Auf dem Jakobsweg von Lèon bis ans Ende der Welt
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Vorwort Der spanische Jakobsweg ist seit vielen Jahren ein großer Traum von mir. Oftmals musste ich das Vorhaben aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen verschieben. Anfang Mai habe ich den Pilgerpass (Credencial del Peregrino) mit der Post erhalten. Aufgrund der kurzen Zeit von nur 3 Wochen kann ich nur von Leon bis Santiago de Compostela gehen. Für den insgesamt 800 km langen Weg mit Beginn in Frankreich würde ich 5 – 6 Wochen benötigen. Ich habe mich in den letzten Jahren und vor allem in den Monaten davor intensiv auf die vor mir liegenden 350 Kilometer vorbereitet. Mit zahlreichen Tagesmärschen habe ich mich körperlich und mit einem Spanischkurs an der Volkshochschule geistig fit gemacht. Dieses Buch ist nicht nur eine Präsentation der schönsten Bilder, sondern auch eine Aufarbeitung der vergangenen Jahre. Ich habe im September 2014 eine neue Ausbildung abgeschlossen, aber der Weg dorthin war sehr steinig und ich stand mehrmals vor einer Wegkreuzung mit mehreren Abzweigungen und ich wusste nicht, welchen Weg ich nehmen sollte. Ich wünsche den Interessierten viel Spaß beim Lesen und Buen camino! 2
Montag, 18. Mai 2015 Anreisetag - Léon Seit einigen Wochen habe ich mich auf diesen Tag gefreut. Mehrmals packte ich probeweise meinen Rucksack nach einer niedergeschriebenen und empfohlenen Packliste. Jedes Mal habe ich einige Sachen wieder herausgenommen. Der Rucksack wiegt jetzt ohne Getränke 9,8 Kilo. In der Nacht vor der Abreise bin ich sehr aufgeregt und ich schlafe wenig. Um 07.00 Uhr morgens beginnt die Anreise nach Léon, wo ich erst um 20.00 Uhr ankommen werde. Zuerst fahre ich mit der Lokalbahn nach Salzburg und anschließend mit der Bahn nach München. Der Abflug nach Madrid erfolgt um 12.05 Uhr. Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Madrid fliege ich 40 Minuten nach Oviedo. Dort gelandet ändere ich meinen Plan und beschließe noch am heutigen nach Léon weiter zu fahren. Da der Flughafen 58 km von Oviedo entfernt ist und ich den Bus nach Léon erreichen möchte, fahre ich mit dem Taxi zum Busbahnhof in Oviedo. Ich versuche spanisch zu sprechen, aber anfangs werde ich aufgrund meines bescheidenen Wortschatzes nur sehr schwer verstanden. Auf der Fahrt nach Léon überquert der Fernreisebus das kantabrische Gebirge. Dieses stellt eine Klimascheide zwischen der grünen, maritim geprägten Nordseite, auch als „das grüne Spanien“ bekannt und der kastilischen Hochebene (spanisch Meseta) im Süden dar. In Léon angekommen gehe ich vom Busbahnhof am Stadtrand ca. 30 Minuten ins Stadtzentrum. In der Stadt sind alle Pilgerherbergen bis auf das letzte Bett gefüllt. Mit Hilfe einer Italienerin, die in einer Herberge ein Praktikum absolviert, und einem jungen spanischen Pärchen finde ich nach einer Stunde intensiver Suche ein Zimmer in einem Hotel im Stadtzentrum um € 40,00. Diese Hilfsbereitschaft habe ich nicht erwartet. Erschöpft von der langen Anreise gehe ich sofort ins Bett. Dienstag, 19. Mai 2015 Leon – San Miguel Ich wache erst um 7.30 Uhr auf. Eigentlich wollte ich um 07.00 Uhr losmarschieren. Nach dem Frühstück gehe ich zur Kathedrale, die leider geschlossen ist, und mache einige Fotos. Um 8.30 Uhr beginnt endlich das Projekt „Jakobsweg“. Vor mir liegen bis Santiago de Compostela 306 km und auf dem Weg aus der Stadt treffe ich John und Sean aus den USA. Gemeinsam gehen wir entlang der Hauptstraße und kommen nach einigen Kilometern zu mit Gras überwachsenen Häusern. Sofort denke ich an den kleinen Hobbit und ans Auenland. Leider ist Bilbo gerade auf Wanderschaft und wir ziehen weiter. In der Nähe gibt es passend dazu eine Bar mit dem Namen „Middle Earth“. Den Rest des Tages nehmen wir den kürzeren Weg und gehen entlang der stark befahrenen Nationalstraße nach San Miguel del Camino. Um 15.30 Uhr treffen wir bei der ersten Pilgerunterkunft ein. Die Über- nachtung kostet nur € 6,00 und für € 9,00 bekommt man ein dreigängiges Pilgermenü inklusive eines Getränkes. Nach den ersten 22 Kilometern und 6 Stunden Gehzeit lasse ich den Tag im Garten der Herberge mit 6 Amerikanern ausklingen. Es bildet sich rasch eine Gruppe, der ich in den nächsten Tagen öfters begegnen werde. Am Abend fällt mir auf, dass die Sonne im westlichen Europa erst um 21.30 Uhr untergeht. In den Pilgerunterkünften beginnt um 22.00 Uhr die Nachtruhe, ein Faktum, an das ich mich erst gewöhnen muss. 3
Mittwoch, 20. Mai 2015 San Miguel – Astorga Am Morgen ist es mit 4°C sehr kühl. Die ersten 9 km führen wie am Vortag entlang der Nationalstraße und ich bin wieder mit John und Sean unterwegs. John ist vor 25 Jahren von Irland in die USA nach Kalifornien ausgewandert. Sein Sohn wurde in den USA geboren und war in den letzten Jahren bei den Marins. In Hospital de Orbigo überqueren wir die Ponte de Orbigo. Sie ist mit 200 Meter und 20 Bögen die längste Steinbrücke auf dem Jakobsweg. Nach weiteren Kilometern entlang der Nationalstraße zweigt der Weg endlich nach rechts ab und führt nun über leicht hügeliges Gelände. Mittags hat es nur 12°C und es weht ein eiskalter Wind. Teilweise setze ich auch noch die Kapuze auf, um einer Verkühlung vorzubeugen. Am Nachmittag wird es endlich wärmer. Kurz vor dem heutigen Ziel in Astorga wird die Eisenbahn mit einer aufwendigen Fußgängerbrücke überquert. In Astorga nehmen wir in einem 300 Jahre alten Gebäude unser Nachtquartier. Ich schlafe im ausgebauten Dachboden mit 40 weiteren Pilgern. Anschließend mache ich einen Rundgang durch die Stadt zur Kirche und zum Bischofspalast, der von Gaudi errichtet wurde. Donnerstag, 21. Mai 2015 Astorga – Foncebadón Heute geht es erstmals in die Berge. Fast alle stehen um 06.00 Uhr auf und machen sich frühzeitig auf den Weg. Nach einigen Minuten kommen wir zu einer Cafeteria und frühstücken dort. In Spanien gibt es meistens Cafe con leche und einen Toast zum Frühstück. Schwarzbrot findet man hier keines. Kurz nach Astorga beginnt der Weg leicht anzusteigen. Der Weg führt durch kleine Dörfer, die zum Verweilen einladen. In El Ganso kehre ich in der berühmten Cowboy-Bar ein. Dort treffe ich erstmals auf Ria Maria und Akardia, die in Astorga gestartet sind. Mit den beiden werde ich auf dem Weg nach Santiago noch viel Zeit verbringen. Nach einem Waldanstieg mit unzähligen Kreuzen im Drahtzaun erreichen wir Rabanal del Camino, die letzte Ortschaft vor Foncebadón. Ich gehe heute teilweise alleine und habe viel Zeit zum Nachdenken. In den letzten Jahren hatte ich einige einschneidende und lebensprägende Erlebnisse. Nun bin ich hier am Weg nach Santiago und genieße jeden Moment und die abwechselnde Landschaft. Die letzten 7 km führen durch die blühende Landschaft der Montes de Léon und überwinden dabei 500 Höhenmeter. Um 14.30 Uhr erreiche ich den höchsten Punkt der Wanderung auf dem Jakobsweg. Foncebadón ist heute ein Geisterdorf und hat nur wenige intakte bzw. renovierte Gebäude. Von hier oben hat man einen Überblick auf den in den letzten Tagen zurückgelegten Weg. Wir nächtigen in der Herberge Santa Maria Magdalena, die vom Benediktinerorden geführt wird. Da ich keine frische Kleidung mehr habe, muss ich am Nachmittag Wäsche waschen. Nach einer Pilgermesse mit Pater Javier in der renovierten Kirche wird ein gemeinsames Abendessen eingenommen. Die Pilger kommen aus Brasilien, Frankreich, Italien, Japan, Südkorea und den USA. Es wird gefeiert und viel gesungen und ich erlebe erstmals eine Pilgergemeinschaft, von der ich glaubte, 4
dass sie nur in Erzählungen existieren würde. Der Sonnenuntergang am Berg ist fantastisch und vor dem Schlafengehen kehren wir im benachbarten Lebensmittelgeschäft auf einen Schnaps ein. Freitag 22. Mai 2015 Foncebadón – Ponferrada Frühmorgens um 06.00 Uhr breche ich alleine zum Cruz de Ferro (Eisenkreuz) auf. Nach einem kurzen Ansteig zum höchsten Punkt des Camino Francéses auf 1531 m erreiche ich das Eisenkreuz. Am Fuß des Eichenpfahls legen die Pilger seit Jahrhunderten Steine aus deren Heimat ab, mit dem eine Seelenlast abgelegt wird. Ich verweile einige Minuten an diesem besonderen Platz und habe wie viele andere Tränen in den Augen. Anschließend beginnt ein stundenlanger Abstieg über 1100 Höhenmeter nach Molinaseca. Die Blumen und Sträucher blühen in allen Farben und die Aussicht auf die umgebenden Berge ist atemberaubend. Nach drei Stunden treffe ich in Molinaseca wieder auf meine amerikanischen Wanderkollegen und wir essen in einem Restaurant ein Pilgermenü. In den letzten Tagen ist es wieder sehr warm geworden und die Temperaturen überschreiten die 30° C Marke. Auf den restlichen 7 Km nach Ponferrada folge ich anfangs einer Hauptstraße, von der ca. 4 km davor nach links ein Weg abzweigt, der in einem großen Bogen in die Stadt führt. Durch die körperliche Anstrengung der letzten Tage und die hohen Temperaturen bin ich sehr erschöpft und meine Trinkwasserreserven gehen ebenfalls zuneige. Mit letzter Kraft komme ich nach fast 28 km und 8 Stunden Gehzeit in der Herberge in Perferrada an. Seit dem Start in Leon vor 4 Tagen habe ich 104 km zu Fuß zurückgelegt. Niemals zuvor bin ich so viele Kilometer in so kurzer Zeit gegangen. Ich versuche mich den Rest des Tages zu erholen, bin mir aber nicht sicher, ob ich morgen früh ausreichend Kraft habe weiterzugehen. Am Abend werde ich von Ria Maria bekocht, kann aber nicht viel essen. Früher als sonst lege ich mich im Schlafraum für 36 Personen im Keller ins Bett. Samstag, 23. Mai 2015 Ponferrada – Villafranca del Bierzo Später als sonst verlasse ich die Pilgerherberge. Die letzte Nacht war nicht angenehm, da ich wegen der vielen Schnarchgeräusche trotz Ohrstöpsel sehr wenig geschlafen habe. Während der Nacht konnte ich daher meine Batterien nur teilweise wieder aufladen. Ich bin bei den Letzten, die sich auf den Weg machen. Der Weg verläuft durch kleine Dörfer und erstmals durch Weinberge. Ich mache heute mehr Pausen als sonst und lege in Cacabelos, im Zentrum einer Weinregion, eine längere Mittagsrast ein. Bis Villafranca del Bierzo sind es noch 8 km. Anfangs folge ich der Hauptstraße und biege nach 2 km in die Weinberge ab. Der Himmel ist azurblau und die Sonne scheint umbarmherzig herunter. Ich bleibe bei jedem schattigem Platz stehen und trinke viel. In der Ferne sind bereits die Ausläufer der nächsten Berge zu sehen. Nach 7 Stunden komme ich in Villafranca del Bierzo an. Die kleine Stadt, die aufgrund der zahlreichen Kirchen auch Klein-Compostela genannt wird, liegt in einem Tal und lädt mich beim ersten Anblick zum längeren Verweilen ein. An der Gnadenpforte der Iglesia de Santiago bekamen Kranke und Schwache, die die beschwerliche Weiterreise über den Cebreiropass nach Santiago de Compostela nicht schafften, vorzeitig die Absolution. In der Gemeindeherberge am Ortseingang treffe ich wieder auf Ria Maria und Akardia. Am Abend sehe ich im Stadtzentrum zum letzten Mal John und Sean. Villafranca del Bierzo ist der schönste Ort, den ich bisher gesehen habe und er wird es bis zum Ende der Pilgerwanderung bleiben. Ich hoffe, dass ich irgendwann wieder einmal hierher zurückkehren werde, da ich mich in diese Stadt verliebt habe. 5
Sonntag, 24. Mai 2015 Ruhetag in Villafranca del Bierzo In den Herbergen kann man nur eine Nacht bleiben und muss diese um 08.00 Uhr morgens verlassen. Da Ria Maria, Akardia und ich bis Montag in Villafranca del Bierzo bleiben, übersiedeln wir in das ehemalige Kloster San Niclas el Real, das in eine Herberge umgebaut wurde. Die beiden haben mich eingeladen, mit ihnen ein Dreibettzimmer zu teilen. Das Zimmer mit tollem Ausblick hat ein eigenes Badezimmer mit WC und einen Fernseher, den wir aber nicht einschalten. Während Akardia in der Herberge auf den Hostelerio zum Einchecken wartet, gehen Ria und ich in eine nahegelegene Cafeteria. Nachmittags mache ich nach einem Mittagsschlaf einen Rundgang durch die Stadt. Es ist sehr warm und hat wieder 32° C und jeder Schatten ist willkommen. Am Abend beschließen wir bei der morgigen Wanderung nach La Faba den Rucksack mit dem Taxi vorauszuschicken. Von meinen bisherigen Mitwanderern treffe ich keinen mehr, da alle am Morgen Richtung O Cebreiro weitergegangen sind. Montag, 25. Mai 2015 Villafranca des Bierzo - O Cebreiro Laut ADAC Wanderführer soll der heutige „harte Weg“ über zwei Berge führen. Am Ortsende versäumen wir jedoch die Abzweigung und folgen somit ungeplant 17 km der wenig befahrenen Hauptstraße. Erst danach zweigt der Weg in ein kleines Tal ab, an deren Ende er 300 Höhenmeter aufwärts nach La Faba führt. Bei der Herberge holen wir unsere Rucksäcke wieder ab. Die Herberge wird von zwei deutschen Frauen geführt. Als diese bemerken, dass wir nicht bleiben wollen, sondern nur kurz rasten, verjagen sie uns von den Sitzbänken im Garten. Nach einer kurzen Pause gehen wir noch weitere 7 km und 500 Höhenmeter auf den 1300 m hohen O Cebreiro. Das Wetter ist zu den Vortagen unverändert und es gibt wenig Schatten. Kurz vor dem Tagesziel überschreiten wir die Grenze zwischen Kastilien-Leon und Galicien. Erstmals nach mehr als 30 Kilometer am Tag erreichen wir um 16.00 Uhr das Museumsdorf Cebreiro. Wir übernachten in der renovierten Gemeindeherberge. Ich setze mich auf eine Steinmauer, die die Passstraße vom Abgrund begrenzt, und lasse mit einem Glas Wein in der Hand meine Gedanken schweifen. Ich habe mich an das Leben eines Pilgers gewöhnt und bin dankbar, dass ich in diesem Augenblick an diesem Ort sein darf. Meine Gedanken drehen sich um das Hier und Jetzt und ich fühle mich befreit. Mir wird klar, dass man zum glücklich sein nicht mehr benötigt als Gesundheit, aufrichtige Freunde, gute Schuhe, einen Rucksack mit dem Notwenigsten und ein Bett für eine Nacht. Ich brauche keine Zeitung, kein Fernsehen und Internet und kein Auto. 6
Abends besuche ich die Pilgermesse und genieße anschließend die Aussicht über die Bergwelt von Galicien. Später treffe ich erstmals auf Eberhard und Wolfgang, meine Wanderkollegen bis Santiago de Compostela. Dienstag, 26. Mai 2015 O Cebreiro – Triacastelo Anfangs gehen wir zum Pilgerdenkmal auf dem Alto de San Roque in 1270 m Höhe. Anschließend gehe ich alleine weiter. Der Weg führt über weitere kleine Passhöhen. Erst nach 10 km beginnt der Abstieg nach Triacastela. Ich durchwandere alte Dörfer mit landestypischen galicischen Häusern. Die mit Steinplatten gedeckten Häuser wurden aus Steinen gebaut und haben runde Wände. Es gibt viele kleine Bauernhöfe mit wenigen Rindern, die von den Bauern über Hohlwege auf die Weiden getrieben werden. Die heutige Etappe ist mit 21 km sehr kurz und ich komme am frühen Nachmittag nach ca. 5 Stunden in der Herberge in Triacastela an, die idyllisch am Ortsrand inmitten im Grünen liegt. Die Zimmer sind klein und haben nur 2 Stockbetten. Durch Zufall teile ich das Zimmer mit Eberhard und Wolfgang. In fast allen Herbergen befinden sich Waschmaschinen und ich nutze diese Gelegenheit für einen Waschtag, da ich in den letzten Tagen meine Wäsche nicht gewaschen habe. Zwischenzeitlich genieße ich in dem kleinen Ort, der in einem Flusstal liegt, die Ruhe. Die Gemeinschaft unter den Pilgern wird am Jakobsweg sehr gepflegt und der Abend verläuft sehr fröhlich und es wird reichlich Wein getrunken. Mittwoch, 27. Mai 2015 Triacastela – Sarria Um nach Sarria zu kommen, gibt es zwei Wege. Der im Wanderführer vorgeschlagene längere Weg führt über das Kloster Samos, wo im Mittelalter die kranken und schwachen Pilger gesund gepflegt wurden. Der kürzere und schönere Weg geht durch ein Seitental und über eine sanfte Erhebung mit einem schönen Ausblick auf das Flusstal. Ich bin seit heute mit Eberhard und Wolfgang unterwegs. Eberhard hat den Weg bereits einmal zu Fuß und einmal mit dem Fahrrad zurückgelegt und kennt sich deswegen sehr gut aus. Der Weg führt über Hohlwege und durch alte Wälder, die fast wie Urwälder aussehen. In der Altstadt von Sarria gibt es in eine kleine Herberge mit Garten. Wir wollen in dieser übernachten und gehen deswegen schneller. Leider ist die Unterkunft bei unserer Ankunft um 13.00 Uhr bereits voll. Die Betten wurden großteils telefonisch vorreserviert. Wir finden aber in der Nähe eine Herberge in einem alten Gebäude, die ebenfalls einen kleinen Garten hat. Donnerstag, 28. Mai 2015 Sarria – Portomarin Wir nähern uns allmählich Santiago de Compostela und passieren in der Nähe des Klosters in Sarria den Stein mit der 111 km Wegmarke. Am Morgen ist es erstmals nebelig. Der Nebel löst sich gegen 7
10.00 Uhr auf und wird von Sonnenschein mit dem gewohnten blauen Himmel verdrängt. Viele Kurzzeit-Pilger, welche die Compostela haben möchten, beginnen in Sarria den Weg. Jetzt ist es mit der Ruhe am Weg vorbei. Bis Sarria war ich teilweise alleine auf dem Jakobsweg unterwegs. Wir treffen auf den ersten Bus mit Wanderern, die nur einige Kilometer gehen und anschließend wieder in den Bus steigen. Nach etwa eineinhalb Stunden passieren wir den Stein mit der Hundert- Kilometermarke. Wir gehen wieder auf Hohlwegen durch blühende Landschaften und durch alte Wälder. In den wenig bewohnten alten Dörfern sieht man öfters die für Galicien typischen Horréos, alte Getreidespeicher auf Steinsäulen, die die Mäuse fernhalten sollten. Das Schöne am Jakobsweg ist, dass alle das gleiche Ziel haben, und dass der berufliche Status und das Geld keine Rolle spielen. Jeder sucht die Entspannung oder will einfach zu sich finden. Andere wiederum wollen eine Auszeit vom beruflichen Alltag nehmen. Bei einem Halt in einer Bar lese ich folgenden Spruch von Buda, der mir sehr gefallen hat. “Todo lo que te molesta de otros seres, es solo una proyección de lo que no has resuelto en ti mismo.” Frei übersetzt besagt dieser Spruch: Alles, was dich bei anderen stört, ist nur eine Projektion von Problemen, die du selber nicht gelöst hast. Über eine Brücke kommen wir nach Portomarin. Der Ort lag bis 1960 einige Meter tiefer und wurde aufgrund eines Dammbaus höher wieder neu errichtet, da der Fluss zu einem See aufgestaut wurde. Vom ursprünglichen Ort wurde nur die Kirche und die alte Römerbrücke Stein für Stein übersiedelt. Obwohl das neue Portomarine am Reißbrett geplant wurde, wirkt es sehr beschaulich und hat den Charm einer kleinen spanischen Stadt. Freitag, 29. Mai 2015 Portomarin – Palas de Rei Bevor wir nach Palas de Rei aufbrechen, frühstücken wir noch in Portomarin. Anfangs geht’s gleich bergauf und später gehen wir meistens entlang einer ruhigen Hauptstraße. In einer kleinen Kapelle hole ich einen Stempel für den Credencial. Beim 75 km Stein treffen wir auf drei Engländer, die alle 25 Kilometer mit einer Flasche Sekt anstoßen. Unterwegs beraten wir über die noch fehlenden Tagesetappen bis Santiago de Compostela. Wir wollen am Sonntag Abend ankommen und die letzte Etappe über 43 km durch längere Wanderungen zuvor verkürzen. Ab Palas de Rei werden die Abstände zwischen den Herbergen und den Einkehrmöglichkeiten größer, deswegen bleiben wir in der Gemeindeherberge. Zu meiner Überraschung bekommen wir ein 4-Bett-Zimmer mit eigener Dusche und WC. Lange glauben wir unter uns bleiben zu können, bekommen jedoch später mit Santiago einen vierten Mann. Santiago kommt aus Katalonien und betreibt in der Nähe von Barcelona eine große Landwirtschaft. Er ist in Frankreich in Saint-Jean-Pied de Port gestartet und spricht ausschließlich Katalan. Meine Spanischkenntnisse sind sehr bescheiden, aber sie reichen für eine Unterhaltung mit ihm. Ich bin nun seit fast zwei Wochen am Jakobsweg unterwegs. Einerseits freue ich mich auf den Einmarsch in Santiago, mache mir andererseits Gedanken, wie es mir nach meiner Rückkehr in Österreich gehen wird. 8
Samstag, 30. Mai 2015 Palas de Rei – Ribadiso Gestern sind wir viel entlang von Hauptstraßen gegangen, heute gehen wir wieder durch typische galicische Landschaften mit Hohlwegen, sanften Hügeln und alten Wäldern. Kurz vor Melide überqueren wir auf einer mittelalterlichen Brücke den Rio Furelos. Melide selber wird von uns nur durchquert und wir essen in Boente zu Mittag. Je näher man Santiago kommt, desto teurer wird es. Erstmals bezahle ich für das Brot zum gemischten Salat extra. Am frühen Nachmittag kommen wir in Ribadiso an. Am Ufer des Rio Iso liegt die aus dem 15. Jahrhundert stammende Pilgerherberge San Anton de Ponte de Ribadiso. Hier treffe ich wieder auf Akardia und Ria und nehme im Fluss zum Erstaunen so mancher ein Bad. Nach dem täglichen 3-gängigen Pilgermenü sehe ich erstmal fern. Ganz Spanien fiebert der Copa del Rey entgegen, wo der FC Barcelona gegen Athletic Bilbao mit 3:1 gewinnt. Sonntag, 31. Mai 2015 Ribadiso – Santiago de Compostelo Heute ist der große Tag und Santiago de Compostela ist nur mehr 43 km entfernt. Wir wollen versuchen am Abend in Santiago zu sein und starten frühmorgens um 06.30 Uhr. Anfangs gehen wir bis Arzúa entlang der Hauptstraße. Die nachfolgenden 15 km führen durch kleine Ortschaften und Wälder. Nach 5 Stunden kommen wir in O Pedrouzo an und machen eine zweistündige Pause. Nach und nach treffen andere uns bekannte Pilger ein und wollen nicht glauben, dass wir weitergehen werden. Um 14.00 Uhr starten wir zur letzten Etappe nach Santiago. Nach ca. 6 km kommen wir zum Flughafen von Santiago de Compostela, den wir in einem großen Bogen umgehen müssen. Da fast alle Pilger in O Pedrouzo geblieben sind, treffen wir bis Lavacolla nur 5 weitere. In Lavacolla haben sich die Pilger über Jahrhunderte im Lavacolla-Bach gewaschen haben, bevor diese über den Monte do Gozo nach Santiago gegangen sind. Nach 30 km habe ich erste Ermüdungsanzeichen, doch die Vorfreude auf Santiago treibt mich an. Am Monte do Gozo passieren wir das riesige Pilgerdenkmal, das anlässlich des Papstbesuches im Jakobsjahr 1993 errichtet wurde. Von hier habe ich erstmals einen Blick auf Santiago de Compostela, kann aber die Kathedrale nicht sehen. Das große Pilgerdorf, welches 30 Wohngebäude mit 3.000 Betten, ein Restaurant, Shops und eine medizinische Station umfasst, ist fast verwaist und es sind nur 2 Objekte für Übernachtungen geöffnet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Anlage irgendwann voll sein wird. Vom Stadtrand bis zur Kathedrale sind es noch 4 km. Da es bereits halb sechs Uhr am Abend ist, sind wir die Einzigen, die noch unterwegs sind. In den letzten 13 Tagen haben wir immer in Herbergen mit Gemeinschaftsschlafräumen genächtigt, aber am Ende der Wanderschaft wollen wir in einer Pension absteigen. Auf dem Weg nach Santiago habe ich einen Flyer von einer Pension in der Altstadt bekommen, bei der wir unser Glück versuchen wollen. Ein älterer Herr, der jede Gelegenheit ausnützt englisch zu sprechen, bringt uns zu der Straße, wo die Pension ist. Leider sind bereits alle Zimmer besetzt. Wir fragen bei einigen anderen Pensionen und werden nach 20 Minuten fündig. Erstmals schlafe ich in einem Einzelzimmer mit Dusche und WC 9
und zahle dafür nur € 25 pro Nacht. Die nächsten zwei Tage werde ich in der Stadt bleiben, bevor ich vor dem Rückflug am Freitag nochmals 3 Tage an die Küste nach Finisterre will. Wir sind von der heutigen Etappe mit 10 Stunden Gehzeit sehr müde und gehen nach dem Abendessen nur kurz in eine benachbarte Bar und stoßen auf unsere gemeinsame Reise an. Montag, 01. Juni 2015 Santiago de Compostela Rechtzeitig am Morgen holen wir im Pilgerbüro die Pilgerurkunde (Credencial) ab. Es ist ein tolles Gefühl diese in den Händen zu halten und ich habe viele Jahre von diesem Augenblick geträumt. Anschließend gehen wir zur Kathedrale und zum Apostelgrab und legen dem Heiligen Jakobus die Hände auf die Schulter. Die Kathedrale ist riesig und überall glänzt das Gold. Leider ist die Hauptfassade der Kirche wegen einer Renovierung teilweise eingerüstet. Um 12.00 Uhr besuchen wir die Pilgermesse, die bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Die feierliche Messe ist der Abschluss meiner Pilgerwanderung und am Ende wird der 54 Kilogramm schwere Weihrauchkessel, der Botafumeiro, in einem Bogen von 65 m Länge von 6 Mönchen durch das Querschiff geschwenkt. Im Mittelalter sollte mit dem Weihrauch der Geruch der neu ankommenden und verschwitzten Pilger verbessert werden, um damit eine Pilgermesse in einem festlichen Rahmen zu ermöglichen. Viele Pilger haben dabei Tränen in den Augen und auch ich werde dabei sehr nachdenklich und bin sehr dankbar. Nachmittags gehen wir durch die Stadt und erholen uns. Die Stadt ist voller gut gelaunter Pilger und fast alle Betten sind belegt. Am Hauptplatz vor der Kathedrale begrüßen wir nach und nach diejenigen, die wir durch unseren langen Marsch am Vortag hinter uns gelassen haben. Schlussendlich haben alle das Ziel erreicht. Da ich morgen Richtung Finisterre und Muxìa aufbrechen will, besorge ich mir im galicischem Fremdenverkehrsbüro die Wanderkarten und informiere mich über die Busverbindungen. Am Abend treffe ich Ria Maria und Akardia wieder. Gemeinsam mit anderen Pilgerbekanntschaften lassen wir den Tag in meiner „Lieblingsbar“ ausklingen. Eberhard und Wolfgang treten morgen die Rückreise nach Deutschland an. Wir verabschieden uns und vereinbaren ein Treffen im Herbst. Dienstag, 02. Juni 2015 Cee – Finisterre Vormittags nehme ich den Bus nach Cee. Aus Zeitgründen kann ich nur die letzten 15 km entlang der Küste bis Finisterre gehen. Die Busfahrt über 90 km dauert fast 3 Stunden, da der Bus sehr oft anhält, und ich komme erst gegen 13.00 Uhr in Cee an. Bevor ich losgehe, decke ich mich bei einem Supermarkt mit Getränken und Lebensmitteln ein. Ich bin nun alleine unterwegs und treffe auf dem Weg sehr wenige Wanderer. Der Weg führt großteils an der Küste entlang und die Landschaft sieht beinahe so aus, wie in den Filmen von Rosemarie Pilcher. 10
In Finisterre übernachte ich in einer kleinen Herberge mit dem Namen „Albergue de Pax“, die von einem Kroaten betrieben wird, der vor 25 Jahren während des Krieges in Kroatien nach Spanien ausgewandert ist. Am frühen Abend mache ich mich auf den 3 km langen Weg zum Kap Finisterre, dem „Ende der Welt“. Für viele Jakobspilger gilt das Kap als das eigentliche Ende des Jakobswegs zumal hier der Kilometerstein 0,00 steht. Ich setze mich an die Klippen und genieße den Augenblick. Rundherum hört man den Atlantik brausen und hohe Wellen branden gegen die Küste. Viele Pilger verbrennen an diesem Ort Kleidungstücke, die sie auf dem Weg hierher getragen haben, und verlassen ihn mit neuer Kleidung. Ich warte auf den Sonnenuntergang, aber leider ist es über dem Meer bewölkt. Gegen 21.00 Uhr reißen die Wolken teilweise auf und ich beobachte einen wunderschönen Sonnenuntergang am Ende der Welt. Nach dem Sonnenuntergang hat es abgekühlt. Damit ich mich nicht erkälte, gehe ich schneller zur Herberge zurück. Nach kurzer Zeit bleibt ein PKW mit einer amerikanischen Touristin stehen, die mich in den Ort zurückfährt. Mittwoch, 03 Juni 2015 Finisterre – Muxìa In der Herberge übernachten nur 2 Personen und ich werde aufgrund der Ruhe im Schlafraum erst um halb acht Uhr wach. Eine Stunde später breche ich nach Muxìa auf. In den ersten beiden Stunden bin ich alleine unterwegs, da die meisten Wanderer in umgekehrter Richtung gehen. Anfangs folgt der Weg der Küste des Todes und ich kann das Rauschen des Meeres hören. Auf halber Strecke treffe ich drei Italiener, die ich zuletzt vor 8 Tagen gesehen habe. Die Wiedersehensfreude ist groß und wir verabschieden uns nach einigen Minuten mit „bona Vita“. Auf den gesamten 30 km gibt es nur eine Einkehrmöglichkeit und ich bin froh, dass ich ausreichend zum Essen und Trinken bei mir habe. Heute ist es wieder kühler als zuletzt und ich muss mich wärmer anziehen. Nach 7,5 Stunden komme ich ziemlich müde in Muxìa an. Ich gehe zu einer Herberge, die mir in Finisterre empfohlen wurde. Sie kostet zwar mit € 15 das doppelte zum Vergleich mit der Gemeindeherberge, dafür ist sie sehr modern und hat nur 4 Bettzimmer mit Dusche und WC. Nach einer längeren Erholungspause gehe ich zum Marienheiligtum der Schiffsjungfrau, das am Abend des 25. Dezember 2013 nach einem Blitzeinschlag während des Weihnachtssturms durch ein Feuer fast zerstört wurde. Die Kirche wurde mit EU-Geldern im ursprünglichen Zustand wieder aufgebaut. Vom 130 m hohen Monte Carpino hat man einen 360 Grad Rundblick auf die Küste und die Stadt. Es ist sehr windig und meterhohe Wellen branden gegen die Küste. Am Abend gehe früher ins Bett, da ich morgen mit dem Bus um 6.45 Uhr nach Santiago zurückfahren möchte. Donnerstag, 04. Juni 2015 Frühmorgens fahre ich mit dem Bus zurück nach Santiago, wo ich um 09.00 Uhr ankomme. Nach dem Frühstück checke ich in der alten Pension für eine weitere Nacht ein. Tagsüber gehe ich nochmals in die Pilgermesse und treffe die letzten noch verbliebenen Freunde in der Stadt. Ich feiere mit ihnen meinen Abschied aus Spanien, da ich morgen nach Wien zurückfliege. 11
Freitag, 05. Juni 2015 Gemeinsam nehmen wir um 06.00 Uhr den ersten Bus zum Flughafen. Um 9.30 Uhr fliegen wir nach Barcelona, wo sich unsere Wege endgültig trennen. Nach einem kurzen Aufenthalt fliege ich weiter nach Wien. Eine wunderschöne Reise mit vielen bleibenden Eindrücken über 3 Wochen geht zu Ende. Nachwort In den ersten zwei Tagen nach meiner Rückkehr war ich entspannt und sehr ausgeglichen. Dieser Zustand der völligen inneren Ruhe endete schlagartig am ersten Arbeitstag. Während meines Urlaubes habe ich es geschafft, sämtliche Gedanken an die Arbeit auszublenden. Ich benötigte mehrere Stunden, um mich wieder an den Arbeitsablauf und die täglichen administrativen Aufgaben zu gewöhnen. Der Abstand zwischen der Rückkehr nach Salzburg und dem Arbeitsbeginn zwei Tage später war viel zu kurz. Ich wurde vor meiner Reise nach Santiago de Compostela davor gewarnt zu schnell in den Arbeitsalltag einzusteigen. Ich habe mit einigen Bekannten vom Jakobsweg telefonisch Kontakt und es gibt auch gemeinsame Pläne für die nächsten Jahre. Auch sie hatten Probleme sich wieder an den Alltag anzupassen. Während der nächsten Wochen erinnerte ich mich immer wieder an die schöne Zeit am Jakobsweg und an die tolle Pilgergemeinschaft. Jeder hat jedem geholfen. Ich wurde wie viele andere vom „Caminofieber“ infiziert und freue mich auf die Fortsetzung im nächsten Jahren. In Spanien gibt es neben den Camino Francés noch andere Wege, wie den Camino Inglés, Camino de la Costa, Camino Primitivo, den Via de la Plata und den Camino Português. Es gibt somit noch viele Möglichkeiten Spanien zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu erkunden. Aufgrund der aktuellen Situation rund um das Corona-Virus musste ich letztes Jahr eine geplante Wanderung auf dem Camino Português von Porto nach Santiago de Compostela verschieben. Während der Wanderung und nach meiner Rückkehr habe ich das Buch von Cheryl Strayed gelesen. Ihre Geschichte über die Wanderung am Pacific Crest Trail wurde unter dem Wild – Der große Trip verfilmt. Obwohl man die beiden Wege nicht vergleichen kann, kann man daraus Parallelen ableiten. Es war ein gutes Buch um meinen Weg abzuschließen. 12
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