In Kabul wird man für ein Smartphone und ein wenig Kleingeld ermordet

Die Seite wird erstellt Chantal Ernst
 
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In Kabul wird man für ein Smartphone und ein wenig Kleingeld ermordet
Pressefreiheit in Afghanistan

»In Kabul wird man für ein Smartphone und ein wenig
Kleingeld ermordet«
Afghanistan gehört zu den gefährlichsten Ländern der Welt für Journalisten.
Die Angst vor der Rachsucht korrupter Eliten und vor der Rückkehr der Taliban
prägt den Arbeitsalltag. Viele denken an Flucht.
Aus Kabul berichtet Emran Feroz

13.03.2021, 20.13 Uhr

Straße in Kabul: Prekäre Sicherheitslage                               Foto: NOORULLAH SHIRZADA/ AFP

Sein Büro verlässt er kaum noch. »Ich gehe nur raus, wenn es wirklich sein muss. Niemand kann unseren
Schutz garantieren«, sagt Murtaza Pazhwak. Er ist 25, Journalist und arbeitet für eine Wochenzeitung in
Kabul.
Die Redaktionsräume liegen hinter dicken Betonmauern, sie werden von schwer bewaffneten Soldaten
bewacht. Draußen, auf den Straßen von Kabul, ist mit Anschlägen jederzeit zu rechnen. Das haben die
letzten Wochen und Monate in seinen Augen mehr als deutlich gemacht.
In Kabul wird man für ein Smartphone und ein wenig Kleingeld ermordet
Wie viele andere Kollegen fühlt sich Pazhwak auf den Straßen Kabuls nicht sicher. Afghanistan gehört
seit Jahren zu den tödlichsten Ländern für Journalisten. Allein im vergangenen Jahr wurden mindestens
acht Medienschaffende ermordet.

»Die Medien werden weiterhin von allen Seiten bedroht«
Die Regierung hat die Kontrolle über die Sicherheitslage in Kabul verloren und wirkt zunehmend hilflos.
Vizepräsident Amrullah Saleh rief vor Kurzem die Taxifahrer der Hauptstadt dazu auf, ihre Passagiere zu
filzen, bevor sie ins Auto steigen. So könne man Bombenanschläge verhindern.
Anfang März wurden in der östlichen Stadt Jalalabad drei Journalistinnen kurz nach deren Feierabend
ermordet. Sie waren für den TV-Sender Enikass tätig. Schon im Dezember war Malala Maiwand, eine
Journalistin des Senders, getötet worden. Die afghanische IS-Zelle bekannte sich zu den jüngsten
Tötungen.
»Die Medien werden weiterhin von allen Seiten bedroht. Während die Taliban und Gruppen wie der
›Islamische Staat‹ für die meisten Drohungen und Tötungen verantwortlich sind, sollte auch darauf
hingewiesen werden, dass die Regierung Verantwortung trägt«, meint Patricia Gossman,
stellvertretende Asien-Direktorin von Human Rights Watch.
Sie kritisiert Regierungsvertreter und Warlords, die sich intolerant gegenüber kritischer
Berichterstattung zeigten und Mordanschläge kaum untersuchten. Doch auch der afghanische
Sicherheitsapparat trägt eine Mitverantwortung – allen voran der Inlandsgeheimdienst NDS, sowie
afghanische CIA-Milizen wie die Khost Protection Force (KPF) im Südosten des Landes. Beide Akteure
sind bekannt für ihr brutales Vorgehen gegen Journalisten. Und dafür, dass sie Straffreiheit genießen.

»Ich gehe nur raus, wenn es wirklich sein muss«
Auch Intellektuelle, politische Aktivisten oder religiöse Gelehrte werden gezielt getötet. Haftbomben –
sogenannte sticky bombs – haben sich als Mordwaffe etabliert. Sie sind günstig und einfach zu
beschaffen. Die Täter bleiben in den meisten Fällen unbekannt.
Die afghanische Regierung von Präsident Ashraf Ghani macht die Taliban für die jüngste Angriffswelle
verantwortlich. Doch Lokaljournalist Pazhwak und andere Beobachter sind skeptisch. »Dass die Taliban
zu derartigen Dingen fähig sind, ist kein Geheimnis. Die aktuellen Entwicklungen haben allerdings dazu
geführt, dass
Die prekäre Sicherheitslage in Kabul ist aber sicher auch eine Folge der ungewissen Zukunftsaussichten
für Afghanistans Regierung. Vor knapp einem Jahr unterzeichneten die USA im Golfemirat Katar einen
Abzugsdeal mit den Taliban. Die Anzahl der verbleibenden US-Truppen ist seitdem auf rund 2500
Soldaten geschrumpft.
Der Einfluss der Taliban hat in zahlreichen Regionen des Landes massiv zugenommen. In manchen
Gebieten am Rande Kabuls haben die Taliban schon seit Längerem wieder das Sagen.
In Kabul wird man für ein Smartphone und ein wenig Kleingeld ermordet
»Jene, die hier herrschen, haben sich ihr eigenes Gefängnis geschaffen«
Der Präsidentenpalast scheint – abgesehen von Beileidsbekundungen nach Anschlägen – zu nichts fähig
zu sein. Während sich die politischen Eliten in ihren gepanzerten Festungen verbarrikadieren oder in
kugelsicheren Kolonnen bewegen, herrscht in Kabul das unkontrollierbare Chaos.
»Jene, die hier herrschen, haben sich ihr eigenes Gefängnis geschaffen. Sie leben in einer Blase, isoliert
vom Rest von uns«, meint ein NGO-Mitarbeiter, der anonym bleiben will. Er erinnert sich daran, wie
man bis vor einigen Jahren noch weite Teile des Landes bereisen und in Kabul sorglos durch die Straßen
laufen konnte. »Heute ist das undenkbar. Die Taliban haben in vielen Regionen das Sagen, und in Kabul
wird man für ein Smartphone und ein wenig Kleingeld ermordet«, sagt er.
Doch es gibt auch Journalisten, die sich noch ins Land hinaus trauen. Fazelminallah Qazizai, 34, ist vor
allem für internationale Medien tätig, zuletzt arbeitete er mit »New Yorker«-Autor Dexter Filkins an
einem Afghanistan-Stück. Mit seinem verstaubten Toyota hat er in den letzten Jahren fast ganz
Afghanistan bereist. Manchmal konnte er nicht weiterfahren, weil sich vor seiner Nase Soldaten und
Talibankämpfer stundenlang beschossen.

»New Yorker«-Mitarbeiter Fazelminallah Qazizai: Job mit Risiko                           Foto: Emran Feroz

Er sagt: »Die meisten Afghanen müssen tagtäglich lange und gefährliche Strecken zurücklegen. Als
Journalist sollte man sich nicht dauerhaft in Kabul verschanzen, sondern auch über das Geschehen
außerhalb der Hauptstadt berichten. Das ist nun einmal unser Job.«
Sein Arbeitsalltag hat sich kaum verändert, was vor allem daran liegt, dass man sein Gesicht nicht
erkennt. »Bekannte Kollegen, die auch regelmäßig im Fernsehen präsent sind, erleben eine andere Art
der Bedrohung«, sagt er. Nicht wenige von ihnen haben mittlerweile das Land verlassen oder planen
ihre Flucht.
»Die Pressefreiheit wird in diesem Land jeden Tag angegriffen«
»Das wird noch einige Zeit lang so weitergehen. Doch für die meisten von uns wird sich nichts ändern.
Wir werden hierbleiben«, prognostiziert Qazizai.
Ähnlich sieht das Zaki Daryabi, Herausgeber der bekannten Tageszeitung »Etilaat Roz«. Das Blatt hat sich
in den letzten Jahren vor allem mit seiner Berichterstattung zum Thema Korruption einen Namen
gemacht – und stellte bekannte Mitglieder der afghanischen Regierung bloß. Dank Leaks und
investigativer Recherchen wurde immer wieder deutlich, wie westliche Hilfsgelder in den Taschen
korrupter Politiker landeten. Entsprechend viele Feinde hat die Zeitung.

»Etilaat Roz«-Herausgeber Zaki Daryabi: Ist für seine Arbeit ausgezeichnet worden      Foto: Emran Feroz

Auch das Büro von »Etilaat Roz« liegt hinter dicken Mauern an einem unscheinbaren Ort in Kabul. Wer
die Eingangstür betritt, wird ausführlich gefilzt und befragt. »Wir erhalten immer wieder Drohungen.
Allerdings sind die Adressaten unbekannt. Sie könnten praktisch von jeder Seite stammen«, erzählt
Daryabi.
Vor Kurzem gewannen er und sein Team den jährlichen Anti-Corruption Award der NGO Transparency
International. »Der Preis hat uns bestätigt, dass wir etwas richtig machen. Er ermutigt uns, unsere Arbeit
trotz der gefährlichen Umstände fortzuführen«, sagt Daryabi. »Die Pressefreiheit wird in diesem Land
jeden Tag angegriffen. Dabei gehört sie zu den fundamentalsten Werten dieses Landes.«
Er geht davon aus, dass sich die Zustände verschlimmern werden, sobald die Taliban nach Kabul
zurückkehren. »Jeder weiß, dass die Taliban nicht viel von einer freien Presse halten«, sagt er. Er will
trotzdem in Kabul bleiben, aber einige seiner Mitarbeiter haben Afghanistan verlassen. Daryabi macht
sich nicht nur um sich, sondern um seine Familie sorgen: »Selbst meine drei kleinen Söhne wissen
mittlerweile, dass sich die Lage in Kabul verschlechtert hat. Sie haben Angst.
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