Hilfe für die öffentlichen Wohnzimmer - profil.bayern

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Hilfe für die öffentlichen Wohnzimmer
Das Gastgewerbe ist seit den ersten Tagen unmittelbar von den Folgen der Corona-
Pandemie betroffen. Im Gespräch mit „Profil“ berichtet der Landesgeschäftsführer
des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA Bayern, Thomas Geppert,
was die staatlichen Hilfen in der Gastronomie bewirken und welche besonderen
Unterstützungsmaßnahmen die Branche benötigt.

Interview: Burkhard Rüdiger, Redaktion „Profil“
Foto: picture alliance/ZUMA Press

Herr Geppert, die Gastronomie gehörte zu den ersten Leidtragenden der Corona-
Krise. Wie stellt sich die Situation des Gastgewerbes aktuell dar?

Profil – Das bayerische Genossenschaftsblatt – Ausgabe 04 2020
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Thomas Geppert: Die Zukunft vieler der 40.000 Unternehmen des bayerischen
Gastgewerbes mit seinen 447.000 Erwerbstätigen ist akut bedroht, wenn nicht
schnell gehandelt wird. Es geht um die Existenz der „öffentlichen Wohnzimmer“
unserer Gesellschaft. Ohne schnelle und effektive Hilfe sind Insolvenzen
programmiert. Zehntausende Arbeitsplätze werden verloren gehen. Unsere Betriebe
haben eine große wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung für unser Land –
in der Stadt wie in den Regionen. Es besteht akuter Handlungsbedarf!

Mein Eindruck: Die Maßnahmen von Landes- und Bundesregierung machen mich
optimistisch, sie reichen jedoch bei Weitem nicht. Und: Die Hilfen müssen jetzt
kommen, nicht morgen und nicht übermorgen. Die Betriebe brauchen neben den auf
den Weg gebrachten Liquiditätshilfen und der Möglichkeit von Steuerstundungen
auch Steuerentlastungen, vor allem die Anpassung des Umsatzsteuersatzes für die
Gastronomie auf sieben Prozent.

Was ist das Besondere an der Situation der Gastronomie?

Geppert: Im Gegensatz zu allen anderen Wirtschaftskrisen sind die Umsätze bei
unseren Betrieben von einem Tag auf den anderen weggebrochen. Zudem gibt es im
Gastgewerbe keinen Nachholeffekt. Das Zimmer, das heute nicht belegt war, das
Essen, das heute nicht verkauft wurde, kann nicht nachgeholt werden. Viele Betriebe
haben auch keine Liquiditätsspielräume. Gastgewerbliche Betriebe zu retten, hat
eine große Bedeutung vor allem im ländlichen Raum: Denn wer ist denn da noch?
Ohne diese Betriebe brechen regionale Wirtschaftskreisläufe zusammen.

Sie fordern für die Gastronomie einen Nothilfefonds ähnlich dem für Landwirte
während der Dürrekatastrophe 2018. Warum diese Forderung, und wie genau soll
dieser Fonds aussehen?

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Gastgewerbe zu retten, hat eine große Bedeutung für den ländlichen Raum, sagt DEHOGA-
Landesgeschäftsführer Thomas Geppert. Foto: DEHOGA Bayern

Geppert: Die bislang getroffenen Maßnahmen der Bundesregierung sowie der
Landesregierungen stellen für viele Betriebe keine wirkliche Hilfe dar. Diese
erwarten eine Entschädigung. Denn aufgrund der allgemeinen Verfügungen haben
die Betriebe in den letzten Wochen existenziell bedrohliche Umsatzeinbußen
erlitten, die meisten Betriebe sind seit Mitte März sogar geschlossen. Das Problem
ist: Die Soforthilfen der Länder setzen teilweise voraus, dass erst das private
Vermögen geopfert werden muss, bevor die Fördergelder in Höhe von 5.000 bis
maximal 30.000 Euro pro Betrieb fließen können. Will heißen: Derjenige, der heute
nichts hat, bekommt die Gelder sofort. Wer gut gewirtschaftet hat und zum Beispiel
für die Altersvorsorge Gelder zurückgelegt hat, hat das Nachsehen. Dafür gibt es
kein Verständnis.

Auch das Anbieten von KfW-Krediten hilft nicht wirklich: Viele Wirte haben bereits

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hohe Verbindlichkeiten, weitere Kredite gibt es nicht. Es sei denn, der Unternehmer
wäre bereit und auch noch in der Lage, sein gesamtes privates Vermögen als
Sicherung zur Verfügung zu stellen. Mein Fazit: Der Mittelstand fällt durchs Raster
des Schutzschilds. Es kann und darf nicht sein, dass er am Ende der Krise nur mit
höheren Kreditverbindlichkeiten dasteht.

Nicht anders sieht es mit Kurzarbeitergeld aus. Nahezu alle Betriebe der Branche
haben keine Erfahrung mit der Beantragung von Kurzarbeitergeld. In den
Arbeitsagenturen wurden die Kapazitäten für die Bearbeitung der Anträge in den
letzten zehn Jahren runtergefahren, weil keine Nachfrage da war. In dieser
Konstellation treffen unsere Betriebe vielfach auf völlig übelastete Arbeitsagenturen
und erhalten die Auskunft, dass die Erstattung des Kurzarbeitergelds erst Ende
April/Anfang Mai oder zum Beispiel erst im Juni erfolgen soll.

Was schlagen Sie vor?

Geppert: Die Hilfsmaßnahmen müssen schneller und direkter werden. Warum weist
man nicht als zusätzlichen Rettungsweg den Finanzämtern eine Schlüsselrolle zu?
Selbstverständlich sollten nicht nur alle Steuervorauszahlungen sofort gestoppt
werden. Die Infrastruktur kann vielmehr auch genutzt werden, um liquide Mittel
direkt auf die Firmenkonten einzuzahlen. Wer in der Vergangenheit hohe
Steuerzahlungen geleistet hat, sollte in der Corona-Krise jetzt einen erheblichen Teil
seiner Steuerzahlungen des vergangenen Jahres einfach innerhalb weniger Tage
zurücküberwiesen bekommen. So eine „negative Gewinnsteuer“ könnte eine
schnelle, unbürokratische und gerechte Liquiditätsversorgung sein. Je nach Dauer
der Krise könnte später via ohnehin fälliger Steuererklärung abgerechnet und
Einzelfallgerechtigkeit hergestellt werden.

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Aktuell übernehmen die öffentlichen Förderanstalten wie die KfW oder die LfA
Förderbank Bayern 80 beziehungsweise 90 Prozent des Kreditrisikos bei Corona-
Liquiditätshilfen. Wieso reicht das aus Ihrer Sicht für das Gastgewerbe nicht aus?

Geppert: Es reicht nicht aus, weil die Hausbanken eine absolute Sicherheit haben
wollen. Um die restlichen Prozentpunkte abzudecken, verlangen die Banken
Sicherheiten, die unsere Betriebe oftmals nicht erfüllen können.

Sie sprachen anfangs außerdem die Anpassung des Umsatzsteuersatzes an…

Geppert: Keine Frage, die vorstehenden Maßnahmenvorschläge haben absolute
Priorität, insbesondere wenn keine Umsätze getätigt werden. Gleichwohl werben wir
auch dafür, ein Mut machendes Signal an die überwiegend mittelständischen
Unternehmer unserer Branche in dieser Ausnahmesituation zu prüfen. Gute
Wirtschaftspolitik zeichnet sich bekanntermaßen auch dadurch aus, dass sie
Menschen in Notlagen Perspektiven vermittelt. Mit der in Aussichtstellung des
reduzierten Mehrwertsteuersatzes für gastronomische Umsätze könnte ein solches
wertvolles Signal gegeben werden. Die Unternehmen hätten dann Spielräume, ihre
Verbindlichkeiten zu tilgen und die auflaufenden Umsatzausfälle könnten teilweise
kompensiert werden.

Herr Geppert, vielen Dank für das Interview!

WEITERFÜHRENDE LINKS

        Die Webseite des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA Bayern

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