Interoperable, offene Web-GIS-Technologien zur Umsetzung prozessorientierter Flächennutzungsplanung

 
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Fachbeiträge                                            Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien

          Interoperable, offene Web-GIS-Technologien zur
          Umsetzung prozessorientierter Flächennutzungsplanung
                 Martina Klärle

Zusammenfassung                                                   nung. Die schwindende Steuerungsfunktion der Flächen-
Die schwindende Steuerungsfunktion der kommunalen Flä-            nutzungsplanung ist das Ergebnis.
chennutzungsplanung kann mit Hilfe von speziellen GIS-               Aus diesen Erkenntnissen entwickeln sich Reformer-
Technologien abgefangen werden. Durch die Entwicklung von         fordernisse und vier mögliche Lösungsansätze:
Grafik-Daten-Standards und »Interoperabler Offener Geogra-        ■ Reduktion der Flächeninanspruchnahme als neues

phischer Informationssysteme« wird unter Verwendung von              Leitziel der Flächennutzungsplanung zur Realisierung
virtuellen, prozessorientierten Informationsabläufen ein Pla-        einer nachhaltigen kommunalen Raumplanung,
nungswerkzeug entwickelt, das allen am Planungsprozess            ■ Entkoppelung der Datenbereitstellung von der Flä-

Beteiligten die Möglichkeit gibt, auf einheitliche redundanz-        chennutzungsplanung,
freie Daten mit wissensbasierten Methoden zuzugreifen.            ■ Minimierung der Planungsvorgaben durch »Schlanke

Durch die Entkoppelung der Bewertungsmethoden von der                Flächennutzungsplanung« sowie
Datenbereitstellung sowie durch den Einsatz wissensbasierter      ■ Aufhebung des statischen Charakters des Flächennut-

und prozessmodellierter Systeme kann sich die Raumplanung            zungsplans durch die Einführung eines prozessorien-
zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unter Auf-            tierten sich selbstständig an die Rahmenbedingungen
weichung der Bearbeitungsgrenzen zwischen den Planungs-              der Flächennutzungsplanung anpassenden Planungs-
hierarchien entwickeln.                                              prozesses.

Summary                                                           Zur Umsetzung dieser methodischen Lösungswege wer-
The declining control function of local land use planning can     den die Möglichkeiten der Informations- und Kommuni-
be got under control with the help of special GIS technology.     kationstechnik herangezogen.
By the development of Graphic Data Standards and Inter-              Die Bauleitplanung stellt ein Spezialgebiet der räum-
operable Open GIS using virtual process oriented information      lichen Planung dar. Diese wiederum ist im interdiszipli-
flows a planning tool is developed which enables all partici-     nären Kontext der Umweltwissenschaften zu sehen. Die
pating in the planning process to access uniform redundancy       Reform und Weiterentwicklung der Bauleitplanung im
free data with knowledge based methods. By the separation of      Bereich der Geoinformatik kann nicht isoliert behandelt
assessment methods from the data provision as well as by the      werden. Der IuK-technische Lösungsansatz muss auf ei-
use of knowledge based and process modeled systems master         ner interdisziplinären Schiene der Geoinformatik entwi-
planning can develop into a continuous improvement process        ckelt werden. Das Ergebnis kann dann wiederum auf die
thereby softening the responsibility limits between the indivi-   Bauleitplanung projiziert werden.
dual planning hierarchies.                                           Im Jahr 2010 wird das digitale und somit interaktive
                                                                  Fernsehen flächendeckend eingeführt. Informationen
                                                                  und interaktive Kommunikationstechniken, auch grafi-
                                                                  scher Art, stehen dann in nahezu allen Haushalten zur
1 Einleitung                                                      Verfügung. Informationszugriff wird wie die Verfügbar-
                                                                  keit von Wasser, Gas, Strom oder Telefon zur Grundver-
Der vorliegende Beitrag widmet sich einem Verbesse-               sorgung der Bevölkerung gehören. Fernsehen, Telefon,
rungsansatz der kommunalen Flächennutzungsplanung                 Computer und Informationssysteme wachsen zur Infor-
als Instrument der gesamtgemeindlichen städtebaulichen            mationsquelle zusammen.
Planung mittels GIS-gestütztem Informationsmanage-                   Das relativ eng begrenzte Gebiet der Raumplanung
ment.                                                             und der städtebaulichen Planung scheint durch den
   Dem Planungswerkzeug »Flächennutzungsplanung«                  IT-Bereich bislang nur in der Entwicklung der Zeich-
obliegt die Aufgabe der Steuerung und Lenkung der ge-             nungs- und Analysewerkzeuge tangiert zu sein. Um den
samtgemeindlichen städtebaulichen Planung. Dieser                 Technologieschub der IuK-Techniken auch für die Raum-
kommunalen Aufgabe wird er nicht mehr gerecht. Dies               planung zu öffnen ist ein Umdenken notwendig, das eine
zeigt sich durch eine zu lange Verfahrensdauer bei der            Internationalisierung und Technisierung der Raumpla-
Planaufstellung (Ø 8 Jahre), eine unbefriedigende Form            nung ermöglicht.
der Trägerbeteiligung, unzureichende Bereitstellung der              Die nachfolgenden Kapitel zeigen Möglichkeiten, wie
planungsrelevanten Grundlagendaten sowie eine fehlen-             die Internet-GIS-Technologien die Reform der Flächen-
de nachhaltige und ressourcenschonende Flächenpla-                nutzungsplanung unterstützen können.

   382    zfv   6/2002 127. Jg.
Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien                                      Fachbeiträge

2 GIS-Grundlagen im Umfeld der                                   ■   GIS-Funktions-Server öffnen den entfernten Zugriff
  Flächennutzungsplanung                                             auf die Funktionen eines Server-GIS. Die mit den
                                                                     GIS-Funktionen zu analysierenden Datengrundlagen
2.1 GIS-Systemkategorien und -eigenschaften                          werden vom Client online oder offline bereitgestellt.
                                                                     Analyse-Ergebnisse werden i. d. R. ohne Visualisie-
Entsprechend ihrer Funktionalität unterscheiden sich die             rungsmöglichkeit als Dateien zur lokalen Bearbeitung
verschiedenen Arten von Geo-Informationssystemen. Für                zurückgeliefert.
die Umsetzung des Lösungskonzepts werden Eigenschaf-
ten abverlangt, die über die vorhandenen Standardfunk-           Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Funktionsauftei-
tionen eines GIS hinausgehen. Für das Lösungskonzept             lung unterschiedlicher Web-GIS-Kategorien:
ist einerseits ein internetfähiges GIS erforderlich, ande-          An der Ausgabe von Daten, Grafik und/oder Funktio-
rerseits bedarf es zur Durchführung von standardisierten         nen lässt sich die Leistungsfähigkeit einer Web-GIS-
Analysen spezialisierte GIS-Anwendungen.                         Anwendung ablesen. Die aus Grundlagendaten interaktiv
                                                                 erzeugten Karten können in der Regel nicht weiterver-
                                                                 wendet werden. Das Ergebnis ist ein Mischprodukt, des-
2.2 Web-GIS Standards                                            sen Originaldaten in den seltensten Fällen vereinzelt wer-
                                                                 den können. Dagegen erzeugt der Funktions-Server Da-
Um die Vorgaben des Lösungskonzeptes erfüllen zu kön-            ten oder GIS-Funktionen, die im Ergebnis von ihm selbst
nen, bedarf es einer DV-technischen Vernetzung aller am          oder von anderen Anwendungen weiterverwertet werden
Flächennutzungsplan beteiligten Institutionen. Diese un-         können.
terstehen weder einer gemeinsamen Organisation, noch                Die Möglichkeit mit externen Programmen interaktiv
sind sie in unmittelbarer räumlicher Nähe. Daher wird            zu arbeiten wird Common Gateway Interface (CGI) ge-
es für die Umsetzung der Lösungskonzepte erforderlich            nannt. Sie dienen dem Zwecke der Interaktion, welche
sein, Informations- und Kommunikationstechniken zu               Daten vom Server empfangen und auswerten bzw. an ein
wählen, die auf Inter-/Intranettechnologien aufbauen.            Programm zur Auswertung übergeben. Das Ergebnis wird
Diese GIS-Kategorie wird Web-GIS oder Internet-GIS ge-           wieder vom Server in Empfang genommen, an den Client
nannt. Der GIS-Markt bietet verschiedene Web-GIS-                zurückgeschickt und mittels Browser visualisiert (Henne-
Technologien an:                                                 berg/Stahl 2000). Die CGI-Technologie konnte sich im
■ Geodaten-Server liefern geografische Informationen             GIS-Bereich noch nicht etablieren, da die praktische Um-
   zur Weiterverarbeitung mit lokaler Software auf dem           setzung bisher am Versand von großen grafischen Daten-
   Client-Rechner. Dieser Dienst setzt sich aus Recherche        mengen scheiterte.
   und der Übermittlung der Geodaten zusammen.                      Der Stand der Web-GIS-Technologie ist im ständigen
■ Map-Server übermitteln Grafiken aus frei wählbaren,            Fluss begriffen, und läuft analog zur rasanten Entwick-
   gegliederten Themenfeldern. Diese werden auf dem              lung der allgemeinen Internet-Technologien. Dennoch
   Server erstellt und anschließend zur Visualisierung im        sind die Web-GIS Funktionalitäten bei weitem nicht so
   Rasterformat freigegeben. Die Dateien können dabei            ausgereift, wie die der klassischen »Offline-GIS«.
   nicht wieder in ihre ursprüngliche Inhalte zergliedert
   werden.
■ Online-GIS bieten einen unbeschränkten Zugang zu               2.3 »Interoperable offene Web-GIS Funktionen«
   einem auf einem Server bereitgestellten GIS. Dabei
   können die auf dem Server bereitgestellten Daten ge-          Das Lösungskonzept verlangt einen Server, der dem
   nutzt werden. Online-GIS umfassen auch solche Sys-            Client geografische Informationen zur online Weiterver-
   teme, die auf Serverseite mehrere GIS ansteuern,              arbeitung mit online zur Verfügung gestellten GIS-Funk-
   wobei dem Benutzer eine einheitliche »virtuelle« Ober-        tionen liefert, die sich aus der Übermittlung der Geodaten
   fläche zur Verfügung steht.                                   sowie deren Recherche und Ergebnispräsentation zu-

                                                Funktionen                                        Ergebnis
                         Erfassung,      Präsen-      Auskunft          Analyse       Daten         Grafik        Funktionen
                         Verwaltung       tation
Geodaten-Server               x             –                –             –            x              –                –
Map-Server                    x             x                –             –            –              x                –
Auskunftssystem               x             x                x             –            –              x                –
Online-GIS                    x             x                x             x            –              x                –
Funktions-Server              –             x                x             x            –             (x)               x
Tab. 1: Web-GIS Kategorien Eigenschaften – Ergebnisse (Fritzke/Rinner/Schmidt 1997)

                                                                                                127. Jg. 6/2002   zfv   383
Fachbeiträge                                       Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien

sammensetzt. Die Bearbeitung der vom Server durch eine      oder die proprietären Daten in externen Systemen zu
Metadatenorganisation verknüpften Geobasisdaten er-         überführen sind. Bei der Umsetzung des Lösungssystems
folgt ebenfalls online. Analyse-Ergebnisse werden über      ist eine Web-Technologie zu verwenden, deren Architek-
die Visualisierungsmöglichkeit virtuell vorgehalten. Die    tur einen Zugriff auf verteilte heterogene Geodaten zu-
verwendeten Grundlagendaten können beim jeweiligen          lässt (Hofmann 1999). Dabei können plattformunabhän-
Datenurheber direkt angewählt werden. Die Analyse-          gige und netzwerkfähige Programmiersprachen zur Lö-
funktionen und deren Ergebnisse, sowie die Software         sung beitragen.
werden auf dem Server vorgehalten. Der Client fungiert          Seit 1996 existiert das von der Deutschen Forschungs-
somit lediglich als Zugang, als Tor, über das er auf die    gemeinschaft (DFG) gefördertes Forschungsprojekt
von den Servern virtuell vorgehaltenen Daten, Funktio-      »Interoperable Open Geoscientific Informations Systems«
nen, Bedienungsoberflächen sowie auf die Analyseergeb-      (IOGIS), das sich der Entwicklung von Systemen widmet,
nisse zugreifen kann.                                       die die geforderten Eigenschaften vorweisen. Der Begriff
   Dabei ist zu unterstreichen, dass es sich um einen ge-   »interoperabel« bedeutet in diesem Zusammenhang die
trennten Bezug von Funktionen und Daten handelt. Die        Möglichkeit des Kooperierens unterschiedlicher Soft-
Funktionen der GIS-Programme können von mehreren            waresysteme ohne Konvertierung der planungsrelevan-
Servern vorgehalten werden. Die Daten werden vom Ser-       ten Geobasisdaten. Dies erfordert eine grundlegende
ver über ein Metadatensystem mit dem Client verknüpft.      Neustrukturierung der bislang zeitlich und räumlich ab-
Der Speicherort der Daten kann sich an beliebig vielen      hängigen Geodaten, Metadaten und der Planungsmetho-
verteilten Stellen auf beliebig verteilten Servern befin-   den. Dabei ist das Ziel, alle Planungsbeteiligten zu einer
den. Bei einer Änderung des Speicherortes der Geobasis-     »gemeinsamen Sprache« bei der Beschreibung von Daten,
daten, ändert die Metadatenverwaltung des Servers le-       Metadaten und Methoden zu bewegen. Die plattform-
diglich die Verknüpfungsregel.                              übergreifende Eigenschaft würde die bisher isoliert be-
   Dabei kann auf die Daten entsprechend des Prinzips ob-   trachteten Informationssysteme und Modellierungswerk-
jektorientierten Datenhaltung ausschließlich über vorfor-   zeuge in eine intensivierte, fachübergreifende Verbin-
mulierte GIS-Funktionen des Servers zugegriffen werden.     dung von Modellen und Analysemethoden überführen.

                                                            2.5 Geodatennormierung in der
                                                                Flächennutzungsplanung

                                                            Ein Standardisierung aller Grundlagedaten liegt in der
                                                            Praxis ebenso wenig vor, wie einheitliche GIS-Funktio-
                                                            nen und -Methoden. Die technische Umsetzung eines
                                                            Geodaten-Online-Funktions-Servers kann funktionieren,
                                                            wenn alle raumbezogenen Daten vollständig in die pro-
                                                            zessorientierte Planung integrierbar sind.
                                                                Der Aufgabe der Geodatennormierung widmet sich
                                                            z. B. seit 1995 das internationale OpenGIS Consortium
                                                            (OGC). Das OGC liefert keine Datenstruktur, sondern veri-
                                                            fiziert seine Aufgaben in der Erstellung eines plattform-
Abb. 1: Der Geodaten-Online-Funktions-Server                unabhängigen Grundkonzeptes und bildet abstrakte Spe-
                                                            zifikationen auf vorgegebene Entwicklungsumgebungen
Liegen Daten und Funktionen getrennt vor und werden         (API) oder Systemarchitekturen ab (Krüger 2000). Dies er-
diese zudem von unterschiedlichen Institutionen erstellt,   laubt, Industriestandards bei der Spezifikation von GIS-
muss für die Daten eine präzise Anforderung hinsichtlich    Softwareprodukten anzuwenden.
ihrer Struktur und ihres Formates vorliegen.                    Im Lösungsmodell sind die raumbedeutsamen Daten
                                                            entsprechend den Vorgaben des Open GIS Concortiums
                                                            nach einer Spezifikation auszubilden. Damit ist eine ein-
2.4 Aufhebung proprietärer Daten- und                       heitliche Verwertbarkeit aller planungsrelevanter Grund-
    GIS-Strukturen                                          lagendaten (Objekte) im Planungsraum gewährleistet.
                                                            Durch die objektorientierte Haltung der Datengruppen
Derzeit sind die Benutzer von Geobasisdaten auf proprie-    werden die zu diesen Daten gehörenden Routinen (Pro-
täre GIS-Werkzeuge angewiesen. Der Einsatz solcher          grammteile) oder sogenannte Methoden mit abgespei-
Werkzeuge ermöglicht zwar ein hohes Maß an Funktio-         chert. Die eingesetzte Software besitzt dann nur über die
nalität innerhalb des abgeschlossenen Systems, verur-       Methoden Zugriff auf die Daten.
sacht jedoch hohen Kosten-, und Personalaufwand, wenn           Um diese Daten darüber hinaus für weiterreichende,
nicht-kompatible Daten und Funktionen einzubinden           insbesondere spezialisierte Anwendungen einsetzen zu

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Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien                                   Fachbeiträge

können, muss es weiterhin möglich sein, den Daten zu-         Redundanzfreie Datenhaltung (Single Source Gedanke)
sätzliche Spezifikationen zu implementieren, die die          muss sich bei allen raumbedeutsamen Planungen durch-
Nutzbarkeit der Daten im IOGIS nicht schmälern dürfen.        setzten. Wenn zudem alle am städtebaulichen Geschehen
                                                              beteiligten Institutionen an einem (virtuellen) Tisch
                                                              sitzen, kann eine prozessorientierte interaktive Planung
3 Prozessorientierung der Flächennutzungsplanung              funktionieren.

3.1 Entkoppelung von Funktion und
    Datenbereitstellung                                       3.2 Einsatz wissensbasierter Systeme

Derzeit ist ein Trend hin zu einer Art Datenaustausch         Die Weiterverarbeitung der Daten auf dem Weg zur Ent-
über einzelne Software-Komponenten zu erkennen. Diese         scheidungsfindung verkörpert den zweiten Schritt des
Technologie belässt die Informationen am Ort ihres Ent-       Lösungskonzeptes. Dabei spielen wissensbasierte Geogra-
stehens und führt die unterschiedlichen Geodaten mit ih-      phische Informationssysteme eine entscheidende Rolle.
ren Methoden über einen Softwarebus zu neuen Anwen-              Im Gegensatz zu klassischen Programmsystemen wei-
dungen zusammen. Zur Gewährleistung der Aktualität ist        sen sie durch die Trennung zwischen dem Wissen und
eine ständige Fortschreibung notwendig.                       dem damit argumentierenden Verarbeitungsmechanis-
                                                              mus (Interpreter) im Umgang mit komplexen und ver-
                                                              änderlichen Zusammenhängen Vorteile auf. Die eigen-
                                                              ständige Wissensbasis, losgelöst von der Informations-
                                                              basis, kann im Prozess der sog. »Wissensakquisition«
                                                              (Streich/Schmitt 1999) leichter aufgebaut und aktuali-
                                                              siert werden.
                                                                 Eine Voraussetzung für den Aufbau einer leistungs-
                                                              fähigen Wissensbasis ist ein geeignetes Ablaufmodell.
                                                              Die gewohnte Umschreibung eines Vorgangs ist für die
                                                              Wissensakquisition in ein für den Rechner verarbeitbares,
                                                              formales Modell zu überführen.
Abb. 2: Datenbereitstellung – redundant, nicht aktuell           Der kommunale Flächennutzungsplan befindet sich im
                                                              ständigen Veränderungsprozess. Bei der Betrachtung der
Objektorientierte Paradigmen und Entwicklungsstrate-          GIS-gestützten Modellierbarkeit dieser Planungsaufgabe
gien bilden alternative Schnittstellen für die Integration    lassen sich in Abhängigkeit von der Häufigkeit der auf-
raumbezogener Daten in räumlich verteilte Daten und           tretenden Fragestellungen und der »Routinisierbarkeit«
GIS-Umgebungen (Averdung 2000). Dabei wird die                der Aufgabe (Strukturierbarkeit und Formalisierbarkeit im
Schnittstelle zwischen Planer und Datenurheber aufge-         vorhinein) verschiedene Möglichkeiten der Entschei-
hoben. Sie verknüpft die planende Institution direkt mit      dungs- und Geschäftsprozessunterstützung klassifizieren:
den planungsrelevanten Grundlagendaten. Es entsteht
ein virtueller Planungsraum, in dem alle planungsrele-
vanten Daten ständig und aktuell bereitgehalten werden.
Dieser Planungsraum sollte so organisiert sein, dass die
Datenurheber den Originaldatenbestand in diesen virtuel-
len Planungsraum einstellen. Die Aktualität wäre somit
durchgängig gewährleistet, eine Schnittstelle zwischen
Datenurheber und Planer wäre nicht mehr notwendig.

                                                              Abb. 4: Modellierbarkeit in Abhängigkeit der Häufigkeit
Abb. 3: Datenbereitstellung – aktuell und nicht redundant     und Routinisierbarkeit

                                                                                             127. Jg. 6/2002   zfv   385
Fachbeiträge                                        Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien

Ist sowohl die Routinisierbarkeit sowie die Häufigkeit der   Ergebnisse eine Prozessorientierung im Sinne einer
Planungsaufgabe hoch dimensioniert, ist eine Vorabdefi-      selbstständigen Fortschreibung.
nition und somit eine zentrale Modellierung der Frage-          Dabei sollte die Prozessmodellierung der Flächennut-
stellungen gegeben. Die Modellierbarkeit der Rahmenbe-       zungsplanung nicht von GIS-Experten, sondern von GIS-
dingung für die Entscheidungsfindung ist umso wirt-          Anwender leistbar sein. Genau hier setzt ein von der
schaftlicher, je häufiger die Planungsaufgabe durchzufüh-    Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Projekt
ren und je einfacher die Fragestellung zu modellieren ist.   Virtuelles GIS (VGIS) an. Bei dem im Januar 1994 ange-
   Bei der Umsetzung des Lösungskonzeptes insbesonde-        laufenen Forschungsprojekt der Hochschule Vechta, wird
re im Hinblick auf die Prozessorientierung wird die di-      dem GIS-Laien unter einer benutzerfreundlichen Oberflä-
rekte Wissensakquisition eingesetzt wobei hier ein hoher     che die einfache Analyse von Geodaten verschiedenster
Anspruch an die Wissensaufbereitung und die Modellie-        Herkunft ermöglicht. »VGIS ist, dem »V« für Virtuell ent-
rung der Geschäftsabläufe (Planungsabläufe) besteht.         sprechend, keine neue GIS-Entwicklung, sondern liegt als
                                                             vermittelnde Schicht zwischen dem Anwender und prin-
                                                             zipiell jedem beliebigen GIS« (Ehlers et al 1999).
3.3 Nutzergruppen im wissensbasierten                           Diese Oberfläche ermöglicht dem Anwender die
    GIS-Lösungsmodell                                        schrittweise Verarbeitung seiner Daten grafisch am Bild-
                                                             schirm darzustellen und mit Hilfe von Ablaufplänen zu
Bei der Konzeption einer wissensbasierten GIS-Technolo-      manipulieren. Diese Szenarien stellen einerseits die Do-
gie, unterscheiden sich folgende Nutzergruppen im Um-        kumentation der Prozessmodellierung dar, andererseits
gang mit GIS, in der Forderung an die Informationstiefe      dient die Szenarienabbildung der Entscheidungsfindung.
sowie deren Rolle im Planungsprozess:                           Dabei ist zu gewährleisten, dass nicht nur die Ergeb-
                                                             nisse der Prozessmodellierung, sondern auch die Prozess-
Nutzergruppe:                           Nutzerkategorie:     abläufe selbst allen Planungsbeteiligten als Abwägungs-
Fach-/Grundlagenexperte: Liefert    GIS-Experte              material zur Verfügung stehen. Die Prozessmodellierung
Grundlageninformationen zu Spezial- (Expertensystem)         kann manuell oder systemgesteuert ablaufen.
fragen und Expertenwissen als                                   Zur Umsetzung einer effektiven Prozessmodellie-
Entscheidungsbasis für die Planung                           rung dient das sogenannte »ERP« (Enterprise Resources
Planer: Führt die Gesamtplanung         GIS-Anwender         Planning). Dabei wird das Ziel verfolgt, eine kooperati-
durch und greift dabei alle Grund-                           ve Nutzung von Workflowmanagement, GIS- und ERP-
lageninformationen auf, aggregiert                           Produkten (wie z. B. SAP) sowie weiterer fachspezifischer
sie und bildet in Abstimmung mit                             Lösungen sicherzustellen. Spezielle Funktionalitäten er-
den Planungsbeteiligten einen                                lauben es dem Planer, für die Planungsphase der Prozess-
Ergebnisvorschlag                                            modellierung, außer den grafischen Bestandsdaten, eine
                                                             beliebige Anzahl assoziierter Planungen zu verwenden,
Planungsbeteiligter (TÖB): Liefert      GIS-Anwender
                                                             die untereinander topologisch verknüpfbar und verfah-
Grundlagendaten und möchte seine        GIS-Viewer
                                                             renstechnisch für alle Träger öffentlicher Belange unter-
Belange im Kontext der Gesamt-
                                                             einander abwägbar sind.
planung eingebettet wissen
                                                                Die am Markt verfügbaren GIS-ERP Produkte stellen
Informationssuchender: Fordert          GIS-Viewer           derzeit noch firmeninterne Insellösungen dar. Langfristig
übersichtliche Informationen im                              sollten diese Geschäftsabläufe nach dem Prinzip der
Planungsverbund                                              Interoperabilität allen Planungsbeteiligten in einem offe-
Tab. 2: GIS-Nutzergruppen im Planungsprozess                 nen System zur Verfügung stehen, um räumliche Restrik-
                                                             tionen, regionalplanerische Vorgaben und politisch-
Die Schwierigkeit hinsichtlich der Bauleitplanung liegt      gesellschaftliche Vorgaben in einem ganzheitlichen pro-
nicht darin, die Daten durch die Expertensysteme von         zessorientierten Planungsablauf zusammenzufassen.
Experten erstellen zu lassen, sondern in der Herausforde-
rung für den Bauleitplaner, alle Daten der Experten und
standardisierte Grundlagendaten neben den sozioökono-        4 Perspektiven
mischen und politischen Forderungen in das Gesamt-
system gerecht und effektiv einzustellen.                    4.1 Prozessorientierung durch virtuelle Modellierung

                                                             Die Umsetzung des Lösungskonzepts bietet Synergie-
3.4 Prozessmodellierung durch                                effekte bei den klassischen Peripherieplanungen der
    Geographische Informationssysteme                        Flächennutzungsplanung, wie Landschaftsplanung, Um-
                                                             weltverträglichkeitsprüfung, Regionalplanung oder Be-
Ein weiterer Schritt des Lösungskonzeptes fordert zudem      bauungsplanung. So könnten z. B. die Straßenbauämter
für die Aggregationsregeln und die daraus resultierenden     die Ergebnisse der Verkehrszählungen in das System ein-

  386    zfv   6/2002 127. Jg.
Martina Klärle, Interoperable, offene Web-GIS-Technologien                                            Fachbeiträge

stellen. Durch eine Verknüpfung mit der ALK und der           einzubinden, die wir mit anderen Sinnen wahrnehmen
Höhensituation (Digitales Geländemodell) sind die Vor-        können. So wird neben der Weiterentwicklung an Grafik-
gaben der Technischen Anweisung Luft (TA-Luft) im Lö-         und Sound-Karten derzeit auch an »Smell-Karten« und
sungskonzept als Verknüpfung aus Daten, Funktionen            »Smell-Blastern« zur Gewinnung programmgesteuerter
und Anwendern zu einem Verkehrslärmausbreitungs-              Gerüche geforscht.
modell darstellbar. Dabei greifen die Anwender über Pla-         Halten die Trends der Multimedia-Entwicklung an,
nungsfunktionen auf die Daten zu.                             wäre es für das Lösungskonzept in nicht allzu ferner
                                                              Zukunft denkbar, dass sich zur Beurteilung eines Pla-
                                                              nungsraumes alle Träger in einem Virtual-Reality-Labor
                                                              (VR-Labor) treffen, in dem sie die geplante Siedlungs-
                                                              entwicklung in Augenschein nehmen, das Rauschen der
                                                              Autobahn im Hintergrund bei verschiedenen Windrich-
                                                              tungen hören, die Immission der 2000 m entfernt geplan-
                                                              ten Müllverbrennungsanlage riechen, den beißenden
                                                              Dampf der beantragten Essigfabrik schmecken, die Wir-
                                                              kungen gegeneinander abstimmen und festhalten. Durch
                                                              die Historienführung kann eine Situation aus einem vor-
                                                              herigen VR-Meeting zum Vergleich erneut wahrgenom-
Abb. 5: Lösungskonzept, Anwender, Funktionen, Daten           men werden. Der Prozessablauf des virtuellen Cyber-
                                                              raums kann abgespeichert und zu jedem Zeitpunkt erneut
Die statischen Momentaufnahmen der heutigen Planun-           erlebt, verändert und weiterentwickelt werden.
gen entwickeln sich zu zeitlich frei dimensionierbaren
Prozessen. Die Zeit wächst zu einer neuen modellierbaren      Die Vergangenheit und die Gegenwart
Planungsdimension heran (Historienführung). Umfassen-         sind unsere Mittel;
de, zeitlich modellierbare Informationen ersetzen die tra-    die Zukunft allein
ditionelle Planung. Was ehemals durch langwierige Itera-      ist unser Zweck
tionen zu einem Planungsergebnis führte, kann morgen          (Pascal)
durch die Prozessorientierung unverzüglich errechnet
werden.
   Planung »just in time« ersetzt die altbewährte Planung     Literatur
auf Vorrat.                                                   Averdung, C.: Integration raumbezogener Daten über Schnittstellen. in:
                                                                  GIS, Zeitschrift für raumbezogene Informationen und Entscheidun-
                                                                  gen, Heft 1/2000, Wichmann Verlag, Heidelberg, 2000.
                                                              Bill, R.: Grundlagen der Geo-Informationssysteme. Band 2, Analysen,
4.2 Aufweichen der Bearbeitungsgrenzen                            Anwendungen und neue Entwicklungen, Wichmann-Verlag, Heidel-
                                                                  berg, 1996.
                                                              Ehlers, M. et al: Zur Rolle der Geoinformatik in den Umweltwissen-
Die digitale Verfügbarkeit aller planungsrelevanten               schaften, In: zfv 8/1999, Wittwer Verlag, Stuttgart, 1999.
Grundlagen- und Ergebnisdaten steigert den Informa-           Fitzke, J., Rinner, C. und Schmidt, D.: GIS-Anwendungen im Internet.
tionsfluss zwischen den Entscheidungsträgern, den Pla-            in: GIS Zeitschrift für raumbezogene Informationen und Entschei-
nungsbeteiligten und den Bürgern. Die »kleine heile               dungen, Heft 6/97, Wichmann Verlag, Heidelberg, 1997.
                                                              Fitzke, J.: GIS-Online, Web-GIS-Typen. http://www.gis-tutor.de/, Uni-
Welt« der Raumplaner wird sich durch die Internationa-            versität Bonn
lisierung und Technisierung der Raumplanung wesent-           Henneberg, F. und Stahl, R.: GIS und Internet Tutorium, Erweite-
lich verändern. Raumplanung wird sich, genau wie die              rungen und Weiterentwicklungen. www.laum.uni-hannover.de/ilr/
Disziplinen in der Industrie, auf einen starken internatio-       lehre/internet/cyber/devel.htm, Universität Hannover, 2000.
                                                              Hofmann, C.: Architektur eines GIS-Terminal. Eine auf Web-Technologien
nalen Konkurrenzkampf einstellen müssen. So wäre es               basierende Zugriffsarchitektur auf verteilte, heterogene Geodaten.
denkbar, dass bei einem vorhandenen digitalen Daten-              www.lrb.informatik.uni-dortmund.de, Universität Dortmund, 1999.
pool und klarem systemgestützten Ranking der model-           Krüger, T.: OpenGIS, Abstrakte Spezifikation einer interoperablen Geo-
lierbare Teil der Flächennutzungsplanung von Ober-                datenverarbeitung.       http://www.ifgi.uni-muenster.de/3_projekte/
                                                                  4dgis/texte/iogis/intro.html, Institut für Geoinformatik, Universität
ammergau in Indien durchgeführt wird.                             Münster, 2000.
                                                              Streich, B. und Schmidt, T.: Computergestützte Bauleitplanung mit
                                                                  wissensbasierten Systemen. www.agr.informatik.uni-kl.de, Zugriff
4.3 Zukunftsvisionen                                              2000, Universität Kaiserslautern, 1999.

                                                              Anschrift der Autorin
Mit der Weiterentwicklung multimedialer Systeme im            Dr. Martina Klärle
Software- und Hardwarebereich wird es in absehbarer           Lehrbeauftragte Fachhochschule Würzburg
                                                              Leiterin Ingenieurbüro Dr. Klärle
Zeit möglich sein in die im Lösungskonzept vorgestellten
                                                              Bachgasse 5, D-97990 Weikersheim
virtuellen, prozessorientierten Planungsabläufe neben         Tel +49(0)7934/3845, klaerle@klaerle.de
den grafischen, also visuellen, Daten auch Informationen      www.klaerle.de

                                                                                                     127. Jg. 6/2002   zfv    387
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