How do Black Lives Matter? Zur visuellen Konstruktion von Protest in deutschsprachigen Tageszeitungen und auf Instagram How do Black Lives Matter? ...

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Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19

How do Black Lives Matter? Zur visuellen Konstruktion von Protest
in deutschsprachigen Tageszeitungen und auf Instagram
How do Black Lives Matter? On the visual construction of protest
in German-language daily newspapers and on Instagram
Ricarda Drüeke*, Corinna Peil und Maria Schreiber, University of Salzburg, Department of
Communication Studies, Austria
*Corresponding author: ricarda.drueeke@plus.ac.at

Abstract
Der gewaltsame Tod von George Floyd Ende Mai 2020 löste eine globale Protestbewegung aus: Ausge-
hend von den USA fanden weltweit zahlreiche Kundgebungen, Demonstrationen und Mahnwachen statt,
mit denen gegen Rassismus und Polizeigewalt Stellung bezogen wurde. Dieser Protest war und ist Ge-
genstand unterschiedlicher visueller Repräsentationen und medialer Formen, die einen wichtigen Anteil
an den Bedeutungsproduktionen rund um die Protesthandlungen haben. Auf Basis einer Bildtypenanalyse
der (Bild-)Berichterstattung über die Proteste in deutschsprachigen Tageszeitungen sowie der Darstellungs­
formen auf Instagram im Kontext von Demonstrationen im deutschsprachigen Raum setzt sich der Beitrag
mit visuellen Konstruktionen von Protest auseinander und diskutiert deren Bedeutung vor dem Hintergrund
gesellschaftlicher, medialer und politischer Kontexte. Es zeigen sich jeweils unterschiedlich dominierende
Bildtypen: So sind in der Medienberichterstattung Bilder von Demonstrierenden als Masse vorherrschend,
die die einzelnen Teilnehmer:innen nicht wahrnehmbar machen. Auf Instagram finden sich vor allem Innen-­
Perspektiven der Demonstrationen durch individuelle (Selbst-)Inszenierungen der Demonstrierenden. Deut-
lich wird zudem, dass die journalistischen Bilder die Proteste insbesondere im Hinblick auf spannungsreiche
Konfliktsituationen im US-Kontext mit hohem Nachrichtenwert zeigen, während auf Instagram die Verge-
meinschaftung über Gruppenbilder und damit die Inszenierung und Mobilisierung der Teilnehmenden in den
Vordergrund rückt.

The violent death of George Floyd at the end of May 2020 triggered a global protest movement: Starting
in the US, numerous rallies, demonstrations, and vigils took place around the world, taking a stand against
racism and police violence. This protest was and is subject to different visual representations and mediated
expressions, which have an important share in the production of meaning around the protest actions. Based
on a picture type analysis of the (image) coverage of the protests in Austrian, German and Swiss newspa-
pers as well as on visual expressions on Instagram in the context of demonstrations in German-speaking
cities, the article deals with visual constructions of protest and discusses their meaning against the back-
ground of social, media, and political contexts. Different dominant image types emerge in each case: In
media coverage, for example, images of demonstrators as a mass are predominant, which make the individ-
ual participants imperceptible. On Instagram, there are mainly internal perspectives of the demonstrations
through individual self-dramatizations of the demonstrators. It also becomes clear that journalistic images
show protests with a high news value, especially with regard to tense conflict situations in the US context,
while on Instagram the communalization via group images and thus the staging and mobilization of the
participants comes to the fore.

Keywords
Social Media, visuelle Kommunikation, Cultural Studies, soziale Bewegungen, Pressefotografie, Fotojourna-
lismus, Bildkommunikation, visuelle Analyse
Social media, visual communication, cultural studies, social movements, press photography, photojournal-
ism, image communication, visual analysis

                                https://doi.org/10.24434/j.scoms.2022.01.2982
                                © 2022, the authors. This work is licensed under the “Creative Commons Attribution –
                                NonCommercial – NoDerivatives 4.0 International” license (CC BY-NC-ND 4.0).
2                                       Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19

1   Einleitung: Zur Bedeutung                       Bilder von Protesten und Protestbe-
    der Bildkommunikation in                   wegungen wie BLM sind im Sinne der Cul-
    unterschiedlichen Kontexten                tural Studies als visuelle Repräsentationen
                                               Ausdruck gesellschaftlicher Machtstruk-
Der Hashtag #BlackLivesMatter wurde            turen (Hall, 2007). Sie geben vor, was von
erstmals 2013 verwendet, nachdem das           diesen Protesten wie wahrnehmbar und
Gerichtsverfahren zum Mord an dem erst         damit sichtbar wird. Gleichzeitig sind visu-
17-jährigen Trayvon Martin, der von ei-        elle Artefakte Teil des Kreislaufs kultureller
nem Mitglied einer Nachbarschaftswache         Bedeutungsproduktionen und eingebun-
in Sanford im US-Bundesstaat Florida auf       den in soziale Aushandlungen, Meinun-
offener Strasse erschossen wurde, mit ei-      gen, Gewohnheiten und Institutionen
nem Freispruch endete (Tyner, 2021, S. 6).     (Mirzoeff, 2011). Medienbilder bestimmen
Der gewaltsame Tod von George Floyd in         über das öffentliche Bildrepertoire, das zu
Minneapolis Ende Mai 2020 löste erneut         Protesten verfügbar ist. Im Sinne von Ja-
eine globale Protestbewegung aus: Ausge-       ques Rancière (2004) nehmen sie eine ele-
hend von den USA fanden weltweit zahl-         mentare politische Rolle im Hinblick auf
reiche Kundgebungen, Demonstrationen           die Darstellung aber auch Verschiebung
und Mahnwachen statt, mit denen gegen          der Grenzen des Sichtbaren und Zeigba-
Rassismus und Polizeigewalt Stellung           ren in der Gesellschaft ein. Bilder sind also
be­zogen wurde – so auch in Österreich,        ein wesentlicher Teil der medialen Bedeu-
Deutschland und der Schweiz. Bei der           tungsproduktion zu Protestbewegungen,
weitreichenden Mobilisierung der Black-        sie werden als symbolische Konstrukti-
Lives-Matter-Bewegung (BLM) in den USA         onen und Teil von Sichtbarkeitsverhält-
und darüber hinaus spielen «visual public      nissen betrachtet (Schade & Wenk, 2011).
events» (Milman & Doerr, im Druck, S. 3),      Vor diesem Hintergrund stellen sich die
die Aufsehen erregen und starke Reaktio-       folgenden Forschungsfragen: Welche vi-
nen hervorrufen, eine zentrale Rolle. So       suellen Repräsentationen der Black Lives
erreichte die Ermordung Floyds vor allem       Matter-Proteste sind vorherrschend und
auch deswegen eine so grosse Öffentlich-       welche Deutungsmuster legen sie nahe?
keit, weil kurz nach der Tat bereits Videos    Dabei interessiert in der vorliegenden Stu-
auf Social Media hochgeladen und mas-          die vor allem der Vergleich von Bildern, die
senhaft geteilt wurden, die dokumentie-        innerhalb verschiedener Produktionskon-
ren, wie der Polizeibeamte Derek Chauvin       texte entstehen, näm­lich in Tageszeitun-
minutenlang auf Floyds Hals kniete und         gen und auf Social Media. Beide Kontexte
ihm bis zur Bewusstlosigkeit mit späterer      unterscheiden sich in Bezug auf ihre Funk-
Todesfolge die Atemluft abschnitt. Bilder,     tionen, Logiken und Entstehungsbedin-
Symbole und visuelle Elemente spielen so-      gungen aber auch im Hinblick auf damit
wohl für Protestakteur:innen bei Demons-       verbundene Restriktionen (z. B. Druck-
trationen als auch in medialen Repräsen-       schluss bei Printprodukten, Interface-Vor-
tationen von Protest eine Rolle. Unser         gaben bei Instagram) und Potenziale (z. B.
Beitrag beschäftigt sich mit den visuellen     Zugriff auf weltweite Bilddatenbanken für
Dimensionen der BLM-Bewegung und               Bildredaktionen, Sichtbarkeit durch Hash-
anal­ysiert die visuellen Repräsentationen     tags für alle Instagram-User:innen).
und Darstellungsformen der Proteste in              Die journalistische Bildproduktion
deutschsprachigen Tageszeitungen und           hat sich in den letzten Jahrzehnten im
auf Instagram. Ziel ist es herauszuarbei-      Zusammenhang mit dem übergreifenden
ten, wie Akteur:innen, Motive und Inter-       Prozess der Digitalisierung stark gewan-
essen in unterschiedlichen Medien visuell      delt. Unter den Voraussetzungen der di-
vermittelt werden, und gleichzeitig kri-       gitalen Produktion hat sich nicht nur die
tisch zu reflektieren, welche dominanten       Anzahl an Publikationsorten, Distributi-
Rahmungen, Leerstellen und Vereinnah-          onswegen und veröffentlichten Bildern im
mungen durch visuelle Konstruktionen           Journalismus signifikant erhöht, sondern
stattfinden.                                   es haben sich auch neue infrastrukturelle,
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für redaktionelle Arbeitsprozesse folgen-                     Weltanschauungen darin zum Ausdruck
reiche Rahmenbedingungen herausge-                            kamen.
bildet (Grittmann & Koltermann, 2022).                             Auf Instagram, Snapchat und Face-
Bildredaktionen haben heute Zugang zu                         book unterliegt die Bildkommunikation
einer nie dagewesenen Vielzahl journa-                        anderen Regeln und Konventionen. Social
listischer Bilder, die von professionellen                    Media bieten professionellen Akteur:in-
Fotojournalist:innen ebenso bereitgestellt                    nen und Organisationen ebenso wie in-
werden wie von Amateurfotograf:innen,                         dividuellen Nutzer:innen einfache und
Bildagenturen und Datenbanken. Die Rol-                       schnelle Möglichkeiten Bilder zu teilen
len und Handlungsspielräume der invol-                        und zu zeigen, mit wahlweise begrenzt-in-
vierten Akteur:innen und Organisationen                       timer bis öffentlich-globaler Sichtbarkeit.
prägen die Bildkommunikation. Ebenso                          Jede:r kann somit auch an der visuellen
spielen Nachrichtenwerte, spezifische                         Dokumentation und Darstellung von be-
Textanforderungen und Gestaltungsrou-                         stimmten Orten und Ereignissen mitwir-
tinen eine Rolle in der journalistischen                      ken. Die heutige Omnipräsenz von visuel-
Bildproduktion.     Konstruktionsprozesse                     lem nutzer:innengenerierten Inhalt wurde
finden somit auf allen Ebenen und in al-                      von der Verbreitung der Smartphone-Fo-
len Phasen der Herstellung, Distribution                      tografie, der steigenden Popularität von
und Publikation journalistischer Bilder                       Social Media und damit der Demokratisie-
statt. Sie unterstreichen den Charakter                       rung von Bildproduktion vorangetrieben
von Bildern als «sozial gestaltete Produk-                    (Hand, 2012; Schreiber, 2020; Van House,
te» (Kanter, 2016, S. 8). Auch journalis-                     2011). Besonders die Plattform Instagram
tische Bilder von Protest bringen durch                       hat mit ihrem klaren Fokus auf Bilder die
ihre Perspektivierungen soziale Verhält-                      steigende Bedeutung visueller Kommu-
nisse auf spezifische Art und Weise zum                       nikation in sozialen Medien wesentlich
Ausdruck. Dies manifestiert sich etwa in                      mitgestaltet (Leaver, Highfield, & Abidin,
der Auswahl des Bildausschnitts, der Ge-                      2020). Die Plattform existiert seit 2010, ge-
wichtung bestimmter Bildelemente oder                         hört seit 2012 zu Facebook (mittlerweile
auch darin, dass die Protestierenden wie                      Meta) und ist mit einer Milliarde aktiven
auch diejenigen, gegen die sich der Protest                   User:innen pro Monat (Statista, 2021) vor
richtet und die Interaktionen zwischen                        allem bei jüngeren Nutzer:innen, Influen-
bei­den auf bestimmte Weise sichtbar ge-                      cer:innen und Werbetreibenden das wohl
macht werden. Zugleich sind die Gren-                         aktuell bedeutendste soziale Netzwerk.
zen der journalistischen Bildproduktion                       Um Instagram zu nutzen, muss ein Ac-
vergleichsweise eng gesteckt. Trotz der                       count eingerichtet werden, mit dem an-
zunehmenden Bedeutung und Ausdiffe-                           dere Accounts abonniert werden können,
renzierung der visuellen Kommunikation                        deren Postings und Storys beim Öffnen
im Journalismus zeigen Studien, «dass                         der App im eigenen Feed algorithmisch
journalistische Bildkommunikation stark                       sortiert angezeigt werden.
konventionalisiert ist und immer wieder                            Bevor wir auf Basis unserer empiri-
auf vergleichbare Bildmotive rekurriert»                      schen Untersuchung unsere Einsichten
(Grittmann, 2019, S. 134). Dies gilt insbe-                   zur visuellen Konstruktion von BLM in
sondere für Nachrichtenbilder, die anders                     deutschsprachigen Tageszeitungen und
als die dokumentarische Fotografie stärker                    auf Instagram zeigen, diskutieren wir im
einem Anspruch auf Aktualität, Ereignis-                      Folgenden den theoretischen Rahmen
bezug und soziale Relevanz verpflichtet                       und ordnen diesen in das Spannungsfeld
sind (Grittmann, 2019, S. 131). Eine Doku-                    von Öffentlichkeit, Aktivismus und visuel-
mentation der Proteste findet aber auch                       lem Protest ein.
in der journalistischen Bildproduktion,
etwa in Tageszeitungen, statt, die wider-
spiegelt, welche visuellen Repräsentatio-
nen in einer bestimmten Zeit bedeutsam
waren und welche Wissensressourcen und
4                                      Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19

2   Theoretischer Rahmen:                    det weitergehend auf digitaler Ebene zwi-
    Öffentlichkeit, digitaler Aktivismus     schen «event-driven mini-publics» und
    und visueller Protest                    «user-initiated mini-publics», die unter-
                                             schiedliche Entstehungskontexte berück-
Proteste und soziale Bewegungen wie sichtigen, die sich auf einzelne Ereignisse,
auch BLM formieren Öffentlichkeiten; die Protestbewegungen auslösen können,
sie werden von den traditionellen Medi- oder auf von Nutzer:innen initiierte Akti-
en wahrgenommen, Medien spielen aber onen beziehen. Mit dem Begriff der «po-
auch im Protesthandeln selbst wie auch lymedia-publics» verweisen Thimm und
in dessen Abbildung eine zentrale Rolle. Mario Anastasiadis (2017, S. 235) auf die
Im folgenden Abschnitt skizzieren wir vor technischen Affordanzen, die über die
diesem Hintergrund den theoretischen Ausgestaltung der Öffentlichkeiten mitbe-
Rahmen, der auf die soziale Bewegungs- stimmen und damit vor allem den unter-
forschung sowie zeitgenössische Theorien schiedlichen Netzwerkcharakter betonen.
von Öffentlichkeit Bezug nimmt und in Axel Bruns und Jean Burgess (2015, S. 25)
diese Konzepte mediatisierter Protestfor- sprechen mit Verweis auf Tarleton Gil­lespie
men einordnet.                               (2014) unter Berücksichtigung der techno-
     Soziale Bewegungen setzen sich für logischen Rahmenbedingungen von einer
einen sozialen und gesellschaftlichen «calculated public», um auf die Personali-
Wandel ein, der wegen als ungerecht emp- sierung dieser Öffentlichkeiten hinzuwei-
fundener gesellschaftlicher Missstände sen. Algorithmen, so führt Gillespie (2014)
angestrebt wird (Schedler, 2016; Ullrich, aus, entscheiden mit über die Themen bei
2017). Im Zentrum der sozialen Bewe- Twitter oder die vorgeschlagenen Seiten
gungsforschung standen vor allem grosse von Facebook und suggerieren eine Form
und organisierte soziale Bewegungen, die einer gemeinsamen Öffentlichkeit. Gerade
einen gemeinsamen Inhalt und ein er- neuere Protestbewegungen und Formen
kennbares und über Jahre verfolgtes Ziel von digitalem Aktivismus beruhen häufig
haben, wie etwa die Frauen-, Umwelt- und auf losen Verbindungen und auf sich ad-
die Arbeiter:innenbewegungen (Roth & hoc bildenden Netzwerken. Sie bedienen
Rucht, 2008; Warner, 2002; Wischermann, sich variierender Aktionsformen, ein ge-
2017). Gegenwärtig wird vor allem dar- meinsames Ziel gibt es oft nur temporär
auf verwiesen, dass sich mit dem Inter- (Rucht & Teune, 2017, S. 24). Dies zeigt sich
net Protest ausdifferenziert hat und sich etwa bei Solidaritätsbekundungen mittels
vielfältige Akteur:innen politisch engagie- Regenbogenflaggen oder Bannern wie
ren. Dies verändert auch die Formen und «leave no one behind» auf Facebook-Pro-
Funktionen von Öffentlichkeit. Die Viel- filen, wo die Akteur:innen zwar Teil der
zahl und Vielfalt an Öffentlichkeiten erfor- jeweiligen Protestbewegung sein können,
dert Konzepte, die die Temporalität und aber eben auch grösstenteils nur zeitwei-
Flüchtigkeit dieser Öffentlichkeiten erfas- se Unterstützung ausdrücken. Damit sind
sen. Danah boyd (2010, S. 39) bezeichnet Öffentlichkeiten, die sich über Protesthan-
solche Öffentlichkeiten als «networked deln formieren, weniger beständig, da sie
publics», gebildet aus «spaces and audi- zwar einer Verständigung über gemeinsa-
ences that are bound together through me Inhalte dienen, diese jedoch nicht über
technological networks». Damit wird der einen längeren Zeitraum verfolgt werden
Netzwerkcharakter verschiedener Social-­ müssen.
Media-Plattformen herausgestrichen, da           In gegenwärtigen Medienökologien
verschiedene Anwendungen nicht ge- kann auch eine eher schwach ausgepräg-
trennt voneinander, sondern in ihrer Ver- te gemeinsame Identität zu einer breiten
wobenheit untersucht werden müssen. Mobilisierung führen, da die Beteiligung
Auf der Vorstellung von Netzwerköffent- an Protesten niedrigschwelliger ist (Rucht,
lichkeiten aufbauend, bezeichnet Caja 2011). Donatella della Porta (2005) spricht
Thimm (2017, S. 106) digitale Öffentlich- in diesem Zusammenhang von «tolerant
keiten als «mini-publics». Sie unterschei- identities»: Aktivist:innen, die sich in eher
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losen Zusammenhängen versammeln                               professionellen Journalismus. In dem von
und über keine homogene Ideologie ver-                        ihm als «hybrid media system» bezeichne-
fügen, bedienen sich dieser. Gerade in                        ten Konstellationen zeigen sich vor allem
den vergangenen Jahren haben sich über                        verschiedene Strategien und Taktiken in
Hashtags solche temporären und ereig-                         der Unterscheidung zwischen «new and
nisbezogenen Öffentlichkeiten formiert,                       old media logics» (Chadwick, 2017, S. 277).
die Protesthandeln unterstützen. Hinzu-                            Neben Medien, die vor allem der Dis-
gekommen sind flüchtigere Zusammen-                           kussion, der Kommunikation und ver-
schlüsse und Solidaritätsbekundungen,                         schiedenen Formen von Aktivismus die-
die durch Teilen und Klicken möglich sind.                    nen, ist für soziale Bewegungen öffentliche
Diese sind nicht dauerhaft, da sie lediglich                  Aufmerksamkeit zentral, damit ihre Anlie-
temporär eine kollektive Aktionsform dar-                     gen wahrgenommen werden. Traditionel-
stellen, aber sich nicht in einer Bewegung                    len Medien wurde lange Zeit eine wichtige
verdichten. Lisa Steiner und Stine Eckert                     Rolle eingeräumt. So formuliert der Be-
(2017, S. 214) benennen solche Bündnisse                      wegungsforscher Joachim Raschke (1988,
als «fluid public clusters», um die Dynamik                   S. 343): «Eine Bewegung, über die nicht
der Räume und Akteur:innen zu betonen.                        berichtet wird, findet nicht statt.» Um öf-
Solche Proteste verdichten sich häufig um                     fentliche Aufmerksamkeit herzustellen,
ein bestimmtes Thema oder Ereignis, wo-                       nutzen soziale Bewegungen und Protest-
mit für dieses Sichtbarkeit und Aufmerk-                      bewegungen verschiedene Strategien, die
samkeit hergestellt werden (Daubs, 2017).                     auch immer abhängig von den zur Verfü-
Darin zeigen sich temporäre Allianzen                         gung stehenden Medien und Technologi-
und Bündnisse, die ein gemeinsames An-                        en sind. Dieter Rucht (2016) unterscheidet
liegen verfolgen. Anne Kaun, Maria Kyria-                     verschiedene Techniken der Aufmerk-
kidou und Julie Uldam (2016, S. 2) sehen                      samkeitserzeugung, die etwa Spektakel,
im Konzept einer «political agency» die                       gemeinsame Symbolik und Personalisie-
Verbindung von medialen Praktiken, die                        rungen umfassen. Auch heutzutage wird
in politische Prozesse eingreifen und diese                   die Rolle traditioneller Medien betont, um
verändern können, mit den strukturellen,                      Aufmerksamkeit für Protest-Anliegen zu
ökonomischen, politischen und sozia-                          erhalten (Rucht & Teune, 2017).
len Rahmenbedingungen (auch Mattoni,                               Bilder spielen für Protestbewegungen
2017). Ulrich Dolata (2018, S. 48) spricht                    eine grosse Rolle, sie werden in Bewe­
von einer «soziotechnischen Konstitution                      gungskontexten hergestellt und von ver­
von Kollektivität», in der digital vernetz-                   schiedenen Akteur:innen wie Aktivist:­
te Medien sowohl als technische als auch                      innen, Verbündeten, Gegenbewegungen
als mediale Infrastrukturen zu begreifen                      und traditionellen Medien verarbeitet und
sind. Um das dynamische Gefüge zu be-                         transformiert (Doerr & Teune, 2012). Ver-
tonen, greifen Ella Taylor-Smith und Co-                      schiedene visuelle Praktiken können un-
lin F. Smith (2019) den Begriff der «socio-                   terschieden werden: visuelle Ausdrucks-
technical assemblages» auf, womit sie die                     formen sozialer Bewegungen wie Banner
enge Verknüpfung zwischen den sozialen                        und T-Shirts, visuelle Repräsentationen
Praktiken und technischen Strukturen, die                     von Protest, etwa in Zeitungen, sowie die
sich gegenseitig bedingen und verändern,                      Herstellung von Sichtbarkeiten für Pro-
herausstreichen. Digitaler Aktivismus ist                     testanliegen, etwa in Social Media oder
zudem eingebettet in ein Set von insti-                       im öffentlichen Raum (Doerr, Mattoni, &
tutionellen Regelungen, kapitalistischen                      Teune, 2013; Milman & Doerr, im Druck).
und ökonomischen Rahmenbedingun-                              Visuelle Ausdrucksmittel umfassen Fo-
gen (Kaun & Uldam, 2018) und die medial                       tos, Cartoons und Illustrationen (Doerr &
unterstützten Handlungen lassen sich in                       Teune, 2012), in und durch digital ver-
verschiedenen Räumlichkeiten und Zeit-                        netzte Medien auch Selfies, Gifs oder In-
lichkeiten verorten (Kavada, 2016). Wie                       stagram-Storys. Bilder sind dann Teil der
Andrew Chadwick aufzeigt, verändern                           Verhandlungen von Bedeutung und des
neue Formen von Aktivismus auch den                           Diskurses. Sie sind nicht nur bei politi-
6                                       Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19

schen Bewegungen wie der Studierenden-              Auch in der Bewegung BLM spielten
bewegung von 1968 (Fahlenbrach, 2002),         visuelle Elemente von Beginn an eine
wo sie die kollektiven Identitätsmuster        grosse Rolle (Milman & Doerr, im Druck);
formiert haben, oder emanzipatorischen         zur Ikonographie von BLM liegen inzwi-
Protestbewegungen wie der Umwelt- und          schen einige Studien vor. Manche, über
Friedensbewegung (Doerr & Teune, 2012)         verschiedene Plattformen verbreitete Bil-
zu finden, sondern ebenfalls in rechten        der, wie die Fotografie der «peaceful war-
und rechtsextremistischen Bewegungen.          rior», die eine Frau zeigt, die sich friedvoll
Antimuslimische Bilder stellen dann Kom-       Polizist:innen entgegenstellt, bekommen
munikationsmedien dar, wie die Analyse         durch ihre Ästhetisierung eine ikonische
der Bildkommunikation schweizerischer          Bedeutung für zivilgesellschaftliches En-
und österreichischer rechter Akteur:innen      gagement (Edrington & Gallagher, 2019).
zeigt. Sie schaffen durch die Verwendung       Auch Farida Vis, Simon Faulkner, Safiya
ähnlicher Bilder und Symbole Anschluss-        Umoja Noble und Hannah Guy (2019)
möglichkeiten zwischen verschiedenen           betonen in ihrer Analyse eines Fotos von
Bewegungen und Ländern (Liebhart,              der Verhaftung des BLM-Aktivisten DeRay
2015). Visuelle Ausdrucksformen sind           McKesson in Baton Rouge im Juli 2016
mit Emotionen verbunden, diese können          die zeitgenössische Ästhetik von Protest-
mobilisierungsfördernd sein, erhöhen           bildern, die ihre Bedeutungen im Span-
das emotionale Engagement der Sympa-           nungsfeld von sozialen Bewegungen,
thisant:innen und können schockierend,         kommerziellen Interessen und ambiva-
etwa durch die Darstellung von Leid, sein      lenten Aneignungsweisen, z. B. in Form
(Bogerts, 2015). Über digitale Plattformen     von Memes, entfalten. Danielle K. Kilgo
z. B. wie Facebook wird durch das Teilen       und Rachel R. Mourão (2021) zeigen an-
von Bildern internationale Solidarität         hand einer Untersuchung der Bericht-
möglich, wie bei der Kampagne «We are          erstattung über Protestgeschehen, dass
all Khaled Said» des Jahres 2010 (Olesen,      visuelle Darstellungen einen Einfluss da-
2013), die Authentizität und Kritik am         rauf haben, ob Leser:innen eher mit der
ägyptischen Regime durch das Bild des          Polizei sympathisieren oder sich stärker
getöteten Khaled Said vermittelte. Bilder      mit den Demonstrierenden identifizieren,
nehmen so eine zentrale Rolle im Protest-      wenngleich Voreinstellungen insgesamt
handeln ein, die durch digital vernetzte       eine grössere Rolle bei der Frage spielen,
Medien noch einmal verstärkt wird.             welche Seite unterstützt wird. Christina
     Eine wichtige Rolle bei der Vernetzung    Neumayer und Luca Rossi (2018) kommen
nutzer:innengenerierter Beiträge auf So-       in ihrer Analyse der Protestbewegung Blo-
cial Media spielen Hashtags, die im Bild-      ckupy zu folgenden Schlüssen: 1) Bilder,
text hinzugefügt werden können. Beim           die von staatlichen Institutionen auf digi-
Aufrufen eines Hashtags werden sämtli-         talen Plattformen veröffentlicht werden,
che Postings, die mit diesem Begriff mar-      werden eher geteilt; 2) die visuelle Reprä-
kiert wurden, angezeigt. Sie konstituieren     sentation der Bewegung in traditionel-
eine gemeinsame Öffentlichkeit vor allem       len Medien zeigt vermehrt gewalthaltige
im Kontext von Aktivismus und Marke-           Szenen – beides führt zu einer hegemo-
ting (Bernard, 2019). Hashtags wurden          nialen Deutung des Protestgeschehens.
im Kontext von Protestbewegungen bis-          Aktivist:innen selbst hingegen nutzen
her überwiegend auf Twitter untersucht         digitale Plattformen, um die Vielfalt der
(Bruns & Burgess, 2011; Maireder &             Protestbewegung abzubilden. Zuletzt ha-
Schlögl, 2014; Rambukkana, 2015). Akti-        ben Milman und Doerr (im Druck) in ih-
vist:innen und politische Organisationen       rer visuellen Analyse von BLM-Protesten
nutzen jedoch zunehmend auch Ins-              in Dänemark und Deutschland heraus-
tagram, um zu informieren, zu mobilisie-       gearbeitet, wie Aktivist:innen auf visuelle
ren und sich zu vernetzen (Al-Rawi, 2021;      Repertoires von Protest aus den USA zu-
Einwohner & Rochford, 2019; Maier, 2021).      rückgreifen und diese in lokale politische
                                               und kulturelle Kontexte übersetzen. Auf
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19                                                 7

diese Weise verknüpfen sie globale Pro-                        3      Methodisches Vorgehen: BLM in
testanliegen mit der Geschichte von Kolo-                             Tageszeitungen und auf Social
nialismus und Rassismus in europäischen                               Media
Ländern. Die Autorinnen der Studie be-
greifen visuelle Protestgesten als «perfor-                    Ziel der Studie ist es, unterschiedliche
mative, ‹visibility› acts of citizenship chal-                 visuelle Konstruktionen im Kontext von
lenging dominant narratives of whiteness                       BLM zu untersuchen. Dabei ist von Inte-
embedded in the imaginary of citizenship                       resse, inwiefern sich Motive und Bildty-
in particular places» (Milman & Doerr,                         pen in Tageszeitungen und auf Instagram
im Druck, S. 4). Sich hinzuknien, wie es                       unterscheiden und welche je spezifischen
der US-amerikanische Football­         spieler                 Deutungsmuster sich darin entfalten. Im
Colin Kaepernik 2016 als Zeichen seines                        Fokus steht dabei das Protestgeschehen in
BLM-Protests getan hat, ist im US-ame-                         Wien, Berlin und Zürich, konkret dessen
rikanischen Kontext mit anderen Reak-                          visuelle Konstruktion in Tageszeitungen
tionen und Bedeutungen verbunden als                           einerseits und auf Instagram andererseits.
etwa in Deutschland, wo zwangsläufig As-                       Somit liegt der Fokus der vorliegenden
soziationen mit historischen Bildern von                       Studie auf lokalen, performativ-bildlichen
Politikern entstehen, deren Kniefall die                       Äusserungen eines globalen Protests.
Bitte um Vergebung für deutsche Verbre-
chen im Zweiten Weltkrieg symbolisieren                        3.1 Generierung des Datenkorpus
sollte. Auf verschiedenen medialen Platt-                      Den ersten Teil des Samples bildet die
formen sind dabei unterschiedliche Bilder                      Bildberichterstattung in Tageszeitun-
vorherrschend: In der journalistischen                         gen aus Deutschland, Österreich und der
Bildproduktion werden Proteste vor allem                       Schweiz. Hier wurden pro Land jeweils
dokumentiert; digitale Medien können                           eine Qualitätszeitung, eine Boulevard-
Orte des Protests sein, Proteste verhan-                       zeitung und eine Regionalzeitung ausge-
deln und Solidaritätsgesten ausdrücken,                        wählt, um ein möglichst breites Spektrum
sie übernehmen eine zentrale Funktion                          an Perspektiven, Blattlinien und visuellen
in der Visualisierung von Protesten und                        Stilen zu bekommen (Tabelle 1). Die Regi-
können weitere Deutungen des Protest-                          onalzeitungen stammen aus den Haupt-
geschehens anbieten (Okoth, 2020). Sie                         städten, in denen die Proteste jeweils
bieten damit eine alternative Sicht in Er-                     stattgefunden haben. Der Erhebungs-
gänzung zur massenmedialen Berichter-                          zeitraum erstreckt sich vom 25. Mai 2020
stattung sowie zu Darstellungen der Poli-                      (dem Tag, an dem George Floyd getötet
zei (etwa durch Livestreams via Facebook,                      wurde) bis zum Abflauen der Proteste am
Fotos von Festnahmen usw.).                                    30. Juni 2020. Gesucht wurde in verschie-
                                                               denen Datenbanken (u. a. APA defacto,
                                                               Archive der Zeitungen) nach Artikeln mit
                                                               den Stichworten «Black Lives Matter» bzw.
                                                               «George Floyd». Der Gesamtkorpus an Bil-
                                                               dern (n = 458) wurde für eine bessere Ver-
                                                               gleichbarkeit mit Instagram auf jene Bilder
                                                               reduziert, die Demonstrationsgeschehen

Tabelle 1: Untersuchte Tageszeitungen und Anzahl Bilder, die Demonstrationsgeschehen zeigen

                   Deutschland          Anzahl Bilder Österreich           Anzahl Bilder Schweiz       Anzahl Bilder
Qualitätszeitung   Frankfurter All­         23        Der Standard            20        Neue Zürcher      17
                   gemeine Zeitung                                                      Zeitung
Regionalzeitung    Berliner Zeitung         17        Heute                   12        Blick             15
Boulevardzeitung   Bild                      7        Kronenzeitung           28        20 Minuten          8
Gesamt                                      47                                60                          40
8                                                          Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19

Tabelle 2: Lokale Verortung der Demonstrationen und Anzahl der Fotos davon

Stadt (Einwohner:innen)                      Anzahl Teilnehmende (Datum)                       Anteil Fotos von Demo an Gesamtzahl
Wien (1,9 Mio.)                                   50 000 (04.06.2020)                                       91/150
Berlin (3,6 Mio.)                                 15 000 (06.06.2020)                                       52/150
Zürich (403 000)                                  10 000 (13.06.2020)                                       60/100
Anmerkungen: Zu den Angaben der Teilnehmenden-Zahlen auf den einzelnen Demonstrationen siehe BLZ, 2020; Egloff, 2020; ORF, 2020.

abbilden (n = 147). Bilder im Korpus, die                          tag suchen, sehen wir das als passendes,
kein Demonstrationsgeschehen zeigen,                               feldspezifisches Sampling an.2
waren z. B. historische Aufnahmen, Bilder                               Interessant ist dabei, dass insgesamt
von Statuen, Produkte, die rassistische                            (über die Bildtypen hinweg) fast zwei
Motive verwenden, oder Grafiken, aber                              Drittel der 150 Bilder aus Wien und der
überwiegend Porträts von Künstler:innen,                           100 Bilder aus Zürich Fotos von der De-
Politiker:innen, Sportler:innen, die sich zu                       monstration sind, jedoch lediglich rund
den Protesten geäussert hatten.                                    ein Drittel der 150 Berlin-Bilder Demons-
Den zweiten Teil der Stichprobe bil­deten                          trationen zeigt. Es liegt nahe, dass dieser
die je ersten 150 bzw. 100 Insta­gram-­Pos­                        Unterschied auf die sehr unterschiedliche
tings, die mit einem der folgenden Hash­                           Anzahl der jeweils Teilnehmenden (auch
tags markiert waren: #blacklivesmat­     ter­                      in Relation zur Einwohner:innenzahl der
berlin, #blacklivesmattervienna, #black                            Städte) zurückzuführen ist. In Tabelle 2
livesmatterzurich (n = 400). Diese drei                            sind die Daten der ersten bzw. grössten
Hash­tags beziehen sich auf das lokale Pro-                        Protestkundgebungen genannt, in allen
testgeschehen in Wien, Berlin und Zürich1                          Städten haben in den Wochen danach
und damit auf konkrete, zeitlich begrenz-                          auch noch kleinere Märsche, Mahnwa-
te Demonstrationshandlungen, während                               chen usw. stattgefunden.
der übergreifende Hashtag #BlackLives-                                  Ursprünglich richtete sich unser For-
Matter mehrere 100 Millionen Postings                              schungsinteresse auf einen Vergleich zwi-
aus der ganzen Welt beinhalten würde.                              schen den drei untersuchten Ländern bzw.
Die Postings wurden im Zeitraum vom                                Städten. Abgesehen von der Gesamtan-
25. Juni bis 7. Juli 2020 in der Browser­                          zahl der Fotos von den Demonstrationen
ansicht von Instagram aufgerufen und per                           auf Instagram zeigten sich jedoch keine
Screenshot gespeichert. Die Reihung der                            nennenswerten Unterschiede in Bezug auf
Postings im Browser erfolgt dabei durch                            das Vorhandensein und die relative Häu-
den Instagram-Algorithmus nach «Top»,                              figkeit der Bildtypen, weshalb der Länder-
daher nach Relevanz und Chronologie,                               vergleich in Kapitel 4 nicht weiter ausge-
das bedeutet, dass populäre Postings mit                           führt wird.
vielen Likes und von Accounts mit grosser
Reichweite höher gereiht werden. Somit                             3.2 Methodisches Vorgehen
ist an der Priorisierung der Bilder und an                         Als Analysemethode diente die Bildtypen­
der Zusammenstellung des Korpus auch                               analyse (Grittmann & Ammann, 2011,
der Algorithmus als nicht-humaner Akteur                           S. 171). Nach der Zusammenstellung des
beteiligt. Da diese Art der Darstellung von                        Korpus wurden zunächst die relevanten
Inhalten auf Social Media aber den alltäg-                         Eckdaten zu den Bildern (Erscheinungs-
lichen Zugang der User:innen reprodu-                              datum, Zuordnung Zeitung, Positionie-
ziert und wir sehen, was ihnen angezeigt                           rung Seite, Farbe oder schwarz-weiss,
wird, wenn sie nach dem jeweiligen Hash-                           Bildquelle, Headline) dokumentiert. In der
                                                                   ersten Analysestufe, der ikonografischen

1 Zu #blacklivesmatterzurich konnten insge-                        2 Eine Alternative wäre die Reihung der Pos-
  samt nur 100 Bilder abgerufen werden, mehr                         tings nach «neueste» zu wählen, was eine
  wurden nicht angezeigt bzw. öfter wurde der                        chronologische Sortierung generiert, die le-
  Hashtag nicht verwendet.                                           diglich in der Smartphone-App möglich ist.
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19                                      9

Analyse, wurden induktiv Motive und The-                      4.1 Bildtypen in Tageszeitungen
men (Demonstrationsgeschehen, Portrait,                       Zunächst werden die vier vorherrschen-
materielle Umwelt usw.) bestimmt, denen                       den Bildtypen in den Tageszeitungen
in MAXQDA im Anschluss die Bilder von                         vorgestellt. Diese umfassen die Bildtypen
zwei Projektmitarbeiterinnen zugeord-                         «Interaktionen zwischen Demonstrieren-
net wurden. Jene Bilder, die als Demons-                      den und der Polizei», «Demonstrierende
trationsbilder definiert wurden, wurden                       als Masse», «Demonstrierende mit Schild»
schliesslich einer qualitativen Bildtypen-                    sowie «Protestgesten und Körper als kol-
analyse unterzogen. Im zweiten Analyse-                       lektive Inszenierung».
schritt wurden innerhalb der Gruppe der
Demonstrationsbilder       wiederkehrende                     4.1.1 Bildtyp «Interaktionen zwischen
Bildmotive ermittelt und zu unterschied-                              Demonstrierenden und der Polizei»
lichen Bildtypen gruppiert. Bei einem                         Mit insgesamt 54 Bildern im Datenkorpus
solchen Vorgehen werden Bilder mit ähn-                       der Tageszeitungen stellte sich der Bild-
lichen Bedeutungen der Motive zu Typen                        typ «Interaktionen zwischen Demonstrie-
zusammengefasst. Bildtypen können aber                        renden und der Polizei» als dominierend
auch unterschiedliche Motive mit der glei-                    heraus. Polizist:innen werden bei den De-
chen abstrahierten Bedeutung beinhalten                       monstrationen in Österreich, Deutschland
(Grittmann & Ammann, 2011, S. 170). Die                       und der Schweiz in erster Linie in ihrer
qualitative Bildtypenanalyse wurde zu-                        Rolle als friedliche Beobachter:innen des
nächst von den drei Autorinnen getrennt                       Geschehens sichtbar. Sie stehen in ihrer
durchgeführt, dann wurden die daraus                          Uniform – meist ohne Schutzkleidung
resultierenden Typologien verglichen, ak-                     oder Bewaffnung – mit vor dem Körper
kumuliert, auf ihre intersubjektive Nach-                     verschränkten Händen statisch da und be-
vollziehbarkeit geprüft und schliesslich                      obachten passiv die vorbeigehende Men-
zusammengeführt.                                              ge. Eine klare räumliche und physische
     Die quantitative Verteilung der Bild-                    Trennung wird durch Absperrgitter visuell
typen war ebenfalls von Interesse, aber                       untermauert. Die Polizei scheint hier eher
zweitrangig, da das Forschungsinteresse                       zum Schutz der Demonstrierenden und
primär darin lag zu untersuchen, welche                       der Infrastruktur abgestellt zu sein und
Protesthandlungen wie sichtbar gemacht                        wird visuell nicht als Aggressor gezeigt. In
werden, vor allem im Hinblick auf den kör-                    Bildern des US-amerikanischen Demons-
perlichen Ausdruck der Akteur:innen und                       trationsgeschehens, von denen es eben-
das visuelle Protestrepertoire, wie etwa                      falls einige in unserem Sample gibt, ist die
kollektive Inszenierungen und Gesten so-                      Polizei hingegen deutlich präsenter und
wie performative oder schriftliche Formu-                     es werden konfrontative Situationen und
lierungen der Protestanliegen. Aus der re-                    zum Teil sogar Kampfhandlungen sichtbar
lationalen Verteilung der Bildtypen war es                    gemacht. So treten in mehreren Bildern
jedoch möglich deren jeweilige Bedeutung                      Gruppen von Polizist:innen in Kampf-
innerhalb des Samples abzuleiten.                             montur mit Helmen, Plastikschildern und
                                                              Schlagstöcken auf. Sie suggerieren das
                                                              Eintreten in eine Konfliktsituation, die
4    Analysen der Bildkommunikation in                        potenziell physisch gewalttätig sein kann.
     Tageszeitungen und auf Instagram                         Dieses Auftreten als geschlossene, ano-
                                                              nyme Einheit unterstreicht die physische
Im Folgenden werden jene Bildtypen, die                       und zahlenmässige Überlegenheit gegen-
auf Basis der Bilder aus den Tageszeitun-                     über den Protestierenden.
gen und von Instagram rekonstruiert wer-
den konnten, kurz beschrieben und an-                         4.1.2 Bildtyp «Demonstrierende als
schliessend vergleichend analysiert.                                Masse»
                                                              Stark vertreten (n = 27) sind im Zeitungs-
                                                              sample Bilder, die die protestierenden
                                                              Menschenmassen von oben zeigen. In
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Abbildung 1:                Bildtyp «Demonstrierende mit Schild»

Quellen: von links oben im Uhrzeigersinn: Der Standard, 2.6.2020; Blick, 24.6.2020; Heute, 12.6.2020; Der Standard, 8.6.2020;
Blick, 15.6.2020; 20 Minuten, 2.6.2020; Grafik und Markierungen: eigene Darstellung.

diesen Bildern kommt einerseits Distanz                                 gessäule im Hintergrund), der bei entspre-
zum Demonstrationsgeschehen zum Aus-                                    chendem Wissen dekodiert werden kann.
druck, andererseits wird die breite gesell-
schaftliche Unterstützung visualisiert, die                             4.1.3 Bildtyp «Demonstrierende mit
der Protest erfährt. Aufnahmen, die bei                                        Schild»
Nacht entstanden sind, und auf denen                                    Bilder von Demonstrierenden mit hoch-
Hilfsmittel wie Feuer oder Pyrotechnik zu                               gehaltenem Schild stellen einen weiteren
sehen sind, können die Demonstrieren-                                   Bildtyp dar (n = 28). Dabei wiederholt sich
den bedrohlich wirken lassen. Sie erschei-                              eine V-förmige Bildkomposition (Abbil-
nen hier nur als Silhouetten und anonyme                                dung 1): Eine in der Regel eher jüngere,
Masse, meist dunkel gekleidet, teilweise                                oft weisse Person hält das Schild mit nach
auch maskiert. Bei Tageslicht hingegen                                  oben gestreckten Armen über den Kopf, so
wirkt der Protest friedlicher. Auch Bilder,                             dass die Aufschrift deutlich sichtbar wird.
die grössere Gruppen von Demonstrieren-                                 Der Körper trägt die Botschaft damit wie
den zeigen, von denen nur einzelne Per-                                 eine Verkehrs- oder Hinweistafel.
sonen erkennbar sind, lassen sich als Sub-                                   Schilder gehören zum visuellen Re­
kategorie diesem Typ zuordnen (n = 17). In                              pertoire von Demonstrationen. Sie formu-
diesen Bildern wird die Diversität der Be­                              lieren textlich die Anliegen der Protestbe-
teiligten deutlich. Zahlreiche Demonstrie-                              wegung, die körperlich oder performativ
rende sind auf diesen Bildern mit Banner                                nicht ausgedrückt werden können. Ein
zu sehen. Wie ein Schutzschild tragen sie                               spannender – wenngleich wohl eher zufäl-
es vor sich her und erscheinen dadurch                                  liger – Kontrast entsteht hierbei durch das
machtvoller. Indem im Hintergrund lokale                                Tragen der Mund- und Nasenschutzmas-
Sehenswürdigkeiten oder Denkmäler ab-                                   ken, die wie ein Symbol der Sprachlosig-
gebildet sind, finden sich in den Bildern                               keit oder des Sprechverbots wirken, dem
der demonstrierenden Massen teilweise                                   das «sprechende» Schild entgegengehal-
auch Verweise auf den Ort des Protests                                  ten werden muss. Die Schilder formulie-
(z. B. Wiener Karlskirche oder Berliner Sie-                            ren konkrete Protestanliegen und bewe-
                                                                        gen sich mit ihrer Kritik an Rassismus und
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19                                                   11

der Justiz oder der Würdigung der Opfer                                  als Geste der Solidarisierung und des Wi-
in einem breiteren Themenspektrum. Die                                   derstands – ein Symbol, das von unter-
Bilder aus dem europäischen Kontext äh-                                  schiedlichen politischen Bewegungen in
neln hier jenen, die US-amerikanisches                                   Anspruch genommen wird. Während die
Protestgeschehen zeigen, auch die Pro-                                   Geste in Europa vor allem als «sozialis-
testslogans sind quasi identisch. Eine                                   tischer Gruss» bekannt ist, ist sie in den
lokale Vereinnahmung des Protests zur                                    USA eng verbunden mit der Black Power
Sichtbarmachung sozialer Problemlagen                                    Bürger­rechtsbewegung und dem Protest
im Kontext von Rassismus und Fremden-                                    der beiden Schwarzen Athleten Tommie
feindlichkeit im deutschsprachigen Raum                                  Smith und John Carlos bei den Olympi-
findet im erhobenen Korpus kaum statt.                                   schen Spielen 1968, verweist hier also
                                                                         deutlich auf eine historische Kontinuität
4.1.4 Bildtyp «Protestgesten und Körper                                  der Protestanliegen. Die Bilder der Tages-
      als kollektive Inszenierung»                                       zeitungen zeigen ausschliesslich People
Zu einem weiteren Bildtyp (n = 27) lassen                                of Color, die diese Geste machen, meist
sich Bilder gruppieren, auf denen sich                                   Einzelpersonen vor einer im Hintergrund
Menschen unterschiedlicher Protestges-                                   zu sehenden Menschenansammlung. Vi-
ten bedienen und diese in kollektiven Ins­                               suell werden so unterschiedliche Rollen
zenierungen deutlich sichtbar machen.                                    von Demonstrierenden konstruiert, die
Ein wiederkehrendes Motiv in diesen Bil-                                 als zentrale oder periphere Figuren un-
dern ist die geballte und gestreckte Faust                               terschiedliche Positionen innerhalb des

Abbildung 2:                Bildtyp «Protestgesten und Körper als kollektive Inszenierung»

Quellen: von links oben im Uhrzeigersinn: Berliner Zeitung, 8.6.2020; Blick, 15.6.2020; Kronen Zeitung, 5.6. 2020.
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Protests einnehmen. Andere Bilder zeigen       Rahmen der globalen Proteste, etwa «How
wiederum grössere Gruppen von Men-             can I help from Austria?» oder «Black­
schen, die zusammen anhand von kol-            livesmatter – what can you do?». In diesem
lektiven Gesten oder Posen ihren Protest       Bildtyp deutet sich ein Wandel von media-
zum Ausdruck bringen, etwa auf dem Rü-         len Modalitäten innerhalb von Instagram
cken liegend, sich an den Händen haltend       an: Information und Wissensvermittlung
oder untereinander mit bunten Bändern          gewinnen an Bedeutung, und damit auch
verbunden. Auf einigen Bildern liegen die      Text als dafür geeignetes Medium (Ables,
Demonstrierenden auf dem Bauch mit             2020). Die textlastigen Slideshows eignen
dem Gesicht nach unten, teilweise sind         sich zudem gut dazu, in der Story geteilt
sie dabei gänzlich in schwarz gekleidet.       zu werden. Neben ausführlichen Inhalten
Hier wird Bezug genommen auf die Fest-         werden auch Protestslogans, Symbole und
nahme George Floyds, mit dem sie sich in       Solidaritätsbekundungen gezeigt. Da die-
ihrer Verletzlichkeit ausdrückenden Hal-       se Äusserungen ebenfalls eine Form von
tung solidarisieren. Andere Bilder zeigen      Protesthandlungen darstellen, wurden sie
Menschen, die gemeinsam als Zeichen            nicht aus dem Sample entfernt, sondern
des Respekts niederknien und ihren Blick       als eigener Bildtyp gefasst.
nach unten senken – eine Geste, die, wie
Milman und Doerr (im Druck) zeigen, in         4.2.2 Bildtyp «Protest von innen»
verschiedenen kulturellen und politischen      Der häufigste Bildtyp (n = 167) auf Ins-
Kontexten ganz unterschiedliche Konno-         tagram beinhaltet jene Bilder, die das Pro-
tationen hervorrufen kann. Die Mund-           testgeschehen von innen zeigen: Meist
und Nasenschutzmasken scheinen ihnen           sind maskierte oder unmaskierte Gesich-
auf diesen Bildern sinnbildlich ihre Stim-     ter, vor allem junger Menschen, zu sehen,
me zu nehmen.                                  es treten sowohl Weisse als auch People of
     Die Bilder dieses Typs lassen sich mit    Color in Erscheinung, die Diversität der
anderen Formen des gewaltfreien Wider-         Teilnehmenden wird deutlich sichtbar.
stands oder zivilen Ungehorsams assoziie-      Gezeigt wird ein friedlicher Protest in som-
ren. Sie zeigen aber auch, auf welche Wei-     merlicher Atmosphäre – innerhalb des
se die Protestbewegung den öffentlichen        Typs lassen sich explizit vor der Kamera
Raum reklamiert und einen Platz in der         posierende Akteur:innen und grössere so-
Gesellschaft für sich beansprucht.             wie kleinere Gruppen, meist in Bewegung,
                                               unterscheiden. Jene Bilder, die selbst ge-
4.2 Bildtypen auf Instagram                    staltete Plakate und Schilder fokussieren,
In den folgenden Abschnitten werden die        stellen innerhalb des Typs über alle Städte
Bildtypen auf Instagram, die nicht-foto­       hinweg die grösste Subkategorie dar. An
grafische und fotografische Elemente           den Texten der Schilder wird deutlich, dass
enthalten, näher erläutert. Im Einzelnen       fast ausschliesslich englischsprachige Be-
handelt es sich um die Bildtypen «Text/        griffe und Slogans verwendet werden und
Meme/Grafik», «Protest von innen» und          somit ein starker Bezug zum US-amerika-
«Sprecher:in».                                 nischen Ursprung der Protestbewegung
                                               hergestellt wird.
4.2.1 Bildtyp «Text/Meme/Grafik»                    Die Kamera befindet sich in diesem
Dieser Typ umfasst jene Postings, die keine    Bildtyp in der Menge und auf Augenhö-
oder kaum fotografische Elemente enthal-       he, es wird deutlich, dass die Bildprodu-
ten, sondern aus Text, Memes oder Gra-         zent:innen gleichzeitig Demonstrierende
fiken bestehen. Diese Gruppe stellt rund       sind. Sie zeigen somit ihren Follower:in-
ein Fünftel des Gesamtkorpus (n = 83) dar      nen die Geschehnisse mehr oder weniger
und ist überraschend gross angesichts der      live (fast alle Bilder sind zwischen dem
Tatsache, dass Instagram eigentlich ein fo-    5. und 8. Juni 2020 gepostet worden) und
tozentriertes Medium ist. Oft enthalten die    von mittendrin. Im Sinne einer «connec-
Postings englischsprachige Informationen       tive action» können die Bildbeiträge zu
und konkrete Handlungsanweisungen im           den Hashtags als «personal action frame»
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Abbildung 3:                Bildtyp «Protest von innen»

Quelle: von links oben im Uhrzeigersinn: @africaninzurich, 13.6.2020; @bpitch.berlin, 6.6.2020; @barbarakarner, 7.6.2020;
@teryoshi, 27.6.2020; @bhenji89, 16.6.2020; @nikishafogo, 5.6.2020.

verstanden werden (Bennett & Segerberg,                                4.2.4 Weitere Bildtypen
2012), als Übersetzung eines Protestanlie-                             Schliesslich finden sich noch einige seltene
gens in den persönlichen, individuellen                                Bildtypen, zum Beispiel «räumliche Bezü-
Handlungs- und Relevanzbereich.                                        ge zu konkreten urbanen Orten», wie etwa
Eine weitere Untergruppe innerhalb dieses                              die Wiener Karlskirche oder die Berliner
Typs zeigt auch die Demonstrationen von                                Siegessäule. Die spezifischen räumlichen
innen, bedient aber eine andere Art von                                Bedingungen werden in das Protestge-
Ästhetik: Die überwiegend schwarz-wei-                                 schehen integriert, etwa indem Engelssta-
ssen Bilder sind im Stil von Fotoreporta-                              tuen Protestschilder umgehängt werden
gen oder Street Photography aufgenom-                                  oder Protestierende auf U-Bahn-Abgänge
men, zeigen ausdrucksstarke Gesten und                                 hinaufklettern. Die räumliche Verortung
Porträts und können grossteils Accounts                                wird meistens auch im Bildtyp «Masse
von Fotograf:innen zugeordnet werden.                                  von aussen» sichtbar, der die Demonst-
                                                                       rierenden nicht als Individuen, sondern
4.2.3 Bildtyp «Sprecher:in»                                            als homogene Gruppe aus der Aussen-
In diesem Bildtyp, der in Berlin wohl auf-                             perspektive bzw. Vogelperspektive an ei-
grund des Protestformats einer «Silent                                 nem bestimmten Ort zeigt. Ein weiterer
Demo» nicht vorkommt, werden bestimm-                                  seltener Bildtyp, der fast nur in Berlin er-
te Personen durch Mikrofone, Megafone                                  scheint, sind «künstlerische Auseinander-
oder exponierte Positionen auf Bühnen als                              setzungen mit dem Thema Rassismus»,
für die Bewegung Sprechende markiert.                                  in dem sich etwa Streetart-Darstellungen
Diese Personen erhalten eine aktive Rolle                              oder Zeichnungen mit BLM-Bezug finden.
und scheinen so visuell für die Bewegung                                    Im Bildtyp «Merchandising Produkte»
zu sprechen. Auf Instagram sind in dieser                              werden zum Beispiel T-Shirts angeboten,
Rolle nur People of Color zu sehen.                                    aber auch Kekse und Torten – die in Berlin
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stark präsente Kampagne «Bakers against        die Darstellungen der US-Proteste in den
racism» nutzte den BLM-Hashtag intensiv        Bildern der Tageszeitungen werden als
zu Mar­ ke­
          ting-Zwecken, behauptet aber,        potenziell gewalthaltig konstruiert, indem
durch den Verkauf von Backwaren die            z. B. die Polizei in Schutzausrüstung oder
BLM-­Initiative zu unterstützen. Insgesamt     Demonstrierende mit Drohgebärden und
fan­
   den sich jedoch kaum kommerzielle           Pyrotechnik sichtbar gemacht werden.
Postings, die die Hashtags zweckentfrem-       Die Demonstrierenden im deutschspra-
den.                                           chigen Raum werden in den Tageszeitun-
                                               gen hingegen als friedliche Masse darge-
                                               stellt. Auch die untersuchten Bilder auf
5    Diskussion: Visueller Aktivismus auf      Instagram zeigen keine gewalthaltigen
     Instagram und Protestabbildungen          Darstellungen, da sie sich ausschliesslich
     in Tageszeitungen                         auf Protesthandlungen im deutschspra-
                                               chigen Raum beziehen, was aufgrund
Die Ergebnisse der Analysen der Bilder         der ausgewählten Hashtags naheliegend
bei Instagram und in den untersuchten          ist. In Bezug auf Twitter stellten Neumay-
Zeitungen wurden entlang der von uns           er und Rossi (2018, S. 4306) fest: «Rather
entwickelten Bildtypen gruppiert. Unter-       than rupturing the hegemonic visuality of
schieden haben wir nach den Akteur:in-         protest, the images shared on Twitter am-
nen und Sprechpositionen, den Darstel-         plify and reinforce existing classifications
lungsformen und der Ästhetisierung und         and shift focus from social movements’
Gestaltung. Insgesamt sind in beiden Me-       grievances to the spectacle of violence.»
dienkontexten vielfältige Personen und         Da es aber in Bezug auf die BLM-Proteste
Personengruppen sichtbar. Mehrheitlich         im deutschsprachigen Raum kein «spec-
wird das Demonstrationsgeschehen von           tacle of violence» gab, konnte dieses auch
Weissen dominiert. Die Rolle, die Ak-          nicht abgebildet werden. Die Tageszeitun-
teur:innen zugewiesen wird, unterschei-        gen greifen daher auf Agenturbilder von
det sich jedoch teilweise bei den visuellen    anderen Orten des Protests zurück und
Konstruktionen in Tageszeitungen und auf       unterstützen so die hegemoniale visuelle
Instagram; so sind in Tageszeitungen Peo-      Deutung von Protesten als gewaltvoll und
ple of Color als Protestakteur:innen mit       potenzielle Bedrohung der herrschenden
erhobener Faust zu sehen, während sie auf      Ordnung. Auf Instagram wird hingegen ein
Instagram durch Bühnen und Mikrofone           «colorful protest as an alternative» deut-
sichtbar eine Sprechposition erhalten. Die     lich (Neumayer & Rossi, 2018, S. 4304).
Personen, die in Tageszeitungen abgebil-       Die Proteste waren darüber hinaus An-
det werden, und als Weiss gelesen werden       stoss für weitere Initiativen wie etwa das
können, stellen so eine sich solidarisieren-   Black Voices Volksbegehren in Österreich.
de Gruppe bzw. Masse dar. Die Faust als        Der lokale (gesellschafts-)politische Bezug
Geste bekommt eine ikonenhafte Bedeu-          wird während der Demonstrationen selbst
tung, die an die Ästhetik anderer Protest-     jedoch kaum sichtbar. In unserem Sample
bilder anknüpft.                               gibt es nur vereinzelt Bilder, die über Schil-
    In Bezug auf die Darstellungsformen        der und Slogans Verbindungen zwischen
bietet Instagram ein vielfältiges Bild vom     den globalen Protestanliegen und jeweils
Protestgeschehen durch die Innenpers-          lokalen Problemlagen im Zusammenhang
pektive. Das Demonstrationsgeschehen           mit Diskriminierung und Rassismus her-
wird aus der Sicht der Teilnehmer:innen        stellen – etwa durch Hinweise auf die ko-
gezeigt, während bei den Pressebildern         loniale Vergangenheit Europas oder die
die Demonstrierenden vor allem als Masse       Thematisierung eigener bzw. westlicher
und von aussen gezeigt werden. Dadurch         Verstrickungen. Eine Übersetzung in spe-
entsteht eine Distanz, die noch dadurch        zifische kulturelle und sozio-politische
unterstützt wird, dass aufrührerische Sze-     Kontexte findet somit kaum statt.
nen fast ausschliesslich bei den Bildern             In Bezug auf die Ästhetisierung und
in Tageszeitungen vorkommen. Vor allem         Gestaltung der Bildelemente zeigt sich,
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19                                     15

dass Instagram eine bestimmte Bildpoli-                       in Tageszeitungen als auch auf Instagram
tik durch die gängige mobile Nutzung der                      werden Emotionen und Affekte adres-
App fördert. Fotos von Einzelpersonen                         siert, was gerade bei visuellen Ausdrucks-
und Gruppen bei einer der Demonstra-                          formen eine zentrale Rolle spielt. Für die
tionen finden in einem «selfie activism»                      BLM-Bewegung erhalten insbesondere
(Nikunen, 2019) ihre Ausdrucksform. So                        Social Media eine zentrale Rolle, da diese
wird zwar Solidarität mit den globalen                        die Entwicklung gemeinsamer Ziele und
Protesten ausgedrückt, teilweise aber in                      den Bewegungszusammenhalt unterstüt-
Form einer Art «Instagrammable huma-                          zen können, während Tageszeitungen vor
nitarianism» (Reestorff, 2018), der es er-                    allem eine hegemoniale, sensationsori-
leichtert sich an einem Protest oder einer                    entierte Deutung des Protestgeschehens
Kampagne zu beteiligen. Bei den Bildern                       liefern.
auf Instagram war zudem auffällig, dass
sie häufig von Accounts stammen, die
professionellen Creator:innen zugeord-                        6      Resümee
net werden konnten, wie sie generell auf
Social Media vielfach vertreten sind. Als                     Diese Zusammenschau der Ergebnisse
kommerzielle Plattform unterstützt Ins-                       der öffentlichen visuellen Aushandlungs-
tagram auch Werbeeinnahmen; vor die-                          prozesse über und von Black Lives Matter
sem Hintergrund ist zu verstehen, dass                        zeigt das Zusammenwirken von media-
die Hashtags teilweise auch zu Zwecken                        ler Öffentlichkeit, digitalen Medien sowie
des Merchandisings bestimmter Produk-                         individuellen Ausdrucksformen als kon-
te genutzt werden, wie bei der visuellen                      stituierend für die kulturelle Bedeutungs-
Analyse deutlich wurde. Die grosse Menge                      produktion. Durch verschiedene visuelle
an Text- und Informationspostings rund                        Darstellungen und Ästhetisierungen wer-
um die Hashtags macht zudem deutlich,                         den die Proteste in einer unterschiedlich
dass die einst bildzentrierte Plattform nun                   breiten Perspektive verortet. Dies zeigt,
auch vermehrt für inhaltliche Wissens­                        dass – bei aller Unterschiedlichkeit in Be-
vermittlung und Community-Building ge-                        zug auf die untersuchten visuellen Kon-
nutzt wird.                                                   struktionen – die Frage danach, welche
     Tageszeitungen greifen vor allem auf                     Perspektiven mit welchen Ästhetiken
Bilder von Bildagenturen zurück. Dies er-                     Protestbewegungen visualisieren, zentral
klärt, dass neben den lokalen Protesten                       ist. Die unterschiedlichen kontextuellen
auch US-amerikanische Proteste einen                          Bedingungen treten also in Bezug auf die
so grossen Raum einnehmen sowie be-                           Sichtbarmachung von Protestanliegen
stimmte Kameraperspektiven – wie eine                         deutlich hervor: Auf Social Media insze-
demonstrierende Masse von oben – mög-                         nieren sich die Teilnehmenden einerseits
lich sind. So zeigen die Tageszeitungen                       als Teil einer aktiven Zivilgesellschaft
zwar unterschiedliche Bilder; dennoch                         und betonen politisches Engagement im
wirken die Bilder auf Instagram vielfältiger                  Rahmen ihrer Selbstdarstellung auf Ins-
in Bezug auf das Demonstrationsgesche-                        tagram. Durch die Nutzung der Hashtags
hen im deutschsprachigen Raum.                                machen sie zudem die Protestbewegung
     Insgesamt lässt sich festhalten, dass                    insgesamt sichtbarer und gestalten deren
gerade über Instagram Formen von Öf-                          Repräsentation mit. Die journalistische
fentlichkeiten entstehen, die sich um ein                     Bildkommunikation in den Tageszeitun-
bestimmtes Ereignis herum formieren,                          gen hingegen richtet die Aufmerksamkeit
im Sinne einer «event-driven-public»                          eher auf das Aussergewöhnliche bzw. Mar-
(Thimm, 2017). Durch die Praktiken des                        kante, etwa Zusammenstösse mit der Poli-
Teilens und Likens stellt dies eine Form                      zei in den USA und die demonstrierenden
der «connective action», also des politi-                     Massen im deutschsprachigen Raum; sie
schen Engagements als Ausdruck per-                           orientieren sich so an der gängigen Be-
sönlicher Hoffnungen und Lebensstile                          richterstattung über aktuelle Geschehnis-
dar (Bennett & Segerberg, 2012). Sowohl                       se und kuratieren deren Darstellung aus
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