Heuschreckenfauna auf Vertragsnaturschutzbrachen
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Fachbeiträge Abb. 1: In der Agrarlandschaft der Hellwegbörde bieten selbstbegrünende oder eingesäte Vertragsnaturschutzbrachen (im Bild) wertvolle Lebens- räume auch für Heuschrecken. Foto: R. Joest Patrick Hundorf, Kersten Hänel, Ralf Joest Heuschreckenfauna auf Vertragsnaturschutzbrachen Eine aktuelle Untersuchung in der Hellwegbörde Heuschrecken sind Indikatoren für die Strukturvielfalt von Offenland-Lebensräumen und bilden als überwiegend phytophage Insekten eine wichtige Grundlage der Nahrungsnetze. Viele gelten als charakte- ristische Bewohner von Grünland im weitesten Sinne – aber auch selbstbegrünende Ackerbrachen und Ansaatbrachen können bei geeigneter Struktur Lebensraum für Heuschrecken bieten. Die im Folgenden vorgestellte Untersuchung aus dem Jahr 2019 zur Besiedlung unterschiedlicher Vertragsnaturschutzbra- chen in der Hellwegbörde bestätigt dies. Wie bei Vögeln und vielen anderen Arten- zur Schaffung von extensiv bewirtschaf- bensgemeinschaft des Agrarökosystems gruppen leiden mittlerweile bei den Heu- teten Randstreifen, Getreidestreifen und zugutekommen. schrecken selbst ehemals weit verbreitete Brachen angeboten (LANUV 2020). In und häufige Arten der Agrarlandschaft un- Nordrhein-Westfalen liegt ein Schwer- Untersuchungen über die Besiedlung von ter der anhaltenden landwirtschaftlichen punkt dieser Maßnahmen im Vogelschutz- Ackerbrachen und landwirtschaftlichen Intensivierung und dem Verlust von Land- gebiet Hellwegbörde. Dort werden beson- Nutzflächen durch Heuschrecken fin- schaftselementen. Um dem Rückgang der dere Anstrengungen unternommen, um den sich bereits bei Graf (1965), Kohl- Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ent- den Lebensraum für die Vögel der Ag- mann et al. (1995) und Kohlmann (1996, gegenzuwirken, werden den Landbewirt- rarlandschaft zu verbessern (Herkenrath 1997). Von 2001 bis 2004 wurde im Kreis schaftenden in Nordrhein-Westfalen – wie et al. 2015, Joest 2018). Diese Maßnah- Soest das Modellvorhaben „Extensivierte in vielen anderen Bundesländern auch – men sollen aber auch der gesamten Le- Ackerstreifen im Kreis Soest“ durchge- Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes führt. Bereits damals konnte gezeigt wer- Natur in NRW 3/2021 29
Fachbeiträge den, dass insbesondere mehrjährige Bra- Untersuchungsgebiet chen einen Beitrag zur Förderung von und Flächentypen Heuschrecken in der Agrarlandschaft leis- ten können (Braband et al. 2006). Seit- dem sind die Vertragsnaturschutzange- bote durch verschiedene Blühmischun- Die Untersuchungen fanden im Jahr 2019 gen weiterentwickelt und im Kreis Soest in dem Teil des Europäischen Vogel- großflächig umgesetzt worden. Außerdem schutzgebietes Hellwegbörde statt, der im hat sich mit der Ansiedlung der Großen Kreis Soest gelegen ist. Es handelt sich Goldschrecke und anderer Arten im Zuge um eine intensive Ackerbauregion in Mit- des Klimawandels die Heuschrecken- telwestfalen. In der Hellwegbörde wur- fauna verändert. Und auch vor dem Hin- den seit 2001 in einem Modellvorhaben tergrund, dass die Insektenfauna als Ziel (Braband et al. 2006) Vertragsnaturschutz- von Naturschutzbemühungen inzwischen angebote erprobt und seit 2007 im Rah- Abb. 2: Roesels Beißschrecke ist ein häufiger stärker beachtet wird, soll hier eine aktu- men des Kulturlandschaftsprogrammes und regelmäßiger Besiedler von Vertragsnatur- elle Untersuchung zur Besiedlung unter- des Kreises Soest weitergeführt. Seitdem schutzbrachen in der Hellwegbörde. Langflügelige Individuen (im Bild) der überwie- schiedlicher Vertragsnaturschutzbrachen hat der Umfang dieser Flächen kontinu- gend mit verkürzten Flügeln auftretenden Art und Flächennutzungen durch die Heu- ierlich zugenommen. Allerdings wurden sind zur Besiedlung neu entstandener Lebens- schreckenfauna in der Hellwegbörde vor- in der durch fruchtbare Lößböden ge- räume in der Lage. Foto: R. Joest gelegt werden. prägten Unterbörde bislang weit weniger SELBSTBEGRÜNUNG, JUNG SELBSTBEGRÜNUNG, ALT SAATEN ZELLER D, JUNG MOD. SAATEN ZELLER D SAATEN ZELLER D, ALT WINTERGETREIDE LEGUMINOSEN A1 ROTE LISTE NRW SUMME ANZAHL ANTEIL [%] FELDGRAS RAPS MAIS ART Nachtigall-Grashüpfer (Chorthippus biguttulus) * 350 535 200 275 157 143 319 8 0 0 1.987 42 Roesels Beißschrecke (Roeseliana roeselii) * 276 234 50 117 96 35 3 0 0 0 811 17 Gemeiner Grashüpfer (Pseudochorthippus parallelus) * 153 281 24 58 7 21 10 0 0 0 554 12 Grünes Heupferd ( Tettigonia viridissima) * 47 89 94 50 79 56 0 4 14 0 433 9 Weißrandiger Grashüpfer(Chorthippus albomarginatus) * 93 10 4 0 5 8 238 0 0 0 358 8 Große Goldschrecke (Chrysochraon dispar) 3 185 25 20 70 25 12 0 0 0 0 337 7 Gewöhnliche Strauchschrecke (Pholidoptera griseoaptera) * 12 62 20 12 3 5 0 0 0 0 114 2 Zwitscherschrecke ( Tettigonia cantans) * 22 0 15 9 20 5 0 0 8 0 79 2 Langflügelige Schwertschrecke (Conocephalus fuscus) * 18 0 0 0 0 25 0 0 0 0 43 1 Wiesengrashüpfer (Chorthippus dorsatus) 2 0 20 0 0 0 0 0 0 0 0 20 0 Bunter Grashüpfer (Omocestus viridulus) * 0 0 0 2 0 10 0 0 0 0 12 0 Brauner Grashüpfer (Chorthippus brunneus) * 4 0 0 0 0 0 0 0 0 0 4 0 Gemeine Sichelschrecke (Phaneroptera falcata) * 0 0 0 4 0 0 0 0 0 0 4 0 Punktierte Zartschrecke (Leptophyes punctatissima) * 0 0 0 1 0 0 0 0 0 0 1 0 Säbel-Dornschrecke ( Tetrix subulata) * 0 1 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 SUMME ARTENZAHL 10 9 8 10 8 10 4 2 2 0 SUMME GESAMTZAHL 1.160 1.257 427 598 392 320 570 12 22 0 Rote Liste NRW: * = ungefährdet, 3 = gefährdet, 2 = vom Aussterben bedroht (nach Volpers & Vaut 2010) Tab. 1: Heuschreckenfauna unterschiedlicher Vertragsnaturschutzflächen und konventioneller Nutzungsformen im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Jahr 2019, sortiert nach absteigender Anzahl (Schätzung in Klassen, Summe der Maximalwerte) nach Transektbegehungen (2 m * 100 m) auf jeweils zehn Flächen pro Typ. 30 Natur in NRW 3/2021
Fachbeiträge Maßnahmen umgesetzt, als in der durch Methode Auf den Vertragsnaturschutzflächen konn- flachgründige Kalkverwitterungsböden ten insgesamt alle 15 Arten nachgewie- geprägten Oberbörde (Mitteilung UNB sen werden – auf den konventionell ge- Kreis Soest). Untersucht wurden je zehn Die Heuschreckenfauna wurde durch das nutzten Probeflächen dagegen nur sechs. Flächen der nachfolgend beschriebenen Verhören stridulierender Individuen und Die maximale Anzahl von sieben Arten Flächentypen mit einer Gesamtgröße von das Abkeschern der Vegetation erfasst. wurde auf den Selbstbegrünungsbrachen 377,5 Hektar, davon 142 Hektar Vertrags- Die Individuenzahlen wurden halbquanti- erreicht. Der Median der Artenzahl be- naturschutzflächen und 236 Hektar kon- tativ geschätzt (Roesti & Keist 2009, Fi- trug hier 5,5 auf den jungen Brachen und ventionelle Nutzungen. Um Zufalls- und scher et al. 2016). Die Probeflächen wur- fünf auf den alten (Abb. 3). Auf den alten Randeffekte zu minimieren, wurden nur den zwischen Mitte Juli und Ende Au- Einsaatbrachen „Saaten Zeller D“ wurden Probeflächen gewählt, welche eine Min- gust jeweils drei Mal im mindestens wö- maximal sechs Arten festgestellt, der Me- destgröße von 0,25 Hektar aufwiesen und chigen Abstand zwischen 11.00 Uhr und dian lag bei vier. Die Einsaatbrachen „Le- in der offenen Landschaft lagen. Als Flä- 17.00 Uhr bei warmen und windstillen guminosen A1“ wiesen in einem Fall eine chentypen wurden unterschieden: Witterungsverhältnissen begangen. Auf ebenfalls hohe Zahl von sieben Arten auf, jeder Probefläche wurde ein Transekt im Median kamen hier aber nur zwei Ar- ❱ Selbstbegrünungsbrache: Sich selbst von 100 Meter Länge und zwei Meter ten vor. Auf den konventionell genutzten begrünende Brache mit höherem Gras- Breite begangen (Mühlenberg et al. 1993, Probeflächen war die Artenzahl deutlich anteil, welche bei Bedarf (z. B. ver- Schlumpfrecht 1999). Dieses wurde so geringer. Von diesen zeigte das Feldgras mehrtes Aufkommen von Disteln ausgewählt, dass die gesamte Heterogeni- mit maximal drei, im Median zwei Ar- oder beginnende Verbuschung) durch tät der Probefläche berücksichtigt war. ten noch die höchste Artenzahl. Auf Mais abschnittsweiser Mulchmahd im konnte vereinzelt das Grüne Heupferd Spätsommer gepflegt werden (Pflege- oder die Zwitscherschrecke erfasst wer- brache). Bei einigen Flächen handelt es Ergebnisse den. Auf Raps und Wintergetreide kam es sich um ältere Stilllegungsbrachen, die nur zu Einzelfunden im Randbereich. im Rahmen des Vertragsnaturschutzes weitergeführt wurden. Insgesamt konnten 15 verschiedene Die meisten Individuen wurden auf alten Heuschreckenarten festgestellt werden Selbstbegrünungsbrachen festgestellt, auf ❱ Einsaatbrache „Saaten Zeller D“: Ein- (Tab. 1). Darunter waren mit dem Wie- jüngeren Selbstbegrünungen waren es nur saatbrache mit der Saatgutmischung D sen-Grashüpfer (stark gefährdet) und der geringfügig weniger Individuen (Abb. 4). des Saatgutherstellers Saaten Zeller. Es Großen Goldschrecke (gefährdet) zwei Ältere Einsaatbrachen der Einsaat „Saa- handelt sich um ein artenreiches Ge- Arten der Roten Liste des Landes NRW ten Zeller D“ wiesen die drittgrößte Indi- menge aus Gräsern, Zwischenfrüchten, (Volpers & Vaut 2010). Beide Rote-Liste- viduendichte auf. Auf den restlichen Ver- Leguminosen und Wildpflanzen Arten wurden ausschließlich auf den Ver- tragsnaturschutzflächen lagen die Indivi- tragsnaturschutzflächen angetroffen. Der duenzahlen deutlich niedriger. Von den ❱ Einsaatbrache „Modifizierte Saaten Nachtigall-Grashüpfer dominierte mit 42 konventionell genutzten Vergleichsflächen Zeller D“: Einsaatbrache mit einer wei- Prozent, gefolgt von Roesels Beißschrecke wurde nur auf Feldgras eine vergleichs- terentwickelten Saatgutmischung D des mit 17 Prozent und dem Gemeinen Gras- weise hohe Individuendichte erfasst. Herstellers Saaten Zeller. Diese Mi- hüpfer mit zwölf Prozent. Das Grüne Heu- schung verfügt über einen höheren An- pferd (9 %), der Weißrandige Grashüpfer Die Arten verteilten sich unterschiedlich teil an Wildpflanzen von 47 Prozent (7 %) und die Große Goldschrecke (7 %) auf die verschiedenen Flächentypen: So und keinen Gräseranteil. waren subdominant. Zu den rezedenten kamen die meisten Individuen der Gro- Begleitarten gehörten die Gewöhnliche ßen Goldschrecke auf jungen Selbstbegrü- ❱ Einsaatbrache „Leguminosen A1“: Strauchschrecke und die Zwitscherschre- nungsbrachen vor; auch Zwitscherschre- Einsaatbrache mit einer Saatgutmi- cke. Alle anderen Arten kamen nur spora- cken waren auf diesen Flächen häufig an- schung aus Kulturpflanzen mit hohem disch vor. zutreffen. Die Gewöhnliche Strauchschre- Leguminosenanteil. 6 ❱ Konventionell genutzte Vergleichsflä- chen: Als konventionelle Flächennut- 5 Artenzahl (Median) zungen wurden zum Vergleich Mais, Wintergetreide (Wintergerste und Win- 4 terweizen zusammengefasst), Raps und Feldgras untersucht. 3 2 Als „jung“ werden Probeflächen bezeich- net, die sich im ersten oder im zweiten 1 Jahr befinden; „alt“ sind demnach Pro- beflächen ab dem dritten Jahr. Zur ge- 0 Selbst- Selbst- Saaten Saaten Mod. Legumi- naueren Beschreibung der Vertragsna- begrü- begrü- Zeller D, Zeller D, Saaten nosen Feldgras Winter- Mais Raps turschutzmaßnahmen und der Einsaatge- nung, nung, jung alt Zeller A1 getreide jung alt D menge wird auf das Anwenderhandbuch 1. Quartil 6,25 6 4 5,25 4,25 3 2,25 0,25 1 0 Vertragsnaturschutz verwiesen (LANUV Median 5,5 5 3 4 3 2 2 0 1 0 2020). 3. Quartil 4 3,75 1,75 3,5 2,5 1,5 0,75 0 0 0 Abb. 3: Median der Artenzahl der Heuschrecken auf Vertragsnaturschutzflächen und konventio- neller Nutzungsformen im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Jahr 2019. Natur in NRW 3/2021 31
Fachbeiträge cke und der Gemeine Grashüpfer waren al. 2006) in der Hellwegbörde und Unter- und konventionellen Flächen die höchsten auf älteren Selbstbegrünungsbrachen suchungen aus England und der Schweiz Artenzahlen und Häufigkeiten der Heu- deutlich häufiger. Der Weißrandige Gras- zeigten, dass Ansaatbrachen und Blühflä- schrecken festgestellt. Nach Marshall et hüpfer wurde auf Feldgras am häufigsten chen einen positiven Effekt auf das Vor- al. (2007) lässt sich dies durch eine hö- festgestellt. kommen von Heuschrecken haben können here strukturelle Vielfalt, verschiedene (Jacot et al. 2007, Marshall et al. 2007). Nahrungsangebote und Bruthabitate auf diesen Flächen erklären. Diskussion Als effektivste Vertragsnaturschutzmaß- nahme für Heuschrecken erwiesen sich Auf den mit der Einsaatmischung „Modi- die selbst begrünten Brachen. Dabei hatte fizierte Saaten Zeller D“ eingesäten Bra- Die Heuschreckenfauna der untersuchten das Alter der Flächen nur einen geringen chen wurden geringfügig weniger Heu- Flächen war erwartungsgemäß von we- Einfluss. In der Regel werden diese Flä- schreckenarten und eine geringere Indi- nigen, überwiegend anspruchslosen Ar- chen relativ früh von Arten aus der nä- viduendichte registriert als auf den oben ten der „Normallandschaft“ geprägt. Seit heren Umgebung besiedelt (Graf 1965, genannten Einsaatbrachen. Diese modifi- den Untersuchungen von Braband et al. Kohlmann et al. 1995). Laut Kohlmann zierte Einsaatmischung ist durch einen hö- (2006) in derselben Region in den frühen (1996; 1997) verlaufen sukzessionsbe- heren Anteil heimischer Wildkräuter und 2000er-Jahren sind offenbar im Zuge der dingte Änderungen der Vegetationsstruk- den Verzicht auf Gräser gekennzeichnet. Klimaerwärmung die Große Goldschre- tur und des Artenspektrums der Heuschre- Der noch geringe Unterschied zwischen cke als regelmäßige Besiedler sowie die cken langsam ab. Ein Anzeichen für die den jungen Stadien der nicht modifizierten Langflügelige Schwertschrecke und die beginnende Sukzession ist aber das ver- Mischung inklusive Gräseranteil und der Gemeine Sichelschrecke als Einzeltiere mehrte Vorkommen der Gewöhnlichen modifizierten Mischung ohne Gräseranteil neu hinzugekommen. Strauchschrecke auf älteren Selbstbegrü- ist möglicherweise darauf zurückzufüh- nungsbrachen – sie bevorzugt verbuschte ren, dass sich die Gräser erst in einem äl- Konventionelle ackerbauliche Flächennut- oder staudenreiche Flächen. teren Stadium durchsetzen. zungen sind für Heuschrecken wenig ge- eignete Lebensräume, da sie hier aufgrund Unter den Einsaatbrachen wurden so- Die mit einem „Leguminosengemenge der häufigen und intensiven Bearbeitung wohl auf den jungen als auch auf den älte- A 1“ eingesäten Vertragsnaturschutz- nicht ihren gesamten Lebenszyklus durch- ren Flächen der Einsaatmischung „Saaten flächen waren die artenärmsten und wie- laufen können. Dementsprechend konnten Zeller D“ die höchste Artenvielfalt und sen die geringsten Dichten auf. auf den nicht regelmäßig bearbeiteten Ver- Individuendichte erfasst. Diese Mischung tragsnaturschutzflächen mehr Heuschre- weist im Gegensatz zur modifizierten Ein- Nach unseren Ergebnissen scheinen äl- ckenarten in höheren Dichten nachge- saatmischung einen Gräseranteil von 20 tere, selbst begrünte Brachen mit ho- wiesen werden als auf den konventionell Prozent auf. Auch nach Untersuchungen her Strukturvielfalt und Grasanteil am genutzten Flächen. Letztere wurden mit von Jacot et al. (2007) und Marshall et al. besten für eine arten- und individuen- Ausnahme von Feldgras kaum von Heu- (2007) wurden bei Saatmischungen, die reiche Heuschreckenfauna geeignet zu schrecken besiedelt. Auch die Ergebnisse Gräser und Blühpflanzen beinhalten, im sein. Auch Marshall et al. (2007) und Ja- des Ackerstreifenprojektes (Braband et Vergleich zu Saatmischungen ohne Gräser cot et al. (2007) weisen darauf hin, dass sich Einsaatgemenge mit Gräsern po- 1.500 sitiver auf Heuschrecken auswirken als Blühmischungen ohne Gräser. Im Gegen- satz zu Blüten besuchenden Insekten sind 1.200 Heuschrecken nicht auf ein breites Blü- Individuenzahl tenangebot angewiesen, sondern auf eine 900 hohe vertikale und horizontale Struktur- vielfalt mit geeignetem Nahrungsange- bot (Bellmann 2006, Detzel 1998). Da die 600 Eier als überwinternde Reproduktionssta- dien im Boden oder in überjährigen Pflan- 300 zenteilen überdauern, dürfen als Lebens- raum für Heuschrecken geeignete Flächen nicht jährlich bearbeitet werden (Bornholt 0 Selbstbegrünung, jung Selbstbegrünung, alt Saaten Zeller D, jung Saaten Zeller D, alt Mod. Saaten Zeller D Leguminosen A1 Feldgras Wintergetreide Mais Raps 1991). Angesichts dessen, dass sich Suk- zession durch Verfilzung oder Dominanz weniger geeigneter Vegetation (Fartmann & Mattes 1997) negativ auf viele Heu- schreckenarten auswirkt, sollten die Flä- chen aber gepflegt werden. Dafür wäre neben der letztlich zu grünlandähnlichen ■ Nachtigall-Grashüpfer ■ Roesels Beißschrecke ■ Gemeiner Grashüpfer Flächen führenden Mahd mit Abräumen ■ Grünes Heupferd ■ Weißrandiger Grashüpfer ■ Große Goldschrecke des Materials und belassen von unge- ■ Gewöhnliche Strauchschrecke ■ Zwitscherschrecke mähten Restflächen eine extensive Be- Abb. 4: Individuenzahl der Heuschrecken (Schätzung in Klassen, Summe der Maximalwerte) auf weidung am besten, um die Fläche zwar unterschiedlichen Vertragsnaturschutzflächen und konventionellen Nutzungsformen im Vogel- kurzfristig zu stören, aber dadurch lang- schutzgebiet Hellwegbörde 2019 nach Transektbegehungen (2 m * 100 m) auf jeweils zehn Flächen pro Typ. fristig viele Arten zu erhalten (Kohlmann 1997). Je nach Entwicklung der Vegeta- 32 Natur in NRW 3/2021
Fachbeiträge tion auf den einzelnen Flächen kann die chungen an Feldlerchenfenstern, extensivierten Sukzession aber auch zu einer Erhöhung Getreideäckern und Ackerbrachen in der Hell- wegbörde (NRW). Die Vogelwelt 138: 109–121. der Strukturvielfalt führen und Feldheu- schrecken sowie Laubheuschrecken ei- Kohlmann, T., Glandt, D. & H. Mattes (1995): Zur nen Lebensraum bieten (Kohlmann 1997). Heuschreckenfauna junger Ackerbrachen in der Durch die geringe Mobilität sind einige Westfälischen Bucht. Ein Beitrag zur Bewertung der Flächenstilllegung aus tierökologischer Sicht. Heuschreckenarten außerdem auf einen Metelener Schr. R. Naturschutz 5: 51–58. Biotopverbund angewiesen, um sich wei- ter verbreiten zu können. Zu empfehlen Kohlmann, T (1996): Zur Heuschreckenfauna auf Ackerbrachen – Veränderung nach 4 Jahren. Ar- ist daher die Anlage mehrjähriger Flächen ticulata 11: 29–35. in sonniger Lage und Strukturreichtum durch angepasste, abschnittsweise Pflege. Kohlmann, T. (1997): Zur Besiedlung von Acker- Für Heuschrecken ist eine sukzessions- brachen des Münsterlandes durch Heuschre- cken. In: Mattes, H. (Hrsg.): Ökologische Unter- bedingte „Vergrasung“ der Flächen nicht suchungen zur Heuschreckenfauna in Branden- von Nachteil. Diese Flächen sollen mit burg und Westfalen. Arbeiten aus dem Institut dauerhaften, für Heuschrecken geeigneten für Landschaftsökologie / Westfälische Wilhelms- Landschaftselementen wie Säumen, Grä- Universität 3: 165–172. ben, Grünland und gegebenenfalls Hecken LANUV [Landesamt für Natur, Umwelt und vernetzt sein (Braband et al. 2006). Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen] (2020): Anwenderhandbuch Vertragsnatur- LITERATUR schutz. LANUV-Arbeitsblatt 35. Link: http:// vns.naturschutzinformationen.nrw.de/vns/web/ Braband, D., Illner, H., Salm, P., Hegemann, A. & babel/media/lanuv-arbeitsblatt%2035_web.pdf. Abb. 5: Die Große Goldschrecke ist durch den M. Sayer (2006): Erhöhung der Biodiversität in einer intensiv genutzten Bördelandschaft West- Marshall, E. J. P. (2007): The effect of arable field Klimawandel bedingt erst in den letzten Jahren vermehrt in der Westfälischen Bucht anzu- falens mithilfe von extensivierten Ackerstreifen. margin structure and composition on Orthop- treffen. Inzwischen kommt sie auch regelmäßig Abschlussbericht Arbeitsgemeinschaft Biologi- tera assemblages. Aspects Of Applied Biology, auf Vertragsnaturschutzbrachen in der Hell- scher Umweltschutz. 81, 231–238. wegbörde vor. Foto: R. Joest Bellmann, H. (2006): Der Kosmos-Heuschre- Mühlenberg, M., Bogenrieder, A. & G. F. Behre ckenführer. Die Arten Mitteleuropas sicher be- (1993): Freilandökologie. 3. überarb. Aufl. Heidel- ten, gefolgt von Einsaatbrachen mit einem stimmen. Kosmos-Verlag. berg: Quelle & Meyer (Uni-Taschenbücher, 595). Anteil an Gräsern und heimischen Wild- Bornholt, G. (1991): Auswirkungen der Pflege- Roesti, C. & B. Keist (2009): Die Stimmen der pflanzen. Die konventionellen Flächennut- maßnahmen Mahd, Mulchen, Beweidung und Heuschrecken. Mit DVD. Bern. Haupt. zungen erwiesen sich mit Ausnahme von Gehölzrückschnitt auf die Insektenordnungen Feldgras als ungeeignet für Heuschrecken. Schlumprecht, H. (1999): Handbuch Orthoptera, Heteroptera, Auchenorrhyncha Die Ergebnisse zeigen, dass für Heuschre- landschaftsökologischer Leistungen. Empfehlung und Coleoptera der Halbtrockenrasen im Raum zur anwendungsbezogenen Honorarermittlung. cken geeignete Vertragsnaturschutzmaß- Schlüchtern. Marburger Entomologische Publi- Veröffentlichungen der VUBD [Vereinigung um- nahmen einen Grasanteil und eine große kationen Band 2, Heft 6: 1–330. weltwissenschaftlicher Berufsverbände Deutsch- Strukturvielfalt aufweisen sollten. Für die Detzel, P. (1998): Die Heuschrecken Baden- lands e. V.] Band 1. Nürnberg 1999. Förderung verschiedener Artengruppen in Württembergs. Eugen Ulmer Verlag. Schlumpfrecht, H. (2003): Die Lebensräume der Agrarlandschaft wie Feldvögel, Heu- Fartmann, T. & H. Mattes (1997): Heuschrecken- der Heuschrecken. In: Bayerisches Landesamt schrecken oder die Blüten besuchenden fauna und Grünland – Bewirtschaftungsmaß- für Umweltschutz, Deutsche Gesellschaft für Or- Insekten sind verschiedene Maßnahmen- nahmen und Biotopmanagement. In: Mattes, H. thopterologie und Deutscher Verband für Land- typen auf ausreichend großen Flächenan- (Hrsg.): Ökologische Untersuchungen zur Heu- schaftspflege (DVL) (Hrsg.): Heuschrecken in schreckenfauna in Brandenburg und Westfa- Bayern. Unter Mitarbeit von H. Schlumprecht teilen, möglichst mit Verbund, nötig. len. Arbeiten aus dem Institut für Landschafts- und G. Waeber. Stuttgart (Hohenheim): Eugen ökologie / Westfälische Wilhelms-Universität 3: Ulmer, S. 307–390. AUTOREN 179–187. Volpers, M. & L. Vaut (2010): Rote Liste und Ar- Patrick Hundorf Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Ponti- tenverzeichnis der Heuschrecken – Saltatoria – Ralf Joest atowski, D., Fartmann, T., Beckmann, A. & in Nordrhein-Westfalen. In: LANUV (Hrsg.): Rote Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz C. Stettmer (2016): Die Heuschrecken Deutsch- Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere in Biologische Station Soest lands und Nordtirols – bestimmen, beobachten, Nordrhein-Westfalen, 4. Fassung, 2011. LANUV- Sassendorf-Lohne schützen. Quelle & Meyer-Verlag. Fachbericht 36 (2): 489–501. p.hundorf@abu-naturschutz.de r.joest@abu-naturschutz.de Graf, H. D. (1965): Untersuchungen über den Ein- fluss der Getreidemahd auf die Feldheuschre- Kersten Hänel cken benachbarter Ackerraine. Zool. Anz. 174: ZUSAMMENFASSUNG Hochschule Osnabrück 183–189. Arbeitsgruppe Tierökologie und Naturschutz, Fakultät Agrarwissenschaften und Landschafts- Herkenrath, P., Fels, B., Joest, R. & D. Schlaberg Im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde in architektur (2015): Vogelschutz in der Hellwegbörde: Maß- Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2019 Osnabrück nahmenplan geht in die Umsetzung. Natur in selbst begrünende Brachen und verschie- k.haenel@hs-osnabrueck.de NRW 2/2015: 40–44. dene Einsaatbrachen unterschiedlicher Jacot, K., Eggenschwiler, L., Junge, X., Luka, Altersstadien als Vertragsnaturschutzflä- H. & A. Bosshard (2007): Improved field mar- chen und zum Vergleich landwirtschaft- gins for a higher biodiversity in agricultural land- liche Nutzflächen auf ihre Heuschre- scapes. Aspects of Applied Biology 81: 277–283. ckenfauna untersucht. Dabei waren die Joest, R. (2018): Wie wirksam sind Vertragsna- Artenvielfalt und die Individuenzahl auf turschutzmaßnahmen für Feldvögel? Untersu- selbst begrünenden Brachen am größ- Natur in NRW 3/2021 33 View publication stats
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