Interface paradigms - Vergangenheit und Zukun des Interface Designs - Usability ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Interface paradigms – Vergangenheit und Zukun� des Interface Designs Ste�en Gorski hey@ste�engorski.de Meiré und Meiré Köln ZUSAMMENFASSUNG gestalterischer Lösungen bestmöglich vermitteln lassen. In Von Skeuomorphismus über Flat, Material und Fluent Design den meisten Curricula für die akademische Ausbildung von – die Gestaltung gra�scher Benutzerober�ächen hat in den Designer*innen ist die Vermittlung von designhistorischen letzten Jahrzehnten verschiedenen ästhetischen Paradigmen Kenntnissen vorgesehen. Denn die Auseinandersetzung mit unterlegen. Diese sind teils von wissenschaftlichen Erkennt- historischen Entwicklungen ermöglicht die Einordnung ge- nissen, teils von technischen Restriktionen oder kulturhis- stalterischer Lösungen in technik- und kulturgeschichtliche torischen Sehgewohnheiten beein�usst worden. Dabei geht Kontexte und damit deren Analyse und Bewertung. Auch für es nicht nur darum, wie Benutzerober�ächen verständlich den Bereich Interfacedesign ist deswegen eine Auseinander- gemacht werden, sondern auch darum, wie der digitale Raum setzung mit historischen Phänomenen aus einer ästhetischen an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine reprä- Perspektive unabdingbar. sentiert wird. Wie und warum kam es in der Vergangenheit zum Paradigmenwechsel in der Gestaltung von Interfaces? 2 ZIELSETZUNG Welche Rolle spielen Unternehmen in diesem Prozess? Und Das erste Ziel ist, in einer historischen Rückschau auf die was ist für die Zukunft zu erwarten? Gestaltung gra�scher Benutzerober�ächen ästhetische Pa- radigmen zu identi�zieren und diese zu beschreiben. Aus KEYWORDS der Identi�kation ergibt sich notwendigerweise die Frage Interface Design, GUI, Ästhetik, Stilgeschichte, Technikge- nach den Gründen für die Entstehung und Ablösung die- schichte, Benutzerober�ächen ser Paradigmen. Das zweite Ziel stellt die Suche nach den Gründen dar. Dabei gilt als Hypothese, dass der Wechsel von 1 EINLEITUNG Paradigmen verschiedenen Ein�ussfaktoren wie technolo- Interaktive, digitale Produkte sind heutzutage stärker in die gischen Restriktionen, ästhetischen Sehgewohnheiten und alltäglichen Praktiken der meisten Menschen verwoben als unternehmenspolitischen Beweggründen unterliegt. früher. Computer, Smartphones und andere technische Ge- Die Ergebnisse sollen in einer systematischen historischen räte sind nicht mehr nur Arbeitsgerät, sondern auch Werk- Rückschau münden, die ein Verständnis für die Bedingun- zeuge zur Strukturierung und Gestaltung des Privatlebens. gen ästhetischer Entwicklungen im Bereich von Mensch- Als Besitzer*innen von Smartphones, Tablets, Laptops und Maschine-Schnittstellen ermöglicht. Diese Erkenntnisse tra- Wearables kommen die meisten Menschen heute ständig mit gen zu einem besseren Verständnis gestalterischer Lösungen digitalen Benutzerober�ächen als Schnittstelle zu komple- als Ausprägung entwerfender Tätigkeiten im Sinne einer xen technischen Systemen in Berührung, indem sie diese für Kulturtechnik bei. Neben einer systematischen Rückschau Kommunikation, Information, Unterhaltung und Konsum dienen die gesammelten Erkenntnisse auch der Auseinan- nutzen. Die Gestaltung dieser Benutzerober�ächen gewinnt dersetzung mit zukünftigen gestalterischen Lösungen. So damit zunehmend an Bedeutung. können sie zum wichtigen Hilfsmittel in der Aus- und Wei- Bei der Konzeption eines Seminars zum Thema Interface- terbildung professioneller Gestalter*innen werden. design stellte sich für mich die Frage, wie sich zum einen die erforderlichen fachlichen und handwerklichen Fähigkei- 3 METHODIK ten zur Gestaltung benutzerfreundlicher Schnittstellen und Für die historische Analyse bot sich zunächst die Recherche zum anderen die Kompetenz zur Analyse und Bewertung in schriftlichen Dokumenten wie Monogra�en, Interviews und Tagungsbänden an. Als Ausgangspunkt wurden Mono- Verö�entlicht durch die Gesellschaft für Informatik e.V. und die German UPA e.V. 2019 in S. Hess & H. Fischer (Hrsg.): gra�en aus den Bereichen Technik- und Designgeschichte Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, [9, 11, 14, 23] genutzt, um historische Entwicklungen im © 2019 Bei den Autoren. Überblick nachzuvollziehen. Daneben konnten auch praxis- https://doi.org/10.18420/muc2019-up-0130 orientierte Lehrbücher aus den Bereichen Interaction und 25
Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Gorski Interface Design als Quellen herangezogen werden [5, 25]. zunächst fest, dass die Weiterentwicklung digitaler Schnitt- Als Ergänzung wurden wissenschaftliche Artikel konsultiert, stellen bisher von gra�schen Benutzerober�ächen dominiert die vor allem die akademische Weiterentwicklung von Tech- wird und gibt einen kompakten Überblick über ästhetische nologien aus erster Hand dokumentieren [17, 18]. Paradigmen in frühen Kommandozeilen-Interfaces bis hin Dies wurde durch eine Recherche in Archiven und Museen zu zeitgenössischen Web-Interfaces [2]. Des Weiteren betont ergänzt, die die historische Entwicklung durch die Sammlung Bollini unter Berufung auf experimentelle Studien die starke physischer oder visueller Artefakte aufzeichnen. Hier wur- Verbindung von Form und Funktion in der Bewertung der den vor allem digitale Archive und die physischen Bestände Qualität von digitalen Benutzerober�ächen: in der Wahrneh- von Museen konsultiert, um historische Entwicklungen so- mung von Benutzer*innen sind Benutzerfreundlichkeit und wohl im Bereich Software als auch im Bereich Hardware visuelle Erscheinung untrennbar miteinander verknüpft. Die- nachvollziehen zu können. ses Argument betont die Relevanz gestalterischer Lösungen für ein positives Nutzungserlebnis bei der Interaktion mit di- gitalen Produkten. Neben den unterschiedlichen historischen 4 STAND DER FORSCHUNG Herangehensweisen erö�nen jüngere Forschungsansätze in Geht man der Frage nach, warum Interfaces heute so sind, der Psychologie ebenfalls einen Zugang zu ästhetischen Fra- wie sie sind, bietet eine historische Sichtweise eine Vielzahl gestellungen. Diefenbach und Hassenzahl entwickeln erste von Anhaltspunkten zur Beantwortung. Der derzeitige Stand Modelle zur Untersuchung der Ästhetik von Interaktionen. der Forschung zeigt, dass es aus verschiedenen Disziplinen Der Fokus liegt dabei aber weniger auf der visuellen Gestal- bereits Annäherungen gibt, o�enbart aber auch, dass es bis- tung digitaler Artefakte als vielmehr auf der ästhetischen her an einer systematischen Auseinandersetzung mit dem Wahrnehmung von Interaktionen als Handlung in sozialen Thema mangelt. Die bisherigen designhistorischen Ansätze Kontexten [6]. legen ihren Schwerpunkt zumeist auf die Auseinanderset- Als Resümee lässt sich festhalten, dass die Konsultation zung mit der Geschichte der industriellen Produktgestaltung: verschiedener Formen von historischen Dokumenten – vor Selle legt mit seinem Standardwerk zum Design in Deutsch- allem Monogra�en, wissenschaftliche Artikel und Archivbe- land einen wichtigen Grundstein für das Verständnis für ständen – zwar in Kombination einen detaillierten histori- historische Entwicklungen, beschränkt sich aber vor allem schen Überblick ermöglichen. Allerdings mangelt es bisher auf physische Produkte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an einer systematischen Aufbereitung mit dem Fokus auf [23]. Hau�e bezieht in seine Betrachtung auch europäische einen umfassenden Überblick auf die ästhetische Entwick- und amerikanische Entwicklungen mit ein, behandelt aber lung von Benutzerober�ächen. die Gestaltung von Benutzerober�ächen und digitalen Ar- tefakten nur am Rande [11]. Meggs‘ Geschichte des Gra�k- 5 ERGEBNISSE designs liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Die Geburtsstunde der Interfacegestaltung ist nicht eindeutig Evolution visueller Kommunikation, bleibt aber in der Aus- in der Literatur de�niert. Als Vorläufer von Benutzerober- einandersetzung mit jüngeren Entwicklungen im digitalen �ächen im heutigen Verständnis können die Bedieneinrich- Bereich ebenfalls beschränkt [14]. Eine sinnvolle Ergänzung tungen früher Rechenmaschine des beginnenden 20. Jahr- zu designhistorischen Betrachtungen stellen technikhisto- hunderts betrachtet werden. Die ersten Computer der 1950er rische Ansätze dar, die sich vor allem mit der Entwicklung und 1960er Jahre sind mit frühen Formen von Benutzerober- von technischen Hilfsmitteln und Maschinen beschäftigen. �ächen ausgestattet, die aber aufgrund der zunächst relativ Gugerli liefert eine systematische und umfassende Ausein- beschränkten Funktionen des Computers – wie Sortieren, andersetzung mit der Entstehung und Weiterentwicklung Klassi�zieren und Rechnen – vor allem über mechanische von Rechenmaschinen und Computern [9]. Myers gibt einen Elemente wie Schalter, Knöpfe und Schieberegler zu bedie- Überblick über die historische Entwicklung neuer interak- nen sind [9]. Die ersten Produkte, die mit digitalen Benut- tiver Technologien und zeigt auf, dass die meisten Innova- zerober�ächen im heutigen Verständnis vergleichbar sind, tionen aus akademischen oder institutionellen Forschungs- kommen zunächst aus der institutionellen Forschung an Ein- einrichtungen stammen [17, 18]. Die Gestaltung der Ober�ä- richtungen wie dem Stanford Research Laboratory (SRI) und chen, mit denen diese Maschinen bedient werden, wird aber dem Xerox PARC und werden in den späten 1970er, aber in diesen Betrachtungen außer Acht gelassen. Praxisnahe vor allem in den 1980er Jahren, kommerziell zunehmend Lehrbücher aus den Bereichen Interaktions- und Interfacege- von Unternehmen wie Microsoft und Apple über Produkte staltung greifen historische Zusammenhänge häu�g nur am und Betriebssysteme verbreitet [9]. Dabei haben sich vor Rande auf und beschäftigen sich nicht systematisch mit deren allem gra�sche Benutzerober�ächen als dominante Form der Entstehungszusammenhängen [5, 25]. Ästhetische und stil- Interaktion mit technischen Systemen hervorgetan [2]. Die- historische Herangehensweisen sind bisher rar: Bollini hält ser Entwicklung schließen sich jüngere Unternehmen, allen 26
Interface paradigms – Vergangenheit und Zukun� des Interface Designs Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, voran Google, an, indem sie die Gestaltung von Benutzero- Die Interaktion mit Computern ist zu dieser Zeit für die ber�ächen zum Teil ihrer Corporate Identity machen. Damit meisten Menschen etwas Neues. Die Entwicklung gra�scher prägen sie maßgeblich Trends und visuelle Sehgewohnhei- Benutzerober�ächen soll deshalb dazu beitragen, die Mög- ten. lichkeiten der Interaktion durch Konzeptmodelle verständ- lich zu machen [24]. Als Instrument dafür nutzen die For- Historische Paradigmen scher am Xerox PARC eine bekannte Technik aus der Spra- In den 1970er Jahren wird am Xerox Palo Alto Research che: die Metapher. In der Sprache sind Metaphern bildhafte Center (PARC) mit dem Xerox Alto der erste – zu dieser Darstellungen, die den Rezipient*innen das Verständnis kom- Zeit noch als „Workstation“ bezeichnete – Computer mit plexer oder abstrakter Zusammenhänge durch das Angebot einer gra�schen Benutzerober�äche entwickelt [24]. Mit die- bekannter Bilder erleichtern. Da der Computer zunächst ein sem ersten Graphical User Interface (GUI) werden die bis Hilfsmittel ist, das in professionellen Kontexten Aufgaben dahin vorherrschenden Modi der Interaktion mit Maschi- wie Rechnen, Sortieren und Verwalten – also bürokratische nen – die entweder über mechanische Bedienelemente oder Aufgaben – zum Einsatz kommt und um diese Funktionen des sprachliche Kommandos, die mithilfe einer Tastatur eingege- Computers dessen Anwender*innen verständlich zu machen, ben werden – in den 1970er Jahren nach und nach abgelöst. hält der Schreibtisch als zentrales Element bürokratischer Damit beginnt eine Ära, in der die Interaktion zwischen Tätigkeiten als globale Metapher Einzug in gra�sche Benut- Mensch und Maschine, genau genommen Mensch und Soft- zerober�ächen. Mit dem Schreibtisch verlagern sich außer- ware, vornehmlich über gra�sche Benutzerober�ächen statt- dem die restlichen Gegenstände des Büroinventars – wie der �ndet. Zentrales Element für die Ausgabe dieser Ober�ächen Papierkorb, Ordner und Dokumente – in die virtuelle Welt. sind Bildschirme, die die virtuelle Welt, mit der der Mensch In gra�schen Benutzerober�ächen werden diese in bildhafter interagiert, in zweidimensionaler Form abbilden. Neben der Form durch Piktogramme repräsentiert. Auf gra�scher Ebe- Eingabe von sprachlichen Informationen über eine Tastatur ne stellen diese Piktogramme (oder Icons) zweidimensionale werden Systeme seitdem zunächst durch die Verwendung Repräsentationen physischer Objekte wie Ordner, Dokumen- einer Computermaus gesteuert. te oder Drucker dar, während sie auf systemischer Ebene eine Verknüpfung zu einem Programm, einer Funktion oder Bitmaps. Die erste Phase der frühen gra�schen Benutzero- einem Speicherort ermöglichen. Hierin liegt die große Stärke ber�ächen lässt sich unter dem Schlagwort Bitmaps zusam- gra�scher Benutzerober�ächen, die sie bis heute zum vor- menfassen. Denn die Ober�ächen des Xerox Alto (Abb. 1) herrschenden Paradigma in der Interfacegestaltung machen: und derer, die in den nächsten Jahren folgen, sind vor allem Programme und Funktionen können durch einfaches Aus- dadurch gekennzeichnet, dass die Ausgabe am Bildschirm wählen gestartet werden und Benutzer*innen müssen keine durch niedrige Au�ösung und die Verwendung von Schwarz komplexen Befehle oder Eingabekombinationen lernen. Aus und Weiß als einzige Farben eingeschränkt sind. Durch die diesem Grund übernehmen die Computerhersteller in den niedrige Au�ösung sind die Bildpunkte (oder Pixel) am Bild- 1980er Jahren die im Xerox PARC gemachten Erkenntnisse in schirm mit bloßem Auge deutlich erkennbar, was die Darstel- die Entwicklung und Gestaltung ihrer Produkte, allen voran lungsmöglichkeiten nicht nur stark einschränkt, sondern sie Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows und Apple als Anordnung von Punkten in einem quadratischen Raster mit seinem Betriebssystem (Classic) Mac Operating System (Bitmap) erkennbar macht. (OS). Ähnlich wie die Ober�äche des Xerox Alto sind sie ge- prägt durch die Verwendung von Icons, Fenstern und Menüs. Diese Elemente bilden zusammen mit dem Mauszeiger das In- teraktionsparadigma, das bis heute die Gestaltung gra�scher Benutzerober�ächen für Betriebssysteme auf Computern be- herrscht und unter der Abkürzung WIMP (für Windows, Icons, Menus, Pointers) bekannt geworden ist. [24] Nachdem in den 1970er Jahren die Grundsteine für erfolg- reiche gra�sche Benutzerober�ächen gelegt worden sind, erfahren sie vor allem in den 1980er Jahren große Verbrei- tung durch die zunehmende Verwendung von (Personal) Computern – zunächst nur in professionellen, später auch in privaten Kontexten. Mit dem Mac OS (1983/4), Amiga OS (1985) und Windows (1985) etablieren sich gra�sche Benut- zerober�ächen zunehmend. Durch verbesserte Darstellungs- Abbildung 1: Benutzerober�äche des Xerox Alto möglichkeiten an Bildschirmen werden die Verwendung von 27
Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Gorski Farbe und die Anzeige in höheren Au�ösungen möglich. Die Ober�ächen werden insgesamt bunter, die Darstellung von Icons und anderen Interface-Elementen weniger abstrakt. Abbildung 3: Benutzerober�äche von Windows 8 Flat Design. Gegen Ende der 2000er Jahre lässt sich dann eine Abkehr von simulierten körperlichen Darstellungen durch radikale Abstraktion feststellen. Einen zentralen Meilenstein dieser Entwicklung stellt die Verö�entlichung von Microsofts Betriebssystem Windows in der Version 8 im Jahr 2013 dar [21] (Abb. 3). Hier wird fast völlig auf die Simulation körperlicher Dar- Abbildung 2: Benutzerober�äche von Mac OS X stellungen verzichtet. Icons und Interface-Elemente werden eindimensional und einfarbig dargestellt, wodurch sie �ach erscheinen. Für dieses Paradigma etabliert sich deshalb der Begri� Flat Design. Interaktions�ächen werden durch einfa- Skeuomorphismus. In den 1990er Jahren entwickeln sich die che, farbige Rechtecke – die häu�g als Kacheln bezeichnet Betriebssysteme und die Technologien, mit denen sie ver- werden – gekennzeichnet und durch schriftliche oder ikoni- wendet werden, vor allem bezüglich ihrer Darstellungsmög- sche Informationen ergänzt. Körperschatten, Schlagschatten lichkeiten weiter: Speicherkapazitäten werden erhöht und und die Darstellung von Lichtre�exen durch Farbverläufe Bildschirme erhalten mehr Farben und höhere Au�ösungen. werden verbannt. Diesen Trend übernehmen in der Nach- Dadurch wird es möglich, dass die visuelle Darstellung der folge von Microsoft auch andere Betriebssysteme, darunter virtuellen Welt konkreter wird. Fenster, Menüleisten und auch die am weitesten verbreiteten mobilen Betriebssysteme andere Interface-Elemente werden in ihrer zweidimensiona- iOS und Android. len Darstellung durch die Verwendung von Körperschatten, Der ideologische Hintergedanke des Flat Design, der auf Schlagschatten und perspektivischer Darstellung immer kör- eine Abkehr von redundanten Gestaltungsmitteln setzt, stellt perlicher. damit eine interessante Parallele zu historischen Entwicklun- Diese Entwicklung, die sich an Betriebssystemen wie bspw. gen dar – denn ähnlich wie die Künstler*innen und Gestal- Windows 95 (1995), Windows 98 (1998) und Mac OS 8 (1997) ter*innen der abstrakten Moderne und der Avantgarden zu gut nachvollziehen lässt, stellt den Übergang zum nächs- Beginn des 20. Jahrhunderts verabschieden sich die Interface ten Paradigma dar: der Skeuomorphismus versucht, in der Designer*innen hier von dekorativen Elementen und verfol- Darstellung visueller Elemente Eigenschaften realer Objekte gen damit das Ziel, Benutzerober�ächen zu entwerfen, die zu imitieren [2]. Dazu gehören Körper- und Schlagschatten ihrer digitalen Realität gerecht werden [4]. Einen wichtigen ebenso wie die Simulation von Lichtre�exen durch Farbver- Beitrag zur Prägung von Trends und Sehgewohnheiten leis- läufe. Außerdem werden Materialien wie Metall, Leder und tet auch die zunehmende Verbreitung von internetbasierten Holz aus der realen Welt imitiert, was bei den Betriebssyste- Anwendungen, in denen die Darstellungsmöglichkeiten im men von Apple ab der Version 10 (Mac OS X, Abb. 2) seit dem Vergleich zu nativer Software technologisch eingeschränkt Jahr 2000 besonders deutlich wird. Die frühen 2000er Jahre sind. So lässt sich bspw. auch Bootstrap – das stark verbrei- werden durch dieses Paradigma maßgeblich geprägt, sodass tete Framework zur (Frontend-)Entwicklung von Webseiten, auch die Ober�ächen der ab den späten 2000er Jahren stärker das im Jahr 2011 von Twitter entwickelt und verö�entlicht verbreiteten Betriebssysteme auf mobilen Endgeräten davon wird – in das Paradigma Flat Design einordnen. Als quellof- beein�usst sind. So werden die in den 1980er Jahren eta- fene Bibliothek zur schnellen Entwicklung von Webseiten blierten Metaphern des virtuellen Raums in ihrer visuellen prägt Bootstrap maßgeblich das Erscheinungsbild zahlrei- Darstellung immer weniger abstrakt. cher Webseiten in den frühen 2010er Jahren. 28
Interface paradigms – Vergangenheit und Zukun� des Interface Designs Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Status �o als auch die Komponenten für die technische Umsetzung Heutzutage haben sich gra�sche Benutzerober�ächen durch quello�en anbietet. Im Jahr 2018 erhält Material Design au- die stärkere Verbreitung stationärer und mobiler Endgeräte ßerdem eine Erweiterung über das eigene Produktportfolio sowie ein starkes Wachstum im Bereich von digitalen und in- hinaus. Mit Material Theming werden Designer*innen und ternetbasierten Dienstleistungen und Produkten als allgegen- Entwickler*innen explizit dazu motiviert, ihre Produkte so- wärtiges Medium im Alltag vieler Menschen etabliert. Die wohl gestalterisch als auch technisch im Sinne von Material Erscheinungsform dieser Ober�ächen ist heutzutage nicht Design umzusetzen. nur von den verbesserten technischen Möglichkeiten, son- Der Gedanke eines Materials als virtueller Werksto�, aus dern auch von unternehmenspolitischen Ein�üssen geprägt. dem Interface-Elemente gemacht sind, �ndet sich nicht nur Nachdem in den frühen 2000er Jahren durch Flat Design bei Google. Auch in Microsofts Design-System Fluent De- die Ober�ächen radikal abstrahiert wurden, bewegen sich sign, das eine einheitliche Designrichtlinie für alle digitalen heutige digitale Produkte wieder mehr in Richtung materiel- Produkte von Microsoft darstellt, gibt es ein virtuelles Ma- ler und körperlicher Darstellungen – allerdings in deutlich terial: hier ist das Vorbild aus der realen Welt allerdings reduzierterer Form als zuvor. nicht Papier, sondern Acryl. Daraus ergibt sich bspw., dass Interface-Elemente wie Fenster und Menüs durch die Ver- Material Design. Mit Material Design (Abb. 4) führt Goo- wendung von Transparenz durchscheinend wirken. [16] gle im Jahr 2014 eine Designphilosophie ein, die sich zwar Durch die dominante Stellung der Unternehmen Google zunächst auf die Gestaltung der unternehmenseigenen Pro- und Microsoft sind deren Design-Systeme – die sich insge- dukte beschränkt, in den Folgejahren aber eine deutlich wei- samt unter Material Design zusammenfassen lassen – sehr ter reichende Wirkung entfaltet [7]. Nachdem Google über präsent. Durch diese starke Präsenz prägen sie nicht nur mehrere Jahre verschiedene Produkte (z. B. Google Calen- ästhetische Sehgewohnheiten im Bereich digitaler Produkte, dar, Google Maps, Google Mail sowie das Betriebssystem sondern auch die Gestaltung von Produkten anderer Unter- Android) eingeführt hat, die unterschiedlich gestaltet waren, nehmen. verfolgt das Unternehmen mit der Einführung der neuen Designsprache das Ziel, das Nutzungserlebnis bei allen Be- Auswirkungen auf das Nutzungserlebnis rührungspunkten innerhalb der Produktwelt zu vereinheitli- Bei der Auseinandersetzung mit historischen und zeitgenös- chen. sischen Gestaltungsparadigmen liegt die Frage nach dem Im Zentrum von Material Design steht – wie der Name an- Zusammenhang zwischen Ästhetik und Benutzerfreundlich- kündigt – das Material, ein virtueller Werksto�, aus dem alle keit nah: Wie beein�usst das visuelle Erscheinungsbild ei- Elemente einer Benutzerober�äche hergestellt sind. Dieses ner Benutzerober�äche das Nutzungserlebnis? Und gibt es ist inspiriert von Papier und verhält sich ähnlich: es ist �ach, womöglich Gestaltungsparadigmen, die insgesamt benutzer- aber dimensional. Alle Elemente einer Ober�äche erscheinen freundlicher sind als andere? durch Verwendung einfacher Farb�ächen �ach – durch die Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, ist es zunächst Verwendung weicher Schlagschatten wird aber auch der Ein- erforderlich, das Konzept der A�ordance zu verstehen, das druck von Tiefe erzeugt, wodurch es so scheint, als würden auf den Psychologen Gibson zurückgeht und von Norman Elemente im virtuellen Raum übereinander liegen. [28] weiterentwickelt wurde. Unter A�ordance versteht Norman den Angebotscharakter von Objekten und damit die Möglich- keiten, mit denen Menschen mit Objekten in Beziehung tre- ten können [19]. Diese Möglichkeiten müssen, damit die Be- nutzung des Objekts oder Systems korrekt funktioniert, für die Benutzer*innen wahrnehmbar sein. Die Informationsträ- ger, die den Angebotscharakter von Objekten und Systemen wahrnehmbar machen, nennt Norman Signi�er. Diese sollten in ihrer Gestaltung so bescha�en sein, dass die Interaktions- möglichkeiten mit einem System für dessen Benutzer*innen Abbildung 4: Material Design unmissverständlich sind [19]. Betrachtet man nun die vorgestellten historischen und Aufgrund der konsistenten Gestaltung und der hohen Ver- zeitgenössischen Gestaltungsparadigmen, fällt zunächst auf, breitung von Google-Produkten entfaltet Material Design dass die Art der Signi�er – also Mauszeiger, Icons, Menüs in den Jahren nach der Einführung eine starke Wirkung etc. – sich über mehrere Jahrzehnte hinweg nicht verändert auf Gestaltung im Bereich digitaler Produkte – nicht zu- hat, deren konkrete visuelle Ausgestaltung über deutliche letzt auch deshalb, weil Google sowohl die Designrichtlinien Unterschiede aufweist. Es lässt sich argumentieren, dass die 29
Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Gorski Darstellungen seit der Entwicklung der ersten gra�schen dies automatisch der beste Gestaltungsstil ist. Denn in ih- Benutzerober�ächen in ihrem Informationsgehalt reicher rer Studie zeigen sie auch, dass die Bewertung von Icons geworden sind und dadurch zu besserem Verständnis führen. durch Benutzer*innen nicht allein von deren Informations- Diese insgesamt positive historische Entwicklung lässt sich gehalt und damit deren Verständlichkeit abhängt. Vielmehr auch experimentell nachweisen [26]. Folgt man dieser Argu- führen auch der Bekanntheitsgrad und die Attraktivität zu mentation, ist der Skeuomorphismus mit der Verwendung positiven Bewertungen. Außerdem zeigen die Forscher, dass von Texturen, Schatten, Farbverläufen usw. durch ein Höchst- Sehgewohnheiten und Trends in der Bewertung eine Rol- maß an visueller Information gekennzeichnet. Bei Flat und le spielen. Die Icons von Windows 95 schneiden vor allem Material Design hingegen wird absichtlich auf bestimmte deshalb schlecht ab, weil sie als altmodisch wahrgenommen visuelle Informationen verzichtet, wodurch der Informati- werden, während die von Windows 8 wegen ihrer Neuartig- onsgehalt niedriger ist. Daraus könnte man folgern, dass die keit als attraktiv eingeschätzt werden. Diese Erkenntnis zeigt, Benutzerober�ächen im skeuomorphen Stil benutzerfreund- dass auch die Zeitlichkeit eines Gestaltungsparadigmas eine licher sind als deren jüngere Nachfolger – und in der Litera- große Rolle in deren Bewertung spielt. Die Studie zeigt somit tur gibt es Vertreter*innen dieser Position [5]. Allerdings ist insgesamt, dass die Frage nach einem vermeintlich besse- diese Schlussfolgerung nicht automatisch richtig, denn der ren Gestaltungsparadigma nicht allein mit Verständlichkeit Informationsgehalt von visuellen Darstellungen ist nicht der zu beantworten ist. Die Beantwortung ist vielmehr durch einzige Faktor, der das Nutzungserlebnis beein�usst. unterschiedliche systeminhärente Faktoren beein�usst. Die- Geht man dieser Debatte um die Benutzerfreundlichkeit se Sichtweise wird durch andere Studien unterstrichen und verschiedener Gestaltungsparadigmen etwas stärker auf den durch die Erkenntnis ergänzt, dass Präferenz und Urteile von Grund, bietet die jüngere akademische Forschung einige Benutzer*innen hinsichtlich der Attraktivität und Benutzer- interessante Anknüpfungspunkte. Zunächst lässt sich fest- freundlichkeit von Systemen nicht allein von systeminhä- halten, dass die Forschung im Bereich Mensch-Technik- renten Faktoren abhängen. Die Entscheidung für oder gegen Interaktion sich nicht mehr allein auf ein traditionelles Ver- ein System hängt auch vom kulturellen Hintergrund der Be- ständnis von Benutzerfreundlichkeit – das maßgeblich von nutzer*innen, von deren Bildung sowie von der Art der zu leicht quanti�zierbaren Faktoren wie E�ektivität und Ef- lösenden Aufgabe und deren Kontext ab [10]. Untersuchun- �zienz geprägt ist – fokussiert. Vielmehr zeigen jüngere gen zur Zeitlichkeit zeigen auch, dass anfängliche Skepsis in Entwicklung in der Forschung Bestrebungen, das Nutzungs- der Bewertung von neuartigen Benutzerober�ächen schon erlebnis als Zusammenspiel von Funktionalität, Ästhetik und nach kurzer Zeit nachlässt, weil sich Benutzer*innen schnell anderen Ein�ussfaktoren zu verstehen [10]. Es konnte inzwi- an Gesehenes gewöhnen und deshalb neue Gestaltungsan- schen gezeigt werden, dass nicht-instrumentale Qualitäten sätze nicht langfristig negativ bewerten. Außerdem hat die eines Systems wie dessen Ästhetik das Nutzungserlebnis stär- Erfahrung, die Benutzer*innen über Jahre mit gra�schen ker beein�ussen als früher angenommen [29]. So belegen Benutzerober�ächen gesammelt haben, einen nicht zu un- mehrere Studien, dass Systeme, die als attraktiv wahrgenom- terschätzenden E�ekt auf deren Umgang mit gestalterischen men werden, sowohl vor als auch nach deren Benutzung – un- Lösungen. Haben Benutzer*innen bereits Erfahrung, müs- abhängig von der tatsächlichen Benutzerfreundlichkeit – als sen sie nicht mithilfe von metaphorischen Darstellungen an benutzerfreundlich eingeschätzt werden [10, 12, 27, 30, 31]. digitale Systeme herangeführt werden, sondern können – Silvennoinen und Jokinen untersuchen in einer Studie auch ohne Verständnisprobleme – gut mit einen höheren im Jahr 2016 die Attraktivität und Benutzerfreundlichkeit Abstraktionsgrad in der visuellen Darstellung umgehen [20]. von unterschiedlichen Gestaltungsparadigmen anhand von Die zahlreichen Ergebnisse aus der jüngeren akademi- Icons und machen einige interessante Erkenntnisse[26]: Sie schen Forschung zeigen zum einen, dass Attraktivität einen stellen fest, dass Icons aus den Betriebssystemen Windows wichtigen E�ekt auf die wahrgenommene Benutzerfreund- XP und Windows Vista, die sich dem Skeuomorphismus lichkeit hat. Sie legen zum anderen den Schluss nah, dass die zuordnen lassen, bei wahrgenommener Attraktivität und Frage nach einem benutzerfreundlichsten Gestaltungspara- Benutzerfreundlichkeit am besten abschneiden. Die Icons digma nicht universell beantwortet werden kann, weil die des Betriebssystems Windows 8, die sich dem Paradigma Bewertung von Attraktivität und Funktionalität nicht allein Flat Design zuordnen lassen, schneiden in beiden Katego- von systeminhärenten Faktoren, sondern auch von benutzer- rien etwas schlechter ab, während die Icons von Windows und kontextbezogenen Faktoren sowie der Zeitlichkeit des 95, die am ehesten zwischen den Paradigmen Bitmaps und Paradigmas abhängen. Diese Erkenntnisse unterstreichen Skeuomorphismus einzuordnen sind, besonders schlecht ab- die Relevanz von anwendungsbezogener Nutzerforschung schneiden. Obwohl die skeuomorphe Gestaltung in diesem – denn nur mit ausreichendem Verständnis der Präferen- Szenario eindeutig gewinnt, folgern die Forscher nicht, dass zen von Nutzergruppen können funktional und ästhetisch erfolgreiche gestalterische Lösungen gescha�en werden. 30
Interface paradigms – Vergangenheit und Zukun� des Interface Designs Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Ausblick lösen, wie am Beispiel der Seite des Webdesign-Studios Maw- Trends im Interfacedesign. Im Bereich nativer Software, die la (Abb. 5) gut zu erkennen ist: organische Formen, Kurven sich aus ästhetischer Sicht vor allem an der Gestaltung von und Farbverläufe bestimmen hier die Gestaltung und sorgen Betriebssystemen nachvollziehen lässt, zeigt sich in den letz- für ein Gesamtbild, das sich deutlich von der traditionellen ten Jahren ein starker Ein�uss von Flat und Material De- Vorstellung von Webdesign abhebt. sign. Das wird bspw. am 2018 von Samsung verö�entlichten Design-Systeme One UI [22], das auf allen Mobilgeräten des Unternehmens innerhalb des Betriebssystems Android läuft, deutlich. Ähnlich wie bei Googles Material Design wird viel mit Weißraum gearbeitet, interaktive Elemente und Icons bringen Farbakzente in die Gestaltung und Formen sind häu- �g abgerundet. Außerdem lässt sich hier – wie auch bei vielen anderen nativen Systemen – eine starke Zunahme von animierten Elementen beobachten. Zusätzlich dazu werden systemübergreifend sogenannte Dark Modes eingeführt, also gestalterische Versionen von Design-Systemen, in denen vor allem mit dunklen Hinter- und hellen Vordergrundfarben gearbeitet wird. Der erste Abbildung 5: Webseite des Webdesign-Studios Mawla systemübergreifende Einsatz einer solchen dunklen Gestal- tungsversion, deren Bedienung vor allem in schlechten Licht- Auch im Bereich Webdesign lässt sich außerdem eine Ent- verhältnissen angenehmer sein soll [8], wird 2018 von Apple wicklung beobachten, die sich von dekorativen und überlade- über Mac OS Mojave eingeführt [1]. Google zieht hier 2019 nen Darstellungen abwendet und sich stattdessen auf einen nach und führt ebenfalls einen Dark Mode in das System neuen Minimalismus besinnt. In der Tradition des Gra�kdesi- Material Design ein [8]. gns des 20. Jahrhunderts wird die Gestaltung von Webseiten Trends im Webdesign. Die Gestaltung von Seiten und Appli- hier vor allem durch den Einsatz von Weißraum, einfachen kationen im Internet ist – seit dessen Ursprüngen in den Farb�ächen und großer Typogra�e gekennzeichnet. späten 1980er Jahren – deutlich stärker durch Technologi- Eine radikale Spielart des Minimalismus stellt der Bruta- en eingeschränkt als die Gestaltung nativer Software. So lismus dar, bei dem auf die bewusste äußere Gestaltung von war z. B. die Verwendung von Videos und Bildern lange konstruierenden Elementen verzichtet wird [2]. Brutal ist Zeit stark eingeschränkt und der Einsatz von Animationen diese Form von Gestaltung durch die nicht nur ästhetische, sehr begrenzt, obwohl sie das Nutzungserlebnis nachweis- sondern auch technologische Abkehr von zeitgenössischen lich verbessern können [25]. Durch die zunehmende Ver- Gestaltungsparadigmen. Durch die Reduktion auf frühe tech- breitung höherer Bandbreiten und die kontinuierliche Wei- nologische Möglichkeiten wie den reinen Einsatz von HTML terentwicklung von Entwicklungssprachen wie HTML und als Auszeichnungssprache – ohne die Ergänzung durch Sty- CSS – außerdem die Verbreitung von e�zienten Frameworks lesheets (CSS) – entsteht damit eine Form- und Bildsprache, wie React.js – nähern sich die Möglichkeit des Webdesigns die stark an die frühen Zeiten des Internets in den späten immer mehr denen in der Gestaltung nativer Software an. 1980er und frühen 1990er Jahren erinnert. So sind bspw. Animationen inzwischen fester Bestandteil bestehender Designsprachen, auch im Web – z. B. als Teil von Material Design [7]. Außerdem bieten auch viele Gestal- tungsprogramme entweder nativ oder durch Erweiterungen die Möglichkeit, Gestaltungselemente zu animieren (bspw. Sketch, Adobe Xd, Invision Studio oder Framer X). Es ist deshalb zu erwarten, dass Animation in Zukunft in allen Bereichen der Interfacegestaltung eine stärkere Rolle spielen wird. Dazu trägt auch die Verbreitung des Dateiformats SVG (Scalable Vector Graphics) bei, das nicht nur den Einsatz responsiver Gra�ken und Bilder, sondern auch deren Anima- tion und die Verwendung individueller Formen ermöglicht. Die Gestaltung von Webseiten wird sich also in Zukunft stärker von der Verwendung einfarbiger, rechteckiger Boxen Abbildung 6: Innennraum des BMW Vision iNext 31
Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Gorski Trends im Bereich Szenografie. Auch im Bereich der Szeno- So dient das Gerät in der Vorstellung des Unternehmens vor gra�e – als Disziplin, die sich vornehmlich mit räumlichen allem der Kooperation und Kommunikation während der Inszenierungen, bspw. mit der Gestaltung von Messeexpo- Arbeit, um z. B. Handlungsanweisungen für schwierige Auf- naten oder Display-Systemen im Einzelhandel, beschäftigt – gaben zu ermöglichen [15]. spielen Interaktionen mit digitalen Benutzerober�ächen eine Im Unterschied zu AR-Anwendungen hat sich im Bereich wichtigere Rolle. Hier lässt sich vor allem eine zunehmende von VR-Anwendungen der Einsatz in privaten Kontexten Entmaterialisierung von Ober�ächen, z. B. durch den Einsatz stärker durchgesetzt. Das liegt auch und vor allem daran, dass transparenter Materialien, beobachten. Ein gutes Beispiel durch ein immersives Erlebnis ein Mehrwert bei Videospie- hierfür ist der transparente OLED-Bildschirm von LG, der len geboten wird. Aber auch abseits von Freizeitaktivitäten im Jahr 2019 in den Markt eingeführt wird und der vor al- gibt es Bestrebungen, die virtuelle Welt immersiv und dreidi- lem für den Einsatz im szenogra�schen Bereich gedacht ist. mensional erlebbar zu machen: so existiert bspw. mit Virtual Bei diesem Bildschirm werden alle schwarzen Bildanteile Desktop eine Software für verschiedene VR-fähige Endgerä- automatisch ausgeblendet und auch die farbigen Bereiche in te, die es ermöglicht, den virtuellen Schreibtisch vom Com- Bildern und Videos wirken durchscheinend. [13] puter in ein dreidimensionales Erlebnis mittels VR-Headset In einigen Bereichen, bspw. in der Innenraumgestaltung zu übertragen. von Automobilen, zeigt sich außerdem die Neigung dazu, Technologien und die zugehörigen Benutzerober�ächen stär- ker zu verstecken und damit quasi unsichtbar zu machen. Dahinter steckt das Bestreben, Technologie einfacher in Le- 6 FAZIT bensräume zu integrieren, indem Geräte und Ober�ächen Ein systematischer Überblick über die historische Entwick- mit Materialien produziert werden, die typischerweise nicht lung zeigt, dass die Gestaltung digitaler Benutzerober�ächen als besonders technisch interpretiert werden. So kleidet z. seit ihrer Entstehung stets ästhetischen Paradigmen unter- B. Google sein Assistenzsystem Google Home in weißen legen hat, die deutliche Auswirkungen auf deren visuelle Kunststo� und weiche Sto�e, damit das Produkt insgesamt Erscheinung haben. Es wird außerdem klar, dass die Gründe weniger technologisch wirkt. Die Vorstellung von Techno- für die Entstehung und den Wechsel solcher Paradigmen logie, die sich durch Gestaltung zurücknimmt und damit vielfältig sind. Zum einen schränken technologische Gege- stärker in Lebensräume integriert, knüpft damit auch an benheiten, vor allem im Bereich der darstellenden Endgeräte, theoretische Überlegungen an [32]. Besonders gut lässt sich die Gestaltung ein. Zum anderen haben wissenschaftliche dieser Trend auch am Konzeptfahrzeug Vision iNext von Erkenntnisse einen großen Ein�uss. So bestimmen die Ergeb- BMW (Abb. 6) nachvollziehen. In dieser Technologievision nisse institutioneller Forschung – z. B. im Stanford Research verschwinden Displays und Ober�ächen hinter Sto� und Laboratory und im Xerox PARC – bis heute maßgeblich Holz. Der Innenraum des Fahrzeugs soll damit – vor allem sowohl Interaktions- als auch Gestaltungsparadigmen im mit Blick auf die veränderte Rolle der Fahrenden in einer Bereich digitaler Benutzerober�ächen. Außerdem haben un- möglichen Zukunft des autonomen Fahrens – wohnlicher ternehmenspolitische Strategien große Auswirkungen auf werden, um die Aufenthaltsqualität zu erhöhen. ästhetische Sehgewohnheiten und gestalterische Trends, wie bspw. die starke Verbreitung von Googles Material Design Neue Modalitäten. Neben gra�schen Benutzerober�ächen an zeigt. Bildschirmen gewinnen auch andere Modalitäten der Interak- Jüngere Erkenntnisse aus der akademischen Forschung tion in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung. So sind zeigen zudem, dass die Ästhetik von gra�schen Benutzero- bspw. Voice Interfaces heute in Form verschiedener Geräte ber�ächen eine größere Rolle spielt als lange angenommen wie Smartphones oder Home Assistants stärker verbreitet – denn die wahrgenommene Attraktivität eines Systems hat [3]. Außerdem verlagern sich bei einigen Anwendungsfäl- einen positiven E�ekt auf die Bewertung der Funktionalität len virtuelle Welten durch technologische Neuerungen im und damit des gesamten Nutzungserlebnisses. Damit Sys- Bereich Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) teme und Produkte erfolgreich sind, müssen sie nicht nur vom zweidimensionalen in den dreidimensionalen Raum. In funktional, sondern auch aus ästhetischer Sicht attraktiv sein. bestimmten Fällen bietet dies einen Mehrwert beim Nut- Da Attraktivität neben systeminhärenten Faktoren auch von zungserlebnis, z. B. bei erlebnisorientierten Interaktionen im anderen kontext- und benutzerbezogenen Faktoren abhängt Bereich Szenogra�e oder bei Videospielen. und es deshalb keine universell richtige Lösung für die Wahl Aus diesem Grund fokussiert sich bspw. auch Microsoft eines Gestaltungsparadigmas geben kann, ist es nötig, ein mit der 2019 erscheinenden neuen Version seines Augmented- solides Verständnis der Anwendergruppen sowie deren Prä- Reality-Headsets HoloLens 2 auf Anwendungsfälle in profes- ferenzen und den Anwendungskontexten eines Systems zu sionellen Kontexten statt auf den Einsatz im privaten Bereich. scha�en. 32
Interface paradigms – Vergangenheit und Zukun� des Interface Designs Mensch & Computer 2019 - UP19, 8.-11. Sept., Hamburg, Für die Aus- und Weiterbildung professioneller Gestal- [16] Microsoft. [n.d.]. HoloLens 2. Mixed Reality ist einsatzbereit. https: ter*innen ist eine Auseinandersetzung mit diesen Erkennt- //www.microsoft.com/de-de/hololens [17] Brad Myers, Scott E Hudson, and Randy Pausch. 2000. Past, present, nissen notwendig, um sowohl die eigene Arbeit als auch die and future of user interface software tools. ACM Transactions on Arbeit von Kollegen in einen historischen Kontext einord- Computer-Human Interaction (TOCHI) 7, 1 (2000), 3–28. nen und damit in ihrer gestalterischen Qualität beurteilen zu [18] Brad A Myers. 1998. A brief history of human computer interaction können. Des Weiteren ermöglichen historische Kenntnisse technology. interactions 5, 2 (1998), 44–54. eine distanzierte Sichtweise auf gestalterische Lösungen und [19] Donald A Norman. 2013. Design of everyday things: Revised and erö�nen so die Möglichkeit, Gestaltungsparadigmen und un- expanded. Hachette, New York (2013). [20] David Oswald and Ste�en Kolb. 2014. Flat Design vs. Skeuomorphism ternehmenspolitische Strategien zu verstehen und kritisch – E�ects on Learnability and image attributions in digital procut inter- zu hinterfragen. Letztlich lassen sich historische Erkennt- faces. In Proceedings of the 16th International conference on Engineering nisse nicht nur für Beurteilung und Kritik, sondern auch als and Product Design Education (E&PDE14), Design Education and Human Grundlage für die eigene gestalterische Arbeit nutzen, um Technology Relations. Twente, 402–407. neue und begeisternde Gestaltungsansätze zu entwickeln. [21] R. Po. 2018. A Look at Microsoft, Google and Apple’s Approach to Flat Design. http://www.hongkiat.com/blog/google-apple-microsoft-�at- Die Auseinandersetzung mit den jüngsten Entwicklungen design/ im Bereich Interfacedesign zeigt außerdem, dass sich durch [22] Samsung. [n.d.]. Samsung One UI. https://www.samsung.com/de/ die Verbreitung neuer Technologien nicht nur die Modalitä- apps/one-ui/ ten von Benutzerober�ächen ändern. Mit der zunehmenden [23] Gert Selle. 2007. Geschichte des Design in Deutschland. Campus Verlag. Verbreitung von nicht-gra�schen Ober�ächen müssen sich [24] Helen Sharp, Yvonne Rogers, and Jennifer Preece. 2002. Interaction design: beyond humancomputer interaction. NY: Wiley (2002). zwangsläu�g auch die Kompetenzen derer, die diese gestal- [25] Ben Shneiderman and Catherine Plaisant. 2010. Designing the user ten, weiterentwickeln. interface: strategies for e�ective human-computer interaction. Pearson Education India. LITERATUR [26] J. M. Silvennoinen and J. P. Jokinen. 2016. Aesthetic Appeal and Visual [1] Apple. [n.d.]. Dunkelmodus auf dem Mac verwenden. https://support. Usability. In Proceedings of the 2016 CHI Conference on Human Factors apple.com/de-de/HT208976 in Computing Systems. Association for Computing Machinery (ACM), [2] Letizia Bollini. 2017. Beautiful interfaces. From user experience to user 4390–4400. interface design. The Design Journal 20, 1 (2017), 89–101. [27] Andreas Sonderegger and Juergen Sauer. 2010. The in�uence of [3] M. Brand and A. Weste. [n.d.]. Statistik der Woche. Digitale Assisten- design aesthetics in usability testing: E�ects on user performance ten. https://www.heise.de/tr/artikel/Statistik-der-Woche-Digitale- and perceived usability. Applied Ergonomics 41, 3 (2010), 403–410. Assistenten-4051421.html https://doi.org/10.1016/j.apergo.2009.09.002 [4] J. Clayton. [n.d.]. Modern design at Microsoft – Going beyond �at [28] Moritz Stückler. 2014. Material Design: Google enthüllt neue Desi- design. https://www.microsoft.com/en-us/stories/design/ gnsprache für Android, Chrome und das Web. http://t3n.de/news/ [5] Alan Cooper, Robert Reimann, David Cronin, and Christopher Noessel. material-design-google-enthuellt-553560/ 2014. About face: the essentials of interaction design. John Wiley & [29] Manfred Thüring and Sascha Mahlke. 2007. Usability, aesthetics and Sons. emotions in human-technology interaction. International Journal [6] Sarah Diefenbach and Marc Hassenzahl. 2017. Psychologie in der of Psychology 42, 4 (aug 2007), 253–264. https://doi.org/10.1080/ nutzerzentrierten Produktgestaltung. Springer. 00207590701396674 [7] Google. 2014. Material Design – Introduction. https://material.io/ [30] Noam Tractinsky. 1997. Aesthetics and apparent usability. In Pro- design/introduction/ ceedings of the ACM SIGCHI Conference on Human factors in compu- [8] Google. 2019. Material Design – Dark Theme. https://material.io/ ting systems. Association for Computing Machinery (ACM), 115–122. design/color/dark-theme.html https://doi.org/10.1145/258549.258626 [9] David Gugerli. 2018. Wie die Welt in den Computer kam. Zur Entste- [31] N Tractinsky, A S Katz, and D Ikar. 2000. What is beautiful is usable. hung digitaler Wirklichkeit: S. Fischer (2018). Interacting with Computers 13, 2 (2000), 127–145. www.elsevier.com/ [10] Jan Hartmann, Alistair Sutcli�e, and Antonella De Angeli. 2007. In- locate/intcom vestigating attractiveness in web user interfaces. In Proceedings of the [32] Mark Weiser. 1991. The computer for the 21st Century. Scienti�c SIGCHI conference on Human factors in computing systems - CHI ’07. American 265, 3 (1991), 75–84. ACM Press, New York, New York, USA, 387–396. https://doi.org/10. 1145/1240624.1240687 [11] Thomas Hau�e. 2014. Geschichte des Designs. DuMont Buchverlag. [12] Masaaki Kurosu and Kaori Kashimura. 1995. Apparent usability vs. inherent usability: experimental analysis on the determinants of the apparent usability. In Conference companion on Human factors in com- puting systems. 292–293. [13] LG. 2019. LG Transparent OLED Signage. https://www.lg- informationdisplay.com/oled-signage/brand [14] Philip B Meggs and Alston W Purvis. 2016. Meggs’ history of graphic design. John Wiley & Sons. [15] Microsoft. [n.d.]. Fluent Design System. https://www.microsoft.com/ design/�uent 33
Sie können auch lesen