Interprofessionelle Lehre - Berner Fachhochschule

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Interprofessionelle Lehre - Berner Fachhochschule
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                                                      Fokus Interprofessionelle Zusammenarbeit

Interprofessionelle Lehre
                                                              in den Master-Studiengängen

Prof. Dr. Eva Cignacco Müller   Prof. Dr. Christian Eissler    Prof. Dr. Undine Lehmann      Prof. Dr. Settimio Monteverde   Prof. Dr. Amir Tal
Co-Fachbereichsleiterin         Leiter Master-Studiengang      Leiterin Master-Studiengang   Dozent, Leiter Ressort          Leiter Master-Studiengang
Geburtshilfe, Leiterin          Pflege                         Ernährung und Diätetik        Ausbildungsprogramm             Physiotherapie
Master-Studiengang              christian.eissler@bfh.ch       undine.lehmann@bfh.ch         Bachelot-Studiengang Pflege,    amir.tal@bfh.ch
Hebamme                                                                                      Modulverantwortlicher
eva.cignacco@bfh.ch                                                                          Interprofessionelles Modul
                                                                                             Angewandte Ethik MSc
                                                                                             settimio.monteverde@bfh.ch

              Im Jahr 2019 startete im Departement Gesundheit eine enge Kollaborati-
              on der Master-Studiengänge aller vier Gesundheitsberufe. Diese bildete
              auch den Startschuss für die Entwicklung interprofessioneller Module,
              die von Student*innen der Pflege, der Physiotherapie, der Ernährung &
              Diätetik sowie der Geburtshilfe gemeinsam besucht werden. Eine Bilanz.

                 Interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) im Ge-                  Hochschulen, die Studiengänge für verschiedene Ge-
              sundheitswesen bezeichnet den Prozess der Entwick-               sundheitsberufe anbieten, eignen sich ausgezeichnet,
              lung und Aufrechterhaltung effektiver Arbeitsbezie-              um ihren Student*innen in entsprechenden Curricula
              hungen zwischen verschiedenen Professionen in der                interprofessionelle Kompetenzen und Fertigkeiten auf
              Absicht, optimale Patient*innenergebnisse zu erzielen            Bachelor- und Master-Stufe zu vermitteln. Beispielsweise
              (McGill Faculty of Medicine and Health Sciences & Edu-           in spezifischen didaktischen Programmen, die künftige
              cation, 2010). Damit ist IPZ eine spezifische Form der           Leistungserbringer*innen des Gesundheitssektors dar-
              Leistungserbringung im Gesundheitswesen.                         auf vorbereiten, optimal im interprofessionellen Team zu
                                                                               agieren.
              IPZ ist vor allem eine Haltungsfrage                                Das Departement Gesundheit der Berner Fachhoch-
                 Eine erfolgreiche Zusammenarbeit über mehrere Be-             schule hat vor Jahren damit begonnen, die Bachelor-
              rufsgruppen ist heute ein entscheidender Erfolgsfaktor           Curricula interprofessionell auszurichten (Scherer,
              in einem für Patient*innen immer komplexer werden-               Schwager, & Spöring, 2021). Seit dem Herbstsemester
              den Gesundheitssystem (Schweizerische Akademie Me-               2020 sind diese interprofessionellen Module integra-
              dizinischer Wissenschaften, 2021). Sie kommt insbeson-           ler Bestandteil der Curricula (vgl. S. 6). Auch auf Stufe
              dere bei Menschen mit chronischen Erkrankungen zum               unserer Master-Studiengänge hat sich eine Entwicklung
              Tragen, bei denen der Koordinations- und Synchroni-              vollzogen. Mit der Zusammenführung aller vier Master-
              sierungsbedarf rasch ansteigt. Eine gelungene IPZ kann           Studiengänge (Pflege, Physiotherapie, Hebammen und
              einen positiven Effekt auf den Zugang zu Gesundheits-            Ernährung & Diätetik) im Jahr 2019 wurde die einma-
              dienstleistungen für Patient*innen, auf deren Versor-            lige Chance ergriffen, die Module «Advanced Practi-
              gungsqualität sowie auf die Patient*innenzufriedenheit           ce», «Wissenschaftsphilosophie für Gesundheitsberu-
              haben (Reeves, Pelone, Harrison, Goldman, & Zwaren-              fe», «Leadership, Projekt- und Changemanagement»,
              stein, 2017). IPZ ist ebenso anspruchsvoll wie zeitinten-        «Grundlagen der Gesundheitsökonomie» sowie «Ange-
              siv und setzt ausgeprägte Kommunikationskompetenz                wandte Ethik» allen vier Gesundheitsberufen als inter-
              aller Beteiligten voraus. Insbesondere ist IPZ vielmehr          professionelle Module anzubieten.
              eine Haltungs- als eine Wissensfrage. Eine gelingende               Das übergeordnete Ziel interprofessioneller Lehre
              IPZ kann nicht einfach angeordnet oder kurzfristig in            (IPL) in diesen Modulen ist, Student*innen darin zu
              einem Workshop erlernt werden, sondern setzt voraus,             befähigen und zu bestärken, interprofessionelle Zusam-
              dass Gesundheitsfachkräfte bereits in ihrer Ausbildung           menarbeit (IPZ) mit anderen Leistungserbringer*innen
              spezifische Fähigkeiten erlernen.                                einzugehen (McGill Faculty of Medicine and Health
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Gemeinsames Lernen mit anderen Professionen: Spezifische didaktische Programme in den Master-Studiengängen bereiten künftige Leistungserbringer*innen des
Gesundheitssektors darauf vor, optimal im interprofessionellen Team zu agieren.

             Sciences & Education, 2010) und die Vorteile dieser                Das Kompetenzprofil von Fachpersonen auf Master-
             Form der Zusammenarbeit zu kennen. Im Vordergrund                  Stufe zeichnet sich beispielsweise für die Pflege auch
             der IPL im Master-Studiengang steht das gemeinsame                 durch spezifisch ethische Kompetenzen aus (Grace,
             Lernen mit anderen Professionen. Dadurch soll das                  2018). Deren Ausarbeitung und Stärkung hat das Mo-
             herkömmliche, monoprofessionelle Denken in komple-                 dul «Angewandte Ethik» in insgesamt acht Unterrichts-
             xen Versorgungssituationen durchbrochen werden. Die                tagen zum Ziel. Es deckt Grundlagen der Ethik und der
             Student*innen werden darin unterstützt, ihr berufsspe-             (problemorientierten) Angewandten Ethik ab, zentrale
             zifisches Wissen mit dem Wissen anderer Professionen               Konzepte der Ethik (z. B. Selbstbestimmung, Vulnerabi-
             zu verweben, eine jeweils andere Professionsperspekti-             lität, Gleichheit), die Bereichsethiken im Gesundheits-
             ve einzunehmen und diese mit dem eigenen professio-                wesen (z. B. Professionsethiken), klinische Ethik (resp.
             nellen Handeln abzustimmen. Schliesslich soll bei den              klinisch-ethische Entscheidungsfindung), aber auch ge-
             Student*innen ein solides Verständnis dafür erweckt                sellschaftliche Handlungsfelder (Ethik und Ökonomie,
             werden, dass Interprofessionalität die grundlegende                Ethik und Recht, Ethik und Technologiefolgen).
             Voraussetzung für Qualität, Sicherheit und insgesamt                   Der Unterricht ist ein Mix aus Präsenzunterricht im
             positive Gesundheitsergebnisse für Patient*innen dar­              Plenum, Blended Learning und Diskussion in professi-
             stellt. Diese gemeinsamen interprofessionellen Master-             onsspezifischen Gruppen. Aus der Erkenntnis heraus,
             Module mit interaktiven Lernsequenzen vermitteln                   dass das gemeinsame Lernen unter interprofessionel-
             berufsübergreifende Grundelemente. Dies sind etwa                  len Peers sowohl wissens- als auch haltungsfördernd
             Kommunikation, Ethik, Gesundheitsökonomie und                      ist (Mokler et al., 2020), bearbeiten die Student*innen
             -politik sowie Prinzipien der interprofessionellen Zu-             einen signifikanten Teil des Moduls in interprofessio-
             sammenarbeit wie Patientenzentrierung, Erkennen                    nellen Kleingruppen. Das daraus generierte E-Portfolio
             professionsspezifischer Grenzen oder Verbesserung der              stellt, zusammen mit dem Gruppenessay (ethische Re-
             Betreuungskoordination.                                            flexion einer interprofessionellen Situation), den Leis-
                                                                                tungsnachweis des Moduls dar.
             «Angewandte Ethik» als Beispiel interprofessio­
             neller Lehre in den vier Master-Studiengängen                      Modul mit vier Zielen
                Interprofessionelle Teams decken eine Vielzahl an                  Die inhaltliche Konzeption des Moduls verfolgte vier
             Kompetenzen ab, die heutzutage für eine wirksame                   Ziele. Ein erstes Ziel war die Kontinuität mit den Inhal-
             Gesundheitsversorgung unerlässlich sind. Wertefragen               ten des Bachelor-Studiums sowie das Schaffen eines ge-
             spielen darin eine grosse Rolle, denn Gesundheitspro-              meinsamen Wissensniveaus für Student*innen, die im
             fessionen sind aufgrund ihres Mandats, ihres Verant-               Bachelor wenig Berührung mit Ethik hatten. Als zweites
             wortungs- und Zuständigkeitsbereichs und ihres Erfah-              Ziel stand die Identifikation von Inhalten, die für die
             rungswissens immer auch Werteträger*innen. Deshalb                 Master-Stufe charakteristisch sind/sein sollen. Das drit-
             stellt die ethische Reflexion ein Kernelement guter in-            te Ziel bestand in einer Auslegeordnung, wie Advanced
             terprofessioneller Zusammenarbeit dar (Pardue, 2015).              Practice in ethischer Hinsicht für Master-Student*innen
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Hebamme, Pflege, Ernährung und Diätetik sowie Phy-          sen, denn die Effekte der interprofessionellen Lehre
siotherapie verstanden und curricular implementiert         konnten bisher nicht eindeutig belegt werden. Ein sys-
werden kann. Das vierte Ziel beinhaltete die Frage nach     tematischer Review, der 23 Studien inkludierte (Ber-
der Anschlussfähigkeit und Offenheit der vermittelten       ger-Estilita, Fuchs, Hahn, Chiang, & Greif, 2020), ergab
Inhalte für das weitere gesellschaftliche, aber auch glo-   folgendes Ergebnis: Bei 13 Studien hatte die IPL dazu
bale Umfeld.                                                geführt, dass die Lernenden der interprofessionellen
    Damit im Modul diese Ziele erreicht werden kön-         Zusammenarbeit positiver gegenüberstanden, während
nen, liegen den Unterrichtsaktivitäten eine Reihe an        in neun Studien kein Effekt zu erkennen war. Bei einer
Kompetenzen zugrunde, die sowohl Wissen als auch            Studie zeigte sich sogar eine konträre Wirkung: Die IPL
prozedurale Fähigkeiten und Haltungen umfassen. Sie         hatte bei Medizinstudent*innen zu einer negativen Hal-
beinhalten:                                                 tung gegenüber der Interprofessionalität geführt.
a. das Wissen um den Wertebezug der eigenen Profes-            Eine Chance, die interprofessionelle Lehre in unse-
   sion und um den Mehrwert ethischer Diversität            rem Departement besser zu verankern, bietet das neu
b. die Fähigkeit, im interprofessionellen Behandlungs-      lancierte Doktoratsprojekt von Anthony Grand (Grand-
   team Konsense sichtbar zu machen und bei Dissen-         Perrenoud, 2021), wissenschaftlicher Mitarbeiter Ge-
   sen gelingende Lösungen auszuhandeln, die die            burtshilfe.
   Handlungsfähigkeit des Teams erhalten                       Das Doktorat entsteht im Hochschulverbund «Swiss
c. die Fokussierung auf das Wohl und die Interessen         Learning Health Systems», der den Dialog zwischen
   der betroffenen Person, gerade auch bei Interessens-     verschiedenen Akteur*innen des Gesundheitssystems
   konflikten                                               fördert. Etwa, indem Doktorarbeiten evidenzbasierte
d. die Unterstützung von Teams und Individuen in der        Lösungen zu aktuellen und künftigen Herausforderun-
   wirksamen Bewältigung ethischer Belastungssituati-       gen des Gesundheitssystems entwickeln.
   onen                                                        Dieses Doktoratsprojekt, das die interprofessionel-
e. die Förderung des Zugangs zu gesundheitsrelevanten       le Lehre unserer Bachelor- und Master-Studiengänge
   Leistungen für alle, die diese benötigen, das Erken-     untersucht, wird auch Aufschlüsse darüber geben, ob
   nen und Angehen von Phänomenen der Unter-,               sich die interprofessionelle Ausrichtung der Lehre auf
   Über- oder Fehlversorgung (soziale Gerechtigkeit)        die Zusammenarbeit in der Gesundheitsversorgung
                                                            auswirkt.
    Bisherige Rückmeldungen zum Modul, das dieses              Bis dahin gilt es, weitere Erfahrungen zu sammeln,
Jahr zum zweiten Mal angeboten wurde, sind ermuti-          das Potenzial des Einbezugs weiterer Professionen –
gend. Sie zeigen, dass die Student*innen den Mehrwert       allen voran Ärzt*innen – zu prüfen und das Lehran-
des interprofessionellen Zugangs zu ethischen Fragen        gebot gemeinsam mit Student*innen kontinuierlich zu
der Praxis erkennen und für sich nachvollziehen kön-        evaluieren.
nen. Auch der Austausch innerhalb der Lerngruppe
über professionelle Standpunkte wurde als gewinnbrin-       Literatur:
gend eingeschätzt und als optimale Ergänzung zu den         – Berger-Estilita, J., Fuchs, A., Hahn, M., Chiang, H., & Greif, R.
                                                              (2020). Attitudes towards Interprofessional education in the
Plenumsaktivitäten gesehen.                                   medical curriculum: a systematic review of the literature. BMC
    Zu hoffen ist, dass das Modul für die Student*innen       Med Educ, 20 (1), 254. doi:10.1186/s12909-020-02176-4
zu einer ethischen Profilierung ihrer zukünftigen Pra-      – Grace, P. J. (2018). Nursing Ethics and Professional Responsibility
xis auf Master-Stufe beitragen kann und das Interesse         in Advanced Practice (3rd ed.): Jones and Bartlett Leanring.
                                                            – Grand-Perrenoud, A. (2021). The effects of interprofessional
an empirischen Untersuchungen zum Thema weckt.                education on interprofessional practice in healthcare settings.
Der Mix an verschiedenen Lern- und Lehrsettings er-           Unpublished proposal.
wies sich als dafür sehr geeignet. Er vereinfachte auch     – McGill Faculty of Medicine and Health Sciences, & Education, O.
                                                              o. I. (2010). Canadian interprofessional health Collaborative
die Umstellung auf das Distance Learning, wie es im
                                                              (CIHC) framework. Retrieved from https://www.mcgill.ca/
Verlauf der Corona-Pandemie notwendig wurde. Letz-            ipeoffice/ipe-curriculum/cihc-framework
tere war es auch, die den Modulthemen eine hohe Aktu-       – Mokler, D. J., Konrad, S. C., Hall, K., Rodriguez, K., St Pierre, S.,
alität und Brisanz verlieh, die sich auch in den Diskus-      Thieme, V. S., & Van Deusen, J. (2020). Learning Together:
                                                              Interprofessional Education at the University of New England. J
sionen auf Moodle, in Online-Vorlesungen und in den           Am Osteopath Assoc, 120 (8), 509–515. doi:10.7556/
Gruppen­essays zeigte.                                        jaoa.2020.084
                                                            – Pardue, K. T. (2015). A framework for the design, implementation,
Interprofessionelle Lehre verankern                           and evaluation of interprofessional education. Nurse Educ, 40 (1),
                                                              10–15. doi:10.1097/NNE.0000000000000093
   Die Erfahrungen aus dem Modul «Angewandte                – Reeves, S., Pelone, F., Harrison, R., Goldman, J., & Zwarenstein, M.
Ethik» bestätigen uns in unserem Vorhaben, die in-            (2017). Interprofessional collaboration to improve professional
terprofessionelle Lehre und das interprofessionelle           practice and healthcare outcomes. Cochrane Database Syst Rev,
Lernen weiter zu verfolgen. Da es uns wichtig ist, di-        6, CD000072. doi:10.1002/14651858.CD000072.pub3
                                                            – Scherer, T., Schwager, U., & Spöring, F. (2021). Projekt Curricu-
daktische Konzepte zur Förderung des interprofes-             lum2020: Schlussbericht 2021 . Retrieved from Bern, Berner
sionellen Lernens zu verstehen, stehen wir hier als           Fachhochschule, Departement Gesundheit:
Studiengangsleiter*innen in einer Verantwortung. Wir        – Schweizerische Akademie Medizinischer Wissenschaften. (2021).
                                                              Interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheitswesen
verbessern unsere Ansätze durch regelmässige stu-             Charta 2.0. Retrieved from https://www.samw.ch/de/Projekte/
dentische Evaluationen mittels adäquater Indikatoren          Uebersicht-der-Projekte/Interprofessionalitaet/Publikationen-
sowie interprofessionell gestalteten Leistungsnachwei-        Interprofessionalitaet.html
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