Ich und die anderen. Die Rolle der pädagogischen Haltung bei auffälligem Sozialverhalten

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Ich und die anderen. Die Rolle der pädagogischen Haltung bei auffälligem Sozialverhalten
3   l   2021

Ich und die anderen. Die Rolle der pädagogischen Haltung
bei auffälligem Sozialverhalten

  Barbara BONFILS, Raphael D. OBERHUBER

Einleitung
  Auf unterschiedliche Weise sind Perso-             prägt ist von zwei Eigenschaften: Reflexion und
nen im Schulalltag – Eltern, Schüler:innen,          Kooperation.
Lehrer:innen – mit Verhaltensauffälligkeiten
konfrontiert. Und doch gibt es einen gemeinsa-       Herausforderungen in der Schulklasse
men Nenner: Der Umgang mit sozial auffälligen
Kindern ist für alle betroffenen Personen heraus-       Im Nationalen Bildungsbericht von 2018
fordernd, am meisten jedoch für die betroffenen      kritisiert Inklusionsexpertin Maria-Luise Braun-
Kinder selbst. Sie stehen oft am Rand des Klassen-   steiner, dass soziale Benachteiligung in öster-
verbandes, denn eine Negativspirale aus An-          reichischen Schulen zu verminderten Bildungs-
passungsschwierigkeiten, störendem Verhalten         chancen führt. „Der Erfolg des österreichischen
und Ablehnung macht es ihnen zunehmend               Bildungssystems beim Umgang mit Heteroge-
schwer, an sozialen Beziehungen in der               nität ist […] ausbaufähig. Der Einfluss der Aus-
eigenen Klasse teilzuhaben.                          gangslage, insbesondere die Bildung der Eltern,
                                                     spielt im europäischen Vergleich eine über-
  In Österreich ist das Prozedere im Umgang          durchschnittliche Rolle für den Bildungserfolg
mit Verhaltensproblemen regional sehr unter-         der Schüler/innen.“ (Braunsteiner, 2019)
schiedlich. Eltern und sogar Pädagog:innen
können sich daher nur schwer orientieren.               Kinder privilegierter Familien „erben“ Besitz
Deshalb werden Probleme oft für längere Zeit         und gesellschaftlichen Status der Eltern. Sozial
hinausgeschoben und ein langer Leidensweg            benachteiligte Kinder haben schlechtere
entwickelt sich, bis schließlich professionelle      Lernchancen, was zu schulischen Leistungs-
Hilfe zustande kommt. (vgl. Schabmann, 2009)         problemen und in weiterer Folge zu Auffällig-
                                                     keiten im Verhalten führen kann. (vgl. Wocken
  Der inklusive Bildungsauftrag in Österreich        2018) Hans Wocken verweist auch auf schu-
zielt darauf ab, Exklusion zu verhindern             lische Rahmenbedingungen, die im inklusiven
(vgl. Haas, 2019). Doch wie können jene              Unterricht einen Einfluss auf die Unterrichts-
Schüler:innen unterstützt werden, die Schwierig-     ergebnisse üben: „Es macht zum Beispiel einen
keiten haben, strukturelle Normen unter              nennenswerten Unterschied, ob sich in einer
Standard-Schulbedingungen zu erfüllen?               inklusiven Lerngruppe zwei oder acht Schü-
  Expert:innen aus Schulberufen kennen               ler/-innen mit einem diagnostizierten sonder-
durch-aus inklusionsfördernde Unterstützungs-        pädagogischen Förderbedarf befinden.“
maßnahmen. Dabei bedarf es einer sozialen            (Wocken, 2018)
Haltung auf Pädagog:innenseite, welche ge-

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   Einige Autoren zeigen den Zusammenhang
von sozialen Verhaltensweisen und Beliebtheit
                                                     Dipl. Päd. Barbara BONFILS, BEd, MEd
auf. Kooperativen und kontaktfreudigen Kindern
fällt es leichter, Freundschaften zu schließen       Kuchl, Österreich
und sozial akzeptiert zu sein. Abgelehnte Kinder
agieren häufiger mit antisozialen und nega-          Volksschul- und Sonder-
tiven Verhaltensweisen, die eine Ablehnung           pädagogiklehramt an
                                                     der Pädagogischen
ihrer Peergroup plausibel machen, aber auch mit      Akademie und Hoch-
internalisierenden Verhaltensweisen wie Rück-        schule Salzburg, Lehrgang
zug und Depression. (vgl. Kessels & Hannover,        Montessoripädagogik,
  2015; vgl. Kaufmann & Landrum, 2012 und            Masterstudium an der PH
                                                     Oberösterreich,
Avramidis, 2010, zit. n. De Leeuw u. a., 2017)       langjährige Berufserfahrung
   Zu Aggression neigende Kinder deuten ver-         in Integrations-/Inklusions-
bale Äußerungen und nonverbale Zeichen auf-          klassen, Praxislehrerin für
                                                     Hochschulsstudent:innen
grund ihrer Defizite in der sozialen Informations-
verarbeitung oft als feindschaftlich (vgl. Kessels
                                                     barbara.bonfils@aps.salzburg.at
u. a., 2015; Schabmann, 2009).
Zusätzlich haben sie Schwierigkeiten, Konflikt-
lösungsstrategien anzuwenden. Die Ablehnung
der Gruppe, die zum Teil in den Erfahrungen
mit dem aggressiven Verhalten begründet liegt,
verstärkt wiederum problematische Verhaltens-
weisen. Betroffene Kinder spüren die Zurück-
weisungen sehr deutlich (vgl. Schabmann,             Mag. Dr. Raphael D. OBERHUBER
2009).
   Dabei spielen die sozialen Beziehungen und        Linz, Österreich
das schulische Klima eine große Rolle für die        Prof.(PH), Dipl.Päd.,
kindliche Entwicklung. Das setzt eine volle und      Klinischer- und Gesund-
aktive Teilnahme am Schulleben voraus, sowie         heitspsychologe,
die Gewissheit, ein vollwertiges Mitglied in         Lehramt für Deutsch, Musik-
                                                     erziehung und Klavier,
der Schulgemeinschaft zu sein. Nur wenn das          Professor für Bildungs-
gelingt, sind Motivation und Lernzuwachs zu          psychologie und Inklusive
erwarten. Störende, unmotivierte Schüler lau-        Pädagogik an der PH OÖ,
fen häufiger Gefahr den Lehrstoff nicht mehr zu      für Psychosomatik an der
bewältigen und zu repetieren. Sie brauchen           SFU Wien,
                                                     für Diagnostik an der
spezifische Förderung und können in weiterer         Hamburger Fernhochschule, Psychologe an der Kepler
Folge ernsthafte Verhaltensprobleme zeigen.          Universitätsklinik Linz und in freier Praxis
Durch ein kollaboratives Umfeld an der Schule
kann Schüler:innenverhalten positiv beeinflusst      r.oberhuber@eduhi.at
werden. (vgl. OECD, 2013)                            www.oberhuber.co.at

                                                                                                    11
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   Im Zusammenhang mit schwierigen Situa-                      chen höhere Ausbildungsgänge, Selbstwert-
tionen wird die Bedeutung des schulischen                      gefühl, Selbstkonzept, Freundschaften und
Klimas erkennbar, nämlich besonders dann,                      Einstellung zu Fremden bei all jenen hochsigni-
wenn Verhaltensweisen eskalieren. Die ganze                    fikant besser, die von heterogenen, inklusiven
Schulgemeinschaft von Schulwart:in bis                         Klassen profitierten.
Direktor:in muss einen gemeinsamen Plan                           Soziale Mechanismen funktionieren durch
haben, wie in Notfällen zu handeln ist. Nach                   Vorbildwirkung und sogar dann, wenn Lehr-
außen hin bedarf es einer gut funktionierenden                 personen es nicht als zentrale, pädagogische
Kooperation mit Beratungsstellen und schul-                    Aufgabe sehen, unbeliebte Kinder im Klassen-
psychologischen Diensten. (vgl. Preuss-Lausitz,                verband zu inkludieren. (vgl. Preuss-Lausitz,
2004b)                                                         2004a)
   Schulen und Schulklassen dienen ALLEN
Kindern als wichtige Erfahrungsräume für das                   Expertisen über schulische Unterstüt-
soziale Lernen. Auch wenn Kinder mit sozialen                  zungs-
Defiziten in inklusiven Settings eine Heraus-                  maßnahmen aus der Praxis einer
forderung für Lehrpersonen darstellen, so sind
die Schulerfahrungen für die betroffenen Kin-
                                                               Volksschule – Studie und Methode
der gewinnbringend.                                               Ob Inklusion, im Sinne einer gleichberech-
   Preuss-Lausitz führte eine Schweizer Langzeit-              tigten Teilhabe aller Schüler:innen einer Klasse,
studie an, in der über vierhundert Achtzehnjäh-                gelingen kann, hängt von verschiedenen
rige mit Lern- und Verhaltensproblemen aus fast                Faktoren ab. Lehrer:innen berichten, wie auf-
allen Kantonen der Schweiz, die Sonderklassen                  fällige Verhaltensweisen täglich herausfordern.
oder Regelklassen besucht hatten, befragt                      Die Wahrnehmung solcher Verhaltensweisen
wurden. Die Ergebnisse waren in den Berei-                     geht mit einer Auseinandersetzung der eigenen

                                   Entwicklung eines
     Begründung der                                                  Erstellung eines             Formulierung der
                                      deduktiven
     Forschungsfrage                                               Interviewleitfadens              Hauptfragen
                                   Kategoriensystems

                                      1. Reduktion,
     Bestimmung von                 Paraphrasierung,                Durchführung der               Anlegen eines
     Ankerbeispielen                  ordnen nach                      Interviews                   Protokolls
                                       Kategorien

     2. Reduktion,
                                                                     Darstellung der
     Kodierregeln                     Revision des
                                                                     Ergebnisse nach               Interpretation
      definieren,                  Kategoriensystems
                                                                       Kategorien
  zuordnen der Daten

Abbildung 1: Ablauf der vorliegenden Untersuchung. Darstellung von Bonfils, nach Mayring, 2015.

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Gefühle und Sichtweisen einher. Aggressives         Angebote schulischer Unterstützung -
Verhalten wird oft nur noch beim Kind wahrge-       Ergebnisse
nommen, nicht bei der Lehrperson selbst. (vgl.
Kleemann)                                           1. Äußere inklusionsfördernde Rahmen-
   „A concerned, sensitive teacher who had          bedingungen schaffen
tried a variety of aporoaches still found himself
at times confronting the student´s aggression          Auf die Frage „Welche personellen und räum-
with his own.“ (vgl. Molnar & Lindquist, 1989)      lichen Ressourcen sind wichtig bzw. wünschen
   Die eigenen Anteile in sich wiederholenden       Sie sich, um betroffene Kinder bestmöglich in
Konflikten zu erkennen, ist ein wichtiger Be-       der Schule zu inkludieren?“ wurden folgende
standteil für Lehrende, um die Beziehung auf-       Anliegen geäußert:
recht zu erhalten. Daraus lässt sich schließen,     --Größere Klassenräume
dass emotionale Selbstreflexion eine wichtige       --Zusatzräume als Rückzugsmöglichkeit
Voraussetzung im Umgang mit Verhaltensauf-            und als Ort, um Gespräche zu führen
fälligkeiten ist (vgl. Kleemann, 2012).             --Räume für Bewegung und Aggressionsabbau
   Im Mai 2020 führte Barbara Bonfils an            --Ein Zwei-Lehrer:innen-System in den ersten
der Volksschule Kuchl stichprobenhaft                 beiden Schuljahren
Expert:inneninterviews durch, um Erfahrungen,       --Längere und häufigere Anwesenheit von
Perspektiven und Lösungsansätze zu sammeln.           Beratungslehrer:innen
Sechs Repräsentant:innen unterschiedlicher          --Mehr Termine durch die Schulpsychologie
Berufe mit mehrjähriger Tätigkeit an der Schule
                                                    --Die Anwesenheit von Sozialarbeiter:innen
wurden für die Befragung ausgewählt: Eine
                                                      und TAF-Betreuer:innen (Therapeutische
pflegerische Assistentin, ein Sonderpädagoge,
                                                      Ambulante Familienbetreuung in Salzburg)
ein Volksschullehrer, eine Beratungslehrerin,
                                                      an der Schule
ein Schulpsychologe und die Direktorin.
                                                       Ein vermehrter Einsatz von Pädagog:innen
   Ein Themenkomplex umfasste das Feld rund
                                                    und Fachpersonal, sowie größere Klassenräu-
um schulische Unterstützungsmaßnahmen.
                                                    me und Zusatzräume werden als inklusions-
   Die gewonnen Aussagen, die aufgrund der          fördernd genannt. Die pflegerische Assistentin
Einzelfallstudie nicht auf eine Grundgesamt-        betont, dass ein zusätzlicher Raum verschiede-
heit schließen lassen, wurden mit Hilfe der         ne Funktionen erfüllen kann: Zur besseren Kon-
qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Dabei      zentration beim Lernen, fürs „Seelische“ oder
wurden die Daten reduziert und nach der Me-         für Bewegung und Aggressionsabbau.
thode der deduktiven Kategorienanwendung
zusammengefasst. (vgl. Gläser&Laudel, 2010;         2. Schulische und außerschulische Beratungs-
vgl. Mayring, 2015, siehe Abbildung 1)              stellen für Lehrer:innen und Familien in
                                                    Anspruch nehmen
                                                      Über den hohen Anspruch von Lehrer:innen,
                                                    Probleme nach dem Motto „Wir schaffen das“
                                                    alleine zu lösen, weiß die Direktorin zu be-
                                                    richten. Soziale Teilhabe von Schüler:innen

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setzt jedoch eine stabile Lehrer:innenpsyche      habe. Beratungsstellen helfen betroffenen Kin-
voraus. Beratung und Mentoring wirken einer       dern und deren Familien.
Überforderung von Lehrenden im Umgang mit
Schüler:innen mit Signalverhalten entgegen.       3. Eine Kultur einer kooperativen Schulge-
                                                  meinschaft entwickeln
   Folgende Möglichkeit von Beratung oder
Mentoring für Lehrer:innen wurden von den           Manchmal führen Konflikte mit Schüler:innen
Befragten genannt:                                zu eskalierenden Situationen im Schulalltag.
--Beratungslehrer:innen                           Auf die Frage „Wie kann Kooperation in der
--Schulpsychologie                                Schulgemeinschaft dazu beitragen, solche Si-
--Pädagogischer Dienst der Bildungsregionen       tuationen zu bewältigen oder im Idealfall zu
  – FIDS (Fachbereich Inklusion, Diversität und   vermeiden?“, verweisen Aussagen, auf die Not-
  Sonderpädagogik), sowie Diversity Manage-       wendigkeit im Vorfeld Maßnahmen zu setzen
  ment                                            und Notfallpläne zu erarbeiten, so dass es im
--Supervisionen über „Lehrer:innengesundheit“     Idealfall nicht zu einer Eskalation kommt. Den
  der Bildungsdirektionen                         Part einer zu Hilfe kommenden Lehrperson,
--Mentor:innenplattformen                         können laut Beratungslehrerin Kolleg:innen
   Über Möglichkeiten familiärer Beratungs-       oder Direktor:in in ihrer Freistunde übernehmen.
stellen erfahren Eltern oftmals in der Schule.      „Das ist etwas ganz Wichtiges, das die Schul-
   Die interviewten Personen nannten folgen-      gemeinschaft gemeinsam erarbeiten muss.
de schulische und außerschulische Beratungs-      Weil es ganz oft so ist, dass wenn ein Kind
stellen:                                          außer Rand und Band gerät, die Erwachsenen
--Schulische Beratungsstellen:                    auch unter Stress kommen und sich das Verhal-
                                                  ten extrem verstärkt bei dem Kind (…) Wenn
   * Schulpsychologie
                                                  vorher in der Schulgemeinschaft in pädagogi-
   * Pädagogischer Dienst der Bildungs-
                                                  schen Konferenzen abgeklärt wird, was man da
     regionen – FIDS
                                                  tut, dann senkt es von Vornherein den Stresspe-
--Außerschulische Beratungsstellen:               gel und es kommt in den meisten Fällen nicht
   * Familienberatungsstellen                     zu Eskalationen, weil der Erwachsene sich in
   * Lebenshilfe Ambulatorium für Entwick-        Sicherheit wiegt, dass er nicht alleine ist, dass
     lungsdiagnostik und Therapie                 er nicht alleine händeln muss.“
   * Kinder- und Jugendhilfe                       Der Schulpsychologe kritisiert den fehlenden
   * Kinder- und Jugendanwaltschaft               Weitblick mancher Pädagog:innen:
   * Vereine und Trägerorganisationen               „Das beobachte ich häufig (…) Weil
   * Fachärzt:innen und Psycholog:innen der       Lehrer:innen häufig die Tendenz haben: Wir
     Kinder- und Jugendpsychiatrie                fangen einmal bei null an und dann schauen
   * Heilstättenschulen als Einrichtung der       wir, wie es wird. Es ist (…) noch nichts be-
     Landeskrankenanstalten                       kannt und dann soll sich das entwickeln usw.
   Das Miteinbeziehen und die Entlastung des      In Wirklichkeit ist es ja umgekehrt. Man weiß
Lebensfelds Familie begünstigen soziale Teil-     schon viel und man könnte Situationen viel-

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leicht im Vornhinein planen und gestalten. (…)    Conclusio
Man hätte die Möglichkeit, dass das Kind pro-
duktiv mitmachen kann und nicht von Anfang          Eine aktive soziale Partizipation kann geför-
an störend ist.“                                  dert werden, wenn das Kind eine Position als
                                                  vollwertiges Mitglied in einer Schulgemein-
  Übereinstimmend betonen alle Expert:innen
                                                  schaft mit kollaborativem Umfeld erlebt (vgl.
die Wichtigkeit, in eskalierenden Situationen
                                                  de Leeuw u. a., 2017, vgl. OECD, 2013). Dafür
sowohl von der Schulleitung als auch vom Kol-
legium unterstützt zu werden. Dazu gehört für     braucht es, laut der befragten Direktorin, viel
den Volksschullehrer auch das offene Anspre-      Kommunikation in der Triangulation Eltern-
chen von Problemen.                               haus, Schule und Kind.
  „Wichtig ist, dass sich die Lehrerschaft so        Besonders dann, wenn es aufgrund von Si-
versteht, dass wir offen reden können. Dass wir   gnalverhalten zu eskalierenden Situationen
nicht ein Einzelkämpfertum haben, sondern         kommt, ist erkennbar, ob es einen schulischen
dass man einfach auch mit Schwierigkeiten,        Zusammenhalt als funktionierendes Netz gibt.
die man hat, die einfach zweifellos auftreten,    Wichtig ist dabei, dass offene Ansprechen von
an sein Kollegium herantreten kann, nicht nur     Problemen in einer Schulkultur, die das ermög-
an seine zwei, drei Spezeln, sondern dass man     licht. Mehrere Aussagen betonen, dass das Hin-
das auch in der Konferenz im Allgemeinen sa-      zuziehen von Beratungslehrer:innen fachliche
gen kann. Das erfordert natürlich eine gewis-     Unterstützung bietet.
se Grundhaltung der einzelnen Lehrer. Aber           Die Aussage von Preuss-Lausitz (2004), dass
die Grundhaltung sozusagen: In meiner Klas-       die gesamte Schulgemeinschaft einen gemein-
se regiere ich und da mache ich, wie mir das      samen Handlungsplan für Notfälle braucht,
vorkommt, das wäre die falsche. Genau das         wird auch von den Expert:innen angesprochen.
Gegenteil ist richtig. Es muss eine Offenheit     Sie betonen zusätzlich die Wichtigkeit, in eska-
herrschen und ein Gesprächsklima. Dann kann       lierenden Situationen von der Schulleitung und
ich sprechen.“                                    vom Kollegium Unterstützung zu erhalten. Die
  Beide Lehrer, sowohl der Volksschullehrer als   Beratungslehrerin konkretisiert, dass es einen
auch der Sonderpädagoge, verweisen in diesem      Plan geben sollte, wer in seiner Freistunde Hil-
Kontext auf die Wichtigkeit des Hinzuziehens      festellung geben kann und einen Auszeitraum.
einer Beratungslehrerin bzw. eines Beratungs-       Der Schulpsychologe verweist darauf, dass
lehrers zur fachlichen Unterstützung. Für die     sich Eskalationen vermeiden lassen, wenn in
Direktorin findet Kommunikation auf Basis der     der Unterrichtsplanung mögliche Störungen
Triangulation Elternhaus – Schule – Kind statt.   durch Verhaltensabweichungen mitberück-
Gelungene Kommunikation kommt dem Kind            sichtigt werden. Alle befragten Personen wün-
zugute. Eskalierende Situationen, die einer       schen sich bessere räumliche und personelle
sozialen Teilhabe entgegenwirken, können          Ressourcen. Größere Räume und Zusatzräu-
durch Kooperation in der Schulgemeinschaft        me wurden genannt, sowie mehr Stunden für
und durch das antizipierende Erstellen eines      Schulpsychologie und Beratungslehrer:innen.
Notfallplans vermieden bzw. abgeschwächt          Einzelsupervision hilft die Reflexion des eige-
werden.                                           nen Handelns zu fördern, Gruppensupervision

                                                                                               15
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kann dazu dienen, die Zusammenarbeit und                         Literatur
Kommunikation in Teams zu verbessern. Die                        Braunsteiner, M.L. et al. (2019). Erfolgreich lernen und
Direktorin spricht im Interview das Phänomen                         unterrichten in Klassen mit hoher Heterogenität. In:
                                                                     Breit, S. et al. (Hrsg..) (2019). Fokussierte Analysen
an, dass Lehrer:innen oft die Tendenz haben,                         und Zukunftsperspektiven für das Bildungswesen.
Probleme allein lösen zu wollen, anstatt Hilfe                       Band 2. Leykam, S. 19 - 62.
                                                                 De Leeuw, R. R., De Boer, A. A., Bijstra, J., & Minnaert,
in Anspruch zu nehmen.                                               A. E. M. G. (2017). Teacher strategies to support the
  Schulische Unterstützung erfolgt auch da-                          social participation of students with SEBD in the re-
                                                                     gular classroom. European Journal of Special Needs
durch, dass die Institution Schule Eltern über                       Education. UK: Routledge.
Beratungsstellen informiert, welche Familien                     Gläser, J., & Laudel, G. (2010). Experteninterviews und
                                                                     Qualitative Inhaltsanalyse. Springer-Verlag.
entlasten und unterstützen können. Das Zu-                       Haas, B. (2019). Zur Konstitution des ,ableist divide’ in
sammenspiel von Schule, Elternhaus und                               der sonderpädagogischen Wissensproduktion zum
                                                                     Gegenstand ADHS. Sonderpädagogische Förderung
außerschulischen Institutionen ist notwendig,                        heute. Halle: Julius Beltz GmbH.
um einem Kind mit auffälligem Sozialverhalten                    Kessels, U., Hannover, B., & Wild, E. (2015). Gleichaltri-
Partizipation im Klassenverband zu ermögli-                          ge. (J. Möller, Hrsg.), Pädagogische Psychologie. Ber-
                                                                     lin, Heidelberg: Springer Verlag.
chen.                                                            Mayring, P. (2015). Qualitative Inhaltsanalyse (12. Aufla-
  Die Bedeutung der schulischen Unterstüt-                           ge). Weinheim und Basel: Beltz Verlag
                                                                 Molnar, A., & Lindquist, B. (1989). Changing problem be-
zung wird durch das nigerianische Sprichwort                         havior in schools. Jossey-Bass.
verdeutlicht: „Es braucht ein ganzes Dorf, um                    OECD. (2013). Chancengerechtigkeit und Qualität in der
ein Kind zu erziehen.“                                               Bildung - Förderung benachteiligter Schüler/innen
                                                                     und Schulen, im Original der OECD auf Englisch
                                                                     und Französisch unter folgenden Titeln veröffentlicht:
                                                                     equity and Quality in education. Supporting disad-
                                                                     vantaged students and schools. equité et qualité dans
                                                                     l‘éducation. Comment soutenir les élèves et les étab-
                                                                     lissements défavorisés, Bmukk.
                                                                 Preuss-Lausitz, U. (2004a). Die UN-Behindertenrechts-
                                                                     konvention und die Inklusion „schwieriger“ Kin-
                                                                     der. (U. Preuss-Lausitz, Hrsg.), Schwierige Kinder -
                                                                     schwierige Schule? (2. Auflage). Weinheim und Basel,
                                                                     2013: Beltz.
                                                                 Preuss-Lausitz, U. (2004b). Gemeinsam auf dem Weg.
                                                                     Zu Perspektiven integrativer Arbeit mit schwierigen
                                                                     Kindern und Jugendlichen. (U. Preuss-Lausitz, Hrsg.),
                                                                     Schwierige Kinder - schwierige Schule? (2. Auflage).
Abbildung 2: Aktive soziale Partizipation. Foto Bonfils, 2021.       Weinheim und Basel, 2013: Beltz.
                                                                 Schabmann, A. (2009). Schüler/innen mit schwerwiegen-
                                                                     den Entwicklungsproblemen als Herausforderung an
                                                                     die Schule: Unterstützungssysteme bei Lernstörung
                                                                     und Verhaltensauffälligkeiten, Bildungsbericht 2009.
                                                                 Wocken,H. (2018). Inklusive Bildung auf dem Prüfstand.
                                                                     In: Wocken: Contra Inklusionskritik eine Apologie der
                                                                     Inklusion. Feldhaus, S. 57 – 138.

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