Lärmbekämpfung in der Schweiz: Grundzüge und Bilanz

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Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt          EMPA
Laboratoire fédéral d'essai des matériaux et de recherche       Überlandstrasse 129
Laboratorio federale di prova dei materiali e di ricerca        CH-8600 Dübendorf
Institut federal da controlla da material e da retschertgas     Tel. +41-1-823 55 11
Swiss Federal Laboratories for Materials Testing and Research   Fax +41-1-821 62 44

                Lärmbekämpfung in der Schweiz: Grundzüge und Bilanz
                           Rev. Referat von Georg Thomann anlässlich der 202. Plenarsitzung des ÖAL

Mit dem Umweltschutzgesetz (USG) und der Lärmschutzverordnung (LSV) steht in der Schweiz seit Mitte der
80er Jahre ein griffiges und schlankes Regelwerk zur Bekämpfung des Lärms zur Verfügung. Gesetz und Ver-
ordnung haben behördenanweisende Funktion. Wenn die Regeln und Vorschriften des USG und der LSV ver-
letzt werden, sind die Behörden zum Handeln verpflichtet. Nachfolgend soll aufgezeigt werden, nach welchen
Prinzipien und Grundsätzen in der Schweiz Lärmbekämpfung betrieben wird. Politische Manipulationen und
finanzielle Engpässe erschweren jedoch die Umsetzung der Lärmschutzvorschriften. Rund 12 Jahre nach In-
krafttreten der LSV zeigt sich deshalb ein zwiespältiges Bild der Lärmbekämpfung in der Schweiz.

Lärmbekämpfung als Aufgabe des Staates und                         lästigen Einwirkungen schützen. Dabei orientiert
des Lärmverursachers                                               sich das USG am Vorsorge- und Verursacherprin-
Grundsätzlich besteht in jedem Rechtsstaat die                     zip. Eng damit verbunden sind die Grundsätze der
Möglichkeit, auf zivilrechtlichem Weg gegen einen                  Sanierung und der Verhältnismässigkeit.
akustischen Störefried vorzugehen. Nach dem                        Der Lärmverursacher muss mit Massnahmen an
schweizerischen Zivilgesetzbuch ist es beispiels-                  der Quelle dafür sorgen, dass die Belastung am Ort
weise ungesetzlich, seinen Nachbarn übermässig                     der Immissionen einen bestimmten Wert nicht
zu belästigen (ZGB Art. 684). Was nun im konkre-                   überschreitet. Ist dies nicht möglich, muss saniert
ten Einzelfall als übermässige Belästigung zu quali-               werden. Dabei versteht das USG unter dem Begriff
fizieren ist, bleibt dem Richter überlassen. Jedes                 Sanierung lärmmindernde Massnahmen bei der
Gerichtsurteil wird jedoch seinen individuellen Cha-               Quelle und auf dem Ausbreitungsweg. Massnah-
rakter erhalten, da es sich immer auf einen Einzel-                men beim Empfänger in Form von Schallschutz-
fall bezieht. Unter dem Aspekt einer gewissen                      fenstern zählen nicht dazu. Sie sind als reine Notlö-
Rechtssicherheit scheint es angebracht, die Lärm-                  sung zu verstehen. Die Kosten für den vorsorgli-
bekämpfung nicht auf gerichtlichen Urteilen son-                   chen Lärmschutz, für die Sanierung und für den
dern auf gesetzlichen Regelungen aufzubauen.                       Schallschutz beim Empfänger tragen grundsätzlich
Diese wären behördenverbindlich und würden ohne                    die Lärmverursacher. Die Pflicht der Kostenüber-
Einsatz des Justizapparates wirksam. In der                        nahme bildet denn auch der eigentlichen Antriebs-
Schweiz wurde dieses Konzept der Lärmbekämp-                       motor der Lärmbekämpfung. Es muss jedoch die
fung 1983 durch das Umweltschutzgesetz (USG)                       Verhältnismässigkeit zwischen Aufwand und Wir-
und 1986 durch die Lärmschutzverordnung (LSV)                      kung gewahrt bleiben.
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verwirklicht. Mitte der 80er Jahre wurde somit in
                                                                   ...die Lärmschutzverordnung enthält die dazu
der Schweiz die Lärmbekämpfung zur öffentlichen
                                                                   notwendigen Ausführungsbestimmungen
Aufgabe. Die Behörden wurden verpflichtet überall
dort einzugreifen, wo die Vorschriften und Regelun-                Die im USG formulierten Grundsätze und Ziele
gen des Umweltschutzes verletzt werden. Die                        werden in der Lärmschutzverordnung LSV konkreti-
Lärmbekämpfung ist jedoch nicht nur eine Aufgabe                   siert. Die Lärmschutzverordnung regelt damit den
des Staates sondern auch des Lärmverursachers.                     Vollzug des Umweltschutzgesetzes im Bereich
Dieser wird nämlich verpflichtet, mit Massnahmen                   Lärm. Sie besteht aus 4 Hauptteilen. Der erste Teil
an der Quelle, die Emissionen vorsorglich zu be-                   (Kapitel 3 und 4) behandelt die Lärmquellen und die
grenzen.                                                           Pflichten des Anlagebetreibers. Der zweite Teil
                                                                   (Kapitel 5 und 6) befasst sich mit Bauten und Anla-
Das Umweltschutzgesetz gibt die Stossrichtung                      gen lärmempfindlicher Nutzung und mit den lärmbe-
an...                                                              dingten Beschränkungen der Bautätigkeit. Im dritten
Das Umweltschutzgesetz (USG) will den Menschen                     Teil (Kapitel 7) sind die allgemeinen Regeln zur
und seine natürliche Umwelt vor schädlichen und                    Ermittlung der Beurteilungspegel enthalten. Der
1
                                                                   vierte Teil (Anhänge) gibt die Details dazu an und
    Neben dem Umweltschutzgesetz sind öffentlich-rechtliche
    Lärmschutzvorschriften im Strassenverkehrsgesetz, Luft-
    fahrtgesetz, Eisenbahngesetz, Binnenschiffahrtsgesetz und
    Arbeitsgesetz verankert.
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung                                                                                           2
                                                                                            LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ

enthält getrennt nach Lärmart die Belastungs-                          oder Arbeitsbereich des Menschen, und dies auch
            2
grenzwerte.                                                            nur, wenn sie geschlossen sind.

Lärmminderung als Regelsystem                                          Entscheidend für das Funktionieren des Systems
                                                                       sind das richtige Belastungsmass (zur Bestimmung
                                             [Grafik: RH / gt, 1999]   des Istwertes), der korrespondierende Belastungs-
                                                                       grenzwert (Sollwert) und die Massnahmen, welche
                                                                       bei Überschreiten eines bestimmten Sollwertes
                                                                       eingeleitet, bzw. verfügt werden. Wie kommt nun
                                                                       aber der Sollwert (sprich Grenzwert) zustande, bzw.
                                                           IST         wo kommt er zu liegen und nach welchen Kriterien
                                                   (Belastungsmass)
                                                                       bestimmt man den Istwert (sprich Lärmbelastung)?
        Massnahmen
          Regeln                                      ?
                                                                       Lärmbelastung, Lärmstörung und die Grenze
                                            SOLL
                                                                       des Zumutbaren
                                          (Grenzwert)
                                                                       Das USG will erreichen, dass die Bevölkerung in
                                                                       ihrem Wohlbefinden nicht erheblich gestört wird.
Abbildung 1 Die LSV als Regelsystem. Die Belastung (Istwert)
            wird bei den Betroffenen gemessen und mit dem              Dabei wird die Grenze der erheblichen Störung des
            Sollwert verglichen. Ist die Belastung zu hoch,            Wohlbefindens durch den Immissionsgrenzwert
            setzen Massnahmen an den Quellen, auf dem                                     3
                                                                       (IGW) festgelegt. Die LSV stützt sich bei der Su-
            Ausbreitungsweg oder an den Häusern ein.
                                                                       che nach dem IGW auf umfangreiche soziopsy-
                                                                       chologische Untersuchungen, die Mitte der 70er
Das Konzept des Lärmschutzes in der Schweiz
                                                                       Jahre durchgeführt wurden. Dabei wollten die
basiert im Prinzip auf den Vorstellungen eines Re-
                                                                       Lärmwirkungsforscher von einer repräsentativen
gelsystems (vgl. Abbildung 1). Die Lärmwirkungen
                                                                       Anzahl von Lärmbetroffenen wissen, wie störend
werden am Wohnort der Betroffenen in Form des
                                                                       sie einen bestimmten Schallpegel empfinden. In
Belastungsmasses erfasst und mit dem Grenzwert
                                                                       den Befragungen galt als lärmgestört, wer die Stö-
verglichen. Solange die Belastung unter dem
                                                                       rung (bei einem vorgegebenen Pegel) auf einer
Grenzwert bleibt, geschieht nichts. Wird der
                                                                       Skala von 0 (für keine Störung) bis 10 (für sehr
Grenzwert überschritten, setzt der Regelmecha-
                                                                       starke Störung) mit grösser als 4 angab. Auf diese
nismus an drei möglichen Stellen ein: an der
                                                                       Weise wurden die mittlere und die starke Störung
Lärmquelle (Motorenkapselungen, Schalldämpfer,
                                                                       erfasst (vgl. Abbildung 2). Trägt man nun die Befra-
Betriebseinschränkungen), auf dem Ausbreitungs-
                                                                       gungsergebnisse grafisch auf, erhält man eine S-
weg des Schalls (Schallschutzwände, Schall-
                                                                       förmige Kurve (Sigmoide). Der IGW wird nun dort
schutzwälle) und am Haus des Empfängers als
                                                                       festgelegt, wo der Anteil der lärmgestörten Perso-
passiver Schallschutz in Form von Schallschutz-
                                                                       nen stark ansteigt (Wendepunkt der Kurve, vgl.
fenstern. Diese letzte Massnahme ist jedoch als
                                                                       Abbildung 3). Für den Strassenlärm befindet sich
Not- oder Verlegenheitslösung zu verstehen. Der
                                                                       dieser Punkt und somit der IGW für eine stark be-
Einbau von Schallschutzfenstern widerspricht ei-
                                                                       fahrene Strasse bei 60 dB(A) - „gemessen“ als
gentlich dem Grundgedanken des USG, das die
                                                                       äquivalenter Dauerschallpegel mit einer Bezugszeit
Entstehung des Lärms an der Quelle (und auf dem
Ausbreitungsweg) verhindern will. Sind Schall-                         von 16 Stunden.
schutzfenster die einzige Möglichkeit, den Men-                        Aus dem in Abbildung 3 dargestellten Zusammen-
schen vor Lärm zu schützen, so haben im Prinzip                        hang zwischen Störung und Lärmbelastung wird
die Regelungen des USG versagt. Denn Schall-                           ersichtlich, dass die von Mensch zu Mensch unter-
schutzfenster reduzieren allein den Lärm im Wohn-                      schiedliche Lärmempfindlichkeit es praktisch un-
                                                                       möglich macht, den IGW so tief anzusetzen, dass
2
    Anhänge 3 bis 8: Belastungsgrenzwerte für Strassenver-
                                                                       sich unterhalb diesem Wert niemand mehr gestört
    kehrslärm (Anhang 3), für Eisenbahnlärm (Anhang 4), für            fühlt. Wegen der grossen Streuung der individuellen
    den Lärm von zivilen Flugplätzen (Anhang 5), für Industrie-
    und Gewerbelärm (Anhang 6), für den Lärm von
                                                                       Befragungsergebnisse werden deshalb in den
    Schiessanlagen (Anhang 7) und für Lärm von Militärflug-
    plätzen (LSV Anhang 8). Daneben werden in den Anhängen
                                                                       3
    zur LSV die technischen Anforderungen an die                           USG, Art. 15: Die Immissionsgrenzwerte für Lärm... sind so
    Schalldämmung von Fenstern festgelegt (Anhang 1), und die              festzulegen, dass nach dem Stand der Wissenschaft oder
    Anforderungen an die Berechnungsverfahren und die                      der Erfahrung Immissionen unterhalb dieser Werte die Be-
    Messgeräte beschrieben (Anhang 2).                                     völkerung in ihrem Wohlbefinden nicht erheblich stören.

                                                                             Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung                                                                                                 3
                                                                                                  LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ

neuesten soziopsychologischen Untersuchungen in                            ausgeglichen. Als Basis zur Bestimmung der Pe-
der Umgebung der Flughäfen Genf Cointrin und                               gelkorrekturen dient der Strassenlärm. Die Nivelie-
Zürich Kloten nur die Nennungen 8, 9 und 10 auf                            rung auf den Störungsgrad des Strassenlärms führt
dem Skalometer zur Bestimmung der noch tolerier-                           zur Konstruktion des Beurteilungspegels Lr, wel-
baren Immissionen für den Lärm der Landesflug-                             cher in der LSV als massgebliches Lärmmass ver-
                 4
häfen verwendet. (Es werden somit in den Unter-                            wendet wird. Der Lr setzt sich aus einer messbaren,
suchungsergebnissen nur die durch den Fluglärm                             akustischen Grösse, dem Mittelungspegel Leq, und
stark gestörten Personen berücksichtigt).                                  den bereits erwähnten Pegelkorrekturen K zusam-
    Ganz und gar nicht störend                      Unerträglich störend
                                                                           men.

                                                                           Das Gebäude der Belastungsgrenzwerte und die
                                          X                                Lärmschutzziele
                                                                           Rund um den IGW gruppiert sich ein komplexes
         0                    4                       8    9 10
                                                                           System von Belastungsgrenzwerten. Diese sind
                                 Mittlere Störung    Starke Störung
    [Grafik: RH / gt, 1999]                                                nach Funktion und Lärmempfindlichkeit abgestuft
                                                                           (vgl. Abbildung 4). Daneben definieren sie den Ort
Abbildung 2 Auf einer Art Thermometer wird der Grad der
                                                                           und den Umfang der Lärmschutzmassnahmen.
            Störung eingezeichnet (0 = keine Störung, 10 =
            sehr starke Störung). Die Lärmwirkungsforscher                                             Tag                 Nacht
            bezeichnen dies als Skalometer-Methode. Man                            ES
                                                                                                 PW   IGW    AW       PW     IGW    AW
            spricht auch von der selbsteingestuften Störung.
                                                                           1   Erholungszonen    50   55     60       40     45     50
                  Anteil lärmgestörterPersonen
                  (Nennungen 4 und mehr)                                   2   Reine Wohnzonen   55   60     70       45     50     65
                                          Strasse
                                                                           3   Wohn- und         60   65     70       50     55     65
                                                                               Gewerbezonen
                                              Eisenbahn
    40%                                                                    4   Industriezonen    65   70     75       55     60     70

                                                                           Abbildung 4 Belastungsgrenzwerte für den Strassen- und
    15%                                                                                Eisenbahnlärm: Die Grenzwerte sind mehrdimen-
                                                                                       sional differenziert, einerseits nach Tag- und
                                                                                       Nachtzeit, deren Definition je nach Lärmart unter-
                                          K                                            schiedlich ist, andererseits nach der Empfindlich-
                                                                                       keit der Nutzung (4 Empfindlichkeitsstufen ES).
       [Grafik: gt, 1999]          IGW              Pegel in dB
                                                                                       Ausserdem sind sie nach Zweck unterschieden
                                                                                       (PW, IGW, AW) und können je nach Lärmart leicht
Abbildung 3 Beziehung zwischen Lärmbelastung und dem                                   unterschiedlich sein, obschon darauf geachtet
            prozentualen Anteil lärmgestörter Personen (Nen-                           wurde, die zentralen Werte zahlenmässig konstant
            nungen von 4 und mehr auf einem Skalometer von                             zu halten.
            0 bis 10) und Bestimmung der Pegelkorrekturen.
                                                                           Neben Tag- werden auch Nachtgrenzwerte festge-
            Zur Kurve: Bei tiefen Pegeln ist der Anteil praktisch
            konstant. Im Bereich der hohen Pegel ebenfalls,                legt. Dabei liegen die Grenzwerte in der Nacht um
            da praktisch alle Personen gestört werden. Im da-              10 dB tiefer als am Tag. Dies entspricht nach
            zwischenliegenden, relativ engen Pegelbereich ist              menschlichem Empfinden einer Halbierung des
            eine starke Zunahme des prozentualen Anteils
                                                                           Lärms. Auf diese Weise wird dem erhöhten Ruhe-
            lärmgestörter Personen feststellbar.
                                                                           bedürfnis während der Nachtstunden Rechnung
Den umfangreichen Untersuchungen der Lärmwir-                              getragen. Die Lärmempfindlichkeit hängt nicht nur
kungsforscher kann man auch entnehmen, dass                                davon ab, ob man wach ist oder schläft, sondern ist
der gleiche akustische Pegel je nachdem, ob es                             ebenso eine Funktion der Tätigkeit, die man ausübt.
sich um eine Strasse, eine Bahnlinie oder eine In-                         Im Erholungsheim werden beispielsweise andere
dustrieanlage handelt, eine andere Störwirkung                             Ansprüche gestellt als in einem Gewerbebetrieb,
aufweist. Damit jedoch die Grenzwerte immer die                            und wer bei seiner Arbeit Lärm produziert, wird
gleichen Zahlenwerte annehmen, werden diese                                wahrscheinlich vom Lärm anderer weniger gestört
Differenzen mit sogenannten Pegelkorrekturen (K)                           als jemand, der einer ruhigen Beschäftigung nach-
                                                                           geht. Diese Beobachtungen haben zu einer Unter-
4
    Nationales Forschungsprogramm NFP 26, Lärmstudie '90,                  teilung der Belastungsgrenzwerte in 4 Empfindlich-
    Bericht-Teil A: Physische Umwelt und ihre gesundheitlichen
    Auswirkungen in der Schweiz, Bern 1995.                                keitsstufen (ES) geführt. Die ES-Zuordnung erfolgt

                                                                                  Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung                                                                                                   4
                                                                                          LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ

dabei in der Nutzungsplanung und basiert auf dem                    Anlage höchstens bis zum Alarmwert, bei einer
zulässigen Störgrad der gewerblichen Nutzung (vgl.                  öffentlichen oder konzessionierten Anlage dagegen
              5
Abbildung 4).                                                       sind Erleichterungen über den Alarmwert hinaus
                                                                    denkbar.
Der IGW ist die zentrale Grösse der Lärmbekämp-
fung. Über dem IGW liegt der Alarmwert (AW), da-
                                                                               Wenn Erleichterungen, dann
runter der Planungswert (PW). Der IGW markiert                                 passiver Schallschutz ab dem AW!

die Grenze der gerade noch zumutbaren Lärmstö-                        AW
                                                                              • Keine lärmempfindlichen Neubauten.
rung. Wird er überschritten, so muss eine beste-                                                                       Handlungslücke
                                                                              • Lärmige Anlagen sanieren.
hende Anlage saniert werden (vgl. Abbildung 5).                       IGW                                                 Ziel
                                                                              • Keine neuen lärmigen Anlagen.
Baubewilligungen in eingezonten Gebieten werden                                                                      Erleichterungen
                                                                              • Keine Einzonungen , aber
bei überschrittenen Immissionsgrenzwerten nur                                   eingezonte Grundstücke bebauen.
                                                                      PW
noch in Ausnahmefällen erteilt.
                                                                              • Keine Einschränkungen
                                                                                                                        [Grafik: RH/gt, 1999]

                                                                    Abbildung 6 Öffentliche, konzessionierte Anlagen können den
      AW                                                                        AW überschreiten, falls an ihrem ungehinderten
                • Keine lärmempfindlichen Neubauten.                            Betrieb ein übergeordnetes Interesse besteht. Ist
                • Lärmige Anlagen sanieren.                                     dies der Fall, so müssen auf Kosten des Lärmver-
      IGW                                               Ziel                    ursachers beim Empfänger Schallschutzfenster
                • Keine neuen lärmigen Anlagen.                                 eingebaut werden. Zwischen AW und IGW pas-
                • Keine Einzonungen , aber                                      siert dagegen nichts (Handlungslücke).
                  eingezonte Grundstücke bebauen.
      PW
                 • Keine Einschränkungen                            Umsetzung der gesetzlichen Vorschriften in die
                                                                    Praxis und Stand der Lärmbekämpfung
             [Grafik: RH / gt, 1999]
                                                                    Für den Vollzug der Lärmschutzvorschriften sind
Abbildung 5 Die Ziele der Lärmschutzverordnung werden durch
                                                                    die Kantone und Gemeinden zuständig. Dem pri-
            den Immissionsgrenzwert IGW markiert, der PW            vaten und öffentlichen Lärmverursacher wird in der
            liegt unter dem IGW und dient dem vorsorglichen         LSV eine Sanierungsfrist von insgesamt 15 Jahren
            Lärmschutz, der AW liegt darüber und legt die
                                                                    nach Inkrafttreten der Belastungsgrenzwerte einge-
            Dringlichkeit von Sanierungen fest.
                                                                    räumt. Konkret bedeutet dies, dass Strassen, Ei-
Der Planungswert (PW) ist um 5 dB strenger als der                  senbahnlinien, Industrie- und Gewerbebetriebe,
IGW und dient der lärmschutzgerechten Planung.                      300m-Schiessanlagen, Flugfelder und Regional-
Der PW wird damit zum Instrument der Vorsorge.                      flugplätze bis im Jahre 2002 saniert werden müs-
Es dürfen Bauzonen ausgeschieden und neue An-                       sen. Die Sanierungsfristen für Militärflugplätze und
lagen nur dann errichtet werden, wenn die Pla-                      Landesflughäfen laufen hingegen erst in den Jah-
nungswerte eingehalten sind.                                        ren 2010, bzw. 2016 ab, da die entsprechenden
Der Alarmwert (AW) legt die Dringlichkeit von Sa-                   Belastungsgrenzwerte erst 1995 (Militärflugplätze)
nierungen fest. Lärmbelastungen über dem AW                         und 2001 (Landesflughäfen) in Form eines revi-
gelten als extrem. Sanierungs- und Lärmschutz-                      dierten Anhangs 5 und eines neuen Anhangs 8 in
massnahmen sollten deshalb in Gebieten mit                          der LSV integriert wurden. Die Sanierungsfristen für
Alarmwertüberschreitungen so schnell wie möglich                    militärische Schiessplätze haben mangels Belas-
realisiert werden.                                                  tungsgrenzwerte noch gar nicht zu laufen begon-
                                                                    nen.
Ein privater Lärmverursacher muss nach dem Wil-
len des Gesetzgebers auf der Immissionsseite den                    Das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft
IGW einhalten. Dies gilt grundsätzlich auch für den                 (BUWAL) erstellte denn auch Ende 1998, über
öffentlichen Lärmverursacher. Falls eine Sanierung                  zehn Jahre nach Inkrafttreten der Lärmschutzver-
jedoch unverhältnismässig hohe Kosten verursacht,                   ordnung eine zwiespältige Bilanz. Die Sanierung
sind Erleichterungen möglich. Bei einer privaten                    von Industrie- und Gewerbeanlagen war problem-
                                                                    los. Auch bei den 300m-Schiessanlagen traten
5
    Für reine Wohnzonen gilt die ES II, für Zonen mit mässig        keine nennenswerten Probleme auf, so dass diese
    störenden Betrieben die ES III und für Industriezonen mit       grösstenteils saniert sind. Dagegen gestaltet sich
    stark störenden Betrieben die ES IV. Die ES I wird nur selten
    und bei ausgeprägten Lärmschutzbedürfnissen zugeordet.          die Sanierung von Verkehrsinfrastrukturanlagen
    Für Betriebsräume, in denen ein gewisser Eigenlärm produ-       schwieriger als erwartet. Dabei sind die Schwierig-
    ziert wird, gelten um 5 dB reduzierte Anforderungen.

                                                                           Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
EMPA, Abteilung Akustik / Lärmbekämpfung                                                                             5
                                                                             LÄRMBEKÄMPFUNG IN DER SCHWEIZ

keiten nicht auf der technischen sondern haupt-         der damit verbundenen Ertragseinbussen betrach-
sächlich auf der finanziellen Seite anzusiedeln.        tet. Denn Lärmschutz reduziert nach Meinung
In der Schweiz sind rund 2300 Kilometer Strassen        massgeblicher Wirtschaftskreise massiv die Wett-
und 1000 Kilometer des Schienennetzes zu sanie-         bewerbsfähigkeit. Er ist scheinbar nicht mehr be-
ren. Die Investitionskosten betragen bei der Strasse    zahlbar und trägt die Etikette eines "Luxusguts".
rund 3.5, bei der Eisenbahn rund 2.3 Milliarden         Lärmschutz ist dagegen hauptsächlich Gesund-
Franken. Bis heute sind über 300 Sanierungspro-         heitsschutz. Er verbessert das Wohbefinden und
jekte über eine Strassenlänge von 340 Kilometern        damit die Lebensqualität der lärmgeplagten Bevöl-
im Umfang von rund 1 Milliarde Franken genehmigt        kerung. Vom Lärm befreite Menschen sind lei-
worden. Dies entspricht rund 20 Prozent der sanie-      stungsfähiger. Sie schlucken weniger Medikamente
rungspflichtigen Strassenabschnitte. Neben dem          und verursachen sich und der Gesellschaft weniger
Einbau von Schallschutzfenstern wurden vor allem        Kosten.
Lärmschutzwände und –dämme realisiert. Bei der          Den Kosten des Lärmschutzes ist somit immer
Eisenbahn dagegen ist man bis heute nicht über die      auch der volkswirtschaftliche Nutzen entgegenzu-
Phase der Entwicklung von Sanierungsstrategien          halten. Unter diesem Aspekt sollte Politik und Wirt-
hinausgekommen. Zudem ist es äusserst fraglich,         schaft die Ziele und Aufgaben im Bereiche des
ob die Bahnen bei der gegenwärtigen Ertragslage         Lärmschutzes wieder ernster nehmen und sich
die notwendigen Finanzmittel überhaupt bereitstel-      daran machen, diese zeitgerecht umzusetzen – im
len können. Es steht schon heute fest, dass die         Interesse der lärmgeplagten Bevölkerung.
Sanierung der Strassen und Eisenbahnlinien nicht
fristgerecht erfolgen wird. Unter den gegebenen
                                                        Literaturhinweise
Umständen muss mit Verzögerungen von 5 bis 10
                                                           Cercle Bruit Schweiz, c/o Amt für Umweltschutz des Kan-
Jahren gerechnet werden.                                    tons Luzern: Lärm – eine Publikation mit über 40 Artikeln
Hochrechnungen zeigen, dass sich die Kosten für             namhafter Autoren rund um das Thema Lärm und Lärmbe-
                                                            kämpfung, Luzern, September 1998.
Lärmschutzmassnahmen im Umfeld der Landes-
                                                           Hofmann, Robert: 25 Jahre Lärmbekämpfung – eine Bilanz.
flughäfen und Militärflugplätze zwischen 200 und
                                                            Schlussvortrag vor dem Akustischen Kolloquium der ETH
300 Millionen Franken bewegen (die Kosten aus               Zürich am 30. Juni 1999, EMPA Dübendorf, Oktober 1999.
Entschädigungsforderungen nicht mitgerechnet).
                                                           Hofmann, Robert: Lärm und Lärmbekämpfung in der
Der überwiegende Teil dieses Betrages (ca. 85%)             Schweiz. Vorlesungsskript ETH Zürich, Abt. VIII, Studien-
fällt im Bereich der Landesflughäfen an. Da am              richtung Umweltingenieure, EMPA Dübendorf.
Betrieb der Landesflughäfen ein übergeordnetes
Interesse geltend gemacht wird, bestehen die            Wichtige Abkürzungen
Lärmminderungsmassnahmen aus Schallschutz-              AW          Alarmwert
fenstern beim Empfänger. Obwohl die Flughäfen im        BUWAL       Bundesamt für Umwelt, Wald u. Landschaft
                                                        ES          Empfindlichkeitsstufe
Prinzip uneingeschränkt Lärm erzeugen dürfen,           IGW         Immisionsgrenzwert
hatte sich eine starke Opposition gegen die von         Leq         aequivalenter Dauerschallpegel
                                                        Lr          Beurteilungspegel
einer Expertenkommission vorgeschlagenen Bela-          LSV         Lärmschutzverordnung
stungsgrenzwerte gebildet. Das Ziel der Opponen-        PW          Planungswert
                                                        USG         Umweltschutzgesetz
ten ist klar: Sie wollen die Belastungsgrenzwerte so    ZGB         Zivilgesetzbuch
hoch wie möglich ansetzen, um die Kosten für den
Flughafenbetreiber zu minimieren. Diesem Ansin-         Der Autor
nen hatte jedoch das Bundesgericht im Dezember          Georg Thomann ist Mitarbeiter der Abteilung Akustik / Lärmbe-
2000 eine klare Abfuhr erteilt.                         kämpfung an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und For-
                                                        schungsanstalt (EMPA) in Dübendorf (Schweiz). Er absolvierte
Das Beispiel der Landesflughäfen zeigt die aktuel-      das Studium des Umweltingenieur an der Eidgenössischen
len Tendenzen in der schweizerischen Lärmschutz-        Technischen Hochschule (ETH) in Zürich und arbeitet seit mehr
politik auf. Es wird deutlich, dass eine griffige Ge-   als 5 Jahren an der EMPA. Er leitet die Projekte im Fluglärmbe-
                                                        reich und ist an der Fertigstellung seiner Dissertation zum
setzgebung allein noch lange kein Garant für einen      Thema "Zuverlässigkeit von Fluglärmberechnungen und die
wirkungsvollen Lärmschutz ist. Es braucht den poli-     raumplanerischen sowie wirtschaftlichen Folgen von Berech-
tischen Willen, diesen konsequent umzusetzen.           nungs-Unsicherheiten
Dieser fehlt jedoch zusehends. Der Lärmschutz
wird heute von Wirtschaft und Politik einseitig unter
dem Blickwinkel der (eigenen) Aufwendungen und

                                                              Lärmbekämpfung in der Schweiz (Rev.).doc
Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt          EMPA
Laboratoire fédéral d'essai des matériaux et de recherche       Überlandstrasse 129
Laboratorio federale di prova dei materiali e di ricerca        CH-8600 Dübendorf
Institut federal da controlla da material e da retschertgas     Tel. +41-1-823 55 11
Swiss Federal Laboratories for Materials Testing and Research   Fax +41-1-821 62 44
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