Individualisierte Medizin durch Medizintechnik - Acatech
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
acatech POSITION Individualisierte Medizin durch Medizintechnik acatech (Hrsg.)
Die Reihe acatech POSITION In dieser Reihe erscheinen Positionen der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften zu technikwissenschaftlichen und techno logiepolitischen Zukunftsfragen. Die Positionen enthalten konkrete Handlungsempfehlungen und richten sich an Entscheidungsträger in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sowie die interessierte Öffent lichkeit. Die Positionen werden von acatech Mitgliedern und weiteren Experten erarbeitet und vom acatech Präsidium autorisiert und he rausgegeben. Alle bisher erschienenen acatech Publikationen stehen unter www.acatech.de/publikationen zur Verfügung.
Inhalt Vorwort 5 Zusammenfassung 6 Projekt 14 1 Einleitung 16 1.1 Medizin heute 16 1.2 Individualisierte Medizin 16 1.3 Bedeutung der Medizintechnik für die Individualisierte Medizin 17 2 Medizintechnische Wegbereiter für eine individualisierte D iagnostik 21 2.1 Bildgebende Verfahren 21 2.1.1 Ultraschall 21 2.1.2 Computertomografie und Magnetresonanztomografie 23 2.1.3 Einzelphotonen-Emissionscomputertomografie und Positronen-Emissionstomografie 23 2.1.4 Optische Bildgebung 24 2.1.5 Neue bildgebende Verfahren für die Klinik 24 2.2 In-vitro-Labordiagnostik 25 2.2.1 Klassische In-vitro-Diagnostik und innovative Hochdurchsatzsequenzierung 25 2.2.2 Point-of-Care-Diagnostik 26 2.2.3 Self-Testing 27 2.3 Integrierte Diagnostik 27 3 Medizintechnische Wegbereiter für eine individualisierte Therapie 29 3.1 Operative und interventionelle Systeme und Verfahren 29 3.1.1 Bildgestützte Intervention 30 3.1.2 Teilautonome und robotische Systeme 31 3.1.3 Strahlentherapie 32 3.2 Prothesen und Implantate 33 3.2.1 Passive Implantate 34 3.2.2 Aktive Implantate 36 3.2.3 Theranostische Implantate 38 3.2.4 Biohybride Implantate 40 3.3 Regenerative Therapien 41 3.3.1 Zelltherapie 42 3.3.2 Tissue Engineering 43
4 Individualisierung durch Digitalisierung 45 4.1 Wissensbasierte Systeme als Assistent und Ratgeber von Ärztinnen und Ärzten 45 4.2 Individuelle Patientenmodelle 47 4.3 Big Data 48 4.4 Telemedizin 50 5 Rahmenbedingungen 53 5.1 Ethische Aspekte 53 5.2 Datenschutz- und persönlichkeitsrechtliche Aspekte 56 5.3 Regulatorische Aspekte 58 5.4 Nutzenbewertung 59 5.5 Gesundheitspolitische Aspekte 60 5.6 Ökonomische Aspekte 61 5.7 Ergebnisorientiertes Gesundheitssystem 63 6 Handlungsempfehlungen 66 6.1 Grundlagen für den Einsatz Individualisierter Medizin 66 6.2 Prozess der Innovation 69 6.3 Organisatorische Voraussetzungen 70 6.4 Strukturbegleitende Forschung und Öffentlichkeitsarbeit 72 Anhang 74 Glossar 74 Abkürzungsverzeichnis 79 Literatur 81
Vorwort sowie unter Einbeziehung externer Expertinnen und Experten erar- Vorwort beitet. So war es möglich, den Beitrag des breiten Spektrums der Medizintechnik zur Individualisierten Medizin herauszuarbeiten und Empfehlungen für eine verbesserte Patientenversorgung und ein Zahlreiche biomedizinische sowie medizintechnische Forschungs- leistungsfähiges Gesundheitssystem auszusprechen. erkenntnisse der letzten Jahre und ihre erfolgreiche Einführung in die medizinische Praxis haben der modernen Medizin eine Fülle Medizintechnik ist für die Individualisierte Medizin von essenziel- an neuen Möglichkeiten eröffnet, um die Gesundheitsversorgung ler Bedeutung, und insbesondere in der Diagnostik ist sie kaum jeder einzelnen Patientin und jedes einzelnen Patienten zu ver- von der molekulargenetisch basierten Individualisierung zu tren- bessern. Dabei wird das Ziel verfolgt, jede Erkrankung möglichst nen. So stehen durch neueste Errungenschaften in den Technik- schnell und nebenwirkungsarm zu heilen, zu lindern oder ihr ganz wissenschaften wertvolle Wegbereiter-Technologien in Bildge- vorzubeugen. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn bung und In-vitro-Diagnostik bereit, um die biologischen alle relevanten patienten- und erkrankungsspezifischen Faktoren Merkmale der einzelnen Patientin und des einzelnen Patienten in die Diagnostik einbezogen werden, um so die individuell best- und der jeweiligen Erkrankung bis auf molekulare Ebene herun- mögliche Therapie auswählen zu können. Dieser seit jeher ver- terzubrechen. In der Therapie verfolgt die Medizintechnik eigene folgte medizinische Ansatz kann heute dank innovativer diagnos- Individualisierungsstrategien. Einerseits können durch eine er- tischer und therapeutischer Methoden umfassender und präziser höhte Präzision chirurgische Eingriffe immer besser an den Krank- umgesetzt werden als je zuvor und entwickelt sich seit einigen heitsprozess angepasst und somit schonender und effizienter Jahren unter dem Begriff „Individualisierte Medizin“ zu einem der durchgeführt werden. Andererseits ermöglichen maßgeschneider- Grundpfeiler eines zukunftsorientierten Gesundheitswesens. te Implantate ein Höchstmaß an Individualisierung und können so den Therapieerfolg deutlich steigern. Der Erfolg einer Individu- Im Jahr 2014 veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissen- alisierten Medizin ist dabei untrennbar mit der Digitalisierung schaften Leopoldina in Zusammenarbeit mit acatech – Deutsche der Medizin verbunden, sodass diese Thematik mit ihrem großen Akademie der Technikwissenschaften und der Union der deutschen Potenzial, aber auch mit ihren Herausforderungen und Risiken in Akademien der Wissenschaften eine gemeinsame Stellungnahme, dieser acatech POSITION gesondert adressiert wurde. um aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Rahmenbedin- gungen der Individualisierten Medizin beispielhaft anhand moleku- Die Individualisierung der Medizin schreitet voran, muss jedoch largenetischer und pharmakologischer Aspekte der Onkologie darzu- in vielen Bereichen ihren Weg in die flächendeckende klinische stellen. Dabei wurde deutlich, dass diese komplexe und alle Bereiche Anwendung erst noch finden. Es ist daher notwendig, sich neben des Gesundheitswesens umfassende Thematik nicht hinreichend im den zahlreichen medizintechnischen Möglichkeiten ebenso mit Rahmen einer Stellungnahme behandelt werden konnte und eine den ethisch-rechtlichen, ökonomischen und regulatorischen Her- weiterführende Aufarbeitung spezifischer Bereiche notwendig war. ausforderungen auseinanderzusetzen. Dazu gehören beispiels- weise die Patientenorientierung und die Zugangsgerechtigkeit Wegen des großen politischen sowie gesellschaftlichen Interes- individualisierter Medizintechnik, Fragen zu Datenschutz und in- ses und des unbestreitbaren Potenzials der Individualisierten formationeller Selbstbestimmung vor dem Hintergrund der Digi- Medizin für eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung talisierung sowie die Nutzenbewertung, aber auch die Finanzier- legt acatech mit dieser Veröffentlichung eine Darstellung des barkeit individualisierter Medizinprodukte. Themas Individualisierte Medizin durch Medizintechnik vor. An dieser Stelle danken wir allen Mitwirkenden der Arbeitsgrup- Die vorliegende acatech POSITION wurde in den vergangenen zwei pe herzlich für ihr großes Engagement bei der sorgfältigen Ausar- Jahren von über dreißig Vertreterinnen und Vertretern aus Wissen- beitung dieser acatech POSITION, die inhaltlich durch die Deut- schaft und Wirtschaft in zahlreichen Sitzungen und Workshops sche Gesellschaft für Biomedizinische Technik unterstützt wird. Dieter Spath Henning Kagermann Thomas Lenarz Präsident acatech Präsident acatech Sprecher acatech Themennetzwerk Gesundheitstechnologien 5
nebenwirkungsarmen Präventions-, Diagnostik- oder Therapie- Zusammenfassung maßnahmen zu nutzen. In diesem Zusammenhang gelten die stratifizierende Medizin und die maßgeschneiderte Medizin als wirksame Strategien, um die Implementierung der Individuali- Die moderne Medizin hat in den vergangenen hundert Jahren sierten Medizin in die Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. maßgeblich dazu beigetragen, die Lebensqualität und die Le- Insbesondere die Präzisionsmedizin wird dabei als ein essenziel- benserwartung der Bevölkerung wesentlich zu erhöhen. Dank les Werkzeug der modernen Medizin zur Realisierung der Indivi- der beständigen Fortschritte in der biomedizinischen und medi- dualisierten Medizin verstanden. zintechnischen Forschung sowie in ihrer klinischen Umsetzung ist mittlerweile ein hohes Versorgungsniveau erreicht. Dennoch Das Grundkonzept der Individualisierten Medizin ist nicht neu: sieht sich die moderne Medizin mit einer Vielzahl von Heraus Schon immer haben Ärztinnen und Ärzte anhand individueller forderungen konfrontiert, die das Gesundheitssystem und die Patientendaten und phänotypischer Krankheitsfaktoren Differen- Gesellschaft insgesamt betreffen und nach neuen Lösungsstrate- zialdiagnosen erstellt, auf deren Basis dann patienten- und er- gien verlangen, insbesondere vor dem Hintergrund des demo- krankungsspezifische Therapieentscheidungen getroffen wurden. grafischen Wandels. Dabei gilt es, ethische, rechtliche, regulato- Neueste Erkenntnisse in Humangenomforschung, Pharmakologie rische und ökonomische Rahmenbedingungen zu beachten, um und Medizintechnik haben jedoch dazu geführt, dass die Indivi- eine hochwertige und sozial ausgewogene Gesundheitsversor- dualisierte Medizin heute viel präziser und umfassender zum Ein- gung zu gewährleisten. satz kommen kann. Hier besteht jedoch die Herausforderung eines adäquaten Wirksamkeitsnachweises für individualisierte Der stark wachsenden Nachfrage nach Leistungen der Gesund- medizinische Verfahren und Produkte. Einerseits eröffnet die Indi- heitsversorgung zur Vorbeugung und Behandlung chronischer vidualisierte Medizin durch eine zunehmende Stratifizierung die Erkrankungen und Multimorbidität sowie der Forderung nach Möglichkeit, die im Rahmen der evidenzbasierten Medizin (EbM) einer stärkeren individuellen Patientenorientierung stehen wis- geforderten statistisch gesicherten Wirksamkeitsnachweise durch senschaftlich-technische Innovationen gegenüber. Sie stellen klinische Studien an kleineren, homogeneren Patientengruppen eine wachsende Wissensbasis für die Entwicklung verbesserter zu erbringen. Andererseits erfordert der Einsatz therapeutischer Diagnose-, Therapie- und Präventionsmöglichkeiten bereit. Diese Unikate für individuelle Patientinnen und Patienten im Sinne der Entwicklungen werden die Zukunft der Medizin in nahezu allen maßgeschneiderten Medizin eine Weiterentwicklung der aktuel- Disziplinen entscheidend verändern. Dabei besteht die große len Methoden des Wirksamkeitsnachweises. Herausforderung darin, die damit möglich werdenden Gesund- heitsleistungen für die Patientinnen und Patienten in der Breite Im Jahr 2014 wurden in einer gemeinsamen Stellungnahme der zugänglich zu machen. Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften und der Union Als Reaktion auf die veränderten Anforderungen an die moder- der deutschen Akademien der Wissenschaften die Voraussetzun- ne Medizin ist in den vergangenen Jahren die Individualisierte gen und Konsequenzen einer molekulargenetisch und pharmako- Medizin als Gesundheitsversorgungskonzept wieder in den Vor logisch basierten Individualisierten Medizin vorgestellt. Die vor- dergrund gerückt. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass die indivi- liegende acatech POSITION identifiziert darüber hinaus aktuelle duellen biologischen Eigenschaften einer jeden Patientin und Entwicklungen von Medizinprodukten sowie von System- und Pro- eines jeden Patienten, ebenso wie die Einflüsse der individuel- zesslösungen verschiedener Technologieschwerpunkte, die den len Lebensweise und der Umwelt, einen maßgeblichen Einfluss Beitrag der Medizintechnik zur Individualisierten Medizin in ver- auf die jeweilige Erkrankung haben. Sie bestimmen, mit wel- schiedenen Dimensionen belegen. Wesentlich ist dabei die Ent- cher Wahrscheinlichkeit die Patientin beziehungsweise der wicklung und Umsetzung bedarfs-, qualitäts- und nutzenorientier- Patient eine spezifische Erkrankung entwickelt, wie diese Er- ter Strategien für eine hochwertige Patientenversorgung – mit krankung verläuft und in welchem Maße die Patientin bezie- dem Ziel, höchstmögliche Sicherheit auf dem neuesten Stand von hungsweise der Patient auf bestehende Therapiemöglichkeiten Wissenschaft, Technik und Medizin zu erreichen. reagiert. Ziel der Individualisierten Medizin ist es, durch eine präzise Diagnostik die relevanten Einflussfaktoren patienten- In der Vergangenheit wurden insbesondere bildgebende Syste- und erkrankungsspezifisch zu ermitteln und sie als Grundlage me, Labordiagnostika sowie Labortechnik, verschiedene Diagno- für die Auswahl und Durchführung von hochwirksamen und se- und Therapiegeräte, Implantate und Rehabilitationshilfen 6
Zusammenfassung als Medizintechnik oder Medizinprodukte betrachtet. Heute wird Krankenbett, im Operationssaal, in der Ambulanz oder am Un- diese Aufzählung um die innovative Zell- und Gewebetechnik, fallort. Die konzeptionelle Besonderheit besteht in der soforti- aber auch um Telemedizin-, E-Health- und Software-Anwendun- gen Verfügbarkeit des Resultates unmittelbar bei der Patientin gen, Dienstleistungen im Informations- und Kommunikations beziehungsweise dem Patienten. Daraus ergeben sich ein Zeit- bereich sowie Gesundheitsmanagement ergänzt. vorteil sowie die Möglichkeit, aus dem Laborwert kurzfristig Ent- scheidungen über weitere diagnostische und therapeutische Biomarkerbasierte Stratifizierung durch Bildgebung Schritte abzuleiten. und In-vitro-Diagnostik Ein Zukunftsfeld für Point-of-Care-Testing stellt die Companion Über die Anamnese im Patient-Arzt-Gespräch hinaus bietet die Diagnostic dar, also die biomarkerbasierte therapiebegleitende moderne Medizin heute ein breites Spektrum an diagnostischen Diagnostik, vermehrt jedoch auch die Selbstkontrolle (Self- Verfahren, die dank innovativer medizintechnischer Entwicklung Testing) direkt bei der Patientin beziehungsweise dem Patienten, eine immer präzisere Darstellung der individuellen biomedizini- beispielsweise in der Glukosebestimmung bei Diabetes. Dies schen Eigenschaften von Patientinnen und Patienten und ihrer führt zu einem völlig neuen Selbstverständnis bei aufgeklärten spezifischen Erkrankung ermöglichen. Patientinnen und Patienten mit entsprechender Therapietreue und zeigt nachweisbar positive Effekte für den individuellen Die Bedeutung der Bildgebung zieht sich durch alle Bereiche der Krankheitsverlauf. Die Kontroverse um die Direct-to-Customer- medizinischen Versorgungskette. Die Daten aus Ultraschall, Tests beleuchtet jedoch auch die Risiken des Self-Testing und ver- Computertomografie, Magnetresonanztomografie, Positronen- deutlicht, dass diese innovative Form der Diagnostik und der Emissionstomografie und immer häufiger auch optischer Bild Therapiebegleitung nur dann medizinisch vertretbar ist, wenn in- gebung stellen als lokale Biomarker biologische Prozesse im In- formierten Patientinnen und Patienten der inhaltliche Kontext dividuum dar, sowohl im frühen Stadium einer Erkrankung als bekannt ist, im einfachsten Falle durch Aufklärung durch die be- auch in der Verlaufs- und Erfolgskontrolle einer Therapie. Dabei handelnde Ärztin beziehungsweise den behandelnden Arzt. werden Diagnostik und Therapie immer häufiger nach dem Prin- zip der „Theranostik“ zusammengeführt, beispielsweise in der Erhöhte Präzision im Operationssaal mithilfe bild-, Radioonkologie. Die Vielzahl der heutigen diagnostischen Mög- computer- und robotergestützter Systeme lichkeiten wirkt sich jedoch erschwerend auf die Auswahl der richtigen Untersuchungsmethode aus, besonders vor dem Hin- Die demografische Entwicklung geht aufgrund der steigenden tergrund der individuellen klinischen Fragestellung. An dieser Zahl an älteren multimorbiden Patientinnen und Patienten mit Stelle müssen entsprechende Leitlinien zum Einsatz kommen, einem erhöhten Bedarf an möglichst schonend und präzise welche die Qualität des Untersuchungsergebnisses, die Belas- durchgeführten Eingriffen einher. Dahinter steht die Motivation, tung der Patientin beziehungsweise des Patienten und auch den die Behandlungs- und Lebensqualität zu verbessern, Komplika finanziellen Aufwand gegeneinander abwägen. tionen zu reduzieren und eine Verkürzung der Krankenhaus aufenthaltsdauer zu erzielen. Die Verbesserung der Präzision des Die In-vitro-Labordiagnostik (IVD) zeichnet sich durch eine an Eingriffes auf Basis innovativer medizintechnischer Produkte der Krankheitspathogenese orientierte systemische Sichtweise und Verfahren ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Konzeptes aus, die auf Messungen physikalischer, (bio-)chemischer und ge- der Individualisierten Medizin. netischer Eigenschaften von menschlichem Untersuchungs material basiert. Sie liefert zur Bildgebung komplementäre Besonders hervorzuheben sind hier chirurgische Eingriffe unter Patienteninformationen für eine präzise und umfassende indivi- direkter (Echtzeit-)Bildgebungskontrolle mithilfe teilautonomer dualisierte Diagnostik. Diese bildet die Basis für Prävention, computergestützter Navigationssysteme. Darüber hinaus besteht Prognose sowie Therapieplanung und -überwachung, nicht nur die Möglichkeit, anhand präoperativ erhobener Bilddatensätze bei Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Arteriosklerose oder individuelle Patientenmodelle zu erstellen, um neben einer ver- Diabetes mellitus, sondern auch bei Infektionskrankheiten. Eine besserten Therapieplanung sowie einer genaueren Prognostik effiziente Labordiagnostik wird durch die Zentralisierung der La- zum Therapieerfolg auch das Vorgehen für den geplanten Ein- borleistungen ermöglicht. Diametral zu einer Zentralisierungs- griff zu trainieren. Die hier genutzten medizintechnischen Pro und Effektivitätssteigerung in Großlabors gibt es den Trend zur dukte und Verfahren kommen insbesondere in der Neurochirur- dezentralen Labordiagnostik (Point-of-Care-Testing) direkt am gie, bei kardiovaskulären oder onkologisch-interventionellen 7
Eingriffen sowie bildgestützten Biopsien zum Einsatz. Auch in der und Therapie in einem System vereinen: Über Sensoren werden Strahlentherapie hat die Individualisierung der Therapiemaßnah- pathologische Zustandsveränderungen im Körper gemessen, wo- men dazu geführt, dass Tumorerkrankungen präziser und damit raufhin im Rahmen eines geschlossenen Regelkreises individuali- auch nebenwirkungsärmer behandelt werden können. sierte therapeutische Maßnahmen durchgeführt werden können. Die Herausforderung der Individualisierten Medizin besteht darin, Viele der rein technischen Implantate zählen bereits heute zum allen Patientinnen und Patienten die modernste und effektivste Behandlungsstandard bei der Unterstützung oder dem Ersatz Behandlungstechnologie zur Verfügung zu stellen, diese vorher je- anatomisch oder physiologisch geschädigter Organe. Allerdings doch einer adäquaten Nutzenbewertung zu unterziehen. Da sich verfügen diese Implantatsysteme bisher häufig noch nicht über die Technologien beständig weiterentwickeln, ist die Erhebung die notwendigen Eigenschaften zur Gewährleistung einer der geforderten Langzeiterfolgsdaten oftmals nicht möglich. patientenindividuellen Biokompatibilität als Basis für eine le- benslange Haltbarkeit. Dies kann zu schweren klinischen Kom- Entwicklung maßgeschneiderter Prothesen und plikationen führen, die sowohl erhebliche Risiken für einzelne Implantate als therapeutische Unikate Patientinnen und Patienten als auch eine hohe wirtschaftliche Belastung für das Gesundheitssystem darstellen. Um dieser Die große Vielfalt an Prothesen und Implantaten belegt den er- Problematik zu begegnen, wird die Entwicklung biohybrider folgreichen Einsatz medizintechnischer therapeutischer Lösungen Implantate massiv vorangetrieben. Diese vereinen eine gute für die anatomische sowie funktionelle Unterstützung oder den Patientenverträglichkeit durch biologische Materialien mit der Ersatz pathologisch veränderter Organe und Organsysteme. Auch mechanischen Stabilität und Funktionalität technischer Implan- in diesem hochtechnisierten medizinischen Feld basieren viele Ver- tate. Dabei ermöglicht insbesondere die Verwendung autolo- besserungsstrategien auf dem Konzept der Individualisierung. ger, also patienteneigener Zellen die Herstellung von maß geschneiderten Unikaten wie zum Beispiel dezellularisierten Passive Implantate sind vielfältige Beispiele für die maß Herzklappen und Gewebe für den Hautersatz oder die Funktio- geschneiderte Medizin auf Basis präziser anatomischer und nalisierung technischer Unterstützungssysteme und Implanta- funktioneller dreidimensionaler Bilddatensätze. Kardiovaskuläre te. Hier bestehen viele Anknüpfungspunkte zum interdisziplinä- Stents, orthopädische oder auch dentale Implantate zeichnen ren Forschungsfeld der regenerativen Medizin, insbesondere bei sich im Rahmen der Individualisierung durch ihre individuell an der Nutzung biotechnologischer Methoden zellbasierter Thera- die Patientin beziehungsweise den Patienten angepasste Form pien und des Tissue Engineering. Die Weiterentwicklung bio und Oberflächenfunktionalisierung aus. hybrider Implantate zeigt zum einen das große Innovations potenzial dieser Technologie und weist zum anderen auf einen Im Gegensatz zu den passiven Implantaten sind aktive Implan- hohen klinischen Bedarf hin. Eine zeitgerechte und patien- tate mit einer Energiequelle ausgestattet. Insbesondere eine tenadaptierte Implantation soll eine Vielzahl klinischer Aufent- präzise und multimodale Funktionsdiagnostik ermöglicht es, halte vermeiden und die Lebensqualität bei möglichst unein Patientinnen und Patienten bei der bestmöglichen Auswahl von geschränkter Mobilität erhalten. kardialen, audiologischen oder neurologischen Implantaten zu unterstützen. Die Auswahl basiert auf den individuellen Patien- Integrierte und intelligente Nutzung von tenbedürfnissen sowie der individuellen Programmierung diver- Forschungs- und Patientendaten durch eine ser Parameter zu Therapiezwecken und deren telemedizinischer digitalisierte Medizin Überwachung. Innovative Biosensorik ermöglicht es darüber hi- naus, verschiedenste Biomarker zur Funktionsdiagnostik sowie Die Zukunft der gesamten Medizin wird durch eine immer stärke- postoperativen Vitalitätsbeurteilung von Gewebe zu messen re Digitalisierung geprägt sein. Alle Mess- und Labordaten, Bil- und darauf abgestimmt individuelle Präventionsmaßnahmen der, Anamnesen, Diagnosen und Therapieversuche werden als einzuleiten. digitale Datensätze verfügbar sein. Um diese Datensätze zur Gewährleistung und Optimierung einer auf die individuellen Be- Heute haben die meisten der beschriebenen aktiven Implantate dürfnisse der Patientinnen und Patienten ausgerichteten Gesund- entweder eine diagnostische oder eine vorprogrammierte thera- heitsversorgung nutzen zu können, müssen die Daten zusammen- peutische Funktion. Theranostische Implantate stellen eine Wei- geführt werden können, auch wenn sie aus sehr unterschiedlichen terentwicklung dieser aktiven Implantate dar, da sie Diagnostik Quellen stammen. Weiterhin ist sicherzustellen, dass die Daten 8
Zusammenfassung erstens überall und unmittelbar dort verfügbar sind, wo ein definiert, die Netzsicherheit ist ausreichend, und Verfahren für Patientennutzen zu erwarten ist und eine entsprechende Zu- einen guten Datenschutz sind verfügbar. So stellt sich die Frage, gangsberechtigung vorliegt, und dass sie zweitens auf die best- wie man der Telemedizin zu einer höheren Akzeptanz aufseiten mögliche Art ausgewertet werden können, um sowohl für aktuel- der medizinischen Heilberufe und der zugrunde liegenden Ver le als auch für zukünftige Patientinnen und Patienten mit gütungsstrukturen verhelfen kann. ähnlichen Erkrankungen einen Nutzen erzielen zu können. In diesem Spannungsfeld muss die Bedeutung der medizinischen Viele Anforderungen an medizinische Informationssysteme der Informationssysteme und der Telemedizin für die Individualisier- Zukunft können auch ohne spezielle Methoden der Verarbeitung te Medizin bewertet werden. Welche Entwicklungen sollten geför- großer Datenmengen und -typen (Big Data) erfüllt werden. Die dert werden, um einen großen Nutzen für die individuelle Patien- zu lösenden Probleme betreffen Fragen nach potenziellen Schnitt- tin und den individuellen Patienten zu erreichen? stellen, Datenzugriffsrechten, Datenschutz, regulatorischen As- pekten oder Refinanzierung. Aber auch heute sind bereits Be reiche identifizierbar, in denen mit Big-Data-Methoden Wissen Rahmenbedingungen für eine generiert werden kann, um Patientinnen und Patienten mit indi- Individualisierte Medizin durch viduellen Therapien zu helfen, zum Beispiel in der Onkologie. Medizintechnik Zu den Gesundheitsdaten, die in einer medizinischen Umge- bung mit geprüften Medizingeräten erfasst werden, kommen in Neben der Darstellung der Bedeutung der Medizintechnik für die Zukunft immer mehr Informationen hinzu, die durch Point-of- Individualisierte Medizin anhand verschiedener Technologie- Care-Testing, Self-Testing oder Gesundheits-Apps erfasst wer- schwerpunkte behandelt die vorliegende acatech POSITION auch den. Gleichzeitig wird auch die Gruppe derer, die die Gesund- gesellschaftliche sowie politische Voraussetzungen, die notwen- heitsdaten nutzen, zunehmend diversifiziert. In einer Gruppe dig sind, damit das technologische Potenzial der Medizintechnik finden sich gesunde Menschen, die Interesse oder Spaß daran einen effektiven Beitrag zur Verbesserung der Gesundheitsversor- haben, ihre eigenen Gesundheitsdaten zu kennen. Eine weitere gung durch Individualisierte Medizin leisten kann. Gruppe setzt sich aus Menschen zusammen, die befürchten, krank zu sein, und die Hilfe bei der Entscheidung benötigen, ob Klärung vielfältiger ethischer Fragen sie zum Arzt gehen sollen. Die dritte Gruppe schließlich bilden Menschen, die wirklich krank sind. Sie verlangen nach einer pro- Eine ethische Analyse der medizintechnikbasierten Individuali- fessionellen Behandlung mit Unterstützung zugelassener medi- sierten Medizin stellt in mehrfacher Hinsicht eine Herausforde- zintechnischer Systeme. rung dar. Dies betrifft neben der Begrifflichkeit selbst vor allem die Diversität der technologischen Anwendungsfelder und da- Zunehmend wird der Gesundheitszustand von Patientinnen und mit einhergehend viele unterschiedliche Ansatzpunkte einer Patienten mit Methoden der Telemedizin präventiv oder thera- medizinethischen Bewertung. Hinzu kommt, dass sich viele An- peutisch überwacht, wobei sowohl am Körper zu tragende als wendungsfelder erst im Frühstadium der Entwicklung befin- auch implantierte Sensoren zum Einsatz kommen. Die Telemedi- den, sodass der weitere Fortschritt nur begrenzt vorhersagbar zin bezieht dabei neben den biologischen Eigenschaften der ist und mögliche Szenarien nur als Prognose bewertet werden Patientin beziehungsweise des Patienten auch die individuellen können. So werden Maßnahmen in ethischer Hinsicht als umso Lebensumstände in die Versorgung mit ein und ist damit ein problematischer beurteilt, je unwahrscheinlicher ihr Einsatz ist, Werkzeug, das besonders geeignet ist, um die Individualisierte und es wird eine erneute Evaluation im Frühstadium der An- Medizin zu unterstützen und als essenziellen Bestandteil einer wendung notwendig. Letztendlich können einige der neuen patientenorientierten Gesundheitsversorgung zu realisieren. Entwicklungen im Bereich der Individualisierten Medizin je Gegenwärtig verläuft die Integration telemedizinischer Systeme nach Absicht der Verantwortlichen zum Wohle der Patientin- in die medizinische Versorgung leider gegenläufig zu ihrer tech- nen und Patienten, aber auch missbräuchlich eingesetzt wer- nischen Leistungsfähigkeit. Ungeachtet der positiven Erfahrun- den. Hier besteht das Risiko, dass eine neu entwickelte Techno- gen in Pilotprojekten treten Schwierigkeiten eher bei Fragen der logie aufgrund eines bestehenden missbräuchlichen oder Vergütung, der Haftung und der Datensicherheit und weniger manipulativen Potenzials negativ bewertet wird. Diese Punkte auf technologischer Ebene auf. Die Schnittstellen sind gut machen deutlich, dass eine konkrete ethische Evaluation 9
letztlich von der jeweils betrachteten Medizintechnik und ih- Besondere Herausforderungen ergeben sich bei Kombinations- rem aktuellen Entwicklungsstand abhängig ist. Dennoch fin- produkten an der Grenze zwischen Medizinprodukt und Arznei- den sich zahlreiche individualethische, sozialethische und mittel sowie individuell angefertigten Medizinprodukten. medizinethische Themen, die vor dem Hintergrund einer um- fassenden Implementierung der Individualisierten Medizin In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass zurzeit die dringenden Klärungsbedarf aufweisen. Dies betrifft vor allem klinische Nutzenbewertung für den Einsatz von medizintech den Datenschutz, die Big-Data-Thematik, die informationelle nischen Verfahren und Produkten im Hinblick auf die Individua- Selbstbestimmung, die Eigenverantwortlichkeit der und des lisierte Medizin nur unzureichend möglich ist, da es an ausrei- Einzelnen, Zugangsgerechtigkeit und Patientenorientierung so- chend validierten Methoden mangelt. So ist die Grundlage für wie Aspekte möglicher Stigmatisierungs- oder Entstigmatisie- die Einführung in die klinische Versorgung nur bedingt zu schaf- rungseffekte durch Individualisierte Medizin. fen. Daher sind die Entwicklung und Validierung geeigneter Ver- fahren wie zum Beispiel klinischer Medizinprodukteregister oder Schutz gesundheitlicher Daten Patientenmodelle, die eine Prädiktion des Ergebnisses bei diag- nostischen und therapeutischen Verfahren erlauben, sowie die In der Individualisierten Medizin werden zum Zweck der Stratifi- Definition allgemein akzeptierter Parameter und Kriterien für die zierung von Patientinnen und Patienten in wachsendem Ausmaß klinische Nutzenbewertung erforderlich. Die grundsätzlich beste- unterschiedliche und umfassende Gesundheitsdaten und Para- hende Problematik der langen Zeiträume, welche für die klini- meter benötigt. Auch die Medizintechnik spielt im Zusammen- sche Bewertung im Vergleich zu den kurzen Innovationszyklen hang mit dem Gesundheitsdatenschutz hierbei eine wichtige von Medizinprodukten nötig sind, wird durch die Individualisier- Rolle. Neben diagnostischen Verfahren, die Patientendaten erst- te Medizintechnik noch verschärft. mals generieren, ist auch die datenverarbeitende und analysie- rende medizinische Informationstechnologie für eine Individuali- Das Inverkehrbringen von Medizinprodukten und die Regulie- sierte Medizin von großer Bedeutung. Dies gilt auch für rung der mit Medizinprodukten verbundenen Sicherheits- und individualisierte Medizinprodukte, zum Beispiel Prothesen und Leistungsanforderungen stehen in engem Zusammenhang mit Implantate. Das Medizinprodukterecht enthält zwar Regelungen der Sicherheit, besonders von Patientinnen und Patienten. Die- zur Sicherheit der Medizinprodukte, doch ist damit lediglich die ser Aspekt gilt umso mehr für individualisierte Medizinprodukte, Funktionsfähigkeit, nicht aber die Datensicherheit gemeint. wenn diese durch unterschiedliche Komponenten (zum Beispiel Ferner stellt die zunehmende System- und Technikgestaltung im technisch, biologisch, pharmazeutisch) gekennzeichnet sind. Gesundheitswesen eine Herausforderung für den Datenschutz Eine Flankierung von FuE-Fördermaßnahmen durch eine gezielte dar. Ein wichtiges Beispiel ist hier das aktuell verabschiedete Aufbereitung und Bereitstellung regulatorischer Informationen E-Health-Gesetz, das die bundesweite Einführung einer Telema- könnte den Transfer individualisierter Medizintechnik in den tik-Infrastruktur vorsieht und Gesundheitsdienstleister über die Markt auch in dieser Hinsicht entscheidend verbessern. elektronische Gesundheitskarte miteinander vernetzen soll. Erstattung individualisierter Medizinprodukte Regulatorische Behandlung von Medizinprodukten Um individualisierte medizintechnische Verfahren und Produkte Die regulatorische Behandlung von Medizinprodukten nähert für eine bessere Gesundheitsversorgung in die Erstattung durch sich zunehmend an die Regelungen im Arzneimittelbereich an Krankenkassen zu bringen und flächendeckend nutzen zu kön- und wird damit teilweise deutlich komplexer, zeit- und kosten nen, müssen Lösungen gefunden werden, um diese Produkte im intensiver. Dies bedeutet auch für Medizinproduktehersteller eine Gesundheitssystem zu verankern und im Markt bezahlbar zu ma- Umstellung sowie teilweise steigenden Aufwand und ein höheres chen. Dabei kommt der Gesundheitspolitik die Aufgabe zu, bei wirtschaftliches Risiko, insbesondere für kleine und mittelstän prinzipiell begrenzten Ressourcen eine ausgewogene Balance dische Unternehmen. Doch auch für Forschungseinrichtungen, zwischen verschiedenen, teilweise entgegengesetzten individuel- die im Zuge des Technologietransfers im Bereich Forschung und len Interessen und dem Gemeinwohl herzustellen. Die große He- Entwicklung (FuE) Ergebnisse zuliefern, wird es immer wichtiger, rausforderung für die medizintechnikbasierten diagnostischen Aspekte der späteren Konformitätsbewertung als Medizinprodukt und therapeutischen Maßnahmen der Individualisierten Medizin bereits frühzeitig in die Forschungsarbeiten zu integrieren. besteht darin, dass zu wenig Empirie als Evidenzbasis generiert 10
Zusammenfassung werden kann, um eine allgemeine Verteilung von Budget-Ele- §§ durch ihren Fokus auf die einzelne Patientin beziehungswei- menten zu rechtfertigen. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass se den einzelnen Patienten zu einer gesteigerten Qualität die Rahmenbedingungen für eine Erstattung individualisierter und einer verbesserten Versorgungsstruktur beitragen. Fort- Medizinprodukte und Verfahren in Deutschland komplex und schritte dieser übergreifenden Art werden nur durch eine wenig transparent sind. Die Vergütungspraxis und weitere öko- entsprechende strukturbegleitende Forschung des Gesund- nomische Aspekte sind darüber hinaus Gegenstand regelmäßi- heitswesens identifiziert werden können. Auf beiden Hand- ger Diskussionen. Insgesamt ist die Medizinproduktentwicklung lungsebenen besteht erheblicher Reformbedarf, um diesen für Unternehmen aufgrund der Komplexität und Unsicherheit Beitrag in der Gesundheitsversorgung zuzulassen und des- der Regulierungspraxis mit hohen Risiken verbunden. Diese Risi- sen statistische Erfassung und Bewertung zu erlauben. Ange- ken können dazu führen, dass Ideen und Konzepte nicht weiter- sichts der vielfältigen Vorbehalte, die mittlerweile im gesell- verfolgt werden und daher nicht bei der Patientin beziehungs- schaftlichen Diskurs gegenüber neuen Techniken und den weise dem Patienten ankommen. damit möglicherweise verbundenen Risiken offenbar wer- den, gilt es zudem, die Öffentlichkeit zu informieren und sie Es ist zu erwarten, dass individualisierte Medizinprodukte mit in diesen Prozess der Weiterentwicklung und der begleiten- steigenden Gesamtkosten auf Systemebene verbunden sein wer- den wissenschaftlichen Systemanalyse der Gesundheitsver- den. Zum einen werden die nachgefragten Mengen steigen, da sorgung miteinzubeziehen. viele Patientinnen und Patienten, für die zuvor keine oder nur eine geringe Behandlungsmöglichkeit bestand, die Chance auf Zur Unterstützung dieser Reform werden die in der Folge aufge- eine zielgenau(er)e und damit effektive(re) Therapie erhalten führten Handlungsempfehlungen ausgesprochen. Deren Adres- werden. Zum anderen werden die Preise steigen, da die verschie- saten finden sich in der Übersicht auf Seite 13). denen Therapien häufig nur kleine Patientengruppen betreffen. Auf diese kleinen Gruppen müssen jedoch die mengenunabhän- Grundlagen für den Einsatz Individualisierter Medizin gigen FuE-Kosten umgelegt werden. Handlungsempfehlung 1: Darüber hinaus wird Individualisierte Medizin zu erheblichen acatech empfiehlt die bedarfsorientierte Weiterentwicklung Veränderungen in den Bereichen Personal, Struktur, Ablauf und und Implementierung der Digitalisierung in der Medizin als Organisation der Leistungserbringung, in der Übernahme von eine der zentralen Voraussetzungen für den Einsatz der Individu- Kosten und im Patientenverhalten führen. alisierten Medizin. Dies gilt insbesondere für Ansätze, die die Verknüpfung von Gesundheitstechnologien mit Informations- und Kommunikationstechnologien stärken. Die Schaffung einer Empfehlungen an Politik, Wirtschaft, nationalen Datenbank durch zentrale Förderschwerpunkte er- Wissenschaft und Gesellschaft möglicht in diesem Zusammenhang einen effizienten Daten austausch für Forschungs- und Behandlungszwecke sowie eine Eine erfolgreiche Implementierung der Individualisierten Medizin verbesserte Nutzenbewertung. in ein zukunftsorientiertes Gesundheitssystem wird nicht zuletzt davon abhängen, in welchem Umfang und in welchem Rahmen Handlungsempfehlung 2: die beschriebenen Entwicklungen der Medizintechnik genutzt acatech empfiehlt die systematische Entwicklung und den werden, um weitere Verbesserungen der Gesundheitsversorgung Ausbau von Patientenmodellen, wissensbasierten Informa- zum Wohle der Patientinnen und Patienten zu erzielen. Ansätze tions- und Ratgebersystemen sowie deren konsequente Erpro- dazu betreffen zwei Handlungsebenen. Die Medizintechnik kann: bung und Validierung anhand von fachspezifischen Leitfäden in allen medizinischen Disziplinen. §§ dem Prozess der Forschung, Entwicklung und Bewertung von individualisierten Medizinprodukten sowie deren Translation Handlungsempfehlung 3: in die klinische Versorgung starke Impulse geben. Mittels ei- acatech empfiehlt die Erforschung neuer Materialien sowie gens dafür entwickelter Verfahren kann sie zudem dabei hel- Produktionstechniken und -konzepte zur Herstellung individu- fen, den Nutzen dieser spezifischen Medizinprodukte für die alisierter Medizinprodukte, insbesondere von Implantaten als Patientinnen und Patienten zu bewerten. technische oder biologische therapeutische Unikate. 11
Prozess der Innovation Zusammenschluss soll die Form eines virtuellen Nationalen Zen- trums für individualisierte Medizintechnik haben, um das in Handlungsempfehlung 4: Deutschland vorhandene große Potenzial der Medizintechnik für acatech empfiehlt die Förderung der Translation durch die die Individualisierte Medizin ausschöpfen zu können. Etablierung von Kollaborationen zwischen Forschungs-, Indus trie- und Klinikpartnern vergleichbarer Exzellenz. Als Plattform Handlungsempfehlung 7: sind regionale Translationszentren geeignet, welche die Verwer- acatech empfiehlt die nachhaltige Weiterentwicklung der tung von Forschungsergebnissen für die Individualisierte Medi- Förderprogramme des Bundesministeriums für Bildung und zin auf dem Gebiet der Medizintechnik entscheidend verbessern, Forschung zur individualisierten Medizintechnik sowie die Ein- den Weg in die medizinische Versorgung beschleunigen und das führung eines Fachkollegiums Medizintechnik der Deutschen wirtschaftliche Potenzial nutzbar machen können. Forschungsgemeinschaft, um bisher ungenutztes Potenzial der Medizintechnik für Individualisierte Medizin ausschöpfen zu Handlungsempfehlung 5: können. acatech empfiehlt die Etablierung eines nationalen Gremiums, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Forschung, der Handlungsempfehlung 8: medizintechnischen Industrie und der klinischen Medizin sowie acatech empfiehlt, die Strukturen im Gesundheitswesen für regulatorischen Behörden und Ausschüssen. Dieses Gremium hat die Erprobung, Nutzenbewertung und Kostenbetrachtung von den Auftrag, geeignete Kriterien sowie Leitlinien für die Wirk- innovativen medizintechnischen Verfahren und Produkten für samkeits-, Qualitäts- und Nutzenbewertung individualisierter die Individualisierte Medizin vorzubereiten. medizintechnischer Verfahren und Produkte zu entwickeln, ein- schließlich der klinischen Prüfung. Begleitforschung und Öffentlichkeitsarbeit Organisatorische Voraussetzungen Handlungsempfehlung 9: acatech empfiehlt den Ausbau strukturbegleitender For- Handlungsempfehlung 6: schung, die sich vor dem Hintergrund des Beitrags der Medizin- acatech empfiehlt den Zusammenschluss der medizintechni- technik für die Individualisierte Medizin mit den Themen Regu- schen Forschungs- und Translationsaktivitäten in Kooperation lierung, Ökonomie und Erstattung sowie Versorgungsforschung mit medizintechnischen Industrie- und Klinikpartnern. Dieser und Akzeptanz in der Gesellschaft auseinandersetzt. 12
Zusammenfassung Adressaten der Handlungsempfehlungen HE 1 HE 2 HE 3 HE 4 HE 5 HE 6 HE 7 HE 8 HE 9 Gesetzgeber, Ministerien (BMBF, BMG, BMWi) Regulatorische Ausschüsse und Behörden (BfArM, G-BA, IQWiG, PEI) Medizintechnische Industrie Medizintechnische Forschungseinrichtungen Forschungsgemeinschaften (DFG, Stiftungen) Kostenträger (GKV, PKV) Fachgesellschaften (wissenschaftlich, AWMF) Anwender (DKG, VUD, Bundesärztekammer) Patientinnen und Patienten (Selbsthilfegruppen) Abbildung 1: Übersicht der Handlungsempfehlungen und Adressaten (Quelle: eigene Darstellung) HE 1 Digitalisierung, HE 2 Patientenmodelle und Ratgebersysteme, HE 3 Herstellung individualisierter Medizinprodukte, HE 4 Translation durch Kooperation, HE 5 Wirksamkeits-, Qualitäts- und Nutzenbewertung, HE 6 Bündelung von Expertisen und Ressourcen, HE 7 Forschungsförderung, HE 8 Strukturen im Gesundheitswesen, HE 9 Begleitende Forschung und Öffentlichkeit Die Größe der Quadrate symbolisiert die Bedeutung der Handlungsempfehlung für die jeweiligen Adressaten. 13
–– Prof. Dr. Helmut Ermert, Fakultät für Elektrotechnik und Projekt Informationstechnik, Ruhr-Universität Bochum/acatech –– Prof. Dr. Detlev Ganten, World Health Summit –– Prof. Dr. Rudolf Guthoff, Institut für Biomedizinische Technik, Projektleitung Universität Rostock –– Prof. Dr. Dr. h. c. Axel Haverich, Klinik für Herz-, Thorax-, –– Prof. Prof. h. c. Dr. Thomas Lenarz, Klinik für Hals-Nasen-Ohren- Transplantations- und Gefäßchirurgie, Medizinische Hoch- heilkunde, Medizinische Hochschule Hannover/acatech schule Hannover –– Prof. Dr. Malte Kelm, Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf Redaktionsteam –– Prof. Dr. Ron Kikinis, Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin, Fachbereich Mathematik/Informatik, Universität –– Dr. Victoria Diedrich, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Bremen Medizinische Hochschule Hannover –– Prof. Dr. Peter Luppa, Institut für Klinische Chemie und –– Prof. Dr. Olaf Dössel, Institut für Biomedizinische Technik, Pathobiochemie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Karlsruher Institut für Technologie/acatech Universität München –– Prof. Dr. Helmut Ermert, Fakultät für Elektrotechnik und –– Prof. Dr. Arya Nabavi, Klinik für Neurochirurgie, Internatio- Informationstechnik, Ruhr-Universität Bochum/acatech nal Neuroscience Institute Hannover –– Prof. Prof. h. c. Dr. Thomas Lenarz, Klinik für Hals-Nasen-Ohren- –– Prof. Dr. Alfred Pühler, Centrum für Biotechnologie, Uni heilkunde, Medizinische Hochschule Hannover/acatech versität Bielefeld/acatech –– Prof. Dr. Hermann Requardt/acatech Präsidiumsmitglied –– Prof. Dr. Hermann Requardt, acatech Präsidiumsmitglied –– Dr. Cord Schlötelburg, Deutsche Gesellschaft für Biomedizi- –– Dr. Cord Schlötelburg, Deutsche Gesellschaft für Biomedizi- nische Technik nische Technik –– Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rode, Institut für Angewandte Me- –– Prof. Dr. Christoph Schmidt, Rheinisch-Westfälisches Institut dizintechnik, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule für Wirtschaftsforschung/acatech Aachen/acatech –– Prof. Dr. Klaus-Peter Schmitz, Institut für Biomedizinische –– Prof. Dr. Dr. Otmar Schober, Klinik für Nuklearmedizin, West- Technik, Universität Rostock/acatech fälische Wilhelms-Universität Münster/acatech –– Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rode, Institut für Angewandte –– Dr.-Ing. Christoph Vornholt, acatech Geschäftsstelle Medizintechnik, Rheinisch-Westfälische Technische Hoch- schule Aachen/acatech –– Prof. Dr. Dr. Otmar Schober, Klinik für Nuklearmedizin, West- Projektgruppe fälische Wilhelms-Universität Münster/acatech –– Prof. Dr. Matthias Schönermark, Schönermark Kielhorn Colle- –– Prof. Dr. Gerhard Adam, Klinik und Poliklinik für Diagnosti- gen Beratungsgesellschaft mbH sche und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum –– Prof. Dr. Christof Stamm, Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäß- Hamburg-Eppendorf chirurgie, Deutsches Herzzentrum Berlin –– Prof Dr. Karl Broich, Bundesinstitut für Arzneimittel und –– Dr. Joachim Storsberg, Fraunhofer-Institut für Angewandte Medizinprodukte Polymerforschung –– Prof. Dr. Dr. Jürgen Debus, Radiologische Universitätsklinik –– Prof. Dr. Jochen Taupitz, Fakultät für Rechtswissenschaft und – Nuklearmedizin, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Volkswirtschaftslehre, Universität Mannheim –– Prof. Dr. Olaf Dössel, Institut für Biomedizinische Technik, –– Prof. Dr. Heike Walles, Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- Karlsruher Institut für Technologie/acatech und Bioverfahrenstechnik/acatech –– Prof Dr. Georg Duda, Julius Wolff Institut für Biomechanik –– Prof. Dr. Ernst Weigang, Gefäßzentrum Berlin-Brandenburg, und muskuloskelettale Regeneration, Universitätsklinikum Evangelisches Krankenhaus Hubertus Berlin Berlin, Charité 14
Projekt –– Prof. Dr. Bernhard Wolf, Fakultät für Elektrotechnik und Infor- Reviewerinnen und Reviewer mationstechnik, Technische Universität München/acatech –– Prof. Dr. Hans-Peter Zenner, Universitäts-Hals-Nasen-Ohren- –– Prof. Dr. Dr. h. c. Joachim Grifka, Orthopädische Klinik, Klinik, Eberhard Karls Universität Tübingen Universität Regensburg –– Prof. Dr. Sibylle Ziegler, Nuklearmedizinische Klinik und Poli- –– Prof. Dr. Cornelia Kasper, Biotechnologie, Zell- und Gewebe klinik, Ludwig-Maximilians-Universität München/acatech kulturtechnik, Universität für Bodenkultur Wien BOKU –– Prof. Dr. Heyo Klaus Kroemer, Pharmakologie und Personali- sierte Medizin, Universitätsmedizin Göttingen Weitere Expertinnen und Experten –– Prof. Dr. Otto Rienhoff, Institut für Medizinische Informatik, Universitätsmedizin Göttingen –– Prof. Dr. Thorsten Buzug, Institut für Medizintechnik, Uni –– Prof. Dr. Markus Schwaiger, Klinikum rechts der Isar, Nuklear- versität zu Lübeck/acatech medizinische Klinik und Poliklinik, Technische Universität –– Prof. Dr. Hubertus Feußner, Chirurgische Klinik und Poli München klinik, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität –– Prof. Dr.-Ing. Ulrich Steinseifer, Institut für Angewandte München Medizintechnik, Rheinisch-Westfälische Technische Hoch- –– Prof. Dr. Dr. Dr. Dominik Groß, Medical School, Rheinisch- schule Aachen Westfälische Technische Hochschule Aachen –– Prof. Dr. J. Matthias von der Schulenburg, Institut für Ver –– Prof. Dr. Fabian Kiessling, Institut für Experimentelle Mole sicherungsbetriebslehre, Leibniz Universität Hannover kulare Bildgebung, Rheinisch-Westfälische Technische Hoch- schule Aachen –– Prof. Dr. Ulrike Köhl, Institut für Zelltherapeutika, Medizini- Projektkoordination sche Hochschule Hannover –– Prof Dr. Rainer Röhrig, Abteilung für Medizinische Informa- –– Dr. Victoria Diedrich, Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, tik, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Medizinische Hochschule Hannover –– Prof. Dr. Meike Stiesch, Klinik für Zahnärztliche Prothetik und –– Dr.-Ing. Christoph Vornholt, acatech Geschäftsstelle Biomedizinische Werkstoffkunde, Medizinische Hochschule Hannover –– Prof. Dr. Dr. Manfred Wirth, Klinik und Poliklinik für Urologie, Projektlaufzeit Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der Technischen Uni- versität Dresden 07/2015–07/2017 –– Prof. Prof. Dr. Eberhart Zrenner, Forschungsinstitut für Augenheilkunde, Werner Reichardt Centrum für Integrative acatech dankt allen Autorinnen und Autoren sowie Gutachterin- Neurowissenschaften (CIN), Eberhard Karls Universität nen und Gutachtern für ihre Beiträge. Tübingen 15
und -fähigkeit der Gesellschaft und der daraus erwachsenden 1 Einleitung Nachfrage nach neuen und erweiterten Versorgungsleistungen haben diese Fortschritte bereits in der Vergangenheit zu einem beständigen Wachstum der Gesundheitswirtschaft in den Bran- 1.1 Medizin heute chen Pharmakologie und Pharmazie, Biotechnologie und Medi- zintechnik geführt.4 Die moderne Medizin hat in den vergangenen hundert Jahren maßgeblich dazu beigetragen, die Lebensqualität zu verbessern Schließlich hat sich in den vergangenen Jahren das allgemeine und die Lebenserwartung der Bevölkerung wesentlich zu stei- Gesundheitsbewusstsein stark verändert. Die Versicherten verlan- gern. Nicht zuletzt dank kontinuierlicher Fortschritte in der bio- gen nach einer stärkeren individuellen Patientenorientierung. medizinischen und medizintechnischen Forschung sowie ihrer Dabei ist nachzuvollziehen, dass die Menschen immer besser klinischen Umsetzung ist mittlerweile ein hohes medizinisches über ihren aktuellen und auch zukünftigen Gesundheitszustand Versorgungsniveau erreicht. Dennoch sieht sich die moderne Me- informiert werden wollen und sich diese Informationen auch dizin mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, die selbstständig aneignen, um so Lebensqualität und -planung in das Gesundheitssystem und die Gesellschaft insgesamt betref- Eigenverantwortung mitgestalten zu können.5 fen und nach neuen Lösungsstrategien verlangen. Dabei gilt es, ethische, rechtliche, regulatorische und ökonomische Rahmen- Das Zusammenwirken der genannten Entwicklungen wird die bedingungen zu beachten, um eine hervorragende Gesundheits- Zukunft der Medizin in nahezu allen Disziplinen entscheidend versorgung zu gewährleisten, die sozial ausgewogen ist. verändern.6 In diesem Zusammenhang wird die Medizintechnik eine präzisere Diagnostik und eine individualisierte Therapie er- Zum einen wird es in den kommenden Jahren zu einer stark möglichen, mit dem Ziel einer verbesserten Gesundheitsversor- wachsenden Nachfrage nach Leistungen der Gesundheitsver- gung für jede einzelne Patientin und jeden einzelnen Patienten. sorgung kommen. Der demografische Wandel wird zu einem stärkeren Bedarf an Prävention und Therapie chronischer Erkran- kungen führen, an denen schon heute über 40 Prozent der Bevöl- 1.2 Individualisierte Medizin kerung leiden.1 Aktuell gehen 80 Prozent der jährlichen Gesund- heitsausgaben, also etwa 200 Milliarden Euro, auf die Die Individualisierte Medizin basiert auf dem Konzept, dass die Behandlung chronischer Erkrankungen zurück.2 Viele dieser Er- individuellen biologischen Eigenschaften einer jeden Patientin krankungen sind auch heute noch unzureichend therapierbar, beziehungsweise eines jeden Patienten ebenso wie die Einflüsse wobei Diagnostik und Therapie häufig und insbesondere bei äl- der individuellen Lebensweise und der Umwelt einen maßgeb teren Patientinnen und Patienten durch ein kombiniertes Auftre- lichen Einfluss auf eine Erkrankung haben. Sie bestimmen, mit ten verschiedener Erkrankungen erschwert werden (Multimorbi- welcher Wahrscheinlichkeit die Patientin beziehungsweise der dität), was wiederum mit einer verminderten Lebensqualität und Patient eine spezifische Erkrankung entwickelt, wie diese Erkran- erhöhten Versorgungskosten einhergeht.3 kung verläuft und in welchem Maße die beziehungsweise der Erkrankte auf bestehende Therapiemöglichkeiten reagiert. Ziel Zum anderen ist davon auszugehen, dass weitere wissenschaft- der Individualisierten Medizin ist es, durch eine präzise Diagnos- lich-technische Innovationen in den Lebenswissenschaften tik die relevanten Einflussfaktoren patienten- und erkrankungs- eine wachsende Wissensbasis für die Entwicklung verbesserter spezifisch zu ermitteln und sie als Grundlage für die Auswahl Diagnose-, Therapie- und Präventionsmöglichkeiten bereitstellen und Durchführung von Präventions-, Diagnostik- oder Therapie- und diese für die Patientinnen und Patienten in der Breite zu- maßnahmen zu nutzen, die hochwirksam und nebenwirkungs- gänglich machen werden. In Verbindung mit der im Zuge des arm sind. Die vorliegende acatech POSITION betrachtet den Bei- Wirtschaftswachstums stetig steigenden Zahlungsbereitschaft trag der Medizintechnik zur Individualisierten Medizin, einerseits 1| Vgl. Eurostat 2017. 2| Vgl. VDE 2011b. 3| Vgl. Lehnert/König 2012. 4| Vgl. BMWi 2015. 5| Vgl. Hüsing et al. 2008; Niederlag et al. 2010. 6| Vgl. Hüsing et al. 2008. 16
Sie können auch lesen