Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Auerhuhnvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen
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Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Auerhuhnvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen
IMPRESSUM HERAUSGEBER Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg Kernerplatz 9, 70182 Stuttgart, www.um.baden-wuerttemberg.de Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg Kernerplatz 10, 70182 Stuttgart, www.mlr.baden-wuerttemberg.de BEARBEITUNG UM, Referat 72 - Arten- und Habitatschutz, Kompensations- und Ökokontomanagement MLR, Referat 56 – Jagd und Wildtiermanagement Unter Beteiligung der Unterarbeitsgruppe Windenergie und Auerhuhn im Rahmen der Taskforce Erneuerbare Energien STAND Juli 2022
INHALTSVERZEICHNIS 1 ANWENDUNGSBEREICH ..................................................................................................... 1 2 RECHTLICHER RAHMEN .................................................................................................... 2 2.1 SCHUTZ DES AUERHUHNS INNERHALB VON NATURA 2000-GEBIETEN: § 34 BNATSCHG ..... 2 2.2 ZUGRIFFSVERBOTE DES § 44 ABS. 1 BNATSCHG.................................................................... 3 2.2.1 Tötungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG .................................................................... 4 2.2.2 Störungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG................................................................... 4 2.2.3 Verbot der Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG ........................................................................................................................................ 5 2.3 EINGRIFFSREGELUNG: §§ 13 FF. BNATSCHG .......................................................................... 6 3 FACHLICHE GRUNDLAGEN ............................................................................................... 8 3.1 DIE SITUATION DER AUERHUHN-POPULATION DES SCHWARZWALDS ................................... 8 3.1.1 Aktuelle Auerhuhnverbreitung......................................................................................... 8 3.1.2 Populationsverbundflächen ............................................................................................. 8 3.2 AKTIONSPLAN AUERHUHN ...................................................................................................... 9 3.3 MASSNAHMENPLAN 2022-2027 .............................................................................................. 9 3.4 WIRKUNG VON WINDENERGIEANLAGEN AUF AUERHUHN-POPULATIONEN ......................... 10 4 VORGEHEN ZUR BESCHLEUNIGUNG DER INTEGRATION VON WINDENERGIENUTZUNG UND AUERHUHNSCHUTZ ........................................................... 12 4.1 KEINE RESTRIKTIONEN.......................................................................................................... 12 4.2 RESTRIKTIONEN ..................................................................................................................... 12 4.3 AUSSCHLUSSEMPFEHLUNG.................................................................................................... 12 4.4 POPULATIONSVERBUNDFLÄCHEN ......................................................................................... 13 5 REGIONAL- UND BAULEITPLANUNG............................................................................ 15 5.1 GENERELLE HINWEISE .......................................................................................................... 15 5.1.1 Natura 2000................................................................................................................... 15 5.1.2 Artenschutz .................................................................................................................... 15 5.2 ERFASSUNG ........................................................................................................................... 15 5.3 BEWERTUNG .......................................................................................................................... 16 6 IMMISSIONSSCHUTZRECHTLICHES GENEHMIGUNGSVERFAHREN ................ 17 6.1 NATURA 2000 ........................................................................................................................ 17 6.1.1 Generelle Hinweise ....................................................................................................... 17 6.1.2 Hinweise für die Vor- und Verträglichkeitsprüfung ...................................................... 17 6.1.3 Vermeidung, Schadensbegrenzungsmaßnahmen ........................................................... 18 6.1.4 Abweichung gem. § 34 Abs. 3 BNatSchG ...................................................................... 20 6.2 ARTENSCHUTZ ....................................................................................................................... 20 6.2.1 Generelle Hinweise ....................................................................................................... 20 6.2.2 Datenrecherche ............................................................................................................. 21 6.2.3 Erfassung Fortpflanzungsstätten ................................................................................... 24 6.2.4 Auswertung .................................................................................................................... 27 6.2.5 Bewertung...................................................................................................................... 27 6.2.6 Vermeidungs- und Schutzmaßnahmen ........................................................................... 28 6.2.7 Vermeidungs- und CEF-Maßnahmen bei Beschädigung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG) ................................................................................... 29 6.2.8 Ausnahme gem. § 45 Abs. 7 BNatSchG ......................................................................... 30 6.3 EINGRIFFSREGELUNG ............................................................................................................ 31 6.3.1 Generelle Hinweise ....................................................................................................... 31
ANHANG........................................................................................................................................... 33 A. VERMEIDUNGS- UND SCHUTZMASSNAHMEN BEIM STÖRUNGSTAT-BESTAND (§ 44 ABS. 2 NR. 2 BNATSCHG) UND CEF-MASSNAHMEN BEI BESCHÄDIGUNG VON FORTPFLANZUNGS- UND RUHESTÄTTEN (§ 44 ABS. 1 NR. 3 BNATSCHG) ..................... 33 A.1 ALLGEMEINE ANFORDERUNGEN AN ERFORDERLICHE MASSNAHMEN .................................... 33 A.2 PRAXISANLEITUNG ZUR HERLEITUNG DES FLÄCHENAUSGLEICHS .......................................... 33 A.3 SCHUTZMASSNAHMEN ............................................................................................................. 34 A.3.1 Lage der Schutzmaßnahmen/Anforderungen an den Maßnahmenstandort................... 34 A.3.2 Größe der Schutzmaßnahmen........................................................................................ 35 A.3.3 Maßnahmentypen .......................................................................................................... 35 A.3.4 Zeitliche Dauer bis zur Wirksamkeit ............................................................................. 37 A.3.5 Anforderungen an Schutz- und Ausgleichskonzept ........................................................ 37 A.3.6 Anforderungen an Dokumentation der Maßnahmen nach Maßnahmen- umsetzung .... 38 A.3.7 Schema zur Auerhuhnhabitatpflege in Jungbeständen .................................................. 38
1 1 ANWENDUNGSBEREICH Der Bau und der Betrieb von Windenergieanlagen können im Konflikt mit den Zielen des gesetzlichen Auerhuhnschutzes stehen. Daher muss bei der Genehmigung von Windenergieanlagen geprüft werden, ob naturschutzrechtliche Vorschriften entgegenstehen und gegebenenfalls naturschutzfachliche Maßnahmen festgelegt werden müssen, die einen Verstoß gegen naturschutzrechtliche Vorschriften ausschließen. Die vorliegenden gemeinsamen Hinweise (im Folgenden „Planungsgrundlage“) des Ministeriums für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, welche unter Einbeziehung der fachlichen Grundlagen der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) erarbeitet wurden, sollen einen landesweit einheitlichen, an fachlichen Kriterien und dem aktuellen Wissensstand ausgerichteten Verwaltungsvollzug unterstützen und die Verfahren insgesamt beschleunigen. Die Planungsgrundlage konkretisiert zum einen die artenschutzrechtliche Prüfung im Sinne der §§ 44 f. BNatSchG für das Auerhuhn bei immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen. Darüber hinaus gibt sie Hinweise zur Berücksichtigung der Auerhuhnbelange bei einer Betroffenheit von Natura 2000-Gebieten sowie bei der Abarbeitung der Eingriffsregelung. Sie kann von den Trägern der Bauleitplanung als Hilfestellung herangezogen werden. Für die Gutachterinnen und Gutachter bietet die Planungsgrundlage im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung eine wichtige Orientierungshilfe. Weiterhin werden Hilfestellungen gegeben, um die naturschutzrechtlichen Anforderungen im Rahmen von Verträglichkeitsprüfungen in und im Umfeld von Europäischen Vogelschutzgebieten abzuarbeiten. Die vorliegende Planungsgrundlage löst die bisherige Planungsgrundlage Windenergie und Auerhuhn aus dem Jahr 2012 und folgende ab. Folgende Vollzugshilfen finden daher keine Anwendung mehr: Planungsgrundlage Windenergie und Auerhuhn (bisher abrufbar unter: http://www.fva- bw.de/forschung/bui/windenergie_auerhuhn.html) Bewertungshilfe Planungsgrundlage Windkraft und Auerhuhn (abrufbar unter: http://www.fva-bw.de/forschung/bui/windenergie_auerhuhn.html) Erläuterungen zur Bewertungshilfe Planungsgrundlage Windkraft und Auerhuhn (abrufbar unter: http://www.fva-bw.de/forschung/bui/windenergie_auerhuhn.html) Erhebungsstandards zum Auerhuhn im Rahmen der speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (abrufbar unter: http://www.fva-bw.de/forschung/bui/windenergie_auerhuhn.html) Vor der Veröffentlichung der neu gefassten Planungsgrundlage begonnene Verfahren (Verfahren gelten als begonnen, wenn die erforderlichen Abstimmungen mit der zuständigen Naturschutzbehörde offiziell begonnen worden sind) können auch nach der bisherigen Planungsgrundlage weitergeführt werden, soweit diese für den Bau und den Betrieb von Windenergieanlagen günstigere Regelungen vorsieht. Neuen Verfahren ist ausschließlich die vorliegende Planungsgrundlage zugrunde zu legen. Die Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Vogelvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen (UM & LUBW 2021) bleiben von der vorliegenden Planungsgrundlage unberührt. Es ist geplant, die Planungsgrundlage auf der Grundlage neuer Erkenntnisse regelmäßig fortzuschreiben.
2 2 RECHTLICHER RAHMEN Der Bau und der Betrieb von Windenergieanlagen kann zu einer Beeinträchtigung des Auerhuhns sowohl auf der Individuenebene als auch auf Ebene der Populationen führen. Art und Schwere der Beeinträchtigungen hängen dabei in besonderem Maße von den Umständen des Einzelfalls ab. Auf Grundlage der aktuell vorliegenden Erkenntnisse können folgende Beeinträchtigungen auftreten: Scheuch-/Störwirkung und damit einhergehende Lebensraumentwertung im Umfeld von Windenergieanlagen (Brut- und Balzhabitate, Nahrungshabitate) Barrierewirkungen durch Zerschneidung von Verbundkorridoren Kollisionen mit Masten von Windenergieanlagen 2.1 SCHUTZ DES AUERHUHNS INNERHALB VON NATURA 2000-GEBIETEN: § 34 BNATSCHG Projekte in Natura 2000-Gebieten sind vor ihrer Zulassung oder Durchführung im Rahmen einer sog. Vorprüfung dahingehend zu überprüfen, ob sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen. Ist diese grundsätzliche Eignung zu bejahen, muss eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt werden (§ 34 Abs. 1 BNatSchG). Wenn diese ergibt, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig (§ 34 Abs. 2 BNatSchG). In Europäischen Vogelschutzgebieten, die (auch) für das Auerhuhn ausgewiesen wurden, kann die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des betroffenen Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen. Die Erhaltungsziele der Vogelschutzgebiete (§ 7 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG) werden durch die Verordnung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum zur Festlegung von Europäischen Vogelschutzgebieten (VSG-VO) vom 5. Februar 2010 (GBl. 2010, S. 37) definiert. Wichtige Erhaltungsziele für Auerhuhn-Vogelschutzgebiete sind u.a. die Erhaltung der Balzplätze, die Erhaltung von Biotopverbundkorridoren, von störungsfreien oder zumindest störungsarmer Fortpflanzungs- und Ruhestätten und von lichten, mehrschichtigen und strukturreichen Nadel- oder Mischwäldern, insbesondere mit Anteilen von Tanne und Buche sowie einer gut entwickelten, beerenstrauchreichen Bodenvegetation sowie der Erhalt der genetischen Ausstattung der angestammten Population, die an die hiesigen Lebensbedingungen angepasst ist. Ferner sind die Lebensräume ohne Gefahrenquellen, beispielsweise Windenergieanlagen, zu erhalten. In der Verträglichkeitsprüfung ist zu untersuchen und anhand objektiver Umstände zu ermitteln, ob ein Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura 2000-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgebenden Bestandteilen führen kann. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintretens erheblicher Beeinträchtigungen genügt, um zunächst die Unzulässigkeit eines Projekts oder Plans auszulösen. Dabei kann es im Einzelfall erforderlich sein, neben den festgelegten Erhaltungszielen auch weitere Gebietsbestandteile in die Verträglichkeitsprüfung einzubeziehen, die für die Herstellung eines günstigen Erhaltungszustands des Auerhuhns als maßgeblich einzustufen sind, auch wenn sie derzeit nicht vom Auerhuhn besiedelt sind. Die Erhaltungsziele schließen Windenergieanlagen allerdings nicht generell aus. Auch in Europäischen Vogelschutzgebieten für das Auerhuhn können Windenergieanlagen im konkreten Einzelfall zulässig sein, wenn die durch sie verursachten Beeinträchtigungen entweder von vornherein als unerheblich einzustufen sind oder aber eine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle durch geeignete Schadensbegrenzungsmaßnahmen verhindert werden kann.
3 Entscheidendes Beurteilungskriterium für die Erheblichkeit von Beeinträchtigungen von Vogelarten in Europäischen Vogelschutzgebieten ist der günstige Erhaltungszustand der gemäß den Erhaltungszielen geschützten Arten. Ein günstiger Erhaltungszustand einer Art muss trotz Durchführung des Projekts stabil bleiben, ein bestehender schlechter Erhaltungszustand darf nicht weiter verschlechtert werden. Ist eine Population in der Lage, nach einer Störung wieder zum ursprünglichen Gleichgewicht zurückzukehren, sei es, dass sie für ihren dauerhaften Bestand in der bisherigen Qualität und Quantität auf die verlorengehende Fläche nicht angewiesen ist, sei es, dass sie auf andere Flächen ohne Qualitäts- und Quantitätseinbußen ausweichen kann, so bleibt ein günstiger Erhaltungszustand erhalten und ist demgemäß eine erhebliche Beeinträchtigung zu verneinen. Da Populationen in isolierten Lebensräumen insbesondere wegen des notwendigen genetischen Austauschs, oft aber auch wegen ihrer Lebensgewohnheiten in vielen Fällen nicht auf Dauer erhalten werden können, ist der Schutz der Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Gebieten und Gebietsteilen unverzichtbar. Dies ist für das Auerhuhn von sehr hoher Bedeutung. Beeinträchtigungen dieser Austauschbeziehungen, z.B. durch Unterbrechung von Flugrouten und Wanderkorridoren, unterfallen mithin dem Schutzregime des Gebietsschutzes.1 In der VSG-VO ist die Erhaltung der genetischen Ausstattung der angestammten Population, die an die hiesigen Lebensbedingungen angepasst ist, als Erhaltungsziel für die jeweiligen Vogelschutzgebiete festgelegt. Selbst wenn die betroffenen Flächen nur zur Gewährleistung eines wirksamen Umgebungsschutzes in das Gebiet einbezogen wurden, können die Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke doch nachteilig berührt werden, wenn die ihnen im Interesse der Erhaltung von Lebensraumtypen oder Arten zugedachte „Pufferfunktion“ entfällt oder diese in ihrer Wirksamkeit gemindert wird.2 Eine Wirkung von außerhalb „in das Gebiet hinein“ und eine Verschlechterung des Gebiets durch diese Wirkungen sind ebenfalls möglich.3 Bei der Beurteilung von erheblichen Beeinträchtigungen sind Maßnahmen zur Vermeidung von Beeinträchtigungen sowie Schutz- und Kompensationsmaßnahmen zu berücksichtigen. Sofern über diese Maßnahmen sichergestellt werden kann, dass der Erhaltungszustand der Art stabil bleibt, liegt keine erhebliche Beeinträchtigung vor4. 2.2 ZUGRIFFSVERBOTE DES § 44 ABS. 1 BNATSCHG § 44 Abs. 1 BNatSchG formuliert verschiedene Zugriffsverbote für besonders bzw. streng geschützte Tierarten. So ist es unter anderem verboten, wild lebende Tiere der besonders geschützten Arten zu verletzen oder zu töten (Tötungsverbot, § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG), wild lebende Tiere der streng geschützten Arten sowie der europäischen Vogelarten erheblich zu stören (Störungsverbot, § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG) und die Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten zu beschädigen oder zu zerstören (Beschädigungsverbot, § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG). Zu den besonders geschützten Tierarten gehören nach § 7 Abs. 2 Nr. 13 BNatSchG unter anderem alle europäischen Vogelarten (vgl. Art. 1 Vogelschutz-RL). Der individuenbezogene Ansatz der artenschutzrechtlichen Vorschrift verlangt der Rechtsprechung zufolge Ermittlungen, deren Ergebnisse die zuständige Behörde in die Lage versetzen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verbotstatbestände zu überprüfen. Hierfür benötigt sie Daten zur Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie deren Lebensstätten im Eingriffsbereich. Nur in Kenntnis dieser Fakten kann die Behörde beurteilen, ob Verbotstatbestände erfüllt sind. Diese Daten verschafft sich die Behörde in der Regel durch vom Antragsteller vorgelegte fachgutachterliche Bestandsaufnahmen vor Ort und Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse aus Fachkreisen oder 1 BVerwG, NVwZ 2010, 1225, Rn. 33. 2 Landmann/Rohmer, UmweltR / Gellermann, BNatSchG, § 34 Rn. 10. 3 BVerwG, NVwZ 1998, 961. 4 Vgl. BVerwG, Urt. vom 17.Januar 2007, Az. 9 A 20/05, Rn. 43 ff.
4 Literatur. Die Untersuchungstiefe hängt maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.07.2009, Az.: 4 C 12.07, Rn. 44 m.w.N.). Im Rahmen einer speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung (saP) ist zunächst zu klären, ob und in welchem Umfang das geplante Vorhaben gegen die Zugriffsverbote nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG verstößt. Es ist mithin zu prüfen, ob die oben genannten Beeinträchtigungen die nachfolgenden Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG verwirklichen. 2.2.1 Tötungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG Grundsätzlich ist zwar jede Tötung von Exemplaren besonders geschützter Arten gemäß § 44 Absatz 1 Nummer 1 BNatSchG verboten. Im Zusammenhang mit der Genehmigung von Windenergieanlagen ist jedoch das einschränkende Merkmal der vorhabenbedingten, signifikanten Erhöhung des Tötungs- und Verletzungsrisikos i. S. d. § 44 Absatz 5 Satz 2 Nummer 1 BNatSchG zu beachten. In der Literatur sind mehrere Fälle dokumentiert, in denen Auerhühner mit dem Turm einer Windenergieanlage kollidierten. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass für Auerhühner ein erhöhtes Kollisionsrisiko an Windenergieanlagen besteht. Die Art gehört daher nach aktuellem wissenschaftlichem Stand nicht zu den kollisionsgefährdeten Arten, so dass ein Verstoß gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG i. d. R. nicht einschlägig ist. 2.2.2 Störungsverbot § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG Diese Vorschrift verbietet erhebliche Störungen während der für die Arterhaltung sensiblen Phasen (Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten). Eine Störung kann grundsätzlich durch Beunruhigungen und Scheuchwirkungen, zum Beispiel infolge von Bewegungen, Lärm oder Licht/Schattenwurf eintreten. Unter das Verbot fallen auch Störungen, die durch Zerschneidungs- oder optische Wirkungen hervorgerufen werden.5 Das Auerhuhn gehört nach dem aktuellen Kenntnisstand zu den störungsempfindlichen Vogelarten. Eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich der Erhaltungszustand der lokalen Population des Auerhuhns durch die Störung verschlechtert. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Population ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Überlebenschancen, der Bruterfolg oder die Reproduktionsfähigkeit vermindert werden6 und sich als Folge der Störung die Größe oder der Fortpflanzungserfolg der lokalen Population nachhaltig verringert7. Bei landesweit seltenen Arten mit geringen Populationsgrößen, wie dem Auerhuhn, kann eine Verschlechterung bereits dann vorliegen, wenn die Fortpflanzungsfähigkeit, der Bruterfolg oder die Überlebenschancen einzelner Individuen beeinträchtigt oder gefährdet werden8. Die erhebliche Störung muss im jeweiligen Einzelfall untersucht und beurteilt werden. Störungen können nach der Rechtsprechung9 sowie der Rechts- und Fachliteratur10 durch geeignete Maßnahmen unter die Erheblichkeitsschwelle gesenkt werden. Kann die betroffene Population bestimmte nachteilige Wirkungen durch Ausweichen auf andere, unbesetzte Lebensräume und/oder auf eigens dafür hergestellte Habitate (Schadensvermeidungsmaßnahmen) in absehbarer Zeit auffangen, liegt keine erhebliche Störung vor.11 5 LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, https://www.bfn.de/ fileadmin/MDB/documents/themen/eingriffsregelung/lana_unbestimmte%20Rechtsbegriffe.pdf, S. 5. 6 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zu § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG; vgl. auch LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 5. 7 LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 6. 8 LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 6. 9 BVerwG, Urt. vom 14.04.2010, 9 A 5.08 und Urt. v. 12.3.2008, 9 A 3.06; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. vom 06.11.2012, 8 B 441/12; OVG Lüneburg, Urt. vom 01.12.2015, Rn. 52. 10 Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG-Kommentar, § 44 Rn. 27; Frenz/Müggenborg, BNatSchG-Kommentar, § 44 Rn. 12; Louis, NuR 2009, 91, 96; LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 7. 11 Vgl. Frenz/Müggenborg, BNatSchG-Kommentar, § 44 Rn. 12; vgl. auch: OVG Lüneburg, Urt. vom 1.12.2015, 4 LC 156/14 Rn. 52 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 12.3.2008, 9 A 3.06; BVerwG, Urt. v. 14.4.2010, 9 A 5.08; vgl. auch Louis, NuR 2009, 91, 96.
5 2.2.3 Verbot der Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG Der Begriff der Fortpflanzungs- und Ruhestätte ist eng auszulegen, es ist nicht der Lebensraum der geschützten Art insgesamt umfasst12. Zu den Fortpflanzungsstätten gehören sämtliche Lokalitäten im Gesamtlebensraum eines Tieres, die im Verlauf des Fortpflanzungsgeschehens benötigt werden. Ruhestätten sind alle Orte, die ein Tier regelmäßig zum Schlafen oder Ruhen aufsucht. Potenzielle, d.h. nicht genutzte, sondern lediglich zur Nutzung geeignete, Lebensstätten fallen nicht unter den Verbotstatbestand, weil es an dem erforderlichen Individuenbezug fehlt13. In zeitlicher Hinsicht erfasst das Verbot primär die Phase aktueller Nutzung, der Schutz ist aber auszudehnen auf Abwesenheitszeiten der Tiere, sofern eine regelmäßig wiederkehrende Nutzung zu erwarten ist14 bzw. fallen unter den Begriff „Ruhestätten“ auch Ruhestätten, die nicht mehr von einer geschützten Tierart beansprucht werden, sofern eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Art an diese Ruhestätten zurückkehrt15. Da Auerhühner Streifgebiete von mehreren hundert Hektar haben, die Nutzung einzelner Waldbereiche jahreszeitlich oder von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich und stark von saisonalen Ansprüchen der Tiere, Störung sowie aktuellen Waldstrukturen abhängig ist, die sich sehr kurzfristig ändern können (Waldwirtschaft, Sturm, Borkenkäfer, Schnee u.a.), werden im Aktionsplan Auerhuhn Flächen der aktuellen minimalen Besiedlung und Flächen mit einer zu erwartenden wiederkehrenden Nutzung verknüpft. Damit sind alle Flächen umfasst, deren Nutzung durch Auerhühner existentiell ist. Wander-, Flug- und Nahrungskorridore fallen grundsätzlich nicht unter diesen Tatbestand16. Nahrungsbereiche sowie Wander- bzw. Verbundkorridore sind allerdings dann vom Verbot umfasst, wenn dadurch die Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten entfällt17. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn durch den Wegfall eines Nahrungshabitats eine erfolgreiche Reproduktion in der Fortpflanzungsstätte ausgeschlossen ist (sog. „essentielle“ Nahrungshabitate). Verlieren existentielle Verbundbereiche des Auerhuhns ihre Funktion, kann dies ebenfalls zutreffen. Die Fortpflanzungsstätten beim Auerhuhn umfassen aktuell genutzte Balzplatzbereiche und Gebiete, in denen gebrütet wird und / oder Küken aufgezogen werden (Balz-, Brut- und Aufzuchtgebiete). Ruhestätten des Auerhuhns sind „Schlafbäume“ – dies sind Bäume, auf denen Auerhühner auf einem Ast nahe am Stamm und relativ „ungeschützt“ die Nacht verbringen. Da Auerhühner aufgrund dieser Verhaltensweise einem großen Prädationsrisiko ausgesetzt sind, werden Schlafbäume ständig gewechselt, um dieses Risiko zu minimieren. Dies bedeutet, dass Schlafbäume im gesamten Streifgebiet vorkommen können. Daher sind die besonders geeigneten Schlafbäume innerhalb des Streifgebiets, die mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit auch von den Tieren genutzt werden, als Ruhestätten anzusehen. Im Hinblick auf das Beschädigungsverbot ist allerdings zu prüfen, ob die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird; soweit erforderlich können auch vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen (Continuous Ecological Functionality Measures = kontinuierliche ökologische Funktionalität, funktionserhaltende Maßnahmen, sog. „CEF-Maßnahmen“) festgelegt werden. (§ 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3, S. 3 BNatSchG). Bei der windkraftempfindlichen Brutvogelart Auerhuhn ist in der Regel nicht davon auszugehen, dass die ökologische Funktion betroffener Fortpflanzungsstätten im räumlichen Zusammenhang 12 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.08.2009, 9 A 64/07, Rn. 68. 13 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.08.2009, 9 A 64/07, Rn. 68 und 82; BVerwG, Urt. vom 12.03.2008, 9 A 3.06. 14 Vgl. BVerwG, Urt. vom 12.08.2009, 9 A 64/07, Rn. 68. 15 Vgl. EuGH, Urt. vom 02.07.2020, C-477/19, Rn. 36. 16 LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 7; Landmann/Rohmer, a.a.O., § 44, Rn. 15. 17 LANA, Hinweise zu zentralen unbestimmten Rechtsbegriffen des Bundesnaturschutzgesetzes, a.a.O., S. 7.
6 gewährleistet werden kann. Die Seltenheit, der aktuell sich fortsetzende Rückgang der Population und die geographische Restriktion legen nahe, dass die spezifischen Ansprüche an Balz-, Brut- und Aufzuchtgebiete nicht ohne weiteres erfüllt und entsprechend Verluste dieser existenziellen Habitatbereiche nicht ausgeglichen werden können18. Für die Fortpflanzungsstätten des Auerhuhns gilt daher eine Ausschlussempfehlung für Windenergieanlagen. CEF-Maßnahmen zugunsten des Auerhuhns sind folglich grundsätzlich nur bei Eingriffen in Ruhestätten möglich, sofern diese nicht gleichzeitig Fortpflanzungsstätten sind. 2.3 EINGRIFFSREGELUNG: §§ 13 FF. BNATSCHG Bau und Betrieb von Windenergieanlagen stellen regelmäßig einen Eingriff in Natur und Landschaft nach § 14 Abs. 1 BNatSchG dar. Als Bestandteil des Naturhaushalts fallen auch Beeinträchtigungen auf das Auerhuhn hierunter (z.B. durch die Störung oder Beeinträchtigung betroffener Habitate und/oder Verbundkorridore des Auerhuhns). Die zuständige Behörde, die über die Zulassung des jeweiligen Eingriffs entscheidet, muss auch darüber befinden, in welcher Weise die Folgen für Natur und Landschaft zu bewältigen sind. Nach § 13 i.V.m. § 15 Abs. 1. BNatSchG sind erhebliche Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft vorrangig zu vermeiden. Daher muss geprüft werden, ob zumutbare Alternativen gegeben sind, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen. Ein Eingriff liegt insbesondere vor, wenn eine durch das Flächenkonzept des Aktionsplans Auerhuhn abgegrenzte Fläche betroffen ist. Das Konzept bezieht auch Flächen ein, die zwar aktuell keine Besiedelung aufweisen, aber deren Besiedelung tatsächlich zu erwarten ist (sog. nicht aktualisierte Potentiale19). Bloße Entwicklungschancen von Flächen, die irgendwann einmal von Auerhühnern besiedelt waren und möglicherweise von Auerhühnern wieder besiedelt werden könnten, reichen jedoch nicht aus. Erforderlich ist vielmehr, dass die entsprechenden Flächen im Flächenkonzept des Aktionsplans enthalten sind, zielgerichtete Maßnahmen bereits umgesetzt oder zumindest eingeleitet wurden, um die Besiedelung durch das Auerhuhn zu ermöglichen, und eine fachliche Prognose die Besiedelung des Auerhuhns tatsächlich und absehbar erwarten lässt. Naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen müssen die durch den Eingriff beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederherstellen (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG) und in einem räumlichen Zusammenhang zu den durch den Eingriff verursachten Beeinträchtigungen stehen. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts im betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind (§ 15 Abs. 2 Satz 3 BNatSchG). Die zuständige Behörde muss diejenigen Kompensationsleistungen festlegen, die den Zielen der Eingriffsregelung in Ansehung der Gegebenheiten des Einzelfalles und der ihn prägenden Umstände am besten gerecht werden. Dem Gedanken des § 15 Abs. 2 Satz 5 BNatSchG folgend, sollten hierbei auch die Ziele des Aktionsplans Auerhuhn berücksichtigt werden. Dabei ist zu beachten, dass nach § 15 Abs. 2 Satz 4 BNatSchG sogenannte CEF-Maßnahmen (nach § 44 Absatz 5 Satz 3 BNatSchG) der Anerkennung als Ausgleichs- und/oder Ersatzmaßnahmen nicht entgegenstehen (multifunktionale Kompensation). Entsprechendes gilt für die artenschutzrechtlichen Schutz- und FCS-Maßnahmen sowie für Vermeidungs- und Schadensbegrenzungsmaßnahmen innerhalb von Vogelschutzgebieten. 18 Vgl. auch: LUBW, Hinweise zur Bewertung und Vermeidung von Beeinträchtigungen von Vogelarten bei Bauleitplanung und Genehmigung von Windenergieanlagen, S. 15. 19 Vgl. BVerwG, Urt. vom 16.12.2004, Az. 4 A 11.04, Rn. 21 ff., m.w.N.
7 3 FACHLICHE GRUNDLAGEN 3.1 DIE SITUATION DER AUERHUHN-POPULATION DES SCHWARZWALDS Die aktuellen Vorkommen des Auerhuhns in Baden-Württemberg sind auf den Schwarzwald beschränkt. Lediglich im baden-württembergischen Teil der Adelegg (Allgäu) gibt es ein mit der bayerischen Population in Verbindung stehendes Einzelvorkommen. Das Auerhuhn befindet sich landesweit in einem schlechten Erhaltungszustand. Die Balzplatzzählungen (Erfassung balzender Auerhähne), ein wichtiger Indikator für die Größe der Auerhuhn-Population, zeigen einen starken Rückgang der Population. Mit Beginn des Monitorings der jährlichen Balzplatzzählungen im Schwarzwald schrumpfte die Population von 570 im Jahr 1971 auf 114 balzende Auerhähne im Jahr 2021. 3.1.1 Aktuelle Auerhuhnverbreitung Im 5-Jahres Turnus werden alle direkten (Sichtung) und indirekten Nachweise (z.B. Federn, Kot oder Trittsiegel) ausgewertet, die im Rahmen des Zufallsmonitorings und systematischer Erhebungen in Teilgebieten oder in Forschungsprojekten zusammengetragen wurden. Auf der Basis dieser Daten wird dann das minimale Auerhuhn-Verbreitungsgebiet abgegrenzt, wobei Flächen als Auerhuhn- Verbreitungsgebiet definiert werden, wenn mindestens drei Nachweise aus den zurückliegenden fünf Jahren vorliegen. Beispielsweise beruht die Verbreitung 2014-2018 auf Nachweisen der Jahre 2014 bis 2018. Einzelne Nachweise, die mehr als 1 km vom nächsten Nachweis entfernt liegen, gehen nicht in die Verbreitungsgebietskartierung mit ein. Die Abgrenzung eines Verbreitungsgebiets erfolgt entlang von im Gelände erkennbaren Linien wie Wegen, Wald-Feld-Grenzen oder Fließgewässern. Mit dieser Methode wurden für die Zeiträume 1989–1993, 1994–1998, 1999–2003, 2004–2008, 2009– 2013 und 2014–2018 genaue Abgrenzungen der Auerhuhn-Verbreitung im Schwarzwald erstellt. Das aktuelle Verbreitungsgebiet des Auerhuhns liegt größtenteils in Vogelschutzgebieten, die auch für den Erhalt dieser Art ausgewiesen wurden. 3.1.2 Populationsverbundflächen Die Auerhuhnverbreitung ist auf eine große Anzahl an Höhenlagen und -rücken verteilt, weshalb für die langfristige Überlebensfähigkeit der Population der genetische Austausch zwischen den einzelnen Verbreitungsgebieten sehr wichtig ist. Genetische Untersuchungen belegen eine Zunahme der genetischen Differenzierung zwischen den vier Metapopulationen der Auerhuhnpopulation im Schwarzwald in den letzten 15 Jahren. Dies ist ein Hinweis darauf, dass der Genfluss, der eine Voraussetzung für eine langfristig überlebensfähige Population im Schwarzwald darstellt, zwischen den Teilpopulationen gefährdet ist. Eine Beeinträchtigung des Populationsverbunds zwischen den Vorkommen bzw. Lebensstätten in den u.a. für das Auerhuhn ausgewiesenen Vogelschutzgebieten beeinträchtigt daher auch die Schutzgebietsziele. Anhand von genetischen Analysen in Kombination mit einer Landschaftsmodellierung20 konnten die Flächen und Korridore zwischen den Auerhuhnteilpopulationen identifiziert werden, die die relativ besten Bedingungen für den Individuenaustausch bieten und daher eine besondere Bedeutung für den Populationsverbund darstellen. Basierend auf diesem Modell wurde ein 1 km breites Korridornetz abgegrenzt. Zur Nutzung der modellierten und kartografisch bestimmten Korridore durch Auerhühner für ihre Migration liegen wenig wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Es ist davon auszugehen, dass in Einzelfällen die Tiere für Migrationsbewegungen auch Routen außerhalb der ausgewiesenen Populationsverbundflächen nutzen. Auf Grundlage vorliegender Erkenntnisse über das Verhalten des Auerhuhns kann dennoch geschlossen werden, dass kleinflächig günstige Habitateigenschaften und 20 Braunisch, V., Segelbacher, G., Hirzel, A. 2010: Modelling functional landscape connectivity from genetic population structure - a new spatially explicit approach. Mol. Ecol. 19: 3664-3678.
8 ein Minimum an beeinträchtigenden Faktoren auf den Populationsverbundflächen die Wanderbewegungen der Tiere deutlich begünstigen. Die Herleitung von Trittsteinen basiert auf einem Modell, das sich aus den wichtigsten unkorrelierten Variablen des „Landschaftsökologischen Lebensraumpotentials“21 errechnet. Dieses gibt generell die Potentialeignung von Fläche als Lebensraum an. Flächen mit einem hohem Lebensraumpotential, jedoch mit einer Gesamtfläche kleiner als 100 ha in Kombination mit der Lage auf oder angrenzend an einen 1 km breiten Korridor, werden als Trittsteine ausgewiesen. 3.2 AKTIONSPLAN AUERHUHN Um den Populationsrückgang zu stoppen, hat das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Jahr 2008 den Aktionsplan Auerhuhn (APA) erarbeitet. Bestehend aus einem wissenschaftlichen Fachkonzept und einem handlungsorientierten Maßnahmenplan, der die notwendige fachliche Unterstützung der Handelnden vor Ort sicherstellt. Auf Basis eines Flächenkonzepts für die flächenbezogene Umsetzung von Maßnahmen werden Waldgebiete lokalisiert, die für die Schwarzwälder Auerhuhn-Population langfristig überlebensnotwendig sind. 2019 wurde die Umsetzung des Maßnahmenplans 2008-2018 sowie die Zielerreichung des Fachkonzepts evaluiert. Der Rückgang der Art konnte bislang nicht gestoppt werden. Hauptursachen für den Rückgang sind vermutlich der kontinuierliche Verlust geeigneter Lebensräume, eine Zunahme an Fressfeinden und eine erhebliche Zunahme von Störungen. Trotz zahlreicher Aktivitäten zeigt die Analyse des Umsetzungsstands, dass viele Maßnahmen großflächig nicht ausreichend, den Planungsvorgaben nicht konsequent folgend oder gar nicht umgesetzt wurden. Handlungsfeldübergreifend wurden zentrale Aktivitäten nicht eingefordert und dadurch gegenüber anderen Verpflichtungen hintenangestellt. Der bisherige Ausbau der Windenergie stellt keine Ursache für den Rückgang des Auerhuhns dar, da die Belange bei der Planung entsprechend den Empfehlungen des Aktionsplan Auerhuhn berücksichtigt wurden. Auf Basis der unabhängigen Evaluation wurden die künftigen erforderlichen Unterstützungsmaßnahmen umfassend überarbeitet und in einen Maßnahmenplan 2022-2027 zusammengefasst. 3.3 MASSNAHMENPLAN 2022-2027 Der Maßnahmenplan 2022-2027 im Aktionsplan Auerhuhn enthält u.a. viele notwendige Sofortmaßnahmen zur Habitatpflege und Reduzierung der Störungen während der kritischen Wintermonate und der Balz-, Brut- und Aufzuchtzeit durch Waldarbeit, Jagd und Freizeitnutzung. Weiterhin wurde auch das Flächenkonzept auf den Populationszustand 2021 angepasst und für eine effektivere Implementierung der Maßnahmen optimiert. Das Flächenkonzept 2022 basiert auf dem minimalen Auerhuhn-Verbreitungsgebiet im Zeitraum 2014-2018 sowie dem Landschaftsökologischen Lebensraumpotential, das zur Herleitung der Wiederbesiedlungsgebiete herangezogen wurde. Daraus ergeben sich folgende Flächenkategorien, die für den Maßnahmenplan 2022-2027 definiert und neu benannt werden, um eine Verwechslung mit den Bezeichnungen im Flächenkonzept 2008 auszuschließen. 21Braunisch, V., Suchant, R.2007: A model for evaluating the ‘habitat potential’ of a landscape for capercaillie Tetrao urogallus: a tool for conservation planning. Wildl. Biol. 13: 21-33.
9 Flächenkonzept 2022 im Maßnahmenplan 2022-2027: Vorrangflächen bestehend 1. aus der aktuellen Auerhuhnverbreitung (FVA- Datengrundlage 2014-2018) mit ca. 34.000 ha Waldflächen, in denen zwischen 2014 und 2018 mehrfach Auerhühner gesichert nachgewiesen wurden und 2. Den Wiederbesiedlungsflächen mit ca. 25.000 ha Waldfläche, die das höchste Lebensraumpotenzial umfasst. Bei geeigneten Habitatstrukturen ist eine schnelle und dauerhafte Wiederbesiedlung der Potentialflächen zu erwarten. Sie liegen in unmittelbarer Nähe zur aktuellen Auerhuhn-Verbreitung und sind in den vergangenen Jahrzehnten von Auerhühnern besiedelt gewesen. Ergänzungsflächen: ca. 57.000 ha Waldflächen mit mittlerem Lebensraumpotenzial ohne Auerhuhn-Verbreitung, die als Ausweich- oder Ausgleichflächen in Betracht kommen. Korridore: 1 km breite Verbundkorridore, die die Auerhuhnverbreitung untereinander vernetzen. Trittsteine: Flächen mit Lebensraumpotenzial, die im Bereich der Korridore liegen und eine Größe zwischen 5 ha und 100 ha aufweisen. 3.4 WIRKUNG VON WINDENERGIEANLAGEN AUF AUERHUHN- POPULATIONEN Wesentliche Kerninformationen zur Wirkung von Windenergieanlagen hat das Forschungsprojekt „Auerhuhn und Windenergie22“ (2014-2019) geliefert. Ziel der Untersuchungen war es, festzustellen, ob und welche Einflüsse Windenergieanlagen auf Auerhühner haben. Im Rahmen der Studie wurde aus einer Literaturrecherche deutlich, dass mehrere Kollisionen von Auerhühnern mit Türmen von Windenergieanlagen dokumentiert sind. Bei allen Funden handelt es sich um nicht systematisch erhobene Einzelfunde von Kollisionsopfern, wodurch Aussagen zu Nettoeffekten tödlicher Kollisionen auf Populationsebene nicht möglich sind. Dementsprechend bleibt ungewiss, unter welchen Bedingungen und wie häufig Kollisionen von Auerhühnern mit Türmen von Windenergieanlagen auftreten. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass für Auerhühner ein erhöhtes Kollisionsrisiko an Windenergieanlagen besteht. Die Art gehört daher nach aktuellem wissenschaftlichem Stand nicht zu den kollisionsgefährdeten Arten. Die Ergebnisse des mehrjährigen und in mehreren Untersuchungsgebieten durchgeführten Forschungsprojektes zeigen, dass Auerhühner durch Windenergieanlagen in der Lebensraumnutzung beeinflusst werden. Die Lebensraumnutzung durch die Tiere nahm mit zunehmender Nähe zu den Windenergieanlagen statistisch signifikant ab. Dieser Effekt war bis zu einer Entfernung von 650 m bzw. 850 m nachweisbar. Daraus kann abgeleitet werden, dass die Lebensräume um Windenergieanlagen den Auerhühnern nicht mehr unbeeinträchtigt zur Verfügung stehen, auch wenn sie optimale Habitatstrukturen aufweisen. Zudem wurde nachgewiesen, dass Lebensräume weniger durch Auerhühner genutzt werden, je näher sie an Wegen liegen. Das gilt auch für die Zufahrtswege zu Windenergieanlagen, sofern diese zusätzlich angelegt werden. Diese Beeinträchtigungen der Lebensraumnutzung durch Windenergieanlagen wurde auch in Untersuchungsgebieten gefunden, in denen die Windenergieanlagen schon seit längerer Zeit stehen. Daher ist davon auszugehen, dass die Beeinträchtigung nicht nur kurzfristig (z.B. durch Störung während oder direkt nach der Bauphase), sondern auch langfristig wirkt. Die Tiere scheinen sich über Jahre hinweg nur eingeschränkt an die Präsenz der Windenergieanlagen zu gewöhnen. Durch genetische Untersuchungen von Kotproben konnte nachgewiesen werden, dass Auerhühner im Schwarzwald deutlich mobiler sind als angenommen. Die Tiere können z.T. große Strecken zurücklegen und einzelne Individuen wandern aktuell noch zwischen den Teilgebieten. Dies erhöht die Chancen für eine erfolgreiche Wiederbesiedlung von wieder hergestellten Lebensräumen. Es 22FVA Ergebnisse Forschungsprojektes unter https://www.fva-bw.de/fileadmin/user_upload/Abteilungen/Wald_und_Gesellschaft/Wildtieroekologie/Waldvoegel/ Projektabschlussbericht_Auerhuhn_Windenergie__3_.pdf
10 belegt allerdings auch die hohe Bedeutung des Lebensraumverbunds durch die notwendigen Populationsverbundflächen für den Erhalt einer überlebensfähigen Auerhuhn-Population im Schwarzwald. Ein Einfluss von Windenergieanalgen auf den direkten Reproduktionserfolg von Auerhühnern konnte nicht nachgewiesen werden, weil die Datengrundlage zu gering war. Daraus lässt sich allerdings nicht ableiten, dass ein solcher Einfluss ausgeschlossen werden kann. Ein sicherer Ausschluss würde eine vertiefte Untersuchung dieses Zusammenhangs erfordern. Auch die Analyse von Stresshormonabbauprodukten im Auerhuhnkot ergab keine Hinweise auf eine Erhöhung des Stresshormonlevels bei Auerhühnern als Folge der Windenergieanlagen. Im Gegensatz dazu wurde im Forschungsprojekt nachgewiesen, dass neben den Windenergieanlagen als solche auch die Zuwegung die Lebensraumnutzung der Auerhühner beeinflusst. Lebensräume werden durch Auerhühner weniger genutzt, je näher sie an den Zufahrtswegen zu Windenergieanlagen liegen (bzw. Wegen allgemein). Dies weist auf eine weitere, indirekte Beeinträchtigung der Vögel hin, die durch die begleitende Infrastruktur verursacht wird. Die geringere Nutzung des Lebensraumes könnte durch höhere menschliche Anwesenheit auf den Zufahrtswegen verursacht werden. Neben der Verwendung der Wege zur Durchführung von Wartungsarbeiten bei den Windenergieanlagen, dürfte die erhöhte Nutzung durch den Menschen im Rahmen von Freizeitaktivitäten (wandern, Mountainbike fahren etc.) der ausschlaggebende Faktor für die Meidung sein. Negative Einflüsse von Wegen und touristische Infrastruktur auf die Lebensraumnutzung wurden bereits für Auerhühner nachgewiesen.
11 4 VORGEHEN ZUR BESCHLEUNIGUNG DER INTEGRATION VON WINDENERGIENUTZUNG UND AUERHUHNSCHUTZ Basierend auf den fachlichen und rechtlichen Grundlagen sind Empfehlungen formuliert, die einerseits sicherstellen, dass der Ausbau der Windenergienutzung im Schwarzwald den langfristigen Erhalt einer überlebensfähigen Population nicht gefährdet und andererseits genügend Standorte für potenzielle Windenergieanlagen zur Verfügung gestellt werden. Ziel ist, Standorte aufzuzeigen, an denen mit einem beschleunigten Genehmigungsverfahren gerechnet werden kann. Aus Sicht des Auerhuhnschutzes werden vier Empfehlungen abgeleitet: Flächen, die mit keinen Restriktionen belegt sind, Flächen mit Restriktionen, Flächen mit Ausschlussempfehlungen und Populationsverbundflächen. Diese spiegeln auch die unterschiedlichen rechtlichen Hürden bei einem geplanten Vorhaben und die voraussichtliche Verfahrensdauer wider. 4.1 KEINE RESTRIKTIONEN Flächen, in denen keine Belange des Auerhuhns betroffen sind und aus Sicht des Auerhuhnschutzes unproblematisch sind, unterliegen keinen Restriktionen, weshalb aus Sicht des Auerhuhnschutzes mit einfacheren und schnellen Genehmigungsverfahren zu rechnen ist. 4.2 RESTRIKTIONEN Flächen, in denen Belange des Auerhuhns betroffen sind, werden mit einer Restriktion verknüpft. Daraus resultiert für Vorhabenträger, dass mit Hürden zu rechnen ist und für Verfahren ein längerer Zeithorizont veranschlagt werden muss. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass in diesen Bereichen das Auerhuhn einen Hinderungsgrund für die Genehmigung von Windenergieanlagen ist, wird die Errichtung von Windenergieanlagen auf diesen Flächen voraussichtlich genehmigungsfähig sein, wenn auch mit erheblichen Aufwand in Form von zusätzlichen Erfassungen von Auerhuhnnachweisen sowie aus dem Vorhaben resultierenden Ausgleichsmaßnahmen. Flächen mit Restriktionen werden wie folgt definiert: Lage innerhalb einer Entfernung von 650 m zur aktuellen Auerhuhnverbreitung (Abgrenzung 2014-2018) außerhalb von Vogelschutzgebieten. Reproduktionsbereiche dürfen nicht betroffen sein. Der zusätzliche Aufwand besteht darin, dass naturschutzrechtliche Vermeidungs-, Schutz- und/oder Ausgleichsmaßnahmen erforderlich sind (siehe Kapitel 6.2.6, 6.2.7, 6.2.8). Lage innerhalb einer Entfernung von 650 m zu Habitatpflegemaßnahmen zur Verbesserung der Lebensraumstrukturen für das Auerhuhn, die in den vorangegangenen fünf Jahren durchgeführt worden sind. Für diese Flächen sind ebenfalls naturschutzrechtliche Ausgleichsmaßnahmen erforderlich (siehe Kapitel A.3 Schutzmassnahmen und Anhang A.3). 4.3 AUSSCHLUSSEMPFEHLUNG Flächen, in denen Belange des Auerhuhns sehr stark betroffen sind und mit hohen rechtlichen Hürden zu rechnen ist, werden mit einer Ausschlussempfehlung verknüpft. Geplante Verfahren werden voraussichtlich lange und aufwändige Verwaltungsprozesse erzeugen und zusätzlich mit einem sehr
12 hohen Aufwand verbunden sein. Vorhaben, die in Flächen mit Ausschlussempfehlungen geplant werden, sind mit sehr großer Wahrscheinlichkeit nicht genehmigungsfähig. Flächen mit einer Ausschlussempfehlung werden wie folgt definiert: Lage innerhalb einer Entfernung von 650 m zu Lebensstätten des Auerhuhns innerhalb von Vogelschutzgebieten mit Schutzzweck Auerhuhn Lage innerhalb von Reproduktionsbereichen, in denen aus den vorangegangenen fünf Jahren mindestens ein Reproduktionsnachweis vorliegt. Als Reproduktionsbereiche gelten Flächen, die sich innerhalb eines 1000 m Radius um Nachweise von Balz, Brut oder Aufzucht von Küken befinden. 4.4 POPULATIONSVERBUNDFLÄCHEN Populationsverbundflächen sind insbesondere mit Blick auf den Schutz des Auerhuhns in Europäischen Vogelschutzgebieten als Bestandteil des Natura-2000-Schutzgebietsnetzwerks relevant. Da Populationen in isolierten Lebensräumen insbesondere wegen des notwendigen genetischen Austauschs, in vielen Fällen nicht auf Dauer erhalten werden können, ist der Schutz der Austauschbeziehungen zwischen verschiedenen Gebieten und Gebietsteilen unverzichtbar. Die Funktionalität der Populationsverbundflächen für das Auerhuhn muss gewährleistet werden. Beeinträchtigungen dieser Austauschbeziehungen, z.B. durch Unterbrechung von Flugrouten und Wanderkorridoren, unterfallen mithin dem Schutzregime des Gebietsschutzes. Als wichtiges Erhaltungsziel für Vogelschutzgebiete mit Erhaltungsziel Auerhuhn ist, neben anderen Zielen, die Erhaltung von Biotopverbundkorridoren für das Auerhuhn genannt. Projekte im Bereich der Populationsverbundflächen können daher zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura 2000- Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgebenden Bestandteilen führen. Allerdings unterscheiden sich Teilbereiche eines Korridors einschließlich zugehöriger Trittsteine im Hinblick auf deren Bedeutung für die Funktionalität des Populationsverbunds erheblich. Die genaue Lage eines Projekts hat im Einzelfall erheblichen Einfluss auf die Frage, ob tatsächlich eine Beeinträchtigung zu erwarten ist und ob diese ggf. durch Vermeidungs- bzw. Schadensbegrenzungsmaßnahmen aufgefangen werden kann. Beispielsweise sind die Tallagen für Funktionalität eines Korridors in aller Regel ohne Relevanz. Dies erfordert im Genehmigungsverfahren eine vertiefte Betrachtung, die, gleich wie auf Flächen mit Ausschlussempfehlung, voraussichtlich ein langes und aufwändiges Verwaltungsverfahren bedingt. Populationsverbundflächen sind wie folgt definiert: Lage innerhalb 1000 m breiter Korridore, die Auerhuhnverbreitungsgebiete innerhalb der Vogelschutzgebiete miteinander verbinden Flächen als Trittsteine, die auf Korridoren liegen bzw. an diese angrenzen
13 Abb. 1: Ergebnis der Planungsgrundlage mit Flächen ohne Restriktionen (keine Markierung), Restriktionen (orange), Ausschlussempfehlungen (helles Blau) sowie Ausschlussempfehlungen Populationsverbund (dunkles Blau). Vogelschutzgebiete sind grau hinterlegt.
14 5 REGIONAL- UND BAULEITPLANUNG 5.1 GENERELLE HINWEISE 5.1.1 Natura 2000 Die Festlegung von Vorranggebieten für die Windenergienutzung in der Regionalplanung und die Darstellung von Flächen für die Windenergienutzung in der Bauleitplanung kommt in Europäischen Vogelschutzgebieten mit Vorkommen windenergieempfindlicher Vogelarten (insbesondere solche Arten, für die Windenergieanlagen gemäß der Verordnung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum zur Festlegung von Europäischen Vogelschutzgebieten (VSG-VO vom 05.02.2010 (GBl. S. 37) eine Gefahrenquellen darstellen) wegen deren besonderer Schutzbedürftigkeit i. d. R. nicht in Betracht, es sei denn, eine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzzwecks und der Erhaltungsziele des Gebiets kann auf Grund einer Vorprüfung oder Verträglichkeitsprüfung nach § 7 Abs. 6 ROG bzw. nach § 1a Abs.4 BauGB jeweils i.V.m. § 34 BNatSchG im Rahmen der Regional- bzw. Bauleitplanung ausgeschlossen werden (z.B. wenn nachgewiesen wird, dass der Teilbereich des Gebiets für die Erhaltung der geschützten Art nicht relevant ist). 5.1.2 Artenschutz Die artenschutzrechtlichen Verbote der §§ 44 f. BNatSchG gelten in der Regional- und Bauleitplanung nicht unmittelbar. Eine regional- oder bauleitplanerische Festlegung/Darstellung, die wegen entgegenstehender artenschutzrechtlicher Verbote nicht vollzugsfähig ist, wäre jedoch eine rechtlich nicht "erforderliche Planung" und somit unwirksam (zur fehlenden Erforderlichkeit von Regionalplänen vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 09.06.2005, 3 S 1545/04, NuR 2006, S. 371, zur Bauleitplanung vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.08.1997, 4 NB 12.97, NuR 1998,135). Daher ist bei diesen Planungen eine Prüfung der artenschutzrechtlichen Bestimmungen der §§ 44 f. BNatSchG erforderlich. Prüfungsrelevant sind insbesondere die windenergieempfindlichen Arten des Anhangs IV der FFH-Richtlinie und die Europäischen Vogelarten. Die artenschutzrechtlichen Verbote stehen einer Planung nicht entgegen, wenn Arten des Anhangs IV der FFH-Richtlinie und die Europäischen Vogelarten im Umfeld der Planung nicht betroffen sind oder bei einer Beeinträchtigung der von dem Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten die ökologische Funktion dieser Lebensstätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird (§ 44 Abs. 5 S. 2 BNatSchG). Dies gilt auch, wenn die Verletzung des Verbotstatbestands vermieden werden kann, z. B. durch Nebenbestimmungen in künftigen Genehmigungsverfahren oder vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen nach § 44 Abs. 5 S. 3 BNatSchG (sog. CEF Maßnahmen), oder bei einem nicht vermeidbaren Verbotsverstoß eine Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG oder eine Befreiung nach § 67 BNatSchG erteilt werden kann. Die Aufstellung von Bauleitplänen lässt die artenschutzrechtlichen Regelungen unberührt, sodass diese Verbote auch bei der Zulassung von Windkraftanlagen im Einzelfall (auch im Geltungsbereich von Bebauungsplänen) gelten. 5.2 ERFASSUNG Die artenschutzrechtliche Prüfung setzt eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im Planbereich vorhandenen Vogelarten und ihrer Lebensräume voraus. Die Bestandsaufnahme muss den Planungsträger in die Lage versetzen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verbotsbestimmungen und mögliche Ausnahme- und Befreiungslagen zu überprüfen. Hierfür benötigt er jedenfalls Daten, denen sich in Bezug auf das Plangebiet die Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie deren Lebensstätten entnehmen lassen. Die FVA verfügt über einen sehr guten Kenntnisstand hinsichtlich Auerhuhnvorkommen. Diese Daten sind auf Ebene der
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