It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein

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It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
it einer spektakulären Spitzenleistung stellten die „Huberbuam“
     die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El

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It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
HUBERBUAM              UNTERWEGS

erneut ihre Sonderstellung unter Beweis. Für die Leser von DAV Panorama berichten sie exklusiv über
Capitan im Yosemite-Valley.                       VON ALEXANDER   UND   THOMAS HUBER  FOTOS   VON   HEINZ ZAK

    DAV Panorama 1/2004                                                                                  23
It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
ine Straße mit Wegweisern wie Rurps,          Yosemite – weltweit
        abgebundenen Knife Blades, Hook               bekanntes Mekka des
        Moves, Copperheads, expanding flakes,         Techno- und Freiklet-
        schlechten Haken und flatternden Ner-         terns. Das begehrteste
        ven. Wir sind gut ausgerüstet, haben al-      Ziel sind die bis 1000
les erforderliche Material dabei. Und das ist         Meter hohen Bigwalls
nicht wenig. Wir rechnen mit drei Tagen, denn         am El Capitan. Seit
in fünf Tagen geht mein Flugzeug in Richtung          einigen Jahren ringt
Heimat.“ Schon immer faszinierten mich Rein-          die Kletter-Elite da-
hard Karls Geschichten, er war es, der mich           rum, die klassischen
vom El Capitan träumen ließ, obwohl mein              Technorouten auch
Horizont noch nicht über die Alpen hinaus-            frei zu klettern.
reichte. Salathé, Nose, Shield und Zodiac – ich
wollte sie alle klettern, obwohl ich noch keine
wirkliche Vorstellung vom Klettern hatte.
    Frühjahr 2002. Mittlerweile kannte ich sie
alle – bis auf die Zodiac, sie blieb übrig. Die Zo-
diac ist kurz, gerade mal 600 Meter. Aber sie ist
steil, vom Einstieg bis zum Ausstieg. Es vergeht
kaum ein Tag, an dem keine Seilschaft den
Boden mit schweren Haulbags verlässt, den
Schrecken von einst hat die Route verloren. Als

»Zodiac« ...
Charlie Porter die Route im Jahr 1972 erstbe-
ging, gehörte der Weg zum schwierigsten, was
an Technokletterei auf der Welt zu finden war.
    Genau das ließ mich vermuten, dass die Zo-
diac vielleicht frei kletterbar sein könnte –
wenn da nicht dieses Foto von Reinhard Karl
existieren würde, das vom Standplatz aus auf-
genommen eindeutig eine Bohrhakenleiter an
einer glatten, überhängenden Platte zeigt. Glat-
te Hausmauern kommen wir auch heute noch
nicht rauf...
    Mit einem dicken Fernrohr verbringe ich ei-
nen ganzen Tag an den El Cap Meadows und
scanne das Objekt der Begierde. Durch inten-
sives Vergleichen von Reinhard Karls Buch und
der Wirklichkeit, die sich durch mein Fernrohr
zeigt, finde ich die Stelle, wo das Bild geschos-
sen wurde. Der Nipple, die wohl auffälligste
Struktur der gesamten Zodiac. Durch das Fern-
rohr sehe ich die fragwürdige Bohrhakenleiter
und den begleitenden Riss nur einen Meter
links davon. Also doch keine glatte Hausmau-
er, sondern Riss? Also was jetzt... Geht das
Ding oder geht es nicht? Wer weiß. Ich bin un-
ruhig, will mir sicher sein, dass die Zodiac
nicht geht.
    Ammon McNeely, einer der Speed-Könige
im Valley, sitzt neben mir. Ich frage ihn einfach!

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HUBERBUAM               UNTERWEGS

                      „Are you keen on climbing the Zodiac tomor-         Capitan, während ich von den großen Wänden
                      row?” Er steht auf, schaut für wenige Sekun-        im Himalaya träume.
                      den den El Capitan an, als würde er ihn nicht           Je länger die Expedition des Ogre zurück-
                      kennen, dann... „Well, hmmmh, don’t know.           liegt, die Euphorie des Augenblicks vom Alltag
                      But, hhmmmhhh. Why not. Let’s cruise it!”           verschluckt wird, desto klarer wird der Weg,
                      Schon am nächsten Tag cruisen wir durch die         den ich in Zukunft gehen will. Alexander und
                      Wand. In der Mitte wird es ernst. Ammon ar-         ich sind uns einig, dass wir unsere Ziele ge-
                      beitet sich weit über mir selbstständig vor-        meinsam realisieren möchten... Die Entschei-
                      wärts, während ich am fixierten Seil mit den        dung liegt aber auf der Hand. Die biologische
                      Jümars nachkomme. Über mir sehe ich laufend         Uhr tickt auch bei den Huberbuam. Es kom-
                      „unmögliche“ Stellen, aber jedes Mal, wenn          men die ersten Falten, die ersten grauen Haare.
                      ich schließlich dort ankomme, finde ich irgend-     Ewig können wir nicht mehr am oberen Limit
                      eine winzige Struktur, die das „Unmögliche“         klettern. Die Leisten werden von Jahr zu Jahr
                      möglich macht. Als Ammon und ich oben an-           kleiner, und bevor sie nicht mehr existent sind,
                      kommen, bin ich mir sicher, dass die Zodiac         wollen wir noch ein, zwei Jahre hart klettern.
                      wohl nicht unmöglich ist.                           Die großen Wände im Himalaya und Karako-
                          Dabei wäre es mir ganz ehrlich lieber gewe-     rum können warten. Die Idee, Zodiac frei zu
                      sen, wenn sie nicht gegangen wäre. Denn jetzt       klettern nicht.
                      stehe ich vor dem Problem, dass dieses neue             Der Anfang meines Trainings ist so hart wie
                      Projekt unsere ganzen Pläne durcheinander           die Unterarme. Der Körper vibriert, die Bewe-
                      würfelt. Was wird wohl mein Bruder Thomas           gungen sind eckig und uneffizient. Es ist frus-
                      dazu sagen?                                         trierend, ich habe den Kletterfluss verloren und

                                     ... 600 Meter überhängender Fels am El Capitan
                                 odiac oder Everest — Am 19. Juli         zahle damit den Preis für den Ogre. Alexander
                                 setzen wir den letzten Schritt auf       turnt über mir in einer Zehnerroute, der Fluss
                                 den Gipfel meiner Träume. Expe-          seiner Bewegungen ist eine Einheit und er
                                 ditionsbergsteigen ist für mich die      schwebt nach erfolgreicher Durchsteigung er-
                                 größte Leidenschaft geworden. Die        holt zurück auf den Boden. Ich dagegen lande
                      großen Erfolge sind der Motor für neue Ideen        nach wenigen Metern auf dem Boden der Tat-
                      und in den letzten beiden Jahren war ich ein        sachen. Ich klammere mich an den Strohhalm
                      vom Glück verfolgter Expeditionsbergsteiger.        meiner Erinnerung früherer Tage, als auch ich
                      Konkrete Pläne und Ziele für die nächsten Jah-      noch diesen Fluss in den Bewegungen hatte. Es
                                        re sind schon lange benannt:      ist sehr bitter auf diesem steinigen, harten Bo-
                                        noch schwieriger, gefähr-         den zu stehen, das Gefühl zu haben, dass man
                                        licher und höher soll es wer-     sich mit einer 20 Kilo Bleiweste gegen die
                                        den. Mein Selbstvertrauen         Schwerkraft nach oben quält.
                                        durch die Besteigung des              Drei Monate später. Mit links einen kleinen
                                        Ogre erreicht seinen Zenit        scharfen Seitgriff, den rechten Fuß auf den ab-
                                        und ich bin bereit alles zu ge-   schüssigen Reibungstritt, rechts kurz einen
                                        ben. Alexander dagegen ist        Zwischengriff und mit Schwung schnellt die
                                        im 11ten Schwierigkeitsgrad       rechte Hand in den Henkel. „Headline“ in
                                        unterwegs und es sind wohl        Karlstein, es ist unglaublich, ich bin wieder zu-
                                        keine Berge mit Schnee, Eis       rück im Geschehen. Das Projekt Zodiac wird
                                        und Granit, die er vor sich       immer klarer und realistischer und ich bin froh,
                                        sieht, es sind steile und über-   dass ich den Weg zurück gefunden habe in die
                                        hängende Wände, warmer            steile Welt der kleinen Leisten und Löcher.
                                        Fels, strukturlose Wand-              Zwei Monate vor unserer geplanten Reise
                                        fluchten. Unsere Wege ha-         ins Yosemite bringt ein Anruf unseren Plan
                                        ben verschiedene Richtungen       durcheinander. 50-jähriges Everestjubiläum.
                                        – Alexander sucht seine Zie-      Ich bekomme eine Einladung, an einer dieser
                                        le am steilen Granit des El       hundert Expeditionen teilzunehmen. Als opti-

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maler Aufhänger für die Medien würde eine
Geschichte um mich aufgebaut werden, die
meinen Bekanntheitsgrad mit Sicherheit enorm
steigern würde. Das beste, was einem Profi-
bergsteiger passieren kann. Die Einladung zum
Everest, dem höchsten Berg der Welt, trifft
mich wie ein Blitz. Obwohl ich es immer ver-
urteilt habe, mich in diese Trampelpfade ein-
zureihen, hat das Ganze einen gewissen Reiz.
Und wenn es die Perversion ist, die ich gerne
einmal hautnah erleben möchte, was an diesem
Überberg so abgeht. Nur: Nach dem Everest
kann ich die Kletterschuhe endgültig in die
Ecke werfen.
    Eine Entscheidung, die so schwierig eigent-
lich gar nicht ist. Auf der einen Seite Schnee,
Eis, Wind, Kälte, Sauerstoffarmut, Stau am
Hillary Step, 50 Menschen drängeln sich am
Gipfel, unkameradschaftliches Verhalten, Müll
und Tod. Die Summation ergibt Ruhm und Eh-
re bei den Nicht-Bergsteigern und Kopfschüt-
teln bei den Alpinisten. Auf der anderen Seite

Prestigeträchtiges Schneestapfen auf über 8000 Meter ...
warmer Granit, Mikroleisten, brennende               weil wir glauben, dass wir ungefähr hundert
Unterarme, Schlafen im Portaledge, diffizile         Meter weiter rechts die viel leichtere Lösung
Kletterei, Camp 4, coole Leute, kalifornisches       finden werden.
Wetter, und vor allem ein Seilpartner, dem ich           Tags darauf finden wir über den Einstieg
voll vertrauen kann. Das Ganze ergibt unterm         von „Plastic Surgery Disaster“ einen idealen
Strich ein Ziel, das sich in mir festgesetzt hat,    Anfang unseres Freikletterabenteuers. Über ei-
für das ich hart gearbeitet habe. Nur mit Dis-       ne diffizile schwarze Wand schaffen wir die
ziplin konnte ich mich aus dem Expeditions-          Verbindung nach links zu einem System von
sumpf ziehen.                                        Rampen, das uns den Weg zur Zodiac freigibt.
    Ich entscheide mich als Bergsteiger, als Klet-   Eine kompakte, strukturlose Mauer, die nur
terer und ich bin mir sicher, dass es der einzig     mit Hilfe von 20 Bohrhaken technisch über-
richtige Weg für mich ist. Wir stehen am Ein-        wunden werden kann, umgehen wir im weiten
stieg der Zodiac, die Sonne brennt vom wol-          Rechtsbogen und eine der technischen Schlüs-
kenlosen Himmel, über uns eine mauerglatte           selstellen, der von vielen Technokletterern ge-
Wand und neben uns alte Freunde. Ammon               fürchtete „Black Tower“ entpuppt sich als
McNeely, Ivo „Ivolution“, der verückte Bulga-        sportliche Sportkletterseillänge im unteren ach-
re. Die Freude unseres Zusammentreffens ist          ten Schwierigkeitsgrad. Wir sind im Herz der
groß und wir haben uns viel zu erzählen. Din-        Zodiac, am Beginn des Grey Circle. Die größ-
ge, die unsere kleine Welt verändern, nach au-       ten Fragezeichen warten jetzt direkt über uns.
ßen hin aber nichtig und unbedeutend sind. Es
zischt die erste Dose Bier und wir stoßen auf                    roße Hürden, große Hitze — Es
unser Wiedersehen an.                                            sind nicht mehr als zehn Meter, die
    Wir begutachten kurz die ersten Meter des                    uns das Leben schwer machen –
Einstieges: fünf blanke, strukturlose Meter, ge-                 mitten in der Wand findet man die-
spickt mit soliden Bohrhaken. Für den Tech-                      se Meter im Herz des Grey Circle,
nokletterer ein Kinderspiel, für uns Freiklet-       einem 200 Meter durchmessenden, fast weißen
terer jenseits des Machbaren. Aus, vorbei,           Kreis im sonst dunklen Granit der Südostwand.
unmöglich, um ehrlich zu sein sind wir froh,         Die ersten vier dieser von uns so gefürchteten

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Beim Techno-Klettern                          Meter sind eine weit offene Verschneidung, das
kommen Trittleitern,                          „Open Book“. Drücken, Pressen, Schieben, teil-
Haken und Jumars                              weise komme ich nur als Brücke vorwärts –
zur Fortbewegung                              waagrecht hänge ich in diesem Winkel, beide
zum Einsatz, beim                             Hände auf der linken, Füße auf der rechten Sei-
Freiklettern wird die                         te. Das langwierige an dieser kurzen Strecke ist,
„Hardware“ nur                                das es keine logische Sequenz gibt – wo keine
zur Sicherung gegen                           Griffe, wo keine Tritte, da auch keine offen-
Absturz verwendet.                            sichtliche Lösung. Skurril dabei ist, dass man
Alexander und                                 oft weit ausgespreizt ohne Hände stehen kann,
Thomas rufen beim                             aber der nächste Zug in eine wieder ähnliche
Überholen von Seil-                           Position trotzdem brutal schwierig ist. Es ist
schaften ungläubiges                          zum Verzweifeln, jeder Tag bringt eine neue Lö-
Staunen hervor.                               sung, doch wir tun uns schwer, ein System in
                                              diese Meter hineinzubringen.
                                                  Das was darauf folgt, ist alles andere als
                                              besser. Der lange, leicht ansteigende Untergriff-
                                              quergang zum „Nipple“ – einer treffend be-
                                              zeichneten Felsformation. Die Technokletterer
                                              haben hier ganze Arbeit geleistet. Die Pin-Scars
                                              (Einschlaglöcher von Normalhaken) ein Ge-
                                              schenk sozusagen. Die Tritte kein Geschenk,

                        ... oder perfekte Kletterkunst in steilstem Granit
                                              weil eher so genannte Nicht-Tritte – man steigt
                                              auf Tritte an, die so klein sind, dass sie fast nicht
                                              existieren. Klettern an Nicht-Tritten ist frustrie-
                                              rend. Wir finden kein System, jeder Versuch en-
                                              det mit dem Abrutschen von einem Nicht-Tritt.
                                                  Dann dazu diese Hitze, diese unbarmherzi-
                                              ge Sonne, die jeden Tag den El Capitan zum
                                              Glühen bringt. Gerade die zwei Schlüsselstellen
                                              können wir aber nur bei kühlen Temperaturen
                                              klettern. Glüht der Granit, dann kocht der
                                              Gummi. Unter den extremen Bedingungen fres-
                                              sen uns die Nicht-Tritte den Gummi im Zei-
                                              traffertempo weg.

                                                          nfang Juni wird’s immer bruta-
                                                          ler — Den einzigen Fortschritt
                                                          macht das Thermometer. Ziel- und
                                                          planlos sitzen wir im Yosemite fest.
                                                          „Hangin’ out“ – ein bekannter
                                              Valley-Virus, dem man sehr leicht verfällt: Fünf
                                              Tassen Kaffee in der Cafeteria, Smalltalk am
                                              staubigen Parkplatz des Camp 4, Sonnenbaden
                                              an den El Cap Meadows – sieben Tage die Wo-
                                              che, vier Wochen im Monat. Aber schon nach
                                              zwei Tagen des Nichtstuns befreien wir uns aus
                                              dieser Lethargie. Die Idee liegt auf der Hand,
                                              mit ‚Speed’ durch die Zodiac, der vertikale Ge-
                                              schwindigkeitsrausch am El Capitan.

                                                                                               27
It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
5 Stunden 57 Minuten gilt es auf dieser ver-    Ziel. Ich steige den „Nipple“ durch. Jetzt wird
tikalen Rennstrecke zu unterbieten. Eine Mi-        der Druck offensichtlich, vor allem für Tho-
schung aus Frei- und Technoklettern soll den        mas, der diesen psychologisch so wichtigen
Erfolg bringen. 80 Prozent der Kletterer planen     Schritt noch nicht gemacht hat. Trotzdem will
für diese Route drei volle Tage, wir hoffen den     auch er es wissen, beide sind wir müde und
bestehenden Rekord knacken zu können. Drei          ausgelaugt, wir müssen die durchgehende Rot-
Stunden sind wir schon unterwegs, zwölf Seil-       punktbegehung jetzt versuchen.
längen liegen unter uns. Alexander fliegt die           Nach zwei Rasttagen stehen wir bei Son-
nächsten Seillängen nach oben, wir passieren        nenuntergang am Einstieg. Die zweite Seillänge
eine Seilschaft, die schon drei Tage in der Wand    ist ein heikle Platte mit kleinen Griffen – Son-
unterwegs ist. Sie können es kaum glauben,          ne ist auch hier ein sicherer Rotpunkt-Killer.
dass wir erst 3 Stunden 15 Minuten unterwegs        Die verhassten Kaltstarts warten ohnehin in
sind und feuern uns an. Auf Rekordkurs: Ale-        Wandmitte, deswegen klettern wir die ersten
xander klettert die letzte Seillänge, drei Minu-    zwei Seillängen noch im letzten Licht und am
ten später zieht mich mein Bruder mit einem         nächsten Morgen starten wir in Richtung Zen-
kraftvollen Armzug über die Ausstiegskante: 4       trum der Wand.
Stunden 7 Minuten, es ist fast nicht zu glauben,        In das „Portal“, der Beginn der eigentlichen
wir sind aber gleichzeitig überzeugt, dass wir es   Schwierigkeiten in Wandmitte, startet Thomas
noch viel schneller machen könnten.                 noch bei praller Sonne. Und bezahlt dafür.
    Zwei Tage später stehen wir wieder am Ein-      Trotz der starken Thermikwinde ist es so heiß,
stieg, um unseren eigenen Rekord zu unterbie-       dass es sinnlos ist. Nach zwanzig Metern kippt
ten. Wir haben aus den vielen kleinen Fehlern       er aus der Wand. Er braucht eine Pause, die ich

Begehungszeit im Technostil – drei Tage ...
gelernt und wollen keine Minute verschenken.
Dieses Mal 3 Stunden 8 Minuten. Aber immer
noch viele Fehler, also noch mal. Zwei Tage
später klettern wir noch kompromissloser, ig-
norieren normale Vorstellungen von Absiche-
rung. 2 Stunden 31 Minuten. Heute sind wir
zufrieden. Obwohl, vielleicht geht’s ja noch
schneller...

                itte September — Neue Runde,
                und das Valley kocht nach wie
                vor. Noch schlechter: Jetzt ist
                die Sonne bereits soweit in den
                Süden gewandert, dass sie in
die leicht konkave Südwand des El Capitan
von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang hinein-
strahlt. Annehmbare Bedingungen an den
Schlüsselstellen gibt es nur noch in der Däm-
merung. Absolute Kaltstarts werden zur Regel.
Im Dunkeln aufstehen. Beim ersten Licht in Po-
sition gehen. Sobald es hell genug ist, starten
wir in den „Nipple“. Ohne Zeitverluste wird
zwischen den Versuchen gewechselt – und die
Sonne begrüßt uns mit ihrem strahlenden Lä-
cheln. Die Tage verbringen wir im Portaledge,
fressen mehr Bücher als Klettermeter.
    Nach drei Wochen erziele ich den Durch-
bruch, mache einen ersten Schritt in Richtung

28
It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
HUBERBUAM                UNTERWEGS

                                                                   te, sofern sie überhaupt vorhanden sind, so
                                       Die Schlüsselseillängen     hoch, dass er Probleme hat, seine 180 Zenti-
                                       im Grey Circle der          meter ökonomisch unterzubringen.
                                       Zodiac erfordern                Noch im Dunkeln machen wir uns fertig.
                                       perfekte Fußtechnik         Ich bin ein Meister des Kaltstarts, also werfe ich
                                       und Fingerklemmer an        mich als erster in den Ring. „Was denken wohl
                                       extrem schmalen Riss-       die Technokletterer, wenn sie die vielen Magne-
                                       spuren. Aufwändiges         siaspuren an eigentlich völlig glatten Stellen se-
                                       Absichern ersparen          hen...“ Ich bin oben. Es muss schnell gehen,
                                       sich Alex und Tom           wenn wir eine Chance haben wollen. Thomas
                                       durch beherztes Klet-       steigt nach und durch. Weiter. Wir können den
                                       tern auch bei großen        gelben Saum der Sonne bereits erahnen. Schnell,
                                       Runouts (großes Bild).      bevor sie da ist! Ich bin ausgeruht und starte als
                                                                   erster in den „Nipple“. Untergriffe, Nicht-Trit-
                                                                   te... Stehe mitten im Quergang als mich der gel-
                                                                   be Planet trifft. Noch ein Meter, und das Spiel
                                                                   ist vorbei. Im gleißenden Licht sehe ich nichts
                                                                   mehr, rein gar nichts mehr. In Zeitlupe beginne
                                                                   ich abzurutschen. Aus. Es geht nach unten.
                                                                       Abhängen. Im Portaledge. Den ganzen Tag.
                                                                   Wir vermeiden jedes Wort, das mit Klettern
                                                                   oder Zodiac zu tun hätte. Bis die Sonne sich

... die Huberbuam bei der Speedbegehung im Frühjahr 2003 — 2:31 Stunden
                                        jetzt meinerseits für      endlich wieder dem Horizont nähert. Nächster
                                        einen Versuch nützen       Versuch. Kurzer Prozess. Ich komme durch bis
                                        werde. Ich habe das        zum „Nipple“, dem Ende der Seillänge. Freu-
                                        Glück, dass jetzt der      de ist da, aber sie bricht nicht aus mir heraus.
                                        erste Schatten in die      Noch ist es nicht geschafft. Denn Thomas steht
                                        Verschneidung reicht.      noch unten, steht hinter der Ziellinie und weiß
                                        Akzeptable Bedingun-       nicht, ob er sie überschreiten kann.
                                        gen, die Seillänge ge-
                                        hört mir und, nicht viel              Per aspera ad astra — Er hat es hin-
               später, auch Thomas ... Morgen wird es ernst.                  ter sich! Alexander hat seinen Beitrag
                   In der Nacht erkennen wir genau den lan-                   zum Erfolg geliefert und jetzt liegt al-
               gen, seichten Bogen, der am „Nipple“ endet.                    les an mir. In mir baut sich ein wahn-
               Wenn unsere Träume aufgehen, dann haben                        sinniger Druck auf. Die Last auf mei-
               wir morgen vor Sonnenaufgang das „Open              nen Schultern ist so schwer, dass ich mich über
               Book“ und den „Nipple“ hinter uns gebracht          seinen Durchstieg alles andere als wirklich freu-
               und würden bereits so um Mittag oben stehen.        en kann. Für diese Passage hab ich noch nicht
               Ich schlafe schlecht, bin unruhig und nervös.       das entsprechende Selbstvertrauen, so dass ich
               Thomas geht’s noch schlechter. Er bezweifelt,       mir sagen könnte: Mit etwas Glück schaff ich
               dass wir eine Chance haben. Nur wenn wir bei-       das auch. Ich bräuchte dazu viel, viel Glück,
               de durchkommen, haben wir es geschafft. Auf         wenn nicht sogar ein Wunder. Warum fällt mir
               ihm lastet der Druck, dass auch mein Erfolg         dieser Meter so schwer? Oft war ich in den letz-
               von seinem Durchkommen abhängt. Thomas              ten Tagen am Boden zerstört, verzweifelt, alles
               pflegt eine Hassliebe mit dem „Nipple“. Einer-      in Frage stellend, und ich wünschte mich in die
               seits sind diese Meter ein Traum, weil sie tat-     eisigen Höhen eines Siebentausenders in Pakis-
               sächlich kletterbar sind. Andererseits ist es       tan. Aber nein, ich Idiot bilde mir ein, noch mal
               nicht seine Kletterei. Die Untergriffe sind weit    auf meine alten Tage hart klettern zu wollen.
               offen, während er am liebsten kleine scharfe            Die Temperaturen sind gut. Ich quetsche
               Leisten zuschraubt. Dazu sind die Nicht-Trit-       mich in die engen Kletterschuhe, mental hab

                                                                                                                  29
It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
links dynamisch..., ich komme nicht mehr da-
                                                     zu. Ich habe es gewusst, ich kann es nicht,
                                                     schreie meine Verzweiflung in die ruhige
                                                     Abendstimmung.
                                                         Nichts ist so wie vor fünf Minuten. Meine
                                                     Motivation ist einer Gleichgültigkeit gewichen
                                                     und resigniert hänge ich im Seil. Mein Blick
                                                     wandert nach oben. 15 Meter über mir das Ziel
                                                     meiner Begierde, der Stand. Wie gerne würde
                                                     ich mich da oben sehen und... wäre der Klet-
                                                     terschuh nicht von dieser verfluchten Delle ge-
                                                     rutscht! Der zweite Versuch endet schon drei
                                                     Meter nach dem Stand. Ein dritter Versuch...
                                                         Uns ist bewusst, dass wir alles auf einen
                                                     neuen Durchstieg in ein paar Tagen setzen
                                                     müssen. Langsam beginnt es zu dämmern. Die
                                                     Bedingungen werden immer besser. Es ist kühl.
                                                     Noch einmal, es ist mein vierter Versuch, aber
                                                     auch mein letzter. Die untergehende Sonne
                                                     setzt das zeitliche Limit. Die ersten Züge, alles
                                                     ist wieder automatisiert, das Programm läuft,
                                                     Ziel die Leiste nach sechs Metern. Es bleibt kei-

Free Zodiac – 21 Seillängen in den                 Schwierigkeitsgraden VI bis X+
                   Das Tourenbuch                    ne Zeit zu denken, alles um uns ist ruhig und
                   der Huberbuam                     ich erkämpfe mir Meter um Meter. Jetzt zieh,
                   ist um einen                      verdammt. Zieh es durch, es ist der letzte Zug
Meilenstein reicher. Mal sehen,                      auf die Insel. Ich greife, die Finger krallen sich
was sie als nächstes aushecken!                      in den zentimetertiefen Granitvorsprung, las-
                                                     sen nicht mehr los. Meine Füße schwingen
                                                     nach rechts auf eine kleine Schuppe.
                                                         Ich bin auf der anderen Seite – das Schwie-
                                                     rigste liegt hinter mir und das vor mir Liegende
ich die 20 Züge schon x-mal durchgezogen...          ist deutlich leichter. Im Dämmerlicht spreize
Ich muss nur daran glauben. Ich kann es, ich         ich die überhängende Verschneidung nach
muss es nur wollen, dann rutscht auch kein           oben. Vor mir die Spitze des Riesenbusens. Ge-
Schuh von den nicht vorhandenen Tritten. Ale-        schafft, Stand, Ende, aber wo bleibt die Freu-
xander legt das Kletterseil in den Gri-Gri und       de? Alexander gratuliert, das Tor zum Ausstieg
feuert mich noch kurz an. Ich steige von unse-       ist offen. Im Portaledge feiern wir mit einer
rem kleinen Ledge, bin voll konzentriert. „Hey       Dose Bier und erst jetzt kann ich den Erfolg ge-
Thomas, was ist mit deinem Seil“ Ich stehe ei-       nießen.
nen Meter über dem Stand und bin nicht ins               Ohne Zwischenfälle klettern wir am nächs-
Kletterseil eingebunden. Das kann auch nur           ten Tag die restlichen neun Seillängen zum Aus-
mir passieren. Bin so in einer anderen Welt,         stieg der Zodiac. Ein großer Stein fällt 600 Me-
mental nur auf die Kletterzüge konzentriert,         ter in die Tiefe und zerbricht in tausend Stücke.
dass ich alles andere vergessen habe. Vorsichtig      Der Stein, der mir das Leben in der letzten
steige ich zurück auf unser Ledge und knote              Zeit schwer gemacht hat.
mich ins Seil.                                                 Das 600 Meter hohe Abenteuer Zodi-
    Aber jetzt. Ich platziere die Schuhe auf die              ac liegt hinter uns, vor uns die Freiheit
markierten Reibungstritte und alles läuft auto-                 und beide haben wir wieder zurückge-
matisch, solange der Spezialgummi hält. Über-                    funden: in die Seilschaft HUBER-
kreuzer, rechter Schuh platt auf ein Nichts und                   BUAM                               

30                                                                                DAV Panorama 1/2004
It einer spektakulären Spitzenleistung stellten die "Huberbuam" die erste Rotpunktbegehung der schweren Techno-Route am El - Deutscher Alpenverein
HUBERBUAM                UNTERWEGS

                                                                      Yosemite Valley :info:
   Der von Gletschern geformte Yosemite       Kultort zum Übernachten für Kletterer                             Half Dome: anstrengender, aber sehr
   Nationalpark liegt ca. 240 km östlich      ist das legendäre Camp Four bzw. der                             lohnender Aufstieg über Drahtseile
   von San Francisco in den Sierra Nevada     Sunnyside-Campground direkt im Park.                             zum Wahrzeichen des Parks, Gesamt-
   Mountains und bietet auf 3200 km2 be-                                                                       dauer 10 Std.
   eindruckend geformte Granitwände und       Wandern
   Wasserfälle von bis zu 740 Metern.         Das Yosemite Valley wird von Wander-                             Klettern
                                              wegen (Hiking Trails) durchzogen. Das                            Zu Beginn der Sechziger Jahre erfuhr
   Beste Reisezeit                            Spektrum reicht von leichten, kurzen                             das Klettern im Yosemite mit der Erst-
   Frühling und Herbst, wenn der Park         Wanderungen bis hin zu anstrengenden                             begehung des ersten Bigwalls, der
   nicht allzu überlaufen ist und teilweise   Mehrtagestouren, für die eine spezielle                          „Nose“ am El Capitan durch Warren
   ohne Reservierung übernachtet werden       Genehmigung eingeholt werden muss.                               Harding, Weltruhm, was das technische
   kann. Auch sind hier die Temperaturen                                                                       Klettern anbelangt. Seine beeindru-
   noch nicht allzu heiß.                                                                                      ckenden Granitwände haben das Yose-

                                                                                        Fotos: Stefan Winter
                                                                                                               mite v. a. in den 70er und 80er Jahren
   Allgemeine Reisetipps                                                                                       auch zu einem Mekka des Freikletterns
    alle Warnungen vor den Bären ernst                                                                        gemacht und ziehen Jahr für Jahr un-
     nehmen                                                                                                    zählige Kletterer an.
    Unterkunft rechtzeitig buchen                                                                              Tuolumne Meadows: sehr lohnendes,
    unbedingt Tuolumne Meadows                                                                                ruhiges Klettergebiet, teilweise mittel-
     besuchen                                                                                                  mäßige Absicherung, Wandhöhe bis zu
                                                                                                               300 m.
                                                                                                                Bigwalls: Half Dome und El Capitan
                                                                                                               locken mit bis zu 1000 m Wandhöhe
                                                                                                               (z.B. „Salathé“, „Nose“).
                                                                                                                Freeclimbs: weltberühmte Touren
                                                                                                               wie „Seperate Reality“ u. v. a.

                                                                                                               Ranger Stations
                                                                                                               Im ganzen Park sowie an den Eingän-
                                                                                                               gen sind Ranger-Stations und Besu-
                                                                                                               cherzentren verteilt. Dort wird man
   Unterkunft                                                                                                  Ihnen bei Fragen und Problemen
    Hotels: Alle Hotels und Restaurants                                                                       weiterhelfen. Auch sind dort Broschü-
   im Park werden zentral verwaltet.                                                                           ren auf deutsch und selbst eine park-
   Reservierungswünsche sind an den                                                                            eigene Zeitung erhältlich (Yosemite
   Yosemite Concessions Service zu rich-                                                                       Guide), die immer die neuesten Infor-
   ten. Tel.: 001/209/252 – 48 48;                                                                             mationen beinhalten.
   Fax: 001/209/456 – 0542,
   www.yosemitepark.com/html/accom_                                                                            Literatur/Kletterführer
   reservation.html                                                                                             V. Mehnert, M. Velbinger: Kalifornien
                                                                                                                G. Meyers, D. Reid: Yosemite Climbs
    Zeltplätze: Eine Alternative sind                                                                          D. Reid, C. Fal-
   Zeltplätze, auf denen aufgebaute Zelte                                                                      kenstein: Rock
   an Touristen vermietet werden.                                                                              Climbs of Tuo-
   Camping-Reservierungen nur über             Merced River Trail: eine Flusswande-                           lumne Meadows
   die Reservierungszentrale                  rung über Vernal Fall und Nevada Fall                             A. Huber, H.
   Tel.: 001/301/722-12 57 oder Über High     zum Merced Lake, Ausgangspunkt Hap-                              Zak: Yosemite
   Sierra Camping-Reservierungen              py Isles. 4,5 Meilen, 4 Std. Bademög-
                                                                                                                Topos im
   Tel.: 001/209/454-20 02                    lichkeiten.
                                                                                                               Internet:
   oder schriftlich an MISTIX (9450            John Muir Trail: Einer der bekannte-
                                                                                                               www.super-
   Carroll Park, San Diego, CA 92121).        sten Weitwanderwege der USA mit 210
                                                                                                               topo.com
   Außerhalb des Nationalparks gibt es an     Meilen Wegstrecke. Nördlicher Start-
   den Zufahrtstraßen mehrere Motels.         punkt ist Happy Isles im Yosemite.

DAV Panorama 1/2004                                                                                                                                       31
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