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Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 How do Black Lives Matter? Zur visuellen Konstruktion von Protest in deutschsprachigen Tageszeitungen und auf Instagram How do Black Lives Matter? On the visual construction of protest in German-language daily newspapers and on Instagram Ricarda Drüeke*, Corinna Peil und Maria Schreiber, University of Salzburg, Department of Communication Studies, Austria *Corresponding author: ricarda.drueeke@plus.ac.at Abstract Der gewaltsame Tod von George Floyd Ende Mai 2020 löste eine globale Protestbewegung aus: Ausge- hend von den USA fanden weltweit zahlreiche Kundgebungen, Demonstrationen und Mahnwachen statt, mit denen gegen Rassismus und Polizeigewalt Stellung bezogen wurde. Dieser Protest war und ist Ge- genstand unterschiedlicher visueller Repräsentationen und medialer Formen, die einen wichtigen Anteil an den Bedeutungsproduktionen rund um die Protesthandlungen haben. Auf Basis einer Bildtypenanalyse der (Bild-)Berichterstattung über die Proteste in deutschsprachigen Tageszeitungen sowie der Darstellungs formen auf Instagram im Kontext von Demonstrationen im deutschsprachigen Raum setzt sich der Beitrag mit visuellen Konstruktionen von Protest auseinander und diskutiert deren Bedeutung vor dem Hintergrund gesellschaftlicher, medialer und politischer Kontexte. Es zeigen sich jeweils unterschiedlich dominierende Bildtypen: So sind in der Medienberichterstattung Bilder von Demonstrierenden als Masse vorherrschend, die die einzelnen Teilnehmer:innen nicht wahrnehmbar machen. Auf Instagram finden sich vor allem Innen- Perspektiven der Demonstrationen durch individuelle (Selbst-)Inszenierungen der Demonstrierenden. Deut- lich wird zudem, dass die journalistischen Bilder die Proteste insbesondere im Hinblick auf spannungsreiche Konfliktsituationen im US-Kontext mit hohem Nachrichtenwert zeigen, während auf Instagram die Verge- meinschaftung über Gruppenbilder und damit die Inszenierung und Mobilisierung der Teilnehmenden in den Vordergrund rückt. The violent death of George Floyd at the end of May 2020 triggered a global protest movement: Starting in the US, numerous rallies, demonstrations, and vigils took place around the world, taking a stand against racism and police violence. This protest was and is subject to different visual representations and mediated expressions, which have an important share in the production of meaning around the protest actions. Based on a picture type analysis of the (image) coverage of the protests in Austrian, German and Swiss newspa- pers as well as on visual expressions on Instagram in the context of demonstrations in German-speaking cities, the article deals with visual constructions of protest and discusses their meaning against the back- ground of social, media, and political contexts. Different dominant image types emerge in each case: In media coverage, for example, images of demonstrators as a mass are predominant, which make the individ- ual participants imperceptible. On Instagram, there are mainly internal perspectives of the demonstrations through individual self-dramatizations of the demonstrators. It also becomes clear that journalistic images show protests with a high news value, especially with regard to tense conflict situations in the US context, while on Instagram the communalization via group images and thus the staging and mobilization of the participants comes to the fore. Keywords Social Media, visuelle Kommunikation, Cultural Studies, soziale Bewegungen, Pressefotografie, Fotojourna- lismus, Bildkommunikation, visuelle Analyse Social media, visual communication, cultural studies, social movements, press photography, photojournal- ism, image communication, visual analysis https://doi.org/10.24434/j.scoms.2022.01.2982 © 2022, the authors. This work is licensed under the “Creative Commons Attribution – NonCommercial – NoDerivatives 4.0 International” license (CC BY-NC-ND 4.0).
2 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 1 Einleitung: Zur Bedeutung Bilder von Protesten und Protestbe- der Bildkommunikation in wegungen wie BLM sind im Sinne der Cul- unterschiedlichen Kontexten tural Studies als visuelle Repräsentationen Ausdruck gesellschaftlicher Machtstruk- Der Hashtag #BlackLivesMatter wurde turen (Hall, 2007). Sie geben vor, was von erstmals 2013 verwendet, nachdem das diesen Protesten wie wahrnehmbar und Gerichtsverfahren zum Mord an dem erst damit sichtbar wird. Gleichzeitig sind visu- 17-jährigen Trayvon Martin, der von ei- elle Artefakte Teil des Kreislaufs kultureller nem Mitglied einer Nachbarschaftswache Bedeutungsproduktionen und eingebun- in Sanford im US-Bundesstaat Florida auf den in soziale Aushandlungen, Meinun- offener Strasse erschossen wurde, mit ei- gen, Gewohnheiten und Institutionen nem Freispruch endete (Tyner, 2021, S. 6). (Mirzoeff, 2011). Medienbilder bestimmen Der gewaltsame Tod von George Floyd in über das öffentliche Bildrepertoire, das zu Minneapolis Ende Mai 2020 löste erneut Protesten verfügbar ist. Im Sinne von Ja- eine globale Protestbewegung aus: Ausge- ques Rancière (2004) nehmen sie eine ele- hend von den USA fanden weltweit zahl- mentare politische Rolle im Hinblick auf reiche Kundgebungen, Demonstrationen die Darstellung aber auch Verschiebung und Mahnwachen statt, mit denen gegen der Grenzen des Sichtbaren und Zeigba- Rassismus und Polizeigewalt Stellung ren in der Gesellschaft ein. Bilder sind also bezogen wurde – so auch in Österreich, ein wesentlicher Teil der medialen Bedeu- Deutschland und der Schweiz. Bei der tungsproduktion zu Protestbewegungen, weitreichenden Mobilisierung der Black- sie werden als symbolische Konstrukti- Lives-Matter-Bewegung (BLM) in den USA onen und Teil von Sichtbarkeitsverhält- und darüber hinaus spielen «visual public nissen betrachtet (Schade & Wenk, 2011). events» (Milman & Doerr, im Druck, S. 3), Vor diesem Hintergrund stellen sich die die Aufsehen erregen und starke Reaktio- folgenden Forschungsfragen: Welche vi- nen hervorrufen, eine zentrale Rolle. So suellen Repräsentationen der Black Lives erreichte die Ermordung Floyds vor allem Matter-Proteste sind vorherrschend und auch deswegen eine so grosse Öffentlich- welche Deutungsmuster legen sie nahe? keit, weil kurz nach der Tat bereits Videos Dabei interessiert in der vorliegenden Stu- auf Social Media hochgeladen und mas- die vor allem der Vergleich von Bildern, die senhaft geteilt wurden, die dokumentie- innerhalb verschiedener Produktionskon- ren, wie der Polizeibeamte Derek Chauvin texte entstehen, nämlich in Tageszeitun- minutenlang auf Floyds Hals kniete und gen und auf Social Media. Beide Kontexte ihm bis zur Bewusstlosigkeit mit späterer unterscheiden sich in Bezug auf ihre Funk- Todesfolge die Atemluft abschnitt. Bilder, tionen, Logiken und Entstehungsbedin- Symbole und visuelle Elemente spielen so- gungen aber auch im Hinblick auf damit wohl für Protestakteur:innen bei Demons- verbundene Restriktionen (z. B. Druck- trationen als auch in medialen Repräsen- schluss bei Printprodukten, Interface-Vor- tationen von Protest eine Rolle. Unser gaben bei Instagram) und Potenziale (z. B. Beitrag beschäftigt sich mit den visuellen Zugriff auf weltweite Bilddatenbanken für Dimensionen der BLM-Bewegung und Bildredaktionen, Sichtbarkeit durch Hash- analysiert die visuellen Repräsentationen tags für alle Instagram-User:innen). und Darstellungsformen der Proteste in Die journalistische Bildproduktion deutschsprachigen Tageszeitungen und hat sich in den letzten Jahrzehnten im auf Instagram. Ziel ist es herauszuarbei- Zusammenhang mit dem übergreifenden ten, wie Akteur:innen, Motive und Inter- Prozess der Digitalisierung stark gewan- essen in unterschiedlichen Medien visuell delt. Unter den Voraussetzungen der di- vermittelt werden, und gleichzeitig kri- gitalen Produktion hat sich nicht nur die tisch zu reflektieren, welche dominanten Anzahl an Publikationsorten, Distributi- Rahmungen, Leerstellen und Vereinnah- onswegen und veröffentlichten Bildern im mungen durch visuelle Konstruktionen Journalismus signifikant erhöht, sondern stattfinden. es haben sich auch neue infrastrukturelle,
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 3 für redaktionelle Arbeitsprozesse folgen- Weltanschauungen darin zum Ausdruck reiche Rahmenbedingungen herausge- kamen. bildet (Grittmann & Koltermann, 2022). Auf Instagram, Snapchat und Face- Bildredaktionen haben heute Zugang zu book unterliegt die Bildkommunikation einer nie dagewesenen Vielzahl journa- anderen Regeln und Konventionen. Social listischer Bilder, die von professionellen Media bieten professionellen Akteur:in- Fotojournalist:innen ebenso bereitgestellt nen und Organisationen ebenso wie in- werden wie von Amateurfotograf:innen, dividuellen Nutzer:innen einfache und Bildagenturen und Datenbanken. Die Rol- schnelle Möglichkeiten Bilder zu teilen len und Handlungsspielräume der invol- und zu zeigen, mit wahlweise begrenzt-in- vierten Akteur:innen und Organisationen timer bis öffentlich-globaler Sichtbarkeit. prägen die Bildkommunikation. Ebenso Jede:r kann somit auch an der visuellen spielen Nachrichtenwerte, spezifische Dokumentation und Darstellung von be- Textanforderungen und Gestaltungsrou- stimmten Orten und Ereignissen mitwir- tinen eine Rolle in der journalistischen ken. Die heutige Omnipräsenz von visuel- Bildproduktion. Konstruktionsprozesse lem nutzer:innengenerierten Inhalt wurde finden somit auf allen Ebenen und in al- von der Verbreitung der Smartphone-Fo- len Phasen der Herstellung, Distribution tografie, der steigenden Popularität von und Publikation journalistischer Bilder Social Media und damit der Demokratisie- statt. Sie unterstreichen den Charakter rung von Bildproduktion vorangetrieben von Bildern als «sozial gestaltete Produk- (Hand, 2012; Schreiber, 2020; Van House, te» (Kanter, 2016, S. 8). Auch journalis- 2011). Besonders die Plattform Instagram tische Bilder von Protest bringen durch hat mit ihrem klaren Fokus auf Bilder die ihre Perspektivierungen soziale Verhält- steigende Bedeutung visueller Kommu- nisse auf spezifische Art und Weise zum nikation in sozialen Medien wesentlich Ausdruck. Dies manifestiert sich etwa in mitgestaltet (Leaver, Highfield, & Abidin, der Auswahl des Bildausschnitts, der Ge- 2020). Die Plattform existiert seit 2010, ge- wichtung bestimmter Bildelemente oder hört seit 2012 zu Facebook (mittlerweile auch darin, dass die Protestierenden wie Meta) und ist mit einer Milliarde aktiven auch diejenigen, gegen die sich der Protest User:innen pro Monat (Statista, 2021) vor richtet und die Interaktionen zwischen allem bei jüngeren Nutzer:innen, Influen- beiden auf bestimmte Weise sichtbar ge- cer:innen und Werbetreibenden das wohl macht werden. Zugleich sind die Gren- aktuell bedeutendste soziale Netzwerk. zen der journalistischen Bildproduktion Um Instagram zu nutzen, muss ein Ac- vergleichsweise eng gesteckt. Trotz der count eingerichtet werden, mit dem an- zunehmenden Bedeutung und Ausdiffe- dere Accounts abonniert werden können, renzierung der visuellen Kommunikation deren Postings und Storys beim Öffnen im Journalismus zeigen Studien, «dass der App im eigenen Feed algorithmisch journalistische Bildkommunikation stark sortiert angezeigt werden. konventionalisiert ist und immer wieder Bevor wir auf Basis unserer empiri- auf vergleichbare Bildmotive rekurriert» schen Untersuchung unsere Einsichten (Grittmann, 2019, S. 134). Dies gilt insbe- zur visuellen Konstruktion von BLM in sondere für Nachrichtenbilder, die anders deutschsprachigen Tageszeitungen und als die dokumentarische Fotografie stärker auf Instagram zeigen, diskutieren wir im einem Anspruch auf Aktualität, Ereignis- Folgenden den theoretischen Rahmen bezug und soziale Relevanz verpflichtet und ordnen diesen in das Spannungsfeld sind (Grittmann, 2019, S. 131). Eine Doku- von Öffentlichkeit, Aktivismus und visuel- mentation der Proteste findet aber auch lem Protest ein. in der journalistischen Bildproduktion, etwa in Tageszeitungen, statt, die wider- spiegelt, welche visuellen Repräsentatio- nen in einer bestimmten Zeit bedeutsam waren und welche Wissensressourcen und
4 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 2 Theoretischer Rahmen: det weitergehend auf digitaler Ebene zwi- Öffentlichkeit, digitaler Aktivismus schen «event-driven mini-publics» und und visueller Protest «user-initiated mini-publics», die unter- schiedliche Entstehungskontexte berück- Proteste und soziale Bewegungen wie sichtigen, die sich auf einzelne Ereignisse, auch BLM formieren Öffentlichkeiten; die Protestbewegungen auslösen können, sie werden von den traditionellen Medi- oder auf von Nutzer:innen initiierte Akti- en wahrgenommen, Medien spielen aber onen beziehen. Mit dem Begriff der «po- auch im Protesthandeln selbst wie auch lymedia-publics» verweisen Thimm und in dessen Abbildung eine zentrale Rolle. Mario Anastasiadis (2017, S. 235) auf die Im folgenden Abschnitt skizzieren wir vor technischen Affordanzen, die über die diesem Hintergrund den theoretischen Ausgestaltung der Öffentlichkeiten mitbe- Rahmen, der auf die soziale Bewegungs- stimmen und damit vor allem den unter- forschung sowie zeitgenössische Theorien schiedlichen Netzwerkcharakter betonen. von Öffentlichkeit Bezug nimmt und in Axel Bruns und Jean Burgess (2015, S. 25) diese Konzepte mediatisierter Protestfor- sprechen mit Verweis auf Tarleton Gillespie men einordnet. (2014) unter Berücksichtigung der techno- Soziale Bewegungen setzen sich für logischen Rahmenbedingungen von einer einen sozialen und gesellschaftlichen «calculated public», um auf die Personali- Wandel ein, der wegen als ungerecht emp- sierung dieser Öffentlichkeiten hinzuwei- fundener gesellschaftlicher Missstände sen. Algorithmen, so führt Gillespie (2014) angestrebt wird (Schedler, 2016; Ullrich, aus, entscheiden mit über die Themen bei 2017). Im Zentrum der sozialen Bewe- Twitter oder die vorgeschlagenen Seiten gungsforschung standen vor allem grosse von Facebook und suggerieren eine Form und organisierte soziale Bewegungen, die einer gemeinsamen Öffentlichkeit. Gerade einen gemeinsamen Inhalt und ein er- neuere Protestbewegungen und Formen kennbares und über Jahre verfolgtes Ziel von digitalem Aktivismus beruhen häufig haben, wie etwa die Frauen-, Umwelt- und auf losen Verbindungen und auf sich ad- die Arbeiter:innenbewegungen (Roth & hoc bildenden Netzwerken. Sie bedienen Rucht, 2008; Warner, 2002; Wischermann, sich variierender Aktionsformen, ein ge- 2017). Gegenwärtig wird vor allem dar- meinsames Ziel gibt es oft nur temporär auf verwiesen, dass sich mit dem Inter- (Rucht & Teune, 2017, S. 24). Dies zeigt sich net Protest ausdifferenziert hat und sich etwa bei Solidaritätsbekundungen mittels vielfältige Akteur:innen politisch engagie- Regenbogenflaggen oder Bannern wie ren. Dies verändert auch die Formen und «leave no one behind» auf Facebook-Pro- Funktionen von Öffentlichkeit. Die Viel- filen, wo die Akteur:innen zwar Teil der zahl und Vielfalt an Öffentlichkeiten erfor- jeweiligen Protestbewegung sein können, dert Konzepte, die die Temporalität und aber eben auch grösstenteils nur zeitwei- Flüchtigkeit dieser Öffentlichkeiten erfas- se Unterstützung ausdrücken. Damit sind sen. Danah boyd (2010, S. 39) bezeichnet Öffentlichkeiten, die sich über Protesthan- solche Öffentlichkeiten als «networked deln formieren, weniger beständig, da sie publics», gebildet aus «spaces and audi- zwar einer Verständigung über gemeinsa- ences that are bound together through me Inhalte dienen, diese jedoch nicht über technological networks». Damit wird der einen längeren Zeitraum verfolgt werden Netzwerkcharakter verschiedener Social- müssen. Media-Plattformen herausgestrichen, da In gegenwärtigen Medienökologien verschiedene Anwendungen nicht ge- kann auch eine eher schwach ausgepräg- trennt voneinander, sondern in ihrer Ver- te gemeinsame Identität zu einer breiten wobenheit untersucht werden müssen. Mobilisierung führen, da die Beteiligung Auf der Vorstellung von Netzwerköffent- an Protesten niedrigschwelliger ist (Rucht, lichkeiten aufbauend, bezeichnet Caja 2011). Donatella della Porta (2005) spricht Thimm (2017, S. 106) digitale Öffentlich- in diesem Zusammenhang von «tolerant keiten als «mini-publics». Sie unterschei- identities»: Aktivist:innen, die sich in eher
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 5 losen Zusammenhängen versammeln professionellen Journalismus. In dem von und über keine homogene Ideologie ver- ihm als «hybrid media system» bezeichne- fügen, bedienen sich dieser. Gerade in ten Konstellationen zeigen sich vor allem den vergangenen Jahren haben sich über verschiedene Strategien und Taktiken in Hashtags solche temporären und ereig- der Unterscheidung zwischen «new and nisbezogenen Öffentlichkeiten formiert, old media logics» (Chadwick, 2017, S. 277). die Protesthandeln unterstützen. Hinzu- Neben Medien, die vor allem der Dis- gekommen sind flüchtigere Zusammen- kussion, der Kommunikation und ver- schlüsse und Solidaritätsbekundungen, schiedenen Formen von Aktivismus die- die durch Teilen und Klicken möglich sind. nen, ist für soziale Bewegungen öffentliche Diese sind nicht dauerhaft, da sie lediglich Aufmerksamkeit zentral, damit ihre Anlie- temporär eine kollektive Aktionsform dar- gen wahrgenommen werden. Traditionel- stellen, aber sich nicht in einer Bewegung len Medien wurde lange Zeit eine wichtige verdichten. Lisa Steiner und Stine Eckert Rolle eingeräumt. So formuliert der Be- (2017, S. 214) benennen solche Bündnisse wegungsforscher Joachim Raschke (1988, als «fluid public clusters», um die Dynamik S. 343): «Eine Bewegung, über die nicht der Räume und Akteur:innen zu betonen. berichtet wird, findet nicht statt.» Um öf- Solche Proteste verdichten sich häufig um fentliche Aufmerksamkeit herzustellen, ein bestimmtes Thema oder Ereignis, wo- nutzen soziale Bewegungen und Protest- mit für dieses Sichtbarkeit und Aufmerk- bewegungen verschiedene Strategien, die samkeit hergestellt werden (Daubs, 2017). auch immer abhängig von den zur Verfü- Darin zeigen sich temporäre Allianzen gung stehenden Medien und Technologi- und Bündnisse, die ein gemeinsames An- en sind. Dieter Rucht (2016) unterscheidet liegen verfolgen. Anne Kaun, Maria Kyria- verschiedene Techniken der Aufmerk- kidou und Julie Uldam (2016, S. 2) sehen samkeitserzeugung, die etwa Spektakel, im Konzept einer «political agency» die gemeinsame Symbolik und Personalisie- Verbindung von medialen Praktiken, die rungen umfassen. Auch heutzutage wird in politische Prozesse eingreifen und diese die Rolle traditioneller Medien betont, um verändern können, mit den strukturellen, Aufmerksamkeit für Protest-Anliegen zu ökonomischen, politischen und sozia- erhalten (Rucht & Teune, 2017). len Rahmenbedingungen (auch Mattoni, Bilder spielen für Protestbewegungen 2017). Ulrich Dolata (2018, S. 48) spricht eine grosse Rolle, sie werden in Bewe von einer «soziotechnischen Konstitution gungskontexten hergestellt und von ver von Kollektivität», in der digital vernetz- schiedenen Akteur:innen wie Aktivist: te Medien sowohl als technische als auch innen, Verbündeten, Gegenbewegungen als mediale Infrastrukturen zu begreifen und traditionellen Medien verarbeitet und sind. Um das dynamische Gefüge zu be- transformiert (Doerr & Teune, 2012). Ver- tonen, greifen Ella Taylor-Smith und Co- schiedene visuelle Praktiken können un- lin F. Smith (2019) den Begriff der «socio- terschieden werden: visuelle Ausdrucks- technical assemblages» auf, womit sie die formen sozialer Bewegungen wie Banner enge Verknüpfung zwischen den sozialen und T-Shirts, visuelle Repräsentationen Praktiken und technischen Strukturen, die von Protest, etwa in Zeitungen, sowie die sich gegenseitig bedingen und verändern, Herstellung von Sichtbarkeiten für Pro- herausstreichen. Digitaler Aktivismus ist testanliegen, etwa in Social Media oder zudem eingebettet in ein Set von insti- im öffentlichen Raum (Doerr, Mattoni, & tutionellen Regelungen, kapitalistischen Teune, 2013; Milman & Doerr, im Druck). und ökonomischen Rahmenbedingun- Visuelle Ausdrucksmittel umfassen Fo- gen (Kaun & Uldam, 2018) und die medial tos, Cartoons und Illustrationen (Doerr & unterstützten Handlungen lassen sich in Teune, 2012), in und durch digital ver- verschiedenen Räumlichkeiten und Zeit- netzte Medien auch Selfies, Gifs oder In- lichkeiten verorten (Kavada, 2016). Wie stagram-Storys. Bilder sind dann Teil der Andrew Chadwick aufzeigt, verändern Verhandlungen von Bedeutung und des neue Formen von Aktivismus auch den Diskurses. Sie sind nicht nur bei politi-
6 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 schen Bewegungen wie der Studierenden- Auch in der Bewegung BLM spielten bewegung von 1968 (Fahlenbrach, 2002), visuelle Elemente von Beginn an eine wo sie die kollektiven Identitätsmuster grosse Rolle (Milman & Doerr, im Druck); formiert haben, oder emanzipatorischen zur Ikonographie von BLM liegen inzwi- Protestbewegungen wie der Umwelt- und schen einige Studien vor. Manche, über Friedensbewegung (Doerr & Teune, 2012) verschiedene Plattformen verbreitete Bil- zu finden, sondern ebenfalls in rechten der, wie die Fotografie der «peaceful war- und rechtsextremistischen Bewegungen. rior», die eine Frau zeigt, die sich friedvoll Antimuslimische Bilder stellen dann Kom- Polizist:innen entgegenstellt, bekommen munikationsmedien dar, wie die Analyse durch ihre Ästhetisierung eine ikonische der Bildkommunikation schweizerischer Bedeutung für zivilgesellschaftliches En- und österreichischer rechter Akteur:innen gagement (Edrington & Gallagher, 2019). zeigt. Sie schaffen durch die Verwendung Auch Farida Vis, Simon Faulkner, Safiya ähnlicher Bilder und Symbole Anschluss- Umoja Noble und Hannah Guy (2019) möglichkeiten zwischen verschiedenen betonen in ihrer Analyse eines Fotos von Bewegungen und Ländern (Liebhart, der Verhaftung des BLM-Aktivisten DeRay 2015). Visuelle Ausdrucksformen sind McKesson in Baton Rouge im Juli 2016 mit Emotionen verbunden, diese können die zeitgenössische Ästhetik von Protest- mobilisierungsfördernd sein, erhöhen bildern, die ihre Bedeutungen im Span- das emotionale Engagement der Sympa- nungsfeld von sozialen Bewegungen, thisant:innen und können schockierend, kommerziellen Interessen und ambiva- etwa durch die Darstellung von Leid, sein lenten Aneignungsweisen, z. B. in Form (Bogerts, 2015). Über digitale Plattformen von Memes, entfalten. Danielle K. Kilgo z. B. wie Facebook wird durch das Teilen und Rachel R. Mourão (2021) zeigen an- von Bildern internationale Solidarität hand einer Untersuchung der Bericht- möglich, wie bei der Kampagne «We are erstattung über Protestgeschehen, dass all Khaled Said» des Jahres 2010 (Olesen, visuelle Darstellungen einen Einfluss da- 2013), die Authentizität und Kritik am rauf haben, ob Leser:innen eher mit der ägyptischen Regime durch das Bild des Polizei sympathisieren oder sich stärker getöteten Khaled Said vermittelte. Bilder mit den Demonstrierenden identifizieren, nehmen so eine zentrale Rolle im Protest- wenngleich Voreinstellungen insgesamt handeln ein, die durch digital vernetzte eine grössere Rolle bei der Frage spielen, Medien noch einmal verstärkt wird. welche Seite unterstützt wird. Christina Eine wichtige Rolle bei der Vernetzung Neumayer und Luca Rossi (2018) kommen nutzer:innengenerierter Beiträge auf So- in ihrer Analyse der Protestbewegung Blo- cial Media spielen Hashtags, die im Bild- ckupy zu folgenden Schlüssen: 1) Bilder, text hinzugefügt werden können. Beim die von staatlichen Institutionen auf digi- Aufrufen eines Hashtags werden sämtli- talen Plattformen veröffentlicht werden, che Postings, die mit diesem Begriff mar- werden eher geteilt; 2) die visuelle Reprä- kiert wurden, angezeigt. Sie konstituieren sentation der Bewegung in traditionel- eine gemeinsame Öffentlichkeit vor allem len Medien zeigt vermehrt gewalthaltige im Kontext von Aktivismus und Marke- Szenen – beides führt zu einer hegemo- ting (Bernard, 2019). Hashtags wurden nialen Deutung des Protestgeschehens. im Kontext von Protestbewegungen bis- Aktivist:innen selbst hingegen nutzen her überwiegend auf Twitter untersucht digitale Plattformen, um die Vielfalt der (Bruns & Burgess, 2011; Maireder & Protestbewegung abzubilden. Zuletzt ha- Schlögl, 2014; Rambukkana, 2015). Akti- ben Milman und Doerr (im Druck) in ih- vist:innen und politische Organisationen rer visuellen Analyse von BLM-Protesten nutzen jedoch zunehmend auch Ins- in Dänemark und Deutschland heraus- tagram, um zu informieren, zu mobilisie- gearbeitet, wie Aktivist:innen auf visuelle ren und sich zu vernetzen (Al-Rawi, 2021; Repertoires von Protest aus den USA zu- Einwohner & Rochford, 2019; Maier, 2021). rückgreifen und diese in lokale politische und kulturelle Kontexte übersetzen. Auf
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 7 diese Weise verknüpfen sie globale Pro- 3 Methodisches Vorgehen: BLM in testanliegen mit der Geschichte von Kolo- Tageszeitungen und auf Social nialismus und Rassismus in europäischen Media Ländern. Die Autorinnen der Studie be- greifen visuelle Protestgesten als «perfor- Ziel der Studie ist es, unterschiedliche mative, ‹visibility› acts of citizenship chal- visuelle Konstruktionen im Kontext von lenging dominant narratives of whiteness BLM zu untersuchen. Dabei ist von Inte- embedded in the imaginary of citizenship resse, inwiefern sich Motive und Bildty- in particular places» (Milman & Doerr, pen in Tageszeitungen und auf Instagram im Druck, S. 4). Sich hinzuknien, wie es unterscheiden und welche je spezifischen der US-amerikanische Football spieler Deutungsmuster sich darin entfalten. Im Colin Kaepernik 2016 als Zeichen seines Fokus steht dabei das Protestgeschehen in BLM-Protests getan hat, ist im US-ame- Wien, Berlin und Zürich, konkret dessen rikanischen Kontext mit anderen Reak- visuelle Konstruktion in Tageszeitungen tionen und Bedeutungen verbunden als einerseits und auf Instagram andererseits. etwa in Deutschland, wo zwangsläufig As- Somit liegt der Fokus der vorliegenden soziationen mit historischen Bildern von Studie auf lokalen, performativ-bildlichen Politikern entstehen, deren Kniefall die Äusserungen eines globalen Protests. Bitte um Vergebung für deutsche Verbre- chen im Zweiten Weltkrieg symbolisieren 3.1 Generierung des Datenkorpus sollte. Auf verschiedenen medialen Platt- Den ersten Teil des Samples bildet die formen sind dabei unterschiedliche Bilder Bildberichterstattung in Tageszeitun- vorherrschend: In der journalistischen gen aus Deutschland, Österreich und der Bildproduktion werden Proteste vor allem Schweiz. Hier wurden pro Land jeweils dokumentiert; digitale Medien können eine Qualitätszeitung, eine Boulevard- Orte des Protests sein, Proteste verhan- zeitung und eine Regionalzeitung ausge- deln und Solidaritätsgesten ausdrücken, wählt, um ein möglichst breites Spektrum sie übernehmen eine zentrale Funktion an Perspektiven, Blattlinien und visuellen in der Visualisierung von Protesten und Stilen zu bekommen (Tabelle 1). Die Regi- können weitere Deutungen des Protest- onalzeitungen stammen aus den Haupt- geschehens anbieten (Okoth, 2020). Sie städten, in denen die Proteste jeweils bieten damit eine alternative Sicht in Er- stattgefunden haben. Der Erhebungs- gänzung zur massenmedialen Berichter- zeitraum erstreckt sich vom 25. Mai 2020 stattung sowie zu Darstellungen der Poli- (dem Tag, an dem George Floyd getötet zei (etwa durch Livestreams via Facebook, wurde) bis zum Abflauen der Proteste am Fotos von Festnahmen usw.). 30. Juni 2020. Gesucht wurde in verschie- denen Datenbanken (u. a. APA defacto, Archive der Zeitungen) nach Artikeln mit den Stichworten «Black Lives Matter» bzw. «George Floyd». Der Gesamtkorpus an Bil- dern (n = 458) wurde für eine bessere Ver- gleichbarkeit mit Instagram auf jene Bilder reduziert, die Demonstrationsgeschehen Tabelle 1: Untersuchte Tageszeitungen und Anzahl Bilder, die Demonstrationsgeschehen zeigen Deutschland Anzahl Bilder Österreich Anzahl Bilder Schweiz Anzahl Bilder Qualitätszeitung Frankfurter All 23 Der Standard 20 Neue Zürcher 17 gemeine Zeitung Zeitung Regionalzeitung Berliner Zeitung 17 Heute 12 Blick 15 Boulevardzeitung Bild 7 Kronenzeitung 28 20 Minuten 8 Gesamt 47 60 40
8 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 Tabelle 2: Lokale Verortung der Demonstrationen und Anzahl der Fotos davon Stadt (Einwohner:innen) Anzahl Teilnehmende (Datum) Anteil Fotos von Demo an Gesamtzahl Wien (1,9 Mio.) 50 000 (04.06.2020) 91/150 Berlin (3,6 Mio.) 15 000 (06.06.2020) 52/150 Zürich (403 000) 10 000 (13.06.2020) 60/100 Anmerkungen: Zu den Angaben der Teilnehmenden-Zahlen auf den einzelnen Demonstrationen siehe BLZ, 2020; Egloff, 2020; ORF, 2020. abbilden (n = 147). Bilder im Korpus, die tag suchen, sehen wir das als passendes, kein Demonstrationsgeschehen zeigen, feldspezifisches Sampling an.2 waren z. B. historische Aufnahmen, Bilder Interessant ist dabei, dass insgesamt von Statuen, Produkte, die rassistische (über die Bildtypen hinweg) fast zwei Motive verwenden, oder Grafiken, aber Drittel der 150 Bilder aus Wien und der überwiegend Porträts von Künstler:innen, 100 Bilder aus Zürich Fotos von der De- Politiker:innen, Sportler:innen, die sich zu monstration sind, jedoch lediglich rund den Protesten geäussert hatten. ein Drittel der 150 Berlin-Bilder Demons- Den zweiten Teil der Stichprobe bildeten trationen zeigt. Es liegt nahe, dass dieser die je ersten 150 bzw. 100 Instagram-Pos Unterschied auf die sehr unterschiedliche tings, die mit einem der folgenden Hash Anzahl der jeweils Teilnehmenden (auch tags markiert waren: #blacklivesmat ter in Relation zur Einwohner:innenzahl der berlin, #blacklivesmattervienna, #black Städte) zurückzuführen ist. In Tabelle 2 livesmatterzurich (n = 400). Diese drei sind die Daten der ersten bzw. grössten Hashtags beziehen sich auf das lokale Pro- Protestkundgebungen genannt, in allen testgeschehen in Wien, Berlin und Zürich1 Städten haben in den Wochen danach und damit auf konkrete, zeitlich begrenz- auch noch kleinere Märsche, Mahnwa- te Demonstrationshandlungen, während chen usw. stattgefunden. der übergreifende Hashtag #BlackLives- Ursprünglich richtete sich unser For- Matter mehrere 100 Millionen Postings schungsinteresse auf einen Vergleich zwi- aus der ganzen Welt beinhalten würde. schen den drei untersuchten Ländern bzw. Die Postings wurden im Zeitraum vom Städten. Abgesehen von der Gesamtan- 25. Juni bis 7. Juli 2020 in der Browser zahl der Fotos von den Demonstrationen ansicht von Instagram aufgerufen und per auf Instagram zeigten sich jedoch keine Screenshot gespeichert. Die Reihung der nennenswerten Unterschiede in Bezug auf Postings im Browser erfolgt dabei durch das Vorhandensein und die relative Häu- den Instagram-Algorithmus nach «Top», figkeit der Bildtypen, weshalb der Länder- daher nach Relevanz und Chronologie, vergleich in Kapitel 4 nicht weiter ausge- das bedeutet, dass populäre Postings mit führt wird. vielen Likes und von Accounts mit grosser Reichweite höher gereiht werden. Somit 3.2 Methodisches Vorgehen ist an der Priorisierung der Bilder und an Als Analysemethode diente die Bildtypen der Zusammenstellung des Korpus auch analyse (Grittmann & Ammann, 2011, der Algorithmus als nicht-humaner Akteur S. 171). Nach der Zusammenstellung des beteiligt. Da diese Art der Darstellung von Korpus wurden zunächst die relevanten Inhalten auf Social Media aber den alltäg- Eckdaten zu den Bildern (Erscheinungs- lichen Zugang der User:innen reprodu- datum, Zuordnung Zeitung, Positionie- ziert und wir sehen, was ihnen angezeigt rung Seite, Farbe oder schwarz-weiss, wird, wenn sie nach dem jeweiligen Hash- Bildquelle, Headline) dokumentiert. In der ersten Analysestufe, der ikonografischen 1 Zu #blacklivesmatterzurich konnten insge- 2 Eine Alternative wäre die Reihung der Pos- samt nur 100 Bilder abgerufen werden, mehr tings nach «neueste» zu wählen, was eine wurden nicht angezeigt bzw. öfter wurde der chronologische Sortierung generiert, die le- Hashtag nicht verwendet. diglich in der Smartphone-App möglich ist.
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 9 Analyse, wurden induktiv Motive und The- 4.1 Bildtypen in Tageszeitungen men (Demonstrationsgeschehen, Portrait, Zunächst werden die vier vorherrschen- materielle Umwelt usw.) bestimmt, denen den Bildtypen in den Tageszeitungen in MAXQDA im Anschluss die Bilder von vorgestellt. Diese umfassen die Bildtypen zwei Projektmitarbeiterinnen zugeord- «Interaktionen zwischen Demonstrieren- net wurden. Jene Bilder, die als Demons- den und der Polizei», «Demonstrierende trationsbilder definiert wurden, wurden als Masse», «Demonstrierende mit Schild» schliesslich einer qualitativen Bildtypen- sowie «Protestgesten und Körper als kol- analyse unterzogen. Im zweiten Analyse- lektive Inszenierung». schritt wurden innerhalb der Gruppe der Demonstrationsbilder wiederkehrende 4.1.1 Bildtyp «Interaktionen zwischen Bildmotive ermittelt und zu unterschied- Demonstrierenden und der Polizei» lichen Bildtypen gruppiert. Bei einem Mit insgesamt 54 Bildern im Datenkorpus solchen Vorgehen werden Bilder mit ähn- der Tageszeitungen stellte sich der Bild- lichen Bedeutungen der Motive zu Typen typ «Interaktionen zwischen Demonstrie- zusammengefasst. Bildtypen können aber renden und der Polizei» als dominierend auch unterschiedliche Motive mit der glei- heraus. Polizist:innen werden bei den De- chen abstrahierten Bedeutung beinhalten monstrationen in Österreich, Deutschland (Grittmann & Ammann, 2011, S. 170). Die und der Schweiz in erster Linie in ihrer qualitative Bildtypenanalyse wurde zu- Rolle als friedliche Beobachter:innen des nächst von den drei Autorinnen getrennt Geschehens sichtbar. Sie stehen in ihrer durchgeführt, dann wurden die daraus Uniform – meist ohne Schutzkleidung resultierenden Typologien verglichen, ak- oder Bewaffnung – mit vor dem Körper kumuliert, auf ihre intersubjektive Nach- verschränkten Händen statisch da und be- vollziehbarkeit geprüft und schliesslich obachten passiv die vorbeigehende Men- zusammengeführt. ge. Eine klare räumliche und physische Die quantitative Verteilung der Bild- Trennung wird durch Absperrgitter visuell typen war ebenfalls von Interesse, aber untermauert. Die Polizei scheint hier eher zweitrangig, da das Forschungsinteresse zum Schutz der Demonstrierenden und primär darin lag zu untersuchen, welche der Infrastruktur abgestellt zu sein und Protesthandlungen wie sichtbar gemacht wird visuell nicht als Aggressor gezeigt. In werden, vor allem im Hinblick auf den kör- Bildern des US-amerikanischen Demons- perlichen Ausdruck der Akteur:innen und trationsgeschehens, von denen es eben- das visuelle Protestrepertoire, wie etwa falls einige in unserem Sample gibt, ist die kollektive Inszenierungen und Gesten so- Polizei hingegen deutlich präsenter und wie performative oder schriftliche Formu- es werden konfrontative Situationen und lierungen der Protestanliegen. Aus der re- zum Teil sogar Kampfhandlungen sichtbar lationalen Verteilung der Bildtypen war es gemacht. So treten in mehreren Bildern jedoch möglich deren jeweilige Bedeutung Gruppen von Polizist:innen in Kampf- innerhalb des Samples abzuleiten. montur mit Helmen, Plastikschildern und Schlagstöcken auf. Sie suggerieren das Eintreten in eine Konfliktsituation, die 4 Analysen der Bildkommunikation in potenziell physisch gewalttätig sein kann. Tageszeitungen und auf Instagram Dieses Auftreten als geschlossene, ano- nyme Einheit unterstreicht die physische Im Folgenden werden jene Bildtypen, die und zahlenmässige Überlegenheit gegen- auf Basis der Bilder aus den Tageszeitun- über den Protestierenden. gen und von Instagram rekonstruiert wer- den konnten, kurz beschrieben und an- 4.1.2 Bildtyp «Demonstrierende als schliessend vergleichend analysiert. Masse» Stark vertreten (n = 27) sind im Zeitungs- sample Bilder, die die protestierenden Menschenmassen von oben zeigen. In
10 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 Abbildung 1: Bildtyp «Demonstrierende mit Schild» Quellen: von links oben im Uhrzeigersinn: Der Standard, 2.6.2020; Blick, 24.6.2020; Heute, 12.6.2020; Der Standard, 8.6.2020; Blick, 15.6.2020; 20 Minuten, 2.6.2020; Grafik und Markierungen: eigene Darstellung. diesen Bildern kommt einerseits Distanz gessäule im Hintergrund), der bei entspre- zum Demonstrationsgeschehen zum Aus- chendem Wissen dekodiert werden kann. druck, andererseits wird die breite gesell- schaftliche Unterstützung visualisiert, die 4.1.3 Bildtyp «Demonstrierende mit der Protest erfährt. Aufnahmen, die bei Schild» Nacht entstanden sind, und auf denen Bilder von Demonstrierenden mit hoch- Hilfsmittel wie Feuer oder Pyrotechnik zu gehaltenem Schild stellen einen weiteren sehen sind, können die Demonstrieren- Bildtyp dar (n = 28). Dabei wiederholt sich den bedrohlich wirken lassen. Sie erschei- eine V-förmige Bildkomposition (Abbil- nen hier nur als Silhouetten und anonyme dung 1): Eine in der Regel eher jüngere, Masse, meist dunkel gekleidet, teilweise oft weisse Person hält das Schild mit nach auch maskiert. Bei Tageslicht hingegen oben gestreckten Armen über den Kopf, so wirkt der Protest friedlicher. Auch Bilder, dass die Aufschrift deutlich sichtbar wird. die grössere Gruppen von Demonstrieren- Der Körper trägt die Botschaft damit wie den zeigen, von denen nur einzelne Per- eine Verkehrs- oder Hinweistafel. sonen erkennbar sind, lassen sich als Sub- Schilder gehören zum visuellen Re kategorie diesem Typ zuordnen (n = 17). In pertoire von Demonstrationen. Sie formu- diesen Bildern wird die Diversität der Be lieren textlich die Anliegen der Protestbe- teiligten deutlich. Zahlreiche Demonstrie- wegung, die körperlich oder performativ rende sind auf diesen Bildern mit Banner nicht ausgedrückt werden können. Ein zu sehen. Wie ein Schutzschild tragen sie spannender – wenngleich wohl eher zufäl- es vor sich her und erscheinen dadurch liger – Kontrast entsteht hierbei durch das machtvoller. Indem im Hintergrund lokale Tragen der Mund- und Nasenschutzmas- Sehenswürdigkeiten oder Denkmäler ab- ken, die wie ein Symbol der Sprachlosig- gebildet sind, finden sich in den Bildern keit oder des Sprechverbots wirken, dem der demonstrierenden Massen teilweise das «sprechende» Schild entgegengehal- auch Verweise auf den Ort des Protests ten werden muss. Die Schilder formulie- (z. B. Wiener Karlskirche oder Berliner Sie- ren konkrete Protestanliegen und bewe- gen sich mit ihrer Kritik an Rassismus und
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 11 der Justiz oder der Würdigung der Opfer als Geste der Solidarisierung und des Wi- in einem breiteren Themenspektrum. Die derstands – ein Symbol, das von unter- Bilder aus dem europäischen Kontext äh- schiedlichen politischen Bewegungen in neln hier jenen, die US-amerikanisches Anspruch genommen wird. Während die Protestgeschehen zeigen, auch die Pro- Geste in Europa vor allem als «sozialis- testslogans sind quasi identisch. Eine tischer Gruss» bekannt ist, ist sie in den lokale Vereinnahmung des Protests zur USA eng verbunden mit der Black Power Sichtbarmachung sozialer Problemlagen Bürgerrechtsbewegung und dem Protest im Kontext von Rassismus und Fremden- der beiden Schwarzen Athleten Tommie feindlichkeit im deutschsprachigen Raum Smith und John Carlos bei den Olympi- findet im erhobenen Korpus kaum statt. schen Spielen 1968, verweist hier also deutlich auf eine historische Kontinuität 4.1.4 Bildtyp «Protestgesten und Körper der Protestanliegen. Die Bilder der Tages- als kollektive Inszenierung» zeitungen zeigen ausschliesslich People Zu einem weiteren Bildtyp (n = 27) lassen of Color, die diese Geste machen, meist sich Bilder gruppieren, auf denen sich Einzelpersonen vor einer im Hintergrund Menschen unterschiedlicher Protestges- zu sehenden Menschenansammlung. Vi- ten bedienen und diese in kollektiven Ins suell werden so unterschiedliche Rollen zenierungen deutlich sichtbar machen. von Demonstrierenden konstruiert, die Ein wiederkehrendes Motiv in diesen Bil- als zentrale oder periphere Figuren un- dern ist die geballte und gestreckte Faust terschiedliche Positionen innerhalb des Abbildung 2: Bildtyp «Protestgesten und Körper als kollektive Inszenierung» Quellen: von links oben im Uhrzeigersinn: Berliner Zeitung, 8.6.2020; Blick, 15.6.2020; Kronen Zeitung, 5.6. 2020.
12 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 Protests einnehmen. Andere Bilder zeigen Rahmen der globalen Proteste, etwa «How wiederum grössere Gruppen von Men- can I help from Austria?» oder «Black schen, die zusammen anhand von kol- livesmatter – what can you do?». In diesem lektiven Gesten oder Posen ihren Protest Bildtyp deutet sich ein Wandel von media- zum Ausdruck bringen, etwa auf dem Rü- len Modalitäten innerhalb von Instagram cken liegend, sich an den Händen haltend an: Information und Wissensvermittlung oder untereinander mit bunten Bändern gewinnen an Bedeutung, und damit auch verbunden. Auf einigen Bildern liegen die Text als dafür geeignetes Medium (Ables, Demonstrierenden auf dem Bauch mit 2020). Die textlastigen Slideshows eignen dem Gesicht nach unten, teilweise sind sich zudem gut dazu, in der Story geteilt sie dabei gänzlich in schwarz gekleidet. zu werden. Neben ausführlichen Inhalten Hier wird Bezug genommen auf die Fest- werden auch Protestslogans, Symbole und nahme George Floyds, mit dem sie sich in Solidaritätsbekundungen gezeigt. Da die- ihrer Verletzlichkeit ausdrückenden Hal- se Äusserungen ebenfalls eine Form von tung solidarisieren. Andere Bilder zeigen Protesthandlungen darstellen, wurden sie Menschen, die gemeinsam als Zeichen nicht aus dem Sample entfernt, sondern des Respekts niederknien und ihren Blick als eigener Bildtyp gefasst. nach unten senken – eine Geste, die, wie Milman und Doerr (im Druck) zeigen, in 4.2.2 Bildtyp «Protest von innen» verschiedenen kulturellen und politischen Der häufigste Bildtyp (n = 167) auf Ins- Kontexten ganz unterschiedliche Konno- tagram beinhaltet jene Bilder, die das Pro- tationen hervorrufen kann. Die Mund- testgeschehen von innen zeigen: Meist und Nasenschutzmasken scheinen ihnen sind maskierte oder unmaskierte Gesich- auf diesen Bildern sinnbildlich ihre Stim- ter, vor allem junger Menschen, zu sehen, me zu nehmen. es treten sowohl Weisse als auch People of Die Bilder dieses Typs lassen sich mit Color in Erscheinung, die Diversität der anderen Formen des gewaltfreien Wider- Teilnehmenden wird deutlich sichtbar. stands oder zivilen Ungehorsams assoziie- Gezeigt wird ein friedlicher Protest in som- ren. Sie zeigen aber auch, auf welche Wei- merlicher Atmosphäre – innerhalb des se die Protestbewegung den öffentlichen Typs lassen sich explizit vor der Kamera Raum reklamiert und einen Platz in der posierende Akteur:innen und grössere so- Gesellschaft für sich beansprucht. wie kleinere Gruppen, meist in Bewegung, unterscheiden. Jene Bilder, die selbst ge- 4.2 Bildtypen auf Instagram staltete Plakate und Schilder fokussieren, In den folgenden Abschnitten werden die stellen innerhalb des Typs über alle Städte Bildtypen auf Instagram, die nicht-foto hinweg die grösste Subkategorie dar. An grafische und fotografische Elemente den Texten der Schilder wird deutlich, dass enthalten, näher erläutert. Im Einzelnen fast ausschliesslich englischsprachige Be- handelt es sich um die Bildtypen «Text/ griffe und Slogans verwendet werden und Meme/Grafik», «Protest von innen» und somit ein starker Bezug zum US-amerika- «Sprecher:in». nischen Ursprung der Protestbewegung hergestellt wird. 4.2.1 Bildtyp «Text/Meme/Grafik» Die Kamera befindet sich in diesem Dieser Typ umfasst jene Postings, die keine Bildtyp in der Menge und auf Augenhö- oder kaum fotografische Elemente enthal- he, es wird deutlich, dass die Bildprodu- ten, sondern aus Text, Memes oder Gra- zent:innen gleichzeitig Demonstrierende fiken bestehen. Diese Gruppe stellt rund sind. Sie zeigen somit ihren Follower:in- ein Fünftel des Gesamtkorpus (n = 83) dar nen die Geschehnisse mehr oder weniger und ist überraschend gross angesichts der live (fast alle Bilder sind zwischen dem Tatsache, dass Instagram eigentlich ein fo- 5. und 8. Juni 2020 gepostet worden) und tozentriertes Medium ist. Oft enthalten die von mittendrin. Im Sinne einer «connec- Postings englischsprachige Informationen tive action» können die Bildbeiträge zu und konkrete Handlungsanweisungen im den Hashtags als «personal action frame»
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 13 Abbildung 3: Bildtyp «Protest von innen» Quelle: von links oben im Uhrzeigersinn: @africaninzurich, 13.6.2020; @bpitch.berlin, 6.6.2020; @barbarakarner, 7.6.2020; @teryoshi, 27.6.2020; @bhenji89, 16.6.2020; @nikishafogo, 5.6.2020. verstanden werden (Bennett & Segerberg, 4.2.4 Weitere Bildtypen 2012), als Übersetzung eines Protestanlie- Schliesslich finden sich noch einige seltene gens in den persönlichen, individuellen Bildtypen, zum Beispiel «räumliche Bezü- Handlungs- und Relevanzbereich. ge zu konkreten urbanen Orten», wie etwa Eine weitere Untergruppe innerhalb dieses die Wiener Karlskirche oder die Berliner Typs zeigt auch die Demonstrationen von Siegessäule. Die spezifischen räumlichen innen, bedient aber eine andere Art von Bedingungen werden in das Protestge- Ästhetik: Die überwiegend schwarz-wei- schehen integriert, etwa indem Engelssta- ssen Bilder sind im Stil von Fotoreporta- tuen Protestschilder umgehängt werden gen oder Street Photography aufgenom- oder Protestierende auf U-Bahn-Abgänge men, zeigen ausdrucksstarke Gesten und hinaufklettern. Die räumliche Verortung Porträts und können grossteils Accounts wird meistens auch im Bildtyp «Masse von Fotograf:innen zugeordnet werden. von aussen» sichtbar, der die Demonst- rierenden nicht als Individuen, sondern 4.2.3 Bildtyp «Sprecher:in» als homogene Gruppe aus der Aussen- In diesem Bildtyp, der in Berlin wohl auf- perspektive bzw. Vogelperspektive an ei- grund des Protestformats einer «Silent nem bestimmten Ort zeigt. Ein weiterer Demo» nicht vorkommt, werden bestimm- seltener Bildtyp, der fast nur in Berlin er- te Personen durch Mikrofone, Megafone scheint, sind «künstlerische Auseinander- oder exponierte Positionen auf Bühnen als setzungen mit dem Thema Rassismus», für die Bewegung Sprechende markiert. in dem sich etwa Streetart-Darstellungen Diese Personen erhalten eine aktive Rolle oder Zeichnungen mit BLM-Bezug finden. und scheinen so visuell für die Bewegung Im Bildtyp «Merchandising Produkte» zu sprechen. Auf Instagram sind in dieser werden zum Beispiel T-Shirts angeboten, Rolle nur People of Color zu sehen. aber auch Kekse und Torten – die in Berlin
14 Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 stark präsente Kampagne «Bakers against die Darstellungen der US-Proteste in den racism» nutzte den BLM-Hashtag intensiv Bildern der Tageszeitungen werden als zu Mar ke ting-Zwecken, behauptet aber, potenziell gewalthaltig konstruiert, indem durch den Verkauf von Backwaren die z. B. die Polizei in Schutzausrüstung oder BLM-Initiative zu unterstützen. Insgesamt Demonstrierende mit Drohgebärden und fan den sich jedoch kaum kommerzielle Pyrotechnik sichtbar gemacht werden. Postings, die die Hashtags zweckentfrem- Die Demonstrierenden im deutschspra- den. chigen Raum werden in den Tageszeitun- gen hingegen als friedliche Masse darge- stellt. Auch die untersuchten Bilder auf 5 Diskussion: Visueller Aktivismus auf Instagram zeigen keine gewalthaltigen Instagram und Protestabbildungen Darstellungen, da sie sich ausschliesslich in Tageszeitungen auf Protesthandlungen im deutschspra- chigen Raum beziehen, was aufgrund Die Ergebnisse der Analysen der Bilder der ausgewählten Hashtags naheliegend bei Instagram und in den untersuchten ist. In Bezug auf Twitter stellten Neumay- Zeitungen wurden entlang der von uns er und Rossi (2018, S. 4306) fest: «Rather entwickelten Bildtypen gruppiert. Unter- than rupturing the hegemonic visuality of schieden haben wir nach den Akteur:in- protest, the images shared on Twitter am- nen und Sprechpositionen, den Darstel- plify and reinforce existing classifications lungsformen und der Ästhetisierung und and shift focus from social movements’ Gestaltung. Insgesamt sind in beiden Me- grievances to the spectacle of violence.» dienkontexten vielfältige Personen und Da es aber in Bezug auf die BLM-Proteste Personengruppen sichtbar. Mehrheitlich im deutschsprachigen Raum kein «spec- wird das Demonstrationsgeschehen von tacle of violence» gab, konnte dieses auch Weissen dominiert. Die Rolle, die Ak- nicht abgebildet werden. Die Tageszeitun- teur:innen zugewiesen wird, unterschei- gen greifen daher auf Agenturbilder von det sich jedoch teilweise bei den visuellen anderen Orten des Protests zurück und Konstruktionen in Tageszeitungen und auf unterstützen so die hegemoniale visuelle Instagram; so sind in Tageszeitungen Peo- Deutung von Protesten als gewaltvoll und ple of Color als Protestakteur:innen mit potenzielle Bedrohung der herrschenden erhobener Faust zu sehen, während sie auf Ordnung. Auf Instagram wird hingegen ein Instagram durch Bühnen und Mikrofone «colorful protest as an alternative» deut- sichtbar eine Sprechposition erhalten. Die lich (Neumayer & Rossi, 2018, S. 4304). Personen, die in Tageszeitungen abgebil- Die Proteste waren darüber hinaus An- det werden, und als Weiss gelesen werden stoss für weitere Initiativen wie etwa das können, stellen so eine sich solidarisieren- Black Voices Volksbegehren in Österreich. de Gruppe bzw. Masse dar. Die Faust als Der lokale (gesellschafts-)politische Bezug Geste bekommt eine ikonenhafte Bedeu- wird während der Demonstrationen selbst tung, die an die Ästhetik anderer Protest- jedoch kaum sichtbar. In unserem Sample bilder anknüpft. gibt es nur vereinzelt Bilder, die über Schil- In Bezug auf die Darstellungsformen der und Slogans Verbindungen zwischen bietet Instagram ein vielfältiges Bild vom den globalen Protestanliegen und jeweils Protestgeschehen durch die Innenpers- lokalen Problemlagen im Zusammenhang pektive. Das Demonstrationsgeschehen mit Diskriminierung und Rassismus her- wird aus der Sicht der Teilnehmer:innen stellen – etwa durch Hinweise auf die ko- gezeigt, während bei den Pressebildern loniale Vergangenheit Europas oder die die Demonstrierenden vor allem als Masse Thematisierung eigener bzw. westlicher und von aussen gezeigt werden. Dadurch Verstrickungen. Eine Übersetzung in spe- entsteht eine Distanz, die noch dadurch zifische kulturelle und sozio-politische unterstützt wird, dass aufrührerische Sze- Kontexte findet somit kaum statt. nen fast ausschliesslich bei den Bildern In Bezug auf die Ästhetisierung und in Tageszeitungen vorkommen. Vor allem Gestaltung der Bildelemente zeigt sich,
Drüeke et al. / Studies in Communication Sciences (2022), pp. 1–19 15 dass Instagram eine bestimmte Bildpoli- in Tageszeitungen als auch auf Instagram tik durch die gängige mobile Nutzung der werden Emotionen und Affekte adres- App fördert. Fotos von Einzelpersonen siert, was gerade bei visuellen Ausdrucks- und Gruppen bei einer der Demonstra- formen eine zentrale Rolle spielt. Für die tionen finden in einem «selfie activism» BLM-Bewegung erhalten insbesondere (Nikunen, 2019) ihre Ausdrucksform. So Social Media eine zentrale Rolle, da diese wird zwar Solidarität mit den globalen die Entwicklung gemeinsamer Ziele und Protesten ausgedrückt, teilweise aber in den Bewegungszusammenhalt unterstüt- Form einer Art «Instagrammable huma- zen können, während Tageszeitungen vor nitarianism» (Reestorff, 2018), der es er- allem eine hegemoniale, sensationsori- leichtert sich an einem Protest oder einer entierte Deutung des Protestgeschehens Kampagne zu beteiligen. Bei den Bildern liefern. auf Instagram war zudem auffällig, dass sie häufig von Accounts stammen, die professionellen Creator:innen zugeord- 6 Resümee net werden konnten, wie sie generell auf Social Media vielfach vertreten sind. Als Diese Zusammenschau der Ergebnisse kommerzielle Plattform unterstützt Ins- der öffentlichen visuellen Aushandlungs- tagram auch Werbeeinnahmen; vor die- prozesse über und von Black Lives Matter sem Hintergrund ist zu verstehen, dass zeigt das Zusammenwirken von media- die Hashtags teilweise auch zu Zwecken ler Öffentlichkeit, digitalen Medien sowie des Merchandisings bestimmter Produk- individuellen Ausdrucksformen als kon- te genutzt werden, wie bei der visuellen stituierend für die kulturelle Bedeutungs- Analyse deutlich wurde. Die grosse Menge produktion. Durch verschiedene visuelle an Text- und Informationspostings rund Darstellungen und Ästhetisierungen wer- um die Hashtags macht zudem deutlich, den die Proteste in einer unterschiedlich dass die einst bildzentrierte Plattform nun breiten Perspektive verortet. Dies zeigt, auch vermehrt für inhaltliche Wissens dass – bei aller Unterschiedlichkeit in Be- vermittlung und Community-Building ge- zug auf die untersuchten visuellen Kon- nutzt wird. struktionen – die Frage danach, welche Tageszeitungen greifen vor allem auf Perspektiven mit welchen Ästhetiken Bilder von Bildagenturen zurück. Dies er- Protestbewegungen visualisieren, zentral klärt, dass neben den lokalen Protesten ist. Die unterschiedlichen kontextuellen auch US-amerikanische Proteste einen Bedingungen treten also in Bezug auf die so grossen Raum einnehmen sowie be- Sichtbarmachung von Protestanliegen stimmte Kameraperspektiven – wie eine deutlich hervor: Auf Social Media insze- demonstrierende Masse von oben – mög- nieren sich die Teilnehmenden einerseits lich sind. So zeigen die Tageszeitungen als Teil einer aktiven Zivilgesellschaft zwar unterschiedliche Bilder; dennoch und betonen politisches Engagement im wirken die Bilder auf Instagram vielfältiger Rahmen ihrer Selbstdarstellung auf Ins- in Bezug auf das Demonstrationsgesche- tagram. Durch die Nutzung der Hashtags hen im deutschsprachigen Raum. machen sie zudem die Protestbewegung Insgesamt lässt sich festhalten, dass insgesamt sichtbarer und gestalten deren gerade über Instagram Formen von Öf- Repräsentation mit. Die journalistische fentlichkeiten entstehen, die sich um ein Bildkommunikation in den Tageszeitun- bestimmtes Ereignis herum formieren, gen hingegen richtet die Aufmerksamkeit im Sinne einer «event-driven-public» eher auf das Aussergewöhnliche bzw. Mar- (Thimm, 2017). Durch die Praktiken des kante, etwa Zusammenstösse mit der Poli- Teilens und Likens stellt dies eine Form zei in den USA und die demonstrierenden der «connective action», also des politi- Massen im deutschsprachigen Raum; sie schen Engagements als Ausdruck per- orientieren sich so an der gängigen Be- sönlicher Hoffnungen und Lebensstile richterstattung über aktuelle Geschehnis- dar (Bennett & Segerberg, 2012). Sowohl se und kuratieren deren Darstellung aus
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