Osten, 4 % aus einem Land                     war der Verlauf unbekannt. Ein asymp-                   den dem BAG im Jahr 2020 17 Fälle von
der WHO-Regionen Ostasien/West-                         tomatischer Verlauf dominierte alle                     chronischer Hepatitis mit Leberzirrhose
pazifik. Tabelle 3 zeigt die Herkunft                   Übertragungswege (Tabelle 4). Selbst                    und 9 Fälle von chronischer Hepatitis
nach mutmasslichem Übertragungsweg.                     bei den akut verlaufenden Hepatitis-B-                  mit HCC gemeldet.

Abbildung 3
Neue Hepatitis-B-Fälle bei Männern und Frauen nach Ansteckungsweg1 und Diagnosejahr, 2015–2020

1
 IDU: intravenöser (oder intranasaler) Drogengebrauch; nosokomial: «Krankenhausinfektion» umfasst hier Infektionen durch Transfusion von Blutprodukten, Dialyse,
therapeutische oder diagnostische Eingriffe, aber auch berufliche Exposition wie Nadelstichverletzung. MSM: sexuelle Kontakte zwischen Männern. Linien: Ärztlich
gemeldete Expositionen. Rand der farblich zugehörigen Schattierung: Hochgerechnete Anzahl Hepatitis-B-Fälle zur Adjustierung für fehlende klinische Meldungen

                                                                                                                                  BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
Hepatitis B in der Schweiz im Jahr 2020 - INFOVAC
50           48/21                  ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN

       Werden beide Endpunkte zusammenge-                    Bei 35 Hepatitis-B-Fällen des Jahres                   IMPFUNG
       fasst und für fehlende klinische Meldun-              2020 (4 %) fehlte der Nachweis von                     Die aktuelle Strategie der Weltgesund-
       gen adjustiert, ergibt sich eine Inzidenz             HBV-Antigen oder HBV-DNA, somit lag                    heitsorganisation (WHO) besteht darin,
       von 0,3 pro 100 000 Wohnbevölkerung                   kein Hinweis auf eine aktive Infektion                 dass 90–95% der Kleinkinder drei
       (35 Fälle von durch HBV verursachter                  vor. Die Melderate von Hepatitis-B-                    Dosen HBV-Impfstoff erhalten sollen.
       Leberzirrhose und/oder HCC).                          Fällen mit Nachweis von HBV-Anti-                      Die Schweiz hat dieses Ziel in den Jah-
       Werden die Fallzahlen von Hepatitis-B-                gen/-DNA lag im Jahr 2020 bei 10,4 pro                 ren 2017–19 weder direkt bei Kleinkin-
       Infektionen für fehlende klinische                    100 000 Wohnbevölkerung (903 Fälle)                    dern (Durchimpfung von 69 % im Alter
       Meldungen adjustiert, zeigt sich der in               und hat seit dem Jahr 2000 um 33 %                     von 2 Jahren) noch indirekt bei Jugend-
       Abbildung 4 dargestellte Zeitverlauf. Die             abgenommen.                                            lichen (74 % mit 16 Jahren) erreicht [8].
       Inzidenz in der Schweiz erfasster akuter                                                                     Die Impfung gegen Hepatitis B ist erst
       HBV-Infektionen ist seit dem Jahr 2000                                                                       seit 2019 als Basisimpfung im Säug-
       um 83 % zurückgegangen und lag im                                                                            lingsalter vorgesehen. Zuvor war sie von
       Jahr 2020 bei 0,4 pro 100 000.                                                                               1998–2018 prioritär für Jugendliche im

       Tabelle 3
       Neue Hepatitis-B-Fälle nach Herkunftsland, Ansteckungsweg1 und Geschlecht, 2020
       Ansteckungsweg:                          IDU              nosokomial                MSM               heterosexuell                 unbekannt /andere
       Geschlecht:                                                                                                                   männlich              weiblich
                                           N          %          N        %            N         %           N          %            N          %         N           %
       Herkunftsland

           Schweiz                          2    22,2 %          4    33,3 %                                 6      16,7 %          69    13,8 %         65       17,2 %

           EWR , UK, USA, Kanada
               2
                                            3    33,3 %          1     8,3 %                                 3       8,3 %          49     9,8 %         39       10,3 %

           Osteuropa/Zentralasien3,                              2    16,7 %           1   100,0 %           6      16,7 %          51    10,2 %         29        7,7 %
           Südosteuropa, Türkei
           Afrika u. Naher Osten4                                3    25,0 %                                11      30,6 %          65    13,0 %         31        8,2 %

           Ostasien/Westpazifik                                  1     8,3 %                                 3       8,3 %          18     3,6 %         14        3,7 %

           andere                                                                                            2       5,6 %          12     2,4 %          7        1,8 %

           unbekannt                        4    44,4 %          1     8,3 %                                 5      13,9 %        237     47,3 %        194       51,2 %

       Total                                9   100,0 %         12   100,0 %           1   100,0 %          36     100,0 %        501    100,0 %        379    100,0 %
       1
         IDU: intravenöser (oder intranasaler) Drogengebrauch; nosokomial: «Krankenhausinfektion» umfasst hier Infektionen durch Transfusion von Blutprodukten,
       Dialyse, therapeutische oder diagnostische Eingriffe, aber auch berufliche Exposition wie Nadelstichverletzung. MSM: sexuelle Kontakte zwischen Männern;
       unbekannt/andere: nahezu ausschliesslich unbekannter Übertragungsweg, siehe Tabelle 2
       2
         EWR: Europäischer Wirtschaftsraum
       3
         i.e. Nachfolgestaaten der Sowjetunion (ohne Baltikum)
       4
         entspricht den WHO-Regionen AFR/EMR plus Israel

       Tabelle 4
       Klinischer Verlauf neuer Hepatitis-B-Fälle nach Ansteckungsweg1, 2020
       Ansteckungsweg:                          IDU              nosokomial                MSM               heterosexuell                 unbekannt /andere
       Geschlecht:                                                                                                                   männlich              weiblich
                                           N          %          N        %            N         %           N          %            N          %         N           %
       Verlauf

           Akute Hepatitis B                                                                                 3       8,3 %          12     2,4 %          8        2,1 %

           Chronische Hepatitis B           3    33,3 %          2    16,7 %                                 6      16,7 %          38     7,6 %         16        4,2 %

           Zirrhose                        3                     0                     0                     0                      12                    2

           Leberzellkarzinom               1                     0                     0                     0                       6                    2

           asymptomatisch                  6     66,7 %         10    83,3 %           1   100,0 %          27      75,0 %        299     59,7 %        223       58,8 %

           unbekannt                                                                                                              152     30,3 %        132       34,8 %

       Total                                9   100,0 %         12   100,0 %           1   100,0 %          36     100,0 %        501    100,0 %        379    100,0 %
       1
        IDU: intravenöser (oder intranasaler) Drogengebrauch; nosokomial: «Krankenhausinfektion» umfasst Infektionen durch Transfusion von Blutprodukten, Dialyse,
       therapeutische oder diagnostische Eingriffe, aber auch berufliche Exposition (z.B. Nadelstichverletzung). MSM: sexuelle Kontakte zwischen Männern; unbekannt/
       andere: nahezu ausschliesslich unbekannter Übertragungsweg, siehe Tabelle 2

BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN                      48/21             51

Alter von 11–15 Jahren empfohlen [9].                     Die Inzidenz akuter Fälle hat in der         defizit bei gleichzeitig erhöhter
Die Impfung im Säuglingsalter ist besser                  Schweiz in den letzten Jahren kontinu-       Krankheitslast bei in der Schweiz tätigen
geeignet, um chronische Hepatitis-B-                      ierlich abgenommen; auch hier war            Sexarbeiterinnen auf [10]. Diese kom-
Fälle zu verhindern, da sich das Alter bei                mehrheitlich kein Übertragungsweg            men mehrheitlich aus Ländern mit un-
Infektion umgekehrt proportional zum                      eruierbar.                                   zureichender Impfabdeckung. Ob ihre
Risiko einer persistierenden Infektion                    Bereits das Nationale Programm HIV           Kunden sich als Gruppe mit erhöhtem
verhält (das Risiko ist bei Neugeborenen                  und andere sexuell übertragbare Infekti-     HBV-Risiko wahrnehmen, ist für die
mit ca. 90 % am höchsten). Allen                          onen (NPHS) von 2011 setzt bei der           Schweiz bisher ungeklärt.
Schwangeren in der Schweiz wird syste-                    HBV-Prävention auf die breite Imple-         Handlungsbedarf liegt aus Sicht des
matisch eine Blutuntersuchung empfoh-                     mentierung der Impfung, sowohl in der        BAG vor allem bei den klinischen Akteu-
len, um festzustellen, ob sie Virusträge-                 Allgemeinbevölkerung (Impfung von            ren, und zwar dahingehend, dass jeder
rinnen sind. Wenn dies der Fall ist,                      Kindern und Jugendlichen), als auch in       Test auf HIV oder eine andere sexuell
werden die Babys kurz nach der Geburt                     besonders vulnerablen Gruppen (Imp-          übertragene Infektion von einer Abklä-
geimpft und mit spezifisch gegen Hepa-                    fung im Erwachsenenalter). Entspre-          rung des Hepatitis-Impfstatus begleitet
titis B wirksamen Immunglobulinen                         chend betrifft ein Teilsatz des Leitmotivs   werden sollte bzw. dem Angebot einer
behandelt, um sie zu schützen, bis die                    das Impfen:                                  Einleitung bzw. Vervollständigung der
Impfung wirkt.                                            «wo Impfungen bestehen und empfoh-           Impfungen.
                                                          len sind». Die einzigen sexuell übertra-
FAZIT                                                     genen Erreger, für die Impfungen exis-       KONTAKT
In der Schweiz neu bekannt werdende                       tieren, sind das Hepatitis-A- und das        Bundesamt für Gesundheit
Fälle von Infektionen mit dem Hepatitis-                  Hepatitis-B-Virus sowie das Humane           Direktionsbereich Öffentliche
B-Virus sind wesentlich in Ländern mit                    Papillomvirus. Die Durchimpfungsrate         Gesundheit
hoher Prävalenz von chronischer Hepa-                     Hepatitis B lag bei 16-Jährigen zuletzt      Abteilung Übertragbare Krankheiten
titis B erworben. Der Übertragungsweg                     bei 74 % [8]; bei sexuell aktiven Erwach-    Telefon 058 463 87 06
war in der grossen Mehrheit der Fälle                     sen ist der Anteil jedoch deutlich niedri-
unbekannt.                                                ger [6, 10], weiterhin fällt ein Impf-

Abbildung 4
Klinischer Verlauf neuer Hepatitis-B-Fälle1, 2000–2020

1
    adjustiert für fehlende Angaben auf den klinischen Meldeformularen

                                                                                                                     BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
52            48/21             ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN

       Abbildung 5                                                                                           Referenzen
       Melderate von Hepatitis-B-Diagnosen pro 100 000 Wohnbevölkerung nach                                  1. Richard J-L, Schaetti C, Basler S, Masserey V
                                                                                                                 (2017). Reduction of acute hepatitis B
       BFS-Grossregion1, 2020                                                                                    through vaccination of adolescents with no
                                                                                                                 decrease in chronic hepatitis B due to
                                                                                                                 immigration in a low endemicity country.
                                                                                                                 Swiss Med Wkly; 148:w14619
                                                                                                             2. Bundesamt für Gesundheit (2018).
                                                                                                                 Hepatitis B in der Schweiz, epidemiologische
                                                                                                                 Situation 2014–2017. Bulletin; 35:7–12
                                                                                                             3. European Centre for Disease Prevention and
                                                                                                                 Control (2020). Monitoring the responses to
                                                                                                                 hepatitis B and C epidemics in EU/EEA
                                                                                                                 Member States, 2019. Stockholm: ECDC
                                                                                                             4. Schreeder MT, Thompson SE, Hadler SC,
                                                                                                                 Berquist KR, Zaidi A, Maynard JE, Ostrow D,
                                                                                                                 Judson FN, Braff EH, Nylund T, Moore TN,
                                                                                                                 Gardner P, Doto IL, Reynolds G (1982).
                                                                                                                 Hepatitis B in Homosexual Men: Prevalence
                                                                                                                 of Infection and Factors Related to
                                                                                                                 Transmission. J Infect Dis; 146(1): 7–15.
                                                                                                             5. Brandl M, Schmidt AJ, Marcus U, An der
                                                                                                                 Heiden M, Dudareva S (2020). Are men who
                                                                                                                 have sex with men in Europe protected from
                                                                                                                 hepatitis B? Epidemiol Infect; 148(e27):1–10
                                                                                                             6. Schmidt AJ, Rasi M, Esson C, Christinet V,
                                                                                                                 Ritzler M, Lung T, Hauser CV, Stoeckle M,
                                                                                                                 Jouinot F, Lehner A, Lange K, Konrad T,
                                                                                                                 Vernazza P (2020). The Swiss STAR trial –
                                                                                                                 An Evaluation of Target Groups for
                                                                                                                 STI-Screening in the Sub-sample of Men.
       1
           Definition der BFS-Grossregionen siehe Anhang                                                         Swiss Med Wkly; 150:w20392
                                                                                                             7. Schweitzer A, Horn J, Mikolajczyk RT, Krause
                                                                                                                 G, Ott JJ (2015). Estimations of worldwide
                                                                                                                 prevalence of chronic hepatitis B virus
                                                                                                                 infection: a systematic review of data
       ANHANG                                                                                                    published between 1965 and 2013. Lancet;
       Definition der BFS-Grossregionen                                                                          386(10003):1546–55. doi: 10.1016/
                                                                                                                 S0140-6736(15)61412-X. Epub 2015 Jul 28.
           NUTS-Code                Grossregion                       Zusammengefasste Kantone                   PMID: 26231459.
           CH01                     Genfersee                         GE, VD, VS                             8. Bundesamt für Gesundheit (2021).
                                                                                                                 Durchimpfung von 2-, 8- und 16-jährigen
           CH02                     Espace Mittelland                 BE, SO, FR, NE, JU
                                                                                                                 Kindern und Jugendlichen in der Schweiz,
           CH03                     Nordwestschweiz                   BS, BL, AG                                 2017–2019. Bulletin; 16:12–19
           CH04                     Zürich                            ZH                                     9. Bundesamt für Gesundheit und Eidgenössi-
                                                                                                                 sche Kommission für Impffragen (2021).
           CH05                     Ostschweiz                        SG, TG, AI, AR, GL, SH, GR                 Schweizerischer Impfplan 2021. Bern:
           CH06                     Zentralschweiz                    UR, SZ, OW, NW, LU, ZG                     Bundesamt für Gesundheit
                                                                                                             10. Vernazza P, Rasi M, Ritzler M, Dost F,
           CH07                     Tessin                            TI
                                                                                                                 Stoffel M, Aebi-Popp K, Hauser CV, Esson C,
       Das Bundesamt für Statistik (BfS) definiert die sieben Grossregionen CH01 bis CH07 für statistisch-       Lange K, Risch L, Schmidt AJ (2020). The
       vergleichende Zwecke und die Einbettung in die europäische Regionalstatistik NUTS (Nomenclature des       Swiss STAR trial – An Evaluation of Target
       unités territoriales statistiques).                                                                       Groups for STI Screening in the Sub-sample
                                                                                                                 of Women. Swiss Med Wkly; 150:w20393

BAG-Bulletin 48 vom 29. November 2021
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