Lärmbekämpfung in der Schweiz: Grundzüge und Bilanz
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Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA Laboratoire fédéral d'essai des matériaux et de recherche Überlandstrasse 129 Laboratorio federale di prova dei materiali e di ricerca CH-8600 Dübendorf Institut federal da controlla da material e da retschertgas Tel. +41-1-823 55 11 Swiss Federal Laboratories for Materials Testing and Research Fax +41-1-821 62 44 Lärmbekämpfung in der Schweiz: Grundzüge und Bilanz Rev. Referat von Georg Thomann anlässlich der 202. Plenarsitzung des ÖAL Mit dem Umweltschutzgesetz (USG) und der Lärmschutzverordnung (LSV) steht in der Schweiz seit Mitte der 80er Jahre ein griffiges und schlankes Regelwerk zur Bekämpfung des Lärms zur Verfügung. Gesetz und Ver- ordnung haben behördenanweisende Funktion. Wenn die Regeln und Vorschriften des USG und der LSV ver- letzt werden, sind die Behörden zum Handeln verpflichtet. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, nach welchen Prinzipien und Grundsätzen in der Schweiz Lärmbekämpfung betrieben wird. Politische Manipulationen und finanzielle Engpässe erschweren jedoch die Umsetzung der Lärmschutzvorschriften. Rund 12 Jahre nach In- krafttreten der LSV zeigt sich deshalb ein zwiespältiges Bild der Lärmbekämpfung in der Schweiz. Lärmbekämpfung als Aufgabe des Staates und lästigen Einwirkungen schützen. Dabei orientiert des Lärmverursachers sich das USG am Vorsorge- und Verursacherprin- Grundsätzlich besteht in jedem Rechtsstaat die zip. Eng damit verbunden sind die Grundsätze der Möglichkeit, auf zivilrechtlichem Weg gegen einen Sanierung und der Verhältnismässigkeit. akustischen Störefried vorzugehen. Nach dem Der Lärmverursacher muss mit Massnahmen an schweizerischen Zivilgesetzbuch ist es beispiels- der Quelle dafür sorgen, dass die Belastung am Ort weise ungesetzlich, seinen Nachbarn übermässig der Immissionen einen bestimmten Wert nicht zu belästigen (ZGB Art. 684). Was nun im konkre- überschreitet. Ist dies nicht möglich, muss saniert ten Einzelfall als übermässige Belästigung zu quali- werden. Dabei versteht das USG unter dem Begriff fizieren ist, bleibt dem Richter überlassen. Jedes Sanierung lärmmindernde Massnahmen bei der Gerichtsurteil wird jedoch seinen individuellen Cha- Quelle und auf dem Ausbreitungsweg. Massnah- rakter erhalten, da es sich immer auf einen Einzel- men beim Empfänger in Form von Schallschutz- fall bezieht. Unter dem Aspekt einer gewissen fenstern zählen nicht dazu. Sie sind als reine Notlö- Rechtssicherheit scheint es angebracht, die Lärm- sung zu verstehen. Die Kosten für den vorsorgli- bekämpfung nicht auf gerichtlichen Urteilen son- chen Lärmschutz, für die Sanierung und für den dern auf gesetzlichen Regelungen aufzubauen. Schallschutz beim Empfänger tragen grundsätzlich Diese wären behördenverbindlich und würden ohne die Lärmverursacher. Die Pflicht der Kostenüber- Einsatz des Justizapparates wirksam. In der nahme bildet denn auch der eigentlichen Antriebs- Schweiz wurde dieses Konzept der Lärmbekämp- motor der Lärmbekämpfung. Es muss jedoch die fung 1983 durch das Umweltschutzgesetz (USG) Verhältnismässigkeit zwischen Aufwand und Wir- und 1986 durch die Lärmschutzverordnung (LSV) kung gewahrt bleiben. 1 verwirklicht. Mitte der 80er Jahre wurde somit in ...die Lärmschutzverordnung enthält die dazu der Schweiz die Lärmbekämpfung zur öffentlichen notwendigen Ausführungsbestimmungen Aufgabe. Die Behörden wurden verpflichtet überall dort einzugreifen, wo die Vorschriften und Regelun- Die im USG formulierten Grundsätze und Ziele gen des Umweltschutzes verletzt werden. Die werden in der Lärmschutzverordnung LSV konkreti- Lärmbekämpfung ist jedoch nicht nur eine Aufgabe siert. Die Lärmschutzverordnung regelt damit den des Staates sondern auch des Lärmverursachers. Vollzug des Umweltschutzgesetzes im Bereich Dieser wird nämlich verpflichtet, mit Massnahmen Lärm. Sie besteht aus 4 Hauptteilen. Der erste Teil an der Quelle, die Emissionen vorsorglich zu be- (Kapitel 3 und 4) behandelt die Lärmquellen und die grenzen. Pflichten des Anlagebetreibers. Der zweite Teil (Kapitel 5 und 6) befasst sich mit Bauten und Anla- Das Umweltschutzgesetz gibt die Stossrichtung gen lärmempfindlicher Nutzung und mit den lärmbe- an... dingten Beschränkungen der Bautätigkeit. Im dritten Das Umweltschutzgesetz (USG) will den Menschen Teil (Kapitel 7) sind die allgemeinen Regeln zur und seine natürliche Umwelt vor schädlichen und Ermittlung der Beurteilungspegel enthalten. Der 1 vierte Teil (Anhänge) gibt die Details dazu an und Neben dem Umweltschutzgesetz sind öffentlich-rechtliche Lärmschutzvorschriften im Strassenverkehrsgesetz, Luft- fahrtgesetz, Eisenbahngesetz, Binnenschiffahrtsgesetz und Arbeitsgesetz verankert.
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung 2 LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ enthält getrennt nach Lärmart die Belastungs- oder Arbeitsbereich des Menschen, und dies auch 2 grenzwerte. nur, wenn sie geschlossen sind. Lärmminderung als Regelsystem Entscheidend für das Funktionieren des Systems sind das richtige Belastungsmass (zur Bestimmung [Grafik: RH / gt, 1999] des Istwertes), der korrespondierende Belastungs- grenzwert (Sollwert) und die Massnahmen, welche bei Überschreiten eines bestimmten Sollwertes eingeleitet, bzw. verfügt werden. Wie kommt nun aber der Sollwert (sprich Grenzwert) zustande, bzw. IST wo kommt er zu liegen und nach welchen Kriterien (Belastungsmass) bestimmt man den Istwert (sprich Lärmbelastung)? Massnahmen Regeln ? Lärmbelastung, Lärmstörung und die Grenze SOLL des Zumutbaren (Grenzwert) Das USG will erreichen, dass die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich gestört wird. Abbildung 1 Die LSV als Regelsystem. Die Belastung (Istwert) wird bei den Betroffenen gemessen und mit dem Dabei wird die Grenze der erheblichen Störung des Sollwert verglichen. Ist die Belastung zu hoch, Wohlbefindens durch den Immissionsgrenzwert setzen Massnahmen an den Quellen, auf dem 3 (IGW) festgelegt. Die LSV stützt sich bei der Su- Ausbreitungsweg oder an den Häusern ein. che nach dem IGW auf umfangreiche soziopsy- chologische Untersuchungen, die Mitte der 70er Das Konzept des Lärmschutzes in der Schweiz Jahre durchgeführt wurden. Dabei wollten die basiert im Prinzip auf den Vorstellungen eines Re- Lärmwirkungsforscher von einer repräsentativen gelsystems (vgl. Abbildung 1). Die Lärmwirkungen Anzahl von Lärmbetroffenen wissen, wie störend werden am Wohnort der Betroffenen in Form des sie einen bestimmten Schallpegel empfinden. In Belastungsmasses erfasst und mit dem Grenzwert den Befragungen galt als lärmgestört, wer die Stö- verglichen. Solange die Belastung unter dem rung (bei einem vorgegebenen Pegel) auf einer Grenzwert bleibt, geschieht nichts. Wird der Skala von 0 (für keine Störung) bis 10 (für sehr Grenzwert überschritten, setzt der Regelmecha- starke Störung) mit grösser als 4 angab. Auf diese nismus an drei möglichen Stellen ein: an der Weise wurden die mittlere und die starke Störung Lärmquelle (Motorenkapselungen, Schalldämpfer, erfasst (vgl. Abbildung 2). Trägt man nun die Befra- Betriebseinschränkungen), auf dem Ausbreitungs- gungsergebnisse grafisch auf, erhält man eine S- weg des Schalls (Schallschutzwände, Schall- förmige Kurve (Sigmoide). Der IGW wird nun dort schutzwälle) und am Haus des Empfängers als festgelegt, wo der Anteil der lärmgestörten Perso- passiver Schallschutz in Form von Schallschutz- nen stark ansteigt (Wendepunkt der Kurve, vgl. fenstern. Diese letzte Massnahme ist jedoch als Abbildung 3). Für den Strassenlärm befindet sich Not- oder Verlegenheitslösung zu verstehen. Der dieser Punkt und somit der IGW für eine stark be- Einbau von Schallschutzfenstern widerspricht ei- fahrene Strasse bei 60 dB(A) - „gemessen“ als gentlich dem Grundgedanken des USG, das die äquivalenter Dauerschallpegel mit einer Bezugszeit Entstehung des Lärms an der Quelle (und auf dem Ausbreitungsweg) verhindern will. Sind Schall- von 16 Stunden. schutzfenster die einzige Möglichkeit, den Men- Aus dem in Abbildung 3 dargestellten Zusammen- schen vor Lärm zu schützen, so haben im Prinzip hang zwischen Störung und Lärmbelastung wird die Regelungen des USG versagt. Denn Schall- ersichtlich, dass die von Mensch zu Mensch unter- schutzfenster reduzieren allein den Lärm im Wohn- schiedliche Lärmempfindlichkeit es praktisch un- möglich macht, den IGW so tief anzusetzen, dass 2 Anhänge 3 bis 8: Belastungsgrenzwerte für Strassenver- sich unterhalb diesem Wert niemand mehr gestört kehrslärm (Anhang 3), für Eisenbahnlärm (Anhang 4), für fühlt. Wegen der grossen Streuung der individuellen den Lärm von zivilen Flugplätzen (Anhang 5), für Industrie- und Gewerbelärm (Anhang 6), für den Lärm von Befragungsergebnisse werden deshalb in den Schiessanlagen (Anhang 7) und für Lärm von Militärflug- plätzen (LSV Anhang 8). Daneben werden in den Anhängen 3 zur LSV die technischen Anforderungen an die USG, Art. 15: Die Immissionsgrenzwerte für Lärm... sind so Schalldämmung von Fenstern festgelegt (Anhang 1), und die festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder Anforderungen an die Berechnungsverfahren und die der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Be- Messgeräte beschrieben (Anhang 2). völkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören. Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung 3 LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ neuesten soziopsychologischen Untersuchungen in ausgeglichen. Als Basis zur Bestimmung der Pe- der Umgebung der Flughäfen Genf Cointrin und gelkorrekturen dient der Strassenlärm. Die Nivelie- Zürich Kloten nur die Nennungen 8, 9 und 10 auf rung auf den Störungsgrad des Strassenlärms führt dem Skalometer zur Bestimmung der noch tolerier- zur Konstruktion des Beurteilungspegels Lr, wel- baren Immissionen für den Lärm der Landesflug- cher in der LSV als massgebliches Lärmmass ver- 4 häfen verwendet. (Es werden somit in den Unter- wendet wird. Der Lr setzt sich aus einer messbaren, suchungsergebnissen nur die durch den Fluglärm akustischen Grösse, dem Mittelungspegel Leq, und stark gestörten Personen berücksichtigt). den bereits erwähnten Pegelkorrekturen K zusam- Ganz und gar nicht störend Unerträglich störend men. Das Gebäude der Belastungsgrenzwerte und die X Lärmschutzziele Rund um den IGW gruppiert sich ein komplexes 0 4 8 9 10 System von Belastungsgrenzwerten. Diese sind Mittlere Störung Starke Störung [Grafik: RH / gt, 1999] nach Funktion und Lärmempfindlichkeit abgestuft (vgl. Abbildung 4). Daneben definieren sie den Ort Abbildung 2 Auf einer Art Thermometer wird der Grad der und den Umfang der Lärmschutzmassnahmen. Störung eingezeichnet (0 = keine Störung, 10 = sehr starke Störung). Die Lärmwirkungsforscher Tag Nacht bezeichnen dies als Skalometer-Methode. Man ES PW IGW AW PW IGW AW spricht auch von der selbsteingestuften Störung. 1 Erholungszonen 50 55 60 40 45 50 Anteil lärmgestörterPersonen (Nennungen 4 und mehr) 2 Reine Wohnzonen 55 60 70 45 50 65 Strasse 3 Wohn- und 60 65 70 50 55 65 Gewerbezonen Eisenbahn 40% 4 Industriezonen 65 70 75 55 60 70 Abbildung 4 Belastungsgrenzwerte für den Strassen- und 15% Eisenbahnlärm: Die Grenzwerte sind mehrdimen- sional differenziert, einerseits nach Tag- und Nachtzeit, deren Definition je nach Lärmart unter- K schiedlich ist, andererseits nach der Empfindlich- keit der Nutzung (4 Empfindlichkeitsstufen ES). [Grafik: gt, 1999] IGW Pegel in dB Ausserdem sind sie nach Zweck unterschieden (PW, IGW, AW) und können je nach Lärmart leicht Abbildung 3 Beziehung zwischen Lärmbelastung und dem unterschiedlich sein, obschon darauf geachtet prozentualen Anteil lärmgestörter Personen (Nen- wurde, die zentralen Werte zahlenmässig konstant nungen von 4 und mehr auf einem Skalometer von zu halten. 0 bis 10) und Bestimmung der Pegelkorrekturen. Neben Tag- werden auch Nachtgrenzwerte festge- Zur Kurve: Bei tiefen Pegeln ist der Anteil praktisch konstant. Im Bereich der hohen Pegel ebenfalls, legt. Dabei liegen die Grenzwerte in der Nacht um da praktisch alle Personen gestört werden. Im da- 10 dB tiefer als am Tag. Dies entspricht nach zwischenliegenden, relativ engen Pegelbereich ist menschlichem Empfinden einer Halbierung des eine starke Zunahme des prozentualen Anteils Lärms. Auf diese Weise wird dem erhöhten Ruhe- lärmgestörter Personen feststellbar. bedürfnis während der Nachtstunden Rechnung Den umfangreichen Untersuchungen der Lärmwir- getragen. Die Lärmempfindlichkeit hängt nicht nur kungsforscher kann man auch entnehmen, dass davon ab, ob man wach ist oder schläft, sondern ist der gleiche akustische Pegel je nachdem, ob es ebenso eine Funktion der Tätigkeit, die man ausübt. sich um eine Strasse, eine Bahnlinie oder eine In- Im Erholungsheim werden beispielsweise andere dustrieanlage handelt, eine andere Störwirkung Ansprüche gestellt als in einem Gewerbebetrieb, aufweist. Damit jedoch die Grenzwerte immer die und wer bei seiner Arbeit Lärm produziert, wird gleichen Zahlenwerte annehmen, werden diese wahrscheinlich vom Lärm anderer weniger gestört Differenzen mit sogenannten Pegelkorrekturen (K) als jemand, der einer ruhigen Beschäftigung nach- geht. Diese Beobachtungen haben zu einer Unter- 4 Nationales Forschungsprogramm NFP 26, Lärmstudie '90, teilung der Belastungsgrenzwerte in 4 Empfindlich- Bericht-Teil A: Physische Umwelt und ihre gesundheitlichen Auswirkungen in der Schweiz, Bern 1995. keitsstufen (ES) geführt. Die ES-Zuordnung erfolgt Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung 4 LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ dabei in der Nutzungsplanung und basiert auf dem Anlage höchstens bis zum Alarmwert, bei einer zulässigen Störgrad der gewerblichen Nutzung (vgl. öffentlichen oder konzessionierten Anlage dagegen 5 Abbildung 4). sind Erleichterungen über den Alarmwert hinaus denkbar. Der IGW ist die zentrale Grösse der Lärmbekämp- fung. Über dem IGW liegt der Alarmwert (AW), da- Wenn Erleichterungen, dann runter der Planungswert (PW). Der IGW markiert passiver Schallschutz ab dem AW! die Grenze der gerade noch zumutbaren Lärmstö- AW • Keine lärmempfindlichen Neubauten. rung. Wird er überschritten, so muss eine beste- Handlungslücke • Lärmige Anlagen sanieren. hende Anlage saniert werden (vgl. Abbildung 5). IGW Ziel • Keine neuen lärmigen Anlagen. Baubewilligungen in eingezonten Gebieten werden Erleichterungen • Keine Einzonungen , aber bei überschrittenen Immissionsgrenzwerten nur eingezonte Grundstücke bebauen. PW noch in Ausnahmefällen erteilt. • Keine Einschränkungen [Grafik: RH/gt, 1999] Abbildung 6 Öffentliche, konzessionierte Anlagen können den AW AW überschreiten, falls an ihrem ungehinderten • Keine lärmempfindlichen Neubauten. Betrieb ein übergeordnetes Interesse besteht. Ist • Lärmige Anlagen sanieren. dies der Fall, so müssen auf Kosten des Lärmver- IGW Ziel ursachers beim Empfänger Schallschutzfenster • Keine neuen lärmigen Anlagen. eingebaut werden. Zwischen AW und IGW pas- • Keine Einzonungen , aber siert dagegen nichts (Handlungslücke). eingezonte Grundstücke bebauen. PW • Keine Einschränkungen Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften in die Praxis und Stand der Lärmbekämpfung [Grafik: RH / gt, 1999] Für den Vollzug der Lärmschutzvorschriften sind Abbildung 5 Die Ziele der Lärmschutzverordnung werden durch die Kantone und Gemeinden zuständig. Dem pri- den Immissionsgrenzwert IGW markiert, der PW vaten und öffentlichen Lärmverursacher wird in der liegt unter dem IGW und dient dem vorsorglichen LSV eine Sanierungsfrist von insgesamt 15 Jahren Lärmschutz, der AW liegt darüber und legt die nach Inkrafttreten der Belastungsgrenzwerte einge- Dringlichkeit von Sanierungen fest. räumt. Konkret bedeutet dies, dass Strassen, Ei- Der Planungswert (PW) ist um 5 dB strenger als der senbahnlinien, Industrie- und Gewerbebetriebe, IGW und dient der lärmschutzgerechten Planung. 300m-Schiessanlagen, Flugfelder und Regional- Der PW wird damit zum Instrument der Vorsorge. flugplätze bis im Jahre 2002 saniert werden müs- Es dürfen Bauzonen ausgeschieden und neue An- sen. Die Sanierungsfristen für Militärflugplätze und lagen nur dann errichtet werden, wenn die Pla- Landesflughäfen laufen hingegen erst in den Jah- nungswerte eingehalten sind. ren 2010, bzw. 2016 ab, da die entsprechenden Der Alarmwert (AW) legt die Dringlichkeit von Sa- Belastungsgrenzwerte erst 1995 (Militärflugplätze) nierungen fest. Lärmbelastungen über dem AW und 2001 (Landesflughäfen) in Form eines revi- gelten als extrem. Sanierungs- und Lärmschutz- dierten Anhangs 5 und eines neuen Anhangs 8 in massnahmen sollten deshalb in Gebieten mit der LSV integriert wurden. Die Sanierungsfristen für Alarmwertüberschreitungen so schnell wie möglich militärische Schiessplätze haben mangels Belas- realisiert werden. tungsgrenzwerte noch gar nicht zu laufen begon- nen. Ein privater Lärmverursacher muss nach dem Wil- len des Gesetzgebers auf der Immissionsseite den Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft IGW einhalten. Dies gilt grundsätzlich auch für den (BUWAL) erstellte denn auch Ende 1998, über öffentlichen Lärmverursacher. Falls eine Sanierung zehn Jahre nach Inkrafttreten der Lärmschutzver- jedoch unverhältnismässig hohe Kosten verursacht, ordnung eine zwiespältige Bilanz. Die Sanierung sind Erleichterungen möglich. Bei einer privaten von Industrie- und Gewerbeanlagen war problem- los. Auch bei den 300m-Schiessanlagen traten 5 Für reine Wohnzonen gilt die ES II, für Zonen mit mässig keine nennenswerten Probleme auf, so dass diese störenden Betrieben die ES III und für Industriezonen mit grösstenteils saniert sind. Dagegen gestaltet sich stark störenden Betrieben die ES IV. Die ES I wird nur selten und bei ausgeprägten Lärmschutzbedürfnissen zugeordet. die Sanierung von Verkehrsinfrastrukturanlagen Für Betriebsräume, in denen ein gewisser Eigenlärm produ- schwieriger als erwartet. Dabei sind die Schwierig- ziert wird, gelten um 5 dB reduzierte Anforderungen. Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung 5 LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ keiten nicht auf der technischen sondern haupt- der damit verbundenen Ertragseinbussen betrach- sächlich auf der finanziellen Seite anzusiedeln. tet. Denn Lärmschutz reduziert nach Meinung In der Schweiz sind rund 2300 Kilometer Strassen massgeblicher Wirtschaftskreise massiv die Wett- und 1000 Kilometer des Schienennetzes zu sanie- bewerbsfähigkeit. Er ist scheinbar nicht mehr be- ren. Die Investitionskosten betragen bei der Strasse zahlbar und trägt die Etikette eines "Luxusguts". rund 3.5, bei der Eisenbahn rund 2.3 Milliarden Lärmschutz ist dagegen hauptsächlich Gesund- Franken. Bis heute sind über 300 Sanierungspro- heitsschutz. Er verbessert das Wohbefinden und jekte über eine Strassenlänge von 340 Kilometern damit die Lebensqualität der lärmgeplagten Bevöl- im Umfang von rund 1 Milliarde Franken genehmigt kerung. Vom Lärm befreite Menschen sind lei- worden. Dies entspricht rund 20 Prozent der sanie- stungsfähiger. Sie schlucken weniger Medikamente rungspflichtigen Strassenabschnitte. Neben dem und verursachen sich und der Gesellschaft weniger Einbau von Schallschutzfenstern wurden vor allem Kosten. Lärmschutzwände und –dämme realisiert. Bei der Den Kosten des Lärmschutzes ist somit immer Eisenbahn dagegen ist man bis heute nicht über die auch der volkswirtschaftliche Nutzen entgegenzu- Phase der Entwicklung von Sanierungsstrategien halten. Unter diesem Aspekt sollte Politik und Wirt- hinausgekommen. Zudem ist es äusserst fraglich, schaft die Ziele und Aufgaben im Bereiche des ob die Bahnen bei der gegenwärtigen Ertragslage Lärmschutzes wieder ernster nehmen und sich die notwendigen Finanzmittel überhaupt bereitstel- daran machen, diese zeitgerecht umzusetzen – im len können. Es steht schon heute fest, dass die Interesse der lärmgeplagten Bevölkerung. Sanierung der Strassen und Eisenbahnlinien nicht fristgerecht erfolgen wird. Unter den gegebenen Literaturhinweise Umständen muss mit Verzögerungen von 5 bis 10 Cercle Bruit Schweiz, c/o Amt für Umweltschutz des Kan- Jahren gerechnet werden. tons Luzern: Lärm – eine Publikation mit über 40 Artikeln Hochrechnungen zeigen, dass sich die Kosten für namhafter Autoren rund um das Thema Lärm und Lärmbe- kämpfung, Luzern, September 1998. Lärmschutzmassnahmen im Umfeld der Landes- Hofmann, Robert: 25 Jahre Lärmbekämpfung – eine Bilanz. flughäfen und Militärflugplätze zwischen 200 und Schlussvortrag vor dem Akustischen Kolloquium der ETH 300 Millionen Franken bewegen (die Kosten aus Zürich am 30. Juni 1999, EMPA Dübendorf, Oktober 1999. Entschädigungsforderungen nicht mitgerechnet). Hofmann, Robert: Lärm und Lärmbekämpfung in der Der überwiegende Teil dieses Betrages (ca. 85%) Schweiz. Vorlesungsskript ETH Zürich, Abt. VIII, Studien- fällt im Bereich der Landesflughäfen an. Da am richtung Umweltingenieure, EMPA Dübendorf. Betrieb der Landesflughäfen ein übergeordnetes Interesse geltend gemacht wird, bestehen die Wichtige Abkürzungen Lärmminderungsmassnahmen aus Schallschutz- AW Alarmwert fenstern beim Empfänger. Obwohl die Flughäfen im BUWAL Bundesamt für Umwelt, Wald u. Landschaft ES Empfindlichkeitsstufe Prinzip uneingeschränkt Lärm erzeugen dürfen, IGW Immisionsgrenzwert hatte sich eine starke Opposition gegen die von Leq aequivalenter Dauerschallpegel Lr Beurteilungspegel einer Expertenkommission vorgeschlagenen Bela- LSV Lärmschutzverordnung stungsgrenzwerte gebildet. Das Ziel der Opponen- PW Planungswert USG Umweltschutzgesetz ten ist klar: Sie wollen die Belastungsgrenzwerte so ZGB Zivilgesetzbuch hoch wie möglich ansetzen, um die Kosten für den Flughafenbetreiber zu minimieren. Diesem Ansin- Der Autor nen hatte jedoch das Bundesgericht im Dezember Georg Thomann ist Mitarbeiter der Abteilung Akustik / Lärmbe- 2000 eine klare Abfuhr erteilt. kämpfung an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und For- schungsanstalt (EMPA) in Dübendorf (Schweiz). Er absolvierte Das Beispiel der Landesflughäfen zeigt die aktuel- das Studium des Umweltingenieur an der Eidgenössischen len Tendenzen in der schweizerischen Lärmschutz- Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und arbeitet seit mehr politik auf. Es wird deutlich, dass eine griffige Ge- als 5 Jahren an der EMPA. Er leitet die Projekte im Fluglärmbe- reich und ist an der Fertigstellung seiner Dissertation zum setzgebung allein noch lange kein Garant für einen Thema "Zuverlässigkeit von Fluglärmberechnungen und die wirkungsvollen Lärmschutz ist. Es braucht den poli- raumplanerischen sowie wirtschaftlichen Folgen von Berech- tischen Willen, diesen konsequent umzusetzen. nungs-Unsicherheiten Dieser fehlt jedoch zusehends. Der Lärmschutz wird heute von Wirtschaft und Politik einseitig unter dem Blickwinkel der (eigenen) Aufwendungen und Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA Laboratoire fédéral d'essai des matériaux et de recherche Überlandstrasse 129 Laboratorio federale di prova dei materiali e di ricerca CH-8600 Dübendorf Institut federal da controlla da material e da retschertgas Tel. +41-1-823 55 11 Swiss Federal Laboratories for Materials Testing and Research Fax +41-1-821 62 44
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