Heuschreckenfauna auf Vertragsnaturschutzbrachen

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Heuschreckenfauna auf Vertragsnaturschutzbrachen
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Abb. 1: In der Agrarlandschaft der Hellwegbörde bieten selbstbegrünende oder eingesäte Vertragsnaturschutzbrachen (im Bild) wertvolle Lebens-
räume auch für Heuschrecken. Foto: R. Joest

Patrick Hundorf, Kersten Hänel, Ralf Joest

Heuschreckenfauna
auf Vertragsnaturschutzbrachen
Eine aktuelle Untersuchung in der Hellwegbörde
Heuschrecken sind Indikatoren für die Strukturvielfalt von Offenland-Lebensräumen und bilden als
überwiegend phytophage Insekten eine wichtige Grundlage der Nahrungsnetze. Viele gelten als charakte-
ristische Bewohner von Grünland im weitesten Sinne – aber auch selbstbegrünende Ackerbrachen und
Ansaatbrachen können bei geeigneter Struktur Lebensraum für Heuschrecken bieten. Die im Folgenden
vorgestellte Untersuchung aus dem Jahr 2019 zur Besiedlung unterschiedlicher Vertragsnaturschutzbra-
chen in der Hellwegbörde bestätigt dies.

Wie bei Vögeln und vielen anderen Arten-         zur Schaffung von extensiv bewirtschaf-           bensgemeinschaft des Agrarökosystems
gruppen leiden mittlerweile bei den Heu-         teten Randstreifen, Getreidestreifen und          zugutekommen.
schrecken selbst ehemals weit verbreitete        Brachen angeboten (LANUV 2020). In
und häufige Arten der Agrarlandschaft un-        Nordrhein-Westfalen liegt ein Schwer-             Untersuchungen über die Besiedlung von
ter der anhaltenden landwirtschaftlichen         punkt dieser Maßnahmen im Vogelschutz-            Ackerbrachen und landwirtschaftlichen
Intensivierung und dem Verlust von Land-         gebiet Hellwegbörde. Dort werden beson-           Nutzflächen durch Heuschrecken fin-
schaftselementen. Um dem Rückgang der            dere Anstrengungen unternommen, um                den sich bereits bei Graf (1965), Kohl-
Artenvielfalt in der Agrarlandschaft ent-        den Lebensraum für die Vögel der Ag-              mann et al. (1995) und Kohlmann (1996,
gegenzuwirken, werden den Landbewirt-            rarlandschaft zu verbessern (Herkenrath           1997). Von 2001 bis 2004 wurde im Kreis
schaftenden in Nordrhein-Westfalen – wie         et al. 2015, Joest 2018). Diese Maßnah-           Soest das Modellvorhaben „Extensivierte
in vielen anderen Bundesländern auch –           men sollen aber auch der gesamten Le-             Ackerstreifen im Kreis Soest“ durchge-
Maßnahmen des Vertragsnaturschutzes                                                                führt. Bereits damals konnte gezeigt wer-

Natur in NRW 3/2021                                                                                                                             29
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                                                     den, dass insbesondere mehrjährige Bra-                                                                                                                                  Untersuchungsgebiet
                                                     chen einen Beitrag zur Förderung von                                                                                                                                     und Flächentypen
                                                     Heuschrecken in der Agrarlandschaft leis-
                                                     ten können (Braband et al. 2006). Seit-
                                                     dem sind die Vertragsnaturschutzange-
                                                     bote durch verschiedene Blühmischun-                                                                                                                                     Die Untersuchungen fanden im Jahr 2019
                                                     gen weiterentwickelt und im Kreis Soest                                                                                                                                  in dem Teil des Europäischen Vogel-
                                                     großflächig umgesetzt worden. Außerdem                                                                                                                                   schutzgebietes Hellwegbörde statt, der im
                                                     hat sich mit der Ansiedlung der Großen                                                                                                                                   Kreis Soest gelegen ist. Es handelt sich
                                                     Goldschrecke und anderer Arten im Zuge                                                                                                                                   um eine intensive Ackerbauregion in Mit-
                                                     des Klimawandels die Heuschrecken-                                                                                                                                       telwestfalen. In der Hellwegbörde wur-
                                                     fauna verändert. Und auch vor dem Hin-                                                                                                                                   den seit 2001 in einem Modellvorhaben
                                                     tergrund, dass die Insektenfauna als Ziel                                                                                                                                (Braband et al. 2006) Vertragsnaturschutz-
                                                     von Naturschutzbemühungen inzwischen                                                                                                                                     angebote erprobt und seit 2007 im Rah-
Abb. 2: Roesels Beißschrecke ist ein häufiger        stärker beachtet wird, soll hier eine aktu-                                                                                                                              men des Kulturlandschaftsprogrammes
und regelmäßiger Besiedler von Vertragsnatur-        elle Untersuchung zur Besiedlung unter-                                                                                                                                  des Kreises Soest weitergeführt. Seitdem
schutzbrachen in der Hellwegbörde.
Langflügelige Individuen (im Bild) der überwie-      schiedlicher Vertragsnaturschutzbrachen                                                                                                                                  hat der Umfang dieser Flächen kontinu-
gend mit verkürzten Flügeln auftretenden Art         und Flächennutzungen durch die Heu-                                                                                                                                      ierlich zugenommen. Allerdings wurden
sind zur Besiedlung neu entstandener Lebens-         schreckenfauna in der Hellwegbörde vor-                                                                                                                                  in der durch fruchtbare Lößböden ge-
räume in der Lage. Foto: R. Joest
                                                     gelegt werden.                                                                                                                                                           prägten Unterbörde bislang weit weniger
                                                                                    SELBSTBEGRÜNUNG, JUNG

                                                                                                                 SELBSTBEGRÜNUNG, ALT

                                                                                                                                            SAATEN ZELLER D, JUNG

                                                                                                                                                                                                   MOD. SAATEN ZELLER D
                                                                                                                                                                        SAATEN ZELLER D, ALT

                                                                                                                                                                                                                                                                  WINTERGETREIDE
                                                                                                                                                                                                                              LEGUMINOSEN A1
                                                              ROTE LISTE NRW

                                                                                                                                                                                                                                                                                                               SUMME ANZAHL

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  ANTEIL [%]
                                                                                                                                                                                                                                                   FELDGRAS

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   RAPS
                                                                                                                                                                                                                                                                                       MAIS
ART

Nachtigall-Grashüpfer (Chorthippus biguttulus)                                 *    350                           535                       200                           275                           157                     143                 319                            8          0           0   1.987                     42

Roesels Beißschrecke (Roeseliana roeselii)                                     *      276                        234                                    50                      117                           96                      35                      3                    0          0           0        811                    17

Gemeiner Grashüpfer (Pseudochorthippus parallelus)                             *        153                          281                                 24                         58                                    7             21              10                         0          0           0    554                       12

Grünes Heupferd ( Tettigonia viridissima)                                      *                  47                         89                         94                         50                           79                    56                      0                    4      14              0    433                             9

Weißrandiger Grashüpfer(Chorthippus albomarginatus)                            *                 93                            10                                   4                          0                          5                    8   238                             0          0           0    358                             8

Große Goldschrecke (Chrysochraon dispar)                                       3        185                                  25                         20                          70                         25                       12                    0                    0          0           0     337                            7

Gewöhnliche Strauchschrecke (Pholidoptera griseoaptera)                        *                    12                       62                         20                             12                                 3                    5              0                    0          0           0        114                         2

Zwitscherschrecke ( Tettigonia cantans)                                        *                 22                                     0                   15                                 9              20                               5              0                    0          8           0           79                       2

Langflügelige Schwertschrecke (Conocephalus fuscus)                            *                   18                                   0                           0                          0                          0            25                     0                    0          0           0           43                       1

Wiesengrashüpfer (Chorthippus dorsatus)                                        2                            0               20                                      0                          0                          0                    0              0                    0          0           0           20                       0

Bunter Grashüpfer (Omocestus viridulus)                                        *                            0                           0                           0                          2                          0             10                    0                    0          0           0             12                     0

Brauner Grashüpfer (Chorthippus brunneus)                                      *                            4                           0                           0                          0                          0                    0              0                    0          0           0                   4                0

Gemeine Sichelschrecke (Phaneroptera falcata)                                  *                            0                           0                           0                          4                          0                    0              0                    0          0           0                   4                0

Punktierte Zartschrecke (Leptophyes punctatissima)                             *                            0                           0                           0                          1                          0                    0              0                    0          0           0                   1                0

Säbel-Dornschrecke ( Tetrix subulata)                                          *                            0                           1                           0                          0                          0                    0              0                    0          0           0                   1                0

SUMME ARTENZAHL                                                                                    10                                   9                           8                 10                                  8             10                    4                    2          2           0

SUMME GESAMTZAHL                                                                   1.160                        1.257                          427                       598                        392                       320                   570                      12          22               0

Rote Liste NRW: * = ungefährdet, 3 = gefährdet, 2 = vom Aussterben bedroht (nach Volpers & Vaut 2010)

Tab. 1: Heuschreckenfauna unterschiedlicher Vertragsnaturschutzflächen und konventioneller Nutzungsformen im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im
Jahr 2019, sortiert nach absteigender Anzahl (Schätzung in Klassen, Summe der Maximalwerte) nach Transektbegehungen (2 m * 100 m) auf jeweils
zehn Flächen pro Typ.

30                                                                                                                                                                                                                                                                                                Natur in NRW 3/2021
Heuschreckenfauna auf Vertragsnaturschutzbrachen
Fachbeiträge

Maßnahmen umgesetzt, als in der durch         Methode                                          Auf den Vertragsnaturschutzflächen konn-
flachgründige Kalkverwitterungsböden                                                           ten insgesamt alle 15 Arten nachgewie-
geprägten Oberbörde (Mitteilung UNB                                                            sen werden – auf den konventionell ge-
Kreis Soest). Untersucht wurden je zehn       Die Heuschreckenfauna wurde durch das            nutzten Probeflächen dagegen nur sechs.
Flächen der nachfolgend beschriebenen         Verhören stridulierender Individuen und          Die maximale Anzahl von sieben Arten
Flächentypen mit einer Gesamtgröße von        das Abkeschern der Vegetation erfasst.           wurde auf den Selbstbegrünungsbrachen
377,5 Hektar, davon 142 Hektar Vertrags-      Die Individuenzahlen wurden halbquanti-          erreicht. Der Median der Artenzahl be-
naturschutzflächen und 236 Hektar kon-        tativ geschätzt (Roesti & Keist 2009, Fi-        trug hier 5,5 auf den jungen Brachen und
ventionelle Nutzungen. Um Zufalls- und        scher et al. 2016). Die Probeflächen wur-        fünf auf den alten (Abb. 3). Auf den alten
Randeffekte zu minimieren, wurden nur         den zwischen Mitte Juli und Ende Au-             Einsaatbrachen „Saaten Zeller D“ wurden
Probeflächen gewählt, welche eine Min-        gust jeweils drei Mal im mindestens wö-          maximal sechs Arten festgestellt, der Me-
destgröße von 0,25 Hektar aufwiesen und       chigen Abstand zwischen 11.00 Uhr und            dian lag bei vier. Die Einsaatbrachen „Le-
in der offenen Landschaft lagen. Als Flä-     17.00 Uhr bei warmen und windstillen             guminosen A1“ wiesen in einem Fall eine
chentypen wurden unterschieden:               Witterungsverhältnissen begangen. Auf            ebenfalls hohe Zahl von sieben Arten auf,
                                              jeder Probefläche wurde ein Transekt             im Median kamen hier aber nur zwei Ar-
❱ Selbstbegrünungsbrache: Sich selbst         von 100 Meter Länge und zwei Meter               ten vor. Auf den konventionell genutzten
   begrünende Brache mit höherem Gras-        Breite begangen (Mühlenberg et al. 1993,         Probeflächen war die Artenzahl deutlich
   anteil, welche bei Bedarf (z. B. ver-      Schlumpfrecht 1999). Dieses wurde so             geringer. Von diesen zeigte das Feldgras
   mehrtes Aufkommen von Disteln              ausgewählt, dass die gesamte Heterogeni-         mit maximal drei, im Median zwei Ar-
   oder beginnende Verbuschung) durch         tät der Probefläche berücksichtigt war.          ten noch die höchste Artenzahl. Auf Mais
   abschnittsweiser Mulchmahd im                                                               konnte vereinzelt das Grüne Heupferd
   Spätsommer gepflegt werden (Pflege-                                                         oder die Zwitscherschrecke erfasst wer-
   brache). Bei einigen Flächen handelt es    Ergebnisse                                       den. Auf Raps und Wintergetreide kam es
   sich um ältere Stilllegungsbrachen, die                                                     nur zu Einzelfunden im Randbereich.
   im Rahmen des Vertragsnaturschutzes
   weitergeführt wurden.                      Insgesamt konnten 15 verschiedene                Die meisten Individuen wurden auf alten
                                              Heuschreckenarten festgestellt werden            Selbstbegrünungsbrachen festgestellt, auf
❱ Einsaatbrache „Saaten Zeller D“: Ein-       (Tab. 1). Darunter waren mit dem Wie-            jüngeren Selbstbegrünungen waren es nur
   saatbrache mit der Saatgutmischung D       sen-Grashüpfer (stark gefährdet) und der         geringfügig weniger Individuen (Abb. 4).
   des Saatgutherstellers Saaten Zeller. Es   Großen Goldschrecke (gefährdet) zwei             Ältere Einsaatbrachen der Einsaat „Saa-
   handelt sich um ein artenreiches Ge-       Arten der Roten Liste des Landes NRW             ten Zeller D“ wiesen die drittgrößte Indi-
   menge aus Gräsern, Zwischenfrüchten,       (Volpers & Vaut 2010). Beide Rote-Liste-         viduendichte auf. Auf den restlichen Ver-
   Leguminosen und Wildpflanzen               Arten wurden ausschließlich auf den Ver-         tragsnaturschutzflächen lagen die Indivi-
                                              tragsnaturschutzflächen angetroffen. Der         duenzahlen deutlich niedriger. Von den
❱ Einsaatbrache „Modifizierte Saaten          Nachtigall-Grashüpfer dominierte mit 42          konventionell genutzten Vergleichsflächen
  Zeller D“: Einsaatbrache mit einer wei-     Prozent, gefolgt von Roesels Beißschrecke        wurde nur auf Feldgras eine vergleichs-
   terentwickelten Saatgutmischung D des      mit 17 Prozent und dem Gemeinen Gras-            weise hohe Individuendichte erfasst.
   Herstellers Saaten Zeller. Diese Mi-       hüpfer mit zwölf Prozent. Das Grüne Heu-
   schung verfügt über einen höheren An-      pferd (9 %), der Weißrandige Grashüpfer          Die Arten verteilten sich unterschiedlich
   teil an Wildpflanzen von 47 Prozent        (7 %) und die Große Goldschrecke (7 %)           auf die verschiedenen Flächentypen: So
   und keinen Gräseranteil.                   waren subdominant. Zu den rezedenten             kamen die meisten Individuen der Gro-
                                              Begleitarten gehörten die Gewöhnliche            ßen Goldschrecke auf jungen Selbstbegrü-
❱ Einsaatbrache „Leguminosen A1“:             Strauchschrecke und die Zwitscherschre-          nungsbrachen vor; auch Zwitscherschre-
   Einsaatbrache mit einer Saatgutmi-         cke. Alle anderen Arten kamen nur spora-         cken waren auf diesen Flächen häufig an-
   schung aus Kulturpflanzen mit hohem        disch vor.                                       zutreffen. Die Gewöhnliche Strauchschre-
   Leguminosenanteil.
                                                                     6
❱ Konventionell genutzte Vergleichsflä-
  chen: Als konventionelle Flächennut-                               5
                                                Artenzahl (Median)

   zungen wurden zum Vergleich Mais,
   Wintergetreide (Wintergerste und Win-                             4
   terweizen zusammengefasst), Raps und
   Feldgras untersucht.                                              3
                                                                     2
Als „jung“ werden Probeflächen bezeich-
net, die sich im ersten oder im zweiten                              1
Jahr befinden; „alt“ sind demnach Pro-
beflächen ab dem dritten Jahr. Zur ge-                               0
                                                         Selbst- Selbst- Saaten Saaten Mod. Legumi-
naueren Beschreibung der Vertragsna-                     begrü- begrü- Zeller D, Zeller D, Saaten nosen Feldgras Winter-    Mais    Raps
turschutzmaßnahmen und der Einsaatge-                     nung,   nung,   jung      alt    Zeller  A1            getreide
                                                          jung      alt                       D
menge wird auf das Anwenderhandbuch           1. Quartil 6,25        6      4      5,25     4,25    3     2,25     0,25       1       0
Vertragsnaturschutz verwiesen (LANUV          Median       5,5       5      3        4        3     2       2       0         1       0
2020).                                        3. Quartil    4      3,75   1,75      3,5      2,5   1,5    0,75      0         0       0
                                              Abb. 3: Median der Artenzahl der Heuschrecken auf Vertragsnaturschutzflächen und konventio-
                                              neller Nutzungsformen im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde im Jahr 2019.

Natur in NRW 3/2021                                                                                                                         31
Fachbeiträge

cke und der Gemeine Grashüpfer waren                                                                                            al. 2006) in der Hellwegbörde und Unter-                                        und konventionellen Flächen die höchsten
auf älteren Selbstbegrünungsbrachen                                                                                             suchungen aus England und der Schweiz                                           Artenzahlen und Häufigkeiten der Heu-
deutlich häufiger. Der Weißrandige Gras-                                                                                        zeigten, dass Ansaatbrachen und Blühflä-                                        schrecken festgestellt. Nach Marshall et
hüpfer wurde auf Feldgras am häufigsten                                                                                         chen einen positiven Effekt auf das Vor-                                        al. (2007) lässt sich dies durch eine hö-
festgestellt.                                                                                                                   kommen von Heuschrecken haben können                                            here strukturelle Vielfalt, verschiedene
                                                                                                                                (Jacot et al. 2007, Marshall et al. 2007).                                      Nahrungsangebote und Bruthabitate auf
                                                                                                                                                                                                                diesen Flächen erklären.
Diskussion                                                                                                                      Als effektivste Vertragsnaturschutzmaß-
                                                                                                                                nahme für Heuschrecken erwiesen sich                                            Auf den mit der Einsaatmischung „Modi-
                                                                                                                                die selbst begrünten Brachen. Dabei hatte                                       fizierte Saaten Zeller D“ eingesäten Bra-
Die Heuschreckenfauna der untersuchten                                                                                          das Alter der Flächen nur einen geringen                                        chen wurden geringfügig weniger Heu-
Flächen war erwartungsgemäß von we-                                                                                             Einfluss. In der Regel werden diese Flä-                                        schreckenarten und eine geringere Indi-
nigen, überwiegend anspruchslosen Ar-                                                                                           chen relativ früh von Arten aus der nä-                                         viduendichte registriert als auf den oben
ten der „Normallandschaft“ geprägt. Seit                                                                                        heren Umgebung besiedelt (Graf 1965,                                            genannten Einsaatbrachen. Diese modifi-
den Untersuchungen von Braband et al.                                                                                           Kohlmann et al. 1995). Laut Kohlmann                                            zierte Einsaatmischung ist durch einen hö-
(2006) in derselben Region in den frühen                                                                                        (1996; 1997) verlaufen sukzessionsbe-                                           heren Anteil heimischer Wildkräuter und
2000er-Jahren sind offenbar im Zuge der                                                                                         dingte Änderungen der Vegetationsstruk-                                         den Verzicht auf Gräser gekennzeichnet.
Klimaerwärmung die Große Goldschre-                                                                                             tur und des Artenspektrums der Heuschre-                                        Der noch geringe Unterschied zwischen
cke als regelmäßige Besiedler sowie die                                                                                         cken langsam ab. Ein Anzeichen für die                                          den jungen Stadien der nicht modifizierten
Langflügelige Schwertschrecke und die                                                                                           beginnende Sukzession ist aber das ver-                                         Mischung inklusive Gräseranteil und der
Gemeine Sichelschrecke als Einzeltiere                                                                                          mehrte Vorkommen der Gewöhnlichen                                               modifizierten Mischung ohne Gräseranteil
neu hinzugekommen.                                                                                                              Strauchschrecke auf älteren Selbstbegrü-                                        ist möglicherweise darauf zurückzufüh-
                                                                                                                                nungsbrachen – sie bevorzugt verbuschte                                         ren, dass sich die Gräser erst in einem äl-
Konventionelle ackerbauliche Flächennut-                                                                                        oder staudenreiche Flächen.                                                     teren Stadium durchsetzen.
zungen sind für Heuschrecken wenig ge-
eignete Lebensräume, da sie hier aufgrund                                                                                       Unter den Einsaatbrachen wurden so-                                             Die mit einem „Leguminosengemenge
der häufigen und intensiven Bearbeitung                                                                                         wohl auf den jungen als auch auf den älte-                                      A 1“ eingesäten Vertragsnaturschutz-
nicht ihren gesamten Lebenszyklus durch-                                                                                        ren Flächen der Einsaatmischung „Saaten                                         flächen waren die artenärmsten und wie-
laufen können. Dementsprechend konnten                                                                                          Zeller D“ die höchste Artenvielfalt und                                         sen die geringsten Dichten auf.
auf den nicht regelmäßig bearbeiteten Ver-                                                                                      Individuendichte erfasst. Diese Mischung
tragsnaturschutzflächen mehr Heuschre-                                                                                          weist im Gegensatz zur modifizierten Ein-                                       Nach unseren Ergebnissen scheinen äl-
ckenarten in höheren Dichten nachge-                                                                                            saatmischung einen Gräseranteil von 20                                          tere, selbst begrünte Brachen mit ho-
wiesen werden als auf den konventionell                                                                                         Prozent auf. Auch nach Untersuchungen                                           her Strukturvielfalt und Grasanteil am
genutzten Flächen. Letztere wurden mit                                                                                          von Jacot et al. (2007) und Marshall et al.                                     besten für eine arten- und individuen-
Ausnahme von Feldgras kaum von Heu-                                                                                             (2007) wurden bei Saatmischungen, die                                           reiche Heuschreckenfauna geeignet zu
schrecken besiedelt. Auch die Ergebnisse                                                                                        Gräser und Blühpflanzen beinhalten, im                                          sein. Auch Marshall et al. (2007) und Ja-
des Ackerstreifenprojektes (Braband et                                                                                          Vergleich zu Saatmischungen ohne Gräser                                         cot et al. (2007) weisen darauf hin, dass
                                                                                                                                                                                                                sich Einsaatgemenge mit Gräsern po-
                      1.500                                                                                                                                                                                     sitiver auf Heuschrecken auswirken als
                                                                                                                                                                                                                Blühmischungen ohne Gräser. Im Gegen-
                                                                                                                                                                                                                satz zu Blüten besuchenden Insekten sind
                      1.200                                                                                                                                                                                     Heuschrecken nicht auf ein breites Blü-
     Individuenzahl

                                                                                                                                                                                                                tenangebot angewiesen, sondern auf eine
                       900                                                                                                                                                                                      hohe vertikale und horizontale Struktur-
                                                                                                                                                                                                                vielfalt mit geeignetem Nahrungsange-
                                                                                                                                                                                                                bot (Bellmann 2006, Detzel 1998). Da die
                       600                                                                                                                                                                                      Eier als überwinternde Reproduktionssta-
                                                                                                                                                                                                                dien im Boden oder in überjährigen Pflan-
                       300                                                                                                                                                                                      zenteilen überdauern, dürfen als Lebens-
                                                                                                                                                                                                                raum für Heuschrecken geeignete Flächen
                                                                                                                                                                                                                nicht jährlich bearbeitet werden (Bornholt
                          0
                                Selbstbegrünung, jung

                                                        Selbstbegrünung, alt

                                                                               Saaten Zeller D, jung

                                                                                                       Saaten Zeller D, alt

                                                                                                                              Mod. Saaten Zeller D

                                                                                                                                                     Leguminosen A1

                                                                                                                                                                      Feldgras

                                                                                                                                                                                 Wintergetreide

                                                                                                                                                                                                  Mais

                                                                                                                                                                                                         Raps

                                                                                                                                                                                                                1991). Angesichts dessen, dass sich Suk-
                                                                                                                                                                                                                zession durch Verfilzung oder Dominanz
                                                                                                                                                                                                                weniger geeigneter Vegetation (Fartmann
                                                                                                                                                                                                                & Mattes 1997) negativ auf viele Heu-
                                                                                                                                                                                                                schreckenarten auswirkt, sollten die Flä-
                                                                                                                                                                                                                chen aber gepflegt werden. Dafür wäre
                                                                                                                                                                                                                neben der letztlich zu grünlandähnlichen
                        ■ Nachtigall-Grashüpfer                                                              ■ Roesels Beißschrecke    ■ Gemeiner Grashüpfer
                                                                                                                                                                                                                Flächen führenden Mahd mit Abräumen
                        ■ Grünes Heupferd                                                                    ■ Weißrandiger Grashüpfer ■ Große Goldschrecke                                                     des Materials und belassen von unge-
                        ■ Gewöhnliche Strauchschrecke                                                        ■ Zwitscherschrecke                                                                                mähten Restflächen eine extensive Be-
Abb. 4: Individuenzahl der Heuschrecken (Schätzung in Klassen, Summe der Maximalwerte) auf                                                                                                                      weidung am besten, um die Fläche zwar
unterschiedlichen Vertragsnaturschutzflächen und konventionellen Nutzungsformen im Vogel-                                                                                                                       kurzfristig zu stören, aber dadurch lang-
schutzgebiet Hellwegbörde 2019 nach Transektbegehungen (2 m * 100 m) auf jeweils zehn Flächen
pro Typ.                                                                                                                                                                                                        fristig viele Arten zu erhalten (Kohlmann
                                                                                                                                                                                                                1997). Je nach Entwicklung der Vegeta-

32                                                                                                                                                                                                                                      Natur in NRW 3/2021
Fachbeiträge

tion auf den einzelnen Flächen kann die                chungen an Feldlerchenfenstern, extensivierten
Sukzession aber auch zu einer Erhöhung                 Getreideäckern und Ackerbrachen in der Hell-
                                                       wegbörde (NRW). Die Vogelwelt 138: 109–121.
der Strukturvielfalt führen und Feldheu-
schrecken sowie Laubheuschrecken ei-                   Kohlmann, T., Glandt, D. & H. Mattes (1995): Zur
nen Lebensraum bieten (Kohlmann 1997).                 Heuschreckenfauna junger Ackerbrachen in der
Durch die geringe Mobilität sind einige                Westfälischen Bucht. Ein Beitrag zur Bewertung
                                                       der Flächenstilllegung aus tierökologischer Sicht.
Heuschreckenarten außerdem auf einen                   Metelener Schr. R. Naturschutz 5: 51–58.
Biotopverbund angewiesen, um sich wei-
ter verbreiten zu können. Zu empfehlen                 Kohlmann, T (1996): Zur Heuschreckenfauna auf
                                                       Ackerbrachen – Veränderung nach 4 Jahren. Ar-
ist daher die Anlage mehrjähriger Flächen
                                                       ticulata 11: 29–35.
in sonniger Lage und Strukturreichtum
durch angepasste, abschnittsweise Pflege.              Kohlmann, T. (1997): Zur Besiedlung von Acker-
Für Heuschrecken ist eine sukzessions-                 brachen des Münsterlandes durch Heuschre-
                                                       cken. In: Mattes, H. (Hrsg.): Ökologische Unter-
bedingte „Vergrasung“ der Flächen nicht                suchungen zur Heuschreckenfauna in Branden-
von Nachteil. Diese Flächen sollen mit                 burg und Westfalen. Arbeiten aus dem Institut
dauerhaften, für Heuschrecken geeigneten               für Landschaftsökologie / Westfälische Wilhelms-
Landschaftselementen wie Säumen, Grä-                  Universität 3: 165–172.
ben, Grünland und gegebenenfalls Hecken                LANUV [Landesamt für Natur, Umwelt und
vernetzt sein (Braband et al. 2006).                   Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen]
                                                       (2020): Anwenderhandbuch Vertragsnatur-
LITERATUR                                              schutz. LANUV-Arbeitsblatt 35. Link: http://
                                                       vns.naturschutzinformationen.nrw.de/vns/web/
Braband, D., Illner, H., Salm, P., Hegemann, A. &
                                                       babel/media/lanuv-arbeitsblatt%2035_web.pdf.            Abb. 5: Die Große Goldschrecke ist durch den
M. Sayer (2006): Erhöhung der Biodiversität in
einer intensiv genutzten Bördelandschaft West-         Marshall, E. J. P. (2007): The effect of arable field   Klimawandel bedingt erst in den letzten Jahren
                                                                                                               vermehrt in der Westfälischen Bucht anzu-
falens mithilfe von extensivierten Ackerstreifen.      margin structure and composition on Orthop-             treffen. Inzwischen kommt sie auch regelmäßig
Abschlussbericht Arbeitsgemeinschaft Biologi-          tera assemblages. Aspects Of Applied Biology,           auf Vertragsnaturschutzbrachen in der Hell-
scher Umweltschutz.                                    81, 231–238.                                            wegbörde vor. Foto: R. Joest
Bellmann, H. (2006): Der Kosmos-Heuschre-              Mühlenberg, M., Bogenrieder, A. & G. F. Behre
ckenführer. Die Arten Mitteleuropas sicher be-         (1993): Freilandökologie. 3. überarb. Aufl. Heidel-     ten, gefolgt von Einsaatbrachen mit einem
stimmen. Kosmos-Verlag.                                berg: Quelle & Meyer (Uni-Taschenbücher, 595).          Anteil an Gräsern und heimischen Wild-
Bornholt, G. (1991): Auswirkungen der Pflege-          Roesti, C. & B. Keist (2009): Die Stimmen der           pflanzen. Die konventionellen Flächennut-
maßnahmen Mahd, Mulchen, Beweidung und                 Heuschrecken. Mit DVD. Bern. Haupt.                     zungen erwiesen sich mit Ausnahme von
Gehölzrückschnitt auf die Insektenordnungen                                                                    Feldgras als ungeeignet für Heuschrecken.
                                                       Schlumprecht, H. (1999): Handbuch
Orthoptera, Heteroptera, Auchenorrhyncha                                                                       Die Ergebnisse zeigen, dass für Heuschre-
                                                       landschaftsökologischer Leistungen. Empfehlung
und Coleoptera der Halbtrockenrasen im Raum
                                                       zur anwendungsbezogenen Honorarermittlung.              cken geeignete Vertragsnaturschutzmaß-
Schlüchtern. Marburger Entomologische Publi-
                                                       Veröffentlichungen der VUBD [Vereinigung um-            nahmen einen Grasanteil und eine große
kationen Band 2, Heft 6: 1–330.
                                                       weltwissenschaftlicher Berufsverbände Deutsch-          Strukturvielfalt aufweisen sollten. Für die
Detzel, P. (1998): Die Heuschrecken Baden-             lands e. V.] Band 1. Nürnberg 1999.
                                                                                                               Förderung verschiedener Artengruppen in
Württembergs. Eugen Ulmer Verlag.
                                                       Schlumpfrecht, H. (2003): Die Lebensräume               der Agrarlandschaft wie Feldvögel, Heu-
Fartmann, T. & H. Mattes (1997): Heuschrecken-         der Heuschrecken. In: Bayerisches Landesamt             schrecken oder die Blüten besuchenden
fauna und Grünland – Bewirtschaftungsmaß-              für Umweltschutz, Deutsche Gesellschaft für Or-         Insekten sind verschiedene Maßnahmen-
nahmen und Biotopmanagement. In: Mattes, H.            thopterologie und Deutscher Verband für Land-
                                                                                                               typen auf ausreichend großen Flächenan-
(Hrsg.): Ökologische Untersuchungen zur Heu-           schaftspflege (DVL) (Hrsg.): Heuschrecken in
schreckenfauna in Brandenburg und Westfa-              Bayern. Unter Mitarbeit von H. Schlumprecht             teilen, möglichst mit Verbund, nötig.
len. Arbeiten aus dem Institut für Landschafts-        und G. Waeber. Stuttgart (Hohenheim): Eugen
ökologie / Westfälische Wilhelms-Universität 3:        Ulmer, S. 307–390.                                      AUTOREN
179–187.
                                                       Volpers, M. & L. Vaut (2010): Rote Liste und Ar-        Patrick Hundorf
Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Ponti-        tenverzeichnis der Heuschrecken – Saltatoria –          Ralf Joest
atowski, D., Fartmann, T., Beckmann, A. &              in Nordrhein-Westfalen. In: LANUV (Hrsg.): Rote         Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz
C. Stettmer (2016): Die Heuschrecken Deutsch-          Liste der gefährdeten Pflanzen, Pilze und Tiere in      Biologische Station Soest
lands und Nordtirols – bestimmen, beobachten,          Nordrhein-Westfalen, 4. Fassung, 2011. LANUV-           Sassendorf-Lohne
schützen. Quelle & Meyer-Verlag.                       Fachbericht 36 (2): 489–501.                            p.hundorf@abu-naturschutz.de
                                                                                                               r.joest@abu-naturschutz.de
Graf, H. D. (1965): Untersuchungen über den Ein-
fluss der Getreidemahd auf die Feldheuschre-                                                                   Kersten Hänel
cken benachbarter Ackerraine. Zool. Anz. 174:          ZUSAMMENFASSUNG                                         Hochschule Osnabrück
183–189.                                                                                                       Arbeitsgruppe Tierökologie und Naturschutz,
                                                                                                               Fakultät Agrarwissenschaften und Landschafts-
Herkenrath, P., Fels, B., Joest, R. & D. Schlaberg     Im Vogelschutzgebiet Hellwegbörde in
                                                                                                               architektur
(2015): Vogelschutz in der Hellwegbörde: Maß-          Nordrhein-Westfalen wurden im Jahr 2019                 Osnabrück
nahmenplan geht in die Umsetzung. Natur in             selbst begrünende Brachen und verschie-                 k.haenel@hs-osnabrueck.de
NRW 2/2015: 40–44.
                                                       dene Einsaatbrachen unterschiedlicher
Jacot, K., Eggenschwiler, L., Junge, X., Luka,         Altersstadien als Vertragsnaturschutzflä-
H. & A. Bosshard (2007): Improved field mar-           chen und zum Vergleich landwirtschaft-
gins for a higher biodiversity in agricultural land-   liche Nutzflächen auf ihre Heuschre-
scapes. Aspects of Applied Biology 81: 277–283.
                                                       ckenfauna untersucht. Dabei waren die
Joest, R. (2018): Wie wirksam sind Vertragsna-         Artenvielfalt und die Individuenzahl auf
turschutzmaßnahmen für Feldvögel? Untersu-             selbst begrünenden Brachen am größ-

Natur in NRW 3/2021                                                                                                                                       33

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