Innenstadt - Thesen für - Patriotische Gesellschaft
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00 Paradigmenwechsel Hamburg Innenstadt wird wieder multifunktional 00 Agile Stadt Die Hamburger Innenstadt ist offen für Veränderung, anpassungsfähig und stets im Prozess. 01 Nachhaltige Stadt Hamburg wird Modell für klimaneutrale Stadtentwicklung 03 Öffentlicher Raum Hamburgs Innenstadt erhält universell nutzbare Räume 04 Wohnen & Bildung Hamburgs Innenstadt wird wieder bewohnt 05 Arbeit & Wirtschaft Hamburgs Innenstadt öffnet sich für vielfältige Betriebs- und Arbeitsformen
06 Multifunktionale Erdgeschosse Hamburgs Innenstadt aktiviert ihre Erdgeschosse 07 Identität & Baukultur Hamburgs Innenstadt aktiviert ihr Gedächtnis und stiftet wieder Identität 08 Administration & Bürokratie Hamburgs Innenstadt schafft die Überregulierung öffentlicher Räume ab 09 Zwischennutzungen Hamburgs Innenstadt öffnet sich für Experimente 10 Stadtentwicklungsprozess Hamburgs Innenstadt nutzt innovative Stadtentwicklungsverfahren
1 Hamburgs Innenstadt wird wieder multifunktional 00 Paradigmenwechsel Das zukünfige Paloma Quartier auf St. Pauli: Wohnen, Nachtleben, kleinteiliges Gewerbe, Hotel, Nahversorgung und sozialer Treffpunkt [nl architects, [c] Bayrische Hausbau] Hamburgs Innnenstadt hat ihre Funktionsvielfalt und soziale Mischung in den letzten Jahrzehnten verloren. Die Corona-Pandemie hat die Fol- gen der einseitigen Fokussierung auf Einzelhandel und Büros sichtbar gemacht und dramatisch verschärft. Der Ausweg aus der Krise liegt in einem Paradigmenwechsel weg von der monofunktionalen, am Automobil ausgerichteten Stadt – hin zur multifunktionalen Stadt nach menschli- chem Maß. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
00 Paradigmenwechsel oben: Räumungsver- kauf in der Steinstraße 2 [c] Schimkus unten: Hamburger Mönckebergstraße: Konsum und Verkehrs- achse [[c] Friedhelm Feldhaus] Ein grundlegender Wandel ist überfällig: Mit einer Rückbesinnung auf die identitätsstiftende Bedeu- tung der Innenstadt gilt es, Funktionsvielfalt in die Innenstadt zurückzubringen, in der alte und neue Nutzungen sowie Tradition, Geschichte und Innovation zusammenkommen. Dazu gehört eine deutliche Zu- nahme von bezahlbaren Wohnungen, die eine leben- dige Mischung von Milieus und nicht zuletzt auch den Zuzug von Familien ermöglichen. Dazu gehört zudem Hamburgs Innenstadt hat seit dem ausgehenden 19. eine organische Einbindung von Kultur und Bildung, in Jahrhundert und später bei dem am Paradigma der der beispielsweise die Theater, Museen, Büchereien, autogerechten Stadt orientierten Wiederaufbau sowie Schulen, Kitas und Kirchen nicht bloß monolithisch der Entwicklung Hamburgs seit dem II. Weltkrieg kon- in der Stadt stehen, sondern zugleich im öffentlichen tinuierlich an Funktionsvielfalt und sozialer Mischung Raum präsent sind und ihn mit Kultur und Geist in- verloren. spirieren und beleben. Dazu gehört zudem das Neben- einander von sozialen Einrichtungen – von der Bahn- Das starke Wachstum des Online-Handels, die Coro- hofsmission bis zum Herz As und der Rathauspassage na-Pandemie und die seitdem wachsende Zahl an – und hochwertigen Einkaufsmöglichkeiten in gegen- Homeoffice-Arbeitsplätzen haben die Folgen dieser seitiger Wertschätzung. Dazu gehört schließlich auch einseitigen Fokussierung auf Einzelhandel und Bü- Produktion mit Urban Gardening, Urban Manufacturing ros sichtbar gemacht und dramatisch verschärft: und vielfältiger Kreativität. Einer grundlegenden Neu- Kaufhäuser schließen, Ladenmieten fallen, Experten verteilung des öffentlichen Raums mit Vorrang für warnen vor einem Büroflächenüberangebot, parkende Fußgängerinnen und Fußgänger kommt in alledem und fahrende Privat-Pkw beanspruchen einen über- eine Schlüsselfunktion zu. großen Teil des öffentlichen Raums. Pariser Modell der Zukunft: Die „15-Minuten-Stadt“, in der alles, was der Mensch im täglichen Leben braucht, innerhalb von fünfzehn Minuten erreichbar ist. [infosperber.ch]
3 Hamburgs Innenstadt ist anpassungs- fähig,offen für Veränderung und stets im Prozess 00 Agile Stadt LU‘UM-Workshop in der Werkstatt Gröninger Hof [[c] LU‘UM] Um einer Innenstadt die Möglichkeit zu geben, innerhalb kontinuierlich wechselnder Gegebenheiten zu wachsen, bedarf es flexibler Strukturen – gebauter, infrastruktureller und organisatorischer Natur. Ein Bewusstsein dafür, dass Orte nie fertig, sondern stets im Prozess sind, eine voraus- schauende Stadtentwicklung sowie eine Verschränkung von theoretischer und praktischer Kompetenz sind die Basis für eine nachhaltige und an- passungsfähige Innenstadt. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
00 Agile Stadt Eilandje Antwerpen 4 Wohntürme: Jeder Turm musste architek- tonischen Bezug zum vorigen haben. [c] Westkaai Park Spoor Noord [c] TRFIHI Parks Hafenentwicklung Antwerpen, Belgien Ein Paradebeispiel prozesshafter Flächenentwick- lung, die basierend auf neuen Planungsstrukturen ermöglicht wird, findet sich in Antwerpen: Nach dem Prinzip des Slow Urbanism werden hier alte Hafen- Eine resiliente Stadt oder eine resiliente Gesellschaft flächen reaktiviert und umgenutzt. Im Gegensatz zur verfügt über eine hohe Anpassungsfähigkeit und ist in großmaßstäblichen Gebietsentwicklungen erfolgt die der Lage, wandelnde Bedingungen zu adaptieren so- Entwicklung hier Grundstück für Grundstück, Gebäude wie sich von den negativen Folgen schnell zu erholen. für Gebäude. Die entschleunigte Stadtentwicklung hat Um als (Innen-)Stadt resilient zu sein, bedarf es einer Zeit für Korrektur: Erweisen sich bestimmte Vorge- agilen Stadtentwicklung statt eines langfristig aus- hensweisen als nicht erfolgreich, besteht die Möglich- gelegten fixen Masterplans. Es bedarf außerdem der keit, in den nachfolgenden Projekten gegenzusteuern Kombination kleiner und großer Organisationsformen, und aus Fehlern zu lernen. Die kleinteiligen Planungs- die sich an der Stadtentwicklung beteiligen. Große prozesse fördern zudem diversifizierte Architektur, “Tanker” wie eine Verwaltung oder Stadtentwicklungs- Freiraumgestaltung und Nutzung. maschinen können von kleinen Bewegungen und Organisationsformen lernen und profitieren. Kollektive Der Park „Spoor Noord“ wurde als offene Landschaft und kleine Ökonomien planen oftmals in kleineren entworfen, die weder Nutzung noch Zielgruppe vor- Schritten, re-investieren direkt in neue Projekte und schreibt. Heute funktioniert er als Garten für die Nach- sind in der Lage, flexibel mit der Stadt zu interagieren. barschaft und als Park für Stadtteil und Stadt. Zwischennutzung der Werkstatt im Prozess: Konzeptworkshop [oben] WERKSTATT GRÖNINGER HOF und eine bewusst offene Zeitachse PIONIERSNUTZUNG ZEITPLAN für Pioniersnutzungen [unten] [c] LU‘UM Netzwerke festigen Strukturen schaffen Experimentieren 2017 2018 2019 2020 2021 2022 Workshops Altstadt für Alle Genossenschaft Werkstatt Anhandgabe des Schließung des Vorraussichtliche Setzt sich für Belebung Gröninger Hof Gröninger Hof Parkhaus Parkhauses Genehmigungsreife der Innenstadt ein Gründung Beginn der Pioniers- nutzung ? Pioniersnutzung Mitwirkung Projektentwicklung
5 Hamburgs Innenstadt wird Modell für klimaneutrale Stadtentwicklung 1 Nachhaltige Stadt Begrüntes Haus in Mailand [Heidrun Book] Die Zukunft unseres Planeten entscheidet sich in den städtischen Agglo- merationen. Als wohlhabende Stadt nutzt Hamburg ihre Vorbildfunktion und wird Labor für urbane Lösungskonzepte zur Bewältigung globaler He- rausforderungen: mit neuen Mobilitätskonzepten, dem Erhalt von Bestand, einem ressourcenschonenden Umgang mit grauer Energie, der Förderung und Ausweitung von Stadtgrün sowie weiteren energiesparenden Maß- nahmen. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
1 Nachhaltige Stadt Lyoner 19, Frankfurt. Umwandlung Büroge- 6 bäude in Wohnhaus [c] Jean-Luc Valentin Sanierung Tour Bois Pretre, Paris [Druot, Lacaton & Vasall] Eine weitere Stellschraube zur klimaneutralen Stadt- entwicklung lässt sich unter dem Stichwort “Stadt- grün” zusammenfassen: Urbane Grün- und Freiräu- me, Artenvielfalt und Biodiversität haben wichtige klimatische Funktionen in den Städten. Denn: Wo früher der größte Teil der Welt grün war, hat heute eine durchschnittliche unterentwickelte Stadt zwei Prozent der Pflanzen und achtundneunzig Prozent der Beton- Megastrukturen.” (Julian Bore) Der Erhalt und Ausbau unterschiedlichster Formen von Stadtgrün wie z. B. Dachgärten, Fassadenbegrünung, Parks und Naturschutzgebieten bedarf verpflichtender Regularien für Bauprojekte (z. B. in Form eines “Grün- Klimaneutrale Stadtentwicklung versammelt ver- schlüssels”) sowie umfassender Förderinstrumente schiedenste Aspekte. Bereits bekannte und durch Vor- von Bund, Ländern und Kommunen. Am Beispiel von schriften und Förderungen festgeschriebene Instru- Mailand wird deutlich, wie grün auch eine industriell mente sind z. B. energieeffizientes und klimaneutrales geprägte Stadt werden kann, wenn die richtigen Inst- Bauen. In der Realisierung neuer Gebäude, Quartiere rumente und Regularien bestehen. und Infrastrukturen werden diese bereits häufig ange- wendet. Was jedoch oftmals in den Hintergrund rückt: Auch Hamburgs Wasserflächen sollten zugänglicher bauliche Maßnahmen wie z. B. Gebäudedämmungen gemacht und nicht nur vom Hafen, sondern vor allem generieren oft CO2-relevante Produktions- und Ent- auch von den Bürger*innen sowie im Sinne der Arten- sorgungsprozesse, die sich am Ende negativ auf die vielfalt genutzt werden können. Ein Blick nach Kopen- Energiebilanz auswirken. Effektiver ist der Rückgriff hagen oder nach Zürich zeigt, wie es gelingen kann, auf klimaneutrale Energiequellen wie Wind oder Sonne öffentliche Bäder mitten in der Stadt zu etablieren. und auf die sogenannte graue Energie: Warum reißen Schwimmende Gärten wie in Projekten der “Grünen wir Gebäude ab, die baulich keine Mängel aufweisen, Schute” (Lebendige Alster-Programm) sind ebenfalls nur um Neues zu bauen, das dem gleichen Zwecke vorstellbar. dient? Durch den Erhalt und Umbau von Bestand, aber auch durch die Verwendung heimischer Materialien und ressourcenschonendes Bauen lässt sich graue Energie minimieren (siehe hierzu auch das BDA Posi- tionspapier zu klimagerechter Architektur). Schwimmen im Kopenhagener Hafen [Julien De Smedt] Begrüntes Lernschiff „Grüne Schute“ [M. Buchwald]
7 Hamburgs Innenstadt organisiert den Straßenraum menschlich und gerecht 2 Mobilität & Bewegung Beckergrube Lübeck: verkehrsberuhigter Geschäftsbereich mit reduzierter Geschwindigkeit [[c] Heske Hochgürtel Lohse Architekten] Aufenthaltsqualität, Verkehrssicherheit und angstfreie Räume auf und in den Straßen sind essentiell für die Belebung urbaner Zentren. Die Ham- burger Innenstadt wagt einen Neuanfang: Die Belegung des öffentlichen Raums und der Straßen wird neu sortiert und orientiert sich dabei vor- rangig am Menschen. Fußgänger*innen stehen, gefolgt von Fahrrad und ÖPNV, im Zentrum einer verkehrlichen Neuordnung. Dazu kommen intelli- gente Konzepte für den Wirtschaftsverkehr. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
2 Mobilität & Bewegung Vielfalt an Nutzungs- 8 möglichkeiten von Verkehrsflächen [Bundesbericht Bau- kultur 2018/2919, S. 77] In der Innenstadt von Morgen ist der öffentliche Raum Aufenthalts- und Begegnungraum, keine Transit- strecke. Der MIV gibt damit seine dominante Rolle ab und macht Platz für die Fußgänger*innen. welche die Innenstadt als Ort des Aufenthaltes und derBegeg- nung nutzen können. Die Anbindung der Innenstadt an die anderen Quartiere geschieht durch eine Verbund- lösung. Im Dialog mit allen Verkehrsteilnehmenden können Lösungen gefunden werden, die den vielfälti- Straßen sind mehr als Fahrbahnen. Sie sind Verbin- gen Nutzungsansprüchen an den Straßenraum ge- dungsadern und Kommunikationswege. recht werden. Die autogerechte Stadt bedroht nicht nur Klima und Gesundheit. Sie reserviert einen übergroßen Teil der Flächen zwischen den Gebäuden für das Parken und Fahren privater Pkw. Mit Staus und Parksuchverkehr ist das ineffizient und behindert die Nutzung des öffentlichen Raumes als Ort der Begegnung und der öffentlichen Debatte. Die Innenstadt braucht eine Neuverteilung des öffentlichen Raums, in dem sozial, wirtschaftlich und kulturelle Nutzungen sich entfalten können. Der motorisierte Verkehr wird auf Anwohner- und Wirt- schaftsverkehr sowie ÖPNV und Menschen mit Behin- derungen reduziert und die Fahrbahnen zu barriere- freien Begegnungszonen für alle Verkehrsbeteiligten umgestaltet. Autofreies Rathausquartier Hamburg, Sommer 2020 [c] Florian Marten
9 Hamburgs Innenstadt erhält universell nutzbare Räume 3 Öffentlicher Raum Öffentliche Anlage „Superkilen“ in Kopenhagen [[c] Iwan Baan] Die wichtigste Funktion öffentlicher Räume ist in den vergangenen Jahr- zehnten in den Hintergrund gerückt: ihre gesellschaftliche Dimension. Dabei sind zugängliche, universell nutzbare und gut gestaltete öffentliche Räume wesentlich für das wachsende Bedürfnis der Stadtgesellschaft nach Freiräumen, kulturellen Aktivitäten und Begegnungsorten. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
3 Öffentlicher Raum Aktionstag „Die Alt- stadtküste atmet - 10 AUF“, September 2020 Gesperrte Straßen als öffentlicher Raum für Alle: Kulturveranstal- tungen, Spielbereiche, Flohmarkt & Handel Kunstaktionen und anderen soziokulturellen Platznut- zungen führt seit Jahren zu sich ändernden Anforde- rungen an den öffentlichen Raum, die einem massiven Mangel an Aufenthaltsqualität diametral gegenüber- stehen. Eine Innenstadt ist dann attraktiv, wenn sie für Alle zu- gänglich und nutzbar ist. Wenn im öffentlichen Raum soziale und kulturelle Praxis für Alle stattfinden kann – im Sinne einer Auffassung von Kultur als “Gestaltungs- Spätestens Jan Gehl, der als Architekt und Stadtplaner raum menschlicher Freiheit” (Friedrich Wilhelm Graf, aus Kopenhagen das Motto der “Stadt nach mensch- Klaus Tanner). Dies erfordert eine gerechte Aufteilung lichem Maß” bekannt gemacht hat, rückt die Funktion der Flächen für Begegnung, Mobilität, Verweilen, Kul- öffentlicher Räume als zentraler Schlüssel zur sozia- tur, Handel und Bildung. Bei derart knappen Flächen, len, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen wie wir sie in unseren Städten aktuell vorfinden, bedarf Belebung von Innenstädten in das Bewusstsein von es einer Neubewertung der Verteilung des öffentli- Öffentlichkeit und Stadtplanung. Der Baukulturbericht chen Raums und einer multifunktionalen Nutzbarkeit 2020/2021 bezeichnet öffentliche Räume gar als die statt klarer Trennung der Nutzungen. Es erfordert die “räumliche Dimension der Freiheit” (S. 28). Möglichkeit, sich ohne Konsumzwang (wie z. B. in Cafés) aufhalten zu können. Das autofreie Rathaus- Dennoch fließen diese Erkenntnisse kaum in die quartier 2019 und die Aktionen “Auf die Plätze!” 2019 Stadtentwicklung der letzten Jahrzehnte ein – die und 2020 haben deutlich gemacht, wie hoch der Be- Auswirkungen sind Nutzungskonflikte unterschiedli- darf an Orten des Verweilens und Sich-Begegnens in cher Gruppen um knappe Flächen. Öffentliche Räume der Hamburger Innenstadt ist. werden durch Handel, Verkehr, Gastronomie und Städ- tetourismus beansprucht. Dabei sollten sie vor allem Orte der sozialen Zusammenkunft, der Kommunika- tion, der Kultur und des Verweilens für Einwohnenden und damit auch unersetzliche Orte gesellschaftlicher Debatte sein. Die Stadtgesellschaft drängt nicht erst seit der Covid-19-Pandemie nach draußen. Die Ten- denz der “Mediterranisierung” mit Events unter freiem Himmel, Außengastronomie, “Cornern”, Konzerten, Diverse Nutzung des öffentlichen Raums; Autofreies Rathaus- quartier, Sommer 2019 [oben [c] Florian Mar- ten, unten [c] LU‘UM]
11 Hamburgs Innenstadt wird wieder bewohnt 4 Wohnen & Bildung Umnutzung ehemaliges Hertie-Kaufhaus Lünen [links: [c] Torsten Uding; rechts: [c] Thomas Haubrich] Zentraler Baustein einer lebendigen Innenstadt ist eine alters- und so- zialgemischte Bewohnerschaft. Die Umwandlung von Gewerbeflächen in Wohnraum ist neben der Neugestaltung des öffentlichen Raums der Schlüssel für eine nachhaltige Belebung der Innenstadt. Wichtig dabei ist, dass Quartiere mit einer ausreichenden Zahl von Bewohner*innen ent- stehen. Schulen, Kitas und Weiterbildungseinrichtungen, auch für die Be- schäftigten der Innenstadt, flankieren die Transformation und schaffen die Infrastruktur für ein lebendiges Wohnumfeld mit entsprechenden Versor- gungseinrichtungen und Dienstleistungen. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
4 Wohnen & Bildung Gröninger Hof 12 Skizze der Umnutzung des Parkhauses als Wohnraum [Altstadt für Alle] Parkhaus Gröninger Straße heute [MOPO] Vor allem durch ihre Genossenschafts- und Parti- zipationstradition dient die Schweiz als Vorbild für gemischte Gebiete, die Wohnen, Gewerbe und sogar Industrie vereinen. Beispiele wie das Projekt Kalkbreite in Zürich zeigen, dass komplexe Mischnutzungen und lärmbelastete Standorte kein finales Hindernis sein müssen. Kalkbreite, Zürich Die Züricher Genossenschaft „Kalkbreite“ hat sich der Der Anteil der Wohnbevölkerung in der Hamburger partizipativen Entwicklung und Planung von alternati- Innenstadt hat nach 1945 in einem Maß, abgenommen ven Wohnformen und Bauten verschrieben. Dabei will wie in keiner anderen europäischen Metropole. Dass sie radikal Ziele der Nachhaltigkeit erreichen – und das dieser Prozess bereits nach dem großen Brand von mitten in der Innenstadt über einer Tramwendeanlage. 1842 mit der einseitigen Ausrichtung auf Büro- und Einkaufsflächen begann und sich mit den Zerstö- Als selbstorganisierte Gemeinschaft ist sie über die rungen des 2. Weltkriegs fortsetzte, hat bleibende Ländergrenzen hinaus für ihre innovativen und labor- Schäden in der Struktur der Stadt und nicht zuletzt im haften Entwicklungsprozesse bekannt. Bewusstsein der Hamburger*innen hinterlassen. Mittlerweile entwickelt sich ein überfälliger Diskurs um die Nachnutzung innerstädtischer Immobilien, die für Handel und Büro nicht mehr benötigt werden, bei- spielsweise durch studentisches Wohnen. Pilotprojek- te sind hier z. B. die Genossenschaft Gröninger Hof im Katharinenquartier, die ein Parkhaus in ein Wohnhaus umwandelt. Dieses Projekt steht exemplarisch für die Rückkehr der Funktion “Wohnen” in die innere Stadt sowie gleichzeitig für die Transformation der “autoge- rechten Stadt” in eine Stadt nach menschlichem Maß. Wohn- und Gewerbebau Kalkbreite, Zürich [oben: [c] Müller Sigrist Architekten unten: [c] Volker Schopp]
13 Hamburgs Innenstadt öffnet sich für vielfältige Betriebs- und Arbeitsformen 5 Arbeit & Wirtschaft Werkstätten, Ateliers, Büros und Kulturhafen: Die Honigfabrik in Hamburg Wilhelmsburg [[c] Honigfabrik] Das wirtschaftliche Modell der Innenstadt mit Shopping, Büros, Gastro- nomie, etwas Kultur und Dienstleistung steht vor dem Kollaps. Eine viel- fältige innerstädtische Ökonomie schafft Stabilität und Belebung: Neue Formen urbaner Produktion, Verknüpfungen von Dienstleistungen, Krea- tivwirtschaft, Start Ups und lokalen Ökonomien. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
5 Arbeit & Wirtschaft Neubad Luzern, Schweiz 14 Arbeitsplätze als Zwischennutzung im ehemaligen Schwimmbad. [c] Christian-Felber Auch für Kunstschaffende, die Kreativwirtschaft und Start Ups braucht es bezahlbare Flächen. Dies kann auch in Form temporärer Zwischennutzungen, wie zum Beispiel im Neubad in Luzern [links], geschehen. Auch das Projekt „Gröninger Hof“ steht für die mul- tifunktionale Umnutzung von Bestandsgebäuden: Wohnen und Arbeiten kommen dabei in wegweisender Form zusammen. Gusto Headquarter, San Franciso Das Projekt [unten] verdeutlicht das Potenzial einer Umnutzung von Industriefläche zu Gewerbe. Das groß- Seit dem großen Brand von 1842 hat die Gewerbe- flächige Industriegebäude in San Francisco fungiert vielfalt im Zentrum Hamburgs stark abgenommen. heute als Büroraum für ein Techunternehmen. Das his- Wie in den meisten deutschen Innenstädten führen torische Gebäude, das einst als Maschinenwerkstatt die Digitalisierung und ein Strukturwandel im Einzel- für militärische Zerstörer und U-Boote diente, wurde in handel auch hier zu einer dramatischen Verödung. In ein multifunktionales Bürogebäude umgewandelt. der Corona-Pandemie werden die Folgen zugespitzt sichtbar: Nicht nur viele Einzelhandelsgeschäfte, auch Built in Barmbek Hotels und Gastronomie sind in ihrer Existenz bedroht. Das Diagramm (unten) zeigt auf, wie viele Funktionen sich unter dem Dach von “Built in Barmbek” ver- Der deutsche Stadtforscher Dieter Läpple, ehemals sammeln. Das Projekt wirbt mit seiner zentralen Lage Leiter des Instituts für Stadt- und Regionalökonomie und guten Anbindung. Es verdeutlicht auch mit dem an der Uni Hamburg, plädiert seit Langem für urbane Eigennamen die Wichtigkeit von Produktion in der Manufakturen, die sich innerstädtische Räume als Stadt. Produktionsstandorte zurückerobern und der funk- tionalen Trennung in deutschen Städten entgegen- wirken. Neben einer Diversifizierung des Angebots und des Arbeitsmarktes bietet die innerstädtische Lage sowohl für die Stadt als auch für viele Produktions- stätten, gerade im handwerklichen Bereich, Entwick- lungspotenzial: Indem sie lokale Synergien nutzen, können Manufakturen beispielsweise Herstellungs- prozesse teilen, gemeinsame Produkte entwickeln und von dem Wissen ansässiger anderer Betriebe und Dienstleister profitieren. oben: Built in Barmbek [built-in-barmbek.de] unten: Gusto Head- quarters, San Franciso [[c] Dan Howarth]
15 Hamburgs Innenstadt aktiviert ihre Erdgeschosse 6 Multifunktionale Erdgeschosse Werkstatt Gröninger Hof: Kultur-, Arbeits- und Begegnungsraum im Erdgeschoss eines Parkhauses [LU‘UM] Nach dem Motto „offen für Öffentliches” werden die Erdgeschosse zu Freiräumen oder zumindest offen einsehbaren Zonen, die mit dem Stra- ßenraum interagieren und ihn erweitern. Der bauliche Bestand der In- nenstadt bietet die Möglichkeit, vielfältige Nutzungskonzepte zu verwirk- lichen, die neben wirtschaftlichen auch niedrigschwelligen sozialen und kulturellen Angeboten Raum geben. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
6 Multifunktionale Erdgeschosse Entwürfe für die neue Rathauspassage, 16 Hamburg [medium Architekten] Die neue Rathauspassage ist ein Beispiel für diese Form der Innenstadtentwicklung. Hier steht das Sozia- le im Fokus. So gibt es z. B. Charity Shops und Job-Be- ratungen für Langzeit-Arbeitssuchende. Die ursprüngliche Qualität der „europäischen Stadt“ Ziel sollte es sein, einen Plan der Innenstadt zeichnen beruht neben der Vielfalt im öffentlichen Raum auf zu können, wie es der italienische Architekt Giambat- der Einbeziehung der Erdgeschosse als ganz- oder tista Nolli im 18. Jahrhundert tat: Mit vorrangig weißen teil-öffentliche Räume. Um Erdgeschosse gemein- Flächen, die öffentliche oder teil-öffentlich zugäng- wohlorientiert nutzbar zu machen, ist es notwendig, liche Räume auszeichnete – auch wenn dies Innenräu- die wirtschaftlichen Monostrukturen der Innenstadt me (wie z. B. Kirchen) waren. (Büro, Einzelhandel, Gastronomie) aufzubrechen. Auch müssen die Flächen für nicht-kommerzielle Nutzun- gen erschwinglich sein – es gilt also, die Zwänge der Bodenspekulation zu überwinden. Öffentliche und teil-öffentliche Räume zeichnen sich dabei vor allem durch ein Charakteristikum aus: Ein Aufenthalt hier ist nicht an Konsum gebunden, wie es in Geschäften, Cafés aber auch in BIDs (Business Improvement Districts) der Fall ist. Die Nutzung von Erdgeschossen als öffentliche Räume öffnet diese also nicht nur für eine bestimmte Nutzer*innengrup- pe, sondern für Alle und tritt der Kommerzialisierung der (Innen-)Städte entgegen. Neue Kultur- und Bildungsinstitutionen (z. B. Museen und Galerien), Gewerbehöfe für Startups und Handwer- kerhöfe können hier Akzente setzen. oben: Nolli-Plan, Rom unten: Erdgeschosszone, Lagerplatz Winterthur, Schweiz [lagerplatz.ch]
17 Hamburgs Innenstadt aktiviert ihr Gedächtnis und stiftet wieder Identität 7 Identität & Baukultur Traditionelles Kontorhaus: Das Chilehaus in der Hamburger Innenstadt [chilehaus.de] Die Innenstadt als Zentrum, Bezugspunkt und geschichtlicher Ort ist Iden- titätsträger der Hansestadt – mit der sich viele Bürger*innen heute jedoch kaum noch identifizieren. Die gebaute Historie der Innenstadt wird wie- derentdeckt, respektiert, sichtbar gemacht und gestärkt. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
7 Identität & Baukultur 18 Gestaltungsleitfäden als Instrument zur Berücksichtigung lokaler Bautraditionen: Fassadenvorgaben für das neue Gründungs- viertel in Lübeck [gruendungsviertel.de] Erinnerungskulturelle Angebote laden ein, die Ge- dächtnislandschaft der Stadt zu entdecken und zu entziffern. Ohne Erinnerung bleibt der gesellschaftli- che Diskurs einer Stadt abgeschnitten von den Res- sourcen und Visionen, die aus dem Gedächtnis ihrer Geschichte und ihrer Leiden erwachsen. Um traditio- nelle Baustile, Materialien und Formen für kommen- de Generationen sichtbar zu machen, sollten neue Bauvorhaben lokale Qualitäten behutsam weiterent- wickeln. So wird bei der Realisierung neuer Vorhaben der Be- deutung des baukulturellen Erbes und des Denkmal- schutzes ebenso Rechnung getragen wie der Frage ästhetischer Passung oder Korrespondenz. Solch orts- spezifisches Bauen stärkt die Identität des jeweiligen Kontextes und arbeitet seine Besonderheiten heraus – hier der Hafen- und Handelsstadt Hamburg. Beispiele behutsamen Bauens in tra- ditionellen städtebaulichen Kontexten [von oben nach unten]: Erweiterungsbau von gmp in der HafenCity [[c] Marcus Bredt] Ulrich Gabler Haus, KSA, Lübeck [c] Dorfmüller Klier Hansemuseum, Andreas Heller, Lübeck [c] Daniel Vieser
19 Hamburgs Innenstadt schafft die Überregulierung öffentlicher Räume ab 8 Administration & Bürokratie Haus der Statistik Berlin [raumlabor.net] Kaum eine Fläche ist von mehr Gesetzen und Verordnungen bestimmt als der öffentliche Raum. Um Innenstädte wieder zu Lebensräumen zu ma- chen, braucht es Flächen, die von der und für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Nutzenden gestalten sie dabei selbst. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
8 Administration & Bürokratie Vision für das Haus der Statistik, 2016 [raum- 20 laborberlin, Illustration von Maria Garcia] Werkstatt im Haus der Statistik [hausdersta- tistik.org] Haus der Statistik Das Projekt ist aus einer Protestaktion entstanden, bei der ein Zusammenschluss von Akteuren aus der Kunst- und Kulturszene gegen den Verkauf des Gebäudes und den damit einhergehenden Abriss demonstrierten. Entstanden ist daraus die Entwick- lungsgenossenschaft ZKB ZUsammenKUNFT Berlin eG – Genossenschaft für Stadtentwicklung. Der Impuls der Initiative ist, aus dem Areal einen vielfältigen Ort für Kultur, Soziales, Bildung und integriertes Woh- nen zu entwickeln. Die Erdgeschosse des gesamten Quartiers sollen im Sinne des Gemeinwohls genutzt werden. Sie bilden die Basis für ein lebendiges Quar- Voraussetzung dafür ist eine umfassende Entbüro- tier. Während der Planungs- und Bauphase werden im kratisierung: Ineffiziente Normen, Planungsabläufe Bestand bereits mögliche Nutzungen ausgetestet. und ordnungsrechtliche Vorschriften sowie Teilha- bebeschränkungen müssen abgebaut werden, um Österreichischer Platz [Stadtlücken] Nutzungs- und Gestaltungsspielräume zu schaffen. Der gemeinnützige Verein “Stadtlücken” vertritt in Die Verwaltungspraxis des Bezirks sowie der Innen-, diesem Projekt die Haltung “Welche Nutzungen dieser Stadtentwicklungs- und Verkehrsbehörde müssen ver- Ort verträgt, was sich verstetigen lässt und wie ver- einfacht und flexibler werden. schiedene Interessensgruppen im öffentlichen Raum Gegenwärtig bedarf es eines immensen administra- gemeinsam leben, können Bürgerinnen und Bürger, tiven Aufwandes, um z. B. Straßenmusik zu machen Nachbarinnen und Nachbarn hier gemeinsam mit dem oder einen Foodtruck im öffentlichen Raum zu betrei- Verein ausprobieren und evaluieren”. Wer aktiv werden ben. Gerade kleine Akteure und Unternehmen schei- will, muss sich lediglich mit einem Ideenblatt bewer- tern an diesem Prozess oder an finanziellen Hürden. ben. Damit das Zusammen-Machen und -Leben dort Im Gegenzug dazu ist es für bereits etablierte Betrei- funktioniert, hat der Verein Spielregeln formuliert. ber*innen von Ständen ein Leichtes, die Genehmigung für einen weiteren Bratwurststand zu erhalten. Diese unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten verhindern die Entwicklung von Diversität. Um Ideen zu erproben und neue Nutzungskonzepte zu entdecken, braucht es Orte für “einfach mal ma- chen”. Denkbar wären konkrete Flächen, auf denen jede Form der Nutzung erlaubt und niedrigschwellig zu realisieren ist – beispielsweise, indem man sich über eine Verwaltung einen Slot bucht. Zwischennutzungen am Östereichischen Platz, Stuttgart [oe-platz.de]
21 Hamburgs Innenstadt öffnet sich für Experimente 9 Zwischennutzungen Offene innerstädtische Räume für Alle [Adapter Stuttgart] Lücken und Leerstände sind Experimentierflächen für neue und alte For- men von Arbeit, Konsum, Wohnen, Produktion und Begegnung. Handel, Gastronomie und traditionelle Betriebe finden neben Start-ups und hand- werklichen Produktionsstätten Platz und profitieren von Austausch und Publikum. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
9 Zwischennutzungen oben: Umbaubar, Oldenburg 22 Temporäre Bar, die von Leerstand zu Leer- stand zieht [[c] NWZ] unten: Funktions- schema der ZZZ - ZwischenZeitZentrale Bremen Nach diesem Vorbild braucht auch die Hamburger Innenstadt eine lokal angebundene und in der Zivil- gesellschaft verankerte Instanz, die unabhängig freie Flächen verwaltet, Projekten kurzfristig und informell Raum gibt und eine Koexistenz verschiedener Funk- tionen erlaubt. Für die Finanzierung von Projekten wird ein eigener Fonds eingerichtet. Die Voraussetzungen für Zwischennutzungen sind Flexibilität, Netzwerke, Expertise und Kuration. Andere Städte und Kommunen wie z. B. Wuppertal machen es vor: Hier entstand durch die Städtebauförderung “soziale Stadt” 2007 eine Zwischennutzungsagentur, die zunächst die Gebäudebestände erhob, Eigentü- mer*innen ermittelte und ansprach sowie potenzielle Zwischennutzungen identifizierte. Parallel dazu war es Aufgabe der Agentur, die Gebäudeeigentümer*innen zu beraten und zu unterstützen sowie später die Ver- mittlung von Räumlichkeiten zu managen. Als Schnitt- stelle konnte die Agentur Verwaltung und Immobilien- wirtschaft entlasten sowie kleine Unternehmen und Selbstständige unterstützen – und damit Raum für Diversität schaffen. Auch in der Schweiz haben sich Agenturen wie “unter dessen” etablieren können, welche einem speziellen Mietmodell das Risiko und die Verantwortung gegen- über dem Eigentümer und den Nutzenden überneh- men. Der Fokus liegt dabei auf der situativen Gestal- tung von Zwischennutzungen. Verfügbare Räume- Anzeiger, Zentrale Pratteln [unterdessen.ch] Zwischennutzung ehe- maliges Kaufhaus in München: Puerto Giesing [c] CCC
23 Hamburgs Innenstadt nutzt innovative Stadtentwick- lungsverfahren 10 Stadtentwicklungsprozess PARKS Hamburg [[c] Adele Virot] Kaum eine Fläche ist von mehr Gesetzen und Verordnungen bestimmt als der öffentliche Raum. Um Innenstädte wieder zu Lebensräumen zu ma- chen, braucht es Flächen, die von der und für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Die Nutzenden gestalten sie dabei selbst. Thesen für die Hamburger Innenstadt I Kooperationsprojekt Altstadt für Alle! und LU'UM I November 2020
10 Stadtentwicklungsprozess PARKS 24 Ausstellung und ge- meinsames Arbeiten [oben [c ]Adele Virot; unten [c] Antje Sauer] Dies fordert u. a. auch die renommierte Bundesstif- tung Baukultur. In architektonischen Projekten wird diese der eigentlichen Planung vorgeschaltete Be- darfsermittlung auch als “Phase 0” bezeichnet, jedoch ist diese Phase nicht im formellen Ablauf architektoni- scher Planung berücksichtigt und wird nur eigeninitia- tiv umgesetzt. PARKS / Hamburg Im Auftrag der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie setzt die Arge HALLO: Park die verschiedenen Abschnitte des Alster-Bille-Elbe-Grünzugs u. a. mit Herkömmliche Formen der Stadtentwicklung inklusive Spaziergängen, gemeinsamem Gärtnern auf ehemali- der bisherigen Planungs- und Beteiligungsverfahren gen Asphaltflächen, Bauworkshops für Insektenhotels reichen nicht aus, um einen interaktiven und zu- mehr als grünes Band temporär in Szene. kunftsfähigen Stadtumbau auf den Weg zu bringen. In der Innenstadt treffen verschiedenste Interessen, Zuständigkeiten, Entwicklungsziele, Kommunikations- Bolzplatz HafenCity / Hamburg weisen und Eigentumsverhältnisse aufeinander. Häu- Der Bolzplatz in der HafenCity ist das Ergebnis starken fig fehlen jedoch Kommunikationsplattformen, Trans- zivilgesellschaftlichen Engagements. Als ein temporär parenz und die Bereitschaft, die Zivilgesellschaft mit entstandener Platz auf einem Baufeld in der HafenCity ihren Ressourcen von Beginn an bzw. in der “Phase 0” dem vorgesehenen Bauvorhaben weichen musste, (s. u.) einzubinden. gründeten Engagierte die Initiative „Kick’n’Plant, der es in Zusammenarbeit mit der HafenCity Hamburg Der Begriff der Mitgestaltung und Teilhabe von Bür- GmbH in kurzer Zeit gelang, Gelder für den Erhalt zu ger*innen am Stadtgeschehen scheint überholt. Es sammeln. gilt, Nutzenden als Expert*innen proaktiv einzubezie- hen und Formen einer ko-kreativen-Planung zu ent- wickeln, an denen alle Akteure aktiv teilhaben können. Neue Formen der Stadtentwicklung, die den räumli- chen und soziokulturellen Kontext eines Gebiets noch vor der eigentlichen Planung in Form ko-kreativer Prozesse einbeziehen, sind ein erfolgversprechender Weg - erkennbar an Projekten wie PARKS (Hamburg), Rathausblock (Berlin) oder internationalen Beispielen (Les Grands Voisins, Paris; Granby Four Streets, Liver- pool). Bolzplatz in der Hafencity [c] Frank Engelbrecht
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