It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
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it einer spektakulären Spitzenleistung stellten die „Huberbuam“ die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El 22 DAV Panorama 1/2004
HUBERBUAM UNTERWEGS erneut ihre Sonderstellung unter Beweis. Für die Leser von DAV Panorama berichten sie exklusiv über Capitan im Yosemite-Valley. VON ALEXANDER UND THOMAS HUBER FOTOS VON HEINZ ZAK DAV Panorama 1/2004 23
ine Straße mit Wegweisern wie Rurps, Yosemite – weltweit abgebundenen Knife Blades, Hook bekanntes Mekka des Moves, Copperheads, expanding flakes, Techno- und Freiklet- schlechten Haken und flatternden Ner- terns. Das begehrteste ven. Wir sind gut ausgerüstet, haben al- Ziel sind die bis 1000 les erforderliche Material dabei. Und das ist Meter hohen Bigwalls nicht wenig. Wir rechnen mit drei Tagen, denn am El Capitan. Seit in fünf Tagen geht mein Flugzeug in Richtung einigen Jahren ringt Heimat.“ Schon immer faszinierten mich Rein- die Kletter-Elite da- hard Karls Geschichten, er war es, der mich rum, die klassischen vom El Capitan träumen ließ, obwohl mein Technorouten auch Horizont noch nicht über die Alpen hinaus- frei zu klettern. reichte. Salathé, Nose, Shield und Zodiac – ich wollte sie alle klettern, obwohl ich noch keine wirkliche Vorstellung vom Klettern hatte. Frühjahr 2002. Mittlerweile kannte ich sie alle – bis auf die Zodiac, sie blieb übrig. Die Zo- diac ist kurz, gerade mal 600 Meter. Aber sie ist steil, vom Einstieg bis zum Ausstieg. Es vergeht kaum ein Tag, an dem keine Seilschaft den Boden mit schweren Haulbags verlässt, den Schrecken von einst hat die Route verloren. Als »Zodiac« ... Charlie Porter die Route im Jahr 1972 erstbe- ging, gehörte der Weg zum schwierigsten, was an Technokletterei auf der Welt zu finden war. Genau das ließ mich vermuten, dass die Zo- diac vielleicht frei kletterbar sein könnte – wenn da nicht dieses Foto von Reinhard Karl existieren würde, das vom Standplatz aus auf- genommen eindeutig eine Bohrhakenleiter an einer glatten, überhängenden Platte zeigt. Glat- te Hausmauern kommen wir auch heute noch nicht rauf... Mit einem dicken Fernrohr verbringe ich ei- nen ganzen Tag an den El Cap Meadows und scanne das Objekt der Begierde. Durch inten- sives Vergleichen von Reinhard Karls Buch und der Wirklichkeit, die sich durch mein Fernrohr zeigt, finde ich die Stelle, wo das Bild geschos- sen wurde. Der Nipple, die wohl auffälligste Struktur der gesamten Zodiac. Durch das Fern- rohr sehe ich die fragwürdige Bohrhakenleiter und den begleitenden Riss nur einen Meter links davon. Also doch keine glatte Hausmau- er, sondern Riss? Also was jetzt... Geht das Ding oder geht es nicht? Wer weiß. Ich bin un- ruhig, will mir sicher sein, dass die Zodiac nicht geht. Ammon McNeely, einer der Speed-Könige im Valley, sitzt neben mir. Ich frage ihn einfach! 24 DAV Panorama 1/2004
HUBERBUAM UNTERWEGS „Are you keen on climbing the Zodiac tomor- Capitan, während ich von den großen Wänden row?” Er steht auf, schaut für wenige Sekun- im Himalaya träume. den den El Capitan an, als würde er ihn nicht Je länger die Expedition des Ogre zurück- kennen, dann... „Well, hmmmh, don’t know. liegt, die Euphorie des Augenblicks vom Alltag But, hhmmmhhh. Why not. Let’s cruise it!” verschluckt wird, desto klarer wird der Weg, Schon am nächsten Tag cruisen wir durch die den ich in Zukunft gehen will. Alexander und Wand. In der Mitte wird es ernst. Ammon ar- ich sind uns einig, dass wir unsere Ziele ge- beitet sich weit über mir selbstständig vor- meinsam realisieren möchten... Die Entschei- wärts, während ich am fixierten Seil mit den dung liegt aber auf der Hand. Die biologische Jümars nachkomme. Über mir sehe ich laufend Uhr tickt auch bei den Huberbuam. Es kom- „unmögliche“ Stellen, aber jedes Mal, wenn men die ersten Falten, die ersten grauen Haare. ich schließlich dort ankomme, finde ich irgend- Ewig können wir nicht mehr am oberen Limit eine winzige Struktur, die das „Unmögliche“ klettern. Die Leisten werden von Jahr zu Jahr möglich macht. Als Ammon und ich oben an- kleiner, und bevor sie nicht mehr existent sind, kommen, bin ich mir sicher, dass die Zodiac wollen wir noch ein, zwei Jahre hart klettern. wohl nicht unmöglich ist. Die großen Wände im Himalaya und Karako- Dabei wäre es mir ganz ehrlich lieber gewe- rum können warten. Die Idee, Zodiac frei zu sen, wenn sie nicht gegangen wäre. Denn jetzt klettern nicht. stehe ich vor dem Problem, dass dieses neue Der Anfang meines Trainings ist so hart wie Projekt unsere ganzen Pläne durcheinander die Unterarme. Der Körper vibriert, die Bewe- würfelt. Was wird wohl mein Bruder Thomas gungen sind eckig und uneffizient. Es ist frus- dazu sagen? trierend, ich habe den Kletterfluss verloren und ... 600 Meter überhängender Fels am El Capitan odiac oder Everest — Am 19. Juli zahle damit den Preis für den Ogre. Alexander setzen wir den letzten Schritt auf turnt über mir in einer Zehnerroute, der Fluss den Gipfel meiner Träume. Expe- seiner Bewegungen ist eine Einheit und er ditionsbergsteigen ist für mich die schwebt nach erfolgreicher Durchsteigung er- größte Leidenschaft geworden. Die holt zurück auf den Boden. Ich dagegen lande großen Erfolge sind der Motor für neue Ideen nach wenigen Metern auf dem Boden der Tat- und in den letzten beiden Jahren war ich ein sachen. Ich klammere mich an den Strohhalm vom Glück verfolgter Expeditionsbergsteiger. meiner Erinnerung früherer Tage, als auch ich Konkrete Pläne und Ziele für die nächsten Jah- noch diesen Fluss in den Bewegungen hatte. Es re sind schon lange benannt: ist sehr bitter auf diesem steinigen, harten Bo- noch schwieriger, gefähr- den zu stehen, das Gefühl zu haben, dass man licher und höher soll es wer- sich mit einer 20 Kilo Bleiweste gegen die den. Mein Selbstvertrauen Schwerkraft nach oben quält. durch die Besteigung des Drei Monate später. Mit links einen kleinen Ogre erreicht seinen Zenit scharfen Seitgriff, den rechten Fuß auf den ab- und ich bin bereit alles zu ge- schüssigen Reibungstritt, rechts kurz einen ben. Alexander dagegen ist Zwischengriff und mit Schwung schnellt die im 11ten Schwierigkeitsgrad rechte Hand in den Henkel. „Headline“ in unterwegs und es sind wohl Karlstein, es ist unglaublich, ich bin wieder zu- keine Berge mit Schnee, Eis rück im Geschehen. Das Projekt Zodiac wird und Granit, die er vor sich immer klarer und realistischer und ich bin froh, sieht, es sind steile und über- dass ich den Weg zurück gefunden habe in die hängende Wände, warmer steile Welt der kleinen Leisten und Löcher. Fels, strukturlose Wand- Zwei Monate vor unserer geplanten Reise fluchten. Unsere Wege ha- ins Yosemite bringt ein Anruf unseren Plan ben verschiedene Richtungen durcheinander. 50-jähriges Everestjubiläum. – Alexander sucht seine Zie- Ich bekomme eine Einladung, an einer dieser le am steilen Granit des El hundert Expeditionen teilzunehmen. Als opti- DAV Panorama 1/2004 25
maler Aufhänger für die Medien würde eine Geschichte um mich aufgebaut werden, die meinen Bekanntheitsgrad mit Sicherheit enorm steigern würde. Das beste, was einem Profi- bergsteiger passieren kann. Die Einladung zum Everest, dem höchsten Berg der Welt, trifft mich wie ein Blitz. Obwohl ich es immer ver- urteilt habe, mich in diese Trampelpfade ein- zureihen, hat das Ganze einen gewissen Reiz. Und wenn es die Perversion ist, die ich gerne einmal hautnah erleben möchte, was an diesem Überberg so abgeht. Nur: Nach dem Everest kann ich die Kletterschuhe endgültig in die Ecke werfen. Eine Entscheidung, die so schwierig eigent- lich gar nicht ist. Auf der einen Seite Schnee, Eis, Wind, Kälte, Sauerstoffarmut, Stau am Hillary Step, 50 Menschen drängeln sich am Gipfel, unkameradschaftliches Verhalten, Müll und Tod. Die Summation ergibt Ruhm und Eh- re bei den Nicht-Bergsteigern und Kopfschüt- teln bei den Alpinisten. Auf der anderen Seite Prestigeträchtiges Schneestapfen auf über 8000 Meter ... warmer Granit, Mikroleisten, brennende weil wir glauben, dass wir ungefähr hundert Unterarme, Schlafen im Portaledge, diffizile Meter weiter rechts die viel leichtere Lösung Kletterei, Camp 4, coole Leute, kalifornisches finden werden. Wetter, und vor allem ein Seilpartner, dem ich Tags darauf finden wir über den Einstieg voll vertrauen kann. Das Ganze ergibt unterm von „Plastic Surgery Disaster“ einen idealen Strich ein Ziel, das sich in mir festgesetzt hat, Anfang unseres Freikletterabenteuers. Über ei- für das ich hart gearbeitet habe. Nur mit Dis- ne diffizile schwarze Wand schaffen wir die ziplin konnte ich mich aus dem Expeditions- Verbindung nach links zu einem System von sumpf ziehen. Rampen, das uns den Weg zur Zodiac freigibt. Ich entscheide mich als Bergsteiger, als Klet- Eine kompakte, strukturlose Mauer, die nur terer und ich bin mir sicher, dass es der einzig mit Hilfe von 20 Bohrhaken technisch über- richtige Weg für mich ist. Wir stehen am Ein- wunden werden kann, umgehen wir im weiten stieg der Zodiac, die Sonne brennt vom wol- Rechtsbogen und eine der technischen Schlüs- kenlosen Himmel, über uns eine mauerglatte selstellen, der von vielen Technokletterern ge- Wand und neben uns alte Freunde. Ammon fürchtete „Black Tower“ entpuppt sich als McNeely, Ivo „Ivolution“, der verückte Bulga- sportliche Sportkletterseillänge im unteren ach- re. Die Freude unseres Zusammentreffens ist ten Schwierigkeitsgrad. Wir sind im Herz der groß und wir haben uns viel zu erzählen. Din- Zodiac, am Beginn des Grey Circle. Die größ- ge, die unsere kleine Welt verändern, nach au- ten Fragezeichen warten jetzt direkt über uns. ßen hin aber nichtig und unbedeutend sind. Es zischt die erste Dose Bier und wir stoßen auf roße Hürden, große Hitze — Es unser Wiedersehen an. sind nicht mehr als zehn Meter, die Wir begutachten kurz die ersten Meter des uns das Leben schwer machen – Einstieges: fünf blanke, strukturlose Meter, ge- mitten in der Wand findet man die- spickt mit soliden Bohrhaken. Für den Tech- se Meter im Herz des Grey Circle, nokletterer ein Kinderspiel, für uns Freiklet- einem 200 Meter durchmessenden, fast weißen terer jenseits des Machbaren. Aus, vorbei, Kreis im sonst dunklen Granit der Südostwand. unmöglich, um ehrlich zu sein sind wir froh, Die ersten vier dieser von uns so gefürchteten 26
HUBERBUAM UNTERWEGS Beim Techno-Klettern Meter sind eine weit offene Verschneidung, das kommen Trittleitern, „Open Book“. Drücken, Pressen, Schieben, teil- Haken und Jumars weise komme ich nur als Brücke vorwärts – zur Fortbewegung waagrecht hänge ich in diesem Winkel, beide zum Einsatz, beim Hände auf der linken, Füße auf der rechten Sei- Freiklettern wird die te. Das langwierige an dieser kurzen Strecke ist, „Hardware“ nur das es keine logische Sequenz gibt – wo keine zur Sicherung gegen Griffe, wo keine Tritte, da auch keine offen- Absturz verwendet. sichtliche Lösung. Skurril dabei ist, dass man Alexander und oft weit ausgespreizt ohne Hände stehen kann, Thomas rufen beim aber der nächste Zug in eine wieder ähnliche Überholen von Seil- Position trotzdem brutal schwierig ist. Es ist schaften ungläubiges zum Verzweifeln, jeder Tag bringt eine neue Lö- Staunen hervor. sung, doch wir tun uns schwer, ein System in diese Meter hineinzubringen. Das was darauf folgt, ist alles andere als besser. Der lange, leicht ansteigende Untergriff- quergang zum „Nipple“ – einer treffend be- zeichneten Felsformation. Die Technokletterer haben hier ganze Arbeit geleistet. Die Pin-Scars (Einschlaglöcher von Normalhaken) ein Ge- schenk sozusagen. Die Tritte kein Geschenk, ... oder perfekte Kletterkunst in steilstem Granit weil eher so genannte Nicht-Tritte – man steigt auf Tritte an, die so klein sind, dass sie fast nicht existieren. Klettern an Nicht-Tritten ist frustrie- rend. Wir finden kein System, jeder Versuch en- det mit dem Abrutschen von einem Nicht-Tritt. Dann dazu diese Hitze, diese unbarmherzi- ge Sonne, die jeden Tag den El Capitan zum Glühen bringt. Gerade die zwei Schlüsselstellen können wir aber nur bei kühlen Temperaturen klettern. Glüht der Granit, dann kocht der Gummi. Unter den extremen Bedingungen fres- sen uns die Nicht-Tritte den Gummi im Zei- traffertempo weg. nfang Juni wird’s immer bruta- ler — Den einzigen Fortschritt macht das Thermometer. Ziel- und planlos sitzen wir im Yosemite fest. „Hangin’ out“ – ein bekannter Valley-Virus, dem man sehr leicht verfällt: Fünf Tassen Kaffee in der Cafeteria, Smalltalk am staubigen Parkplatz des Camp 4, Sonnenbaden an den El Cap Meadows – sieben Tage die Wo- che, vier Wochen im Monat. Aber schon nach zwei Tagen des Nichtstuns befreien wir uns aus dieser Lethargie. Die Idee liegt auf der Hand, mit ‚Speed’ durch die Zodiac, der vertikale Ge- schwindigkeitsrausch am El Capitan. 27
5 Stunden 57 Minuten gilt es auf dieser ver- Ziel. Ich steige den „Nipple“ durch. Jetzt wird tikalen Rennstrecke zu unterbieten. Eine Mi- der Druck offensichtlich, vor allem für Tho- schung aus Frei- und Technoklettern soll den mas, der diesen psychologisch so wichtigen Erfolg bringen. 80 Prozent der Kletterer planen Schritt noch nicht gemacht hat. Trotzdem will für diese Route drei volle Tage, wir hoffen den auch er es wissen, beide sind wir müde und bestehenden Rekord knacken zu können. Drei ausgelaugt, wir müssen die durchgehende Rot- Stunden sind wir schon unterwegs, zwölf Seil- punktbegehung jetzt versuchen. längen liegen unter uns. Alexander fliegt die Nach zwei Rasttagen stehen wir bei Son- nächsten Seillängen nach oben, wir passieren nenuntergang am Einstieg. Die zweite Seillänge eine Seilschaft, die schon drei Tage in der Wand ist ein heikle Platte mit kleinen Griffen – Son- unterwegs ist. Sie können es kaum glauben, ne ist auch hier ein sicherer Rotpunkt-Killer. dass wir erst 3 Stunden 15 Minuten unterwegs Die verhassten Kaltstarts warten ohnehin in sind und feuern uns an. Auf Rekordkurs: Ale- Wandmitte, deswegen klettern wir die ersten xander klettert die letzte Seillänge, drei Minu- zwei Seillängen noch im letzten Licht und am ten später zieht mich mein Bruder mit einem nächsten Morgen starten wir in Richtung Zen- kraftvollen Armzug über die Ausstiegskante: 4 trum der Wand. Stunden 7 Minuten, es ist fast nicht zu glauben, In das „Portal“, der Beginn der eigentlichen wir sind aber gleichzeitig überzeugt, dass wir es Schwierigkeiten in Wandmitte, startet Thomas noch viel schneller machen könnten. noch bei praller Sonne. Und bezahlt dafür. Zwei Tage später stehen wir wieder am Ein- Trotz der starken Thermikwinde ist es so heiß, stieg, um unseren eigenen Rekord zu unterbie- dass es sinnlos ist. Nach zwanzig Metern kippt ten. Wir haben aus den vielen kleinen Fehlern er aus der Wand. Er braucht eine Pause, die ich Begehungszeit im Technostil – drei Tage ... gelernt und wollen keine Minute verschenken. Dieses Mal 3 Stunden 8 Minuten. Aber immer noch viele Fehler, also noch mal. Zwei Tage später klettern wir noch kompromissloser, ig- norieren normale Vorstellungen von Absiche- rung. 2 Stunden 31 Minuten. Heute sind wir zufrieden. Obwohl, vielleicht geht’s ja noch schneller... itte September — Neue Runde, und das Valley kocht nach wie vor. Noch schlechter: Jetzt ist die Sonne bereits soweit in den Süden gewandert, dass sie in die leicht konkave Südwand des El Capitan von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang hinein- strahlt. Annehmbare Bedingungen an den Schlüsselstellen gibt es nur noch in der Däm- merung. Absolute Kaltstarts werden zur Regel. Im Dunkeln aufstehen. Beim ersten Licht in Po- sition gehen. Sobald es hell genug ist, starten wir in den „Nipple“. Ohne Zeitverluste wird zwischen den Versuchen gewechselt – und die Sonne begrüßt uns mit ihrem strahlenden Lä- cheln. Die Tage verbringen wir im Portaledge, fressen mehr Bücher als Klettermeter. Nach drei Wochen erziele ich den Durch- bruch, mache einen ersten Schritt in Richtung 28
HUBERBUAM UNTERWEGS te, sofern sie überhaupt vorhanden sind, so Die Schlüsselseillängen hoch, dass er Probleme hat, seine 180 Zenti- im Grey Circle der meter ökonomisch unterzubringen. Zodiac erfordern Noch im Dunkeln machen wir uns fertig. perfekte Fußtechnik Ich bin ein Meister des Kaltstarts, also werfe ich und Fingerklemmer an mich als erster in den Ring. „Was denken wohl extrem schmalen Riss- die Technokletterer, wenn sie die vielen Magne- spuren. Aufwändiges siaspuren an eigentlich völlig glatten Stellen se- Absichern ersparen hen...“ Ich bin oben. Es muss schnell gehen, sich Alex und Tom wenn wir eine Chance haben wollen. Thomas durch beherztes Klet- steigt nach und durch. Weiter. Wir können den tern auch bei großen gelben Saum der Sonne bereits erahnen. Schnell, Runouts (großes Bild). bevor sie da ist! Ich bin ausgeruht und starte als erster in den „Nipple“. Untergriffe, Nicht-Trit- te... Stehe mitten im Quergang als mich der gel- be Planet trifft. Noch ein Meter, und das Spiel ist vorbei. Im gleißenden Licht sehe ich nichts mehr, rein gar nichts mehr. In Zeitlupe beginne ich abzurutschen. Aus. Es geht nach unten. Abhängen. Im Portaledge. Den ganzen Tag. Wir vermeiden jedes Wort, das mit Klettern oder Zodiac zu tun hätte. Bis die Sonne sich ... die Huberbuam bei der Speedbegehung im Frühjahr 2003 — 2:31 Stunden jetzt meinerseits für endlich wieder dem Horizont nähert. Nächster einen Versuch nützen Versuch. Kurzer Prozess. Ich komme durch bis werde. Ich habe das zum „Nipple“, dem Ende der Seillänge. Freu- Glück, dass jetzt der de ist da, aber sie bricht nicht aus mir heraus. erste Schatten in die Noch ist es nicht geschafft. Denn Thomas steht Verschneidung reicht. noch unten, steht hinter der Ziellinie und weiß Akzeptable Bedingun- nicht, ob er sie überschreiten kann. gen, die Seillänge ge- hört mir und, nicht viel Per aspera ad astra — Er hat es hin- später, auch Thomas ... Morgen wird es ernst. ter sich! Alexander hat seinen Beitrag In der Nacht erkennen wir genau den lan- zum Erfolg geliefert und jetzt liegt al- gen, seichten Bogen, der am „Nipple“ endet. les an mir. In mir baut sich ein wahn- Wenn unsere Träume aufgehen, dann haben sinniger Druck auf. Die Last auf mei- wir morgen vor Sonnenaufgang das „Open nen Schultern ist so schwer, dass ich mich über Book“ und den „Nipple“ hinter uns gebracht seinen Durchstieg alles andere als wirklich freu- und würden bereits so um Mittag oben stehen. en kann. Für diese Passage hab ich noch nicht Ich schlafe schlecht, bin unruhig und nervös. das entsprechende Selbstvertrauen, so dass ich Thomas geht’s noch schlechter. Er bezweifelt, mir sagen könnte: Mit etwas Glück schaff ich dass wir eine Chance haben. Nur wenn wir bei- das auch. Ich bräuchte dazu viel, viel Glück, de durchkommen, haben wir es geschafft. Auf wenn nicht sogar ein Wunder. Warum fällt mir ihm lastet der Druck, dass auch mein Erfolg dieser Meter so schwer? Oft war ich in den letz- von seinem Durchkommen abhängt. Thomas ten Tagen am Boden zerstört, verzweifelt, alles pflegt eine Hassliebe mit dem „Nipple“. Einer- in Frage stellend, und ich wünschte mich in die seits sind diese Meter ein Traum, weil sie tat- eisigen Höhen eines Siebentausenders in Pakis- sächlich kletterbar sind. Andererseits ist es tan. Aber nein, ich Idiot bilde mir ein, noch mal nicht seine Kletterei. Die Untergriffe sind weit auf meine alten Tage hart klettern zu wollen. offen, während er am liebsten kleine scharfe Die Temperaturen sind gut. Ich quetsche Leisten zuschraubt. Dazu sind die Nicht-Trit- mich in die engen Kletterschuhe, mental hab 29
links dynamisch..., ich komme nicht mehr da- zu. Ich habe es gewusst, ich kann es nicht, schreie meine Verzweiflung in die ruhige Abendstimmung. Nichts ist so wie vor fünf Minuten. Meine Motivation ist einer Gleichgültigkeit gewichen und resigniert hänge ich im Seil. Mein Blick wandert nach oben. 15 Meter über mir das Ziel meiner Begierde, der Stand. Wie gerne würde ich mich da oben sehen und... wäre der Klet- terschuh nicht von dieser verfluchten Delle ge- rutscht! Der zweite Versuch endet schon drei Meter nach dem Stand. Ein dritter Versuch... Uns ist bewusst, dass wir alles auf einen neuen Durchstieg in ein paar Tagen setzen müssen. Langsam beginnt es zu dämmern. Die Bedingungen werden immer besser. Es ist kühl. Noch einmal, es ist mein vierter Versuch, aber auch mein letzter. Die untergehende Sonne setzt das zeitliche Limit. Die ersten Züge, alles ist wieder automatisiert, das Programm läuft, Ziel die Leiste nach sechs Metern. Es bleibt kei- Free Zodiac – 21 Seillängen in den Schwierigkeitsgraden VI bis X+ Das Tourenbuch ne Zeit zu denken, alles um uns ist ruhig und der Huberbuam ich erkämpfe mir Meter um Meter. Jetzt zieh, ist um einen verdammt. Zieh es durch, es ist der letzte Zug Meilenstein reicher. Mal sehen, auf die Insel. Ich greife, die Finger krallen sich was sie als nächstes aushecken! in den zentimetertiefen Granitvorsprung, las- sen nicht mehr los. Meine Füße schwingen nach rechts auf eine kleine Schuppe. Ich bin auf der anderen Seite – das Schwie- rigste liegt hinter mir und das vor mir Liegende ich die 20 Züge schon x-mal durchgezogen... ist deutlich leichter. Im Dämmerlicht spreize Ich muss nur daran glauben. Ich kann es, ich ich die überhängende Verschneidung nach muss es nur wollen, dann rutscht auch kein oben. Vor mir die Spitze des Riesenbusens. Ge- Schuh von den nicht vorhandenen Tritten. Ale- schafft, Stand, Ende, aber wo bleibt die Freu- xander legt das Kletterseil in den Gri-Gri und de? Alexander gratuliert, das Tor zum Ausstieg feuert mich noch kurz an. Ich steige von unse- ist offen. Im Portaledge feiern wir mit einer rem kleinen Ledge, bin voll konzentriert. „Hey Dose Bier und erst jetzt kann ich den Erfolg ge- Thomas, was ist mit deinem Seil“ Ich stehe ei- nießen. nen Meter über dem Stand und bin nicht ins Ohne Zwischenfälle klettern wir am nächs- Kletterseil eingebunden. Das kann auch nur ten Tag die restlichen neun Seillängen zum Aus- mir passieren. Bin so in einer anderen Welt, stieg der Zodiac. Ein großer Stein fällt 600 Me- mental nur auf die Kletterzüge konzentriert, ter in die Tiefe und zerbricht in tausend Stücke. dass ich alles andere vergessen habe. Vorsichtig Der Stein, der mir das Leben in der letzten steige ich zurück auf unser Ledge und knote Zeit schwer gemacht hat. mich ins Seil. Das 600 Meter hohe Abenteuer Zodi- Aber jetzt. Ich platziere die Schuhe auf die ac liegt hinter uns, vor uns die Freiheit markierten Reibungstritte und alles läuft auto- und beide haben wir wieder zurückge- matisch, solange der Spezialgummi hält. Über- funden: in die Seilschaft HUBER- kreuzer, rechter Schuh platt auf ein Nichts und BUAM 30 DAV Panorama 1/2004
HUBERBUAM UNTERWEGS Yosemite Valley :info: Der von Gletschern geformte Yosemite Kultort zum Übernachten für Kletterer Half Dome: anstrengender, aber sehr Nationalpark liegt ca. 240 km östlich ist das legendäre Camp Four bzw. der lohnender Aufstieg über Drahtseile von San Francisco in den Sierra Nevada Sunnyside-Campground direkt im Park. zum Wahrzeichen des Parks, Gesamt- Mountains und bietet auf 3200 km2 be- dauer 10 Std. eindruckend geformte Granitwände und Wandern Wasserfälle von bis zu 740 Metern. Das Yosemite Valley wird von Wander- Klettern wegen (Hiking Trails) durchzogen. Das Zu Beginn der Sechziger Jahre erfuhr Beste Reisezeit Spektrum reicht von leichten, kurzen das Klettern im Yosemite mit der Erst- Frühling und Herbst, wenn der Park Wanderungen bis hin zu anstrengenden begehung des ersten Bigwalls, der nicht allzu überlaufen ist und teilweise Mehrtagestouren, für die eine spezielle „Nose“ am El Capitan durch Warren ohne Reservierung übernachtet werden Genehmigung eingeholt werden muss. Harding, Weltruhm, was das technische kann. Auch sind hier die Temperaturen Klettern anbelangt. Seine beeindru- noch nicht allzu heiß. ckenden Granitwände haben das Yose- Fotos: Stefan Winter mite v. a. in den 70er und 80er Jahren Allgemeine Reisetipps auch zu einem Mekka des Freikletterns alle Warnungen vor den Bären ernst gemacht und ziehen Jahr für Jahr un- nehmen zählige Kletterer an. Unterkunft rechtzeitig buchen Tuolumne Meadows: sehr lohnendes, unbedingt Tuolumne Meadows ruhiges Klettergebiet, teilweise mittel- besuchen mäßige Absicherung, Wandhöhe bis zu 300 m. Bigwalls: Half Dome und El Capitan locken mit bis zu 1000 m Wandhöhe (z.B. „Salathé“, „Nose“). Freeclimbs: weltberühmte Touren wie „Seperate Reality“ u. v. a. Ranger Stations Im ganzen Park sowie an den Eingän- gen sind Ranger-Stations und Besu- cherzentren verteilt. Dort wird man Unterkunft Ihnen bei Fragen und Problemen Hotels: Alle Hotels und Restaurants weiterhelfen. Auch sind dort Broschü- im Park werden zentral verwaltet. ren auf deutsch und selbst eine park- Reservierungswünsche sind an den eigene Zeitung erhältlich (Yosemite Yosemite Concessions Service zu rich- Guide), die immer die neuesten Infor- ten. Tel.: 001/209/252 – 48 48; mationen beinhalten. Fax: 001/209/456 – 0542, www.yosemitepark.com/html/accom_ Literatur/Kletterführer reservation.html V. Mehnert, M. Velbinger: Kalifornien G. Meyers, D. Reid: Yosemite Climbs Zeltplätze: Eine Alternative sind D. Reid, C. Fal- Zeltplätze, auf denen aufgebaute Zelte kenstein: Rock an Touristen vermietet werden. Climbs of Tuo- Camping-Reservierungen nur über Merced River Trail: eine Flusswande- lumne Meadows die Reservierungszentrale rung über Vernal Fall und Nevada Fall A. Huber, H. Tel.: 001/301/722-12 57 oder Über High zum Merced Lake, Ausgangspunkt Hap- Zak: Yosemite Sierra Camping-Reservierungen py Isles. 4,5 Meilen, 4 Std. Bademög- Topos im Tel.: 001/209/454-20 02 lichkeiten. Internet: oder schriftlich an MISTIX (9450 John Muir Trail: Einer der bekannte- www.super- Carroll Park, San Diego, CA 92121). sten Weitwanderwege der USA mit 210 topo.com Außerhalb des Nationalparks gibt es an Meilen Wegstrecke. Nördlicher Start- den Zufahrtstraßen mehrere Motels. punkt ist Happy Isles im Yosemite. DAV Panorama 1/2004 31
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