Irgendwie klappt es nicht: Adhärenz und Compliance bei Jugendlichen
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CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch Selbstmanagement von Teens mit Allergien oder Asthma Irgendwie klappt es nicht: Adhärenz und Compliance bei Jugendlichen Thomas Spindler, Davos; Gerd Schauerte, Berchtesgaden (D) Therapieadhärenz | Asthma bronchiale | Pädiatrie ■ Jugendliche sind schwierig, haben keinen Bock auf Nicht Jugendliche als solche sind schwierig, sie Therapie, sind unmotiviert, sind non-compliant: Das befinden sich in einer schwierigen Lebensphase ist unser häufiges Bild von chronisch kranken Jugend- Jugendliche befinden sich in der normativen Transi- lichen. Ist das wirklich so? – Oder liegt es vielleicht tionsphase der pubertären Identitätsfindung. Sie sind auch an der Art und Weise, wie wir als medizinische keine «kleinen Erwachsenen», und auch keine «gros- Fachpersonen mit dieser Altersgruppe umgehen. Der sen Kinder». In der Pubertät haben sie die «Aufgabe», folgende Artikel soll am Beispiel Asthma bronchiale sich von ihren Eltern zu lösen, zu opponieren, Gren- Fakten aufzeigen, Verständnis für diese «besondere zen auszuloten und Selbstständigkeit zu erlernen – Patientengruppe» wecken und gangbare Wege auf- manchmal durchaus konfrontativ. Neben der Pubertät zeigen, die Jugendlichen zu gewinnen und damit einer als «normaler» Transitionsphase für jeden Menschen eigenverantwortlichen und suffizienten Therapie zuzu- müssen aber chronisch kranke Jugendliche zusätzlich führen. den Prozess des Übergangs in die «Erwachsenenmedi- zin» bewältigen – eine gleichzeitige «nicht-normative Lebensphase Jugend – eine Herausforderung Transition» als doppelte Herausforderung. Transition auch ohne Asthma bedeutet hier nicht nur den einfachen Arztwechsel, Jugendliche befinden sich in einer «Transitionsphase». sondern den gesamten Prozess des Erwachsenwerdens Hierunter versteht man krisenhafte, zeitlich begrenzte und der Verantwortungsübernahme für die Krankheit. Phasen in der Entwicklung von Menschen, die durch In diesem Prozess sollten wir die Jugendlichen unter- erst- oder einmalige markante Ereignisse ausgelöst stützen. Das Bewusstsein dieser doppelten Herausfor- werden. Unterschieden wird zwischen «normativen derung sollte unser Denken und Handeln im Umgang Transitionen» und «nicht-normativen Transitionen». mit Jugendlichen lenken. Normative Transitionen sind Entwicklungsphasen, die von nahezu allen Menschen im Laufe ihres Lebens Unsere Aufgabe in der Begleitung durchgemacht werden wie z.B. Eintritt in den Kinder- von Jugendlichen mit Asthma garten, Schulbeginn, Pubertät, Eintritt in den Beruf Jugendliche mit chronischen Erkrankungen werden etc. Daneben gibt es sogenannte «nicht-normative von vielen als eine «schwierige Patientengruppe» emp- Transitionen». Dies sind individuelle Einschnitte wie funden, da sie teilweise keine Lust auf die regelmässige z.B. Veränderungen der sozialen Umgebung, plötz- Medikamenteneinnahme haben und eher genervt da- liche Verluste, «Schicksalsschläge» oder aber auch von sind. Ziel ist es, Jugendliche in ihrer Lebenssitua- Veränderung von medizinischen und therapeutischen tion ernst zu nehmen, Betroffenheit zu erzeugen und Versorgungsstrukturen bei chronischen Erkrankungen ihnen damit die notwendigen Kenntnisse und Fertig- wie dem Asthma bronchiale. keiten an die Hand zu geben, das Selbstmanagement ihrer Erkrankung zu übernehmen. Bei Kindern und Jugendlichen zählen allergische Erkrankungen zu den Dr. med. Thomas Spindler häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die 12-Monats-Prävalenzen für Heuschnupfen (8,8%), Chefarzt Pädiatrie Neurodermitis (7,0%) und Asthma bronchiale (3,5%) Hochgebirgsklinik Davos zeigen über mehrere Jahre keine wesentlichen Verän- Herman-Burchard-Strasse 1 7265 Davos derungen und weisen somit auf eine Stabilisierung der thomas.spindler@hgk.ch Erkrankungshäufigkeiten auf hohem Niveau hin [1]. In den Daten zeigt sich auch, dass Jugendliche ihre Ge- sundheit schlechter einschätzen als dies ihre Eltern tun Dr. med. Gerd Schauerte und sich chronische Erkrankungen wie Asthma nega- tiv auf die Lebensqualität der Jugendlichen auswirken. Ärztlicher Direktor FB Gesundheit und Rehabilitation Compliance oder Adhärenz: CJD Berchtesgaden, Buchenhöhe 46 partizipative Entscheidungsfindung D-83471 Berchtesgaden Während man früher vom Begriff der «Compliance» gerd.schauerte@cjd.de ausging, d.h. der «Anordnung» einer Massnahme 2
InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2021; Vol. 3, Nr. 2 CME-FORTBILDUNG Grafik 1 n = 122, 3-12J, Follow up alle 4 Mo., Compliancemessung via Rezepteinlösung (aus 7) durch den Arzt und dem «Befolgen» dieser Anord- Abb. 1 Adhärenzmessung via Rezepteinlösung nung durch den Patienten wird heute von «Adhärenz» gesprochen. Adhärenz steht in der Medizin für die Kontrolliert n = 122, 3–12 Jahre Einhaltung der gemeinsam vom Patienten und dem nicht kontrolliert Follow up alle 4 Monate medizinischen Fachpersonal (Ärzte, Pflegefachkräfte, Therapeuten) gesetzten Therapieziele. Das Konzept 90% der Adhärenz basiert auf der Erkenntnis, dass das Ein- 80% halten von Therapieplänen und damit auch der The- 70% rapieerfolg in der gemeinsamen Verantwortung des 60% medizinischen Fachpersonals und des Patienten liegt. Adhärenz 50% Daher sollten beide Seiten möglichst gleichberechtigt 40% «zusammenarbeiten» und gemeinsame Entscheidun- 30% gen auf Augenhöhe treffen. 20% Im Rahmen einer Kohortenstudie aus dem Jahre 10% 2009 an 102 randomisierten Kindern und Jugendlichen 0% Quelle: [7] wurde über 12 Monate alle 2 Monate mit 4 verschie- 4 Monate 8 Monate 12 Monate denen Methoden die Therapietreue bei inhalativen Medikamenten erfasst. Während nach Selbstangabe der Patienten bzw. Eltern 98% der verordneten Dosen eine gute Adhärenz in qualitativ hochwertigen Stu- inhaliert wurden und immerhin noch 70% der Rezepte dien mit weniger schweren Asthma-Exazerbationen in den Apotheken eingelöst wurden, zeigten die «ob- verbunden [8]. jektiveren» Methoden wie elektronische Messung der Jugendliche sind ehrlich: sie sagen, warum sie die Inhalationsrate oder das Wiegen des Dosieraerosols Therapie nicht machen: Während kleinere Kinder ein gänzlich unterschiedliches Ergebnis. Hier lag die häufig die Eltern im Arztgespräch reden lassen und tatsächlich gemessene «Compliancerate» nur noch bei Erwachsene den Ärzten oft nicht die realen, sondern etwa 50% [2]. die «gewünschten» Antworten geben, sind Jugendli- Dieses Ergebnis korreliert mit diversen anderen che hier viel ehrlicher. Sie sagen offen, warum sie et- Studien und hat sich auch in den letzten Jahren nicht was nicht gemacht haben – ob «vergessen» oder «kein signifikant verändert, wie die Daten von Milgrom aus Bock» oder «mir geht es doch auch so gut» – all dies dem Jahre 1996 und auch anderer Autoren zeigen [3]. sind klassische Antworten auf unsere Frage: «Wie re- Auch neuere Studien weisen leider keine signifikant gelmässig hast du inhaliert?» besseren Werte auf [4]. Auch innerhalb der Gruppe Wichtig ist aber auch, die Rolle der Eltern auch der Jugendlichen scheinen die jüngeren Patienten eine bei Jugendlichen zu beachten. Es ist keineswegs so, bessere Therapieadhärenz aufzuweisen als die älteren dass diese komplett ihren Einfluss verlieren. Vielmehr Jugendlichen, wie eine Studie aus dem Jahre 2009 verlässt sich ein Teil der Adoleszenten weiterhin auf zeigt [5]. Dies ist eventuell mit dem noch grösseren die Eltern und überlässt ihnen einen Teil der Thera- Einfluss der Eltern zu erklären. pieverantwortung [9]. Des Weiteren zeigen Daten, dass eine eindeutige Korrelation zwischen «Compliance» und Erkran- Welche Faktoren führen speziell bei Jugendlichen kungsdauer besteht: je länger die Erkrankung dauert, zu weniger Therapieadhärenz? desto schlechter die Compliance [2]. In einer 2020 veröffentlichtem systematischen Review [10] kommen die Autoren zu folgenden jugendlichen- Fehlende Adhärenz und ihre Auswirkungen spezifischen Gründen: auf die Asthmakontrolle – Wunsch nach Unabhängigkeit und Verantwortung Therapieziel nach Leitlinien [6] ist ein kontrolliertes inklusive der Ablehnung elterlicher Überwachung Asthma, d.h. bei Kindern und Jugendlichen vollstän- und Unterstützung dige Beschwerdefreiheit ohne den Gebrauch von – Konflikte mit den Eltern, wer die Verantwortung für Notfallmedikamenten bei normaler Alltagsaktivität die korrekte Therapiedurchführung hat und uneingeschränkter sozialer Teilhabe. Die vorlie- – Schwierigkeiten im «Zeitmanagement» und im Set- genden Daten (Abb. 1) zeigen eine strenge Korrela- zen von Prioritäten tion zwischen Therapieadhärenz und dem Therapie- – «Vergesslichkeit» oder die Wahrnehmung, zu viel ziel Asthmakontrolle [7]. Diese Daten wurden 2015 anderes zu tun zu haben in einem systematischen Review mit 23 eingeschlosse- – Fehlende Entscheidungsfähigkeit: nehme ich die nen Studien nochmals eindrücklich bestätigt: Obwohl Medikamente oder nicht? die Messgrössen der Studien deutlich variierten, war – Fehlendes Wissen über Wirkung und Nebenwir- kung, um Entscheidungsfähigkeit herbeizuführen – Überlassung der Therapieverantwortung bei den Eltern kombiniert mit fehlender elterlicher «Moti- vation» – Interessenskonflikt zwischen Medikamentenein- nahme und anderen Alltagsaktivitäten > Fortbildungsfragen auf Seite XX – Fehlende Wahrnehmung des Therapieeffektes – Scham vor Freunden 3
CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch Abb. 2 Je schwerer das Asthma, desto häufiger bestehen psychische als Apps [16,17] evaluiert. Auch diese zeigten positive Probleme Ergebnisse bezüglich Therapieadhärenz bei Jugend- lichen. Ob diese Form der Schulung allerdings die kein n = 93.089 leicht n = 5952 n = 101.778 Teilnehmer genau so individuell erreicht wie in einer mittel n = 2318 schwer n = 393 Live-Schulung [18] muss kritisch hinterfragt werden. Vergleichsdaten liegen nicht vor. 30% Asthma bronchiale Was können WIR bei der individuellen Betreuung 25% Jugendlicher tun? Häufigkeit der Störung Gerade bei Jugendlichen sind eine gute Gesprächsat- 20% mosphäre und Arzt-Patienten-Beziehung ausschlagge- bend für die Motivation zur Durchführung der Thera- 15% pie. Jugendliche erfahren oft, dass ihnen «von aussen» 10% gesagt wird, was sie zu tun haben und was nicht. Sie fühlen sich aber bereits als selbst entscheidende In- 5% dividuen. Hierdurch kommt es häufig zu Konflikten oder zu Verhaltensweisen, bei denen die Jugendlichen aus Opposition das, was ihnen von aussen gesagt wird, Quelle: [21] 0% ADHS Depression / Angst SSV Lernstörungen eben nicht tun. Jugendliche sollten das Gefühl haben, «beraten» ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung SSV: Störung des Sozialverhaltens zu werden, jedoch selbst die Entscheidungen für ihr SSV: Störung des Sozialverhaltens Verhalten zu treffen. Hierbei sollte das Thema «The- Abb. 1: Je schwerer das Asthma, desto häufiger bestehen psychische Probleme rapietreue» und «Machbarkeit» offen angesprochen werden und so mit dem Jugendlichen zusammen eine – Jugendliches «Risikoverhalten» wie Rauchen, Alko- gemeinsame Therapieentscheidung getroffen wer- hol oder Drogen den [19]. Auch die Wahl des Inhaliergerätes sollte – Vermehrter Einfluss psychischer Störungen bei Ju- zusammen mit dem Jugendlichen getroffen werden. gendlichen Hilfreich ist auch ein «Rückmeldesystem» bezüglich der Therapietreue. Dieses verbessert sowohl die ge- Welche externen Faktoren führen speziell bei messene Compliance als auch objektive Lungenfunk- Jugendlichen zu mehr Therapieadhärenz [11,12]? tionsparameter [20]. – Funktionierendes Familiengefüge und realistische Einschätzung bez. Asthma Psychosoziale Kontextfaktoren der Adhärenz – Gering empfundenem Stress bei Erziehung und re- bei Kindern und Jugendlichen gelmässiger Therapie Spätestens seit der Auswertung von grossen popula- – Routinierte (=ritualisierte?) Therapie tionsbezogenen Studien in den USA im Jahr 2007 ist – Maximal 2 Inhalationen pro Tag bekannt, dass mit dem Schweregrad des Asthmas auch – Kürzliche Exacerbation die Häufigkeit von psychosozialen Auffälligkeiten bei – Überzeugung bzgl. Selbstwirksamkeit Kindern und Jugendlichen ansteigt. Zu dieser Zeit er- – Positive Grundstimmung folgte (noch) eine Einstufung in leichtes, mittelschwe- – Klare strukturierte Tagesabläufe in der Familie res- und schweres Asthma bronchiale. Dabei zeigt – Klare Aufgabenverteilung bez. der Therapie sich ein deutlicher Anstieg von Aufmerksamkeitsde- – Ältere Eltern fizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Depressi- vität/Angststörung, Störung des Sozialverhaltens und Welche Schulungsmassnahmen sind hilfreich? Lernstörung in Abhängigkeit vom Schweregrad des Allgemein kann gesagt werden: Schulung von Ju- Asthma bronchiale [21] (Abb. 2). Dies lässt sich eben- gendlichen verbessert die Therapieadhärenz. Neben falls in Daten aus Grossbritannien nachweisen [22]. der klassischen ambulanten oder stationären Schu- Wenn man die Studiendaten aus den Vereinigten Staa- lung oder der Rehabilitation sind auch neue, alterna- ten aus dem Blickwinkel der jeweiligen psychischen tive Formen von Schulung nachweisbar wirksam. In Störung betrachtet, ergibt sich bei Vorliegen der psy- mehreren Metaanalysen wurde bereits seit 2003 de- chischen Störung jeweils ein deutlich erhöhter Anteil ren Wirksamkeit auf diversen Ebenen nachgewiesen bei Kindern und Jugendlichen mit Asthma bronchiale. [13 –15]. Signifikant zeigten sich folgende Ergebnisse: Dabei verdoppelt sich bei Vorliegen einer solchen Stö- – Verbesserung der Lungenfunktion (PEF +9,5%) rung die Häufigkeit eines Asthmas bronchiale nahezu. – Reduktion der Schulfehlzeiten Ähnliche Ergebnisse ergaben sich bereits ineiner – Verbesserung der körperlichen Aktivität Meta-Analyse im Jahr 2001 mit insgesamt 26 Stu- – reduzierte nächtliche Asthmaanfälle dien [23]. Insgesamt können wir also von einem si- – reduzierte Krankenhausaufenthalte cher fundierten Wissen ausgehen. Trotz dieser klaren – reduzierte Notfallambulanz-Besuche Zusammenhänge gibt es erstaunlich wenige Untersu- – Stärkung des Selbstbewusstseins- zu seiner Erkran- chungen, die sich dem Thema der Adhärenz bei Vor- kung zu stehen und nicht allein damit zu sein liegen einer psychischen Störung widmen. Neben diesen klassischen Schulungskonzepten wurden Eine mögliche Erklärung für den Zusammenhang auch andere Schulungskonzepte auf Onlinebasis bzw. psychische Auffälligkeit und Asthma wäre, dass die 4
InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2021; Vol. 3, Nr. 2 CME-FORTBILDUNG Abb. 2: Angststörung und Depression führen zu mehr Asthmabeschwerden und umgekehrt psychischen Auffälligkeiten Folge einer medikamentö- Abb. 3 Angststörung und Depression führen zu mehr Asthma sen Therapie sind. Dies ist zumindest für den Wirkstoff beschwerdenund umgekehrt der inhalativen Corticosteroide klar auszuschliessen. In einer Kinderstudie konnte gezeigt werden, dass bei den Kindern mit einer guten Adhärenz (durchschnitt- 3 lich 92%) bezüglich inhalativer Kortikosteroide keine Anzahl der Asthmasymptome vermehrten Verhaltensauffälligkeiten – gemessen mit 2,5 der Child Behavior Checklist (CBCL) – aufgetreten sind [24]. Allerdings veröffentlichte die amerikanische 2 U.S. Food and Drug Administration (FDA) bezüglich des Leukotrienantagonisten Montelukast im März 1,5 2020 eine sogenannte «Boxed-Warning», in der als Nebenwirkung ausdrücklich Agitation, Depression, 1 Schlafstörung sowie suizidale Gedanken aufgeführt werden [25]. 0,5 Gerade bei Patienten mit ungünstigem Verlauf be- züglich Asthma bronchiale kann mit vermehrten Ver- 0 haltensauffälligkeiten gerechnet werden. Hier sollte 0–5 6–9 10–15 16–22 23–30 31–62 Quelle: [27] der Einsatz von Leukotrienantagonisten besonders Anzahl der Angst-Depressions-Symptome zurückhaltend erfolgen. Asthma und ADHS Erwachsenen eine Reglementierung des Verhaltens Das gemeinsame Auftreten von Asthma bronchiale gefordert wird, führt dies schnell zu oppositionellen und ADHS konnte nicht nur in den oben genannten Verhalten und mangelhaften Asthmamanagement. Studien nachgewiesen werden. In den RKI-Daten Dabei konnte in eigenen Untersuchungen gezeigt (deutschlandweite populationsbezogene Studie) werden [26], dass der Bedarf an Unterstützung bei zeigt sich (eigene Auswertung, nicht veröffentlicht) Asthma bronchiale mit dem Ausmass externalisieren- eine Prävalenz von ADHS bei Kindern mit Asthma der Verhaltensauffälligkeiten steigt. Das heisst, diese bronchiale von 7,8%; die Prävalenz von ADHS in Kinder benötigen besonders viel Unterstützung, um der Gruppe ohne Asthma bronchiale liegt bei 4,7% die Notwendigkeiten der Behandlung ihres Asthma (n=13 292). Umgekehrt zeigen sich in der Gruppe bronchiale möglichst gut umzusetzen. der Asthmatiker signifikant mehr Kinder mit auffälli- gen Werten in Bezug auf ein hyperaktives Verhalten Asthma und Depression/Angststörung (11,8% versus 8,4%, n=14 300). Bei Angststörung und Depression ist die Datenlage Welche Auswirkungen die Erkrankung ADHS auf insgesamt besser. Im Jahr 2006 liess sich in einer Popu- die Adhärenz bei Kindern und Jugendlichen hat, war lation von über 700 Kindern und Jugendlichen im Alter bislang nicht im Fokus einer einzelnen Studie. Wenn zwischen 11 und 17 Jahren ein klarer Zusammenhang man jedoch die typischen Symptome des ADHS mit zwischen der Anzahl der Angst/Depressionssymptome Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität sowie der Symptome seitens des Asthma bronchiale mit der Notwendigkeit zur Behandlung eines Asthma darstellen [27]. Je mehr Angst/Depressionssymptome bronchiale gegenüberstellt, ergeben sich klare Hin- bestehen, desto mehr Asthmasymptome bestehen und weise, dass eine Aufmerksamkeitsdefizit- und Hy- umgekehrt (Abb. 3). Zu ähnlichen Ergebnissen kam peraktivitätsyperaktivitätsstörung eine optimale eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2021 [28], bei der Therapie des Asthma bronchiale beeinträchtigt. Die sich insbesondere bei Mädchen ein ähnlicher Effekt regelmässige Durchführung einer Dauertherapie, die darstellen liess. ggf. notwendige Steuerung körperlicher Aktivität, die In einer Studie mit Kindern und Jugendlichen Auslöservermeidung sowie die soziale Kompetenz im (8–18 Jahre alt) wurde die Adhärenz bez. einer Asth- Umgang mit der Erkrankung passen nicht zum Bild matherapie bei Vorliegen von Depression/Angststö- eines ADHS. Umso dringender notwendig ist es, nicht nur das Asthma bronchiale, sondern auch das ADHS optimal zu behandeln, um den Patienten insgesamt ge- TAKE-HOME-MESSAGES recht zu werden. ― Jugendliche sind ehrlich: sie sagen, warum sie die Therapie nicht machen Asthma und Störung des Sozialverhaltens ― Non-Adhärenz ist eine wichtige, wenn nicht die wichtigste Ähnlich sieht es hinsichtlich der Komorbidität von Ursache für ein instabiles, d.h. unkontrolliertes oder nur teil- Asthma bronchiale und Störung des Sozialverhaltens weise kontrolliertes Asthma bronchiale. aus. Auch hier ergeben sich durch die typischen Sym- ptome der Störung des Sozialverhaltens (streitet sich ― Im Gespräch ist der Jugendliche Ansprechpartner, nicht seine häufig mit Erwachsenen, widersetzt sich den Regeln Eltern, wobei die Eltern als Berater weiterhin eine wichtige von Erwachsenen, reagiert leicht empfindlich und Funktion als «Begleiter» haben. verärgert) und den Notwendigkeiten einer Behand- ― Der Bedarf an Unterstützung aufgrund von Asthma bronchiale lung von Asthma bronchiale Schwierigkeiten bei der steigt mit dem Ausmass externalisierender Verhaltensauffällig- Therapieumsetzung – besonders, wenn von Seiten der keiten. 5
CME-FORTBILDUNG medizinonline.ch rung sowie Asthma bronchiale erhoben [29]. Dabei Bei Vorliegen dieser Erkrankungen ist neben der op- bestand auch hier ein klarer Zusammenhang zwischen timalen Asthmatherapie auch eine optimale Therapie dem Ausmass von Angst/Traurigkeit und Asthmasym- und Behandlung der jeweiligen psychosozialen Grund- ptomen. Allerdings liess sich dieser Zusammenhang erkrankung erforderlich. Eine Kooperation zwischen nicht durch eine Non-Adhärenz erklären. Hier scheint behandelndem Kinder- und Jugendarzt und Psycho- es sich um einen unabhängigen Zusammenhang zu logen bzw. Kinder- und Jugendpsychiater ist hier er- handeln. Diskutiert wird, dass bei erhöhter Angst forderlich. Ein gemeinsamer Austausch über den Pa- und Traurigkeit auch eine erhöhte Wahrnehmung der tienten kann sicher die Therapie beider Erkrankungen Asthmasymptome besteht. Auch in dieser Studie lässt optimieren und ist klar zu fordern. Wie oben gezeigt sich nachweisen, dass eine Non-Adhärenz zu einem wurde, beeinflussen sich beide Erkrankungen gegen- instabilen Asthma bronchiale mit der Notwendigkeit seitig negativ. einer Therapie mit systemischen Steroiden führt. Bei erwachsenen Patienten mit Asthma bronchiale Zusammenfassung und Depression [30] konnte jedoch ein klarer Zusam- Non-Adhärenz ist eine wichtige, wenn nicht die wich- menhang zwischen der Höhe der depressiven Symp- tigste Ursache für ein instabiles, d.h. unkontrolliertes tome und der Adhärenz gemessen werden. Die Odds- oder nur teilweise kontrolliertes Asthma bronchiale. Ratio – also das Risiko – bezüglich einer schlechten Mit einer schlechten Adhärenz, (das bedeutet, bei der Adhärenz (unter 50% der vereinbarten Medikamente Einnahme von weniger als 75 bis 80% der vereinbar- wurden eingenommen) ist bei einem signifikant erhöh- ten Medikamente) muss man bei mindestens 50% aller ten Depressions-Score 11,4-fach erhöht. Als mögliche Patienten rechnen, besonders jedoch bei Patienten, bei Ursache für die schlechte Compliance bei einer aus- denen die Asthmakontrolle nicht im erwarteten Aus- geprägten Depressionssymptomatik werden in dieser mass erreicht wird. Studie Apathie; Pessimismus bezüglich der Effektivität Zur Therapie der Non-Adhärenz gehört eine der Therapie; akute Defizite in der Aufmerksamkeit, strukturierte Patientenschulung und ein langfristiges Merkfähigkeit und Aufnahmefähigkeit; absichtliche Zusammenarbeiten zwischen Patient und behandeln- Selbstschädigung und erhöhte Sorgen vor möglichen den Arzt, um die Adhärenz zu verbessern. Dabei ist Nebenwirkungen diskutiert. der Glaube an den Nutzen der Therapie – insbeson- dere im Erleben eines Therapieeffekts – besonders Psychosomatische und soziale Kontextfaktoren wirksam. Insgesamt lässt sich somit klar darstellen, dass psy- Wichtig ist es, Verständnis zu haben: Nicht der chosoziale Auffälligkeiten, insbesondere ADHS, Stö- Jugendliche mit Asthma per se ist «schwierig» son- rung des Sozialverhaltens und Depression mit einem dern die Situation in der sich befindet. Jugendliche unzureichenden Asthmamanagement einhergehen. müssen wertgeschätzt und ernst genommen werden. 6 Foto: Hochgebirgsklinik Davos/ FIONAARTS Fotografie, Fiona Piola
InFo PNEUMOLOGIE & ALLERGOLOGIE 2021; Vol. 3, Nr. 2 CME-FORTBILDUNG Sie brauchen Perspektiven und müssen den Mehrwert der Therapie für ihre persönliche Situation erkennen. Die Arzt-Patientenbeziehung bei Jugendlichen sollte Im Gespräch ist der Jugendliche Ansprechpartner, geprägt sein durch folgende Faktoren: nicht seine Eltern, wobei die Eltern als Berater wei- – Primärer Ansprechpartner sind grundsätzlich die Jugendlichen – terhin eine wichtige Funktion als «Begleiter» haben. keinesfalls die begleitenden Bezugspersonen Die Motivation zur Therapie muss vom Jugendlichen – Respekt und Verständnis für die Lebensphase, die Besonderhei- ausgehen, nicht von den Eltern oder dem Arzt, das be- ten und die « Probleme» der Jugendlichen deutet, dass wir als Ärzte/Ärztinnen die eigene Rolle – Keine «oberlehrerhaften» Anweisungen, sondern gleichberechtigtes nicht überschätzen dürfen. Bei jeder Konsultation soll- Gespräch auf Augenhöhe ten wir offen nachfragen: Jugendliche geben ehrliche Antworten. – Der Arzt als «Berater»: er berät nur und gibt nützliche Tipps. Über Asthma bronchiale geht mit einer erhöhten Rate die Umsetzung entscheiden die Jugendlichen selbst an internalisierenden und externalisierenden Störun- – Verständnis für die Abgrenzung von Eltern, Lehrern und Pädago- gen einher. Dabei führen ungünstige psychosoziale gen Eigenschaften im Verhalten zu einem mangelhaften – Perspektiven geben, Mehrwert für die persönliche Situation der Asthmamanagement und Non-Adhärenz. Der Bedarf Jugendlichen hervorheben an Unterstützung aufgrund von Asthma bronchiale – Direkt mit den Jugendlichen sprechen und nicht mit den Eltern steigt mit dem Ausmass externalisierender Verhalten- über die Jugendlichen sauffälligkeiten. – Blickkontakt, auf Augenhöhe gehen Literatur: – Viel positive Verstärkung – es kann bei Jugendlichen schon 1. Thamm R, Poethko-Müller C, Hüther A, Thamm M: Allergische lobenswert sein, dass sie tatsächlich in die Sprechstunde kommen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Quer- schnittergebnisse aus KiGGS Welle 2 und Trends. Journal of Health – Mit Jugendlichen sollte die gleiche Sprache wie die bei Erwach- Monitoring, Robert Koch-Institut, Berlin 2018. senen gewählt werden. In keinem Fall sollte man versuchen eine 2. Jentzsch N, Camargos E, Colosimo E, Bousquet J: Monitoring «Jugendsprache» zu wählen. Dies wirkt oft albern und mindert die adherence to beclomethasone in asthmatic children and adole- scents through four different methods. Allergy 2009 Oct; 64(10): Glaubwürdigkeit und Authentizität des Arztes 1458–1462. 3. Milgrom H, Bender B, Ackerson L, et al.: Noncompliance and treatment failure in children with asthma. J Allergy Clin Immunol 18. Arbeitsgemeinschaft Asthmaschulung im Kindes- und Jugendalter 1996 Dec; 98(6 Pt 1): 1051–1057. e.V. 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