Hieratic Studies Online 2 | 2021 - Johannes Jüngling Hieratische Aktenvermerke - Gutenberg Open ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Hieratic Studies Online is a peer-reviewed, academic series dedicated to presenting research on all aspects of Hieratic and cursive hieroglyphs. Edited by Svenja A. Gülden, Kyra van der Moezel, Ursula Verhoeven Editorial cooperation: Tobias Konrad ISSN: 2512-6598 CC-BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/) Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz hso@uni-mainz.de https://aku.uni-mainz.de/hieratic-studies-online/
Hieratische Aktenvermerke Johannes Jüngling* Abstract: Although a significant number of the hieratic archival documents bear additional auxiliary signs or sign groups, a systematical study of these hieratic check marks is still missing. The present paper aims to close this gap by providing an overview of the already known hieratic check marks, covering the period between the 5th and 25th dynasties. Those marks are examined with respect to their graphic, phonological, morphological, and semantic features, including a short excursus on hieratic inscriptions on the Amarna tablets. At the end, a table with facsimile samples of the check marks is given. Keywords: Hieratic, check marks, colour, layout, administrative documents, Illahun, Hieratisch, Vermerke, Farbe, Amarna tablets medizinischen Handschriften (etwa nfr „Gut!“ 1 Vorbemerkungen1 in pEbers), als Gliederungshilfen für längere Textabschnitte (bspw. grḥ „Pause/Ende“ in Beim Studium hieratischer Verwaltungsdoku- literarischen Texten) oder sogar als Sichtver- mente springen immer wieder einzelne aus merke in literarischen Texten (etwa jri ̯, „ge- dem formalen Rahmen fallende Zeichen oder tan“ in pHarris 500) und Gebrauchsvermer- Zeichengruppen ins Auge. Sie liefern oft zu- ke auf Objekten (z. B. ꜥḥꜥ „stehen“ auf einem sätzliche Informationen zum eigentlichen In- Topflabel aus dem Grab Tutanchamuns2) – halt des jeweiligen Schriftstücks. Der ägyp- doch stellt ägyptisches Verwaltungsschriftgut tologische Sprachgebrauch hat verschiedene den weitaus größten Teil der Anbringungstex- Bezeichnungen für diese Art von Notizen ge- te. Der folgende Aufsatz will einen Überblick prägt, von denen im Deutschen „Vermerke“ über die formalen und inhaltlichen Katego- die am weitesten verbreitete ist. Das Auftre- rien, die Charakteristika und die Entwicklung ten solcher Vermerke ist dabei nicht auf Ver- von Vermerken in hieratischen Verwaltungs- waltungsdokumente beschränkt – sie finden dokumenten geben. sich z. B. auch als Nützlichkeitsvermerke in * Praedoc, ERC Starting Grant Challenging Time(s): A 2 Forschungsstand New Approach to Written Sources for Ancient Egyptian Chronology, GA Nr. 757951, PI: Roman Gundacker, johannes.juengling@oeaw.ac.at. Die Erforschung von vermerkartigen Zusätzen 1 Die vorliegende Studie ist eine erheblich überarbei- ist bis dato in der überwiegenden Mehrheit tete und erweiterte Version meiner Bachelorarbeit an der Fälle hinter die ihrer Bezugstexte zurück- der Universität Leipzig (2017). Die vorläufigen Er- getreten – meist wurden sie, etwa im Falle gebnisse einer weiteren Beschäftigung mit dem The- der Vermerke in den Reisner-Papyri, in den ma konnten am 26.10.2020 im Rahmen der (digi- talen) 54. Neuen Forschungen zur ägyptischen Kultur jeweiligen Editionen behandelt. So nimmt es und Geschichte der Öffentlichkeit präsentiert werden. nicht wunder, dass der Altorientalist Ignace Für viele wertvolle Anmerkungen und Ergänzungen J. Gelb 1963 in seiner Study of Writing fest- danke ich Juan José Archidona Ramírez, Marc Brose, stellen konnte: „A systematic study of auxilia- Charlotte Dietrich, Klara Dietze, Roman Gundacker, Julian Posch, Prof. Joachim F. Quack, Philipp Seyr, ry marks in the Oriental systems is lacking.“3 Prof. Alexandra von Lieven und Annik Wüthrich. Su- Dieses Urteil, obgleich mittlerweile über 50 sanne Töpfer und dem Museo Egizio (namentlich Ni- Jahre alt, ist nach wie vor gültig, allerdings cola Dell’Aquila und Federico Taverni) in Turin gilt mein Dank für die Überlassung von Bildmaterial. Die Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema verdan- 2 Vgl. Černý, Hieratic inscriptions, 8. ke ich Prof. Hans-Werner Fischer-Elfert. 3 Gelb, Study of Writing, 113. Jüngling, Johannes, Hieratische Aktenvermerke, Hieratic Studies Online 2, Mainz 2021. http://doi.org/10.25358/openscience-6202 This work is licensed under CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).
Hieratic Studies Online 2 | 2021 4 hat es seither zumindest auf dem Gebiet der 3 Materialbasis Hieratistik verschiedene Ansätze einer Be- schäftigung mit Vermerken gegeben. Die vorliegende Studie stützt sich weitestge- In den gängigen Wörterbüchern werden hend auf dasselbe Material, auf dem auch die Vermerke meist entweder gar nicht oder unter Übersicht in W. Helcks Aktenkunde (S. 61–62) der entsprechenden Bedeutungsnuance des beruht. Darüber hinaus sind die Daten eini- Lemmas behandelt – so nennt Wb 1, 219.9 ger neuerer Publikationen eingeflossen, die unter dem Lemma ꜥḥꜥ bspw. die Verwendung W. Helck noch nicht zur Verfügung standen, „als Randvermerk in Akten“. Rainer Hannigs insbesondere die der Illahun-Papyri des Uni- Handwörterbuch, S. 1315–1318 (2015) bietet versity College London (Collier & Quirke, dagegen eine Liste gängiger ägyptischer Ab- Lahun Papyri Accounts/Letters/Religious) und kürzungen (allerdings ohne Diskussion), unter der Turi ner hieratischen Ostraka (López, denen auch die meisten der hier behandelten Ostraca I/III). Aktenvermerke zu finden sind. Der zeitliche Rahmen der behandelten Kor- Die erste systematische Zusammenstellung pora ist, bedingt durch die Verwendung von von (standardisierten) Vermerken in hiera- hieratischer Schrift für Archivschriftgut und tischen Verwaltungsdokumenten findet sich das Auftreten von Vermerken auf diesem, von in Wolfgang Helcks Aktenkunde, S. 60–63 den Akten des Neferirkare-Archivs aus der (1974). W. Helck fasste mit dieser Monogra- 5. Dynastie einerseits (de Cenival & Pose- phie bewusst einen weiteren Rahmen, näm- ner-Kriéger, The Abu Sir Papyri) und den ab- lich den einer konzisen Beschreibung des ge- normhieratischen Akten aus dem Qasr Ibrim samten Verwaltungsschriftguts des dritten der 25. Dynastie andererseits (bisher unediert) und zweiten Jahrtausends v. Chr.; seine Be- gesteckt. Eingeschlossen werden dabei neben handlung von Vermerken nimmt einen dem- diesen die vielfältigen hieratischen Dokumen- entsprechend knappen Raum ein. te aus Illahun (Luft, Urkunden), die Reisner- Mourad Allams Artikel Marking Signs in Hier- Papyri (Simpson, Reisner I–III), die Einzeldo- atic and Glosses in Ancient Egyptian Texts (Al- kumente pBrooklyn 35.1446 (Hayes, Middle lam, in: BEM 4) aus dem Jahr 2007 befasst Kingdom Papyrus), pBoulaq 18 (Mariette, sich mit einem weiten Spektrum metatextuel- Papyrus égyptiens und Scharff, in: ZÄS 57), ler Zeichen in ägyptischen Texten, beschränkt der „Dattelpapyrus“ pLouvre E. 3226 (Megal- sich jedoch weitgehend auf deren Sammlung ly, Papyrus comptable), pWilbour (Gardiner, und Kategorisierung. Eine inhaltlich tiefge- Wilbour Papyrus Plates/Translation) und pRein- hende Beschreibung erfolgt hier nicht. hardt (Vleeming, Papyrus Reinhardt), die so- Eine sehr kurze und eher an den Gege- genannten Sethos-Rechnungen (Spiegelberg, benheiten des von ihm untersuchten Korpus Rechnungen Tafeln/Text) sowie einige ramess- ausgerichtete Liste gibt Marc Brose in seiner idische Verwaltungstexte (sowohl auf Papyri Grammatik der dokumentarischen Texte, S. 28– als auch Ostraka; Letztere hauptsächlich aus 29 (2014). Deir el-Medina). Für eine detaillierte Behandlung der so- Die Zahl erhaltener hieratischer Verwal- genannten identity marks aus Deir el-Medina tungsdokumente lässt sich zum gegenwärti- u. a. aus paläographischer und semiotischer gen Zeitpunkt nicht einmal annähernd ab- Perspektive siehe schließlich rezent van der schätzen; die bisher publizierten Papyri und Moezel, Of Marks and Meaning. Ostraka umfassen sicher nur einen Bruchteil. Günter Burkard hat 2003 die Menge der al- lein aus Deir el-Medina und Umgebung stam- menden nichtliterarischen Ostraka mit etwa
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 5 10.000 beziffert.4 Mit entsprechender Vorsicht auf ägyptischen Denkmälern untersucht und sind alle Ergebnisse dieser Studie, insbesonde- dabei die Definition vorgeschlagen, Vermerke re die quantitativen, zu behandeln – sie kön- seien „1. nicht-satzhaft […] und [beziehen] nen nicht viel mehr als die Zwischenergebnis- 2. ihre Bedeutung […] aus der Zuordnung se einer Stichprobe sein. von Text und dem, worauf sie verweisen“.10 W. Helck definiert die von ihm selbst (Akten- kunde, S. 61–62) ausgewählten Vermerke als 4 Formen von Vermerken „Hinweise zu einzelnen Zeilen und Angaben […], um den Benutzer auf bestimmte zusätzli- Der Begriff des Vermerks (engl. check mark, che Informationen aufmerksam zu machen.“11 jotting, note; frz. annotation, remarque) ist ver- Dieser Definition Helcks wird hier im We- hältnismäßig unscharf – dies mag (zumindest, sentlichen gefolgt. Für den idealtypischen was das Deutsche betrifft) vor allem mit seiner Vermerk im Sinne der vorliegenden Studie ist Etymologie aus dem eher unspezifischen Verb die Satzhaftigkeit irrelevant, da hier nur die „vermerken“ = „durch eine Notiz festhalten, aus einem Wort bestehenden Vermerke be- notieren“5 zusammenhängen, die nur eine handelt werden sollen (siehe u. Kap. 5); die- Aussage über die Schriftlichkeit, nicht aber ser Vermerk ist bezüglich des Inhalts des Trä- über Form und Inhalt trifft. Hiervon leitet sich gerschriftstücks sekundär und bewegt sich auf letztlich auch die administrative Bedeutung einer übergeordneten Ebene zu jenem. Dieser einer knappen, schriftlichen, meist abgekürz- idealtypische Vermerk soll hier Vermerk im en- ten Notiz oder Anmerkung auf eingehenden, geren Sinne heißen. Von diesem sind die vielen internen oder ausgehenden Schriftstücken (mehr oder weniger) regelhaft vorgesehenen ab.6 Laut dem Neuzeithistoriker Jürgen Kloos- Eintragungen in Akten und Urkunden abzu- terhuis regeln Vermerke „die fortschreitende grenzen, die der oben getroffenen Definition Bearbeitung bzw. dienen zum Nachweis für nicht entsprechen, in ägyptologischen Unter- die Erledigung durch die beteiligten Stellen.“7 suchungen aber bisweilen trotzdem als „Ver- Ein originär ägyptisches Wort für „Ver- merke“ bezeichnet werden und entsprechend merk“ ist anscheinend nicht überliefert; der als Vermerke im weiteren Sinne gelten sollen Terminus sḫꜣ.w, „Aktennotiz, Memorandum“ (etwa der „Siegelvermerk“ ḫtm(.w) r-gs nswt (Wb 4, 234.18–20 und TLA WCN 141700), be- ḏs=f, „gesiegelt in persönlicher Gegenwart zieht sich, ausgehend von seiner Verwendung des Königs“12). (bspw. auf oDeM 288), eher auf selbstständige Zwei Ausschnitte aus den Illahun-Papyri Texte. Die von Joachim F. Quack besprochene sollen den Begriff des Vermerks im engeren Sin- Formel zẖꜣ bl „würde wörtlich ‚außen geschrie- ne illustrieren (Abb. 1 und 2).13 ben‘ bedeuten, dürfte sachlich aber eher ‚s. o.‘ Beide Fragmente enthalten je eine wp.wt, bedeuten“.9 Innerhalb der ägyptologischen „Hausstandsliste“ (pUC 32164: ab Z. 6; Diskussion hat Karl Jansen-Winkeln in sei- pUC 32163: als Abschrift ab Z. 2), in der diver- nem themenspezifischen Aufsatz mit dem Ti- se Angehörige des jeweiligen Haushalts aufge- tel Vermerke kurze und formelhafte Inschriften listet werden. Durch die in Z. 2 an den Anfang der Zeile gesetzte Phrase mj.tj n(.j), „Kopie 4 Vgl. Burkard, in: Wege zu einem digitalen Corpus, 21. von“ (Wb 2, 39.10), wird der folgende Text- 5 Bibliographisches Institut GmbH. http://www.duden. bestandteil in pUC 32163 als Abschrift ausge- de/rechtschreibung/vermerken 22.11.2020]. 6 Archivschule Marburg. http://www.archivschule.de/ wiesen; zusätzlich wurden (nachträglich) am uploads/Forschung/ArchivwissenschaftlicheTermi- nologie/Terminologie.html [22.11.2020]. 10 Jansen-Winkeln, in: MDAIK 46, 1990, 127. 7 Kloosterhuis, in: Archiv für Diplomatik 45, 1999, 11 Helck, Aktenkunde, 60. 482. 12 Vgl. stellvertretend für viele Helck, Aktenkunde, 10. 8 Siehe Wente, Letters, 52. 13 Für eine ausführliche Publikationsübersicht der be- 9 Quack, in: Res severa, 475; dort sẖꜣ bnr transkribiert. sprochenen Textträger siehe u. S. 30–33.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 6 rechten Rand in Rot ein Haken (Z. 3) und eine Buchrolle (Z. 7) angebracht – Zeichen, die sonst nicht zum Formular einer wp.wt gehören und mithin auch in pUC 32164 nicht gesetzt sind: Es handelt sich um idealtypische Vermer- ke im engeren Sinne. Zu deren Zweck als Kenn- zeichen von Anfang und Ende der Abschrift siehe u. Kap. 6.3; zum Zusatzzeichen Gardiner F31 in pUC 32164 siehe u. Kap. 5. Eine Differenzierung von späteren Ergän- zungen und Zeichen, die bereits in der ur- sprünglichen Konzeption Teil eines hierati- schen Verwaltungsdokuments waren, kann in der Praxis mitunter schwerfallen. Ein erster Indikator für die sekundäre Anbringung eines Zeichens bzw. einer Zeichengruppe kann eine Abweichung vom regelhaften Layout des be- treffenden Dokumententyps sein – sofern die- ses bekannt ist. Hinzu kommen Kriterien wie das Schriftbild (Farbe, Strichstärke, Schreiber- hand), sichtbare Spatien und das typische Auf- Abb. 1 a–b: pUC 32164 treten eines bestimmten Zeichens bzw. einer bestimmten Zeichengruppe als sichere spätere Ergänzung auf anderen Dokumenten. In der Praxis ist es in der Regel eine Kombination zweier oder mehrerer dieser Kriterien, die die Identifizierung sekundärer Zeichen auf hie- ratischen Verwaltungsdokumenten erlaubt. Gleichwohl lässt sich im Einzelfall keine hun- dertprozentige Sicherheit erreichen; einzelne der im Folgenden vorgenommenen Identifika- tionen bleiben mithin unsicher. Abb. 2 a–b: pUC 32163 (Zusatzzeichen rot hervorgehoben)
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 7 5 Eine Liste „kurzer“ Vermerke Der Fokus dieser Arbeit liegt auf einzelnen Zeichen bzw. charakteristischen, kurzen Zeichen- verbindungen und weniger auf den übrigen als Vermerke klassifizierbaren Ad-hoc-Verwal- tungsnotizen. Die folgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über die bisher bekannten und ver- ständlichen Kurzvermerke:14 • Auftreten des Vermerks in Schwarz • Auftreten des Vermerks in Rot Tabelle 1: Kurzvermerke Dokumente Nr. Lemma Graphie15 Bedeutung Belegzeit (chron. Auswahl) pBN 209• Fragm. Gurob Y• pTurin 1896 + 2006• oEremitage 5598• a) eingegangen (Lieferungen) oKairo CG 25515• NR 1 jwi ̯ b) (zur Arbeit) angekommen = oKairo CG 25528• SpZ Arbeitstag (Personen) oBNUS H 119• oDeM 912• oDeM 913• oDeM 915• *pUC 32166• a) wird getragen (Kinder) 2 jni ̯ pReisner I•• MR b) wird geholt (Personen) *pBrooklyn 35.1446• pBerlin P. 10016• a) erledigt (Angelegenheiten) pBerlin P. 10018• 3 jri ̯ MR b) hergestellt (Produkt) pReisner II• pBoulaq 18• 4 ꜥꜣ hier (Personen) *pBrooklyn 35.1446• MR oBrüssel E 6311• oKairo CG 25515• oKairo CG 25572• a) Arbeit steht still oKairo CG 25575• b) gültig (bzgl. durchgestrichener NR 5 ꜥḥꜥ oGardiner 36• Zeile) 3. ZZ pBN 209• c) Bestand pBN 211•• pWilbour• pReinhardt• 6 ꜥḥ.wtj Feldarbeiter *pBrooklyn 35.1446• MR Fortsetzung auf der nächsten Seite 14 Die Auswahl orientiert sich im Wesentlichen an der Zusammenstellung in Helck, Aktenkunde, 61–62, und ist bewusst weit gefasst. Ein Asterisk (*) kennzeichnet die Fälle, in denen der Status des Vermerks als nachträgliche Ergänzung m. E. zumindest als zweifelhaft einzustufen ist. Von dieser Liste ausgeschlossen sind mutmaßliche Abkürzungen von Toponymen, wie sie etwa auf pUC 32170 auftreten. 15 Für eine Übersicht der entsprechenden hieratischen Formen (Nr. 1–37) siehe u. Kap. 10; dort auch eine Übersicht über Vermerke mit unsicherer Lesung/Bedeutung (Nr. 38–46); siehe zu Letzteren auch u. Kap. 7.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 8 Dokumente Nr. Lemma Graphie15 Bedeutung Belegzeit (chron. Auswahl) 7 wꜥb disponibler Arbeiter pUC 32166•• MR 8 wr Magnat/alter Mann/Vorarbeiter (?) *pBrooklyn 35.1446• MR *pLouvre E. 25279• 9 wḥm(.w) Stellvertreter (?) AR *pLouvre E. 25416 b• oBM EA 5634• *oKairo CG 25515• *oKairo CG 25517• 10 wzf untätig (Personen) NR oKairo CG 25519• oKairo CG 25659• oTurin CGT 57033 11 wš fehlt (Personen) pUC 32191• MR pBM EA 10735• 12 bꜣḥ(.j) Anwesender (?) AR pLouvre E. 25279• 13 ptr vidi pBN 210• NR 14 mꜣ(ꜣ) vidi Fragm. Gurob F• NR 15 mj Kopie (?) pUC 32099D• MR a) gültig oDeM 230• 16 mn NR b) verbleibt oTurin CGT 57391• 17 mḥ erfüllt (Arbeitssoll) pReisner I• MR 18 mḥ-jb Vertrauensperson pUC 32166• MR oKairo CG 25507• oKairo CG 25524• 19 m(ḥ)r krank (von Personen) NR oTurin CGT 57039• oBM EA 5634• *pUC 32164• 20 ms Kind MR *pUC 32166• 21 nfr abgeschlossen pReisner III• MR pBM EA 10735• oDeM 912• oKairo CG 25243• a) nicht vorrätig AR 22 n oKairo CG 25244• b) Tag ohne Arbeit NR oKairo CG 25528• oKairo CG 25529• oKairo CG 25609• 23 Var. Tag ohne Arbeit oBNUS H 119• NR 24 rs(.j) Südmann (?) *pUC 32327• MR Fortsetzung auf der nächsten Seite
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 9 Dokumente Nr. Lemma Graphie15 Bedeutung Belegzeit (chron. Auswahl) pReisner I•• nota bene 25 ḫꜣ pReisner II• MR (verbindet zwei Einträge) *pUC 32189• 26 ẖnm16 (dem Haushalt) beigetreten (?) *pUC 32166• MR 27 ẖrd/nḏs/šrj Kind *pUC 32130• MR 28 spẖr kopiert oGardiner 7• NR oDeM 148• 29 smtr überprüft pBN 209• NR pWilbour• 30 snhi ̯ registriert *pReisner III• MR pLouvre E. 3226•• 31 sḫꜣ memorandum *oDeM 606• NR oKairo CG 25502• herbeigeführt/ 32 sṯꜣ pQI 23094/A36• SpZ zurückgekehrt 33 qn Fall abgeschlossen *pBrooklyn 35.1446• MR 34 km vollendet pReisner II• MR 35 ṯꜣi ̯ genommen pWilbour• NR *oDeM 150• *oDeM 151• 36 ḏꜣ(.t) Rest NR *oDeM 165• pUC 32797• 37 – „…“ pUC 32163• MR 16 Mark Collier und Stephen Quirke umschreiben das hieratische mit Gardiner P5 . Hier liegt sicher ein Fehler vor; semantisch (und wohl auch paläographisch) liegt Gardiner W9 näher. So transkribieren und über- setzen die beiden Autoren denn auch „ẖnm (?)“ und „joined (?)“ – Collier & Quirke, Lahun Papyri Religious, 116–117.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 10 6 Graphische, semantische sich die beiden -Vermerke auf oGardiner 7: Sie sind in der Höhe von 5 bzw. 7 Schriftzeilen und grammatische über den Text geschrieben. Ebenfalls in der Eigenschaften Höhe mehrerer Zeilen geschrieben ist Gar- diner P6 in den Papyri pBN 209 und 211, 6.1 Position pWilbour und pReinhardt sowie den Ostraka Kairo CG 25507 und 25515. Grundsätzlich können Vermerke im gesam- Eine spezifische Semantik ist mit der Posi- ten Schriftbereich eines Dokuments auftreten. tionierung von Vermerken anscheinend nicht Aufgrund des in der Regel gegebenen Bezugs verbunden. Vielmehr war wohl die intendier- auf einen bestimmten Teil desselben lassen te Bedeutsamkeit der Vermerke ausschlagge- sich jedoch drei maßgebliche Standardposi- bend: Vor der Zeile positionierte Vermerke tionen ausmachen: vor und hinter der Bezugs- ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers eher auf passage sowie die „auf gleicher Höhe“. Das be- sich als solche hinter der Zeile; Erstere soll- trifft sowohl Dokumente mit Zeilen- als auch ten vermutlich prioritäre Informationen für mit Tabellengliederung. Insgesamt verteilen spätere Bearbeiter sofort sichtbar machen,19 sich die hier behandelten Vermerke anhand während Letztere vielleicht eher nachrangige ihrer Position wie in Tabelle 2 dargestellt. Zusatzinformationen darstellen. Auf oKairo Notwendigerweise sind Vermerke auf tabel- CG 25515 vso. zeigt sich ab dem Eintrag Jahr larischen Aufstellungen durch deren Verwen- 6, Monat 1 Peret, Tag 1 eine komplementäre dung als Archivschriftgut bedingt. Da sich die Verteilung der Vermerke Gardiner D54 „waagerechte Zeilenrichtung […] im Mittle- (vor der Zeile) und P6 (hinter der Zeile)20 ren Reich […] auf alle Akten aus[breitet]“,17 – möglicherweise der besseren optischen Dif- schwinden mit dem wandernden Zeithorizont ferenzierbarkeit wegen. Bis zu diesem Eintrag auch tabellarisch geschriebene Verwaltungs- sind beide Formen vor der Zeile angebracht; texte; auf diesen wurden nach dem Alten mit Tag 23 desselben Monats kehrt das Doku- Reich anscheinend nur noch vereinzelt Ver- ment zum ursprünglichen Layout zurück. merke angebracht (so etwa die -Vermerke Insgesamt gesehen dürfte sich aus der Posi- auf der „Tänzerliste“ pUC 32191). tionierung kein rechtserheblicher Unterschied Von den „Standardpositionen“ abweichend, ergeben haben. findet sich das Zeichen Gardiner D4 auf dem Verso von pBerlin P. 10016 und 10018 unterhalb des Adressaten. Aufgrund des 6.2 Schriftfarbe schlechten Erhaltungszustands schließlich ist die genaue Position der -Vermerke in der Vermerke wurden sowohl in Schwarz als auch „Tänzerliste“ m. E. nicht festzustellen. Das in der Signalfarbe Rot geschrieben. Die Ver- Wort wš, „fehlt“, tritt im gleichen Dokument noch einmal an anscheinend regelhafter Posi- tion in einem tabellenartigen Raster hinter zieht sich auf eine andere tabellarische Aufstellung den besagten Namen als Alternative zu Kont- zur Rechten der ersten Tabelle, vgl. die dort unmit- rollpunkten auf. Francis Ll. Griffith bemerkt telbar folgende Rekonstruktion des Papyrus. hierzu: „ means [perhaps] that there 19 Zumindest für die -Vermerke des pBrooklyn 35.1446 vermutet William C. Hayes diese Motiva- were two absences from duty in the year. It is tion: „[These symbols are] being placed in front of just possible that these signs belong to Ta- the lines of text so as to come instantly to the atten- ble 2.“18 In ungewöhnlicher Position befinden tion of subsequent users of the list.“ – Hayes, Middle Kingdom Papyrus, 63. 20 Vgl. Helck, Aktenkunde, 97. W. Helck deutet den 17 Helck, Aktenkunde, 44. mehrfachen Wechsel als individuelle Schreibbeson- 18 Griffith, Petrie Papyri Text, 60. F. Ll. Griffith be- derheit.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 11 Tabelle 2: Positionen der Vermerke über der Tabellenspalte unter der Tabellenspalte , , vor der Zeile , , , , , , , , , , , , , , , , , , , hinter der Zeile , , , , , , , , , , , in der Zeile , , , , , , , , über der Zeile , , , teilung ist im Detail aus der Kennzeichnung in hinter den Zeilen des Haupttextes) in Rot, die Tabelle 1 ersichtlich. Schreiber der weiteren ihre Vermerke in einer „Hauptzweck der Rotschreibung war, eine weiteren Spalte und in Schwarz eingetragen. besondere Erwähnung innerhalb des Textes Auf oKairo CG 25528 scheint die Rot- ( ) hervorzuheben“,21 wie W. Helck bemerkte. In und Schwarzschreibung ( ) dagegen der ähnlicher Weise äußerte sich auch W. C. Hay- Verdeutlichung des inhaltlichen Unterschieds es im Bezug auf Vermerk und Ko-Text: „That gedient zu haben. they might be readily distinguishable from Vorderhand zeigt sich keine besondere Dif- the more ‘official’ entries to which they are ferenzierung nach zeitlichen oder geographi- appended[,] the notations and insertions re- schen Gesichtspunkten – vielmehr scheint die ferred to were written in red ink.“22 Dieser Wahl von roter oder schwarzer Farbe situa- Zweck der Kennzeichnung von Außergewöhn- tionsbedingt-pragmatisch gewesen zu sein. lichem wird auch bei verschiedenen Vermer- Allerdings ist der Befund durch verschiede- ken verfolgt. ne Faktoren verzerrt. Hier ist vor allem das Letztlich stellt sich auch hier die Frage, wel- ausschließliche Auftreten roter Vermerke auf che Faktoren die Wahl der Schriftfarbe im jeweils einem einzigen Dokument zu nen- Einzelfall beeinflussten. Als aufschlussreich nen, wie etwa aus pBrooklyn 35.1446 deut- könnten sich diesbezüglich insbesondere jene lich wird: Die Vermerke , , und Dokumente erweisen, auf denen (die glei- treten nur hier und nur in Rot auf. Es fehlt chen) Vermerke sowohl in Schwarz als auch in allzu vielen Fällen das Vergleichsmaterial. in Rot erscheinen, bspw. oKairo CG 25529 Für eine exakte Übersicht über die Schriftfar- oder pUC 32166. So ließe sich etwa bei Letzte- be der in dieser Studie untersuchten Vermerke rem spekulieren, dass mindestens drei Akten- siehe u. Kap. 9. revisionen stattfanden; der verantwortliche Schreiber der ersten hätte demzufolge seine Vermerke (drei -Zeichen und vier Kontroll- 6.3 Sonstige Besonderheiten im punkte; eventuell auch die roten Vermerke Layout 21 Helck, Aktenkunde, 53. Siehe grundlegend zum Ge- Nicht alle, aber einige Vermerke weisen zu- brauch roter Tusche im Alten Ägypten Posener, in: sätzliche graphische Besonderheiten auf. Die JEA 37, 1951. 22 Hayes, Middle Kingdom Papyrus, 10. augenfälligsten sollen hier erklärt werden.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 12 An erster Stelle sind Spatien zu nennen. Von oKairo CG 25515 schließlich sind meh- Bisweilen wird zwischen Bezugstext und Ver- rere Fälle von später getilgten - und -Ver- merk ein gewisser Raum freigelassen. Beson- merken belegt. In einem Fall ist Gardiner P6 ders deutlich tritt dies in den Sethos-Rechnun- noch einmal neben bereits getilgtes geschrie- gen (konkret pBN 209, siehe u. Abb. 3) her- ben worden (vso., Kol. 2, Z. 15). vor. Hier sind etwa größere Spatien zwischen einigen -Vermerken und dem Bezugstext bemerkbar. Die Tatsache, dass im gleichen 6.4 Lexikalische Deutung der Dokument, Kol. x+4, auch einmal Gardiner Vermerkkürzel26 S125 zwischen D54 und Text tritt, legt m. E. nahe, dass hier planmäßig Platz für spä- In den meisten Fällen ergibt sich der Lautwert tere Ergänzungen gelassen wurde.23 eines Vermerks relativ eindeutig aus der Le- Korrekturen von Vermerken sind in Form sung des (Haupt-)Zeichens, so etwa jwi ̯ aus von Übereinanderschreibungen belegt. So fin- Gardiner D54 und jri ̯ aus D4 . In einigen den sich z. B. auf oKairo CG 25515 die eigent- Fällen ist diese Eindeutigkeit jedoch nicht ge- lich in semantischer Opposition zueinander geben. Betroffen sind im Einzelnen die folgen- stehenden Zeichen Gardiner P6 und D54 den Vermerke: übereinander; auf oDeM 912 wird in ähnli- cher Weise rotes mit schwarzem – und / Helck, Aktenkunde behandelt einmal schwarzem – überschrieben.24 diese Zeichenkombination als terminus techni- Eine Besonderheit ist die Setzung von Ha- cus (S. 97–99. 128), stuft sie jedoch nicht als ken ( ) und Gardiner Y1 in pUC 32163 Vermerk ein. Formell liegt allerdings die glei- (siehe o. Abb. 2a–b). Sie stehen am rechten che Abkürzung einer längeren Phrase vor wie Rand einer Hausstandsliste, die durch die etwa bei . Durch die diversen Pleneformen Phrase mj.t(j) n(.j) als Kopie ausgewiesen lässt sich der Lautwert wzf relativ sicher fest- ist, und kennzeichnen m. E. den tatsächlich stellen. kopierten Bereich des Originalschriftstücks – eventuell wurden sie im Zuge der späteren Peter Kaplony hat für Gardiner D53 Ergänzung einer Eidesleistung im unteren Be- den Lautwert bꜣh.j angesetzt, allerdings reich des Papyrus dort angebracht, um die mit Verweis auf Edel, Altägyptische Gramma- beiden Einträge besser unterscheiden zu kön- tik, § 769 auch eine abkürzende Schreibung nen. Haken und Buchrolle wären damit den für jm.j-bꜣḥ erwogen.27 Aufgrund des Laut- modernen An- und Abführungszeichen äqui- werts mt für D52 ist eine Verbindung zu valent oder zumindest ähnlich.25 mtr (Wb 2, 170.9) zumindest denkbar. Ange- sichts der sehr häufigen Abkürzung im Neferirkare-Tempelarchiv28 liegt insgesamt dennoch die Lesung bꜣh.j /jm.j-bꜣḥ am nächs- 23 Siehe Spiegelberg, Rechnungen Tafeln, Tf. 9. Gleich- ten. wohl tritt in pBN 209 auch einmal eine Ligatur von Gardiner D54 und M2 auf: (rto., Kol. x+2, Z. 8). Wb 2, 60.6 nennt den Lautwert mn für 24 Vgl. Grandet, Catalogue 9, 89. das Zeichen Gardiner U32 , das im Neuen 25 Für die Verwendung eines Hakens bzw. des hierati- Reich das gängige Determinativ für die Wurzel schen t als „Eintragstrenner“ in demotischen Doku- menten siehe Quack, in: Demotic Literary Texts, 23, sowie weiterhin auch Osing, Hieratische Papyri, 34– 26 Als Lautwerte sind hier aufgrund der in den meisten 35 (als Rückverweis). Den Hinweis darauf verdanke Fällen unsicheren Wortartanalyse (siehe u. Kap. 6.6) ich Joachim F. Quack (persönliche Kommunikation, nur die Wurzelkonsonanten angegeben. 26.10.2020); gleichfalls gilt ihm mein Dank für seine 27 Vgl. Kaplony, in: Orientalia 41, 1972, 49–50. Hilfe bei der Beschaffung der entsprechenden Litera- 28 Siehe etwa De Cenival & Posener-Kriéger, The tur in organisatorisch schwierigen Pandemie-Zeiten. Abu Sir Papyri, Tf. 20.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 13 Abb. 3: pBN 209, Kol. x+3, Z. 1-4 (Faksimile von W. Spiegelberg); Zusatzzeichen rot hervorgehoben mn „bleiben“ ist. Trotz einer auch hier fehlen- 29 (hier wird mit Verweis auf Ranke auch die den Pleneschreibung scheint die Lesung durch Alternative nḏs genannt); dagegen lesen Col- die Bedeutung einigermaßen abgesichert.29 lier & Quirke, Lahun Papyri Religious, 51 šrj (dort šri ͗ transkribiert). Für das Zeichen Gardiner U23 hat Quack die Lesung mḥr angesetzt,30 jedoch hat Auf das in Quellen des Neuen Reiches Simon Schweitzer inzwischen für die traditio- auftretende Zeichen Gardiner A2 hatte nelle Lesung mr argumentiert.31 Diese Debatte Helck, Aktenkunde, 62 den Lautwert snhi ̯ von muss gegenwärtig als nicht abschließend ge- pReisner III übertragen. Dagegen spricht, dass klärt gelten. In keinem Fall handelt es sich um es sich bei um eine durchaus geläufige Ab- ꜣb, da die beiden Lautwerte im Hieratischen kürzung für den Dokumententyp sḫꜣ.w, „Ak- bekanntlich durch verschiedene Zeichen diffe- tennotiz, Memorandum“ (Wb 4, 234.18–20) renziert sind.32 handelt. Wie Koen Donker van Heel und Ben Haring festhalten, ist der Aktenvermerk Für Gardiner D35 liegt die Lesung allerdings „not a document designation, but als n, die prototypische Negation des Ägypti- a reminder for the scribe“.34 Ausgehend vom schen, sicher näher als das grundsätzlich eben- Demotischen argumentiert dagegen Michael falls denkbare jw.tj. Zumindest in den Arbeits- FitzPatrick zugunsten der Lesung ḫrw, „Einga- listen des Neuen Reiches wäre dieser Lautwert be“ (CDD Ḫ 06:1, 131–132 s. v. ḫrw.w).35 jedoch ein Archaismus, da alt-/mittelägyp- tisches n im Neuägyptischen zumindest gra- phisch durch bw (bn) ersetzt wird. Dominique 6.5 Semantik Valbelle liest nn als Abkürzung von nn jwi ̯(.t) jn X, „kein Kommen durch X“.33 Für den Laut- Die Bedeutung der meisten mehrfach vorkom- wert der Negationspartikel im AR siehe Edel, menden Vermerke ist hinreichend sicher fest- Altägyptische Grammatik, § 1076. zustellen. Von den in Tabelle 1 gelisteten Ver- merken sind die folgenden jedoch zumindest Für ẖrd als möglichen Lautwert von teilweise interpretationsbedürftig: Gardiner G37 siehe Brose, Grammatik, In den sogenannten Sethos-Rechnun- 29 Zustimmend auch Gardiner, in: JEA 27, 1941, 50, gen (pBN 209) in der Bedeutung „eingegan- sowie Gardiner, Wilbour Papyrus Commentary, 183. 30 Vgl. Quack, in: LingAeg 11, 2003, 113. 34 Donker van Heel & Haring, Writing, 108. 31 Vgl. Schweitzer, in: ZÄS 138, 2011, 142–144. 35 Vgl. FitzPatrick, in: JEA 69, 1983. Für diesen Hin- 32 Vgl. Möller, Paläographie II, 43, Nr. 484 und 485. weis danke ich Joachim F. Quack (persönliche Kom- 33 Vgl. Valbelle, in: BIFAO 76, 1976, 108. munikation, 26.10.2020).
Hieratic Studies Online 2 | 2021 14 gen; eingeliefert“.36 Es handelt sich um diver- wirklich zutrifft, ist m. E. fraglich. Vermutlich se (meist hölzerne) Objekte, deren Eingang ist auch hier die Bedeutung „erledigt“ (siehe im „Südquartier“ festgehalten werden soll. Im u.) anzusetzen, da der Vermerk möglicherwei- Turiner Steuerpapyrus (vor Personennamen) se auf eine Handlung referiert. in der gleichen Bedeutung, da mit Bezug auf In pBerlin P. 10016 und 10018 als Brief- Getreide.37 unterschrift in der Bedeutung „erledigt“ (im In Arbeitstagelisten des Neuen Reiches Bezug auf den Briefinhalt). In gleicher Weise (siehe Tabelle 1) vor/nach Tagesdaten als wahrscheinlich auch in pReisner II im Bezug „Arbeitstag“ aus der Bedeutung „(zum Arbeits- auf die Reparatur von Kupferwerkzeugen. platz) gekommen“ (von der Grabbaumann- schaft bzw. einzelnen Arbeitern). In der Bedeutung „gültig“ neben durchgestrichenen Zeilen. Jaroslav Černý be- In pUC 32166 hinter Kindernamen merkt hierzu: „A normal placed after a line vermutlich in der Bedeutung „wird (noch) ge- which has been crossed out apparently means tragen = kann (noch) nicht laufen“.38 that the line should ‘stand’ despite the can- In pBrooklyn 35.1446 in der Bedeutung cellation“.42 Alan H. Gardiner hatte sich zu- „wird geholt“ (von Gefangenen); in komple- rückhaltend über den Sinn von P6 im Zu- mentärer Verteilung mit O29 und (dem sammenhang mit nicht-gestrichenen Zeilen unsicheren, siehe u.) M17 . Bezugsgröße ist geäußert,43 und auch Sven P. Vleeming bleibt eine Liste von Insassen eines Arbeitslagers in im Bezug auf den Sinn von im pReinhardt der Nähe von Theben. In pReisner I vor Per- vage.44 Möglicherweise in der Bedeutung „Be- sonennamen in der gleichen (?) Bedeutung. Es stand“ (im Lager) in den Sethos-Rechnungen. handelt sich um Personen, die zur (unfreiwilli- In Arbeitslisten des Neuen Reiches wohl in gen?) Arbeit in Koptos bestimmt sind.39 der Bedeutung „Arbeit steht still“.45 D. Valbel- le hat, ausgehend von der Phrase ꜥḥꜥ ḥr/n, die In pBoulaq 18 jeweils im Zusammen- Bedeutung „fehlt“ (Wb 1, 220.4) vorgeschla- hang mit einer eingegangenen bzw. ausgege- gen.46 Ob ein inhaltlicher Unterschied zu Gar- benen Ration von Weihrauch. Ob W. Helcks diner D35 und der Zeichengruppe be- Übersetzung „hergestellt“40 im Fall des - steht oder es sich um individuelle Schreiber- Eintrags vor (ḏi ̯(.w) r sḫm-ꜥ gewohnheiten handelt, ist gegenwärtig noch n(.j) wr.w, „werde/wurde zu ‚dem mit starkem unklar. S. P. Vleemings Zusammenfassung der Arm‘ unter den Großen gegeben“,41 XXXIII,6) Situation im pReinhardt gilt auch in größerem Rahmen: „Due to insufficient knowledge of the 36 Vgl. Spiegelberg, Rechnungen Text, 20–21. Nach context to which the sign refers so tersely, the LDLE 1, 21 ist die Bedeutung „delivered“ auch aus question as to how its various usages should anderen Kontexten ersichtlich. be harmonized, remains a problem that still 37 Vgl. Gardiner, in: JEA 27, 1941, 25. 29–30. 32. 34. stands out.“47 38 Dies ist insofern ungewöhnlich, als jni ̯ (Wb 1, 90.2– 91.10) eigentlich nicht in der Bedeutung „tragen“ vorkommt. Vielleicht sollte hier also die gleiche Be- In pUC 32166 vermutlich in der Be- deutung wie in pBrooklyn 35.1446 (siehe u.) oder deutung „disponibler Arbeiter“, nicht „steuer- eine Variante angesetzt werden, in der das Kind (zur Registration?) „mitgebracht“ wurde. § 237. In letzterem Fall wäre die Übersetzung „her- 39 Vgl. Simpson, Reisner I, 132. gestellt“ für jri ̯ nicht zu beanstanden. 40 Helck, Aktenkunde, 61. 42 Černý, Hieratic inscriptions, 8. 41 Diese und ähnliche Stellen im pBoulaq 18 sind auf- 43 Vgl. Gardiner, Wilbour Papyrus Commentary, 185. grund des listenhaften Stils der Einträge uneindeutig 44 Vgl. Vleeming, Papyrus Reinhardt, 69–70. und ihre grammatischen Analyse daher unsicher; es 45 Vgl. hier auch die Bedeutung „to pause“ in LDLE 1, ist nicht klar, ob es sich bei ḏi ̯(.w) um eine passi- 86. vische Form der Suffixkonjugation oder ein passivi- 46 Vgl. Valbelle, in: BIFAO 77, 1977, 132. sches Partizip handelt – vgl. Brose, Grammatik, 266, 47 Vleeming, Papyrus Reinhardt, 69–70.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 15 befreit“; siehe hierzu M. Römers Beitrag Wꜥb In der Bedeutung „bleibt“ (Wb 2, 60.6– – „Frei von Abgaben“?48 In den Illahun-Papy- 62.26; LDLE 1, 216) auf oDeM 230 im Zusam- ri werden auch in anderen Kontexten Perso- menhang mit einer durchgestrichenen Zeile, nen als wꜥb(.t) bezeichnet (etwa pUC 32163 daher dort wohl in gleicher Weise wie Gar- rto. 3). diner P6 verwendet. Als regulärer Bestand- teil des Formulars bezeichnet diese Abkür- Die Wurzel wḥm (Wb 1, 340–343.15) zung im NR den „Rest“. hat die Grundbedeutung „wiederholen“; in den Abusir-Papyri hat das Zeichen die (dar- In Arbeitslisten des Neuen Reiches aus abgeleitete?) Bedeutung „Stellvertreter“ in der Bedeutung „krank“ (Wb 2, 95.1–15; – das gebräuchlichere Wort für „Stellvertre- LDLE 1, 224); im vorliegenden Korpus auf Ein- ter“ ist jdn.w (Wb 1, 154.6–9). Die Bedeutung zelpersonen beschränkt. Im Gegensatz zu Gar- ist durch den komplementären Gebrauch von diner P6 und D35 wird hier der Grund Gardiner D53 auf dem gleichen Papyrus des Fernbleibens von der Arbeit, nämlich die allerdings verhältnismäßig sicher. Krankheit der betreffenden Arbeiter, angege- ben. / Mit dem Verb wzf, „untätig sein“ (Wb 1, 357.2–9; LDLE 1, 128) liegt neben TLA WCN 600515 übersetzt das ein- Gardiner D35 und P6 ein weiterer Ver- zelne Zeichen Gardiner M12 mit Verweis merk zum Ausdruck ruhender Arbeit in den auf Helck, Aktenkunde, 62 als „gib acht!“; Arbeitstagelisten des Neuen Reiches vor. William K. Simpson hatte in der Edition des pReisner I keine definitive Übersetzung geben Nach J. Winand hatten ptr (Wb 1, wollen, wohl aber die Verwendungsweise zur 564.1–19; LDLE 1, 186) und mꜣꜣ (Wb 2, 7.1– Kennzeichnung zusammengehöriger Einträ- 10.7) ursprünglich die nicht deckungsgleichen ge erkannt.51 Es kann möglicherweise ein Zu- Bedeutungsbereiche „ansehen, erkennen“ und sammenhang mit sḫꜣ „sich erinnern“ (Wb 4, „sehen“, waren aber durch eine Bedeutungs- 232.12–233.26) bestehen. erweiterung von ptr im Neuen Reich praktisch austauschbar geworden.49 Im Fall von pBN Janssen hat als Übersetzung 209 und Fragment Gurob F läge mithin die von snhi ̯ „the act of collecting and mustering gleiche Bedeutung „gesehen, vidi“ vor. itself“52 vorgeschlagen. Wb 4, 167.5–9 nennt die Bedeutung „mustern, registrieren“. Letz- Höchstwahrscheinlich in der Bedeu- tere Bedeutung, im Sinne von „aktenkundig tung „gesehen, vidi“;50 vgl. auch o. den Ein- gemacht“, dürfte für diesen Aktenvermerk am trag zu Gardiner D6 . Aufgrund des größ- ehesten zutreffen. tenteils zerstörten Kontextes ist die Bedeutung mꜣw(.t), „Neues“ (vgl. dazu u. Kap. 7) nicht sṯꜣ (Wb 4, 351.7–353.17) hat die von vornherein auszuschließen. Grundbedeutungen „ziehen“ (von Gegen- ständen) und „herbeiführen“ (von Personen). Aus der Präposition mj, „wie“ (Wb 2, Letzteres kann sich auch auf Gefangene bezie- 36.9–38.12), in der Bedeutung „Kopie“? Viel- hen, die dem König oder einem Gott vorge- leicht liegt eine bloße Verkürzung der häufi- führt werden (vgl. Wb 4, 353.5–6). Im Demo- geren Phrase mj.tj n.j bzw. des Substan- tischen ist überdies die Bedeutung „zurück- tivs mj.tj, „Abschrift“ (Wb 2, 39.10–11), vor. kehren“ (CDD S 13:1, 493, s. v. sṱꜣ; TLA WCN [Demotisch] 5720) belegt. Der Vermerk tritt 48 Römer, in: GM 250, 2016, 163–168. 49 Vgl. Winand, in: SAK 13, 1986, 296. 299. 308. 51 Vgl. Simpson, Reisner I, 43. 50 Vgl. Gardiner, RAD, 19a. 52 Janssen, in: Gleanings, 134.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 16 an mehreren Stellen vor listenhaft angeord- potenziell verbalen oder nominalen Wortfor- neten Personennamen auf, allerdings ist der men das exakte Gegenteil. Da die meisten Ein- Kontext nicht sicher. Es könnte sich sowohl wortvermerke auch nur durch ein Zeichen re- um (zwangsweise) nach Qasr Ibrim geführte präsentiert werden, d. h. auch keine sichtbare als auch um dorthin zurückgekehrte Personen Flexion aufweisen, lässt sich hier allenfalls auf handeln. die verbale Wurzel, ohne Weiteres aber nicht auf die Wortart (im Gegensatz Verb – deverba- Der Befund zeigt, dass die Semantik eines Ver- les Nomen) schließen. Auch eine an sich mög- merks maßgeblich vom Ko(n)text bestimmt liche Analyse anhand des syntaktischen Kon- wird. So kann ein(e) einzelne(s) Zeichen(grup- textes scheidet hier mangels ebendessen aus. pe), je nachdem, ob es/sie sich auf eine Per- Allenfalls die Positionierung des jeweiligen son, eine Ware oder einen Vorgang bezieht, Vermerks vor oder innerhalb/hinter der Zeile verschiedene Bedeutungen annehmen. Pa- könnte als Kontext faute de mieux gelten. radebeispiel hierfür ist sicher Gardiner P6 , Dies hat zur Folge, dass die Wortform der das, wie oben gezeigt, bis zu drei verschiedene aus den verbalen Wurzeln hervorgehenden Bedeutungen tragen kann. Andererseits kön- Einwortvermerke nach strenger Lesart als un- nen verschiedene Zeichen(gruppen) durch- bestimmt, weil unbestimmbar gelten müsste. aus Gleiches oder doch zumindest Ähnliches Dies betrifft die Vermerke , , , , , , bedeuten, wie z. B. Gardiner P6 und U32 . , , , , , , , , , , , , Letzteres ist dabei nicht verwunderlich: Wäh- , und . Versuche zur Bestimmung rend Aufgaben und Probleme schriftlicher Ver- sind – unterschiedlich gut fundiert – trotzdem waltung im Laufe der ägyptischen Geschichte unternommen worden. im Großen und Ganzen ähnlich geblieben sein W. C. Hayes schlägt etwa bezüglich Gar- dürften, ist doch mit einer Vielzahl verschie- diner W25 vor: „[T]he ‚pot-on-legs‘ [must dener geographischer und funktionaler Ver- almost certainly stand] for some passive form waltungstraditionen sowie mit (erheblichen?) (infinitive or participle)“. Er bleibt damit Eigentümlichkeiten der einzelnen Schreiber zwar eine explizite Begründung schuldig, ver- zu rechnen. weist aber auf die durch den Kontext relativ sichere Bedeutung, „that the fugitive has been reportedly captured and is ‚being brought‘ 6.6 Wortart und Wortform to Thebes.“54 Was den gleichen Vermerk im pUC 32166 betrifft, so enthalten sich M. Col- Schon die Bestimmung der morphosyntak- lier und S. Quirke zwar einer Analyse, deu- tischen Wortart eines Vermerks bereitet ten aber zumindest eine passivische Tendenz Schwierigkeiten, die durch die Defizite des an, indem sie „i ͗n“ konsequent mit „brought“55 hieroglyphischen und hieratischen Schrift- übersetzen. Dies ließe in der Tat eine Interpre- systems und der Eigenheiten des Ägyptischen tation als passivisches Partizip oder (ohne .t als einer wurzelflektierenden Sprache begrün- geschriebener und daher abgekürzter) Infini- det sind.53 Während im vorliegenden Korpus tiv (im Ägyptischen ohne Distinktion der Dia- die Identifikation von eindeutigen Nomina these,56 daher sowohl mit aktivischer als auch wie ꜥḥ.wtj, bꜣḥ(.j), mḥ-jb, ms und rs(.j) einer- passivischer Bedeutung übersetzbar) zu. seits und nichtflektierbaren Wortarten wie Möglicherweise ist das ägyptische Pseudo- Partikeln (n), Präpositionen (mj) und Adver- partizip angesichts seiner spezifischen Bedeu- bien (ꜥꜣ) andererseits in der Regel leichtfiele tungen, insbesondere der passivischen, resul- und fällt, gilt für die Unterscheidung zwischen 54 Hayes, Middle Kingdom Papyrus, 59. 55 Collier & Quirke, Lahun Papyri Religious, 117. 53 Siehe dazu Schenkel, Tübinger Einführung, 21, sowie 56 Vgl. Gardiner, Egyptian Grammar, 222 und Brose, Schenkel, Einführung Sprachwissenschaft, 94. Grammatik, 288.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 17 tativen und deskriptiven,57 aber auch der Nu- falls denkbare Lesung ḥn. In pReisner II (Sec- ance des Prozesses, der angedacht ist, in einen tion M 23) tritt anscheinend als Antonym und Zustand überzugehen,58 der plausibelste An- ebenfalls in Rot die Gruppe mꜣw.t „Neues“ satz. Dies betrifft namentlich die Vermerke, (Wb 2, 26.18–27.7) auf, was die obige Deu- die in der Vergangenheit Geschehenes bzw. tung jz/alt weiter untermauert. Es könnte sich Resultate wiedergeben (können), also , , sowohl in pReisner II (Kupferwerkzeuge) als , , , , , , , , , , , auch in pBN 209 (Holzbalken) jeweils um äl- , und . Der außerägyptische Befund teres/bereits vorhandenes Material handeln. zumindest legt eine entsprechende Interpre- Das doppelte Auftreten dieses Vermerks di- tation nahe. So stehen in vorderasiatischen rekt hintereinander in pBN 209 rto. x+III,4 Keilschrifttexten die Bearbeitungsvermerke kann sich einerseits auf separate Teile in der (ul) qatī (zu qatû, „enden“, CAD 13, 177–183), gleichen Zeile beziehen, andererseits ist auch pānum gamir (zu gamāru, „enden“, CAD 5, eine „elativische“ Bedeutung „sehr alt = 24–32) und ḫepī (zu ḫepû, „zerstören“, CAD 6 schon morsch“ (von einem jṯyn-Balken) denk- 170–174),59 die allesamt den genetisch mit bar.61 Schließlich kann auch an einen Zusam- dem ägyptischen Pseudopartizip verwandten menhang mit der Zedernholzbalken-Bezeich- akkadischen Stativ verwenden. nung jswt (Wb 1, 132.1) gedacht werden, die z. B. auf pBM EA 10056 verwendet wird und dem Schiffsbauvokabular entstammt.62 Für 7 Vermerke ungeklärter bzw. Wilhelm Spiegelberg ist diese Randnotiz in pBN 209 dagegen schlicht unverständlich.63 unsicherer Bedeutung Trotz einer z. T. guten Publikationslage sind (?) • pReinhardt (Kol. x+3, Z. 17 einige hieratische Aktenvermerke bis heute und x+9, Z. 29); S. P. Vleeming setzt den nicht verständlich bzw. in ihrer Bedeutung Lautwert bꜥ mit der Bedeutung „attend to“, äußerst unsicher. Es handelt sich um die fol- „beachten“ (Wb 1, 446.6) an.64 genden: • oTurin CGT 57033 (Kol. x+2, Z. 7); • pBrooklyn 35.1446 (Kol. e); in kom- nach einer Datumsangabe. Schafik Allam er- plementärer Verteilung mit Gardiner W25 wägt die Bedeutung mr, „binden“ (Wb 2, und O29 . Hayes, Middle Kingdom Papy- 105.1–8; LDLE 1, 225),65 doch ist die Bezugs- rus, 59 denkt an einen Zusammenhang mit der größe nicht festzustellen. Wird für Gardiner Wurzel jwi ̯/jy,60 allerdings wäre die Graphie U23 der Lautwert mr akzeptiert, könnte eher unkonventionell. an eine aberratio mentis und die Bedeutung „krank“ gedacht werden. •• pReisner II (Section L 30. 32; M 22) und pBN 209. Der Lautwert jz und damit ein (?) •• pReisner II, Kol. A3, 14; Zusammenhang mit dem Lemma jz, „alt“ (Wb B 36; C24. 40; F 16; Frag. 4, rto. 36. Bereits 1, 128.7–8), liegt sicher näher als die eben- W. K. Simpson äußerte Zweifel an der Identi- fikation des vertikalen Zeichens als Gardiner 57 Vgl. Jansen-Winkeln, in: OLP 24, 1993, 7. 58 Vgl. Brose, Grammatik, 276 und Brose, Perfekt, 61 Für den Hinweis auf letztere Interpretationsmöglich- Pseudopartizip, Stativ, 85. keit danke ich Alexandra von Lieven (persönliche 59 Vgl. Cancik-Kirschbaum & Kahl, Erste Philologien, Kommunikation, 26.10.2020). 189–190. Die entsprechenden Vermerke werden dort 62 Siehe dazu grundlegend Glanville, in: ZÄS 66. Für als (ul) qati und ḫepi umschrieben; die hier verwen- diesen Hinweis danke ich Roman Gundacker (per- dete Transkription orientiert sich dagegen an den sönliche Kommunikation, 12.11.2020). von Streck, Altbabylonisches Lehrbuch, 8, § 11 sowie 63 Vgl. Spiegelberg, Rechnungen Text, 21. 171–176, § 361 aufgestellten Transkriptionsregeln. 64 Vgl. Vleeming, Papyrus Reinhardt, 70. 60 Siehe auch Helck, Aktenkunde, 61. 65 Vgl. Allam, Ostraka I, 248.
Hieratic Studies Online 2 | 2021 18 M16.66 Die einmal umgekehrt auftretende Zei- Lesung Gardiner F4 71 – entweder mit der chenreihenfolge67 lässt eine Trennung in zwei Bedeutung ḥꜣ.t „Spitzenqualität“ (Wb 3, 21.4– separate Vermerke möglich erscheinen. 9), oder als Bestimmungsstelle „Bug“ (ḥꜣ.t 72) für die Konstruktion des Schiffs. Das Zeichen • pWilbour (vso., Section B 15.6/7 über tritt im Zusammenhang mit einem hölzernen einer Liste von Ländereien; anscheinend als Schiffsbalken auf. 73 Teil des regulären Formulars tritt das Zeichen auch an anderen Stellen im Dokument auf); über die Identifizierung des Hieratogramms 8 Exkurs: Hieratische herrscht Uneinigkeit. A. H. Gardiner und W. Helck wollten darin Gardiner A2 Vermerke in den Amarna- erkennen,68 Anne Sophie von Bomhard da- Briefen gegen A26 . Aus paläographischen Gründen ist Letzteres wohl die wahrscheinlichere Op- Dass auch die Amarna-Briefe mit hierati- tion.69 Das Zeichen Gardiner A26 ist das ge- schen Aktenvermerken versehen wurden, ist bräuchliche Determinativ für die Verben njs spätestens seit A. Ermans Nachtrag zu Hugo (Wb 2, 204.1–19) und ꜥš (Wb 1, 227.4–13), Wincklers Verzeichniß der aus dem Funde von beide in der Bedeutung „rufen“. Das Verb njs elAmarna herrührenden Thontafeln (1889) be- kann im mathematischen Sprachgebrauch zu- kannt. Erman wollte in diesem Aufsatz neben dem „berechnen“ bedeuten; eventuell liegt verschiedenen längeren Aufschriften auch den diese Grundbedeutung (als „Gerundivum“ „zu aus dem hier untersuchten Korpus bekannten berechnen“ oder Abstraktum „Abrechnung“) Kurzvermerk Gardiner A2 sowie die Zei- auch im pWilbour vor. chenkombination identifiziert haben, „was wohl aber schwerlich richtig wäre.“74 • pBN 209 vso. Kol. x+4, rechts vor Tatsächlich äußerte sich später auch der Z. 7. Auch aufgrund des teilzerstörten Kotex- Ersteditor der Amarna-Briefe, J. A. Knudtzon, tes ist der Sinn gänzlich dunkel. im Bezug auf Letzteres skeptisch: „Vielleicht ist es nur der Anfang eines längeren Vermerks.“75 • pReinhardt, Kol. 9, rechts vor Z. 21; Das Schriftbild jedenfalls spricht nicht expli- der Beleg ist stark beschädigt. S. P. Vleeming zit gegen eine Interpretation als (siehe konstatiert: „The third and last marginal note Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 1001, Nr. 51 in our text is a single writing of , proba- ), allerdings käme auch in Frage. bly meaning ky, ‘other’. Just possibly it is a Zwei der von Erman als gelesenen Zei- hasty note of the fact that there had occurred chen (siehe Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, a change in the personnel responsible for the 1005, Nr. 134, und 1007, Nr. 170) sind mit fields concerned.“70 paläographischer Gewissheit nicht . Wie der Vergleich mit oGardiner 7 zeigt, handelt es • pBN 209 rto., Kol. x+4, rechts vor Zeile 4; am wahrscheinlichsten noch mit der 71 Siehe Möller, Paläographie II, 12, Nr. 146. Für die- sen Hinweis danke ich Annik Wüthrich (persönliche Kommunikation, 22.10.2020). 66 Siehe Simpson, Reisner II, 45. 72 Siehe zu diesem Begriff Jones, Glossary, 173–174, 67 Vgl. Helck, Aktenkunde, 62. Nr. 97. 68 Vgl. Gardiner, Wilbour Papyrus Plates, Tf. 62a, Gar- 73 Siehe Spiegelberg, Rechnungen Text, 21. diner, Wilbour Papyrus Translation, 122, FN 4 sowie 74 Winckler, in: ZÄS 27, 1889, 64. Helck, Aktenkunde, 62. Für Vermutungen zum Sinn 75 Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 259. Zu beachten ist, des Zeichens siehe auch Gardiner, Wilbour Papyrus dass Ermans und Knudtzons EA-Tafelnummern nicht Commentary, 185. übereinstimmen: Ermans Nr. 30 entspricht Knudt- 69 Siehe dazu von Bomhard, Paléographie, 25–26. zons Nr. 29; weiterhin gilt: 116, 166, 202 (Erman) 70 Vleeming, Papyrus Reinhardt, 70. ≡ 326, 258, 221 (Knudtzon).
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke 19 Abb. 4: Übersicht der -Vermerke der Amarna-Briefe (v. l. n. r. EA 220, 221, 225, 262, 294, 326) im Faksimile sich vielmehr um den Abschrift-Vermerk zufall bzw. der Publikationslage geschuldet spẖr.76 sein. Einige Vermerke weisen zudem hinsicht- Im Falle der hieratischen Aufschrift von lich ihrer jeweiligen hieratischen Realisierung EA 258 (siehe Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, eine große innere Varianz auf – dies betrifft 1005, Nr. 144 ) liegt ein gänzlich ande- naturgemäß in erster Linie jene Vermerke, die res Zeichen vor; die erhaltenen Zeichenreste in mehreren Texten auftreten. reichen jedoch m. E. für eine sichere Identifi- Gleichzeitig zeigen sich z. T. größere Be- zierung nicht aus. Ermans Vorschlag jeden- deutungsspektren innerhalb eines einzelnen falls erscheint unwahrscheinlich. Gleiches gilt Vermerks wie auch einander überschneidende für die Zeichenreste auf EA 234 (siehe Knudt- Bedeutungen verschiedener Vermerke. Daraus zon, El-Amarna-Tafeln, 1005, 137 ), die kann – neben der Existenz verschiedener Ver- Knudtzon noch mit Ermans in Verbindung waltungstraditionen – vielleicht auch abgelei- gebracht hat.77 tet werden, dass das Anbringen von Vermer- ken eher kasuistisch als von zeit- und raum- übergreifender Systematik geprägt war. 9 Auswertung Auf morphosyntaktischer Ebene bewegen sich die hier behandelten Vermerke im mi- Im Vergleich zu der von Helck, Aktenkunde, nimalistischen Bereich. Dies erschwert eine 60–62 gegebenen Liste von Aktenvermerken grammatische Analyse im Einzelfall, zeigt konnten sieben weitere Aktenvermerke im en- aber auch, dass diese für die antiken Bearbei- geren Sinne identifiziert werden; darüber hin- ter wohl von untergeordneter Bedeutung war. aus wurden fünf der dort gelisteten Notizen Der Fokus lag auf der durch die entsprechen- außer Betracht gelassen, die dieser Definition de Wurzel repräsentierten Lexik bzw. dem Zu- nicht entsprachen. Das in dieser Weise zu- stand, nicht auf grammatikalischer Eindeutig- sammengestellte Vermerkkorpus zeichnet sich keit. durch eine Vielzahl an verschiedenen Zei- Auf lexikalischer Ebene ist eine klare Kon- chen(kombinationen) und Anbringungsposi- zentration auf die Bereiche der Klassifizierung tionen aus. Das Mittlere Reich mit den Reis- von Personen, der Kontrolle von Warenein- ner- und den Illahun-Papyri und dem großen und -ausgängen bzw. -herstellung und der Do- pBrooklyn 35.1446 scheint dabei die größte kumentenverwaltung zu erkennen. So ist denn Formenvielfalt ausgebildet zu haben, jedoch auch Gardiner D54 der insgesamt häufigs- kann dies auch dem vielbeschworenen Fund- te und Gardiner P6 der zeitlich gesehen sta- bilste Einzelvermerk. 76 Bereits Knudtzon äußerte, dass die fraglichen Zei- Große Traditionslinien sind m. E. innerhalb chen „kaum, wie ÄZ 27 (1889) S. 63. f. angenom- men, das hieratische Zeichen für den redenden des untersuchten Korpus nicht auszumachen Mann“ (Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 760 und 937) – ganz im Gegenteil zeigen sich nahezu keine darstellen. Es handelt sich jeweils um das gleiche Überschneidungen in der Vermerkwahl der in Zeichen wie auf EA 220, 225, 262, 294 und 326. dieser Studie unterschiedenen Epochen (siehe Auch Fredrik Hagen liest hier spẖr, vgl. Hagen, in: dazu u. Kap. 10). Ebenso fehlt jeglicher Hin- JEA 97, 2011, 214–215. 77 Vgl. Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 776. weis auf eventuelle juristische Konsequenzen
Sie können auch lesen