Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen - Annika Graaf, Timm Harder Institut für Virusdiagnostik - OpenAgrar

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen - Annika Graaf, Timm Harder Institut für Virusdiagnostik - OpenAgrar
Influenzaviren:
   Grenzgänger zwischen
Schweinen und Menschen

                          Annika Graaf, Timm Harder
                          Institut für Virusdiagnostik
                          (IVD)

                             Im Fokus   | Stand 22.06.2020
Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen - Annika Graaf, Timm Harder Institut für Virusdiagnostik - OpenAgrar
Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

Zusammenfassung                                           mindert wirtschaftliche Verluste in der und kann das
                                                          Expositionsrisiko von Menschen gegenüber potentiell
Das weit verbreitete Auftreten und das pathoge-           zoonotischen swIAV minimieren.
ne Potenzial von porzinen Influenza-A-Viren (swine
influenza A viruses, swIAVs) im Zusammenhang mit          Summary
Atemwegserkrankungen verursachen erhebliche wirt-
schaftliche Verluste in der Schweineproduktion. In-       The widespread occurrence and pathogenic potential
fluenza-A-Viren (IAVs) sind darüber hinaus aber auch      of swine influenza A viruses (swIAVs) associated with
grundsätzlich als Tierpathogene mit zoonotischem          respiratory diseases can result in significant econo-
Potential anzusehen, die eine ständige Herausfor-         mic losses in pig production. In addition, influenza A
derung für die öffentliche Gesundheit darstellen.         viruses (IAVs) can also play a role as animal patho-
Insbesondere das Schwein als sogenanntes „Mischge-        gens with zoonotic potential, representing a constant
fäß“ aviärer, humaner und porziner IAVs nimmt eine        challenge for public health. The pig in particular, as
zentrale Stellung in der Influenzaepidemiologie ein.      the so-called “mixing vessel” of avian, human and
Im Schwein können neue Virusvarianten entstehen,          porcine IAVs, forms a central position in influenza
die unerwartete und unvorhersehbare Eigenschaften         epidemiology. In pigs, new virus variants can emerge
aufweisen, wie beispielsweise die Artenbarriere zu        that may harbour unexpected and unpredictable pro-
durchbrechen und Infektionen bei Menschen hervor-         perties, such as overcoming the species barrier and
zurufen. Aus solchen initial punktuellen Übertragun-      causing infections in humans. Global pandemics can
gen können wie zuletzt im Jahr 2009 sogar globale         even arise from such initially selective transmissions,
Pandemien entstehen. Umgekehrt werden Schweine            as happened most recently in 2009. But also pigs can
durch Menschen mit humanen saisonalen und pande-          be infected, in a reverse fashion, by the human po-
mischen IAV infiziert, wodurch eine komplexe virale       pulation with seasonal or pandemic IAV adding to a
Gemengelage entsteht. Ausgedehnte Untersuchun-            complex viral “boiling cauldron”. Extensive studies in
gen, die das FLI in einem europäischen Netzwerk           a European network performed by the FLI document
durchführen konnte, dokumentieren und spezifizieren       and specify a broad and deep reservoir of IAVs with
ein breites und tiefes Reservoir von IAVs mit zoonoti-    zoonotic and even pre-pandemic potential in German
schem und sogar präpandemischem Potenzial in deut-        and European pig populations. The desired impro-
schen und europäischen Schweinepopulationen. Die          ved monitoring of IAV epidemiology in pig populati-
angestrebte verbesserte Überwachung der IAV Epi-          ons requires optimized diagnostic tools, as they are
demiologie in Schweinenpopulationen erfordert opti-       developed and used by FLI. An updated insight into
mierte Diagnostik, wie sie am FLI entwickelt und ein-     the swIAV infection process is a basic prerequisite for
gesetzt wird. Ein stets aktueller Einblick in das swIAV   optimizing preventive measures, especially vaccines.
Infektionsgeschehen ist eine Grundvoraussetzung zur       The containment of swIAV infections leads to impro-
Optimierung präventiver Maßnahmen, insbesondere           ved animal health, reduces economic losses in pig
von Impfstoffen. Die Eindämmung von swIAV Infektio-       production and is able to minimize the risk of human
nen führt zu einer verbesserten Tiergesundheit, ver-      exposure to potentially zoonotic swIAVs.

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

Keywords                                                 Influenza-A-Viren – Lob der Schludrigkeit

porzines Influenza-A-Virus, zoonotisches und präpan-     Influenza-A-Viren (IAVs) gehören der Virenfamilie der
demisches Potential, Mischgefäß, Diverstität, Diagno-    Orthomyxoviridae an. Es sind behüllte, einzelsträn-
se, Bekämpfung und Prävention                            gige RNA-Viren, deren Genom in acht Segmente un-
                                                         terteilt ist. IAVs werden anhand ihrer Oberflächen-
Influenzaviren bei Schwein und Mensch – Zoonose          glykoproteine Hämagglutinin (HA) und Neuraminidase
und reverse Zoonose                                      (NA) in derzeit 18 HA und 11 NA Subtypen eingeteilt
                                                         [1]. Der Kopierprozess des viralen Genoms durch die
Tierpopulationen als Reservoire von Krankheitserre-      viruseigene Maschinerie (Replikation) in einer infizier-
gern des Menschen sind seit dem Anbeginn der Do-         ten Zelle ist verhältnismäßig fehleranfällig. Im Durch-
mestizierung ein aktuelles Thema. Geschätzt sind         schnitt wird jeder zehntausendste Baustein (Nukleo-
mehr als 70 % aller humanen Krankheitserreger di-        tid) falsch abgelesen oder falsch eingebaut. Bei einer
rekt auf Vorgänger bei Tieren zurückzuführen. Dies       Gesamtgenomlänge von ca. 13.000 Nukleotiden be-
trifft selbst auf das als klassisch human empfundene     deutet dies, dass nahezu jedes Tochtergenom mindes-
Masernvirus zu, das tatsächlich erst vor 5000–7000       tens eine zufällige Änderung gegenüber dem Genom
Jahren aus dem Rinderpestvirus von Wiederkäuern          des Elternvirus enthält. Die Gesamtheit aller Tochter-
in Afrika hervorgegangen ist, und es endet vermut-       virionen, die sich zwar genetisch sehr ähnlich sind,
lich nicht beim SARS-Coronavirus-2, das aktuell die      aber individuell unterscheidbar bleiben, wird als Qua-
COVID-19 Pandemie ausgelöst hat und dessen Ur-           sispezies bezeichnet. Die infolge der „schludrigen“
sprünge in asiatischen Fledermauspopulationen zu         Replikation zufällig entstandenen Mutationen können
suchen sind.                                             sich neutral, negativ oder positiv auf die Fitness des
                                                         Tochtervirions auswirken. Hierbei können diverse vi-
Influenzaviren des Typ A gehören ebenfalls in den        rale Eigenschaften wie Wirts- und Gewebetropismus,
Formenkreis zoonotischer Erreger, die von Tieren auf     Virulenz und Antigenität betroffen sein.
Menschen übertragbar sind. Zuletzt hatten aviäre In-
fluenzaviren, die von Geflügel auf den Menschen vor      Auch wenn Influenza-A-Viren in der Regel nur ein en-
allem in Asien und Afrika übertragen wurden, ein star-   ges Wirtsspektrum infizieren, zeigen Schweine auch
kes mediales Echo gefunden. Ähnlich ist in Bezug auf     eine gewisse Empfänglichkeit gegenüber IAVs aviären
Influenzaviren auch das Verhältnis von Schwein und       und humanen Ursprungs. Das hat dem Schwein in der
Mensch. Allerdings kommt hier auch die umgekehr-         Influenzavirologie zu dem Beinamen „mixing vessel“
te Komponente zum Tragen, die sogenannte reverse         (Mischgefäß; s. Abb. 1) verholfen. Dies führt in Verbin-
Zoonose, wobei der Mensch als Quelle von Krankheits-     dung mit einer weiteren Besonderheit der Influenza-
erregern für Tiere fungiert.                             viren, ihrem segmentierten Genom, zu interessanten
                                                         Möglichkeiten der viralen genetischen Diversifizie-
                                                         rung. Das Genom des Influenza-A-Virus ist auf acht
                                                         Segmente („Mini-Chromosome“) verteilt. Wird nun

                                                                                     Im Fokus   | Stand 22.06.2020 | 3
Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

dieselbe Wirtszelle gleichzeitig mit zwei verschiede-    der Antigenität) vom „antigenic shift“ gesprochen,
nen Elternviren infiziert, kommt es zu einer Vermi-      also einer schlagartig auftretenden massiven Verän-
schung des genetischen Materials beider Elternviren.     derung der Antigenität (infolge HA/NA Reassortie-
Nach dem Zufallsprinzip werden die replizierten el-      rung).
terlichen Gensegmente nun auf die Tochtervirionen
neu verteilt. Theoretisch entstehen damit 254 neue,      Retrospektive der in Europa zirkulierenden Influ-
von den Elternviren verschiedene Kombinationsmög-        enza-A-Viren bei Schweinen
lichkeiten oder Genotypen, die allesamt unerwar-
tete und unvorhersehbare Eigenschaften aufweisen         Hausschweinepopulationen nehmen in der Influen-
können. Dieser Prozess der „Reassortierung“ kann im      zaepidemiologie eine zentrale Stellung ein (Abb. 1).
Schwein als „mixing vessel“ auch zwischen porcinen,      Die oben angesprochenen Eigenschaften als „mixing
aviären und/oder humanen IAVs erfolgen [2].              vessel“ sind entscheidende Faktoren in der Epide-
                                                         miologie der porzinen Influenza: IAV-Infektionen bei
Der Reassortierung wird große Bedeutung an der Ent-      Schweinen mit unterschiedlichen Subtypen sind welt-
stehung pandemischer humaner Influenzaviren beige-       weit verbreitet. Die Subtypen H1N1, H1N2 und H3N2
messen. So führte die Reassortierung eines aviären       kommen endemisch bei Schweinen in Europa, Ameri-
Virus des Subtyps H1N1 mit dem humanen Virus der         ka und Asien vor, sind jedoch je nach Kontinent auf
Spanischen Grippe Ende der 1950er Jahre zum pan-         unterschiedliche Reassortierungsereignisse zurückzu-
demischen H2N2 Virus der Asiatischen Grippe. Dieses      führen. Abb. 2 gibt einen Überblick über die Herkunft
Virus reassortierte erneut mit einem aviären Virus,      und Entstehung der aktuell in europäischen Schwei-
dieses Mal des Subtyps H3, wodurch 1968 das pande-       nebeständen zirkulierenden swIAV:
mische H3N2 Virus der Hong Kong Grippe entstand,
dessen Nachfahren noch heute die saisonale Influenza     Historisch gesehen wurden IAVs beim Schwein zum
des Menschen befeuern.                                   ersten Mal im Zusammenhang mit der verheerenden
                                                         Influenzapandemie des Menschen, der Spanischen
Unter einer Pandemie versteht man eine länder- und       Grippe, beschrieben, die im Jahr 1918 grassierte.
kontinentübergreifende Ausbreitung einer Infektions-     Dieses „klassische humane H1N1 Virus“ wurde durch
krankheit beim Menschen. Solch eine Pandemie kann        den Menschen auf Schweine übertragen und hielt sich
nur entstehen, wenn das (Influenza-) Virus sich gut im   in Europa bis in die 1970er Jahre in der Schweine-
Menschen repliziert und leicht übertragen wird. Ent-     population. In dieser Zeit wurde es durch ein neues
scheidend ist, dass es auf eine Bevölkerung mit feh-     H1N1 Virus ersetzt. Dieses Virus stammt aus einem
lender Grundimmunität trifft. Dies ist bei humanen       aviären Wirt (möglicherweise einer Entenpopula-
Influenzaviren oftmals dann der Fall, wenn mittels       tion) und wird nach seiner Herkunft daher auch als
Reassortierung das HA Gensegment ausgetauscht wird       „avian-like“ (av) H1N1 (H1avN1av) bezeichnet. Die-
und durch ein neues, in der menschlichen Population      ses Virus ist bis heute in Europa bei Schweinen weit
bislang nicht zirkulierendes HA ersetzt wird. In sol-    verbreitet. Durch Reassortierung des H1avN1av Virus
chen Fällen wird analog zur Antigendrift (akkumulie-     mit einem humanen saisonalen H3N2 Virus entstand
rende Punktmutationen mit gradueller Veränderung         im Jahr 1984 der porzine Subtyp H3N2. H3N2 ist seit-

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

Abb. 1: Hausschweinepopulationen als Schaltstelle in der Epidemiologie der Influenza A Viren. Da Schweine auch für aviäre
und humane Influenzaviren empfänglich sind („mixing vessel“, Mischgefäß), kann es infolge des Prozesses der Reassor-
tierung zwischen porzinen, aviären und/oder humanen Influenzaviren im Schwein zur Entstehung neuer Tochterviren mit
stark veränderten Eigenschaften kommen. Hieraus können auch Viren mit zoonotischem oder sogar pandemischem Poten-
zial hervorgehen. Pandemische Viren können jedoch offenbar auch direkt aus aviären Vorläufern hervorgehen.

Abb. 2: Herkunft und Entstehung der aktuell in europäischen Schweinebeständen zirkulierenden porzinen Inflluenza A
Virus Reassortanten. Menschliche Influenzaviren sind an der Entstehung von vier der aktuell fünf zirkulierenden porcinen
Influenzaviren in Europa substantiell beteiligt. Zur besseren Unterscheidbarkeit der verschiedenen Viruslinien wird ein
komplexes Nomenklatur- (Kladen-)system verwendet.

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

dem in einigen (darunter Deutschland), aber nicht          oder bakteriellen Sekundärerregern können jedoch
allen europäischen Ländern endemisch. Der porzine          zu schweren therapiepflichtigen (Antibiotikaeinsatz!)
Subtyp H3N2 reassortierte 1994 mit einem humanen           Pneumonien und erhöhter Sterblichkeit führen. Durch
saisonalen H1N1 Virus zum porzinen Subtyp H1N2. Da-        das kurze Zeitfenster von wenigen Tagen, in dem das
her wird dieser Subtyp auch als „human-like“ H1N2          Virus während der akuten Infektion nachweisbar ist,
(H1huN2) bezeichnet. Im Jahr 2009 kam mit dem hu-          wird die langfristige Bedeutung der Infektion häufig
manen pandemischen H1N1-Virus (H1pdmN1pdm) ein             unterschätzt. Als Langzeitfolge kann vor allem die
vierter Subtyp ins Spiel. Dieses Virus entstand infolge    verzögerte Gewichtszunahme in der Mastschweinhal-
mehrerer Reassortments vermutlich auf dem ame-             tung zu ökonomisch bedeutsamen Einbußen führen.
rikanischen Kontinent und ist seit 2009 nunmehr als        Fieberhafte Influenzainfektionen bei tragenden Sauen
saisonales H1N1 Virus in der menschlichen Population       können zum Verferkeln führen.
fest verankert. Auch dieses Virus wurde, ähnlich wie
das H1N1 Virus der Spanischen Grippe, vom Menschen         Influenzaviren werden bei Schweinen vor allem ae-
auf Schweine übertragen (sogenannte revers-zoonoti-        rogen sowie durch engen Kontakt untereinander und
sche Übertragung) und verbreitet sich seitdem massiv       möglicherweise auch mittels kontaminierter Gegen-
in Schweinepopulationen. Es nimmt mittlerweile star-       stände übertragen. Ausbrüche werden daher durch
ken Anteil an Reassortierungen mit den drei älteren        das Zusammenstallen neuer Gruppen und das Einbrin-
porzinen IAV Linien in Europa. Im Jahr 2014 erfolgte       gen von infizierten Tieren in empfängliche Bestände
die bislang jüngste Reassortierung porziner mit huma-      provoziert. Klassischerweise wurde die Influenza als
nen Influenzaviren, wodurch vermutlich in Dänemark         eine wellenartig durch den gesamten Bestand verlau-
ein neues H3huN2 Virus hervorgangen ist [3].               fende, kurz andauernde, aber mit heftigen respira-
                                                           torischen Symptome verbundene, benigne Infektion
Klassischer Verlauf der Influenza bei Schweinen            wahrgenommen. Die Infektion hinterläßt eine belast-
                                                           bare Immunität.
Die durch das Schweineinfluenza-A-Virus (swIAV) aus-
gelöste fieberhafte, akut verlaufende, hochanste-          Neue Formen der Influenza bei Schweinen
ckende Viruserkrankung der Atemwege ist erstmals
1918 in Hausschweinebeständen der USA beschrieben          In den letzten zwanzig Jahren haben wirtschaftliche
worden und kann alle Altersgruppen betreffen. Die          Rahmenbedingungen zu erheblichen Veränderungen
Virusreplikation beschränkt sich auf den Respirati-        in der Schweinehaltung geführt. Insbesondere ist
onstrakt und führt bei voll empfänglichen Schweinen        hier der Trend zur Vergrößerung der Tierbestände
zu plötzlich einsetzenden Symptomen wie Fieber,            zu nennen. Hochintegrierte Betriebe, die mit mehr
Abgeschlagenheit, Ausfluss aus Nase und/oder Au-           als tausend Sauen Ferkel im Wochenzyklus generie-
gen, Niesen, Augenrötung, bellendem Husten, Atem-          ren, prägen die Produktionsstrukturen immer stär-
beschwerden. Obwohl die Erkrankung alle Schweine           ker. Hierdurch verändert sich auch die Situation für
eines Bestandes erfassen kann (Morbidität annähernd        Influenzaviren. In solchen Betrieben   entsteht eine
100 %), ist die Sterblichkeit unkomplizierter Infektio-    Wirtspopulation mit sehr heterogener Immunität: Ein
nen gering (Letalität < 1 %). Ko-Infektionen mit viralen   Teil der älteren Tiere besitzt Immunität aufgrund be-

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reits durchlaufener Infektionen. Sauen übertragen ei-     ten (Abb. 3).
nen Teil dieser Immunität in Form maternaler Antikör-
per auf die Ferkel. Die Ferkel werden spätestens nach
dem Verlust dieser maternalen Immunität im Alter
von 8-12 Wochen wieder voll empfänglich für Influ-
enzavirusinfektionen. Die beschriebenen Produktions-
abläufe in den Großbeständen führen nun dazu, dass
praktisch zu jedem Zeitpunkt des Jahres voll oder
zumindest partiell empfängliche Schweine dem Influ-
enzavirus zur Verfügung stehen. In solchen Beständen
verbleibt einmal eingetragenes Influenzavirus dauer-
haft über viele Monate und auch Jahre in der Zirkula-
tion, wobei es schwierig ist, ein echtes Virusreservoir
festzulegen [4,5]. Daraus resultieren schleichende,
wenig eindeutige respiratorische Krankheitsbilder,        Abb. 3: Entwicklung einer betriebsspezifischen Antigendrift
                                                          bei Influenzaviren in Großbetrieben. Ein infiziertes Schwein
die sich vorwiegend im Bereich der Absetzferkel ma-       (Mitte) scheidet Virus aus und infziert weitere empfängli-
nifestieren, aber auch andere Altersklassen unter-        che Tiere eines Betriebes. Es werden jedoch keine identi-
                                                          sche Kopien des ursprünglichen Virus ausgeschieden, son-
schwellig betreffen können. Die Influenza wird hier       dern punktuell mutierte Tochtervirusgenerationen, die in
zu einer „Kinderkrankheit“. Selbst Saugferkel können      ihrer Gesamtheit eine sogenannte „Quasispezies“ bilden.
                                                          Einige Virionen aus dieser Wolke besitzen bestimmte Ver-
bereits infiziert werden, erkranken aber bei Anwe-        änderungen (hier „blauer Kern“), die es ihnen erlauben,
                                                          auch in Schweinen zu replizieren, die bereits eine Immu-
senheit materanler Immunität nicht. Aufgrund der          nität gegen das Elternvirus entwickelt haben. Solchen Vi-
Interferenz der Infektion mit der maternalen Immu-        ren bezeichnet man als Antigendriftvarianten. In der Folge
                                                          breitet sich die Driftvariante weiter im Stall aus. Auch hier
nität, bilden die Saugferkel jedoch keine belastbare      entstehen wiederum Tochterquasispezies, die u.U. weite-
aktive Immunität aus, so dass sie nach einigen Wo-        re Driftvarianten enthalten (hier „roter Kern“). Die rote
                                                          Variante kann Schweine infizieren, die sowohl gegen das
chen wieder empfänglich für das Virus werden [4,5].       Elternvirus als auch gegen die Driftvariante 1 immun sind.
                                                          Dieser Prozess kann sich über Monate und Jahre hinweg
Im Zuge der protrahierten Viruszirkulation baut sich      fortsetzen, sodass in ausreichend großen Schweinebestän-
eine Bestandsimmunität auf, die für das jeweilige         den Influenzaviren nach einem einmaligen Eintrag ganzjäh-
                                                          rig zirkulieren können.
Influenzavirus einen erheblichen Selektionsdruck
darstellt. Damit sind in diesem Betrieb Bedingungen       Somit entsteht in einem einzelnen Großbestand die-
einer viralen antigenen Drift gegeben. Es entstehen       selbe Situation, wie sie von der globalen menschli-
aufgrund der oben geschilderten Prozesse Virusvari-       chen Population bekannt ist: derselbe Prozeß verur-
anten, die sich diesem Selektionsdruck durch Muta-        sacht dort die saisonale Influenzaktivität aufgrund
tionen entziehen können. Solche „escape“-Varianten        des beständigen Entstehens immer neuer Virusvari-
bilden die Folgegeneration von Influenzaviren dieses      anten. Bezogen auf die Schweinepopulation bedeutet
Bestandes, die sich solange verbreitet bis wiederum       dies, dass theoretisch in jedem Schweinegroßbestand
die variantenspezifische Bestandsimmunität einen          ein spezifisches Influenzavirus herausgebildet wird,
ausreichend hohen Selektionsdruck erreicht hat, um        das sich in der Antigenität von dem des Nachbarbe-
neuerlichen „escape“-Mutanten einen Vorteil zu bie-       standes stark unterscheiden kann. Hierdurch entstün-

                                                                                        Im Fokus   | Stand 22.06.2020 | 7
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den erhebliche Schwierigkeiten, einen gemeinsamen        Dynamische virale Diversifizierung erfordert diag-
Impfstoff zu finden, der alle diese Varianten abdecken   nostische Orientierung
könnte.
                                                         Diagnosealgorithmen müssen sensitiv genug sein, um
Wer suchet, der findet – swIAV in europäischen Haus-     auch in wenig Probenmaterial Virus detektieren zu
schweinepopulationen                                     können und spezifisch genug, um zwischen Subtypen
                                                         und ihren diversen Linien und Varianten unterschei-
Studien zur passiven Überwachung von Schweinepo-         den zu können. In den letzten Jahren hat eine Ab-
pulationen in verschiedenen mittel- und westeuro-        lösung der klassischen Influenzavirusdiagnostik beim
päischen Ländern (2010-2018) zielten auf Proben ab,      Schwein stattgefunden, d.h. der Virusanzucht aus Na-
die von Schweinen mit einer erkennbaren klinischen       sen-/Rachentupfern auf embryonierten Hühnereiern
Atemwegserkrankung genommen wurden [6-8]. Das            oder Zellkultur und der Subtypisierung mittels sero-
FLI und andere Forschungsgruppen konnten zeigen,         logischer Verfahren. Diese Methoden erwiesen sich
dass Influenzainfektionen im Schwein ganzjährig in       zum einen als zeit- und materialaufwändig, sind aber
etwa einem Viertel der erkrankten Schweine in der        auch hinsichtlich der Sensitivität auf besonders geeig-
Hälfte der untersuchten Bestände auftreten. SwIAV        netes, frisches Probenmaterial angewiesen. Serologi-
sind somit weit verbreitet anzutreffen. Hierbei konn-    sche Testverfahren sind außerdem nicht geeignet zur
ten abhängig von der Lokalisation der Haltungen alle     Abklärung klinisch akuter Fälle, da Antikörper frühes-
vier oben beschriebenen, reassortanten Hauptlinien       tens 10 bis 14 Tage nach Infektion nachzuweisen sind.
porziner IAVs in unterschiedlicher Frequenz nachge-      Molekularvirologische Alternativen, die am FLI auf Ba-
wiesen werden (H1avN1av, H1huN2, H3N2 und H1p-           sis der multiplex (semi-) quantitativen Echtzeit-PCR
dmN1pdm; Abb. 2). Bestimmte Subtypen fehlten in          (Real-time quantitative PCR, RT-qPCR) entwickelt
einigen Ländern: So konnte H1avN1av nicht auf den        wurden [6], erwiesen sich als sensitiver und spezifi-
britischen Inseln nachgewiesen werden, H1huN2            scher und führten schneller zu einem aussagekräfti-
fehlte in Dänemark und H3N2 Viren wurden nur in          gen Befund. Der direkte Virusnachweis mittels dieser
Deutschland und den Beneluxländern detektiert. Zu-       molekular-virologischen Methoden erfolgt aus Nasen-
dem konnte ein dynamischer werdendes Reassortie-         tupfern von Schweinen oder, im Rahmen einer Sekti-
rungsgeschehen dokumentiert werden, wobei neue           on, aus Wischtupfern aus den Lungenhauptbronchien.
Subtypen (z.B. H1pdmN2, H3N1 etc.), vor allem aber       Der neu entwickelte hochdurchsatzfähige Algorith-
ein breites Repertoire von 31 Genotypen gefunden         mus (Abb. 4) verkürzt die Befundungszeit erheblich
wurden. Hier spielt das seit 2010 sich vermehrt ver-     und ist besonders für Überwachungsprogramme und
breitende H1pdmN1pdm, das pandemische Influenza-         epidemiologische Studien geeignet: Zunächst werden
virus des Menschen aus dem Jahr 2009, als reassortie-    die Proben mittels RT-qPCR auf Anwesenheit von In-
rungsfreudiger Partner eine große Rolle.                 fluenza A-, B-, C- und D-Viren untersucht. IAV-positive
                                                         Proben werden sodann einer molekularen Subtypisie-
                                                         rung unterzogen. Sofern die Subtypisierung mittels
                                                         RT-qPCR scheitert, wird eine Genomsequenzierung
                                                         zur weiteren spezifischen Charakterisierung vorge-

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

Abb. 4: Gegenüberstellung der klassischen und molekularvirologischen Methoden in der Influenzadiagnostik bei Schweinen.

nommen. Der Einsatz der PCR erfordert allerdings             die Eindämmung von Influenzainfektionen bewirken
eine stete Überprüfung der Diagnosewerkzeuge; dies           könnten, sind bislang nicht untersucht worden. Somit
trifft vor allem auf die sich dynamisch diversifizie-        ist die Influenza-Impfung die vorrangige vorbeugende
renden swIAV zu: Sind die Bindungsstellen der in den         Maßnahme. Verschiedene inaktivierte Adjuvat-Impf-
PCRs eingesetzten Primer und Sonden von Mutationen           stoffe sind europaweit zugelassen [9] und werden vor
betroffen, können falsch-negative Befunde resultie-          allem in Sauenimpfprogrammen eingesetzt, um den
ren. Die klassische Virusdiagnostik bleibt auch weiter-      Saugferkeln eine fundierte maternale Immunität zu
hin in Spezialfällen zur Charakterisierung biologischer      vermitteln. Der Immunschutz beruht grundlegend
Eigenschaften von IAVs unentbehrlich.                        auf neutralisierenden Antikörpern, die gegen das
                                                             HA gerichtet sind. Die in den Vakzinen eingesetzten
Warum sich die Bekämpfung und Prävention der In-             Virusstämme wurden zum Teil vor mehr als 20 Jahren
fluenza bei Schweinen lohnt                                  isoliert. Probleme der Antigendrift der Influenzaviren
                                                             von Schweinen scheinen jedoch erst seit kurzer Zeit
Die Influenza der Schweine unterliegt in Deutschland         verstärkt Fragen zur Anwendung der zugelassenen
und Europa derzeit keiner gesetzlichen Melde- oder           Impfstoffe aufzuwerfen. Dies mag mit der veränder-
Anzeigepflicht. Insofern existieren weder behörd-            ten Epidemiologie der Viren in Großbeständen zusam-
lich gelenkte Überwachungsprogramme noch har-                menhängen, die offenbar eine forcierte, bestandsspe-
monisierte Bekämpfungsstrategien. Maßnahmen des              zifische Antigendrift begünstigen kann. Die wirksame
betrieblichen Managements, die über den üblichen             Vakzinierung gegen Influenza trägt wesentlich zu
Hygiene- und Biosicherheitsrahmen in der industri-           einem gesteigerten Tierwohl bei und vermindert wirt-
ellen Schweinehaltung hinausgingen und spezifisch            schaftliche Einbußen in der Schweineproduktion.

                                                                                          Im Fokus   | Stand 22.06.2020 | 9
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IAV, die in Hausschweinepopulationen zirkulieren, be-    Anschrift der Verfasser:
sitzen auch direkte Bedeutung für den Menschen [10].     Dr. Annika Graaf, Prof. Dr. Timm Harder, PhD
Zoonotische Infektionen mit diesen Viren traten in       Südufer 10, 17493 Greifswald – Insel Riems
Europa bislang nur sporadisch bei Menschen auf, die      E-Mail: annika.graaf@fli.de; timm.harder@fli.de
engen Kontakt zu Schweinen hatten. In den USA wer-
den allerdings seit einigen Jahren vermehrt humane
Infektionen mit Influenzaviren von Schweinen berich-
tet, wobei sich die Menschen vor allem im Rahmen
landwirtschaftlicher Ausstellungen infizierten. In der
Regel verliefen diese Infektionen harmlos; sie deu-
ten jedoch auf das zoonotische und möglicherweise
präpandemische Potential des riesigen Reservoirs von
IAVs in Schweinepopulationen hin. In dieses Reservoir
wurden gewissermaßen „Bausätze“ und „Ersatzteile“
zukünftiger humaner pandemischer IAVs ausgelagert,
die dort weitestgehend ungestört weiter evolvieren.
Insofern stellt dieses Reservoir auch ein Risiko dar,
dessen Begrenzung geboten scheint. Aktuelle Kennt-
nisse zur Infektionslage, die Erarbeitung verbesser-
ter Bekämpfungstrategien sowie die Optimierung
von Vakzinen würden nicht nur zu einer verbesserten
Gesundheit der Tiere führen, sondern auch das Ex-
positionsrisiko von Menschen gegenüber potentiell
zoonotischen swIAV mindern helfen. Der vielbeschwo-
rene One Health-Gedanke ließe sich gerade auf dem
Gebiet der porzinen Influenza in praktische Projekte
zum gegenseitigen Nutzen von Mensch und Tier um-
setzen.

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Influenzaviren: Grenzgänger zwischen Schweinen und Menschen

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