Weihnachtsgeschichten am Kamin 25 - Leseprobe aus: Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de.
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Leseprobe aus: Weihnachtsgeschichten am Kamin 25 Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
vorwort N Als Ursula Richter vor 25 Jahren damit begann, weihnacht- liche Geschichten von «jedermann» zu sammeln, hatte sie nicht erwartet, dass die «Weihnachtsgeschichten am Ka- min» einen so dauerhaften Erfolg haben würden. Diese erlebten oder erdachten Geschichten zaubern mit ihrem Charme eine besondere Stimmung, die sich auf den Leser überträgt und ihm Mut macht, eigene Geschichten aufzuschreiben und einzusenden. Professionelle Perfektion ist nicht unbedingt erforder- lich. Und so bekommt man beim Lesen das Gefühl, in gemütlicher Runde beieinanderzusitzen, zu erzählen und zuzuhören. Die Älteren wissen von entbehrungsreichen Zeiten zu berichten oder alten Weihnachtstraditionen. Die Jüngeren von den Weihnachtserlebnissen mit ihren Kindern. Dazwischen gibt es Berichte von kleineren und größeren Pannen oder erfundene Geschichten und Mär- chen. Jeder von uns hat die eine oder andere Erinnerung an ein Weihnachtsfest, die es wert ist, aufgeschrieben und gesammelt zu werden. Ursula Richter wird den fertigen Jubiläumsband ihrer Weihnachtsgeschichten am Kamin leider nicht mehr in Händen halten können. Sie ist in diesem Jahr noch wäh- rend unserer gemeinsamen Arbeit an dem Buch im Alter von 77 Jahren überraschend verstorben. Ich werde mich bemühen, unsere erfolgreiche Arbeit in ihrem Sinne wei- terzuführen. Barbara Mürmann Juli 2010 5
der seltsame weihnachtsmann Dieter Rutkowski j W eihnachten ist ohne Zweifel das schönste Fest des Jahres. Obwohl damals, als der Allmächtige in sei- ner großen Güte beschloss, seinen Sohn als Retter zu uns auf die Welt zu senden, alles noch einfach und bescheiden zuging, haben wir dem Fest doch einen würdigen Rahmen gegeben. Längst sind die Christvesper, der Tannenbaum, der Weihnachtsstollen und natürlich auch der Weihnachts- mann bei uns nicht mehr wegzudenken. Selbst dann, wenn Letzterer den würdigen Rahmen dieses besonderen Festes sprengt. Sie glauben es nicht? Dann erlauben Sie mir, dass ich Ih- nen berichte, wie es uns mit dem Weihnachtsmann erging und wie er uns mächtig in Verlegenheit brachte. Es war unser erstes Weihnachtsfest in Ostfriesland, und es sollte besonders schön werden. Man sagt, es sei ein gefühlsarmer Menschenschlag, der dort unermüdlich dem ständigen Nordseewind und der Kälte trotzt. Es ist jedoch ein liebenswertes, geselliges Völkchen, wenngleich man ohne Zweifel eine gewisse Zeit braucht, um mit ihnen warmzuwerden. Und es ist nicht allein die geheimnisvolle Sprache, die sich Fremden sofort als Barriere in den Weg stellt. Wir kamen aus dem traditionsreichen Erzgebirge mit den vielen Lichterbögen, den Hutzenabenden und den un- zähligen Mundartgeschichten, die man sich in gemütlicher Runde bei Stollen und anderem Weihnachtsgebäck erzählt oder vorliest. Die Fenster werden dort bis zum Limit mit Lichterketten, Lichterengeln, Bergmännern und Nusskna- 7
ckern bestückt, und es störte uns nicht, dass wir scheinbar in dieser Hinsicht in unserer neuen Heimat Exoten waren. Wir liebten diese Tradition, auch in Ostfriesland. Der Tannenbaum stand also geschmückt in der Ecke unseres Wohnzimmers und wartete darauf, von den Kin- dern und Enkeln, die in diesem Jahr zum Fest zu Besuch waren, bewundert zu werden. Schnee gab es hier keinen, dafür war es kalt und stürmisch. Im Kamin brannte trot- zend ein Feuer. Meine Frau mühte sich um den Gänsebraten, der in diesem Jahr ausnahmsweise eine ausgewachsene Pute war. Sie hatte mehr Fleisch und fiel beim Braten nicht so sehr zusammen wie eine Gans, die womöglich noch eine ge- mästete aus Ungarn oder Polen gewesen wäre. Wir hatten uns vorgenommen, statt Bockwurst und Kartoffelsalat, des sonst üblichen Essens zum Heiligen Abend, den Brauch aus dem Erzgebirge auch im hohen Norden weiterzufüh- ren und Gänsebraten mit Grünen Klößen und Rotkraut zu essen. Der Pastor hatte sich bei der Christvesper an die vor- gegebene Zeit gehalten und den Gottesdienst nicht über- zogen. Fünfundvierzig Minuten hatte er und nicht mehr, was von den wenigen Bauern in der Gemeinde, die an- schließend noch ihre Kühe versorgen mussten, dankbar angenommen wurde. So waren alle rundum zufrieden. Jetzt war es Weihnachten, jetzt hatte auch bei uns das Fest begonnen. Unser Sohn Thomas war mit seiner Fami- lie da. Felix, unser ältester Enkel, war gerade neun und Felicitas fünf Jahre jünger. Überall spürte man die Auf- regung. Selbst Maximilian, unser Cockerspanielmischling, lief aufgeregt im Haus hin und her. Irgendetwas war ihm an diesem Abend nicht geheuer. Ich schaute immer öfter auf die Uhr. Jetzt sollte eigent- 8
lich unser Bekannter, ein Weihnachtsmann vom Dienst, erscheinen. Er war schon weit über der Zeit, und ich hatte Mühe, meine Enkel über diese Durststrecke zu bringen. Der Tisch im Speisezimmer war festlich gedeckt, und in der Küche begann der falsche Gänsebraten bereits herrlich zu duften. Das Wasser für die Faule-Weiber-Klöße stand auch auf dem Herd und fing allmählich an zu dampfen. Ein Freund nannte die Klöße so, weil man sie sich fertig vom Supermarkt holen konnte. Im Erzgebirge würde eine Hausfrau, die etwas auf sich hielt, nie auf die Idee kom- men, Klöße aus rohen Kartoffeln aus einer verschweißten Packung zu machen. Nein, dort wurden noch die Kartof- feln gerieben und der Brei im Kloßsack ausgepresst. Vom Geschmack her gab es aber keinen Unterschied, deshalb war mir das völlig egal. Auch das Rotkraut, das hier Rot- kohl genannt wurde, stand auf dem Herd und schmorte still vor sich hin. Vorsichtig schaute meine Frau um die Ecke. «Wo bleibt er nur?», wollte sie von mir wissen, als könnte ich diese Frage beantworten. Sie meinte den bestellten Weihnachts- mann. Um eine halbe Stunde hatte er sich nun bereits verspätet. Er hatte mir gesagt, dass er vorher noch einige andere Familien aufsuchen müsse. Er war gefragt und auch ohne Zweifel in dieser Rolle außerordentlich begabt. Ich wollte bereits vor die Tür gehen, um nach ihm zu sehen, als er auch schon mit seinem roten Mantel und dem weißen wallenden Bart durchs Gartentor kam. Sofort verschwand unser Hund erschrocken unter dem alten Sofa und kam erst wieder vor, als dieser für ihn merk- würdige Mensch später wieder ging. Die Kinder schauten durch einen kleinen Spalt der Wohnzimmertür. Ihnen war der Respekt vor diesem alten, ergrauten Mann deutlich anzumerken. 9
«Da bist du ja, Weihnachtsmann. Komm nur rein, wir warten schon lange auf dich.» Obwohl dies eine Kritik sein sollte, denn ich hatte das «lange» besonders betont, schien er sie nicht zu verstehen. «Ach, es sind so viele Kinder, die ich erfreuen soll. Gibt’s denn hier auch welche?» Er gestikulierte auffällig mit seiner Rute durch die Luft, als wäre er sofort bereit, diese Kinder zu züchtigen. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging er auf die Wohn- zimmertür zu. «Hohoho, da bin ich ja …» Er hatte noch nicht das letzte Wort ausgesprochen, als er der Länge nach ins Wohnzimmer fiel. Die Rute, der Geschenkesack und seine Mütze flogen in den Raum. Of- fenbar hatte er die Türschwelle nicht beachtet. Die Kinder schauten erschrocken auf den am Boden liegenden Weih- nachtsmann. Zu diesem Zeitpunkt kam ich überhaupt noch nicht auf die Idee, dass der Sturz auch eine andere Ursache als die Türschwelle haben könnte. Mühsam erhob er sich wieder und schaute, durch den großen, leicht verschobenen Bart in seiner Sicht behindert, auf die Schwelle. «Oh, oh, was war denn das?», war sein einziger Kommentar. Felix glaubte, dem alten Mann helfen zu müssen. «Du bist gestolpert, Weihnachtsmann», sagte er mit seiner ängst- lich leisen Stimme. «Du musst mehr aufpassen!», fügte er dann aber altklug hinzu. Das passte zu ihm. «Da hast du wohl recht. Na, dann will ich mal sehen, ob ich auch was für euch mitgebracht habe. Aber zuvor will ich wissen: Wart ihr auch immer artig?» Er schaute die beiden Kinder abwechselnd an. «Ich ja, aber die Felicitas, die nicht, die pieselt immer noch ein», meldete sich Felix sofort. Offensichtlich kannte der Weihnachtsmann diesen Aus- 10
druck noch nicht. Er schaute fragend zu unserer Kleinen, die mit hochrotem Kopf auf einem Ende der Couch saß und mich hilfesuchend mit ihren schönen blauen Augen anflehte. Ich setzte mich zu ihr. «Stimmt nicht, ne, Opa?», meinte sie trotzig. Klar wusste ich, dass sie ab und zu noch Windeln nötig hatte. Warum aber haute Felix sie jetzt so in die Pfanne? Wollte er vielleicht damit von sich und seinen Unarten ablenken? Noch während ich darüber nachdachte, hatte der Weih- nachtsmann den leinenen Sack ergriffen und schaute um- ständlich hinein. Mir fiel auf, dass er einige Mühe hatte, die von uns liebevoll eingepackten Päckchen aus dem Sack zu bekommen. Er hatte sich nach vorne gebeugt und griff ständig daneben. Meine Frau stand in der Küchentür und beobachtete sorgenvoll die Szene. Viel Zeit hatten wir nicht mehr. Der Braten brutzelte still vor sich hin, das Rotkraut hatte längst genug gekocht, und das Kloßwasser musste bereits zum zweiten Mal nachgefüllt werden, weil es verdampft war. Endlich hatte er das größte Päckchen in der Hand. «Für wen mag das wohl sein?» Er schaute über seine halbe Brille hinweg auf die Kinder. «Ach, hier steht ja ein Name. So, Felix, dann sag mal ein Gedicht auf.» Während Felix sein «Lieber guter Weih- nachtsmann, schau mich nicht so böse an …» aufsagte, nickte der Weihnachtsmann gefährlich nach vorne über. Erschrocken beobachtete ich das, aber er fing sich im letz- ten Moment wieder. «Na, Weihnachtsmann, dir ist wohl nicht gut?», fragte ich besorgt. «Doch, ich … hab nur so … sehr gefroren», antwortete er stockend. «Opa, wenn du gefroren hast, dann trinkst du doch 11
immer einen Schnaps. Vielleicht hilft das dem Weihnachts- mann auch?», meinte Felix. «Das ist eine gute Idee!», reagierte sofort der Weih- nachtsmann. Ich war überrascht, wie cool Felix jetzt auf einmal war, hatte aber auch beobachtet, dass der Weihnachtsmann vielleicht schon zu viel gegen die Kälte unternommen hat- te. Nur widerwillig goss ich dem Weihnachtsmann einen Doppelkorn ein. Er hob ungeniert seinen Bart in die Höhe und kippte den Inhalt des Glases in einem Zug. Felicitas saß staunend da. Felix grinste. Er schien keine Angst mehr vor dem Weihnachtsmann zu haben. «Haste gesehen, Felicitas?», wollte er von seiner kleinen Schwester wissen. Von jetzt an begann er den Weihnachts- mann geschickt auszuhorchen, und der alte, ehrfürchtige Mann plauderte mit ihm wie mit seinesgleichen. Wieder erschien meine Frau ungeduldig in der Küchen- tür und zeigte auf ihre Uhr. «Na, Weihnachtsmann, du hast bestimmt noch eine Menge zu tun, bestimmt warten noch viele Kinder auf dich», sagte ich, um ihn an seinen Abgang zu erinnern. Er schaute mich grinsend an. «Nö, ich bin jetzt fertig.» «Aber wir haben noch einiges vor, Weihnachtsmann», versuchte ich ihm auf die Sprünge zu helfen. «Der Weihnachtsmann kann doch bei uns bleiben, Opa», schlug Felix vor. Wie sollte das gehen? Sollte der Nachbar den ganzen Abend hier in seinem Kostüm bei uns herumsitzen? Das fehlte ja gerade noch. Wie sollte er mit uns den Putenbraten genießen, wenn er bei jedem Bissen seinen künstlichen Bart in die Höhe heben muss? Nein, das war unmöglich. Andererseits hatte sich der Weihnachtsmann aber gera- 12
de einen Sessel gleich neben dem Kamin ausgesucht. Da war es warm und gemütlich, und die Wirkung ließ auch nicht lange auf sich warten. «Weihnachtsmann, du musst jetzt aber nach Hause!», ermahnte ich ihn noch einmal eindringlich und versuchte ihn aus seinem Sessel zu hieven. «Schade, es war gerade so schön gemütlich bei euch. Aber eines verspreche ich euch, ich komme wieder, ganz bestimmt. Im nächsten Jahr. Und dann reden wir weiter, abgemacht?» Er schaute fragend Felix an. «Klar, abgemacht, Weihnachtsmann!» Ich begleitete ihn noch vor die Tür und brachte den Weihnachtsmann bis zu seiner Haustür. Immer wieder er- klang aus seinem Mund ein fröhliches «Hohoho!». Als ich wieder zu Hause ankam, war meine Familie be- reits beim Essen. Die Klöße waren zerkocht, das Rotkraut verkocht, aber das Putenfleisch war zart. Es schmeckte uns vorzüglich. «Du, Opa, der Weihnachtsmann war cool, ne?», wollte Felix wissen. Am nächsten Tag war der Weihnachtsmann das Dorf- gespräch, und ich wurde nicht nur einmal gefragt, ob es stimmte, dass ich ihn nach Hause gebracht hatte, weil er den Weg nicht mehr wusste. 13
g und wieder ist es weihnachtszeit … Margarete Birkholz D ie Zeit war wieder einmal viel zu schnell vergangen. Die Monate waren dahingesaust, und nun war es schon Dezember geworden. Diese vorweihnachtlichen Wochen mit ihren speziellen Aktivitäten, den Heimlich- keiten, dem Lichterglanz und den verführerischen Düften liebten wir alle sehr Wie jede andere Mutter auch versuchte ich die Ad- ventszeit für meine drei Kinder besonders schön zu ge- stalten. Es wurde gebastelt, es wurden Plätzchen gebacken und bei Kerzenschein und Tannengrün Weihnachtslieder gehört! Das Mitsingen klappte bei meinen Rangen noch nicht, da sie die Liedtexte nicht beherrschten. Waren sie doch noch zu klein dafür? «Alle Jahre wieder» war das einzige Lied, das sie wirk- lich konnten. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass meine Kin- der in den nächsten Jahren, wenn sie älter wären, sicher eifrig mitsingen würden. Ich hatte mich geirrt. Meine Kinder konnten auch später die Liedtexte nicht und mochten am Heiligabend kein Gedicht aufsagen. Da beschloss ich, meinen dreien mit ein paar Versen «auf die Sprünge» zu helfen. Dieser Heiligabend – die Geschenke waren noch zu- gedeckt – begann mit: 14
Und wieder ist es Weihnachtszeit. Die Tanne strahlt im Festtagskleid, und unser Vater zündet dann die roten Christbaumkerzen an. Die Kinder sind schon froh gestimmt und warten, dass das Fest beginnt. Jedoch das liebe Elternpaar wünscht sich ein Lied – wie jedes Jahr. Oje, o weh, man glaubt es nicht! Die Kinder können kein Gedicht! Sie können keine Weihnachtslieder! Ich seh es alle Jahre wieder! Na, Kinder, macht nicht solch Gesicht, denn ernstlich böse mein ich’s nicht. Wir dreh’n die Sache einfach um, sitzen still und bleiben stumm und hör’n von dort (Recorder) die Lieder an. Erst danach kommt der Weihnachtsmann. Die Kinder waren anfangs etwas stiller als sonst; dann aber wurde es noch ein wunderschöner Heiligabend. Am darauffolgenden Christfest haben wir gemeinsam gesungen – ein kleines Wunder zur Weihnachtszeit. 15
nikolaus Brigitte Weigelt B D er Dezember begann mit Kälte und Schnee. Der Ni- kolaustag neigte sich. Wir tranken noch einen Glüh- wein und wollten danach zu Bett gehen. Ich habe wieder nichts bekommen von meinem Mann. Ein bisschen traurig bin ich schon. Meist bekommt mein Mann dicke Socken, eine Flasche Wein und Herrenschokolade. Vom Wein und von der Schokolade bekomme ich immer etwas ab. Dieses Jahr habe ich mir etwas Besonderes ein- fallen lassen. Eine neue Badehose steckte in seinem Stiefel, damit er auch weiterhin eine gute Figur macht. Er gibt sich nicht die Mühe, mir auch eine Freude zu machen. «Kauf dir doch, was du brauchst», sagt er. Diese Gedanken beschäftigen mich, während ich die Gläser spüle und die Kerzen auspuste. Als ich mich im Bett ausstrecke, stoßen meine Füße an etwas Kaltes. Ein Aufschrei entschlüpft mir. Mein Mann mummelt unter seiner Decke. Ich muss nochmal raus in die Kälte. Am Fußende liegt ein Nuss- knacker. Ein Bergmann. Mit den Händen fühlt er sich nur halb so kalt an. Ich stelle den Nussknacker auf das Nachtschränkchen, klappe seine Zähne ein paarmal aus- einander. Dann krieche ich wieder in mein Bett und suche das Gesicht meines Mannes in den Kissen. 16
die verbindungstür Christine Pilot N H eute in einem Monat ist Weihnachten!» Oje. Susanne hielt kurz beim Tischdecken inne. «Freust du dich denn gar nicht, Mama?» «Ach Kathie, du weißt doch, wie das jedes Jahr ist: ganz schön anstrengend bei aller Mühe.» «Du denkst an unsere Omas, stimmt’s? Warum verste- hen sich die beiden denn nicht!» Susanne musste schmunzeln: Kathie mit ihren noch nicht mal zehn Jahren hatte das Problem sofort erfasst. «Sie sind vielleicht einfach zu unterschiedlich», sagte Susanne vorsichtig. Das Thema Eifersucht wollte sie lieber nicht anschneiden, dies war, genau genommen, ja auch nur eine Vermutung. «Unterschiedlich?» Kathie kicherte. «Ja, das sind sie echt! Oma Inge immer nur in Hosen und Parka und Oma Lotte so richtig als feine Dame … Und dann sind sie ja auch dauernd verschiedener Meinung. Weißt du noch, wie sie letztes Jahr …» Susanne winkte ab. Sie konnte sich nur zu gut erinnern. «Drei Tage ständig zusammen zu sein, das ist für die bei- den einfach zu viel. Aber etwas anderes, als sie zu uns ein- zuladen, fällt mir eben auch nicht ein.» «Mir schon!», ließ sich da die Stimme ihres Mannes Stefan vernehmen, der gerade nach Hause kam. «Ich habe da eine richtig gute Idee.» Und nachdem er Susanne einen novemberkalten Kuss und Kathie einen liebevollen Knuff gegeben hatte, sagte er: «Wir fahren über Weihnachten alle nach Berlin!» 17
«Nach Berlin?» «Ja, und zwar in dieses kleine Hotel, in dem ich neulich beruflich war: gemütlich und ganz zentral gelegen, gleich in der Nähe von ‹Unter den Linden›. In Berlin werden wir uns nämlich nicht auf der Pelle hocken wie hier in diesem kleinen Nest, denn in Berlin findet jeder, was ihn interessiert: Inge zieht es bestimmt auf die Weihnachts- märkte, Charlotte in verschiedene Museen … Kurz: Die beiden können auch was getrennt unternehmen. Passt mal auf, das macht alles harmonischer.» Nach einer Fahrt durch Niesel- und Schneeregen saßen sie am Mittag des 24. Dezember zusammen im Restaurant des kleinen Hotels. Aus der Hotelküche tönte gedämpftes Geklapper, und ein Duft wie nach Gänsebraten lag in der Luft. Inge klappte die Speisekarte zu und ließ, während die anderen noch wählten, den Blick durch den geschmückten Speiseraum wandern: über die Kerzen auf allen Tischen, zu dem großen Weihnachtsbaum … «Wie seid ihr denn mit euren Zimmern zufrieden?», hörte sie da ihren Sohn Stefan fragen. Er sah etwas besorgt von ihr zu Charlotte, und Inge ahnte auch, warum. «Also, mein Zimmer gefällt mir», sagte sie deshalb laut und nickte ihrem Sohn beruhigend zu. «Na ja …», begann Charlotte gedehnt. «Dass die zwei Zimmer eine Verbindungstür haben … Also, ich finde das nicht so angenehm.» Natürlich, dachte Inge, das musste ja kommen. «Etwas anderes war leider nicht mehr frei», erwiderte Stefan entschuldigend. «Aber die Tür macht gar keinen Unterschied, Charlotte, sie ist nämlich absolut schalliso- liert; das hat man mir extra zugesichert.» 18
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