Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn

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Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Aargau – Solothurn – beider Basel                                    Nr. 2 / 2020

Nachbarn

                               Solidaritätin
                               unsicherenZeiten
                               DieCorona-KrisetrifftauchMenschen
                               diebislangaufdersicherenSeitelebten
                               Wirallesindgefordert
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Inhalt

                                                                                 Inhalt
                                                                                 3     Editorial
                                                                                       Kurz & bündig

                                                                                 4     News aus dem Caritas-Netz
                                                                                       Schwerpunkt

                                                                                 6     Solidarität in unsicheren Zeiten
                                                             BildZoeTempest

                                                                                       Schwerpunkt

                                                                                 10    Prekäre Arbeit: Leben mit der
                                                                                       Unsicherheit
JacquelineKüntiistselbstständigeWochenbebegleiterin
ImLockdownkonntesieihrerArbeitnichtmehrnachgehen                              Persönlich
undgerietwiesovieleinfinanzielleSchwierigkeiten
                                                                                 12	«Wann hast du zum letzten Mal
                                                                                     jemandem geholfen? Wobei?»	
Schwerpunkt                                                                           Sechs Antworten von Passantinnen und
                                                                                       Passanten

Solidarität in                                                                         Regional

unsicheren Zeiten                                                                14/15 Anlaufstelle in Corona-Zeiten
                                                                                       Wie Caritas Menschen hilft, die besonders
                                                                                       betroffen sind

Die Corona-Krise trifft diejenigen am heftig-                                    16/17 Femmes-Tische goes Zoom
sten, die bereits vor der Krise wenig hatten.                                          Neue digitale Frauentreffpunkte halfen 
Besonders betroffen sind Menschen in prekä-                                            in unsicheren Zeiten
ren Arbeitsverhältnissen: Arbeitnehmende im
Stundenlohn, auf Abruf, schlecht bezahlt. De-                                    18/19	Caritas-Lieferdienst für Baselland
ren ohnehin unsichere Lage verschärfte sich                                            Der Lockdown als Triebfeder
oft dramatisch. Die Massnahmen zur Eindäm-                                             für eine Neuerung
mung der Pandemie treffen aber auch Bevölke-
rungsgruppen, die scheinbar sicher unterwegs                                     20    Hilfe gibt es neu auch online
waren, beispielsweise Selbstständigerwerben-                                           Die mehrsprachige Online-Hilfe 
de. Jacqueline Künti, Wochenbettbegleiterin                                            beantwortet drängende Fragen
aus dem Kanton Bern, konnte nicht mehr zu
                                                                                       Ich will helfen
den jungen Müttern nach Hause. Von einem
Tag auf den anderen brachen ihr die Aufträge                                     22    Junge Freiwillige verhindern
weg. Die Caritas konnte ihr mit einer Über-
                                                                                       die Schliessung der Caritas-Märkte
brückungszahlung durch die ärgste Phase von
Unsicherheit helfen. Lesen Sie in dieser Num-
                                                                                       Kolumne
mer, wie die Caritas dank ihrer Erfahrung und
der grossen Solidarität der Bevölkerung hilft,                                   23    Das wunderliche Gefühl
und was Unsicherheit mit uns allen macht.
                                                                                       der Gemeinschaft
Spannende Lektüre wünschen wir!

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2                                                                                                                     Nachbarn 2 / 20
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Editorial

Liebe Leserin,
lieber Leser
Die Welt im Corona-Ausnahmezustand; der Lockdown
und die Folgen sind noch immer spürbar. Soziale Kon-
takte haben gelitten, Menschen sind in Not geraten. Nach
dem ersten Schock wurden bald Lösungen gesucht, um
auf neue Art in Kontakt zu bleiben und Bedürftigen zu hel-
fen. Die sogenannte «Corona-Solidarität» ist aufgelebt.

                                                                                                                 Bild: Schatzmann
Sie zeigt sich auch heute noch an vielen Orten; Menschen
engagieren sich in der Nachbarschaftshilfe, Hilfswerke
und andere Anlaufstellen haben neue Angebote entwi-
ckelt. So auch Caritas. Wir haben Frauentreffpunkte auf       Domenico Sposato
                                                              Geschäftsleiter Caritas beider Basel
digitalem Weg weitergeführt, die Online-Hilfe erweitert,
Gutscheine für den Caritas-Markt verteilt, in Baselland
                                                              Fabienne Notter
einen Lieferdienst für Lebensmittel etabliert. Und nicht      Geschäftsleiterin Caritas Aargau und
zuletzt konnten wir dank der grossen Spendensammlung          Caritas Solothurn
der Glückskette die Sozialberatungen ausbauen und ver-
mehrt Nothilfe leisten.
                                                              «Nachbarn», das Magazin der regionalen
                                                              Caritas-Organisationen, erscheint zweimal
Die Normalität ist ein Stück weit zurückgekehrt, doch         jährlich: im April und im Oktober.
immer noch gibt es Not. Solidarität braucht es weiterhin
                                                              Gesamtauflage: 34 200 Ex.
und wird es immer brauchen. Solidarität heisst, Hilfe zu
leisten, ohne einen direkten Nutzen für sich zu erwarten.     Auflage AG, BS/BL, SO: 6000 Ex.
Solidarität heisst auch, darauf vertrauen zu dürfen, selbst
                                                              Redaktion:
Unterstützung zu erfahren, wenn man darauf angewie-           Nathalie Philipp, Fabienne Notter,
sen ist. Genau dieses Vertrauen ist wichtig. Wir müssen       Domenico Sposato (regional)
                                                              Roland Schuler (national)
für Menschen da sein, die an der Armutsgrenze leben und
unter Krisen besonders leiden. Treffen kann es jeden.         Gestaltung, Produktion und Druck:
                                                              Stämpfli AG, Bern

Mit Ihrer Spende und Ihrem Engagement helfen Sie uns,         Caritas Aargau
die «Corona-Solidarität» weiter zu leben. Herzlichen          www.caritas-aargau.ch
Dank!                                                         CH23 0900 0000 5000 1484 7

!                                                             Caritas beider Basel
                                                              www.caritas-beider-basel.ch
                                                              CH26 0900 0000 4000 4930 9

                                                              Caritas Solothurn
Fabienne Notter                Domenico Sposato               www.caritas-solothurn.ch
                                                              CH76 0900 0000 6053 8266 5

Nachbarn 2 / 20                                                                                             3
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Kurz&bündig

Solidaritätsaktion «Eine Million Sterne»                                     Corona-Hilfe

Dieses Jahr ganz                                                             Caritas unterstützt –
besonders nötig                                                              in der Krise erst recht
Die Caritas-Solidaritätsaktion «Eine                                         Für viele Menschen an oder unter der
Million Sterne» findet dieses Jahr am                                        Armutsgrenze ist die Caritas in der
12. Dezember statt. Die Caritas macht                                        Corona-Krise eine wichtige Stütze. Mithilfe
dann besonders auf die wachsende                                             der Glückskee und vieler grosszügiger
Armut in der Schweiz aufmerksam und                                          Unterstützerinnen und Unterstützer hält
wirbt für Solidarität mit Betroffenen.                                       Caritas in der Krise die Stellung.

                                                                             Die finanzielle Not von vielen Menschen an der Armuts-
                                                                             grenze wurde mit der Corona-Krise und dem Lockdown
                                                                             noch akuter. Schon früh war klar: Caritas muss trotz
                                                                             unklarer Lage und unter Schutzvorkehrungen für Mit-
                                                                             arbeitende und Freiwillige ihre Angebote für Armuts-
                                                                             betroffene möglichst aufrechterhalten – jetzt erst recht.
                                                                             Das gelingt der Caritas dank motivierten Mitarbeiten-
                                                                             den und Freiwilligen, der Glückskette und der grossen
                                                        BildThomasPlain

In der Schweiz leben rund 1,2 Millionen Menschen
unter oder knapp über dem Existenzminimum. Die
Folgen der Corona-Massnahmen treffen diese Men-

                                                                                                                                         BildDominicWenger
schen besonders hart. Working Poor, Menschen in
unsicheren Anstellungsverhältnissen oder in Bran-
chen, die vom Lockdown besonders hart getroffen
wurden, müssen noch mehr kämpfen, als dies vor
«Corona» ohnehin schon der Fall war.                                         Solidarität in der Bevölkerung. Aufgrund der Erfahrung
Zurzeit sind die sozialen Folgen noch nicht absehbar.                        der Caritas als Hilfswerk und der starken regionalen
Sicher ist: Menschen in schwierigen Lagen brauchen                           Verankerung konnte rasch und auf die Bedürfnisse in
unsere Unterstützung. Sie brauchen unsere Solidari-                          den Regionen abgestimmt reagiert werden.
tät. Als Zeichen dieser Solidarität wird am Samstag,
12. Dezember 2020, in der ganzen Schweiz die Aktion                          Die Caritas-Regionalorganisationen bieten Unterstüt-
«Eine Million Sterne» Kerzen zum Leuchten bringen.                           zung mit ihren bewährten Angeboten wie den Caritas-
                                                                             Märkten und den Sozial- und Schuldenberatungen. Hier
Save the date!                                                               wurden zum Teil neue Stellen geschaffen, um die hohe
Machen auch Sie Ihre Solidarität mit benachteilig-                           Anzahl Anfragen zu bewältigen. Direkt geholfen wird
ten Menschen sichtbar, und reservieren Sie sich den                          mit Einkaufsgutscheinen für die Caritas-Märkte, Aldi
12. Dezember für ein Zeichen für eine faire Schweiz!                         und Lidl im Wert von über 300 000 Franken sowie mit
Auf wwweinemillionsternech finden Sie ab November                          finanzieller Soforthilfe bei offenen Mietzins- oder Kran-
alle relevanten Informationen. Ebenfalls ab Novem-                           kenkassenrechnungen im Wert von 2,6 Millionen Fran-
ber können Sie Ihre Solidarität wieder mit einer der                         ken (Zahlen: Stand Ende August). Auch neue Angebote
beliebten Wunschkerzen bekunden:                                             wurden ins Leben gerufen.
wwwwunschkerzeeinemillionsternech                                         wwwcaritasch/corona

4                                                                                                                      Nachbarn 2 / 20
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Kurz&bündig

Caritas Schweiz

Peter Marbet wird
                                                                    NEWS
neuer Direktor                                                      DankefürdievielenMeinungen!
                                                                    InderletztenAusgabedes«Nachbarn»erfragtenwirdie
                                                                    Meinung unserer Leserscha zu unserem Magazin Er-
                                                                    freulichvieleLeserinnenundLesernahmenanderUm-
                                                                    frageteilGanzherzlichenDankdafür!Aktuellläudie
                                                                    Auswertung Eine Schlussfolgerung lässt sich heute be-
                                                                    reits ziehen Einer grossen Mehrheit gefällt das «Nach-
                                                                    barn»sehrDasfreutunsnatürlichundsporntunsanfür
                                                                    SieweiterhineininformativesundansprechendesMaga-
                                                                    zinzuproduzieren

                                                                    Caritas-LieferdienstinBaselland
                                                                    «Bleiben Sie zu Hause» lautete das Gebot der Stunde
                                                                    während des Corona-Lockdowns in der ersten Jahres-
                                                                    hälevorallemfürPersonenabodermitVorerkran-
                                                                    kungenFürdieArmutsbetroffenenund-gefährdetenin
                                                        Bildzvg

                                                                    ländlichenGebietenweitwegvomCaritas-Marktinder
                                                                    StadtmussteeineLösungherDieCaritasbeiderBasel
                                                                    startete in enger Zusammenarbeit mit Pfarreien einen
Der neue Direktor von Caritas Schweiz                               LieferdienstDieserläubismindestensEnde
heisst Peter Marbet. Er tritt am 1. Novem-
ber 2020 die Nachfolge von Hugo Fasel                               CaritasAargaueröffneteineweitereSozialberatung
an. Dieser geht nach zwölf Jahren an der
                                                                    Im Juni  eröffnete die Caritas Aargau eine neue
Spitze der Organisation in Pension.                                 Sozialberatungsstelle im Pfarreizentrum Kleindöingen
                                                                    Der Kirchliche Regionale Sozialdienst KRSD Zurzibiet
Peter Marbet (Jahrgang 1967) stammt aus Bern und                    wird die Seelsorge der Kirchgemeinden ergänzen und
studierte neuere Geschichte und Politologie. Später                 ermöglichtesderCaritasnahebeidenMenschenHilfe
absolvierte er die Ausbildung zum Executive Master                  anzubieten Mit dem KRSD Zurzibiet startet bereits die
of Business Administration in NPO-Management                        achteSozialberatungsstellederCaritasAargau
der Universität Freiburg. Der neue Caritas-Direktor                 wwwcaritas-aargauch/sozialberatung
bringt viel Management- und Führungserfahrung
sowie breite Kompetenzen in gesundheits-, bildungs-
und sozialpolitischen Fragestellungen mit. Diese                    CaritasLuzernWechselinderGeschäsleitung
erwarb er sich an verschiedenen beruflichen Statio-
                                                                    DanielFurrertriamOktoberdieNachfolge
nen: als Informationsbeauftragter bei einer grossen
                                                                    vonThomasThalialsGeschäsleiterderCaritasLuzern
Krankenversicherung, als Mitglied der Direktion
                                                                    an Der politisch engagierte und gut vernetzte -Jäh-
bei santésuisse und Leiter der Abteilung Politik und
                                                                    rige wirkte vorher als stellvertretender Geschäsleiter
Kommunikation sowie in seiner letzten Funktion als
                                                                    und Leiter Dienstleistungen und Kommunikation beim
Direktor des Berner Bildungszentrums Pflege. Als
                                                                    SAHZentralschweizundistMitglieddesGrossenStadt-
Stadtrat der Stadt Bern (Legislative) und Mitglied
                                                                    rats Luzern Auch neu in der Geschäsleitung ist seit
verschiedener parlamentarischer Kommissionen ist
                                                                    Anfang September Karin Hunziker Leiterin Berufliche
er auch mit einer Vielzahl von sozialpolitischen The-
                                                                    Integration
men vertraut. Peter Marbet übernimmt die Leitung
von Caritas Schweiz per 1. November von Hugo Fasel,                 wwwcaritas-luzernch/geschaesleitung
der nach zwölf Jahren als Caritas-Direktor in Pension
geht.

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Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
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                                                                        alsWochenbebegleiterinjungeMüerzubesuchen
                                                                        undsiezuunterstützenSiegerietinfinanzielle
         EinLebeninArmutbringtElternandenRandderVerzweiflung SchwierigkeitenCaritaskonnteihrundvielen
         undlässtKinderträumeplatzen                               anderenhelfen
  6                                                                                                           Nachbarn 2 / 20
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Schwerpunkt

AlsdasArbeitsleben
plötzlichstillstand
Junge Mütter und ihre Neugeborenen zu begleiten, ist mit viel Nähe verbunden. Als
Corona kam, fielen bei der freiberuflichen Wochenbettbegleiterin Jacqueline Künti die
Aufträge weg. Entsprechend dankbar ist sie für die Unterstützung durch die Caritas.
TextUrsulaBinggeliBilderZoeTempest

W
               enn Jacqueline Künti im Garten des           des Beziehungs- und Bindungsaufbaus zwischen Mut-
               Bauernhauses sitzt, in dem sie als Al-       ter, Kind und der Familie steht im Zentrum ihres Tuns.
               leinerziehende mit ihren beiden Teen-        «Sie sollen gemeinsam wachsen können.» Achtsamkeit
               ager-Töchtern lebt, umgeben von viel         und Urvertrauen sind wichtige Stichworte für sie.
Grün und Blumen, wirkt sie ganz in ihrem Element,
ein bisschen elfenhaft und doch geerdet. Der Eindruck       Ein harter Frühling
täuscht nicht. Jacqueline Künti fühlt sich der Natur        2020 – das fünfte Jahr ihrer Selbstständigkeit – fing gut
und den in ihr waltenden Kräften tief verbunden, ohne       an für Jacqueline Künti: Die Mund-zu-Mund-Propagan-
sich deswegen von den Menschen abzuwenden, im Ge-           da schien zum Laufen zu kommen. Ihr Einkommen
genteil. Auf ihrer Website schreibt sie: «Begegnung er-     reichte zusammen mit den Alimenten und Kinderzula-
lebe ich in der freien Natur, im lebendigen Austausch       gen zum Leben.
mit offenen Menschen, durch Reisen, Ehren und Feiern
verschiedener Kulturen und deren Ritualen.» Unter           Aber dann kamen Corona und der Lockdown. «Mein
anderem gestaltet sie freie Willkommens- und Seg-           Arbeitsleben stand von einem Tag auf den anderen
nungszeremonien für Kinder. Der weite Horizont der          praktisch still.» Laufende Aufträge wurden gestoppt,
früheren Kleinkindererzieherin schlägt sich aber auch       und neue Anfragen gab es keine. Sehr unsicher sei sie
in ihrer hauptberuflichen Tätigkeit nieder.

Sorgsame Arbeit in Familien
Jacqueline Künti hat in Deutschland die Ausbildung zur           «Corona hat mich schier zum
Familienlotsin absolviert und unterstützt nun als frei-
berufliche Fachfrau für Wochenbettbegleitung Familien
                                                                   Verzweifeln gebracht.»
mit einem Neugeborenen in der intensiven ersten Zeit
zu Hause. «Wichtigste Ansprechperson für die Mütter
ist stets die Hebamme, ich arbeite ergänzend.» Jacque-      gewesen in jenen Wochen, erinnert sich Jacqueline
line Künti bereitet vollwertige, stillgerechte Mahlzeiten   Künti. Hätte sie überhaupt Familien aufsuchen dür-
zu, sie wirft bei Bedarf eine Ladung Wäsche in die Ma-      fen? «Der Rahmen, in dem ich arbeite, ist doch sehr
schine, sie betreut die grösseren Kinder – und sie wid-     intim.» Auch als die Lockerungen kamen, blieben die
met sich dem Baby und der Wöchnerin. Die Begleitung         Fragen. Ab wann waren Besuche am Wochenbett wie-

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Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Schwerpunkt

der vertretbar? Sollte sie mit einem Inserat Werbung                  die derzeit in einer Kita ein Praktikum macht und ihr
für sich machen? Aber das schien ihr in der Zeit des                  anbot, die Krankenkassenprämien bis auf Weiteres
grossen Abstandhaltens zu provokant.                                  von ihrem kleinen Lohn selbst zu bezahlen, berührte
                                                                      sie tief.
Jacqueline Künti und ihre Töchter mussten im März
mit 1800 Franken auskommen, auch im April war dem                     Keine Hilfe vom Bund
so. «Wir sind es gewohnt, uns einzuschränken – in der                 Wie Jacqueline Künti standen diesen Frühling viele
Zeit meiner Ausbildung zur Familienlotsin wohnten                     freiberuflich Tätige wegen Corona vor einschneiden-
                                                                      den finanziellen Einbussen. Viele sind der Unsicher-
                                                                      heit weiterhin ausgeliefert. Während diejenigen, die
                                                                      von den Massnahmen des Bundes direkt betroffen wa-
        Viele sind der Unsicherheit                                   ren und ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben konnten,
                                                                      schon bald wussten, dass sie finanzielle Unterstüt-
          weiterhin ausgeliefert.                                     zung erhalten würden, blieben Freiberufler, die indi-
                                                                      rekt betroffen waren, bis Mitte April im Ungewissen.

wir zu dritt in einer 2,5-Zimmer-Wohnung.» Aber Co-                   Als der Bund beschloss, auch ihnen finanziell unter
rona habe sie nun wirklich schier zum Verzweifeln ge-                 die Arme zu greifen, war Jacqueline Küntis Freude nur
bracht. Mit Zuwendungen von Verwandten konnte sie                     von kurzer Dauer. Ihr Gesuch wurde abgelehnt – der
nicht rechnen. Die Solidarität der älteren ihrer Töchter,             von ihr als Wochenbettbegleiterin erzielte Gewinn lag

EsbrauchtdieNäheJacquelineKüntiunterstütztjungeMüerindererstenZeitnachderNiederkun

8                                                                                                            Nachbarn 2 / 20
Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Schwerpunkt

leicht unter dem unteren Limit für den Anspruch auf
Unterstützung. «Meine Einnahmen aus den Ritualbe-
gleitungen wurden nicht mitgerechnet, ja, nicht ein-       UNSICHERHEIT
mal erwähnt, und auch das Ausfallen der von mir für
das Jahr 2020 neu aufgegleisten Kurse für Schwangere
wurde nicht berücksichtigt.» Der negative Bescheid
                                                           BELASTET
schmerzte. «Für mich ist er unverständlich. Er hat
mich wütend gemacht.»                                                                            ProfDrChristophFlückiger
                                                                                                 istLeiterAllgemeine
Grosse Solidarität                                                                               Interventionspsychologie
Zum Glück hatte Jacqueline Künti schon früh auch                                                 und Psychotherapie
nach nicht staatlicher Hilfe Ausschau gehalten. Sie                                              anderUniversitätZürich
wandte sich an die Caritas. Dort war man auf Anfragen
wie die ihre vorbereitet. Dank einem Spendenaufruf

                                                                                     Bildzvg
       «Ich denke an die jungen                            VieleerlebtenunderlebenUnsicherheitaufgrund
     Familien, die in der Krise erst                       vonCoronaWaslöstdieseUnsicherheitinunsaus?
                                                           Es ist emotional belastend wenn wir aus der Routine
          recht allein waren.»                             unddenGewohnheitengeworfenwerdenunddieDinge
                                                           nichtmehrsowiegewohnteinigermassenvorhersagbar
                                                           sindDiesreduziertdasGefühldieDingeunterKontrol-
zusammen mit der Glückskette stehen Gelder zur Ver-        le zu haben Grundsätzlich sind Menschen ganz allge-
fügung, die für Menschen eingesetzt werden können,         mein relativ intolerant gegenüber Unsicherheit auch
die ohnehin in bescheidenen Verhältnissen leben und        wennwirdaskalkulierbareAbenteuerbiszueinemge-
wegen Corona in akute finanzielle Bedrängnis gerie-        wissenPunktauchgernesuchen
ten. Brigitte Raviele von der Caritas Bern: «Neben frei-
beruflich Tätigen sind es auch von Kurzarbeit Betrof-      AufgesellschaftlicherEbeneFührtkollektive
fene mit niederen Einkommen, die an uns gelangen.          UnsicherheitzumehrSolidarität?
Bis heute bearbeiteten wir im Kanton Bern mehrere          JasicherjedochnurbiszueinemgewissenPunktSoli-
hundert Anfragen.»                                         darität ist immer mit der Frage verbunden gegenüber
                                                           wem wir uns solidarisch zeigen Interessanterweise
Die Caritas konnte Jacqueline Künti mit Beratung und       übertragen wir die unangenehmen Dinge gerne nach
einer Überbrückungszahlung direkt helfen. Die Unter-       aussenSowardieGrippe«spanisch»Coronaist«chi-
stützung durch die Caritas trug wesentlich dazu bei,       nesisch» Was Solidarität zu echter Solidarität macht
dass Jacqueline Künti den Boden unter den Füssen           istwennwirunsinanderehineinversetzenunddieWelt
nicht verlor. Dass in der ländlich geprägten Ortschaft,    ausderSichtderanderninunsereeigeneSichtweisein-
in der sie wohnt, viel nachbarschaftliche Solidarität      tegrieren Sich in Unsicherheit in andere zu versetzen
spürbar ist, tat zusätzlich gut. Auch in der grossen,      machtunsMenschenmenschlich
selbst verwalteten Hausgemeinschaft, in der ihre
Töchter und sie seit drei Jahren leben, fühlt sie sich     KönnenwiretwaslernenausdererlebtenUnsicherheit?
aufgehoben. «Ich schöpfte neuen Mut.»                      MirkommtspontanWolfBiermannsLied«Ermutigung»
                                                           indenSinn«Dulassdichnichtverhärtenindieserhar-
Eine neue Klarheit                                         tenZeitDieallzuhartsindbrechenDieallzuspitzsind
Die Angst vor einer neuen Corona-Welle stellt Jacque-      stechen Und brechen ab sogleich» Sich Unsicherheit
line Künti bewusst auf die Seite, sie fokussiert den       einzugestehenhatwohlimmerauchmitMutzutunsich
Neustart. Der Weg zu einer Form von Normalzustand          seinereigenenUnzulänglichkeitWeichheitundVerletz-
sei sicher noch lang, sagt sie, aber langsam gehe es mit   lichkeit gewahr zu werden und diese sich selbst und
Aufträgen wieder aufwärts. «Ich denke an die vielen        auch andern offenzulegen Unsicherheit stellt immer
jungen Familien, die in der Krise erst recht allein ge-    auch die Frage was mir wichtig ist und von welchen
wesen sind, und spüre eine neue Klarheit in mir. Für       Wertenichmichleitenlasse
sie will ich da sein. Ich bin bereit.»

wwwfamilienlotsinnch

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Nachbarn - Solidarität in unsicheren Zeiten - Caritas Solothurn
Schwerpunkt

PrekäreArbeitLebenmit
der Unsicherheit
In der Corona-Krise zeigt sich: Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen sind stark
betroffen von den Pandemiemassnahmen. Prekäre Arbeit gibt es in der Schweiz
in verschiedenen Formen. Neben finanzieller Unsicherheit bringt sie oftmals eine
mangelhafte Absicherung und eingeschränkte Zukunftsperspektiven mit sich.
TextAnna-KatharinaThürerGrundlagenCaritasZürichIllustrationCorinneBromundt

D
      ie Schweiz verdankt einen Teil ihres wirtschaft-                 fall: Gerade in diesen Sektoren finden sich viele prekäre
      lichen Erfolgs einer vergleichsweise liberalen                   Arbeitsverhältnisse. Solche sind auch in Arbeitsformen
      Arbeitsgesetzgebung, die nur einen schwachen                     weitverbreitet, die über Online-Plattformen organisiert
Kündigungsschutz bietet und keine obligatorische                       werden (z.B. Reinigungs- oder Kurierarbeit). Diese wirt-
Krankentaggeldversicherung beinhaltet. Ausserdem                       schaften arbeitsrechtlich in einem Graubereich. Man
sind ganze Sektoren wie die Landwirtschaft oder Haus-                  kann also sagen: Prekäre Arbeitsverhältnisse werden
wirtschaft nicht dem Arbeitsgesetz unterstellt. Kein Zu-               oft gerade durch fehlende Regulierung begünstigt.

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Schwerpunkt

Arm trotz Erwerbsarbeit                                     Kommentar
Prekäre Arbeit bedeutet für die Betroffenen einen hohen
Grad an Unsicherheit und damit verbundene Zwänge.           Arbeit muss existenz-
Die Unsicherheit bezieht sich auf Arbeitszeiten (z.B.
auf Abruf zu arbeiten oder befristet angestellt zu sein),   sichernd sein
aber auch auf finanzielle Unsicherheit oder mangelhaf-
te Absicherung gewisser Risiken wie Arbeitslosigkeit,
Krankheit oder Altersarmut. Die Zahlen des Bundes           Die Corona-Krise hat deutlich ge-
weisen aus, dass sich prekäre Arbeit mehrheitlich in        macht, dass viele Menschen in der
den klassischen Tieflohnbranchen findet, beispielswei-      Schweiz in prekären Situationen
se im Gastgewerbe, in der Reinigung, aber auch in der       leben. Das trifft besonders auf Ar-
Dienstleistungsbranche und im Kunstbetrieb. Nicht           beitnehmende in Tieflohnstellen
alle Erwerbstätigen tragen ein gleich grosses Risiko        und ungeregelten Arbeitsverhält-
für prekäre Arbeit: Betroffen sind besonders häufig         nissen zu. Tieflohnbranchen wie
                                                            die Gastronomie, das Reinigungs-
                                                            gewerbe und der Detailhandel
                                                            sind infolge der Krise stark von
      Prekäre Arbeitsverhältnisse                           Kurzarbeit betroffen. 80 Prozent
      wirken sich auf viele andere                          Lohnersatz ist für die meisten An-
                                                            gestellten nicht existenzsichernd.
          Lebensbereiche aus.                               Kurzarbeit hat Entlassungen auch
                                                            nicht verhindert. Viele haben ihre
                                                            Einkommensquelle ganz verloren.
Frauen, jüngere Arbeitnehmende, Personen mit tiefem
Bildungsstand und Menschen ohne Schweizer Pass, vor         In Tieflohnbranchen sind befristete
allem solche mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Prekä-       Arbeitsverträge oder Arbeit auf Ab-
re Arbeitsverhältnisse wirken sich auf viele andere Le-     ruf im Stundenlohn weitverbreitet.
bensbereiche aus und erhöhen das Armutsrisiko.              Solche Arbeitsverhältnisse bieten
                                                            keinerlei Sicherheit. Das Gros der
Wenig Forschung                                             auf Abruf Angestellten hat kein
Stellt man jedoch Fragen zu prekärer Arbeit, so zeigt       garantiertes Minimum an Arbeits-
sich schnell, dass es hierzulande nur wenig Forschung       stunden und muss trotzdem jeder-
zum Thema gibt. Gemäss Zahlen des Bundes sind rund          zeit verfügbar sein. Braucht der
2,5 Prozent der Erwerbstätigen in prekären Arbeits-         Arbeitgeber sie nicht, bietet er sie
verhältnissen tätig. Diese Quote basiert allerdings auf     nicht auf. Kündigen muss er ihnen
einer sehr eng gefassten Definition von prekärer Ar-        nicht. Die Betroffenen haben ohne
beit, die einige Betroffenengruppen wie Sans-Papiers        Kündigung aber keinen Anspruch
und gewisse Arbeitsformen (z. B. gut bezahlte, aber         auf Arbeitslosengelder.
auf kurze Zeit befristete Arbeit) ausschliesst. Eine Er-
weiterung der Definition wäre wichtig, um das wahre         Die Caritas fordert, dass die Kurz-
Ausmass unsicherer Arbeit in der Schweiz zu erfassen        arbeitsentschädigung bei tiefen
und die Betroffenen besser zu schützen – und Armut          Einkommen 100 Prozent des Loh-
vorzubeugen.                                                nes entspricht. Zudem müssen Ar-
                                                            beitgebende verpflichtet werden,
Keine Absicherung in der Krise                              Arbeitsmodelle zur Verfügung zu
Die Corona-Krise hat uns einerseits vor Augen geführt,      stellen, die existenzsichernd sind.
wie stark wir als Gesellschaft von prekärer Arbeit ab-      Dazu muss insbesondere Arbeit
hängig sind. Andererseits wurde ersichtlich, wer be-        auf Abruf gesetzlich besser gere-
sonders schlecht vor Risiken geschützt ist. Deutlich        gelt werden. Und es braucht einen
wurde, wie das Schweizer System der arbeits- und so-        schweizweiten Mindestlohn.
zialversicherungsrechtlichen Sicherung, das sich stark
an einer unbefristeten Vollzeitstelle orientiert, an sei-
ne Grenzen stösst. Denn gerade für prekär Arbeitende        AlineMasé
steigt durch die Corona-Krise das Risiko für Verschul-      LeiterinFachstelleSozialpolitik
dung und Altersarmut.                                       CaritasSchweiz

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Persönlich

ChloéJahregehtindie Klasseundwohntin
BülachSiefindetesschöndassKinderanandere
MenschendenkenUndsichdarumkümmerndass
dieseauchinschwerenZeitenFreudehaben
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Persönlich

«Wann hast du zum letzten Mal jemandem
geholfen? Wobei?»
Bei allem Unbill, den das Coronavirus und die Massnahmen zum Schutz der Bevölke-
rung für Betroffene bedeutet: In der Krise gab und gibt es viel Solidarität. Mit kleinen
und grossen Gesten der Solidarität wird der Alltag für viele leichter. Oft braucht es
nicht viel, um Erleichterung zu verschaffen und Freude zu bereiten.

                    Ismail Mahmoud, Student,                                   Ingrid Breuss, Sekretärin,
                    Basel                                                      Freidorf
                    Kürzlich bei einer Schnitzeljagd                           Vor Kurzem hielt vor unserem
                    rannte ich auf der Suche nach dem                          Haus ein Auto. Die Lenkerin stieg
                    nächsten Posten durch den Bahn-                            aus. Ich vermutete, dass sie eine
                    hof Basel. Plötzlich sah ich, wie                          Autopanne hatte. Im Wagen sas-
eine Frau beim Einsteigen in einen Zug ausrutschte          sen eine ältere Frau und ein kleines Kind. Ich ging
und zu Boden fiel. Ich half ihr auf, unterhielt mich kurz   hin und fragte, ob ich helfen könne. Das verneinte
mit ihr, holte ihren Koffer unter der Eisenbahn hervor      die Fahrerin. Da es sehr heiss war, brachte ich ihnen
und begleitete sie in den Zug hinein. Danach schnapp-       etwas zu trinken und führte sie zu einem schattigen
te ich mir den dritten Rang bei der Schnitzeljagd.          Platz, wo sie auf den Pannendienst warten konnten.

                    Patrick Lang, Tramführer,                                  Lena Rodriguez, Schülerin,
                    Zürich                                                     Luzern
                    Eine Bekannte musste zwei defek-                           Wir gestalten im Handarbeitsun-
                    te Tagesdecken ersetzen. Da sie                            terricht gerade ein Kissen. Gestern
                    zur Covid-19-Risikogruppe gehört,                          habe ich einer Klassenkameradin
                    zögerte sie, in ein grosses Geschäft                       beim Bedrucken geholfen. Sonst
zu fahren, um neue Decken zu kaufen. Im Alltag geht         wäre sie nicht rechtzeitig fertig geworden und hätte
sie in ein lokales Geschäft einkaufen, bei dem sie          nachsitzen müssen. Dank meiner Hilfe konnten wir
weiss, wann es wenig Leute hat. Als sie mir dies er-        beide die Arbeit zum Schluss der Stunde abschlies-
zählte, bot ich ihr spontan an, die Decken für sie zu       sen. Ich finde es wichtig, dass wir in der Schule zu-
besorgen. Das war eine grosse Erleichterung für sie.        sammenhalten und uns gegenseitig unterstützen.

                     Seraina Brem, Praktikantin,                              Sophie Rutishauser,
                     Berikon                                                  Schülerin, Münsingen
                     Zuletzt geholfen habe ich in den                         Im Flussbad «Schwäbis» habe ich
                     Sommerferien. Als Leiterin war ich                       letzthin ein paar Kindern einen
                     zwei Wochen in einem Lager für                           Pneuschlauch gegeben. Eigent-
                     Kinder und Jugendliche. Dort fallen                      lich wollte ich ihn selbst benutzen.
verschiedene Aufgaben an: Kinder wecken, Programme          Doch ich merkte, dass die Kinder ebenso gerne auf
durch den Tag leiten, Rucksäcke packen, Lagertagebuch       ihm den Fluss hinuntertreiben wollten. Ich bin ihnen
schreiben und vieles mehr. Jedes Jahr freue ich mich auf    dann mitsamt dem Pneu flussaufwärts entgegenge-
das Lager, da es für mich schon als Kind immer ein tolles   schwommen, um ihn zu übergeben. Sie freuten sich
Erlebnis war. Nun konnte ich selbst im Team mitwirken.      sehr über das «Geschenk».

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Caritas Solothurn

Anlaufstelle in
Corona-Zeiten
Sozialberaterin Regina Zürcher berichtet im Interview, wie Caritas während der
­Corona-Zeit helfen konnte. Auf der Kirchlichen Sozialberatung (KSB) der Caritas
 Solothurn beriet sie Menschen, die von der Krise besonders getroffen wurden.
Interview: Nathalie Philipp    Foto: Annette Lüthi

Regina Zürcher, Sie leiten die Sozialberatungs-         ersten Mal in eine Sozialberatungsstelle. Sie mussten
stelle der Caritas in Solothurn und Grenchen.           schnell realisieren, dass die einmalige staatliche Un-
Wie haben Sie dort den Corona-Lockdown erlebt?          terstützung nicht lange reichen würde. Und der nächs-
Die Auswirkungen der Corona-Zeit kamen – wie die        te Schritt war dann für viele bereits der Gang zum Sozi-
Kurve selbst – schleichend. Erst durften keine Hände    alamt. Diese Erkenntnis hat sie schockiert. Einige, die
mehr geschüttelt werden, dann haben wir uns Desin-      zu uns kamen, waren wirklich in sehr schwierigen Si-
fektionsmittel angeschafft, und schliesslich mussten    tuationen, und es kam vor, dass Betroffene nichts mehr
wir unsere persönlichen Beratungen vor Ort bis auf      im Kühlschrank hatten.
wenige Angebote ganz einstellen und auf Telefonbe-
ratung umstellen. Plötzlich war es ruhig in unseren     Wie haben Sie in solchen Situationen geholfen?
Büroräumlichkeiten. Auch war es eine etwas einsa-       Dank der Spendenaktion der Caritas Schweiz und der
me Stimmung, da die Mitarbeiterinnen zeitweise im       Glückskette standen uns genügend finanzielle Mittel
Homeoffice arbeiteten und wir die Anwesenheit vor Ort   zur Verfügung, um den betroffenen Menschen zum
auf ein Minimum reduzierten.                            Beispiel mit der einmaligen Übernahme von dring-
                                                        lichen Rechnungen zu helfen. Je nachdem haben wir
Um was ging es in den Beratungen?                       Wohnungsmieten bezahlt oder Krankenkassenprämi-
Eindrücklich war die Vielfalt der Probleme, mit denen   en. Zudem haben wir Lebensmittelgutscheine ausge-
wir konfrontiert wurden. Nebst finanziellen Schwie-     geben, unter anderem für den Caritas Markt in Olten.
rigkeiten konnten beispielsweise plötzlich Partnerin-   Nebst finanzieller Unterstützung konnten wir die
nen oder Partner nicht mehr ein- oder ausreisen. Für    Menschen aber auch beraten oder eine vermittelnde
manche verzögerten sich Anstellungsverhältnisse, da     Rolle übernehmen, zum Beispiel wenn die Zuständig-
Ausbildungen wegen Corona nicht wie geplant beendet     keit für die Lohnaus- oder Lohnfortzahlung nicht ge-
werden konnten. Oder wieder andere hatten aus lauter    klärt war.
Angst vor einer Ansteckung das gesamte Geld für den
Kauf von Desinfektionsmittel ausgegeben. Allgemein      Ist Ihnen ein Fall besonders in Erinnerung
war eine grosse Verunsicherung zu spüren.               geblieben?
                                                        Beeindruckt hat mich besonders ein selbstständiges
Während wir normalerweise vor allem sogenannte          Markthändler-Paar. Da mehr und mehr Märkte und
Working Poor beraten, also Menschen, die trotz Ar-      Festivals abgesagt wurden, haben sie von einem Tag
beitsverhältnis am Existenzminimum leben, kamen         auf den anderen ihre einzige Einkommensquelle ver-
nun auch andere Gruppen hinzu, zum Beispiel Fah-        loren und konnten keine Miete mehr zahlen. Trotz
rende. Auch Selbstständige, die in der Gastronomie,     ihrer misslichen Situation strahlten beide enormen
der Eventbranche oder im Dienstleistungssektor tätig    Optimismus und Zuversicht aus. Sie haben alle Hebel
waren, bangten nun um ihre Existenz. Sie kamen zum      in Bewegung gesetzt, um einen Ausweg zu finden. Da

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Caritas Solothurn

Regina Zürcher in einer Beratung

alle Festivals, Märkte und Messen bis in den Herbst
hinein abgesagt wurden, haben sie diverse Städte und       Regionale Anlaufstellen für Menschen in Not
Gemeinden in der Schweiz angeschrieben und nach ei-        Die Sozialberatungsstellen der Caritas Aargau, Caritas
nem Standplatz gefragt. Diese Eigeninitiative und Zu-      beider Basel und Caritas Solothurn beraten und helfen
versicht haben mich beeindruckt.                           Menschen bei der Bewältigung von oft vielschichtigen
                                                           Problemen. Wenn staatliche Hilfen nicht greifen, leistet
Was ist Ihr Fazit aus der Corona-Zeit?                     Caritas Nothilfe.
Im Vergleich zu anderen Ländern hat sich in der
Schweiz während der Corona-Zeit klar gezeigt, dass         Mit Ihrer Spende können Sie die Arbeit der Caritas unter­
wir über ein sehr gutes und auch in Krisenzeiten gut       stützen. Herzlichen Dank!
funktionierendes Sozialversicherungssystem verfü-
gen. Eine grosse Mehrheit ist in formal geregelten Ar-     Caritas Aargau
beitsverhältnissen tätig. Und dennoch kam es auch          CH23 0900 0000 5000 1484 7
hier teils zu kritischen Engpässen. Da war es hilfreich,   www.caritas-aargau.ch
dass die Caritas rasch und unbürokratisch aushelfen
konnte. Das war unter anderem möglich, weil viele          Caritas beider Basel
Menschen in der Schweiz wirklich sehr grosszügig bei       CH26 0900 0000 4000 4930 9
der Glückskette gespendet haben. Es war schön, diese       www.caritas-beider-basel.ch
Solidarität zu erleben. Diese wird es weiterhin brau-
chen, denn viele sind aktuell immer noch in Kurzar-        Caritas Solothurn
beit oder müssen mit viel weniger Aufträgen als üblich     CH76 0900 0000 6053 8266 5
über die Runden kommen.                                    www.caritas-solothurn.ch

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Caritas Aargau

Femmes-Tische
goes Zoom
Der Bedarf an Informationen und Austausch war überall gross in der Corona-Zeit.
Umso mehr galt dies für Frauen, die keine der Landessprachen als Muttersprache haben.
Da gleichzeitig physische Treffpunkte wie «Femmes-Tische» pausieren mussten,
­wurden neue Wege beschritten.
Text: Nathalie Philipp    Bilder: Caritas Aargau

M
           eetu Mittal sitzt zu Hause vor ihrem Com-
           puter und startet die Zoom-Sitzung. Die In-
           derin ist Moderatorin im Projekt «Femmes-
           Tische» und hat seit März schon einige
Online-Gesprächsrunden mit einer Gruppe von Frau-
en mit Migrationshintergrund abgehalten. Der heuti-
ge Online-Femmes-Tisch wird in Deutsch stattfinden,
doch Meetu moderiert auch Femmes-Tische auf Eng-
lisch und Hindi, je nach Muttersprache der Teilneh-
merinnen. Nach und nach schalten sich vier weitere
Frauen verschiedener Nationalitäten zu der Online-
Sitzung hinzu, und das Gespräch beginnt. Da wir uns
noch mitten im Corona-Lockdown befinden, ist das
Thema heute das «Homeschooling» und seine Heraus-
forderungen. Viele der Frauen sind allein für die Er-    Bildschirmfoto von der digitalen Runde
ziehung der Kinder verantwortlich und möchten nun
wissen, wie sie ihren Alltag neu strukturieren können.
Rege erzählen sie von ihren Erfahrungen und geben        rin zu Hause oder auch einmal in einem Familientreff-
sich gegenseitig Tipps und Tricks, beispielsweise für    punkt oder in einem Café. So können sich die Frauen
das Hausaufgabenmachen oder für die Kommunikati-         vernetzen und ihre Sorgen teilen. Caritas bietet im
on mit Lehrpersonen.                                     Kanton Aargau Femmes-Tische in zwölf Sprachen an.

Das Projekt «Femmes-Tische»                              Lockdown im März 2020
Femmes-Tische ist ein Integrationsprojekt, bei dem re-   Mit dem Lockdown im März waren die zwölf Mode-
gelmässig Gesprächsrunden von fünf bis acht Frauen       ratorinnen plötzlich mit dem Versammlungsverbot
meist des gleichen Kulturkreises stattfinden. Organi-    konfrontiert. Gleichzeitig stieg der Bedarf der Teil-
siert und geleitet werden die Treffen von geschulten     nehmerinnen an Informationen und Austausch in der
Frauen mit Migrationshintergrund. Sie moderieren         Muttersprache. In dieser speziellen und verunsichern-
die Treffen in der Muttersprache oder teils auch auf     den Situation hatten die Teilnehmerinnen viele Fragen
Deutsch und geben anhand von Moderationsmateri-          zum Virus und zu den Corona-Schutzmassnahmen.
al Informationen zum Alltag in der Schweiz weiter. Je    «Da die Familien während des Lockdowns oft zusam-
nach Bedarf und Lebenssituation der Beteiligten wer-     men zu Hause waren, traten auch Themen wie die
den Erziehungs-, Gesundheits- oder Integrationsfra-      Kommunikation mit Jugendlichen, Konfliktmanage-
gen besprochen. Der Rahmen ist privat und sorgt für      ment oder der Schutz vor dem Passivrauchen stärker
Vertrauen. Die Frauen treffen sich bei einer Gastgebe-   als sonst in den Vordergrund », erklärt Nicole Wink-

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Caritas Aargau

Auch Moderatorin Graziela Veraldo Birrer moderiert neu Online-Femmes-Tische

«Ich habe schon oft von Femmes-                                   Das neue Online-Format kommt bei den Frauen gut
                                                                  an, und viele sind motiviert, die neuen Tools kennen-
Tische gehört. Dass ich jetzt online                              zulernen, um an den Treffen teilnehmen zu können:
dabei sein kann, ist für mich sehr                                «Immer mit den Kindern alleine zu sein, ist schwierig.
                                                                  Deshalb bin ich froh, dass wir die Femmes-Tische nun
gut. Ich habe viele wichtige Inputs                               per WhatsApp machen können. WhatsApp kenne ich.
bekommen.»                                                        Die Moderatorin hat gefragt, ob wir uns per Zoom tref-
                                                                  fen möchten. Vielleicht lerne ich nun auch Zoom ken-
Eine Brasilianerin am Ende der einstündigen Runde.
                                                                  nen», erzählt eine Syrerin.

                                                                  Die Erfahrungen mit diesen «digitalen» Femmes-Ti-
ler. Gemeinsam mit Kanchana Chandran leitet sie das               schen sind so positiv, dass überlegt wird, sie auch in
Projekt «Femmes-Tische». Da nun Innovation gefragt                Zukunft neben den physischen Treffen beizubehalten.
war, suchten die beiden nach Alternativen zu den phy-             Zwar entfallen bei den Online-Treffen wertvolle As-
sischen Treffen.                                                  pekte, zum Beispiel das anschliessende Picknick oder
                                                                  der gemeinsame Kaffee. Andererseits konnten durch
Telefonate und Online-Gruppengespräche                            die Online-Gespräche bereits neue Teilnehmerinnen
«Zunächst einmal haben wir telefonische Einzelge-                 gewonnen werden. Es handelt sich dabei um Frauen,
spräche etabliert. Die Moderatorinnen vereinbarten                die in ihrem vollen Alltag keine Zeit für weitere Termi-
mit den Frauen Telefontermine, in denen sie ihre An-              ne ausser Haus haben oder sich die Billette für den ÖV
liegen direkt besprechen konnten.» Zwischen April                 nicht leisten können. Femmes-Tische ist somit eines
und Mai wurden mit diesen Einzelgesprächen weit                   jener Projekte, bei dem sich die reale und die digitale
über 300 Frauen unterstützt. «Zusätzlich haben wir                Welt ergänzen können.
die neuen Online-Treffen ins Leben gerufen», berichtet
Nicole Winkler. Zuerst mussten die Moderatorinnen
eine Schulung erhalten und verschiedene Möglichkei-
ten von Tools wie Zoom kennenlernen. «Virtuelle Sit-
zungen zu moderieren, ist zudem anspruchsvoller»,                    Femmes-Tische Aargau
erklärt sie, «doch die Moderatorinnen haben schnell                  Wer interessierte Frauen kennt oder selbst gerne bei
gelernt, worauf sie achten können.» Vier Moderato-                   Femmes-Tische teilnehmen möchte, kann sich bei Co-
rinnen leiten inzwischen die Online-Gruppengesprä-                   Projektleiterin Kanchana Chandran melden.
che in den Sprachen Englisch, Hindi, Portugiesisch,
Arabisch, Italienisch und Deutsch. Auch WhatsApp                     kct@caritas-aargau.ch
ist möglich, für jene Teilnehmerinnen, die weder mit                 www.caritas-aargau.ch/femmes-tische
Zoom noch Skype vertraut sind.

Nachbarn 2 / 20                                                                                                             17
Caritas beider Basel

                                                                                                                           Bild: Domenico Sposato
Ein Mitarbeiter belädt den Lieferwagen des Caritas-Marktes mit Bestellungen.

Caritas-Lieferdienst für Baselland –
aus der Not geboren, bereits etabliert
Mittlerweile haben wir uns, zumindest mehr oder weniger, an COVID-19 und die dadurch
bedingten Einschränkungen gewöhnt. Hier geht es nun aber nicht um Verzicht, sondern
darum, wie Corona zur Triebfeder für eine Neuerung wurde.
Text: Cyril Haldemann

E
     s ging ganz schnell. Am 16.              Es ging darum, Armutsbetroffenen     menhalt, Zusammenarbeit und
     März kam der Lockdown:                   und -gefährdeten der Risikogruppe    Telefon. Pfarreien machen auf das
     Schlies­sung aller nicht überle­         aus dem Landkanton ohne Fahrt in     Angebot aufmerksam und stellen
benswichtigen Einrichtungen, da­zu            den städtischen Caritas-Markt den    den Kontakt der Kundinnen und
die dringende Empfehlung: «Blei-              Zugang zu erschwinglicher Grund-     Kunden zum Caritas-Markt her. Die
ben Sie zu Hause», vor allem an               versorgung zu garantieren. Zur Er-   telefonischen Bestellungen sind
Menschen ab 65 und solche mit Vor-            innerung: Damals waren Schutz-       persönliche Gespräche, bei denen
erkrankungen.                                 masken noch nicht verfügbar.         auch Zeit für einen Schwatz bleibt.
                                                                                   So verbindet der Lieferdienst das
Am 28. März schon begann die kon-             Zusammenhalt, Zusammen­              Praktische mit dem Menschlichen.
krete Konzeption des Caritas-Liefer-          arbeit und Telefon
dienstes für Baselland. Dazwischen            Also musste die Ware aus dem         Danach kommt die Ware vom Markt
lagen die auslösende Initiative des           Markt zu den Leuten gebracht wer-    zu den Pfarreien, deren Mitarbei-
Landeskirchenrats der Römisch-ka-             den. Da die Mittel und vor allem     tende die Einkäufe an die Kundin-
tholischen Kirche Basel-Landschaft,           die Zeit für die Entwicklung einer   nen und Kunden übergeben. Dabei
eine unkomplizierte Finanzierung              Online-Umsetzung fehlten, lag die    findet wiederum stärkende sozia-
und viele praktische Abklärungen.             Lösung in Altbewährtem: Zusam-       le Interaktion statt. Bei der leider

18                                                                                                       Nachbarn 2 / 20
Caritas beider Basel

                      notwendigen sozialen Distanz sind              schub tonnenweise aus den Last-        Sie sind Migranten, IV-Bezügerin-
                      solche Momente des Austauschs                  wagen geladen wird. Anlieferungen      nen, Alleinerziehende, Drogenkran-
                      von Mensch zu Mensch besonders                 beim Caritas-Markt fallen beschei-     ke, Rentner, Schwarzarbeiterinnen,
                      wertvoll. Das Angebot richtet sich             dener aus. Überhaupt ist hier alles    deren Arbeitgeber das Homeoffice
                      ausdrücklich an alle, die es brau-             etwas kleiner und etwas anders. Den    nun selbst putzen.
                      chen, unabhängig von ihrer Religi-             Kern des Teams bilden drei lang-       Hinter einer schlichten Stellwand
                      onszugehörigkeit.                              jährige Mitarbeiter, die ihre Kund-    neben der Kasse befindet sich das
                                                                     schaft bestens kennen. Sie hören       Büro des Caritas-Marktes. Seit ei-
                      Grundversorgung und                            zu, spenden Trost und geben prak-      nigen Monaten hört man von dort
                      Leckerbissen                                   tische Tipps, sprechen auch mal        immer wieder die Stimme des Mit-
                      Über den Lieferdienst sind alle               Klartext. Sie werden von Langzeit-     arbeiters, der den Nutzern des Lie-
                      Produkte erhältlich, die der Cari-             arbeitslosen eines Integrationspro-    ferdienstes das Sortiment erklärt
                      tas-Markt anbietet. Die Preise sind            gramms unterstützt. Als während        und ihre Bestellungen notiert. Spä-
                      gleich wie bei einem Einkauf vor               des Lockdowns diese Hilfe wegfiel,     ter wird er Tüten individuell abfül-
                      Ort, die Lieferung ist gratis. Das             sprangen andere in die Bresche: eine   len und anschreiben. Anfangs fuhr
                      Sortiment besteht im Wesentlichen              Studentin, eine Verkäuferin des vor-   sein Kollege die Ware zu den Basel-
                      aus frischen sowie haltbaren Le-               übergehend geschlossenen Caritas-      bieter Pfarreien, mittlerweile ma-
                      bensmitteln, den wichtigsten Toi­              Kleiderladens, zwei Mitarbeiter der    chen das Mitarbeitende des Vereins
                      lettenartikeln, Wasch- und Putz-               Geschäftsstelle.                       für Sozialpsychiatrie Baselland.
                      mitteln. Eine Packung Teigwaren
                      kostet 70 Rappen, das Kilo Toma-               Zusätzliche Aufgaben für das           Blick in die Zukunft
                      ten 2.70 Franken, die Schachtel                Verkaufspersonal                       Diese organisationsübergreifende
                      Wattestäbchen 65 Rappen. Immer                 Seit Corona ist die Anzahl Kundin-     Kooperation ist ein schönes Bei-
                      mal wieder hats Schnäppchen und               nen und Kunden, die sich gleichzei-    spiel dafür, wie sich nach dem
                      Leckerbissen, zum Beispiel Schach-             tig im kleinen Laden befinden dür-     Kaltstart zügig effiziente Abläufe
                      teln edler Pralinen für 2.90 Franken.          fen, streng geregelt. Also muss das    eingespielt haben. Überhaupt hat
                                                                     Team auch den Einlass regeln, was      sich der Lieferdienst rasch etab-
                      Ein buntes Team                                eine ausgewogene Mischung aus          liert. Bereits läuft die Planung für
                      Die Zentrale des Lieferdienstes ist            Einfühlungs- und Durchsetzungs-        die Weiterführung bis mindestens
                      der Caritas-Markt in Basel. Er liegt           vermögen erfordert. Alle Wartenden     Ende 2021. Denn es zeigt sich, dass
                      gleich neben dem Hintereingang                 eint ihre fundierte Kenntnis ökono-    der Lieferdienst besonders für
                      eines Grossverteilers, wo der Nach-            mischer Schattenseiten des Lebens.     alte und beeinträchtigte Menschen
                                                                                                            mit geringem Budget eine gros-
                                                                                                            se Hilfe ist, ganz unabhängig von
                                                                                                            Corona. Letztlich ist diese soziale
                                                                                                            Dienstleistung einfach eine neue
                                                                                                            Ausprägung dessen, was Caritas
                                                                                                            schon immer getan hat: Menschen
                                                                                                            helfen.

                                                                                                              Mit einer Spende können Sie
                                                                                                              diesen Betrieb unterstützen und
                                                                                                              langfristig sichern.

                                                                                                              Caritas beider Basel
                                                                                                              IBAN CH26 0900 0000
Bild: Roland Schmid

                                                                                                              4000 4930 9
                                                                                                              Vermerk: Lieferdienst

                                                                                                              www.caritas-beider-basel.ch
                      Warteschlange vor dem Caritas-Markt in Basel

                      Nachbarn 2 / 20                                                                                                           19
Caritas Aargau

Hilfe gibt es neu
auch online
Die Online-Hilfe der Caritas Aargau beantwortet drängende Fragen von Menschen,
die in Not geraten sind, und hilft ihnen, an Unterstützung zu kommen.
Text: Nathalie Philipp      Bilder: Daniela Zuim

Filipa César füllt neue Inhalte auf die Website.

E
         s muss jetzt schnell gehen. Ricardo M. (Name     men verschiedener Art und gibt Anleitungen. In sieben
         geändert) muss innert vier Tagen der Arbeits-    Sprachen ist die Online-Hilfe verfügbar, und auch Por-
         losenkasse zeigen, dass er seinen ehemaligen     tugiesisch ist für Ricardo M. dabei. Unter der Rubrik
         Arbeitgeber betrieben hat – die Kasse verlangt   «Geld & Schulden» findet er die Frage: «Wie kann ich
einen sogenannten «Zahlungsbefehl», sonst kann er         jemanden betreiben?». Rasch erhält er einfach ver-
keine Arbeitslosenentschädigung beantragen. Doch          ständliche Erklärungen und ein Musterdokument, das
was ist das? Der arbeitslose Portugiese hat von sei-      er dazu braucht, um tätig werden zu können. Auf ­diese
nem Arbeitgeber einige Wochen keinen Lohn mehr            Weise ist die Aufgabe schnell erledigt und ­Ricardo
erhalten, bevor ihm schliesslich gekündigt wurde. Das     ­einen Schritt weiter.
verlangte Vorgehen ist ihm ein Rätsel und die Be­griffe
unverständliches Bürokratendeutsch. In seiner Not         Die neue Online-Hilfe der Caritas ist seit Anfang Jahr
wendet er sich telefonisch an den Kirchlichen Regio­      aktiv. Für Menschen, die Unterstützung und Erklärun-
nalen Sozialdienst der Caritas, wo ihm die Sozialar-      gen in bürokratischen Fragen brauchen und sich eini-
beiterin eine pragmatische Lösung anbietet: Sie macht     germassen geübt im Internet bewegen, ist die Platt-
ihn auf die neue Online-Hilfe aufmerksam. Die Web­        form der Caritas ideal, um sich zu informieren und
site bietet etliche Antworten zu bürokratischen Proble-   sich einen Überblick zu verschaffen.

20                                                                                                Nachbarn 2 / 20
Caritas Aargau

In neun Rubriken werden die wichtigsten Themen er-
läutert, die für Menschen mit knappem Budget und in
schwierigen Lebenssituationen von Belang sein kön-
nen. Seit April ist als zehnter Punkt das Corona-Virus
hinzugekommen. Auch hier sind einfach und verständ-
lich Fragen und dazugehörende Antworten formuliert.

«Unsere Klientinnen und Klienten
sollen rasch und übersichtlich
Antworten zu häufig gestellten
Fragen finden.»
                                                          Filipa César (links) und Socorro Zimmerli vom Projektteam
Sozialarbeiterin Socorro Zimmerli

Einfach verständlich und in sieben Sprachen               Internet›, das hören wir immer mal wieder», sagt die
Das weitere grosse Plus der Website ist die Mehr­         Sozialarbeiterin. Es sei aber wichtig, die Hilflosigkeit
sprachigkeit. Deutsch, Italienisch, Spanisch, Portugie-   der Ratsuchenden nicht zu zementieren, fährt sie fort.
sisch, Französisch, Kroatisch und Englisch stehen zur     «Wir möchten unsere Klientinnen und Klienten ermu-
Verfügung. Bereits sind einige Formulare, die es für      tigen, so viel wie möglich an der Lösung von Proble-
Behördengänge und Anträge braucht, in alle Sprachen       men mitzuwirken. Das entlastet uns in den Beratungs-
übersetzt. Das hilft den Betroffenen enorm, um ein        stellen. Es bringt aber auch unseren Klientinnen und
Verfahren zu verstehen oder selbst anzustossen.           Klienten viel. Sie gewinnen mehr Sicherheit.»

«Wir wollen unseren Klientinnen und Klienten die
Möglichkeit geben, dass sie sich selbstständig infor-
mieren können und Antworten zu häufig gestellten
Fragen finden», sagt Sozialarbeiterin Socorro Zimmer-        Die neue Online-Hilfe
li. «Für viele Ratsuchende mit Migrationshintergrund
ist die Sprache die grösste Barriere. Diese haben wir        Fragen zu folgenden Themenkreisen werden in einfacher
nun überwunden.» Für Ratsuchende, die nicht weiter-          Sprache beantwortet:
kommen, besteht zudem die Möglichkeit, einfach eine            1. Soziale Sicherheit
Beratungsperson in der Nähe zu finden.                        2. Aufenthalt in der Schweiz
                                                              3. Geld & Schulden
Socorro Zimmerli ist bei Caritas zuständig für die Um-        4. Arbeit
setzung des Projekts. Zusammen mit weiteren erfah-            5. Wohnen
renen Sozialarbeitenden hat sie die häufigsten Fragen         6. Sprache & Integration
aus dem Beratungsalltag zusammengetragen und                  7. Partnerschaft & Kinder
fachliche Antworten formuliert. Rund zehn Freiwillige         8. Schule & Bildung
helfen ihr bei den nächsten Schritten: Zuerst muss der        9. Hilfe in der Not
Text kontrolliert und in «einfacher Sprache» formuliert      10. Corona-Virus
werden. Danach wird die Seite übersetzt und schliess-
lich auf die Website hochgeladen. «Bei der Bearbei-          Daneben können Ratsuchende eine Beraterin oder einen
tung der Texte lerne ich selbst viel über die Themen         Berater in der Nähe finden.
Sozialversicherungen, Sozialhilfe und andere wichtige
Themen in der Schweiz», erzählt Freiwillige Emanue-          Feedback und Mithilfe willkommen
le aus Italien, die gelegentlich beim Projekt mitwirkt.      Haben Sie Rückmeldungen zur neuen Online-Hilfe? Kommt
                                                             ein gewünschter Themenbereich zu kurz? Oder möchten
Raus aus der Hilflosigkeit                                   Sie freiwillig bei der Betreuung der Website helfen?
Und wie reagieren die Klientinnen und Klienten auf           Socorro Zimmerli freut sich auf Sie.
das Angebot? «Das Feedback zur Struktur und zur
Nutzerfreundlichkeit ist sehr gut», freut sich Zimmer-       sz@caritas-aargau.ch
li. Allerdings seien manche anfangs noch skeptisch,          online-hilfe.caritas-aargau.ch
das Tool zu nutzen. «‹Ich habe keine Ahnung vom

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Ichwillhelfen

JungeFreiwilligeverhindern
dieSchliessungderCaritas-Märkte
Ein einziger Aufruf genügte: Dank dem spontanen Einsatz von vielen jungen
Freiwilligen konnten die Caritas-Märkte in St. Gallen und Wil auch während
des Lockdowns geöffnet bleiben.
TextSusannaHeckendornBildGregorScherzinger

W
          er holt das Brot bei den
          Bäckereien in der Um-
          gebung, kontrolliert die
Waren, füllt Gestelle auf und steht
an der Kasse, wenn die Freiwilli-
gen von einem Tag auf den andern
zu Hause bleiben müssen, weil sie
aufgrund ihres Alters zur Risiko-
gruppe gehören? «Uns war klar,
dass der Lockdown unsere Kundin-
nen und Kunden besonders hart
treffen würde», erinnert sich Phi-
lipp Holderegger, Geschäftsleiter
der Caritas St. Gallen-Appenzell.
«Es stand deshalb ausser Frage,
die Caritas-Märkte zu schliessen.
Aber wer, das war die grosse He-              ZahlreichejungeFreiwilligehieltendenCaritas-MarktwährendderCorona-KriseamLaufen
rausforderung, sollte die Läden
betreiben?» Mit einem Aufruf auf
Facebook fanden sich innert weni-             in die Hand drücken durfte, was                schenkt.» Desirée wollte sich so-
ger Tage viele junge Freiwillige, die,        nicht gestattet ist, fiel ihm sehr             lidarisch zeigen und war beein-
anstatt im Lockdown zu Hause he-              schwer.                                        druckt, wie viele Menschen mit
rumzusitzen, etwas Sinnvolles tun                                                            sehr wenig zufrieden sind. «Es war
wollten.                                      Jael Dahinden und Desirée Stuck                schön, die grosse Dankbarkeit der
                                              studieren beide Soziale Arbeit.                Kundschaft zu spüren und mit den
Für Verena Keller, die sonst als              Die Mutter von Jael arbeitet jeden             Freiwilligen Solidarität zu leben.»
Hotelfachfrau arbeitet, war es eine           Mittwoch im Caritas-Markt und
völlig neue Erfahrung, dass jemand            gehört zur Risikogruppe. Spon-                 Sich zu engagieren und miteinan-
so froh ist, sie dabei zu haben und           tan entschied sich Jael, ihre Stell-           der etwas zu bewirken, so die ein-
ihr das auch zeigt. «Diese unerwar-           vertretung zu übernehmen. «Die                 hellige Meinung der temporären
tete Wertschätzung war enorm mo-              Arbeit im Caritas-Markt hat mir                Freiwilligen, ist eine tolle Erfah-
tivierend.» Ein paar ernüchternde             viele wertvolle Begegnungen ge-                rung, die sie nicht missen möchten.
Erkenntnisse gewann Fabian Bal-
mer. Nie hätte er gedacht, dass es
                                                 WOLLENSIESICHAUCHFREIWILLIGENGAGIEREN?
so viele armutsbetroffene Schwei-
zerinnen und Schweizer gibt. «Es                 AlsFreiwilligeoderFreiwilligerlernenSieMenschenmitanderenPerspektiven
war sehr hart mitzuerleben, wie                  kennen Sie helfen im Alltag und machen Integration möglich Sie können Ihr
jemand etwas zurücklegen muss,                   Wissen weitergeben und Neues dazulernen Die Freiwilligenangebote unter-
weil ihm an der Kasse 40 Rappen                  scheidensichvonRegionzuRegionBieinformierenSiesichaufderWebsite
fehlen.» Dass er der Person nicht                derCaritas-OrganisationinIhrerRegion
einfach zwei Zwanzigrappenstücke

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