Hieratic Studies Online 2 | 2021 - Johannes Jüngling Hieratische Aktenvermerke - Gutenberg Open ...

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Hieratic Studies Online 2 | 2021

                             Johannes Jüngling

                           Hieratische Aktenvermerke

ISSN 2512-6598
Hieratic Studies Online 2 | 2021 - Johannes Jüngling Hieratische Aktenvermerke - Gutenberg Open ...
Hieratic Studies Online is a peer-reviewed, academic series dedicated to
presenting research on all aspects of Hieratic and cursive hieroglyphs.

 Edited by Svenja A. Gülden, Kyra van der Moezel, Ursula Verhoeven
 Editorial cooperation: Tobias Konrad

 ISSN: 2512-6598

 CC-BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)

 Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz
 hso@uni-mainz.de
 https://aku.uni-mainz.de/hieratic-studies-online/
Hieratische Aktenvermerke
                                                                                    Johannes Jüngling*
    Abstract: Although a significant number of the hieratic archival documents bear additional auxiliary signs or
    sign groups, a systematical study of these hieratic check marks is still missing. The present paper aims to close
    this gap by providing an overview of the already known hieratic check marks, covering the period between the
    5th and 25th dynasties. Those marks are examined with respect to their graphic, phonological, morphological,
    and semantic features, including a short excursus on hieratic inscriptions on the Amarna tablets. At the end, a
    table with facsimile samples of the check marks is given.

    Keywords: Hieratic, check marks, colour, layout, administrative documents, Illahun, Hieratisch, Vermerke,
    Farbe, Amarna tablets

                                                              medizinischen Handschriften (etwa nfr „Gut!“
1 Vorbemerkungen1                                             in pEbers), als Gliederungshilfen für längere
                                                              Textabschnitte (bspw. grḥ „Pause/Ende“ in
Beim Studium hieratischer Verwaltungsdoku-                    literarischen Texten) oder sogar als Sichtver-
mente springen immer wieder einzelne aus                      merke in literarischen Texten (etwa jri ̯, „ge-
dem formalen Rahmen fallende Zeichen oder                     tan“ in pHarris 500) und Gebrauchsvermer-
Zeichengruppen ins Auge. Sie liefern oft zu-                  ke auf Objekten (z. B. ꜥḥꜥ „stehen“ auf einem
sätzliche Informationen zum eigentlichen In-                  Topflabel aus dem Grab Tutanchamuns2) –
halt des jeweiligen Schriftstücks. Der ägyp-                  doch stellt ägyptisches Verwaltungsschriftgut
tologische Sprachgebrauch hat verschiedene                    den weitaus größten Teil der Anbringungstex-
Bezeichnungen für diese Art von Notizen ge-                   te. Der folgende Aufsatz will einen Überblick
prägt, von denen im Deutschen „Vermerke“                      über die formalen und inhaltlichen Katego-
die am weitesten verbreitete ist. Das Auftre-                 rien, die Charakteristika und die Entwicklung
ten solcher Vermerke ist dabei nicht auf Ver-                 von Vermerken in hieratischen Verwaltungs-
waltungsdokumente beschränkt – sie finden                     dokumenten geben.
sich z. B. auch als Nützlichkeitsvermerke in

*   Praedoc, ERC Starting Grant Challenging Time(s): A        2 Forschungsstand
    New Approach to Written Sources for Ancient Egyptian
    Chronology, GA Nr. 757951, PI: Roman Gundacker,
    johannes.juengling@oeaw.ac.at.
                                                              Die Erforschung von vermerkartigen Zusätzen
1   Die vorliegende Studie ist eine erheblich überarbei-      ist bis dato in der überwiegenden Mehrheit
    tete und erweiterte Version meiner Bachelorarbeit an      der Fälle hinter die ihrer Bezugstexte zurück-
    der Universität Leipzig (2017). Die vorläufigen Er-       getreten – meist wurden sie, etwa im Falle
    gebnisse einer weiteren Beschäftigung mit dem The-
                                                              der Vermerke in den Reisner-Papyri, in den
    ma konnten am 26.10.2020 im Rahmen der (digi-
    talen) 54. Neuen Forschungen zur ägyptischen Kultur       jeweiligen Editionen behandelt. So nimmt es
    und Geschichte der Öffentlichkeit präsentiert werden.     nicht wunder, dass der Altorientalist Ignace
    Für viele wertvolle Anmerkungen und Ergänzungen           J. Gelb 1963 in seiner Study of Writing fest-
    danke ich Juan José Archidona Ramírez, Marc Brose,        stellen konnte: „A systematic study of auxilia-
    Charlotte Dietrich, Klara Dietze, Roman Gundacker,
    Julian Posch, Prof. Joachim F. Quack, Philipp Seyr,
                                                              ry marks in the Oriental systems is lacking.“3
    Prof. Alexandra von Lieven und Annik Wüthrich. Su-        Dieses Urteil, obgleich mittlerweile über 50
    sanne Töpfer und dem Museo Egizio (namentlich Ni-         Jahre alt, ist nach wie vor gültig, allerdings
    cola Dell’Aquila und Federico Taverni) in Turin gilt
    mein Dank für die Überlassung von Bildmaterial. Die
    Anregung zur Beschäftigung mit dem Thema verdan-          2   Vgl. Černý, Hieratic inscriptions, 8.
    ke ich Prof. Hans-Werner Fischer-Elfert.                  3   Gelb, Study of Writing, 113.

Jüngling, Johannes, Hieratische Aktenvermerke, Hieratic Studies Online 2, Mainz 2021.
http://doi.org/10.25358/openscience-6202

                 This work is licensed under CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).
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hat es seither zumindest auf dem Gebiet der       3 Materialbasis
Hieratistik verschiedene Ansätze einer Be-
schäftigung mit Vermerken gegeben.                Die vorliegende Studie stützt sich weitestge-
   In den gängigen Wörterbüchern werden           hend auf dasselbe Material, auf dem auch die
Vermerke meist entweder gar nicht oder unter      Übersicht in W. Helcks Aktenkunde (S. 61–62)
der entsprechenden Bedeutungsnuance des           beruht. Darüber hinaus sind die Daten eini-
Lemmas behandelt – so nennt Wb 1, 219.9           ger neuerer Publikationen eingeflossen, die
unter dem Lemma ꜥḥꜥ bspw. die Verwendung          W. Helck noch nicht zur Verfügung standen,
„als Randvermerk in Akten“. Rainer Hannigs        insbesondere die der Illahun-Papyri des Uni-
Handwörterbuch, S. 1315–1318 (2015) bietet        versity College London (Collier & Quirke,
dagegen eine Liste gängiger ägyptischer Ab-       Lahun Papyri Accounts/Letters/Religious) und
kürzungen (allerdings ohne Diskussion), unter     der Turi­  ner hieratischen Ostraka (López,
denen auch die meisten der hier behandelten       Ostra­ca I/III).
Aktenvermerke zu finden sind.                        Der zeitliche Rahmen der behandelten Kor-
   Die erste systematische Zusammenstellung       pora ist, bedingt durch die Verwendung von
von (standardisierten) Vermerken in hiera-        hieratischer Schrift für Archivschriftgut und
tischen Verwaltungsdokumenten findet sich         das Auftreten von Vermerken auf diesem, von
in Wolfgang Helcks Aktenkunde, S. 60–63           den Akten des Neferirkare-Archivs aus der
(1974). W. Helck fasste mit dieser Monogra-       5. Dynastie einerseits (de Cenival & Pose-
phie bewusst einen weiteren Rahmen, näm-          ner-Kriéger, The Abu Sir Papyri) und den ab-
lich den einer konzisen Beschreibung des ge-      normhieratischen Akten aus dem Qasr Ibrim
samten Verwaltungsschriftguts des dritten         der 25. Dynastie andererseits (bisher unediert)
und zweiten Jahrtausends v. Chr.; seine Be-       gesteckt. Eingeschlossen werden dabei neben
handlung von Vermerken nimmt einen dem-           diesen die vielfältigen hieratischen Dokumen-
entsprechend knappen Raum ein.                    te aus Illahun (Luft, Urkunden), die Reisner-
   Mourad Allams Artikel Marking Signs in Hier-   Papyri (Simpson, Reisner I–III), die Einzeldo-
atic and Glosses in Ancient Egyptian Texts (Al-   kumente pBrooklyn 35.1446 (Hayes, Middle
lam, in: BEM 4) aus dem Jahr 2007 befasst         Kingdom Papyrus), pBoulaq 18 (Mariette,
sich mit einem weiten Spektrum metatextuel-       Papyrus égyptiens und Scharff, in: ZÄS 57),
ler Zeichen in ägyptischen Texten, beschränkt     der „Dattelpapyrus“ pLouvre E. 3226 (Megal-
sich jedoch weitgehend auf deren Sammlung         ly, Papyrus comptable), pWilbour (Gardiner,
und Kategorisierung. Eine inhaltlich tiefge-      Wilbour Papyrus Plates/Translation) und pRein-
hende Beschreibung erfolgt hier nicht.            hardt (Vleeming, Papyrus Reinhardt), die so-
   Eine sehr kurze und eher an den Gege-          genannten Sethos-Rechnungen (Spiegelberg,
benheiten des von ihm untersuchten Korpus         Rechnungen Tafeln/Text) sowie einige ramess-
ausgerichtete Liste gibt Marc Brose in seiner     idische Verwaltungstexte (sowohl auf Papyri
Grammatik der dokumentarischen Texte, S. 28–      als auch Ostraka; Letztere hauptsächlich aus
29 (2014).                                        Deir el-Medina).
   Für eine detaillierte Behandlung der so-          Die Zahl erhaltener hieratischer Verwal-
genannten identity marks aus Deir el-Medina       tungsdokumente lässt sich zum gegenwärti-
u. a. aus paläographischer und semiotischer       gen Zeitpunkt nicht einmal annähernd ab-
Perspektive siehe schließlich rezent van der      schätzen; die bisher publizierten Papyri und
Moezel, Of Marks and Meaning.                     Ostraka umfassen sicher nur einen Bruchteil.
                                                  Günter Burkard hat 2003 die Menge der al-
                                                  lein aus Deir el-Medina und Umgebung stam-
                                                  menden nichtliterarischen Ostraka mit etwa
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                                   5

10.000 beziffert.4 Mit entsprechender Vorsicht                auf ägyptischen Denkmälern untersucht und
sind alle Ergebnisse dieser Studie, insbesonde-               dabei die Definition vorgeschlagen, Vermerke
re die quantitativen, zu behandeln – sie kön-                 seien „1. nicht-satzhaft […] und [beziehen]
nen nicht viel mehr als die Zwischenergebnis-                 2. ihre Bedeutung […] aus der Zuordnung
se einer Stichprobe sein.                                     von Text und dem, worauf sie verweisen“.10
                                                              W. Helck definiert die von ihm selbst (Akten-
                                                              kunde, S. 61–62) ausgewählten Vermerke als
4 Formen von Vermerken                                        „Hinweise zu einzelnen Zeilen und Angaben
                                                              […], um den Benutzer auf bestimmte zusätzli-
Der Begriff des Vermerks (engl. check mark,                   che Informationen aufmerksam zu machen.“11
jotting, note; frz. annotation, remarque) ist ver-               Dieser Definition Helcks wird hier im We-
hältnismäßig unscharf – dies mag (zumindest,                  sentlichen gefolgt. Für den idealtypischen
was das Deutsche betrifft) vor allem mit seiner               Vermerk im Sinne der vorliegenden Studie ist
Etymologie aus dem eher unspezifischen Verb                   die Satzhaftigkeit irrelevant, da hier nur die
„vermerken“ = „durch eine Notiz festhalten,                   aus einem Wort bestehenden Vermerke be-
notieren“5 zusammenhängen, die nur eine                       handelt werden sollen (siehe u. Kap. 5); die-
Aussage über die Schriftlichkeit, nicht aber                  ser Vermerk ist bezüglich des Inhalts des Trä-
über Form und Inhalt trifft. Hiervon leitet sich              gerschriftstücks sekundär und bewegt sich auf
letztlich auch die administrative Bedeutung                   einer übergeordneten Ebene zu jenem. Dieser
einer knappen, schriftlichen, meist abgekürz-                 idealtypische Vermerk soll hier Vermerk im en-
ten Notiz oder Anmerkung auf eingehenden,                     geren Sinne heißen. Von diesem sind die vielen
internen oder ausgehenden Schriftstücken                      (mehr oder weniger) regelhaft vorgesehenen
ab.6 Laut dem Neuzeithistoriker Jürgen Kloos-                 Eintragungen in Akten und Urkunden abzu-
terhuis regeln Vermerke „die fortschreitende                  grenzen, die der oben getroffenen Definition
Bearbeitung bzw. dienen zum Nachweis für                      nicht entsprechen, in ägyptologischen Unter-
die Erledigung durch die beteiligten Stellen.“7               suchungen aber bisweilen trotzdem als „Ver-
   Ein originär ägyptisches Wort für „Ver-                    merke“ bezeichnet werden und entsprechend
merk“ ist anscheinend nicht überliefert; der                  als Vermerke im weiteren Sinne gelten sollen
Terminus sḫꜣ.w, „Aktennotiz, Memorandum“                      (etwa der „Siegelvermerk“ ḫtm(.w) r-gs nswt
(Wb 4, 234.18–20 und TLA WCN 141700), be-                     ḏs=f, „gesiegelt in persönlicher Gegenwart
zieht sich, ausgehend von seiner Verwendung                   des Königs“12).
(bspw. auf oDeM 288), eher auf selbstständige                    Zwei Ausschnitte aus den Illahun-Papyri
Texte. Die von Joachim F. Quack besprochene                   sollen den Begriff des Vermerks im engeren Sin-
Formel zẖꜣ bl „würde wörtlich ‚außen geschrie-                ne illustrieren (Abb. 1 und 2).13
ben‘ bedeuten, dürfte sachlich aber eher ‚s. o.‘                 Beide Fragmente enthalten je eine wp.wt,
bedeuten“.9 Innerhalb der ägyptologischen                     „Hausstandsliste“ (pUC 32164: ab Z. 6;
Diskussion hat Karl Jansen-Winkeln in sei-                    pUC 32163: als Abschrift ab Z. 2), in der diver-
nem themenspezifischen Aufsatz mit dem Ti-                    se Angehörige des jeweiligen Haushalts aufge-
tel Vermerke kurze und formelhafte Inschriften                listet werden. Durch die in Z. 2 an den Anfang
                                                              der Zeile gesetzte Phrase mj.tj n(.j), „Kopie
4   Vgl. Burkard, in: Wege zu einem digitalen Corpus, 21.     von“ (Wb 2, 39.10), wird der folgende Text-
5   Bibliographisches Institut GmbH. http://www.duden.        bestandteil in pUC 32163 als Abschrift ausge-
    de/rechtschreibung/vermerken 22.11.2020].
6   Archivschule Marburg. http://www.archivschule.de/
                                                              wiesen; zusätzlich wurden (nachträglich) am
    uploads/Forschung/ArchivwissenschaftlicheTermi-
    nologie/Terminologie.html [22.11.2020].                   10   Jansen-Winkeln, in: MDAIK 46, 1990, 127.
7   Kloosterhuis, in: Archiv für Diplomatik 45, 1999,         11   Helck, Aktenkunde, 60.
    482.                                                      12   Vgl. stellvertretend für viele Helck, Aktenkunde, 10.
8   Siehe Wente, Letters, 52.                                 13   Für eine ausführliche Publikationsübersicht der be-
9   Quack, in: Res severa, 475; dort sẖꜣ bnr transkribiert.        sprochenen Textträger siehe u. S. 30–33.
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                                    rechten Rand in Rot ein Haken (Z. 3) und eine
                                    Buchrolle (Z. 7) angebracht – Zeichen, die
                                    sonst nicht zum Formular einer wp.wt gehören
                                    und mithin auch in pUC 32164 nicht gesetzt
                                    sind: Es handelt sich um idealtypische Vermer-
                                    ke im engeren Sinne. Zu deren Zweck als Kenn-
                                    zeichen von Anfang und Ende der Abschrift
                                    siehe u. Kap. 6.3; zum Zusatzzeichen Gardiner
                                    F31 in pUC 32164 siehe u. Kap. 5.
                                       Eine Differenzierung von späteren Ergän-
                                    zungen und Zeichen, die bereits in der ur-
                                    sprünglichen Konzeption Teil eines hierati-
                                    schen Verwaltungsdokuments waren, kann in
                                    der Praxis mitunter schwerfallen. Ein erster
                                    Indikator für die sekundäre Anbringung eines
                                    Zeichens bzw. einer Zeichengruppe kann eine
                                    Abweichung vom regelhaften Layout des be-
                                    treffenden Dokumententyps sein – sofern die-
                                    ses bekannt ist. Hinzu kommen Kriterien wie
                                    das Schriftbild (Farbe, Strichstärke, Schreiber-
                                    hand), sichtbare Spatien und das typische Auf-
Abb. 1 a–b: pUC 32164               treten eines bestimmten Zeichens bzw. einer
                                    bestimmten Zeichengruppe als sichere spätere
                                    Ergänzung auf anderen Dokumenten. In der
                                    Praxis ist es in der Regel eine Kombination
                                    zweier oder mehrerer dieser Kriterien, die die
                                    Identifizierung sekundärer Zeichen auf hie-
                                    ratischen Verwaltungsdokumenten erlaubt.
                                    Gleichwohl lässt sich im Einzelfall keine hun-
                                    dertprozentige Sicherheit erreichen; einzelne
                                    der im Folgenden vorgenommenen Identifika-
                                    tionen bleiben mithin unsicher.

Abb. 2 a–b: pUC 32163
(Zusatzzeichen rot hervorgehoben)
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                               7

5 Eine Liste „kurzer“ Vermerke
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf einzelnen Zeichen bzw. charakteristischen, kurzen Zeichen-
verbindungen und weniger auf den übrigen als Vermerke klassifizierbaren Ad-hoc-Verwal-
tungsnotizen. Die folgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über die bisher bekannten und ver-
ständlichen Kurzvermerke:14

• Auftreten des Vermerks in Schwarz

• Auftreten des Vermerks in Rot

Tabelle 1: Kurzvermerke

                                                                           Dokumente
 Nr.   Lemma          Graphie15       Bedeutung                                                      Belegzeit
                                                                           (chron. Auswahl)
                                                                           pBN 209•
                                                                           Fragm. Gurob Y•
                                                                           pTurin 1896 + 2006•
                                                                           oEremitage 5598•
                                      a) eingegangen (Lieferungen)
                                                                           oKairo CG 25515•          NR
 1     jwi ̯                          b) (zur Arbeit) angekommen =
                                                                           oKairo CG 25528•          SpZ
                                      Arbeitstag (Personen)
                                                                           oBNUS H 119•
                                                                           oDeM 912•
                                                                           oDeM 913•
                                                                           oDeM 915•
                                                                           *pUC 32166•
                                      a) wird getragen (Kinder)
 2     jni ̯                                                               pReisner I••              MR
                                      b) wird geholt (Personen)
                                                                           *pBrooklyn 35.1446•
                                                                           pBerlin P. 10016•
                                      a) erledigt (Angelegenheiten)        pBerlin P. 10018•
 3     jri ̯                                                                                         MR
                                      b) hergestellt (Produkt)             pReisner II•
                                                                           pBoulaq 18•

 4     ꜥꜣ                             hier (Personen)                      *pBrooklyn 35.1446•       MR

                                                                           oBrüssel E 6311•
                                                                           oKairo CG 25515•
                                                                           oKairo CG 25572•
                                      a) Arbeit steht still
                                                                           oKairo CG 25575•
                                      b) gültig (bzgl. durchgestrichener                             NR
 5     ꜥḥꜥ                                                                 oGardiner 36•
                                      Zeile)                                                         3. ZZ
                                                                           pBN 209•
                                      c) Bestand
                                                                           pBN 211••
                                                                           pWilbour•
                                                                           pReinhardt•

 6     ꜥḥ.wtj                         Feldarbeiter                         *pBrooklyn 35.1446•       MR

                                                                                Fortsetzung auf der nächsten Seite

14 Die Auswahl orientiert sich im Wesentlichen an der Zusammenstellung in Helck, Aktenkunde, 61–62, und ist
   bewusst weit gefasst. Ein Asterisk (*) kennzeichnet die Fälle, in denen der Status des Vermerks als nachträgliche
   Ergänzung m. E. zumindest als zweifelhaft einzustufen ist. Von dieser Liste ausgeschlossen sind mutmaßliche
   Abkürzungen von Toponymen, wie sie etwa auf pUC 32170 auftreten.
15 Für eine Übersicht der entsprechenden hieratischen Formen (Nr. 1–37) siehe u. Kap. 10; dort auch eine Übersicht
   über Vermerke mit unsicherer Lesung/Bedeutung (Nr. 38–46); siehe zu Letzteren auch u. Kap. 7.
Hieratic Studies Online 2 | 2021                                                                     8

                                                                Dokumente
Nr.   Lemma       Graphie15    Bedeutung                                                 Belegzeit
                                                                (chron. Auswahl)

7     wꜥb                      disponibler Arbeiter             pUC 32166••              MR

8     wr                       Magnat/alter Mann/Vorarbeiter (?) *pBrooklyn 35.1446•     MR

                                                                *pLouvre E. 25279•
9     wḥm(.w)                  Stellvertreter (?)                                        AR
                                                                *pLouvre E. 25416 b•
                                                                oBM EA 5634•
                                                                *oKairo CG 25515•
                                                                *oKairo CG 25517•
10    wzf                      untätig (Personen)                                        NR
                                                                oKairo CG 25519•
                                                                oKairo CG 25659•
                                                                oTurin CGT 57033
11    wš                       fehlt (Personen)                 pUC 32191•               MR
                                                                pBM EA 10735•
12    bꜣḥ(.j)                  Anwesender (?)                                            AR
                                                                pLouvre E. 25279•

13    ptr                      vidi                             pBN 210•                 NR

14    mꜣ(ꜣ)                    vidi                             Fragm. Gurob F•          NR

15    mj                       Kopie (?)                        pUC 32099D•              MR

                               a) gültig                        oDeM 230•
16    mn                                                                                 NR
                               b) verbleibt                     oTurin CGT 57391•

17    mḥ                       erfüllt (Arbeitssoll)            pReisner I•              MR

18    mḥ-jb                    Vertrauensperson                 pUC 32166•               MR

                                                                oKairo CG 25507•
                                                                oKairo CG 25524•
19    m(ḥ)r                    krank (von Personen)                                      NR
                                                                oTurin CGT 57039•
                                                                oBM EA 5634•
                                                                *pUC 32164•
20    ms                       Kind                                                      MR
                                                                *pUC 32166•

21    nfr                      abgeschlossen                    pReisner III•            MR

                                                                pBM EA 10735•
                                                                oDeM 912•
                                                                oKairo CG 25243•
                               a) nicht vorrätig                                         AR
22    n                                                         oKairo CG 25244•
                               b) Tag ohne Arbeit                                        NR
                                                                oKairo CG 25528•
                                                                oKairo CG 25529•
                                                                oKairo CG 25609•
23    Var.                     Tag ohne Arbeit                  oBNUS H 119•             NR

24    rs(.j)                   Südmann (?)                      *pUC 32327•              MR

                                                                    Fortsetzung auf der nächsten Seite
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                          9

                                                                        Dokumente
Nr.    Lemma         Graphie15      Bedeutung                                                    Belegzeit
                                                                        (chron. Auswahl)
                                                                        pReisner I••
                                    nota bene
25     ḫꜣ                                                               pReisner II•             MR
                                    (verbindet zwei Einträge)
                                                                        *pUC 32189•

26     ẖnm16                        (dem Haushalt) beigetreten (?)      *pUC 32166•              MR

27     ẖrd/nḏs/šrj                  Kind                                *pUC 32130•              MR

28     spẖr                         kopiert                             oGardiner 7•             NR

                                                                        oDeM 148•
29     smtr                         überprüft                           pBN 209•                 NR
                                                                        pWilbour•

30     snhi ̯                       registriert                         *pReisner III•           MR

                                                                        pLouvre E. 3226••
31     sḫꜣ                          memorandum                          *oDeM 606•               NR
                                                                        oKairo CG 25502•
                                    herbeigeführt/
32     sṯꜣ                                                              pQI 23094/A36•           SpZ
                                    zurückgekehrt

33     qn                           Fall abgeschlossen                  *pBrooklyn 35.1446•      MR

34     km                           vollendet                           pReisner II•             MR

35     ṯꜣi ̯                        genommen                            pWilbour•                NR

                                                                        *oDeM 150•
                                                                        *oDeM 151•
36     ḏꜣ(.t)                       Rest                                                         NR
                                                                        *oDeM 165•
                                                                        pUC 32797•

37     –                            „…“                                 pUC 32163•               MR

16 Mark Collier und Stephen Quirke umschreiben das hieratische       mit Gardiner P5    . Hier liegt sicher ein
   Fehler vor; semantisch (und wohl auch paläographisch) liegt Gardiner W9 näher. So transkribieren und über-
   setzen die beiden Autoren denn auch „ẖnm (?)“ und „joined (?)“ – Collier & Quirke, Lahun Papyri Religious,
   116–117.
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6 Graphische, semantische                                  sich die beiden    -Vermerke auf oGardiner 7:
                                                           Sie sind in der Höhe von 5 bzw. 7 Schriftzeilen
und grammatische                                           über den Text geschrieben. Ebenfalls in der
Eigenschaften                                              Höhe mehrerer Zeilen geschrieben ist Gar-
                                                           diner P6 in den Papyri pBN 209 und 211,
6.1 Position                                               pWilbour und pReinhardt sowie den Ostraka
                                                           Kairo CG 25507 und 25515.
Grundsätzlich können Vermerke im gesam-                       Eine spezifische Semantik ist mit der Posi-
ten Schriftbereich eines Dokuments auftreten.              tionierung von Vermerken anscheinend nicht
Aufgrund des in der Regel gegebenen Bezugs                 verbunden. Vielmehr war wohl die intendier-
auf einen bestimmten Teil desselben lassen                 te Bedeutsamkeit der Vermerke ausschlagge-
sich jedoch drei maßgebliche Standardposi-                 bend: Vor der Zeile positionierte Vermerke
tionen ausmachen: vor und hinter der Bezugs-               ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers eher auf
passage sowie die „auf gleicher Höhe“. Das be-             sich als solche hinter der Zeile; Erstere soll-
trifft sowohl Dokumente mit Zeilen- als auch               ten vermutlich prioritäre Informationen für
mit Tabellengliederung. Insgesamt verteilen                spätere Bearbeiter sofort sichtbar machen,19
sich die hier behandelten Vermerke anhand                  während Letztere vielleicht eher nachrangige
ihrer Position wie in Tabelle 2 dargestellt.               Zusatzinformationen darstellen. Auf oKairo
   Notwendigerweise sind Vermerke auf tabel-               CG 25515 vso. zeigt sich ab dem Eintrag Jahr
larischen Aufstellungen durch deren Verwen-                6, Monat 1 Peret, Tag 1 eine komplementäre
dung als Archivschriftgut bedingt. Da sich die             Verteilung der Vermerke Gardiner D54
„waagerechte Zeilenrichtung […] im Mittle-                 (vor der Zeile) und P6 (hinter der Zeile)20
ren Reich […] auf alle Akten aus[breitet]“,17              – möglicherweise der besseren optischen Dif-
schwinden mit dem wandernden Zeithorizont                  ferenzierbarkeit wegen. Bis zu diesem Eintrag
auch tabellarisch geschriebene Verwaltungs-                sind beide Formen vor der Zeile angebracht;
texte; auf diesen wurden nach dem Alten                    mit Tag 23 desselben Monats kehrt das Doku-
Reich anscheinend nur noch vereinzelt Ver-                 ment zum ursprünglichen Layout zurück.
merke angebracht (so etwa die       -Vermerke                 Insgesamt gesehen dürfte sich aus der Posi-
auf der „Tänzerliste“ pUC 32191).                          tionierung kein rechtserheblicher Unterschied
   Von den „Standardpositionen“ abweichend,                ergeben haben.
findet sich das Zeichen Gardiner D4          auf
dem Verso von pBerlin P. 10016 und 10018
unterhalb des Adressaten. Aufgrund des                     6.2 Schriftfarbe
schlechten Erhaltungszustands schließlich ist
die genaue Position der      -Vermerke in der              Vermerke wurden sowohl in Schwarz als auch
„Tänzerliste“ m. E. nicht festzustellen. Das               in der Signalfarbe Rot geschrieben. Die Ver-
Wort wš, „fehlt“, tritt im gleichen Dokument
noch einmal an anscheinend regelhafter Posi-
tion in einem tabellenartigen Raster hinter                   zieht sich auf eine andere tabellarische Aufstellung
den besagten Namen als Alternative zu Kont-                   zur Rechten der ersten Tabelle, vgl. die dort unmit-
rollpunkten auf. Francis Ll. Griffith bemerkt                 telbar folgende Rekonstruktion des Papyrus.
hierzu: „        means [perhaps] that there                19 Zumindest für die          -Vermerke des pBrooklyn
                                                              35.1446 vermutet William C. Hayes diese Motiva-
were two absences from duty in the year. It is                tion: „[These symbols are] being placed in front of
just possible that these signs belong to Ta-                  the lines of text so as to come instantly to the atten-
ble 2.“18 In ungewöhnlicher Position befinden                 tion of subsequent users of the list.“ – Hayes, Middle
                                                              Kingdom Papyrus, 63.
                                                           20 Vgl. Helck, Aktenkunde, 97. W. Helck deutet den
17 Helck, Aktenkunde, 44.                                     mehrfachen Wechsel als individuelle Schreibbeson-
18 Griffith, Petrie Papyri Text, 60. F. Ll. Griffith be-      derheit.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                                                        11

Tabelle 2: Positionen der Vermerke

über der Tabellenspalte

unter der Tabellenspalte
                                         ,           ,
vor der Zeile
                                         ,   ,           , ,         ,           ,       , ,         ,         , ,   , ,       ,   ,   ,

                                         ,       ,           ,
hinter der Zeile
                                , ,                  ,   ,                   ,            ,     ,        , ,   ,           ,
in der Zeile
                                     ,           ,           ,   ,       ,           ,         , ,
über der Zeile
                                , ,          ,

teilung ist im Detail aus der Kennzeichnung in                                       hinter den Zeilen des Haupttextes) in Rot, die
Tabelle 1 ersichtlich.                                                               Schreiber der weiteren ihre Vermerke in einer
   „Hauptzweck der Rotschreibung war, eine                                           weiteren Spalte und in Schwarz eingetragen.
besondere Erwähnung innerhalb des Textes                                             Auf oKairo CG 25528 scheint die Rot- (         )
hervorzuheben“,21 wie W. Helck bemerkte. In                                          und Schwarzschreibung ( ) dagegen der
ähnlicher Weise äußerte sich auch W. C. Hay-                                         Verdeutlichung des inhaltlichen Unterschieds
es im Bezug auf Vermerk und Ko-Text: „That                                           gedient zu haben.
they might be readily distinguishable from                                              Vorderhand zeigt sich keine besondere Dif-
the more ‘official’ entries to which they are                                        ferenzierung nach zeitlichen oder geographi-
appended[,] the notations and insertions re-                                         schen Gesichtspunkten – vielmehr scheint die
ferred to were written in red ink.“22 Dieser                                         Wahl von roter oder schwarzer Farbe situa-
Zweck der Kennzeichnung von Außergewöhn-                                             tionsbedingt-pragmatisch gewesen zu sein.
lichem wird auch bei verschiedenen Vermer-                                           Allerdings ist der Befund durch verschiede-
ken verfolgt.                                                                        ne Faktoren verzerrt. Hier ist vor allem das
   Letztlich stellt sich auch hier die Frage, wel-                                   ausschließliche Auftreten roter Vermerke auf
che Faktoren die Wahl der Schriftfarbe im                                            jeweils einem einzigen Dokument zu nen-
Einzelfall beeinflussten. Als aufschlussreich                                        nen, wie etwa aus pBrooklyn 35.1446 deut-
könnten sich diesbezüglich insbesondere jene                                         lich wird: Die Vermerke         ,    ,      und
Dokumente erweisen, auf denen (die glei-                                                 treten nur hier und nur in Rot auf. Es fehlt
chen) Vermerke sowohl in Schwarz als auch                                            in allzu vielen Fällen das Vergleichsmaterial.
in Rot erscheinen, bspw. oKairo CG 25529                                             Für eine exakte Übersicht über die Schriftfar-
oder pUC 32166. So ließe sich etwa bei Letzte-                                       be der in dieser Studie untersuchten Vermerke
rem spekulieren, dass mindestens drei Akten-                                         siehe u. Kap. 9.
revisionen stattfanden; der verantwortliche
Schreiber der ersten hätte demzufolge seine
Vermerke (drei -Zeichen und vier Kontroll-                                           6.3 Sonstige Besonderheiten im
punkte; eventuell auch die roten Vermerke                                            Layout
21 Helck, Aktenkunde, 53. Siehe grundlegend zum Ge-                                  Nicht alle, aber einige Vermerke weisen zu-
   brauch roter Tusche im Alten Ägypten Posener, in:
                                                                                     sätzliche graphische Besonderheiten auf. Die
   JEA 37, 1951.
22 Hayes, Middle Kingdom Papyrus, 10.                                                augenfälligsten sollen hier erklärt werden.
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   An erster Stelle sind Spatien zu nennen.                   Von oKairo CG 25515 schließlich sind meh-
Bisweilen wird zwischen Bezugstext und Ver-                 rere Fälle von später getilgten   - und -Ver-
merk ein gewisser Raum freigelassen. Beson-                 merken belegt. In einem Fall ist Gardiner P6
ders deutlich tritt dies in den Sethos-Rechnun-             noch einmal neben bereits getilgtes geschrie-
gen (konkret pBN 209, siehe u. Abb. 3) her-                 ben worden (vso., Kol. 2, Z. 15).
vor. Hier sind etwa größere Spatien zwischen
einigen     -Vermerken und dem Bezugstext
bemerkbar. Die Tatsache, dass im gleichen                   6.4 Lexikalische Deutung der
Dokument, Kol. x+4, auch einmal Gardiner                    Vermerkkürzel26
S125     zwischen D54          und Text tritt, legt
m. E. nahe, dass hier planmäßig Platz für spä-              In den meisten Fällen ergibt sich der Lautwert
tere Ergänzungen gelassen wurde.23                          eines Vermerks relativ eindeutig aus der Le-
   Korrekturen von Vermerken sind in Form                   sung des (Haupt-)Zeichens, so etwa jwi ̯ aus
von Übereinanderschreibungen belegt. So fin-                Gardiner D54       und jri ̯ aus D4 . In einigen
den sich z. B. auf oKairo CG 25515 die eigent-              Fällen ist diese Eindeutigkeit jedoch nicht ge-
lich in semantischer Opposition zueinander                  geben. Betroffen sind im Einzelnen die folgen-
stehenden Zeichen Gardiner P6 und D54                       den Vermerke:
übereinander; auf oDeM 912 wird in ähnli-
cher Weise rotes       mit schwarzem        – und                    /     Helck, Aktenkunde behandelt
einmal schwarzem          – überschrieben.24                diese Zeichenkombination als terminus techni-
   Eine Besonderheit ist die Setzung von Ha-                cus (S. 97–99. 128), stuft sie jedoch nicht als
ken ( ) und Gardiner Y1            in pUC 32163             Vermerk ein. Formell liegt allerdings die glei-
(siehe o. Abb. 2a–b). Sie stehen am rechten                 che Abkürzung einer längeren Phrase vor wie
Rand einer Hausstandsliste, die durch die                   etwa bei . Durch die diversen Pleneformen
Phrase       mj.t(j) n(.j) als Kopie ausgewiesen            lässt sich der Lautwert wzf relativ sicher fest-
ist, und kennzeichnen m. E. den tatsächlich                 stellen.
kopierten Bereich des Originalschriftstücks
– eventuell wurden sie im Zuge der späteren                         Peter Kaplony hat für Gardiner D53
Ergänzung einer Eidesleistung im unteren Be-                     den Lautwert bꜣh.j angesetzt, allerdings
reich des Papyrus dort angebracht, um die                   mit Verweis auf Edel, Altägyptische Gramma-
beiden Einträge besser unterscheiden zu kön-                tik, § 769 auch eine abkürzende Schreibung
nen. Haken und Buchrolle wären damit den                    für jm.j-bꜣḥ erwogen.27 Aufgrund des Laut-
modernen An- und Abführungszeichen äqui-                    werts mt für D52       ist eine Verbindung zu
valent oder zumindest ähnlich.25                            mtr (Wb 2, 170.9) zumindest denkbar. Ange-
                                                            sichts der sehr häufigen Abkürzung         im
                                                            Neferirkare-Tempelarchiv28 liegt insgesamt
                                                            dennoch die Lesung bꜣh.j /jm.j-bꜣḥ am nächs-
23 Siehe Spiegelberg, Rechnungen Tafeln, Tf. 9. Gleich-
                                                            ten.
   wohl tritt in pBN 209 auch einmal eine Ligatur
   von Gardiner D54        und M2      auf:        (rto.,
   Kol. x+2, Z. 8).                                                Wb 2, 60.6 nennt den Lautwert mn für
24 Vgl. Grandet, Catalogue 9, 89.                           das Zeichen Gardiner U32 , das im Neuen
25 Für die Verwendung eines Hakens bzw. des hierati-        Reich das gängige Determinativ für die Wurzel
   schen t als „Eintragstrenner“ in demotischen Doku-
   menten siehe Quack, in: Demotic Literary Texts, 23,
   sowie weiterhin auch Osing, Hieratische Papyri, 34–      26 Als Lautwerte sind hier aufgrund der in den meisten
   35 (als Rückverweis). Den Hinweis darauf verdanke           Fällen unsicheren Wortartanalyse (siehe u. Kap. 6.6)
   ich Joachim F. Quack (persönliche Kommunikation,            nur die Wurzelkonsonanten angegeben.
   26.10.2020); gleichfalls gilt ihm mein Dank für seine    27 Vgl. Kaplony, in: Orientalia 41, 1972, 49–50.
   Hilfe bei der Beschaffung der entsprechenden Litera-     28 Siehe etwa De Cenival & Posener-Kriéger, The
   tur in organisatorisch schwierigen Pandemie-Zeiten.         Abu Sir Papyri, Tf. 20.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                       13

Abb. 3: pBN 209, Kol. x+3, Z. 1-4 (Faksimile von W. Spiegelberg); Zusatzzeichen rot hervorgehoben

mn „bleiben“ ist. Trotz einer auch hier fehlen-         29 (hier wird mit Verweis auf Ranke auch die
den Pleneschreibung scheint die Lesung durch            Alternative nḏs genannt); dagegen lesen Col-
die Bedeutung einigermaßen abgesichert.29               lier & Quirke, Lahun Papyri Religious, 51 šrj
                                                        (dort šri ͗ transkribiert).
        Für das Zeichen Gardiner U23 hat
Quack die Lesung mḥr angesetzt,30 jedoch hat                    Auf das in Quellen des Neuen Reiches
Simon Schweitzer inzwischen für die traditio-           auftretende Zeichen Gardiner A2          hatte
nelle Lesung mr argumentiert.31 Diese Debatte           Helck, Aktenkunde, 62 den Lautwert snhi ̯ von
muss gegenwärtig als nicht abschließend ge-             pReisner III übertragen. Dagegen spricht, dass
klärt gelten. In keinem Fall handelt es sich um         es sich bei    um eine durchaus geläufige Ab-
ꜣb, da die beiden Lautwerte im Hieratischen             kürzung für den Dokumententyp sḫꜣ.w, „Ak-
bekanntlich durch verschiedene Zeichen diffe-           tennotiz, Memorandum“ (Wb 4, 234.18–20)
renziert sind.32                                        handelt. Wie Koen Donker van Heel und Ben
                                                        Haring festhalten, ist der Aktenvermerk
        Für Gardiner D35       liegt die Lesung         allerdings „not a document designation, but
als n, die prototypische Negation des Ägypti-           a reminder for the scribe“.34 Ausgehend vom
schen, sicher näher als das grundsätzlich eben-         Demotischen argumentiert dagegen Michael
falls denkbare jw.tj. Zumindest in den Arbeits-         FitzPatrick zugunsten der Lesung ḫrw, „Einga-
listen des Neuen Reiches wäre dieser Lautwert           be“ (CDD Ḫ 06:1, 131–132 s. v. ḫrw.w).35
jedoch ein Archaismus, da alt-/mittelägyp-
tisches n im Neuägyptischen zumindest gra-
phisch durch bw (bn) ersetzt wird. Dominique            6.5 Semantik
Valbelle liest nn als Abkürzung von nn jwi ̯(.t)
jn X, „kein Kommen durch X“.33 Für den Laut-            Die Bedeutung der meisten mehrfach vorkom-
wert der Negationspartikel im AR siehe Edel,            menden Vermerke ist hinreichend sicher fest-
Altägyptische Grammatik, § 1076.                        zustellen. Von den in Tabelle 1 gelisteten Ver-
                                                        merken sind die folgenden jedoch zumindest
      Für ẖrd als möglichen Lautwert von                teilweise interpretationsbedürftig:
Gardiner G37      siehe Brose, Grammatik,
                                                               In den sogenannten Sethos-Rechnun-
29 Zustimmend auch Gardiner, in: JEA 27, 1941, 50,      gen (pBN 209) in der Bedeutung „eingegan-
   sowie Gardiner, Wilbour Papyrus Commentary, 183.
30 Vgl. Quack, in: LingAeg 11, 2003, 113.               34 Donker van Heel & Haring, Writing, 108.
31 Vgl. Schweitzer, in: ZÄS 138, 2011, 142–144.         35 Vgl. FitzPatrick, in: JEA 69, 1983. Für diesen Hin-
32 Vgl. Möller, Paläographie II, 43, Nr. 484 und 485.      weis danke ich Joachim F. Quack (persönliche Kom-
33 Vgl. Valbelle, in: BIFAO 76, 1976, 108.                 munikation, 26.10.2020).
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gen; eingeliefert“.36 Es handelt sich um diver-             wirklich zutrifft, ist m. E. fraglich. Vermutlich
se (meist hölzerne) Objekte, deren Eingang                  ist auch hier die Bedeutung „erledigt“ (siehe
im „Südquartier“ festgehalten werden soll. Im               u.) anzusetzen, da der Vermerk möglicherwei-
Turiner Steuerpapyrus (vor Personennamen)                   se auf eine Handlung referiert.
in der gleichen Bedeutung, da mit Bezug auf                    In pBerlin P. 10016 und 10018 als Brief-
Getreide.37                                                 unterschrift in der Bedeutung „erledigt“ (im
   In Arbeitstagelisten des Neuen Reiches                   Bezug auf den Briefinhalt). In gleicher Weise
(siehe Tabelle 1) vor/nach Tagesdaten als                   wahrscheinlich auch in pReisner II im Bezug
„Arbeitstag“ aus der Bedeutung „(zum Arbeits-               auf die Reparatur von Kupferwerkzeugen.
platz) gekommen“ (von der Grabbaumann-
schaft bzw. einzelnen Arbeitern).                                   In der Bedeutung „gültig“ neben
                                                            durchgestrichenen Zeilen. Jaroslav Černý be-
        In pUC 32166 hinter Kindernamen                     merkt hierzu: „A normal placed after a line
vermutlich in der Bedeutung „wird (noch) ge-                which has been crossed out apparently means
tragen = kann (noch) nicht laufen“.38                       that the line should ‘stand’ despite the can-
  In pBrooklyn 35.1446 in der Bedeutung                     cellation“.42 Alan H. Gardiner hatte sich zu-
„wird geholt“ (von Gefangenen); in komple-                  rückhaltend über den Sinn von P6 im Zu-
mentärer Verteilung mit O29         und (dem                sammenhang mit nicht-gestrichenen Zeilen
unsicheren, siehe u.) M17 . Bezugsgröße ist                 geäußert,43 und auch Sven P. Vleeming bleibt
eine Liste von Insassen eines Arbeitslagers in              im Bezug auf den Sinn von im pReinhardt
der Nähe von Theben. In pReisner I vor Per-                 vage.44 Möglicherweise in der Bedeutung „Be-
sonennamen in der gleichen (?) Bedeutung. Es                stand“ (im Lager) in den Sethos-Rechnungen.
handelt sich um Personen, die zur (unfreiwilli-                In Arbeitslisten des Neuen Reiches wohl in
gen?) Arbeit in Koptos bestimmt sind.39                     der Bedeutung „Arbeit steht still“.45 D. Valbel-
                                                            le hat, ausgehend von der Phrase ꜥḥꜥ ḥr/n, die
        In pBoulaq 18 jeweils im Zusammen-                  Bedeutung „fehlt“ (Wb 1, 220.4) vorgeschla-
hang mit einer eingegangenen bzw. ausgege-                  gen.46 Ob ein inhaltlicher Unterschied zu Gar-
benen Ration von Weihrauch. Ob W. Helcks                    diner D35        und der Zeichengruppe       be-
Übersetzung „hergestellt“40 im Fall des       -             steht oder es sich um individuelle Schreiber-
Eintrags vor                  (ḏi ̯(.w) r sḫm-ꜥ             gewohnheiten handelt, ist gegenwärtig noch
n(.j) wr.w, „werde/wurde zu ‚dem mit starkem                unklar. S. P. Vleemings Zusammenfassung der
Arm‘ unter den Großen gegeben“,41 XXXIII,6)                 Situation im pReinhardt gilt auch in größerem
                                                            Rahmen: „Due to insufficient knowledge of the
36 Vgl. Spiegelberg, Rechnungen Text, 20–21. Nach
                                                            context to which the sign refers so tersely, the
   LDLE 1, 21 ist die Bedeutung „delivered“ auch aus        question as to how its various usages should
   anderen Kontexten ersichtlich.                           be harmonized, remains a problem that still
37 Vgl. Gardiner, in: JEA 27, 1941, 25. 29–30. 32. 34.      stands out.“47
38 Dies ist insofern ungewöhnlich, als jni ̯ (Wb 1, 90.2–
   91.10) eigentlich nicht in der Bedeutung „tragen“
   vorkommt. Vielleicht sollte hier also die gleiche Be-          In pUC 32166 vermutlich in der Be-
   deutung wie in pBrooklyn 35.1446 (siehe u.) oder         deutung „disponibler Arbeiter“, nicht „steuer-
   eine Variante angesetzt werden, in der das Kind (zur
   Registration?) „mitgebracht“ wurde.                           § 237. In letzterem Fall wäre die Übersetzung „her-
39 Vgl. Simpson, Reisner I, 132.                                 gestellt“ für jri ̯ nicht zu beanstanden.
40 Helck, Aktenkunde, 61.                                   42   Černý, Hieratic inscriptions, 8.
41 Diese und ähnliche Stellen im pBoulaq 18 sind auf-       43   Vgl. Gardiner, Wilbour Papyrus Commentary, 185.
   grund des listenhaften Stils der Einträge uneindeutig    44   Vgl. Vleeming, Papyrus Reinhardt, 69–70.
   und ihre grammatischen Analyse daher unsicher; es        45   Vgl. hier auch die Bedeutung „to pause“ in LDLE 1,
   ist nicht klar, ob es sich bei ḏi ̯(.w) um eine passi-        86.
   vische Form der Suffixkonjugation oder ein passivi-      46   Vgl. Valbelle, in: BIFAO 77, 1977, 132.
   sches Partizip handelt – vgl. Brose, Grammatik, 266,     47   Vleeming, Papyrus Reinhardt, 69–70.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                            15

befreit“; siehe hierzu M. Römers Beitrag Wꜥb               In der Bedeutung „bleibt“ (Wb 2, 60.6–
– „Frei von Abgaben“?48 In den Illahun-Papy-       62.26; LDLE 1, 216) auf oDeM 230 im Zusam-
ri werden auch in anderen Kontexten Perso-         menhang mit einer durchgestrichenen Zeile,
nen als wꜥb(.t) bezeichnet (etwa pUC 32163         daher dort wohl in gleicher Weise wie Gar-
rto. 3).                                           diner P6 verwendet. Als regulärer Bestand-
                                                   teil des Formulars bezeichnet diese Abkür-
         Die Wurzel wḥm (Wb 1, 340–343.15)         zung im NR den „Rest“.
hat die Grundbedeutung „wiederholen“; in
den Abusir-Papyri hat das Zeichen die (dar-               In Arbeitslisten des Neuen Reiches
aus abgeleitete?) Bedeutung „Stellvertreter“       in der Bedeutung „krank“ (Wb 2, 95.1–15;
– das gebräuchlichere Wort für „Stellvertre-       LDLE 1, 224); im vorliegenden Korpus auf Ein-
ter“ ist jdn.w (Wb 1, 154.6–9). Die Bedeutung      zelpersonen beschränkt. Im Gegensatz zu Gar-
ist durch den komplementären Gebrauch von          diner P6 und D35         wird hier der Grund
Gardiner D53        auf dem gleichen Papyrus       des Fernbleibens von der Arbeit, nämlich die
allerdings verhältnismäßig sicher.                 Krankheit der betreffenden Arbeiter, angege-
                                                   ben.
       /       Mit dem Verb wzf, „untätig
sein“ (Wb 1, 357.2–9; LDLE 1, 128) liegt neben            TLA WCN 600515 übersetzt das ein-
Gardiner D35       und P6 ein weiterer Ver-        zelne Zeichen Gardiner M12 mit Verweis
merk zum Ausdruck ruhender Arbeit in den           auf Helck, Aktenkunde, 62 als „gib acht!“;
Arbeitstagelisten des Neuen Reiches vor.           William K. Simpson hatte in der Edition des
                                                   pReisner I keine definitive Übersetzung geben
       Nach J. Winand hatten ptr (Wb 1,            wollen, wohl aber die Verwendungsweise zur
564.1–19; LDLE 1, 186) und mꜣꜣ (Wb 2, 7.1–         Kennzeichnung zusammengehöriger Einträ-
10.7) ursprünglich die nicht deckungsgleichen      ge erkannt.51 Es kann möglicherweise ein Zu-
Bedeutungsbereiche „ansehen, erkennen“ und         sammenhang mit sḫꜣ „sich erinnern“ (Wb 4,
„sehen“, waren aber durch eine Bedeutungs-         232.12–233.26) bestehen.
erweiterung von ptr im Neuen Reich praktisch
austauschbar geworden.49 Im Fall von pBN                           Janssen hat als Übersetzung
209 und Fragment Gurob F läge mithin die           von snhi ̯ „the act of collecting and mustering
gleiche Bedeutung „gesehen, vidi“ vor.             itself“52 vorgeschlagen. Wb 4, 167.5–9 nennt
                                                   die Bedeutung „mustern, registrieren“. Letz-
        Höchstwahrscheinlich in der Bedeu-         tere Bedeutung, im Sinne von „aktenkundig
tung „gesehen, vidi“;50 vgl. auch o. den Ein-      gemacht“, dürfte für diesen Aktenvermerk am
trag zu Gardiner D6      . Aufgrund des größ-      ehesten zutreffen.
tenteils zerstörten Kontextes ist die Bedeutung
mꜣw(.t), „Neues“ (vgl. dazu u. Kap. 7) nicht              sṯꜣ (Wb 4, 351.7–353.17) hat die
von vornherein auszuschließen.                     Grundbedeutungen „ziehen“ (von Gegen-
                                                   ständen) und „herbeiführen“ (von Personen).
        Aus der Präposition mj, „wie“ (Wb 2,       Letzteres kann sich auch auf Gefangene bezie-
36.9–38.12), in der Bedeutung „Kopie“? Viel-       hen, die dem König oder einem Gott vorge-
leicht liegt eine bloße Verkürzung der häufi-      führt werden (vgl. Wb 4, 353.5–6). Im Demo-
geren Phrase         mj.tj n.j bzw. des Substan-   tischen ist überdies die Bedeutung „zurück-
tivs mj.tj, „Abschrift“ (Wb 2, 39.10–11), vor.     kehren“ (CDD S 13:1, 493, s. v. sṱꜣ; TLA WCN
                                                   [Demotisch] 5720) belegt. Der Vermerk tritt
48 Römer, in: GM 250, 2016, 163–168.
49 Vgl. Winand, in: SAK 13, 1986, 296. 299. 308.   51 Vgl. Simpson, Reisner I, 43.
50 Vgl. Gardiner, RAD, 19a.                        52 Janssen, in: Gleanings, 134.
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an mehreren Stellen vor listenhaft angeord-              potenziell verbalen oder nominalen Wortfor-
neten Personennamen auf, allerdings ist der              men das exakte Gegenteil. Da die meisten Ein-
Kontext nicht sicher. Es könnte sich sowohl              wortvermerke auch nur durch ein Zeichen re-
um (zwangsweise) nach Qasr Ibrim geführte                präsentiert werden, d. h. auch keine sichtbare
als auch um dorthin zurückgekehrte Personen              Flexion aufweisen, lässt sich hier allenfalls auf
handeln.                                                 die verbale Wurzel, ohne Weiteres aber nicht
                                                         auf die Wortart (im Gegensatz Verb – deverba-
Der Befund zeigt, dass die Semantik eines Ver-           les Nomen) schließen. Auch eine an sich mög-
merks maßgeblich vom Ko(n)text bestimmt                  liche Analyse anhand des syntaktischen Kon-
wird. So kann ein(e) einzelne(s) Zeichen(grup-           textes scheidet hier mangels ebendessen aus.
pe), je nachdem, ob es/sie sich auf eine Per-            Allenfalls die Positionierung des jeweiligen
son, eine Ware oder einen Vorgang bezieht,               Vermerks vor oder innerhalb/hinter der Zeile
verschiedene Bedeutungen annehmen. Pa-                   könnte als Kontext faute de mieux gelten.
radebeispiel hierfür ist sicher Gardiner P6 ,               Dies hat zur Folge, dass die Wortform der
das, wie oben gezeigt, bis zu drei verschiedene          aus den verbalen Wurzeln hervorgehenden
Bedeutungen tragen kann. Andererseits kön-               Einwortvermerke nach strenger Lesart als un-
nen verschiedene Zeichen(gruppen) durch-                 bestimmt, weil unbestimmbar gelten müsste.
aus Gleiches oder doch zumindest Ähnliches               Dies betrifft die Vermerke     , ,    , , , ,
bedeuten, wie z. B. Gardiner P6 und U32 .                    ,    , , ,      , , , ,   ,    ,        , ,
Letzteres ist dabei nicht verwunderlich: Wäh-                ,     und      . Versuche zur Bestimmung
rend Aufgaben und Probleme schriftlicher Ver-            sind – unterschiedlich gut fundiert – trotzdem
waltung im Laufe der ägyptischen Geschichte              unternommen worden.
im Großen und Ganzen ähnlich geblieben sein                 W. C. Hayes schlägt etwa bezüglich Gar-
dürften, ist doch mit einer Vielzahl verschie-           diner W25       vor: „[T]he ‚pot-on-legs‘ [must
dener geographischer und funktionaler Ver-               almost certainly stand] for some passive form
waltungstraditionen sowie mit (erheblichen?)             (infinitive or participle)“. Er bleibt damit
Eigentümlichkeiten der einzelnen Schreiber               zwar eine explizite Begründung schuldig, ver-
zu rechnen.                                              weist aber auf die durch den Kontext relativ
                                                         sichere Bedeutung, „that the fugitive has been
                                                         reportedly captured and is ‚being brought‘
6.6 Wortart und Wortform                                 to Thebes.“54 Was den gleichen Vermerk im
                                                         pUC 32166 betrifft, so enthalten sich M. Col-
Schon die Bestimmung der morphosyntak-                   lier und S. Quirke zwar einer Analyse, deu-
tischen Wortart eines Vermerks bereitet                  ten aber zumindest eine passivische Tendenz
Schwierigkeiten, die durch die Defizite des              an, indem sie „i ͗n“ konsequent mit „brought“55
hieroglyphischen und hieratischen Schrift-               übersetzen. Dies ließe in der Tat eine Interpre-
systems und der Eigenheiten des Ägyptischen              tation als passivisches Partizip oder (ohne .t
als einer wurzelflektierenden Sprache begrün-            geschriebener und daher abgekürzter) Infini-
det sind.53 Während im vorliegenden Korpus               tiv (im Ägyptischen ohne Distinktion der Dia-
die Identifikation von eindeutigen Nomina                these,56 daher sowohl mit aktivischer als auch
wie ꜥḥ.wtj, bꜣḥ(.j), mḥ-jb, ms und rs(.j) einer-         passivischer Bedeutung übersetzbar) zu.
seits und nichtflektierbaren Wortarten wie                  Möglicherweise ist das ägyptische Pseudo-
Partikeln (n), Präpositionen (mj) und Adver-             partizip angesichts seiner spezifischen Bedeu-
bien (ꜥꜣ) andererseits in der Regel leichtfiele          tungen, insbesondere der passivischen, resul-
und fällt, gilt für die Unterscheidung zwischen
                                                         54 Hayes, Middle Kingdom Papyrus, 59.
                                                         55 Collier & Quirke, Lahun Papyri Religious, 117.
53 Siehe dazu Schenkel, Tübinger Einführung, 21, sowie   56 Vgl. Gardiner, Egyptian Grammar, 222 und Brose,
   Schenkel, Einführung Sprachwissenschaft, 94.             Grammatik, 288.
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                          17

tativen und deskriptiven,57 aber auch der Nu-             falls denkbare Lesung ḥn. In pReisner II (Sec-
ance des Prozesses, der angedacht ist, in einen           tion M 23) tritt anscheinend als Antonym und
Zustand überzugehen,58 der plausibelste An-               ebenfalls in Rot die Gruppe     mꜣw.t „Neues“
satz. Dies betrifft namentlich die Vermerke,              (Wb 2, 26.18–27.7) auf, was die obige Deu-
die in der Vergangenheit Geschehenes bzw.                 tung jz/alt weiter untermauert. Es könnte sich
Resultate wiedergeben (können), also       , ,            sowohl in pReisner II (Kupferwerkzeuge) als
    , , ,        , , , ,      ,  ,         , ,            auch in pBN 209 (Holzbalken) jeweils um äl-
    ,    und      . Der außerägyptische Befund            teres/bereits vorhandenes Material handeln.
zumindest legt eine entsprechende Interpre-               Das doppelte Auftreten dieses Vermerks di-
tation nahe. So stehen in vorderasiatischen               rekt hintereinander in pBN 209 rto. x+III,4
Keilschrifttexten die Bearbeitungsvermerke                kann sich einerseits auf separate Teile in der
(ul) qatī (zu qatû, „enden“, CAD 13, 177–183),            gleichen Zeile beziehen, andererseits ist auch
pānum gamir (zu gamāru, „enden“, CAD 5,                   eine „elativische“ Bedeutung „sehr alt =
24–32) und ḫepī (zu ḫepû, „zerstören“, CAD 6              schon morsch“ (von einem jṯyn-Balken) denk-
170–174),59 die allesamt den genetisch mit                bar.61 Schließlich kann auch an einen Zusam-
dem ägyptischen Pseudopartizip verwandten                 menhang mit der Zedernholzbalken-Bezeich-
akkadischen Stativ verwenden.                             nung jswt (Wb 1, 132.1) gedacht werden, die
                                                          z. B. auf pBM EA 10056 verwendet wird und
                                                          dem Schiffsbauvokabular entstammt.62 Für
7 Vermerke ungeklärter bzw.                               Wilhelm Spiegelberg ist diese Randnotiz in
                                                          pBN 209 dagegen schlicht unverständlich.63
unsicherer Bedeutung
Trotz einer z. T. guten Publikationslage sind                 (?) •    pReinhardt (Kol. x+3, Z. 17
einige hieratische Aktenvermerke bis heute                und x+9, Z. 29); S. P. Vleeming setzt den
nicht verständlich bzw. in ihrer Bedeutung                Lautwert bꜥ mit der Bedeutung „attend to“,
äußerst unsicher. Es handelt sich um die fol-             „beachten“ (Wb 1, 446.6) an.64
genden:
                                                             •   oTurin CGT 57033 (Kol. x+2, Z. 7);
 •      pBrooklyn 35.1446 (Kol. e); in kom-               nach einer Datumsangabe. Schafik Allam er-
plementärer Verteilung mit Gardiner W25                   wägt die Bedeutung mr, „binden“ (Wb 2,
und O29        . Hayes, Middle Kingdom Papy-              105.1–8; LDLE 1, 225),65 doch ist die Bezugs-
rus, 59 denkt an einen Zusammenhang mit der               größe nicht festzustellen. Wird für Gardiner
Wurzel jwi ̯/jy,60 allerdings wäre die Graphie            U23    der Lautwert mr akzeptiert, könnte
eher unkonventionell.                                     an eine aberratio mentis und die Bedeutung
                                                          „krank“ gedacht werden.
    •• pReisner II (Section L 30. 32; M 22)
und pBN 209. Der Lautwert jz und damit ein                      (?) ••   pReisner II, Kol. A3, 14;
Zusammenhang mit dem Lemma jz, „alt“ (Wb                  B 36; C24. 40; F 16; Frag. 4, rto. 36. Bereits
1, 128.7–8), liegt sicher näher als die eben-             W. K. Sim­pson äußerte Zweifel an der Identi-
                                                          fikation des vertikalen Zeichens als Gardiner
57 Vgl. Jansen-Winkeln, in: OLP 24, 1993, 7.
58 Vgl. Brose, Grammatik, 276 und Brose, Perfekt,         61 Für den Hinweis auf letztere Interpretationsmöglich-
   Pseudopartizip, Stativ, 85.                               keit danke ich Alexandra von Lieven (persönliche
59 Vgl. Cancik-Kirschbaum & Kahl, Erste Philologien,         Kommunikation, 26.10.2020).
   189–190. Die entsprechenden Vermerke werden dort       62 Siehe dazu grundlegend Glanville, in: ZÄS 66. Für
   als (ul) qati und ḫepi umschrieben; die hier verwen-      diesen Hinweis danke ich Roman Gundacker (per-
   dete Transkription orientiert sich dagegen an den         sönliche Kommunikation, 12.11.2020).
   von Streck, Altbabylonisches Lehrbuch, 8, § 11 sowie   63 Vgl. Spiegelberg, Rechnungen Text, 21.
   171–176, § 361 aufgestellten Transkriptionsregeln.     64 Vgl. Vleeming, Papyrus Reinhardt, 70.
60 Siehe auch Helck, Aktenkunde, 61.                      65 Vgl. Allam, Ostraka I, 248.
Hieratic Studies Online 2 | 2021                                                                             18

M16.66 Die einmal umgekehrt auftretende Zei-              Lesung Gardiner F4     71
                                                                                    – entweder mit der
chenreihenfolge67 lässt eine Trennung in zwei             Bedeutung ḥꜣ.t „Spitzenqualität“ (Wb 3, 21.4–
separate Vermerke möglich erscheinen.                     9), oder als Bestimmungsstelle „Bug“ (ḥꜣ.t 72)
                                                          für die Konstruktion des Schiffs. Das Zeichen
   •    pWilbour (vso., Section B 15.6/7 über             tritt im Zusammenhang mit einem hölzernen
einer Liste von Ländereien; anscheinend als               Schiffsbalken auf. 73
Teil des regulären Formulars tritt das Zeichen
auch an anderen Stellen im Dokument auf);
über die Identifizierung des Hieratogramms                8 Exkurs: Hieratische
         herrscht Uneinigkeit. A. H. Gardiner
und W. Helck wollten darin Gardiner A2
                                                          Vermerke in den Amarna-
erkennen,68 Anne Sophie von Bomhard da-                   Briefen
gegen A26 . Aus paläographischen Gründen
ist Letzteres wohl die wahrscheinlichere Op-              Dass auch die Amarna-Briefe mit hierati-
tion.69 Das Zeichen Gardiner A26 ist das ge-              schen Aktenvermerken versehen wurden, ist
bräuchliche Determinativ für die Verben njs               spätestens seit A. Ermans Nachtrag zu Hugo
(Wb 2, 204.1–19) und ꜥš (Wb 1, 227.4–13),                 Wincklers Verzeichniß der aus dem Funde von
beide in der Bedeutung „rufen“. Das Verb njs              elAmarna herrührenden Thontafeln (1889) be-
kann im mathematischen Sprachgebrauch zu-                 kannt. Erman wollte in diesem Aufsatz neben
dem „berechnen“ bedeuten; eventuell liegt                 verschiedenen längeren Aufschriften auch den
diese Grundbedeutung (als „Gerundivum“ „zu                aus dem hier untersuchten Korpus bekannten
berechnen“ oder Abstraktum „Abrechnung“)                  Kurzvermerk Gardiner A2         sowie die Zei-
auch im pWilbour vor.                                     chenkombination           identifiziert haben,
                                                          „was wohl aber schwerlich richtig wäre.“74
    • pBN 209 vso. Kol. x+4, rechts vor                      Tatsächlich äußerte sich später auch der
Z. 7. Auch aufgrund des teilzerstörten Kotex-             Ersteditor der Amarna-Briefe, J. A. Knudtzon,
tes ist der Sinn gänzlich dunkel.                         im Bezug auf Letzteres skeptisch: „Vielleicht ist
                                                          es nur der Anfang eines längeren Vermerks.“75
     • pReinhardt, Kol. 9, rechts vor Z. 21;              Das Schriftbild jedenfalls spricht nicht expli-
der Beleg ist stark beschädigt. S. P. Vleeming            zit gegen eine Interpretation als         (siehe
konstatiert: „The third and last marginal note            Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 1001, Nr. 51
in our text is a single writing of     , proba-                 ), allerdings käme auch      in Frage.
bly meaning ky, ‘other’. Just possibly it is a               Zwei der von Erman als       gelesenen Zei-
hasty note of the fact that there had occurred            chen (siehe Knudtzon, El-Amarna-Tafeln,
a change in the personnel responsible for the             1005, Nr. 134, und 1007, Nr. 170) sind mit
fields concerned.“70                                      paläographischer Gewissheit nicht . Wie der
                                                          Vergleich mit oGardiner 7 zeigt, handelt es
    • pBN 209 rto., Kol. x+4, rechts vor
Zeile 4; am wahrscheinlichsten noch mit der               71 Siehe Möller, Paläographie II, 12, Nr. 146. Für die-
                                                             sen Hinweis danke ich Annik Wüthrich (persönliche
                                                             Kommunikation, 22.10.2020).
66 Siehe Simpson, Reisner II, 45.                         72 Siehe zu diesem Begriff Jones, Glossary, 173–174,
67 Vgl. Helck, Aktenkunde, 62.                               Nr. 97.
68 Vgl. Gardiner, Wilbour Papyrus Plates, Tf. 62a, Gar-   73 Siehe Spiegelberg, Rechnungen Text, 21.
   diner, Wilbour Papyrus Translation, 122, FN 4 sowie    74 Winckler, in: ZÄS 27, 1889, 64.
   Helck, Aktenkunde, 62. Für Vermutungen zum Sinn        75 Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 259. Zu beachten ist,
   des Zeichens siehe auch Gardiner, Wilbour Papyrus         dass Ermans und Knudtzons EA-Tafelnummern nicht
   Commentary, 185.                                          übereinstimmen: Ermans Nr. 30 entspricht Knudt-
69 Siehe dazu von Bomhard, Paléographie, 25–26.              zons Nr. 29; weiterhin gilt: 116, 166, 202 (Erman)
70 Vleeming, Papyrus Reinhardt, 70.                          ≡ 326, 258, 221 (Knudtzon).
Jüngling, Hieratische Aktenvermerke                                                                            19

Abb. 4: Übersicht der -Vermerke der Amarna-Briefe (v. l. n. r. EA 220, 221, 225, 262, 294, 326) im Faksimile

sich vielmehr um den Abschrift-Vermerk                    zufall bzw. der Publikationslage geschuldet
spẖr.76                                                   sein. Einige Vermerke weisen zudem hinsicht-
   Im Falle der hieratischen Aufschrift von               lich ihrer jeweiligen hieratischen Realisierung
EA 258 (siehe Knudtzon, El-Amarna-Tafeln,                 eine große innere Varianz auf – dies betrifft
1005, Nr. 144        ) liegt ein gänzlich ande-           naturgemäß in erster Linie jene Vermerke, die
res Zeichen vor; die erhaltenen Zeichenreste              in mehreren Texten auftreten.
reichen jedoch m. E. für eine sichere Identifi-              Gleichzeitig zeigen sich z. T. größere Be-
zierung nicht aus. Ermans Vorschlag      jeden-           deutungsspektren innerhalb eines einzelnen
falls erscheint unwahrscheinlich. Gleiches gilt           Vermerks wie auch einander überschneidende
für die Zeichenreste auf EA 234 (siehe Knudt-             Bedeutungen verschiedener Vermerke. Daraus
zon, El-Amarna-Tafeln, 1005, 137          ), die          kann – neben der Existenz verschiedener Ver-
Knudtzon noch mit Ermans         in Verbindung            waltungstraditionen – vielleicht auch abgelei-
gebracht hat.77                                           tet werden, dass das Anbringen von Vermer-
                                                          ken eher kasuistisch als von zeit- und raum-
                                                          übergreifender Systematik geprägt war.
9 Auswertung                                                 Auf morphosyntaktischer Ebene bewegen
                                                          sich die hier behandelten Vermerke im mi-
Im Vergleich zu der von Helck, Aktenkunde,                nimalistischen Bereich. Dies erschwert eine
60–62 gegebenen Liste von Aktenvermerken                  grammatische Analyse im Einzelfall, zeigt
konnten sieben weitere Aktenvermerke im en-               aber auch, dass diese für die antiken Bearbei-
geren Sinne identifiziert werden; darüber hin-            ter wohl von untergeordneter Bedeutung war.
aus wurden fünf der dort gelisteten Notizen               Der Fokus lag auf der durch die entsprechen-
außer Betracht gelassen, die dieser Definition            de Wurzel repräsentierten Lexik bzw. dem Zu-
nicht entsprachen. Das in dieser Weise zu-                stand, nicht auf grammatikalischer Eindeutig-
sammengestellte Vermerkkorpus zeichnet sich               keit.
durch eine Vielzahl an verschiedenen Zei-                    Auf lexikalischer Ebene ist eine klare Kon-
chen(kombinationen) und Anbringungsposi-                  zentration auf die Bereiche der Klassifizierung
tionen aus. Das Mittlere Reich mit den Reis-              von Personen, der Kontrolle von Warenein-
ner- und den Illahun-Papyri und dem großen                und -ausgängen bzw. -herstellung und der Do-
pBrooklyn 35.1446 scheint dabei die größte                kumentenverwaltung zu erkennen. So ist denn
Formenvielfalt ausgebildet zu haben, jedoch               auch Gardiner D54        der insgesamt häufigs-
kann dies auch dem vielbeschworenen Fund-                 te und Gardiner P6 der zeitlich gesehen sta-
                                                          bilste Einzelvermerk.
76 Bereits Knudtzon äußerte, dass die fraglichen Zei-        Große Traditionslinien sind m. E. innerhalb
   chen „kaum, wie ÄZ 27 (1889) S. 63. f. angenom-
   men, das hieratische Zeichen für den redenden
                                                          des untersuchten Korpus nicht auszumachen
   Mann“ (Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 760 und 937)        – ganz im Gegenteil zeigen sich nahezu keine
   darstellen. Es handelt sich jeweils um das gleiche     Überschneidungen in der Vermerkwahl der in
   Zeichen wie auf EA 220, 225, 262, 294 und 326.         dieser Studie unterschiedenen Epochen (siehe
   Auch Fredrik Hagen liest hier spẖr, vgl. Hagen, in:
                                                          dazu u. Kap. 10). Ebenso fehlt jeglicher Hin-
   JEA 97, 2011, 214–215.
77 Vgl. Knudtzon, El-Amarna-Tafeln, 776.                  weis auf eventuelle juristische Konsequenzen
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