IASS POLICY BRIEF 4/2021 - Windausbau vor Ort - Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

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IASS POLICY BRIEF 4/2021 - Windausbau vor Ort - Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken
IASS POLICY BRIEF 4/2021
Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS)
Potsdam, September 2021

Windausbau vor Ort –
Potentiale erkennen, Beteiligung
und Teilhabe stärken

                                                       © shutterstock/penofoto
IASS POLICY BRIEF 4/2021 - Windausbau vor Ort - Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken
Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Dieser Policy Brief wurde von Ingo Wolf (IASS), Simon Teune (IASS), Anne-Kathrin Fischer (IASS) und Jean-
Henri Huttarsch (IASS) verfasst. Ein besonderer Dank gilt den Interviewpartnerinnen und -partnern Krisztina
André, Ruth Brand-Schock, Sybille Reitz, Matthias Ruhdorfer, Daniela Setton, Viola Theesfeld und Julia Zilles,
deren Erfahrungen und Kenntnisse Eingang in diese Arbeit gefunden haben. Weiterhin danken wir Ortwin Renn
(IASS) und Rainer Quitzow (IASS) für ihre wertvolle Unterstützung und Anmerkungen. Die diesem Policy Brief
zugrundliegenden empirischen Studien werden im Rahmen des Kopernikus-Projekts „Ariadne“, finanziert vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Förderkennzeichen: 03SFK5M0) und des Projekts
„Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende (DemoKon)“, finanziert durch die Stiftung Mercator
(Essen) (Förderkennzeichen: 1814701), gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt
bei dem Autorenteam.

    Dieser IASS Policy Brief ist folgendermaßen zu zitieren: Wolf, I., Teune, S., Fischer, A.-K.,
    Huttarsch, J.-H. (2021): Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teil-
    habe stärken. IASS Policy Brief, September 2021, Potsdam, DOI: 10.48481/iass.2021.026

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IASS POLICY BRIEF 4/2021 - Windausbau vor Ort - Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken
Zusammenfassung

U              m den steigenden Strombedarf zu de-
               cken und die Klimaschutzziele der
               Bundesregierung zu erreichen, ist ein
               beschleunigter Ausbau der Windener-
gie notwendig. In der deutschen Bevölkerung findet
der geplante Aus- und Neubau von Windkraftanlagen
                                                            Empfehlung Nr. 1:
                                                          Energiewende in Kommunen proaktiv
                                                          zum Thema machen
                                                          Konflikte beim Ausbau von Windenergie
                                                          entstehen unter anderem dann, wenn die
                                                          Menschen vor Ort ein Projekt als Eingriff
an Land hohe generelle Zustimmung. Geht es jedoch         von außen wahrnehmen. Eine verpflich-
um die Errichtung von Anlagen im eigenen Wohnum-          tende Analyse kommunaler Ressourcen
feld, nimmt die Ablehnung unter den betroffenen Bür-      für den Ausbau erneuerbarer Energien, in
gerinnen und Bürgern zu. Die Gründe für Vorbehalte        deren Folge die Kommunen gemeinsam
und Gegnerschaft sind vielfältig. Deutliche Kritik an     mit den Bürgerinnen und Bürgern ihren
der Umsetzung der Energiewende kommt nicht nur            Beitrag zu dem Transformationsprozess
von Gegnern, sondern auch von Unterstützern. Unter        selbst bestimmen, kann zum Ausgangs-
den Menschen, die den Windausbau generell und vor         punkt einer proaktiven politischen Debatte
Ort befürworten, hat ein beträchtlicher Anteil den Ein-   über die lokale Energiewende werden.
druck, dass ihre Bedürfnisse von den Entscheidungs-
trägern nicht ausreichend wahrgenommen werden.              Empfehlung Nr. 2:
Der Wunsch nach mehr Mitsprache wird vornehmlich          Beteiligungsprozesse durch neutrale
von Menschen geäußert, die Sorge haben, dass der Aus-     Fachleute unterstützen
bau der Erneuerbaren den sozialen Zusammenhalt in         Die informelle Beteiligung der regionalen
den Gemeinden gefährdet, die das Gefühl haben, dass       Bevölkerung an Planungsprozessen ist
die Anliegen der Betroffenen nicht ernst genommen         einer der zentralen Faktoren für den
werden und die die Umsetzung der Energiewende all-        erfolgreichen Ausbau der Windenergie.
gemein als bürgerfern wahrnehmen.                         Um die Beteiligungsverfahren effektiv und
                                                          an den Interessen und Bedürfnissen der
Damit die Energiewende als Gemeinschaftswerk bes-         verschiedenen Akteursgruppen vor Ort
ser gelingen kann, bedarf es der breiten Einbindung       orientiert zu gestalten, sollten der Bürger-
der Bürgerinnen und Bürger. Sind die Menschen vor         schaft und den Gemeinden neutrale
Ort durch den Bau von Windkraftanlagen unmittel-          externe Fachleute für Öffentlichkeits-
bar mit der Energiewende konfrontiert, ist es deshalb     beteiligung als Ansprechpartner zur Seite
umso wichtiger, dass sie bei der Gestaltung ihres Le-     gestellt werden, die den Prozess begleiten.
bensumfeldes mitreden können und auch die Möglich-
keit haben, persönlich und als Gemeinde insgesamt zu         Empfehlung Nr. 3:
profitieren. Durch eine Ausweitung der Beteiligungs-      Finanzielle Teilhabe am Windausbau
und Teilhabemöglichkeiten können die Menschen die         sozial gerechter gestalten
Energiewende zu ihrer eigenen Sache machen. Dabei         Trotz der Bereitschaft, die Energiewende
ist es wichtig, die unterschiedlich gelagerten Gründe     zu unterstützen, haben bislang nicht alle
für Ablehnung, fehlende Beteiligung und Teilhabe zu       Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit,
verstehen und zielgruppengerecht zu adressieren.          finanziell an Windenergieprojekten zu
                                                          partizipieren. Um finanzielle Teilhabemög-
Dieser Policy Brief gibt Empfehlungen, wie es beim        lichkeiten sozial gerechter zu gestalten
Windausbau besser gelingen kann, die Identifikation mit   und die Energiewende stärker in den
den Zielen der Energiewende zu stärken, Kommunen          Kommunen und Regionen zu verankern,
bei der Öffentlichkeitsbeteiligung zu unterstützen und    sollten Investitionen durch gezielte
Teilhabemöglichkeiten sozial gerechter zu gestalten.      Anreizinstrumente gefördert werden.

                                                                                                         IASS Policy Brief 4/2021_3
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Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Kritik am Windausbau
differenziert betrachten
Der Ausbau der Windenergie an Land ist ein zentra-          gebnisse aus Umfragen zeigen (z. B. Wolf et al., 2021),
ler Baustein, um die Klimaschutzziele in Deutschland        dass im Wesentlichen zwischen vier Gruppen unter-
zu erreichen. Mit der EEG-Novelle im ersten Quartal         schieden werden kann:
dieses Jahres hat die Bundesregierung eine Erhöhung
der Ausbauziele für erneuerbare Energien beschlos-          1. Die Kritiker: Das sind Personen, die den Windaus-
sen. Tatsächlich hat der Zubau von Wind Onshore-               bau generell und vor Ort befürworten, jedoch mit
Anlagen im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum               den Beteiligungsverfahren und der Berücksichti-
Vorjahr deutlich angezogen. Das aktuelle Wachstum              gung von Bürgerinteressen unzufrieden sind. Diese
und angestrebte Ausbauvolumen von vier Gigawatt                vergleichsweise größte Gruppe befürwortet gene-
Bruttozubau pro Jahr reichen allerdings aus Sicht von          rell die Energiewende, nimmt jedoch hinsichtlich
Fachleuten nicht aus, um die erhöhten nationalen und           deren Umsetzung eine kritische Haltung ein. Diese
EU-Klimaziele einzuhalten (Agora Energiewende,                 Personen haben eine überdurchschnittlich hohe
2020).                                                         Bereitschaft, an Partizipationsverfahren teilzuneh-
                                                               men und sich finanziell für die Energiewende zu
Ein beschleunigter Ausbau von Windenergieanlagen               engagieren.
kann nur gelingen, wenn die Menschen in den betrof-
fenen Kommunen diesen Prozess befürworten und               2. Die NIMBYs (Not In My Backyard): Diese Gruppe
unterstützen. Die deutliche Mehrheit der deutschen             besteht aus Personen, die dem Ausbau von Wind-
Bevölkerung steht der Energiewende positiv ge-                 energie generell zustimmen, dies jedoch in ihrer
genüber und wünscht sich bei der Umsetzung mehr                unmittelbaren Nachbarschaft aus unterschiedli-
Tempo und Bürgernähe (BMU & UBA, 2019, Teune                   chen individuellen Gründen ablehnen. Diese an-
et al., 2021, Wolf et al., 2021). Diese generell positive      teilig kleinste Gruppe hat mehrheitlich eine posi-
Haltung zum Umbau des Energiesystems wird auch                 tive Einstellung zur Energiewende und bewertet
in den hohen Zustimmungswerten zum Ausbau und                  die Umsetzung weniger kritisch als die übrigen
der Förderung von Windenergieanlagen an Land                   Personengruppen. Sie vertraut den handelnden
sichtbar. Und auch der Aus- und Zubau von Wind-                Akteuren in den Gemeinden und ist bereit, wenn
kraftanlagen im eigenen Wohnumfeld wird von dem                auch nicht in dem Umfang wie die erste Gruppe, an
Großteil befürwortet. Gleichzeitig rufen geplante              der Gestaltung und Umsetzung der Energiewende
Windenergieprojekte vor Ort bei einer Minderheit               aktiv mitzuwirken.
der Bevölkerung auch Widerstände hervor, die in den
betroffenen Städten und Gemeinden zu Konflikten             3. Die Skeptiker: Dabei handelt es sich um Personen,
führen können.                                                 die dem Windausbau vor Ort nur unter den Vor-
                                                               aussetzungen der direkten Mitsprache und finan-
Bei den Menschen, die der Windenergie kritisch bis             ziellen Teilhabe zustimmen. Die Haltung zur Ener-
ablehnend gegenüberstehen, handelt es sich jedoch              giewende generell ist etwas weniger positiv als in
nicht um eine homogene Bevölkerungsgruppe. Dem                 den ersten beiden Gruppen, dennoch gibt es große
Widerstand liegen vielfältige Motive, Überzeugun-              Anteile, die bereit sind, sich an Partizipationsan-
gen und Interessen zugrunde, die in unterschied-               geboten zu beteiligen und die Umsetzung aktiv zu
lichen Meinungsäußerungen und Reaktionen der                   unterstützen.
Bürgerinnen und Bürger zum Ausdruck kommen. Er-

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IASS POLICY BRIEF 4/2021 - Windausbau vor Ort - Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken
4. Die strikten Gegner: Das sind Personen, die sowohl    zeitig angesetzte Beteiligungsverfahren können hel-
   dem Windausbau generell als auch vor Ort nicht        fen, die beiden erstgenannten Gerechtigkeitsaspekte
   zustimmen. Diese Gruppe nimmt im Vergleich zu         zu berücksichtigen. Unterschiedliche Ansätze der
   den übrigen in allen Aspekten eine besonders nega-    finanziellen Teilhabe und gemeinwohlorientierte
   tive Haltung ein. Neben der generellen Ablehnung      lokale Wertschöpfung können zudem zur besseren
   der Energiewende und Kritik an der Umsetzung,         Verteilungsgerechtigkeit beitragen.
   werden die Verteilung von Kosten und Nutzen der
   Maßnahmen, die handelnden Akteure vor Ort (Ge-        Derartige Ansätze können allerdings nicht immer
   meinden und Projektierer) und die unzureichende       die gegensätzlichen Interessen und Positionen in den
   Berücksichtigung der Interessen der Bürgerinnen       betroffenen Kommunen auflösen. Die Sichtbarkeit
   und Bürger weitestgehend negativ bewertet. Ob-        von Windenergieanlagen und ihr Einfluss auf das
   gleich der Wunsch nach stärkerer Mitsprache bei       Landschaftsbild sind zentrale Faktoren, die häufig
   der Gestaltung der Energiewende vor Ort genauso       unabhängig von der Gestaltung der Verfahren eine
   stark ausgeprägt ist, wie bei den anderen Gruppen,    zentrale Rolle bei der Akzeptanz vor Ort spielen.
   sind die strikten Gegner mehrheitlich nicht bereit,   Weiterhin werden Personengruppen, die generell
   an Beteiligungsverfahren mitzuwirken; gleichzeitig    starke Vorbehalte gegenüber der Energiewende und
   ist die Protestbereitschaft in dieser Personengrup-   dem Windausbau haben (Gruppe der strikten Geg-
   pe am höchsten.                                       ner), auch durch Beteiligungsprozesse und Teilhabe-
                                                         möglichkeiten kaum zu überzeugen sein, zumal sie
Um die Akzeptanz von Windenergievorhaben vor             ohnehin nicht die Bereitschaft mitbringen, an diesen
Ort zu stärken und dem Widerstand sachlich und           Angeboten mitzuwirken. Diese Realität gilt es, neben
konstruktiv zu begegnen, ist eine differenzierte Be-     der notwendigen Verbesserung und Ausweitung der
trachtung der lokalen Gegebenheit sowie der Bedürf-      Beteiligungsprozesse und Teilhabemöglichkeiten, bei
nisse der verschiedenen Akteursgruppen notwendig.        der erforderlichen Überarbeitung der aktuellen Ge-
Eng damit verknüpft sind Aspekte der Verfahrens-,        nehmigungsverfahren von Windenergieanlagen zu
Anerkennungs- und Verteilungsgerechtigkeit. Früh-        berücksichtigen.

                                                                                                                IASS Policy Brief 4/2021_5
Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Energiewende in Kommunen
proaktiv zum Thema machen
Konflikte um den Neubau von Windenergieanlagen            über Projekte vor Ort, die sich in einem engen techni-
entstehen nicht nur dort, wo gegenläufige Interessen      schen und verwaltungsrechtlichen Rahmen abspielt,
aufeinandertreffen, sondern sie werden auch diskur-       und der bundesweiten Diskussion über Klimaneu-
siv konstruiert (Roßmeier et al., 2018). Zum einen fär-   tralität und Ausbauziele eine diskursive Kluft. Die
ben in der Diskussion über Windkraft generalisierte       Energiewende wird erst dann zur Lebensrealität der
Einstellungen auf die Haltung zur Energiewende ab.        Menschen, wenn der Windausbau vor ihrer Haustür
Eine Befragung des IASS im Rahmen des Projektes           stattfindet. Dann erleben sie die Energiewende aber
„Eine demokratische Konfliktkultur für die Energie-       häufig als nicht gestaltbar, sondern als von außen ge-
wende“ (Demokon) zeigt: Ein Drittel derjenigen, die       steuert. In dieser Konstellation haben die Gegner von
angeben, überhaupt nicht mit dem Funktionieren            Windkraftanlagen eine gute Ausgangsposition. Sie
der Demokratie zufrieden zu sein, lehnt den Ausbau        werden häufig als die Stimme der Bürgerschaft wahr-
von Windkraftanlagen an Land generell ab – mehr           genommen (Hoeft et al., 2017).
als doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt. Un-
ter den Befragten, die der AfD nahestehen, liegt die      Das ist ein Grund dafür, dass in den Städten und Ge-
Ablehnung sogar bei knapp 50 Prozent (Teune et al.,       meinden, in denen Windkraftanlagen gerade geplant
2021). Ein Großteil der so motivierten Ablehnung der      oder gebaut werden, die Ablehnung der Windkraft
Energiewende und der damit verbundenen Maßnah-            deutlich überschätzt wird. Fast die Hälfte der in der
men findet sich in der Gruppe der strikten Gegner.        Demokon-Studie Befragten geht davon aus, dass die
Sie wird nicht mit politikfeldspezifischen Werkzeu-       Mehrheit in ihrem Wohnort gegen die Windkraft-
gen wie Informations- oder Beteiligungsangeboten          anlage ist (siehe Abb. 1). Tatsächlich liegt die durch-
aufzuweichen sein.                                        schnittliche Ablehnung aber nur bei knapp über 20
                                                          Prozent. Selbst im Freundeskreis wird die Ablehnung
Zum anderen wird der Ausbau von Windkraft als             als deutlich höher angenommen. Überschätzt wird
negativer Einschnitt in die eigene Umgebung erlebt.       die Ablehnung vor allem von Personen, die den Bau
Dieses Motiv der Ablehnung ist eher in den anderen        Windkraftanlagen vor Ort ablehnen oder diesem
Gruppen (Skeptiker und NIMBYs) bestimmend. Ein            Vorhaben ambivalent gegenüberstehen.
Grund dafür: Es entsteht zwischen der Diskussion

                Anteil der im Wohnort
                                                                                                48,2                Abbildung 1:
          wahrgenommenen Ablehnung
                                                                                                                    Wahrgenommene und
                                                                                                                    selbst angegebene
            Anteil der im Freundeskreis                                                                             Ablehnung von Wind-
                                                                                  36,1
          wahrgenommenen Ablehnung                                                                                  kraftanlagen in Regionen
                                                                                                                    mit Ausbauprojekten
         Anteil der von Befragten selbst
                                                               21,0
               angegebenen Ablehnung

                         Datenquelle: IASS/Demokon 2021 | Angaben in Prozent | n = 504

6_IASS Policy Brief 4/2021
Potentiale identifizieren                                   iert und den Bürgerinnen und Bürgern in Form von
                                                            Informations- und Beteiligungsangeboten proaktiv
An der verzerrten Wahrnehmung der Ablehnung                 kommuniziert.
von Windkraftanlagen zeigt sich: Es fehlt ein lokaler
Rahmen, in dem die Energiewende als gesamtgesell-           Debatten über den kommunalen Beitrag zur Energie-
schaftliche Aufgabe diskutierbar und erlebbar wird.         wende gibt es bereits an vielen Orten – im Kontext ei-
Die Kommunen sind der Ort, an dem die Energie-              nes Klimaplans, in Klimabürgerräten, aber auch in der
wende umgesetzt wird. Das ist eine Chance, die Ener-        Regionalplanung. Zum Teil kommt die Initiative dafür
giewende näher an die Menschen zu bringen, sie in           aus der Bürgerschaft, zum Teil aus den Verwaltungen.
die Diskussion einzubeziehen und die notwendigen            Diese Initiativen gilt es zu stärken und zu unterstützen.
Veränderungen durch die Entwicklung einer Vision            Die Mittel, um notwendige Informationen einzuholen,
für eine klimaneutrale Kommune als Chance erleb-            Prozesse zu planen, passende Fördermittel zu finden
bar zu machen. Für Gemeinden, die bislang untätig           und zu beantragen, sind begrenzt. Einige Länder ma-
sind, oder nur reaktiv mit Erneuerbare-Energien-An-         chen es den Kommunen durch Einrichtungen wie
lagen umgehen, gibt es keine proaktiven Programme,          der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen
die diese Gemeinden auf einen selbst gestalteten Pfad       oder den Energieatlas Bayern leichter, Informationen
der lokalen Energiewende führen würden. Eine ver-           zu sammeln und das eigene Vorgehen zu planen.2
pflichtende Potenzialanalyse, die es den Gemeinden          Von Bund und Ländern finanzierte Fachleute sollten
erlaubt, Optionen für eine Energieerzeugung aus er-         deshalb die Potenzialanalyse und die anschließen-
neuerbaren Energien zu finden und abzuwägen,1 wäre          de Öffentlichkeitsbeteiligung unterstützen und den
ein konkretes Mittel, um diese Schritte zu erleichtern.     Kommunen helfen, Wege zu finden, die Wertschöp-
Dabei würden nutzbare Flächen und Ressourcen eru-           fung und konkreten Nutzen vor Ort versprechen.

                                                                                                               © iStock/serts

1
    Wie so etwas aussehen kann, zeigen Solarpotenzialkataster (https://www.solare-stadt.de/home/
    Solarpotenzialkataster) oder das Energieportal Mittelhessen (https://www.energieportal-mittelhessen.de)
2
    Beide Anlaufstellen (https://www.energieatlas.bayern.de und https://www.klimaschutz-niedersachsen.de)
    stehen nicht nur Kommunen, sondern auch Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern offen.

                                                                                                                                IASS Policy Brief 4/2021_7
Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Beteiligungsprozesse durch
neutrale Expertise unterstützen
Durch den voranschreitenden Ausbau dezentraler            Die Kommunen spielen bei der frühzeitigen Im-
Energien rückt die Stromerzeugung immer näher an          plementierung von Öffentlichkeitsbeteiligung eine
die Bürgerinnen und Bürger heran. Windenergiean-          zentrale Rolle. Die Umsetzung von informellen Be-
lagen verändern das Landschaftsbild von Kommunen          teiligungsprozessen stellt jedoch Städte und Gemein-
und die Wohnumgebung der betroffenen Menschen.            den vor große fachliche, personelle und finanzielle
Gleichzeitig steigt das Bedürfnis der Bevölkerung,        Herausforderungen. Trotz mittlerweile umfangreich
bei Planung und Gestaltung ihres Lebensumfeld             vorhandenen Beteiligungswissens aus Praxis und
mitsprechen zu können und über die Umsetzung              Forschung fehlt vielerorts die Kenntnis davon. Zu-
der Projekte transparent informiert zu werden. Die        dem stellen entsprechende Empfehlungen keine
Ergebnisse einer bundesweit repräsentativen Befra-        Blaupausen für die Gestaltung derartiger Prozesse
gung des IASS im Rahmen des Kopernikus-Projekts           dar. Effektive Beteiligungsverfahren erfordern viel-
Ariadne zeigen, dass lediglich 11 Prozent der Bevöl-      fältige Formate und Maßnahmen, deren Auswahl und
kerung in Deutschland der Ansicht sind, die Politik       Ausgestaltung an den spezifischen lokalen Gegeben-
gewährleiste faire Beteiligungsmöglichkeiten an der       heiten und Bedürfnissen der unterschiedlichen Inte-
Gestaltung der Energiewende für alle Bürgerinnen          ressens- und Zielgruppen vor Ort orientiert werden
und Bürger (Wolf et al., 2021). Weniger als ein Vier-     müssen.3 Dabei sind auch scheinbare Widersprüche
tel (22 %) gibt an, dass die lokale Bevölkerung bei der   in den Wünschen und der Bereitschaft zur Mitwir-
Planung und Umsetzung von Windenergieprojekten            kung in der Bevölkerung zu berücksichtigen. Nur
in ihrer Stadt oder Gemeinde ein Mitspracherecht          knapp die Hälfte (44 %) der Bürgerinnen und Bür-
hatte. Gleichzeitig halten es 61 Prozent der Befragten    ger, die sich mehr Mitsprache bei der Gestaltung der
für wichtig, dass mehr Mitsprache bei derartigen Ent-     Energiewende wünschen, wären auch bereit, an der-
scheidungen in ihrer Kommune ermöglicht wird.             artigen Prozessen mitzuwirken (siehe Abb. 2) Die Be-
                                                          reitschaft zur Partizipation ist am geringsten in den
                                                          Gruppen der Skeptiker und strikten Gegnern von
                                                          Windprojekten. Dieselben Personengruppen äußern
                                                          jedoch auch besonders häufig, dass die Interessen
                                                          der lokalen Bevölkerung beim Ausbau erneuerbarer
                                                          Energien nicht ernst genommen werden.

Als Beispiel für eine derartige Vorgehensweise siehe Projekt LOSLAND – Zukunft vor Ort gestalten
3

(https://losland.org/)

8_IASS Policy Brief 4/2021
43,7                       Abbildung 2:
                                                                                                                                           Bereitschaft an
                                                                 38,5
                     36,7                                                                                                                  Planungsverfahren in der
                                                                                                                                           eigenen Stadt/Gemeinde
                                                                        32,3                             31,6
                            30,8                                                                                                           beim Bau von Erneuer-
                                                                                                                                           baren-Energien-Anlagen
                                                                                                                                           teilzunehmen getrennt
              21,2                                                                                                                         nach den Personen, die
                                                                                                                                           sich generell weniger
                                                          16,3
                                                                                                                                           starke, unveränderte oder
                                                                                                 11,6                                      stärkere Beteiligung bei
                                                                                                                                           der Gestaltung der Ener-
                                               6,7                                                                                 7,5
                                                                                           6,3                                             giewende in ihrer Stadt/
                                   2,9                                         3,1   3,6                               3,6
                                         1,6                                                                                 2,1           Gemeinde wünschen.

               Bürger sollten weniger stark              Bürgerbeteiligung unverändert                  Bürger sollten stärker
                    beteiligt werden                               belassen                               beteiligt werden

                                     Antwortkategorien:      Beteiligung an Planungsverfahren …

        Kommt für mich auf keinen Fall in Frage           Kommt für mich eher nicht in Frage            Kann ich mir gut vorstellen

      Habe ich mir fest vorgenommen              Habe ich bereits gemacht/mache ich bereits        Davon habe ich noch nie gehört

                                   Datenquelle: IASS/Ariadne 2021 | Angaben in Prozent | n = 6420

Neutrale Beratung                                                          und die Kommunen entlasten. Im Sinne effektiver
                                                                           Beteiligungsmöglichkeiten sollten sich sowohl kom-
Persönlichen Gesprächen und dem fortlaufenden Dia-                         munale Regierungen als auch Initiativen aus der Be-
log zwischen Kommunalpolitik und der lokalen Bevöl-                        völkerung auf das Programm bewerben können. Zur
kerung kommen bei der Planung und Umsetzung von                            Entwicklung einer vertrauensvollen Dialogkultur
Windenergieprojekten eine besondere Bedeutung                              ist es wichtig, dass die externen Fachleute frühzei-
zu. Häufig werden jedoch lokale Politikerinnen und                         tig eingebunden werden und während der gesamten
Politiker insbesondere von den Gegnern derartiger                          Planungs- und Bauphase von Windenergieprojekten
Vorhaben nicht akzeptiert und in Konflikte hinein-                         ansprechbar sind und beraten. So können Methoden
gezogen (Sonderhaus, 2018). Die bayerische Landes-                         und Verfahren kontinuierlich evaluiert und bei Bedarf
regierung stellt vor diesem Hintergrund seit letztem                       angepasst werden. Für die unterschiedlichen Akteure
Jahr interessierten Kommunen bei der Initiierung                           stünde eine neutrale Ansprechperson zur Verfügung,
von Windenergieprojekten neutrale Fachleute, soge-                         die den Prozess moderiert und durch Mediation zur
nannte „Windkümmerer“ 4, zur Seite. Diese externen                         Lösung von Konflikten beitragen kann.
Beraterinnen und Berater kommen von Agenturen,
die vom Wirtschaftsministerium beauftragt werden.                          Schließlich sollte der Einsatzbereich der Beraterin-
Sie verfügen über technisches Wissen und Qualifika-                        nen und Berater nicht an den Verwaltungsgrenzen
tionen im Bereich Moderation, um die Gemeinden bei                         der betroffenen Kommune enden. Häufig wird beim
der Prüfung der Vorhaben und der Durchführung der                          Bau von Windenergieanlagen die Verständigung mit
Beteiligungsverfahren zu unterstützen.                                     den potentiell betroffenen Nachbargemeinden nicht
                                                                           oder zu spät berücksichtigt. Somit sollte es auch die
Eine Ausweitung dieses Förderprogramms auf alle                            Aufgabe der Fachleute sein, diese in das Beteiligungs-
Bundesländer sowie eine Fokussierung auf Bera-                             verfahren einzubinden und Möglichkeiten für inter-
tungs- und Kommunikationsprozesse könnte die                               kommunalen Austausch und Zusammenarbeit zu
Qualität von Öffentlichkeitsbeteiligung verbessern                         identifizieren und zu fördern.

4
    Für weitere Informationen siehe https://www.stmwi.bayern.de/aufwind/
                                                                                                                                         IASS Policy Brief 4/2021_9
Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Finanzielle Teilhabe am Windausbau
sozial gerechter gestalten
Die Ergebnisse einer bundesweit repräsentativen Be-              Eine finanzielle Investition in eine Erneuerbare-Ener-
fragung machen deutlich, dass derzeit fast die Hälf-             gien-Anlage zu tätigen, ist für viele Menschen deutlich
te der in Deutschland lebenden Menschen die Ver-                 eher eine Option, wenn sich die Anlage in der Hand
teilung von Kosten und Nutzen energiepolitischer                 der Bürgerinnen und Bürger befindet. Während sich
Maßnahmen als ungerecht wahrnehmen (Wolf et al.,                 46 Prozent eine finanzielle Beteiligung an einer Bür-
2021). Insbesondere beim Ausbau der Windenergie                  gerenergiegenossenschaft vorstellen können, (siehe
ist für die Anwohnenden vielfach der konkrete Nut-               Abb. 3a) liegt das Interesse an einer Beteiligung an
zen für sich und die Gemeinde nicht ersichtlich. Loka-           einer Erneuerbare-Energien-Anlage in Unterneh-
le Wertschöpfung und finanzielle Teilhabe gelten als             menshand nur bei 27 Prozent (siehe Abb. 3b). Als
wichtige Faktoren für die Akzeptanz des Windaus-                 Hauptgrund für die Ablehnung beider Beteiligungs-
baus (Gotchev, 2018; Hübner et al., 2020; Local Energy           möglichkeiten wird die eigene wirtschaftliche Situ-
Consulting, 2020). Die Befragungsdaten zeigen: Ein               ation angeführt. Eine Rolle spielen darüber hinaus
Viertel der Gegner von Windkraftanlagen vor Ort                  die wahrgenommenen Risiken der Investition. Die
wäre mit dem Bau eher einverstanden, wenn die Ge-                Daten zeigen auch, dass die finanziellen Beteiligungs-
meinde eine finanzielle Entschädigung erhalten wür-              möglichkeiten nicht gleichermaßen für alle Bevölke-
de. Fast ein Drittel würde dem Bau eher zustimmen,               rungsgruppen in Frage kommen. Vornehmlich für
wenn die entsprechenden Anlagen im Besitz einer                  Menschen mit geringem Einkommen ist diese Form
Energiegenossenschaft wären.                                     der finanziellen Teilhabe keine Option. Sie begründe-
                                                                 ten ihre Ablehnung deutlich häufiger mit ihrer eige-
                                                                 nen wirtschaftlichen Situation. Während im Schnitt
                                                                 jede(r) Zweite finanzielle Gründe anführt, sind es in
                                                                 der Gruppe der Einkommensarmen vier von fünf.

 8,5                                                                  9,4
                                                                                                                                 Abbildung 3 a/b:
 6,1                                                                  6,0                                                        Bereitschaft sich finanziell
                                                       15,7                                                             21,9
 2,6
                                                                      2,2                                                        an einer Erneuerbaren-
 3,7                                                                  2,1                                                        Energie-Anlage zu
                          Abb.                                                                Abb.                               beteiligen, die sich in
                                                       21,4
                           3a                                                                  3b                                a) Bürgerhand befindet,
                                                                                                                                 b) sich in der Hand von
42,0                                                                 25,4
                                                                                                                        33,0     (Energieversorgungs-)
                                                                                                                                 Unternehmen befindet.

Antwortkategorien:       Das kommt für mich auf keinen Fall in Frage        Das kommt für mich eher nicht in Frage

  Das kann ich mir gut vorstellen      Das habe ich mir fest vorgenommen        Das habe ich bereits gemacht/mache ich bereits

                                    Davon habe ich noch nie gehört     weiß nicht/keine Angabe

                           Datenquelle: IASS/Ariadne 2021 | Angaben in Prozent | n = 6822

10_IASS Policy Brief 4/2021
Sozial gerechtere Teilhabe                                Eine Investition in Erneuerbare-Energien-Anlagen
                                                          wird von den Bürgerinnen und Bürgern aufgrund
Um eine finanzielle Beteiligung an Windenergieanla-       wahrgenommener Risiken und teilweise fehlendem
gen niedrigschwelliger zu gestalten, sollten durch fi-    Vertrauen vielfach nicht in Betracht gezogen. Ein Bei-
nanzielle Förderinstrumente einkommensschwache            spiel aus der Praxis zeigt, wie die finanzielle Last und
Haushalte unterstützt werden. Aktuelle Mindestein-        das Risiko verringert werden können: Das sogenannte
lagen stellen ein Investitionshemmnis dar. Dem sollte     Bürgerwindsparen5 stellt eine alternative finanzielle
durch eine verpflichtende Reduktion der Mindestein-       Teilhabemöglichkeit dar, bei der Windparks als ein
lagen für diese Bevölkerungsgruppen oder durch            Sparmodell verstanden werden. Das Sparprodukt
staatliche Zulagen begegnet werden.                       hat eine begrenzte Laufzeit und einem Festzins, was
                                                          es im Vergleich zu den bisher üblichen finanziellen
Eine Stärkung der Bürgerenergiegenossenschaften           Beteiligungsformen weniger risikoreich macht. Somit
erscheint dabei aus verschiedenen Gründen sinn-           wird auch diese Form der Teilhabe niedrigschwelliger
voll. Die Bereitschaft der Teilhabe ist höher als bei     und für breite Bevölkerungsgruppen zugänglich. Der
Windparks in Hand von (Energieversorgungs-)Un-            Zugang zu solchen Sparmodellen sollte im Sinne der
ternehmen. Zudem bieten sie aufgrund ihrer Rechts-        Verteilungsgerechtigkeit prioritär für vom Windpark
form Mitsprache- und Beteiligungsmöglichkeiten            betroffene Anwohnende gesichert werden.
für Bürgerinnen und Bürger bei der Umsetzung der
Projekte (siehe Empfehlungen oben). Um die Hürden         Die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger kann nicht
für eine Teilhabe zu senken, könnte der Erwerb von        nur durch eine aktive Beteiligung an den Anlagen in
Genossenschaftsanteilen für einkommensschwache            der Region gesteigert werden. Bereits jetzt zeigen die
Haushalte gezielt durch Förderkredite begünstigt          Menschen ausgeprägtes Interesse an dem bei ihnen
werden. Denkbar wäre an dieser Stelle eine unbüro-        vor Ort produzierten Strom aus erneuerbaren Energi-
kratische Kreditvergabe über die Kreditanstalt für        en. Rund zwei Drittel (65 %) der Befragten sind bereit,
Wiederaufbau. Weiterhin gilt es, durch Anpassung          sogenannten Nachbarschafts- oder Regionalstrom zu
und Vereinfachung des komplexen Rechtsrahmens             beziehen (Wolf et al., 2021). Teilhabe in diesem Be-
regulatorische Hemmnisse und damit verbundene             reich kann neben der bloßen Erhöhung des Angebots
personelle Aufwände für die Bürgerenergieprojekte         auch über sogenannte Sozialtarife6 für einkommens-
zu reduzieren.                                            schwache Haushalte zugänglicher gemacht werden.

5
    Bürgerwind Uebigau – UKA (buergerwind-uebigau.de)
6
    Als Beispiel dient eine Gemeinde in Brandenburg, wo einkommensschwache oder kinderreiche Familien
    vergünstigten Zugang zum Regionalstromangebot erhalten. https://mlk-windparks.de/neuer-sozialtarif-
    der-mlk-macht-oekostrom-noch-billiger/

                                                                                                                     IASS Policy Brief 4/2021_11
Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

Durch Beteiligung und Teilhabe die
Energiewende zu einer positiven
Zukunftsperspektive machen

Die Energiewende wird zwar von einer deutlichen          Zusätzlich zu der Diskussion über einzelne Projekte
Mehrheit der Bevölkerung befürwortet, sie wird aber      braucht es auch einen professionell moderierten poli-
nicht als bürgernah und beteiligungsoffen wahrge-        tischen Rahmen, in dem die Bürgerinnen und Bürger
nommen. Der Windausbau an Land ist dabei zu einem        die Energiewende gestalten können und positive Vi-
Symbol geworden. Lokale Pläne für den Windausbau         sionen mit einer klimaneutralen Zukunft verbinden.
werden aus verschiedenen Motiven abgelehnt: pro-         Für solche Prozesse gibt es viele Beispiele: Energie-
jektbezogene Argumente, wie Landschafts- und Na-         wendeprojekte können die lokale Identität stärken,
turschutz, ein generalisiertes Misstrauen gegenüber      neue gemeinschaftliche Perspektiven schaffen und
den politischen Entscheidungsträgern, aber auch die      für die Menschen vor Ort konkreten Nutzen haben.
Wahrnehmung, in seinen Interessen nicht adäquat          Dabei ist eine sozial gerechte Verteilung der kom-
vertreten zu werden sowie nicht mitreden und mit-        munal erwirtschafteten finanziellen Erträge für eine
gestalten zu können.                                     breite gesellschaftliche Unterstützung von zentraler
                                                         Bedeutung. Dies setzt die gezielte Förderung nied-
Handlungsspielraum besteht vor allem im konstruk-        rigschwellige Möglichkeiten der finanziellen Teilhabe
tiven Umgang mit der Skepsis gegenüber dem Ausbau        sowie des Bezugs regionaler Stromangebote für ein-
von Windkraft, die auf wahrgenommenen Verletzun-         kommensschwache Haushalte voraus.
gen von zentralen Gerechtigkeitsprinzipien beruht.
Dass Projekte zum Teil als von außen gesteuert und       Die notwendige Demokratisierung der Energie-
die eigenen Beteiligungsmöglichkeiten als gering         wende und die politische Debatte darüber muss in
eingeschätzt werden, wirft ein Schlaglicht auf die be-   den Kommunen stattfinden. Sie kann aber nicht nur
grenzten Möglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger,       häufig ehrenamtlich arbeitenden Kommunalpolitike-
sich als Subjekte der Energiewende wahrzunehmen.         rinnen und -politikern überlassen werden. Proaktive
Damit der Ausbau von erneuerbaren Energien im            Debatten zur lokalen Ausgestaltung der Energiewen-
Allgemeinen und Windkraftanlagen im Besonderen           de, die von Bund und Ländern mitgetragen werden
breit getragen wird, muss es auch Möglichkeiten ge-      und lokale Besonderheiten berücksichtigen, können
ben, den Wandel mitzugestalten und Teil davon zu         die generelle Zustimmung zur Energiewende auch
werden. Dafür müssen mehr Gelegenheiten für bis-         im persönlichen Umfeld erlebbar machen und zum
lang nicht Beteiligte geschaffen werden – politisch      Handeln vor Ort (etwa über den Bezug von Regional-
und ökonomisch.                                          strom oder die Beteiligung an einer Bürgerenergiege-
                                                         nossenschaft) anregen.

12_IASS Policy Brief 4/2021
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ter_2021_web

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Windausbau vor Ort – Potentiale erkennen, Beteiligung und Teilhabe stärken

    Zu Autorinnen und Autoren

                                  Ingo Wolf ist wissenschaftlicher Projektleiter im Kopernikus-
                                  Projekt „Ariadne – Evidenzbasiertes Assessment für die
                                  Gestaltung der deutschen Energiewende“, das sich mit den
                                  sozialen Dimensionen der Energie- und Verkehrswende in
                                  Deutschland beschäftigt. Seine aktuellen Forschungsschwer-
                                  punkte liegen in den Bereichen der Einstellungs- und Akzep-
                                  tanzforschung sowie der sozialen Nachhaltigkeit. Vor seiner
                                  Tätigkeit am IASS arbeitete Ingo Wolf an der Freien Universi-
                                  tät Berlin, der Fachhochschule Potsdam und am Max-Planck-
                                  Institut für Bildungsforschung, wo er mit Methoden der Com-
    © IASS; L. Ostermann          putational-Social-Science Entscheidung- und Einstellungs-
                                  bildung in komplexen sozialen Systemen untersucht hat. Er
                                  studierte Psychologie an der Technischen Universität Berlin.

                                  Simon Teune arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am
                                  IASS im Projekt „Eine demokratische Konfliktkultur für die
                                  Energiewende“ (Demokon). Das Projekt zielt mit einem inter-
                                  disziplinären Ansatz darauf ab, mit der Energiewende einher-
                                  gehende Konflikte und die darin zu beobachtenden Strate-
                                  gien und Dynamiken besser zu verstehen und Vorschläge für
                                  eine gerechte und an demokratischen Werten ausgerichtete
                                  Transformation abzuleiten. Teune ist politischer Soziologe mit
                                  Schwerpunkt auf Protesten und sozialen Bewegungen. Er ist
                                  Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Instituts für Protest-
    © IASS; L. Ostermann          und Bewegungsforschung. Vor dem IASS arbeitete Teune
                                  am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
                                  und am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen
                                  Universität Berlin.

14_IASS Policy Brief 4/2021
Anne-Kathrin Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin
           im Kopernikus-Projekt „Ariadne – Evidenzbasiertes Assess-
           ment für die Gestaltung der deutschen Energiewende" und
           beschäftigt sich dort mit sozialen Fragen der Energie- und
           Verkehrswende. Ihr akademischer Hintergrund liegt in den
           Bereichen Soziologie und Politikwissenschaft. In ihrer Promo-
           tion erforschte sie Determinanten und Kontexte der öffentli-
           chen Wahrnehmung von globalen Risiken wie dem Klimawan-
           del. Ihr aktuelles Forschungsinteresse gilt den Einstellungen,
           Anliegen und Bewertungen der deutschen Bevölkerung zur
© privat   Ausgestaltung und Umsetzung der Energie- und Verkehrs-
           wende in Deutschland.

           Jean-Henri Huttarsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im
           Kopernikus-Projekt „Ariadne – Evidenzbasiertes Assessment
           für die Gestaltung der deutschen Energiewende". Er studierte
           Psychologie und Sozialwissenschaften in Potsdam, Berlin und
           Paris. Im Rahmen seiner Promotion untersucht er Bedingun-
           gen und Konsequenzen sozialer Nachhaltigkeit im Kontext
           der Energiewende.

© privat

                                                                            IASS Policy Brief 4/2021_15
Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) e. V.

Das IASS forscht mit dem Ziel, Transformationsprozesse hin zu einer nachhaltigen
Gesellschaft aufzuzeigen, zu befördern und zu gestalten, in Deutschland wie global.
Der Forschungsansatz des Instituts ist transdisziplinär, transformativ und ko-kreativ:
Die Entwicklung des Problemverständnisses und der Lösungsoptionen erfolgen in
Kooperationen zwischen den Wissenschaften, der Politik, Verwaltung, Wirtschaft und
Gesellschaft. Ein starkes nationales und internationales Partnernetzwerk unterstützt
die Arbeit des Instituts. Zentrale Forschungsthemen sind u. a. die Energiewende,
aufkommende Technologien, Klimawandel, Luftqualität, systemische Risiken,
Governance und Partizipation sowie Kulturen der Transformation. Gefördert wird das
Institut von den Forschungsministerien des Bundes und des Landes Brandenburg.

IASS Policy Brief 4/2021
September 2021
Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) e. V.

Adresse:
Berliner Straße 130
14467 Potsdam
Tel: +49 (0) 331-28822-300
Fax: +49 (0) 331-28822-310
E-Mail: media@iass-potsdam.de
www.iass-potsdam.de

Redaktion: Matthias Tang

ViSdP:
Prof. Dr. Mark Lawrence,
Geschäftsführender Wissenschaftlicher Direktor

DOI: 10.48440/iass.2021.026
ISSN: 2196-9221
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