Für Vielfalt: Die Museumsleiter Johannes Vogel und Stephan Junker über die Zukunft ihres Hauses
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MAGAZIN MUSEUM FÜR NATURKUNDE BERLIN # 01 2019 C A MP US - P LÄ NE Für Vielfalt: Die Museumsleiter Johannes Vogel und Stephan Junker über die Zukunft ihres Hauses In Kooperation mit
„Welche Farben der Vögel, der Fische, selbst der Krebse (himmelblau und gelb!). Wie die Narren laufen wir bis jetzt umher; Bonpland versichert, dass er von Sinnen kommen werde, wenn die Wunder nicht bald aufhören.“ Alexander von Humboldt bei seiner Ankunft in Südamerika 1799 Fotos: Dittmann / MfN (Titel), Pablo Castagnola Fast ausgestorben. Das Riesenschuppentier (Giant Pangolin) ist der größte heute lebende Vertreter der Schuppentiere. Der Bestand ist gefährdet. Das Titelbild zeigt die Biodiversitätswand im Museum für Naturkunde Berlin, das Schuppentier finden Sie ganz unten rechts.
e Dito r ia l i nha lt Das wusste schon Alexander prachtstück von Humboldt, der für das 4 Jakob Museum für Naturkunde steht. campus Wir müssen die Natur nicht 6 Neues aus für die Natur retten, sondern Forschung und für uns Menschen. Sammlung Das Museum für Naturkunde titel Berlin hat sich zu einem inte- 10 Ein Gespräch grierten Forschungsmuseum mit den Museums- entwickelt, bei dem Forschung, leitern Sammlung und Wissenschafts- Wissen kommunikation in einer engen 16 Museum Wir freuen uns, Wechselwirkung zueinander in Zahlen sie als leserin und stehen. Mitten im Herzen des porträt leser der ersten Wissenschaftsstandortes Berlin suchen wir Antworten auf die 18 Herrin ausgabe unseres der Fliegen großen Zukunftsfragen unserer magazins für Gesellschaft. Schließen Sie sich Botschafter natur begrüßen uns an: um zu reden, zu streiten 21 Michael Müller zu dürfen. Warum und um Lösungen zu finden. Digitalisierung für natur? Gemeinsam mit der Humboldt- Universität zu Berlin und weiteren 22 Big Data Der mensch ist teil nationalen und internationalen mit Ameisen und der natur – die Partnern werden wir einen Dinosauriern natur ist teil des Wissenschaftscampus für Natur kalenDer menschen … und Gesellschaft entwickeln. 24 Natur für alle: Ausstellungen & Spannende Jahre stehen unserem Veranstaltungen Forschungsmuseum bevor. citizen science Sie sind herzlich eingeladen, uns 28 Die Nachtigall im Magazin FÜR NATUR und vor Ort zu begleiten. Was tun sie für natur … Prof. Johannes Vogel, Ph. D., 30 Herr Kleinert? Generaldirektor pinnWanD 31 Klimakrise: Stephan Junker, Was denken die Geschäftsführer Besuchenden? 3
prachtstück Jakob. Zerrupft sieht er aus, mitge- nommen, und ja: Jakob hat viel erlebt. 30 Jahre lang hat der große Vasa-Papagei aus Madagas- kar (Coracopsis vasa) Alexander von Humboldt begleitet – der Naturforscher erhielt ihn 1828 als Geschenk. Angeblich konnte der Vogel sprechen und wiederholte gern, was Humboldt seinem Diener auftrug: „Viel Zucker, viel Kaffee, Herr Seifert!“ Als Jakob starb, schenkte der beinahe 90-jährige Humboldt ihn dem Naturkunde- museum. Die Präparatoren stellten dabei fest, dass Jakob eigentlich eine Jakobine ist – viel- leicht schaut sie deshalb so spöttisch? Im Zweiten Weltkrieg traf eine Granate die Sammlung, von Foto: Carola Radke / MfN Jakob-Jakobine blieben nur Einzelteile. Wieder zusammengesetzt wurden sie erst gute 50 Jahre später: eine Geschichte, zerrupft, aber wahr. 4
CaMpuS Wissenschaft in die Welt tragen: pressekonferenz zur Berlin Science Week 2019. Ein Wissen- schaftscampus für Natur und Gesellschaft entsteht In den kommenden zehn Jahren entwickelt das Museum gemeinsam mit der Humboldt- Universität zu Berlin einen Wissenschaftscampus für Natur und Gesellschaft: Mitten im Herzen von Berlin entstehen neue Labore und Berlin Science Week Campus Arbeitsplätze für Spitzenforschung. Gleichzeitig zum ersten Mal wird eine der weltweit umfassendsten natur- im Forschungs- museum historischen Sammlungen mit über 30 Millionen Die Wissenschaftsszene Objekten in modernen Sammlungsgebäuden zu Gast: Mit einem thema- tischen Schwerpunkt rund untergebracht. Um alle Objekte weltweit zugänglich um Künstliche Intelligenz, zu machen, wird von der Fliege bis zum Dino- Digitalisierung und soziale Ungleichheit fand im Novem- saurier alles digitalisiert. ber erstmals der Berlin Science Week Campus im Museum für Naturkunde statt. Vorträge, Workshops Für die Besucherinnen und Besucher entstehen und Podiumsdiskussionen neue Ausstellungsräume, die die Vielfalt der Natur von Institutionen aus aller Welt zogen die internationale und gleichzeitig die Forschung für Natur zeigen. Wissenschaftsgemeinschaft ins Museum. Hier wurden Auch Tagungs- und Veranstaltungsräume sind neue Kontakte und Partner- schaften geknüpft – alle im geplant. Ziel ist es, eine zukunftsorientierte For- Zeichen der Forschung und schung und einen wirkungsvollen Wissenstransfer Innovation. Eine Fortsetzung im Jahr 2020 ist geplant. an einem Ort zu schaffen, um die demokratische Informationen zur Berlin Science Week finden Sie hier: Wissensgesellschaft zu stärken. berlinscienceweek.com 6
Schwergewicht mit Vorliebe für Privatteiche: der Goliathfrosch. Nachdenken über das Museum Älteste als Lernort Viren der Welt Warum beschließen Men- schen, in Museen zu gehen, entdeckt oder warum bleiben sie ihnen fern? Welche Voraussetzun- Bereits vor 289 Millionen gen bringen sie ins Museum Jahren gab es Viren auf der mit? Wie werden nachhal- tige Lerneffekte erreicht? Erde. Wissenschaftler*innen ist Fachleute aus aller Welt es gelungen, ihre Existenz in diskutierten diese und andere Fragen zu Vermittlungsstan- der Permzeit indirekt nachzu- dards, Wissenstransfer und weisen. In zwei verwachsenen -kommunikation bei einer Schwanzwirbeln eines eidech- Fachkonferenz am 18. und 19. Dezember in Berlin. Einen senähnlichen Tieres aus jener Schwerpunkt legten die acht Zeit fanden die Forschenden Leibniz-Forschungsmuseen und die Bildungsforschungs- Anzeichen für eine Erkrankung institute der Leibniz- des Knochenstoffwechsels, Gemeinschaft auf Museen die der Paget-Krankheit des als informelle Lernorte, die Zugang zu Wissen schaffen heutigen Menschen ähnelt. und zur kritischen Reflexion anregen sollen. Der größte Dies ist bei Weitem der älteste Frosch der Welt bekannte Nachweis einer der- artigen Krankheit weltweit und baut sich seine der älteste indirekte Nachweis Gemeinsam leistungsfähiger Teiche selbst von Viren in der Erdgeschichte. werden Die Entdeckung gelang der Frösche sind die am stärksten vom Aussterben Das Museum für Naturkunde bedrohten Wirbeltiere. Deswegen ist es beson- Paläontologin Yara Haridy und Berlin und die Hochschule für ders wichtig zu wissen, wie sie leben und sich ihren Kolleg*innen vom Muse- Fotos: Marc Jerusel / MfN, Marvin Schäfer / frogs & friends, Yara Haridy / MfN Technik und Wirtschaft (HTW) fortpflanzen. Ein Forscherteam aus Kamerun und Berlin werden sich noch stär- Deutschland fand heraus: Der größte Frosch der um für Naturkunde Berlin, der ker vernetzen, indem sie ihre Welt, der Goliathfrosch, baut für seine Eier und Charité Universitätsmedizin Potenziale in Forschung und Kaulquappen Teiche. Die kleinen Privatteiche Berlin und der University of Lehre bündeln. Gemeinsames bieten den Eiern und Larven Schutz vor Raub- Ziel ist es, eine leistungs- und tieren. Außerdem können sie nicht weggespült Toronto mithilfe eines Micro- wettbewerbsfähige Platt- werden. Die bis zu 3,3 Kilogramm schweren Computertomographie-Scans. form für Lehre, Forschung Goliathfrösche sind damit die ersten bekannten und Technologietransfer zu afrikanischen Amphibien, die Brutplätze für schaffen. Über die bereits ihre Nachkommen bauen. Geleitet wurde das erfolgte Zusammenarbeit Projekt vom Museum für Naturkunde Berlin hinaus soll insbesondere die und dem Verein Frogs & Friends. Die beteiligten Expertise der HTW Berlin auf Wissenschaftler*innen hoffen, dass sie durch dem Gebiet des Bau- und diese Erkenntnis und die weitere Erforschung Facility Managements für die des Goliathfrosches das notwendige Wissen geplanten Baumaßnahmen im sammeln können, um den lokalen Behörden Rahmen der Umsetzung des in Afrika Informationen für einen nachhaltigen Zukunftsplans am Museum Langzeitschutz der teichbauenden Froschart genutzt werden. und auch anderer Arten zu liefern. 7
Diese grüne Feldheu- schrecke der Familie Acrididae lebt im vietna- mesischen Regenwald. Zensus im Regenwald Vietnam ist ein Land mit beein- druckender Artenvielfalt. Um diese zu schützen, vermittelt das vom Bundesforschungsministe- rium geförderte Projekt VIETBIO Sie sind, was wir vietnamesischen Forscher*innen die neuesten Methoden zur Ent- aus ihnen machen deckung und Überwachung bio- logischer Vielfalt. In Schulungen In zoologischen Gärten und Naturkundemuseen werden Tiere erlernen sie im Austausch mit zu Objekten: zu lebenden Zoo-Attraktionen, musealen Exponaten, Mitarbeitenden des Museums diplomatischen Objekten, zu präparierten Lehrobjekten und For- für Naturkunde Berlin etwa schungsdatensätzen. Ein neu gestartetes Verbundprojekt zwischen integriertes Datenmanagement, dem Museum für Naturkunde Berlin, der Humboldt-Universität DNA-Barcoding, Bioakustik oder zu Berlin und dem Zoologischen Garten Berlin mit dem Titel „Tiere Digitalisierungstechniken. Die als Objekte. Zoologische Gärten und Naturkundemuseum in Teilnehmer*innen stammen aus Berlin, 1810 bis 2020“ untersucht jetzt genau jene Prozesse, die vier vietnamesischen Institutio- Tiere zu Objekten machen. Im Fokus liegt die Geschichte der eng nen, die in sammlungsbasierter zusammenhängenden Sammlungen des Museums für Naturkunde, Biodiversitätsforschung führend des Zoologischen Gartens, des Tierparks, des Aquariums und der sind. Auch die deutschen Wissen- Zoologischen Lehrsammlung der Humboldt-Universität. Wie wurden schaftler*innen profitieren von Tiere in diesen Institutionen zu Objekten der Wissenschaft, der dem Austausch: Sie erhalten Ausstellung und der Lehre? Wie, durch wen und wo wurden sie ge- Zugang zur Biodiversität Viet- sammelt oder gefangen? Auf welche Weise wurden sie untersucht, nams. In Kooperation mit dem bewahrt und präsentiert und wie hat sich das vom 19. Jahrhundert Botanischen Garten und dem Fotos: Carola Radke / MfN, Virginia Duwe bis heute gewandelt? Einen Blick werfen die Forschenden neben Botanischen Museum Berlin fand den Materialumwelten und diskursiven Umwelten auch auf die bereits eine erste Exkursion nach Datenumwelten, die diese Tierobjekte umgeben: Wer erstellte sie, Zentralvietnam statt. Im National- wer hat Zugang dazu und welche neuen Zusammenhänge werden park Bach Ma sammelte die For- dadurch sichtbar? Im Zuge von Digitalisierungsprojekten, aber schungsgruppe viele Pflanzen und auch neuen molekularbiologischen Analysemethoden und bild- Tiere. Dabei kam die vom Museum gebenden Verfahren werden museale Tierobjekte immer mehr für Naturkunde Berlin entwickelte Konserviert für zu Datenquellen, die in unterschiedliche globale Informationsinfra- App „ODK-Collect“ zum Einsatz. die Menschen: Gorilla Bobby strukturen wie etwa Global Biodiversity Information Facility (GBIF), Die im Projekt gewonnenen Daten und Eisbär Knut. GenBank oder Barcode of Life einfließen. werden frei zur Verfügung gestellt. 8
Eine Phytoplankton- Weltsprache gruppe – die Kiesel- algen – ist ent- für Vielfalt scheidend für den zukünftigen Klima- wandel. Wer hätte gedacht, dass am Berliner Naturkunde- museum an weltweit genutzten Daten-Standards gearbeitet wird? Dabei geht es um die sogenannten Biodiversitätsdaten: die Summe der vielseitigen Informationen und Forschungsergebnisse, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Jahr- hunderten gesammelt und erarbeitet haben. Aus ihnen besteht unser Wissen über die biologische Vielfalt der Erde. Diese Daten sind naturgemäß vielfältig. Sie wurden und werden in verschiedenen Systemen und je nach Zweck unterschiedlich erfasst. Um sie für alle verständlich zu machen, Was uns Plankton für Forschende und viele andere Interessierte, zum Beispiel Naturschützer*innen, sollen sie alle über das Klima nach und nach in ein einheitliches Format über- führt werden, den sogenannten ABCD-Standard Wer ist der der Zukunft sagt (englisch für Access to Biological Collection Data). Schönste? Das Museum für Naturkunde Berlin arbeitet zu- Käfer liefern Plankton spielt eine herausragende Rolle beim Klima. Denn diese sammen mit dem Botanischen Garten Berlin daran, Forschenden Organismen, die im Meer leben und sich von der Strömung treiben viele Bio- den ABCD-Standard weiterzuentwickeln. In Zukunft diversitäts- lassen, binden Kohlenstoff und nehmen somit CO2 aus dem Meer soll er auch als Austauschformat für ganz unter- daten. und damit auch aus der Atmosphäre auf. Im Paläogen, vor 34 schiedliche Biodiversitätsdaten dienen – Millionen Jahren, wechselten die globalen Temperaturen von warm etwa zwischen zoologischen zu kalt, gleichzeitig ging das atmosphärische Kohlendioxid zurück. Sammlungen und Wie haben sich Organismen in den Ozeanen in dieser Zeit verhal- den Geowissen- ten – und was lässt sich daraus für die Zukunft ableiten? Fotos: Michael Scheuerl in Zusammenarbeit mit Mediasphere For Nature, Gayane Asatryan / MfN schaften. Forschende des Naturkundemuseums untersuchen den Zusammenhang zwischen Polarmeeren im Paläogen, der Entwicklung von Plankton und dem zukünftigen Klimawandel. „Wenn wir verstehen, wie Plankton und die Ozeane mit den klimatischen Veränderun- gen im Paläogen interagiert haben, können wir Annahmen über die zukünftige Entwicklung des Planktons und die Klimaerwärmung tref- fen“, sagt Projektleiterin Gayane Asatryan. Sie und ihre Kolleg*innen verbinden im Projekt Biodiversitäts- mit Klimaforschung. Sie wollen herausfinden, wie sich die da- maligen Temperaturschwankungen auf das Phytoplankton ausgewirkt haben und wie der Anstieg des Phytoplanktons wiederum den Kohlenstoffkreislauf des paläogenen Ozeans beeinflusste. Die Forschungsgruppe bestimmt Planktonarten aus Tiefseesedi- menten, zählt ihr Vorkommen und sammelt geochemische und fossile Daten aus dem Paläogen. Computersimulationen sollen zeigen, wie Plankton und Klima während des großen Klimawandels vor 34 Millionen Jahren interagierten – und Rückschlüsse auf das heutige Aussterberisiko kohlenstoffabfangender Planktonarten möglich machen. 9
TITEL Ein Gespräch mit den Museumsleitern Johannes Vogel und Stephan Junker „Bei uns erkennen die Menschen, dass sie Teil der Vielfalt und Schön- heit des Lebens sind“ 11
Das Museum für Naturkunde Berlin will digitaler und offener werden und einen zukunftsweisenden Campus für Natur und Gesellschaft schaffen. Ein Rundgang mit den Museumsleitern Johannes Vogel und Stephan Junker – und ein Gespräch über die Zukunft des Hauses und die bedrohte Schönheit unserer Welt Partnern wie der Humboldt-Universität V Herr Vogel, Herr Junker, 30 Millionen natur- kundliche Objekte zu digitalisieren klingt nach einen Wissenschaftscampus für Natur einer Mammutaufgabe. Warum braucht die und Gesellschaft schaffen. Welt digitale Daten von Blattschneiderbienen VOGEL: Wir werden ein Ort sein, an dem oder Rossameisen? die Menschen durch Wissenschaft und VOGEL: In Sammlungen wie der unseren Gespräch reflektieren, wie unsere Be- liegt die Möglichkeit zu verstehen, was ziehung zur Natur in der Zukunft zu diese Welt biologisch zusammenhält. sein hat. Wir wollen zeigen, wo uns Gerade in Zeiten des massiven Verlusts die Welt über den Klimawandel, den und der Vernachlässigung der natürli- Biodiversitätsverlust oder die Ozean- Volker Bormann, Mitarbeiter des Muse- chen Lebensgrundlagen des Menschen versauerung wegbricht. Deutschland ums, greift nach einer Biene, die aufge- müssen wir Zeugnis ablegen über den als Wissenschafts- und Technologie- spießt in einem hölzernen Insektenkasten Reichtum der Natur, auch digital. nation hat da eine besondere Verant- steckt. Megachile hera steht auf einem JUNKER: Zudem ist die Digitalisierung wortung. Wir sind sehr froh, dass der vergilbten Zettelchen. Das pelzige Tier- ein Teil des Zusammenwachsens der Bund und das Land uns den Auftrag chen, eine Blattschneiderbiene, wurde naturkundlichen Sammlungen der gegeben haben, hier etwas Neuartiges 1911 auf Java gefunden. Bormann befestigt Welt. zu schaffen. es in einer Plastikschale, die auf einem VOGEL: Richtig – wir haben 124 Forscher*- Mini-Fließband langsam an zwei Kame- innen im Haus, aber es gibt viele auf der Und wann geht es los mit dem Bauen? ras vorbeifährt. Ein hochauflösendes Bild Welt, die gerne mit unserer Sammlung JUNKER: Ich denke, dass wir frühestens erscheint auf einem Monitor, sogar feinste arbeiten würden. Wir haben bereits ein ab 2023 beziehungsweise Anfang 2024 Äderchen in den transparenten Flügeln Mikroskop, das es Forscher*innen in Ja- starten werden. Vorher müssen wir sind darauf zu erkennen. Fertig! Megachi- pan oder anderswo erlaubt, Objekte per noch viele, viele Dinge klären. le hera ist digitalisiert. Fernsteuerung digital zu untersuchen. So VOGEL: Ich kann verstehen, dass es Un- Der Digitalisierungssaal ist ein Fens- wird kein CO2 mehr für Flüge verblasen. geduld gibt und die Bevölkerung wie ter in die Zukunft des Naturkundemuse- Wir werden auch DNA-Informationen auch die Politik sehen wollen, was mit ums. 2,3 Millionen Bienen, Wespen und online stellen. dem Geld passiert. Ich halte es aber für Ameisen werden hier in den nächsten wichtig, dass wir stringent planen, da- Jahren ins Datenzeitalter gebeamt. Wei- Ihr Haus hat von Bund und Land für die nächs- mit das Bauen möglichst schnell geht. tere 28 Millionen Objekte sollen folgen. ten zehn Jahre 660 Millionen Euro zugesagt Wir bitten also um Geduld, hinter den Johannes Vogel und Stephan Junker bekommen – für viele eine unvorstellbare Kulissen passiert schon sehr viel. Wir stehen neben der Digitalisierungsstation, Summe. Will sich das Museum mit diesem laden jetzt zum Beispiel Besucher*innen Generaldirektor Vogel im dunkelblauen, Geld neu erfinden? ein, um zu erfahren, wie sie sich das Geschäftsführer Junker im hellblauen JUNKER: Wir wollen dieses wunder- Museum in Zukunft vorstellen. Anzug, der eine mit blau-weiß-rotem, schöne Haus zum Glänzen bringen. Un- der andere mit weißem Einstecktuch. ser Auftrag ist nicht nur, die historische Vogel und Junker gehen durch den Sau- Vogel trägt Zwirbelbart, sein Markenzei- Gebäudesubstanz zu erhalten, sondern riersaal, in dem das riesige Skelett eines chen, das er wie Stoßzähnchen vor sich ein integriertes Forschungsmuseum Giraffatitan brancai fast bis zum Milch- herträgt. Wenn er der Professor mit den zu schaffen, das sich nach außen öffnet glasdach aufragt, durch das Tageslicht ins kreativen Ideen ist, dann ist Junker der und neue Formen des Wissenstransfers Atrium fällt. Besucher*innen bewegen kühle Kopf, der alles noch einmal durch- und der Teilhabe bietet. Wir wollen hier sich staunend zwischen den Riesen des rechnet. an der Invalidenstraße gemeinsam mit Jura hindurch: dem bedrohlichen Allo- 12
„Wir werden ein Ort sein, an dem der saurus fragilis und dem 13 Meter langen den letzten zehn Jahren rund 60 Millio- Dicraeosaurus hansemanni. Johannes Mensch durch nen Euro in das Museum geflossen. Wir Vogel schaut zum Glasdach auf. Das Mu- Wissenschaft und haben die Arbeiten sehr verantwortungs- seum, erzählt er, wurde 1890 als Tages- voll in Zeit und Budget gemeistert und lichthaus ohne Strom eröffnet. Durch die Gespräch ref lektiert, sind zuversichtlich, dass wir das auch sechs Meter hohen, lichtdurchfluteten wie unsere Bezie- bei dem anstehenden Umbau schaffen Räume hindurch kann man von einem werden. Unser Ziel ist es, das gesamte zum anderen Ende schauen. hung zur Natur Gelände und alle Gebäude mit rund Wenn man am Eingang an der Inva- 60.000 Quadratmetern anzupacken. Da- lidenstraße steht, ahnt man nicht, dass in der Zukunft zu für machen wir einen Masterplan und sich das Naturkundemuseum bis tief sein hat“ einen Architektenwettbewerb. Wir über- in den Block hinein erstreckt, mehrere legen auch, wie wir das Museum mit Höfe und Nebengebäude umfasst, in seinem Gesicht zur Invalidenstraße hin denen Millionen von Objekten lagern attraktiver gestalten können. Ein neuer und Wissenschaftler*innen forschen. Der Ostflügel ist schon fertig? Tiefenspeicher wird die optimale Unter- Viele Gebäudeteile wurden seit dem JUNKER: Ja, hinter diesen Ziegelsteinen bringung der Sammlung ermöglichen. Krieg nicht saniert, mancherorts sind befindet sich unsere wertvolle Nass- VOGEL: Unsere Sammlung befindet sich Einschusslöcher zu sehen. Wo 1943 eine Sammlung mit rund einer Million in in einem Gebäude, das 1890 eröffnet Bombe explodierte, ist das Haus ausge- Ethanol konservierten Tierpräparaten wurde, sie wird aus heutiger Sicht nicht bessert worden: Helle Ziegelsteine sitzen in 276.000 Gläsern. Die Räume wurden mehr zeitgemäß auf bewahrt. Der Mu- wie eine Plombe im alten Ostflügel. bereits aufwendig saniert. Dafür sind in seumskäfer etwa, der naturkundliche „Da das Leben immer weitergeht, wird auch unsere Aufgabe nie enden“
„Im Moment haben wir als eines der Sammlungen frisst, kann sich unter 16 schimmernden Käfern, schauen sich See- Grad nicht vermehren. Wenn wir unser besucherstärksten pferdchen, glubschäugige Zwergplumpo- Depot künftig auf 14 Grad runterküh- Museen der Stadt ris und gigantische Hummer an. len können, würde das eine nachhaltige Lagerung ermöglichen, ohne dass wir nur 4.800 Quadrat- Gibt es alle diese Tiere noch? ungesunde Stoffe einsetzen müssen. Un- meter Ausstellungs- VoGel: Ja, aber das Riesenschuppentier sere Sammlung wächst um bis zu zwei wird eine der nächsten Arten sein, die Prozent pro Jahr und wir müssen auch f läche, in Zukunft aussterben wird, weil es für seine Schup- die neuen Funde so lagern, dass man in pen gejagt wird, die in China als Medi- 50 Jahren nicht über uns spottet. werden es weit über zin gehandelt werden. Wir sehen hier 10.000 sein“ 3.000 von den rund zwei Millionen Und was soll auf dem Museumshof, Tierarten, die wir bisher kennen. Mitt- dem geplanten Wissenschaftscampus für lerweile gehen wir davon aus, dass zwi- Natur und Gesellschaft, passieren? Museums: Tristan Otto, dem gewaltigen, schen einem Achtel und einem Drittel VoGel: Das Rückgrat des neuen Campus zwölf Meter langen Tyrannosaurus rex, aller Arten aussterben wird. Wenn es so werden die Humboldt-Universität, die dessen knochiger Schwanz einen be- weitergeht, kann ich mir vorstellen, Partner der Berliner Exzellenzinitiative drohlichen Schatten auf die Wand wirft. dass wir bald Tiere aus der Wand ent- und das Museum für Naturkunde bil- Dann stehen sie plötzlich in einem Labor. fernen müssen, um zu zeigen, was es den. Wir versammeln jetzt schon eine Kristin Mahlow scannt hier gerade die bedeutet, wenn ein Drittel fehlt. Hier interessante Mischung im Gebäude, Wirbelsäule eines Komodowarans in ei- an der Biodiversitätswand bringen wir etwa das Büro der University of Oxford nem Computertomographen. Mit diesem Leute dazu, miteinander zu reden. Das in Berlin oder die European Citizen Sci- Gerät hat ein internationales Team un- ist das Allerwichtigste. Die Menschen ence Association. Wir möchten noch ter Leitung des Museums bei einer 240 sehen hier das Leben auf der Erde in all viele weitere Partner aus der Wissen- Millionen Jahre alten Schildkröte ein seiner Vielfalt und Schönheit. Alle Or- schaft einladen, Teil unserer Idee zu Geschwulst am Oberschenkel untersucht ganismen auf der Erde teilen DNA mit werden und an der Entstehung des – und herausgefunden, dass das Tier an uns, mit Ausnahme der Viren. Und ich Campus mitzuwirken. Auch die Stadt- Knochenkrebs litt und diese Krankheit denke, hier erkennen die Leute, dass gesellschaft ist eingeladen: Dieser Ort schon vor Jahrmillionen existierte. sie Teil von all diesem sind. kann 24 Stunden, sieben Tage in der Woche bespielt werden. JUNKeR: Hier im Schaulabor wollen wir Sie sammeln weiterhin neue Arten... den Besucher*innen zeigen, dass wir VoGel: Ja, wir beschreiben jedes Jahr 170 Wird das Museum denn während unsere Objekte nicht nur ausstellen, bis 200 neue Arten. Das sind etwa ein der Bauphase schließen? sondern an ihnen auch spannenden Prozent der Arten, die jedes Jahr neu JUNKeR: Wir wollen die Ausstellungen so Forschungsfragen nachgehen. beschrieben werden. Aufgrund unserer lange wie möglich offen halten. Wichtig starken wissenschaftlichen Tradition ist ist auch, dass wir das Museum arbeits- Viele wissen gar nicht, dass im Museum das eine wichtige Aufgabe unseres Hau- fähig halten. Deshalb suchen wir gerade für Naturkunde intensiv geforscht wird... ses – wie auch der Museen in London, einen Ausweichstandort, an den wir die VoGel: Das stimmt, aber als sammlungs- Paris, Washington und New York. Wir Sammlungen auslagern werden. Als ei- gestütztes Forschungsmuseum haben haben gerade mehr Geld bekommen, nes der besucherstärksten Museen der wir eine ewige Mission: Das Leben auf damit wir das weiter intensivieren, weil Stadt haben wir derzeit nur 4.800 Qua- der Erde und im Sonnensystem, seine die Rate des Aussterbens höher ist als dratmeter Ausstellungsfläche, in Zu- Muster und Prozesse zu entdecken und die Rate des Beschreibens. kunft werden es weit über 10.000 sein. zu beschreiben. Es gibt keine größere, VoGel: Unabhängig davon, ob wir Teile spannendere und vielfältigere Aufgabe. Sehen Sie es auch als Ihre Aufgabe, unseres Hauses schließen müssen oder Und da das Leben durch den Prozess Aufklärungsarbeit zu leisten? nicht: Wir werden auch zu den Men- der Evolution gesteuert ist und immer JUNKeR: Unbedingt. Es kommen ja jedes schen hingehen, um weiterhin tief in weitergeht, wird auch unsere Aufgabe Jahr fast 100.000 Personen zu unse- der Stadtgesellschaft verankert zu sein. nie enden. ren Bildungsprogrammen und Ver- anstaltungen. Das zeigt, dass wir ein Vogel und Junker laufen an den schaurig- Vogel und Junker bleiben vor der Bio- Ort sind, an dem sich gesellschaftliche faszinierenden Gläsern der Nass-Samm- diversitätswand stehen. Auf der Breite Diskurse entfachen, etwa zum Arten- lung vorbei, in denen bleiche Fischleiber eines ganzen Museumssaals ist hier der sterben oder zum Klimawandel. Fri- und Schlangen in Ethanol liegen, an Hya- Reichtum des irdischen Tierlebens ver- days-for-Future-Demonstrant*innen zinth-Aras mit kobaltblauem Gefieder sammelt oder besser gesagt, ein Bruch- bieten wir an, im Museum mit Wissen- und an einer der Hauptattraktionen des teil davon: 3.000 Arten. Kinder knien vor schaftler*innen zu diskutieren. 14
15 Vogel: Dialogveranstaltungen zählen zu lien- und Gesteinssammlung hat er Vogel zeigt auf eine der großen blauen Zitat- den wichtigsten Dingen, die wir ma- den Grundstock für unsere Sammlung tafeln, die über den Mineralen schweben. chen. Diese Aufgabe müssen wir noch gelegt. Insofern stehen wir auf seinen „Alles ist Wechselwirkung“ steht darauf besser erfüllen. Warum werde ich von Schultern. Das ist eine große Verant- in großen Lettern. Alexander von Hum- unseren Geldgebern nicht in die Lage wortung, aber es macht uns auch stolz. boldt schrieb diese Worte im August 1803 versetzt, mit 25 Prozent der Berliner im Tal von Mexiko. Erwachsenen in einen Dialog zum The- Vogel: Wir stehen aber auch in der ma Natur zu treten? Wenn wir das nicht Tradition seines Bruders Wilhelm von Vogel: Alles hängt mit allem zusammen. machen – wer macht es dann? Alle re- Humboldt. Wilhelm hat ja die preu- Daraus erwächst einer unserer Auf- den davon, dass Deutschland sich in der ßische Reformuniversität, die heute träge. Wir müssen den Menschen ein Verantwortung für eine globale Nach- Humboldt-Universität heißt, mit der ge- tieferes Verständnis für die Komplexi- haltigkeitsagenda sieht. Die fängt aber nialen Idee gegründet, Forschung und tät der Natur und die Einbettung des verdammt noch mal zu Hause an! Dafür Lehre in den Lehrkräften zu verbinden. Menschen darin geben. Wir Menschen müssen wir Mehrheiten gewinnen und Diese neue, moderne Universität, deren sind Teil einer lebenden, atmenden und deshalb wollen wir mit Menschen re- Idee den Siegeszug um die Welt ange- dynamischen Welt. Wenn das breiter den und vor allen Dingen zuhören. treten hat, basierte auf Sammlungen. verstanden wird, dann entsteht viel- Und das sind die Sammlungen dieses leicht auch etwas mehr Demut, die für Darf ein Museum politisch sein? Museums. In ihnen liegt also der An- eine wirksame Nachhaltigkeitsagenda Junker: Unser Museum ist eine politische fang der modernen Bildung. Und es ist dringend notwendig ist. Institution, weil wir uns als wissen- unser Auftrag zu fragen: Was machen schaftliche Einrichtung mit zentralen wir damit für die nächsten 200 Jahre? gesellschaftlichen Fragen befassen. Mu- seen sind nicht nur Häuser, in die man sich zur Erbauung oder Bildung begibt, sie sind Teil einer demokratischen Wis- sensgesellschaft. Wir beschäftigen uns mit Natur. Da liegt auch die Grenze, Themen aus anderen gesellschaftlichen Bereichen werden wir nicht aufgreifen. Vogel: In diesem Jahr haben bei uns die klimapolitischen Sprecher aller Bundes- tagsfraktionen mit Vertreter*innen von Fridays for Future diskutiert. Das ist für uns die Erfüllung unseres politischen Auftrags: ein neutrales Forum für einen Diskurs zu bieten, um eine nachhaltige Zukunft unseres Planeten zu befördern. Der Rundgang durch das Museum endet bei Alexander von Humboldt. Im Mine- raliensaal stellt das Museum im Jahr des 250. Geburtstags des Naturforschers Mi- neralien aus, die dieser von seinen Rei- sen durch Europa, Russland und Ame- rika mitgebracht hat. Rhodonit aus dem Ural, Antimonit und Stibiconit aus dem Fichtelgebirge, Zinnober aus dem mexi- kanischen Guanajuato. Alexander von Humboldt wurde dieses Jahr vielerorts in Berlin gefeiert. Wie sehr hat er das naturkundemuseum mitgeprägt? Junker: Er ist einer der Väter dieses Museums. Mit Teilen seiner Minera- „Wir wollen mit den Menschen reden und zuhören“
WIssen Museum in Zahlen Das Museum für naturkunde Berlin hat sich seit der Gründung 1810 zu einem internationalen Forschungs- museum entwickelt und ist heute eines der größten und meist- besuchten naturkundemuseen in Deutschland 4 Forschungsbereiche 329 1. Evolution und Geoprozesse 2. Sammlungsentwicklung und Biodiversitätsentwicklung 3. Digitale Welt und Beschäftigte Informationswissenschaft 4. Museum und Gesellschaft davon 124 wissenschaftler*innen 282 Publikationen Bis zu 214 Peer-Review Artikel 200 Gastwissenschaftler*innen jährlich aus der ganzen welt 16
Über 500 Sammlungsgäste* pro Jahr 96.817 Teilnehmer*innen an Bildungsprogrammen * Sammlungsgäste sind Wissenschaftler*innen, die mit den Objekten der Sammlung arbeiten. 734.237 Besucher*innen im Jahr 2018 96 % 60 % der Bürger*innen der Bürger*innen Illustration: Sarah Matuszewski in Berlin und Branden- in Deutschland burg kennen das kennen das Museum Museum 17
PORTRäT Sie sucht weltweit nach neuen Arten und hat mit Larven Mordfälle aufgeklärt: Wie Eliana Buenaventura, neue Leiterin der Zweiflügler- Sammlung, die Erforschung der Artenvielfalt voranbringt Herrin der Fliegen
Um die Welt gereist: Diese Fliege stammt aus Guinea, andere kommen aus China, Mada- gaskar, Kamerun. Text Mirco Lomoth jedes Ökosystem“, sagt Buenaventura. Sie Von der Vietnam-Expedition brachte Buena- Fotos Pablo Castagnola fängt die Fliegen in der Natur, untersucht ventura rund 400 Aasfliegen mit, eingelegt ihre DNA im Labor, fahndet nach Ähnlich- in hochkonzentriertem Ethanol, das die keiten und Unterschieden, bestimmt neue DNA in gutem Zustand erhält. In den mo- s klingt fast zärtlich, wie Eliana Arten und versucht so, Fragen der Evoluti- lekulargenetischen Laboren des Museums E Buenaventura diesen Namen ausspricht: Lucilia cuprina. Die neue Leiterin der Zweiflügler- Sammlung des Museums für Naturkunde Berlin öffnet eine hölzerne Schublade, in on und Artenvielfalt zu beantworten. Mit Hühnerleber auf Fliegenjagd wird sie die DNA aus den Proben gewin- nen, sie reinigen und vervielfältigen und anschließend die Abfolge der genetischen Bausteine bestimmen lassen. Dann kann sie die DNA-Sequenz jeder einzelnen Fliege der Dutzende metallisch grün glänzende Erst im Mai 2019 war sie mit einem Team auf dem Bildschirm mit Datenbanken auf Fliegen auf feinen Nädelchen stecken. Sie des Zentrums für Biodiversitätsentdeckung der ganzen Welt abgleichen. sind vor fast 200 Jahren nach Berlin gekom- im Cuc-Phuong-Nationalpark in Nord- men, aus China, Madagaskar, Kamerun. Vietnam, um dort die enorme Artenvielfalt Mit Larven „Lucilia cuprina ist überall auf der Welt zu dokumentieren und die Auswirkungen die Erste, die einen Kadaver anfliegt, sie hat menschlicher Eingriffe zu verstehen. Im Mörder überführen einen hervorragenden Geruchssinn“, sagt Regenwald hängte sie ihre rohrförmigen Es war die Musik, nicht die Biologie, die Eli- Buenaventura, eine kleine, herzliche Frau Fliegenfallen auf. „Meine Kollegen sagen, ana Buenaventura zuerst in ihren Bann zog. mit tiefschwarzen Ringellocken. Sie steht dass es kein Spaß ist, mit mir im Feld zu In Bogotá lernte sie die Oboe lieben, spielte in einem Gang der Zweiflügler-Sammlung sein, da ich meine Fliegen mit verrotte- zuerst in einem Kinderorchester, später am zwischen hohen, alten Holzschränken. ten Ködern anlocke, mit Hühnerleber Konservatorium der Nationalen Universität Rund eineinhalb Millionen präparierte zum Beispiel“, sagt sie und lacht. Warum von Kolumbien. Weil neben der Musik die Fliegen und Mücken lagern hier. „In all sie sich ausgerechnet für aasfressende Natur sie immer mehr faszinierte, begann diesen Tieren ist noch immer genetische Fliegen interessiert? Information erhalten“, sagt Buenaventura. „Für viele Menschen „Die Sammlung ist eine äußerst wertvolle sind sie einfach nur Ressource, weil weltweit Lebensräume langweilig und eklig, schwinden und wir manche dieser Arten aber für mich sind es heute gar nicht mehr sammeln könnten.“ kosmopolitische Or- Eliana Buenaventura ist eine der 20 ganismen, die auf der Wissenschaftler*innen, die am neuen ganzen Welt zu finden Zentrum für Biodiversitätsentdeckung des sind und sehr viele In- Museums für Naturkunde mit modernsten formationen mit sich Methoden die weltweite Artenvielfalt erfor- herumtragen.“ schen – und dabei auch unbekannte Tiere entdecken wollen. Denn noch immer sind geschätzte 90 Prozent aller Arten auf der Erde unentdeckt. Buenaventuras Spezial- gebiet: Sarcophagidae – Fleischfliegen. Die Wertvolle meisten Arten aus dieser Familie sind Aas- Ressource. Rund fresser. „Das macht sie so interessant. Sie eineinhalb Millionen präparierte Fliegen sind hervorragende Recycler und legen ihre und Mücken umfasst Eier in tote Körper, sie sind sehr wichtig für die Sammlung. 19
Artenvielfalt Forscher*in in Argentinien sein*e Fliegen- erforschen: Eliana Buenaventura funde und die DNA darin mit unseren bestimmt die DNA Daten abgleichen“, sagt Buenaventura. der Fliegen. „Das ist ein riesiger Beitrag für die welt- weite Erforschung der Artenvielfalt.“ Es begann eine Wanderzeit: Geheimnisse Doktorarbeit in Dänemark, Postdoc-Stelle an der North in Berliner Parks Carolina State University in Fleischfliegen sammelt Eliana Buena- den USA, zwei weitere Jahre ventura mittlerweile auch in Berlin, etwa am renommierten Smithso- im Volkspark Rehberge. „Wir wissen, dass nian Institute in Washington sie sich auf Exkremente von Säugetieren D. C. Dann Berlin. Ihr neues setzen, auf ihrem Fell oder auf Wunden Büro liegt im Nordflügel des herumkrabbeln oder sich vom Schweiß Naturkundemuseums. „Tier- oder Augenflüssigkeit ernähren“, sagt sie. nahrungslehre“ steht in alter Die toten Zellen tragen die Fliegen dann deutscher Schrift an der Tür an sich – oder auch in sich. „Ich kann zum Flur. Auf ihrem riesigen diese fremde DNA im Labor isolieren und Schreibtisch liegen Fachbü- so feststellen, mit welchen Wirtstieren die cher zur Artenbestimmung Fliegen in Kontakt gekommen sind, etwa neben einem Roman des ko- mit Füchsen, Iltissen oder Mardern.“ Ge- lumbianischen Schriftstellers meinsam mit Wissenschaftler*innen der Gabriel García Márquez. In Freien Universität und des Berlin Center einer Vitrine lagert histori- for Genomics in Biodiversity Research soll sches Laborgeschirr, draußen so nach und nach eine Karte der Arten- vor dem Fenster steht ein alter vielfalt für Berliner Parks entstehen und sie ein Biologie-Studium in Bogotá und lan- Apfelbaum, unter dem sie gerne Kaffee- neue Methoden entwickelt werden, um dete nach dem Abschluss am Nationalen pause macht. die Wildtierbestände zu überwachen. Institut für Rechtsmedizin und Forensik. Nach Berlin gezogen hat sie die einzig- „Viele Menschen denken beim Thema „In Kolumbien geht die Hälfte aller Todes- artige Zweiflügler-Sammlung des Muse- Biodiversität gleich an den Amazonas fälle auf Gewalt zurück“, erzählt Buena- ums und die Expertise deutscher Forscher- oder an tropische Regenwälder“, sagt ventura. „Ich habe den Todeszeitpunkt von innen und Forscher zu Artenvielfalt und Buenaventura. Doch auch viele Grün- Mordopfern ermittelt, indem ich die Ent- Artensterben – vor allem aber der Wan- flächen in Berlin seien durch schmale wicklungsstadien von Fliegenlarven unter- del, den das Museum für Naturkunde Korridore mit wilderen Ecken verbun- sucht habe, die den Körper nach dem Tod in den nächsten Jahren vollziehen will. den und würden Säugetieren, Vögeln und kolonisieren.“ Zweieinhalb Jahre blieb sie „Wenn die gesamte Sammlung erst mal Reptilien einen wichtigen Lebensraum bei den Mordermittlern, bearbeitete rund digitalisiert und öffentlich ist, kann ein*e bieten. Ihre Fliegen sollen helfen, ein Be- 150 Fälle, konnte anhand der wusstsein für das geheime Fliegenlarven sogar feststel- Leben in Berliner Parks zu len, wenn ein Opfer Kokain schaffen. „Ich möchte, dass oder andere Stoffe genom- die Berliner*innen erken- men hatte. „Es war eine har- nen, welchen Reichtum sie te Zeit, weil man als Biologin direkt vor der Haustür ha- nicht gerade dafür ausgebil- ben und wie wichtig es ist, det ist, sich mit den dunkels- diesen auch zu schützen.“ ten Seiten der menschlichen Gesellschaft zu befassen.“ Immer wieder stieß sie bei der Ermittlungsarbeit aber auch an die Grenzen der Methoden. Sie beschloss, Für Buenaventura Fleischfliegen zu erforschen, sind sie „kosmopolitische“ Wesen, die uns viel um sie für die Forensik noch über die Natur lehren besser nutzbar zu machen. können. 20
21 Botschafter Dieses Haus „Wo bitte geht’s zum Brexit?“, fragt die junge Frau, die am Abend des 7. November zeitgleich mit mir im ist etwas ganz Museum für Naturkunde ankommt. Sie eilt zur Diskussions- veranstaltung der Hochschule für Technik und Wirtschaft Besonderes in den hinteren Teil der Ausstellung und ich in den Sauriersaal, zur Verleihung der Berliner Wissenschafts- preise an die renommierte Arabistin Beatrice Gründler und den jungen Photovoltaik-Star Steve Albrecht. Derweil wird nebenan unter dem strengen Blick von T. rex Tristan Otto über das Verhältnis von Mensch und Maschine debattiert, auf Einladung der ETH Zürich. Die vierte Berlin Science Week ist in vollem Gange und das Leibniz- Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Michael Müller, wie das Museum für Naturkunde auch heißt, dient zwei regierender Tage lang als Dreh- und Angelpunkt für die Aktivitäten bürgermeister zahlreicher Einrichtungen aus dem In- und Ausland. Eine Ausnahmesituation, ja, und doch auch ein von berlin Beispiel dafür, welchem Anspruch sich das Forschungs- und senator für museum und sein engagiertes Team verschrieben haben. Sie verbinden großartige Ausstellungen und heraus- Wissenschaft und ragende Forschung und gehen immer wieder innovative forschung Wege in der Wissensvermittlung – offen für neue parti- zipative Formate, mit einem Gespür für aktuelle Themen und die Bedarfe unserer Stadt. Ein Haus, das Klein und Groß gleichermaßen begeistert und in Zukunft zu Recht eine noch bedeutendere Rolle in der Wissenschafts- und Kulturmetropole spielen wird. Eine Rekordsumme von 660 Millionen Euro stellen der Bund und das Land Berlin je hälftig für die Vision eines modernen Wissenschafts- campus zur Verfügung, damit das MfN sein ganzes Potenzial heben und zur internationalen Spitze der Forschungs- museen aufschließen kann. Wer mit dem Museumsdirektor und seinen Mitarbeiter*- innen über dieses Vorhaben spricht, merkt sofort, wie sehr sie dafür brennen. Und auch die Menschen in Berlin, die vielen Unterstützer*innen und Museumspat*innen, reagieren mit Begeisterung. Offen gesagt, geht’s mir nicht anders. Ich kann mich gut an meinen ersten Besuch im MfN erinnern. Es war kurz nach der Wende, 1990, zusam- men mit Freunden. Dem Haus sah man die Narben der Vergangenheit deutlich an und trotzdem war einem sofort klar: Das Museum für Naturkunde ist für Berlin etwas ganz Besonderes. Später folgten Ausflüge mit der Familie, auch zum Kindergeburtstag-Feiern, und natürlich diverse Foto: Pablo Castagnola dienstliche Anlässe, ob als Stadtentwicklungssenator oder nun in der Verantwortung für die Wissenschaft. Es war spannend, mitzuerleben, wie sich das MfN über diese gut 30 Jahre gewandelt hat. Jetzt läuten wir gemeinsam eine neue Zeit ein. Professor Vogel und seinem Team dafür viel Erfolg und weiterhin viele kreative Ideen!
DIGITALISIERUNG Big Data mit Ameisen und Dino- 30 Millionen sauriern Objekte des Museums Text Carmen Schucker Fotos Pablo Castagnola für Naturkunde Berlin werden in den kom- menden zehn Jahren digi- talisiert Eine offene, digitale Sammlung entsteht E ine Flugreise von 1 2.000 Kilometern, um tote Weg- können und es wäre kein CO2 in die Luft gelangt. Denn die wespen zu untersuchen: Akira Shimizu von der Tokyo 30 Millionen Objekte im Naturkundemuseum werden in den Metropolitan University forscht gerade über das Paa- kommenden zehn Jahren digitalisiert. Anschließend kann sie rungsverhalten einer Wegwespenart (Pompilidae). jeder von überall auf der Welt in einer Datenbank abrufen. Eine Von den Exemplaren aus der Sammlung des Berliner Mammutaufgabe: Die kleinsten Objekte sind staubkorngroß, die Naturkundemuseums, aufgespießt auf Nadeln, erhofft er sich größten sind meterhohe Dinosaurierfossile. Mittels verschiedener Aufschluss über anatomische Besonderheiten. Im Fokus stehen Foto-Techniken landen die Insekten und alle anderen natur- die massiven Beine der Männchen. Sind sie vielleicht bei der kundlichen Objekte, die winzigen Labels in Sütterlinschrift und Paarung von Vorteil? Noch wertet er seinen Berliner Besuch aus. QR-Codes in einer Datenbank. Befänden wir uns schon im Jahr 2030, hätte sich Shimizu „Big Data mit unseren naturkundlichen Objekten zu machen, den weiten Weg aus Japan in die deutsche Hauptstadt sparen bietet der Wissenschaft zig Antworten auf aktuelle und künftige 22
Wespe für Wespe: Mitarbeiter Bernhard Schurian macht digitale Aufnahmen der teils über 100 Jahre alten DIGITALISIERUNG Insekten, überträgt handgeschriebene ERLEBEN Notizen in die Daten- bank – und setzt die Die Digitalisierungsstraße Tiere in neue Kästen. (neben dem Sauriersaal) ist Di – So, 11 – 16 Uhr geöffnet Etwa zehn Prozent der Sammlung sind bereits in der Daten- bank Lukas Kirschey, Leiter der Insekten- sammlung, prüft einen der neuen Insektenkästen, Mit neuer Technik die höchsten konser- vatorischen Stan- dards entsprechen. können bald 7.500 Wespen, Bienen und Ameisen werden Objekte am Tag zuerst digitalisiert – wichtige Typus- Exemplare sogar mit erfasst werden 3D-Scannern. Forschungsfragen“, sagt Bernhard Schurian, zuständig für die schrieben ist, werden wohl mit der aufwendigeren 3D-Technik Digitalisierung. „Mit hochauflösenden Bildern und teilweise sogar digitalisiert. Hierfür hat das Museum gerade einen von weltweit 3D-Animationen ist alles bis auf das dünnste Haar zu erkennen.“ drei existierenden Disc 3D-Scannern für Insekten bekommen. Reinzoomen, umdrehen, der Blick von oben oder unten: Das Von frei zugänglichen, digitalen und enzyklopädischen alles ist kein Problem. Etwa zehn Prozent von 30 Millionen Ob- Sammlungen können überall in der Welt Menschen profitieren. jekten sind bereits digitalisiert. Jetzt ist der Rest dran. „Wir öffnen unsere Sammlung für alle, um das Wissen um die Doch wie digitalisiert man 30 Millionen Objekte? „Mit einer Natur zugänglich zu machen und Raum für Innovation zu schaf- Fließbandtechnik werden wir bis zu 7.500 Objekte am Tag digi- fen“, sagt Frederik Berger, wissenschaftlicher Leiter der Samm- talisieren“, sagt Schurian. Heute schaffen die Digitalisierungs- lungsdigitalisierung. „Die Medizinforschung, die Kunst- oder die mitarbeitenden etwa 500 Objekte am Tag. Nur die besonders Start-up-Szene Berlins arbeiten bereits mit der Sammlung und wertvollen Typus-Exemplare, an denen eine Art erstmals be- lassen sich von ihr inspirieren.“ 23
kalender Natur für alle weitere Veranstaltungen und alle aktuellen termine finden Sie hier: museumfuernaturkunde. berlin / veranstaltungen
Humboldts steinerner Schatz Feueropal, Malachit, Altait oder Rhodo- nit: Wo Alexander von Humboldt auch hinkam, sammelte er Gesteine und Minerale – in Franken, Italien, Mexiko, Peru und Russland, im Altai und im Ural. Mehr als 1.100 Objekte gelangten durch den Naturforscher ans Berliner Museum für Naturkunde. Anlässlich seines 250. Geburtstags präsentiert das Haus erstmals ausgewählte Original- objekte seiner Gesteins- und Mineral- sammlung. Zur Humboldt-Intervention im Mineraliensaal ist ein reich bebil- Dieses Stück Cinnabarit dertes Buch erschienen, das all die Kost- sammelte Humboldt in Mexiko – und schrieb barkeiten vorstellt und dem Sammler das Etikett dazu. Cinnabarit, chemisch Alexander von Humboldt nachspürt. HgS und auch bekannt als Zinnober, ist stark quecksilber- Die Humboldt-Intervention ist noch bis haltig. 29. Februar zu sehen. Das Buch „Alexander von Humboldt: Foto: Hwa Ja-Götz / MfN Minerale und Gesteine im Museum für Naturkunde Berlin“ ist im Museumsshop und im Buchhandel für 34,90 Euro erhältlich. 25
Federn, Felle und Glasaugen – die hohe Kunst der Präparation Wenn es dunkel wird Woher kommen die Tiere, die in Einmal im Monat öffnet das den Ausstellungen gezeigt wer- Museum zu später Stunde. den? Wie gelingt es, dass Zoo- Bei einer Abendführung zu aktuellen und wissenschafts- tiere wie Eisbär Knut oder Gorilla historischen Themen erleben Bobby noch viele Jahre nach ih- Besucherinnen und Besucher das Museum in kleiner Gruppe rem Tod so lebensecht aussehen? von einer wenig bekannten Und wie wird man überhaupt Prä- Seite. Im Anschluss können parator? Das Naturkundemuseum sie bei einem Getränk im Sauriersaal den Abend aus- hat in seiner Geschichte Maß- klingen lassen. stäbe in der Präparationskunst Bye, bye 22.1., 19. 2., 18. 3., gesetzt – und führt dieses wich- Tristan Otto! 18 – 20 Uhr tige Erbe bis heute fort. Bei einer Führung durch die museums- Vier Jahre lang begeisterte „Wissenschaft eigenen Präparationswerkstätten Tristan Otto im Museum für im Sauriersaal“ erleben Besucherinnen und Naturkunde Berlin. Jetzt zieht Besucher ein Handwerk, das das Skelett des Tyrannosaurus Sie entführen in fremde Welten, lösen Rätsel der Natur, veran- wahre Kunstwerke schafft, aber rex weiter zum Staatlichen schaulichen abstrakte Phäno- meistens im Hintergrund bleibt. Naturkundemuseum Dänemarks mene aus den Lebens- und in Kopenhagen. Junge und Naturwissenschaften und ent- 28.1., 27. 2., 24. 3., werfen Lösungen für Probleme ältere Tristan-Fans haben die der Zukunft – die hochkaräti- 18 – 20.30 Uhr Gelegenheit, sich bei einer gen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Veran- großen Party zu verabschieden. staltungsreihe „Wissenschaft Danach beginnt der Abbau im Sauriersaal“. Nach den der fossilen Knochen. Die gute Vorträgen können neugierige Gäste noch bis 22 Uhr exklusiv Nachricht: In etwa zwei die Ausstellung besuchen. Jahren wird T. rex Tristan Otto Die Vortragsreihe ist in Koope- ration mit der Humboldt- wieder nach Berlin zurück- Universität zu Berlin entstanden kommen. und wird gefördert von der Berliner Sparkasse. Tristan-Party am 25. und 26.1., 17.1., 21. 2., 20. 3., 17. 4., 10 – 18 Uhr (Eintritt frei) 19.30 – 22 Uhr 26
Dürfen wir das? Nimmt der Mensch Was wäre, wenn wir Erbkrank- seine Evolution heiten verhindern oder die selbst in die Hand? Ausprägung bestimmter Eigen- Die Geburt erster gentechnisch schaften durch Eingriffe in das veränderter Menschen im menschliche Erbgut bestimmen November 2018 löste einen könnten? Das Forschungsprojekt Sturm der Entrüstung aus. ZukunftMensch lädt ein, gemein- Wollen wir, was wir können? sam Gedankenexperimente zu Wo verlaufen die Grenzen wagen, und gibt Einblicke in eine zwischen Therapie und geziel- Welt, die durch Gentechnologien ter Verbesserung des Erbguts? denkbar geworden ist. Das Forschungsprojekt 5. 2., 14 – 18 Uhr ZukunftMensch lädt ein, diese Fragen mit einem interdiszi- plinären Podium zu disku- tieren. Im Anschluss können Vorbild Natur Besuchende verschiedene Was können wir von der Natur Perspektiven auf Keimbahn- lernen, um Probleme der Gegen- eingriffe interaktiv erkunden. wart zu lösen? Bei einem Work- 23. 3., 19 – 21.30 Uhr shop mit exklusiver Abend- führung lernen Jugendliche und Erwachsene die Methode der „Wissen schaf ft Bioinspiration kennen und ent- wickeln eigene kreative Ideen. Durchblick“ Fridays for free: Offenes Museum für 16.1., 18.30 – 21.30 Uhr Unter dem Motto „Wissen schafft Klimaaktivist*innen Durchblick“ startet ab 2020 eine neue Das Museum für Naturkunde Veranstaltungsreihe im Museum für Berlin unterstützt den Dialog Alles wird digital Naturkunde Berlin. Das Projekt ist in zwischen Fridays For Future und der Wissenschaft. Seit Die Sammlung des Natur- Zusammenarbeit mit der Berliner März können Jugendliche kundemuseums wird digital. Gäste können live dabei sein, Sparkasse entstanden. Bei Podiums- und junge Erwachsene in wenn in der Digitalisierungs- gesprächen und Impulsvorträgen tauschen unterschiedlichen Formaten straße Wespen, Bienen oder mit Wissenschaftlerinnen sich renommierte Expertinnen und und Wissenschaftlern des Ameisen ins Datenzeitalter gebeamt werden. Experten zu aktuellen Themen aus den Museums sowie befreundeter Institutionen in Dialog treten, Di – So, 11 –16 Uhr Bereichen Zukunft, Bildung, Risiko und ihr Klimawissen vertiefen Gemeinschaft aus. Ziel ist es, einer breiten und ihre Argumente schärfen. Öffentlichkeit mehr Durchblick bei Schülerinnen und Schüler sowie begleitende Lehrkräfte Kleine Entdecker naturwissenschaftlichen und wirtschaft- und Studierende erhalten Was lebt in einem Wasser- lichen Themen zu verschaffen. Außerdem freitags ab 13.30 Uhr freien Fotos: Carola-Radke / MfN tropfen? Und wie entstehen Eintritt. Als Nachweis gilt Fossilien? An den Kinder- sollen Bürgerinnen und Bürger eine der Schüler- beziehungsweise sonntagen im Museum können Möglichkeit erhalten, sich an wissenschaft- Studentenausweis. die Kleinen von 8 bis 12 Jahren lichen Diskursen beteiligen zu können. Workshopreihe Klimawandel: auf Entdeckungsreise gehen. 10., 17., 24., 31.1., 12.1. und 9. 2., 15 – 16.30 Uhr 20. 2. und 2. 4., 19.30 – 22 Uhr 14 – 16 Uhr 27
CItIzen SCienCe Wie Bürgerwissenschaftler*innen neues Wissen schaffen MitMACHen Alle Projekte mit Bürger- wissenschaftler*innen finden Sie hier: Aufgespürt und buergerschaffen- aufgenommen: nachtigallen singen wissen.de auch am tag. text Carmen Schucker Berlinert die A uf die Nachtigall gekommen ist Daniela Friebel eher zufällig: Eine Freundin fragte sie, ob sie den Prototyp einer Sound-App Nachtigall? testen wolle. „Nachtigallen mit dem Han- dy ausfindig machen, das klang amüsant“, sagt Daniela Friebel. „Ich hatte allerdings keine Ahnung, wie Nachtigallen singen, und musste mir zuerst im Internet den Gesang in den Parks leben tausende Singvögel. anhören.“ Das war vor drei Jahren. Heute ist die Fotografin und Künstlerin eine von Berlinerinnen und Berliner zeichnen ihren Tausenden Bürgerwissenschaftler*innen, die den „Forschungsfall Nachtigall“ am Gesang auf – für die Wissenschaft Museum für Naturkunde unterstützen. 28
NATURBLICK Vogelstimmen aufnehmen, Pflanzen bestimmen, Tiere Bürgerwissenschaftler*innen schaffen erkennen: Das alles kann die Forscherteam gerade festgestellt, dass die auf vielfältige Weise neues Wissen: Ob kostenlose App Naturblick: Daten von Bürger*innen helfen, die Nach- Mücken sammeln, den Sternenhimmel naturblick.naturkunde- haltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu beobachten oder Feuersalamander foto- museum.berlin erreichen. grafieren – jeder kann die Arbeit von Wissenschaftler*innen unterstützen. In der Nachtigall-Saison von Ende Ap- Citizen-Science- ril bis Anfang Juli trällern die Nachtigall- des Projekts teilen. Anhand der Ortsan- Festival 2020 Männchen, um ihr Revier zu verteidigen gaben untersuchen die Forschenden des und um Weibchen zu betören und sich Teams dann, ob die Nachtigallen anders- Die Plattform „Bürger schaffen Wissen“ fortzupflanzen. Eine Flirt-Arie, die be- wo wirklich anders singen als die Berli- am Museum für Naturkunde Berlin ver- sonders gut des Nachts zu hören ist, wenn ner Vögel. Gefördert wird das Projekt vom netzt die Szene in Deutschland. In Berlin der restliche Vogelchor verstummt; Nach- Bundesministerium für Bildung und For- gründete sich gerade die Arbeitsgemein- tigallen singen aber auch am Tag, um ihr schung. schaft Citizen Science Berliner Raum. Revier zu verteidigen. Über 1.500 meist Berliner Bürger*innen Darüber hinaus hat das Museum die Anders als bei anderen Vogelarten sind haben im Frühjahr 2018 bereits die Liebes- Bürgerwissenschaftler*innen aus ganz Eu- regionale Unterschiede im Nachtigall- lieder der in der Hauptstadt vorkommen- ropa dabei unterstützt, ein internationales Gesang unerforscht. Singt die Nachtigall den Nachtigallen dokumentiert. Deutsch- Netzwerk aufzubauen. Nächstes Jahr lädt (Luscinia megarhynchos) in Dialekten? landweit kamen Daten von über 2.000 das Museum anlässlich der deutschen EU- Damit die Forscher*innen am Museum Bürgerforscher*innen. So kamen über Ratspräsidentschaft zu einer internatio- eine Antwort auf diese Frage finden, 1.500 neue Strophentypen zu dem bisher nalen Citizen-Science-Konferenz ein. Für werden sie deutschlandweit von Hobby- wissenschaftlich bekannten Gesangs- Bürger*innen wird es ein Citizen-Science- forschenden, auch Bürgerforscher*innen repertoire hinzu, das die Liebeslieder Festival geben. genannt, unterstützt. Einziges Hilfsmittel der Nachtigall-Männchen ausmacht: Im Erste Ergebnisse aus dem Forschungs- ist die am Museum für Naturkunde entwi- Durchschnitt haben sie ein Repertoire von fall Nachtigall zeigen, dass es einige Stro- ckelte, kostenlose App „Naturblick“, mit 190 individuellen Strophentypen. phentypen gibt, die besonders häufig in der sich der Gesang aufzeichnen lässt. Die etwa 3.000 Berliner Nachtigallen Berlin gesungen werden. Dies könnte „Naturblick“ wird vom Bundesministeri- leben meist in Parkanlagen. Als Boden- bedeuten, dass die Nachtigall tatsächlich um für Umwelt, Naturschutz und nukle- brüter mögen sie dichte Büsche mit liegen berlinert. are Sicherheit gefördert. gelassenem Laub zum Bauen des Nests. Und Daniela Friebel? Sie ist Nachtigall- Überpflegte, aufgeräumte Gärten meiden Fan und -Expertin zugleich. Immer, wirk- sie. Ein Geheimtipp der Hobbyforscherin lich immer hört sie, wenn eine Nachtigall Hauptstadt Friebel: „Am besten in der Nähe von ihr Lied anstimmt. der Nachtigallen dichtem, schwer zugänglichem Gebüsch suchen. Ich empfehle, sich nachts auf Verstehen die Nachtigall: „Berlin ist die Hauptstadt der Nachtigal- dem Heimweg mit dem Fahrrad durch Silke Voigt-Heucke (links) und Daniela Friebel len“, verrät Silke Voigt-Heucke, Leiterin die Stadt treiben zu lassen. Am Platz der (rechts). des Citizen-Science-Projekts Forschungs- Luftbrücke stieß ich auf ein Nachtigall- fall Nachtigall. Im Rahmen des Projekts Männchen, das sein Lied anstimmte.“ sind in den letzten beiden Jahren über Projekte wie der Forschungsfall Nach- 7.000 Nachtigallgesänge aus 14 europäi- tigall locken Laien an und werden in Zu- Fotos: Daniela Friebel, Pablo Castagnola (2) schen Ländern gesammelt worden. kunft immer wichtiger. Denn es gibt eine Lautes Schluchzen, Pfeifgeräusche Reihe von Datenlöchern, die so geschlos- und ein schlagender Trill: Der Nachtigall- sen werden können. Neben Nachtigall- Gesang sei in seiner Struktur und Varia- Beobachtungen kann es um das Messen bilität unverwechselbar, so Voigt-Heucke. der Verschmutzung von Gewässern oder Mit einem automatischen Mustererken- der Luftqualität weltweit gehen. „Das Po- nungsalgorithmus identifiziert die App tenzial von Citizen Science ist riesig, da den Gesang. Auf Wunsch anonym können Bürger*innen unmittelbar vor Ort Daten Bürgerforschende den Gesang aufzeich- erheben können“, sagt Maike Weißpflug, nen und anschließend mit automatischer Sozialwissenschaftlerin am Museum. Sie Orts- und Zeitangabe mit der Datenbank hat gemeinsam mit einem internationalen 29
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