Jetzt erst recht! Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern - Positionspapier - BAGSO

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Positionspapier

Jetzt erst recht!
Lebensbedingungen älterer
Menschen verbessern
BAGSO-Positionspapier                     Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

Zentrale Forderungen im Überblick

1.   Deutschland muss sich besser auf Krisen- und Notsituationen vorbereiten.
     Die besonderen Lebenslagen älterer Menschen sind dabei zu berücksichtigen.

2.   Lücken in der kommunalen Daseinsvorsorge müssen geschlossen werden.
     Altenhilfe und Seniorenarbeit brauchen eine verbindliche rechtliche Grundlage.

3.   Gesundheit ist als Leitprinzip in allen Politikfeldern zugrunde zu legen.
     Auch in Krisenzeiten ist der Zugang zu Gesundheitsförderung und Prävention
     sicherzustellen.

4.   Engagement und Partizipation brauchen verlässliche Strukturen.
     Dann sind sie auch in Krisenzeiten nicht dem Zufall überlassen.

5.   Ambulante und stationäre Pflege sind nicht ausreichend auf Krisenlagen
     vorbereitet. Das Pflegesystem muss grundlegend reformiert werden.

6.   Ein würdevolles Sterben muss in allen Versorgungsstrukturen möglich sein,
     auch in Zeiten einer Epidemie.

7.   Der Zugang zum Internet ist Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.
     Deutschland benötigt einen „Digitalpakt Alter“.

8.   Alte Menschen brauchen keine Bevormundung.
     Ihre Stimme und ihr Engagement sind unverzichtbar.

9.   Der rechtliche Schutz älterer Menschen muss verbessert werden.

10. Deutschland muss zum Vorreiter in Sachen nachhaltiger Entwicklung werden,
    um zukünftigen Krisen vorzubeugen. Alle Generationen sind gefordert, ihren
    Beitrag zu leisten.

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BAGSO-Positionspapier                    Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

Die Corona-Pandemie betrifft Menschen al-        bewusst: rational und abwägend. Insbe-
ler Generationen, in allen Ländern der Welt.     sondere Menschen mit Vorerkrankungen,
                                                 darunter viele ältere Menschen, wissen um
Als Bundesarbeitsgemeinschaft der Senio-         die eigene Verwundbarkeit. Sie verhalten
renorganisationen haben wir uns seit März        sich dementsprechend vorsichtig und haben
2020 wiederholt zu den Auswirkungen auf          auch den Schutz anderer im Auge. Sie zei-
ältere Menschen in unserem Lande geäu-           gen sich in dieser Gefährdung gelassen und
ßert, haben Probleme aufgezeigt, Vorschläge      solidarisch. Zu Recht hat Bundeskanzlerin
eingebracht und Forderungen formuliert           Angela Merkel den Älteren Anfang Juli 2020
– und damit einen Beitrag zur Bewältigung        in einem Videostatement ganz ausdrücklich
der Krise geleistet.                             für ihre Haltung gedankt.

Die weltweiten Infektionszahlen – auch die       Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf
Entwicklung in Deutschland und in anderen        die Lebenssituation älterer Menschen ge-
europäischen Staaten – führen uns vor Au-        worfen und bestehende Missstände für alle
gen: Die Pandemie ist noch nicht zu Ende.        sichtbar gemacht. Sie hat Entwicklungen
Erst die gesuchten Impfstoffe bringen mög-       beschleunigt und offengelegt, in welchen
licherweise die nötige Sicherheit. Doch das      Bereichen seniorenpolitische Reformen
braucht Zeit. Bei der Zulassung von Impf-        dringend notwendig sind, um die Lebens-
stoffen und Medikamenten gehen Solidität         bedingungen älterer Menschen nachhaltig
und Sorgfalt vor Schnelligkeit.                  zu verbessern und für künftige Krisen besser
                                                 gerüstet zu sein.
Es ist jedoch nicht sinnvoll nur abzuwarten.
Einige Lehren aus dem bisherigen Verlauf         1. Deutschland muss sich besser auf
der Pandemie in unserem Land können                 Krisen- und Notsituationen vorbe-
bereits gezogen oder doch mindestens ge-            reiten. Die besonderen Lebenslagen
sucht werden – für den weiteren Umgang              älterer Menschen sind dabei zu be-
mit der Corona-Situation und für mögliche           rücksichtigen.
zukünftige Krisen. Ausgangspunkt unserer
Überlegungen ist dabei:                          Es reicht nicht aus, Krisen- und Notsitua-
                                                 tionen zu durchdenken und Pandemiepläne
Alle Generationen sind mitverantwortlich für     zu erstellen. Entscheidend ist, dass Vorsor-
einen vernünftigen Umgang mit der Gefahr,        gemaßnahmen gesetzlich festgeschrieben
selbst angesteckt zu werden und andere           und ergriffen werden: die Schaffung me-
anzustecken. Der eigene Schutz und die           dizinischer und pharmakologischer Ver-
Rücksichtnahme auf die Gesundheit anderer        sorgungskapazitäten, die Sicherstellung von
müssen unser Verhalten bestimmen.                Schutzausrüstung und anderen Materialien
                                                 sowie die Planungen für eine zusätzliche
Die ganz große Mehrheit der Menschen in          personelle Unterstützung in sensiblen Be-
Deutschland verhält sich verantwortungs-         reichen.

                                                                                                3
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Eine solche Krisenvorsorgeplanung muss es                  Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass
auf nationaler, regionaler und kommunaler                  Pflegeheime, ambulante Pflegedienste und
Ebene geben. In jeder kreisfreien Stadt und                pflegende Angehörige aufgrund der be-
in jedem Landkreis ist dazu eine Koordinie-                sonderen Verletzlichkeit der Pflegebedürf-
rungsstelle einzurichten. Ein Wissens- und                 tigen in Krisen ebenso schnell mit allem
Erfahrungsaustausch auf nationaler und                     Notwendigen versorgt werden müssen wie
möglichst auch auf internationaler Ebene                   Krankenhäuser. Im Rahmen der Krisenvor-
muss sichergestellt werden. Die aktuelle                   sorgeplanung sind sie in besonderer Weise
Krise hat zudem deutlich gemacht, dass der                 zu berücksichtigen. Gerade in Krisenzeiten
öffentliche Gesundheitsdienst, insbesondere                kommen zudem externen Qualitätsprüfun-
die Gesundheitsämter, dringend eine bes-                   gen in Pflegeeinrichtungen wie den Kon-
sere personelle und materielle Ausstattung                 trollen durch den Medizinischen Dienst der
benötigt.                                                  Krankenkassen und der staatlichen Heim-
                                                           aufsicht wichtige Aufgaben zu. Sie müssen
Ältere Menschen, vor allem wenn sie allein                 stets sichergestellt sein.
oder in prekären Verhältnissen leben oder
aufgrund von Krankheit, Behinderung oder                   2. Lücken in der kommunalen Da-
Pflegebedürftigkeit in ihrer Handlungsfähig-                  seinsvorsorge müssen geschlossen
keit eingeschränkt sind, treffen die Aus-                     werden. Altenhilfe und Senioren-
wirkungen einer Krisen- und Katastrophen-                     arbeit brauchen eine verbindliche
situation in der Regel besonders stark. Die                   rechtliche Grundlage.
deutschen Katastrophenschutzsysteme sind
– auch vor dem Hintergrund der großen Zahl                 Alte Menschen sind in besonderer Weise auf
vulnerabler Personen – an die besonderen                   eine funktionierende Infrastruktur in ihrer
Bedürfnisse dieser Zielgruppen anzupassen.                 Kommune angewiesen. Das betrifft die Ver-
Sowohl Verantwortliche im Krisenmanage-                    sorgung mit Gütern und Dienstleistungen
ment als auch Akteure in den Bereichen Ge-                 des täglichen Bedarfs ebenso wie alle An-
sundheit und Pflege müssen entsprechend                    gebote, die zu einer gesunden und aktiven
weitergebildet werden. Wichtig ist, dass                   Lebensführung beitragen. Alternsfreundliche
beide Bereiche enger miteinander verzahnt                  Strukturen wie barrierearme Gebäude und
werden, um die Handlungsfähigkeit in Kri-                  Quartiere, die Erreichbarkeit notwendiger
senlagen zu verbessern. So sollten Verant-                 Infrastruktur und Angebote zum Erhalt
wortliche aus der Pflege grundsätzlich in die              sozialer Kontakte begünstigen zudem das
örtlichen Koordinierungsstellen einbezogen                 solidarische Miteinander und kommen allen
werden.1                                                   Generationen zu Gute.

1 Vgl. Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, Ad hoc-Studie, 2020:
  https://www.iat.eu/presse/2020/altenpflege-und-corona-pandemie-10072020.html.

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Die Strukturen sind so anzulegen, dass sie        3. Gesundheit ist als Leitprinzip in
die Gesundheit, das Wohlbefinden und die             allen Politikfeldern zugrunde zu
soziale Teilhabe älterer Menschen fördern.           legen. Auch in Krisenzeiten ist der
Dazu müssen die Kommunen – im Rahmen                 Zugang zu Gesundheitsförderung
ihrer kommunalen Seniorenpolitik – Initia-           und Prävention sicherzustellen.
tiven zur Vernetzung der örtlichen Akteure
ergreifen und im Bereich von Unterstützung,       Während der Corona-Krise wurde deutlich,
Gesundheitsförderung und Prävention der           dass die individuelle Gesundheitskompetenz
aufsuchenden Arbeit stärkeres Gewicht ge-         essentiell ist, um in der Pandemie gesund-
ben.                                              heitsförderlich handeln zu können. Gesund-
                                                  heitskompetenz umfasst die Fähigkeit, sich
Für eine aktivierende kommunale Senio-            im Alltag über Gesundheit und Krankheit
renpolitik, die auf den Erhalt von Selbst-        informieren und gesundheitsdienliche Ent-
ständigkeit und Teilhabe abzielt, ist eine        scheidungen treffen zu können. Sie muss
bundesweit verbindliche Regelung unum-            durch entsprechende Angebote der Gesund-
gänglich. Die bereits im Siebten Altenbericht     heitsförderung und Prävention verbessert
der Bundesregierung geforderte rechtliche         werden.
Absicherung der Seniorenarbeit („Alten-
hilfe“) als kommunale Pflichtaufgabe muss         Bereits vor der Corona-Krise waren Ange-
umgesetzt und die Kommunen müssen mit             bote zur Gesundheitsförderung und Prä-
den dazu notwendigen Mitteln ausgestattet         vention nur unzureichend und längst nicht
werden. Aus Sicht der BAGSO ist dies eine         flächendeckend für alle älteren Menschen
zwingende Voraussetzung für die Herstel-          verfügbar. Während der Pandemie wurden
lung gleichwertiger Lebensverhältnisse.           viele Projekte reduziert oder ganz eingestellt
                                                  – trotz erhöhter gesundheitlicher Belastun-
Mitentscheidend für eine gelingende kom-          gen. Auch medizinische Vorsorgeuntersu-
munale Seniorenpolitik ist die aktive Ein-        chungen waren davon betroffen, da ältere
bindung und politische Teilhabe von älteren       Menschen diese – zum Teil aus Angst vor
Menschen, z. B. durch die Mitwirkung von          einer Infektion – weniger oder gar nicht in
Seniorenvertretungen und -beiräten oder           Anspruch genommen haben.
die Etablierung anderer Beteiligungsformen.
Kommunale Seniorenpolitik ist zudem eine          Im Sinne der Forderung der Weltgesund-
Aufgabe, die eine ressortübergreifende Zu-        heitsorganisation, Gesundheit als Leitprinzip
sammenarbeit erfordert. Dies gilt ganz be-        in allen Politikfeldern („Health in all
sonders in Krisenzeiten.                          policies“) zu berücksichtigen, gilt es, Le-
                                                  bens-, Arbeits- und Umweltbedingungen
                                                  gesundheitsförderlich zu gestalten. Um
                                                  gesund älter zu werden, braucht es ein die
                                                  Gesundheit unterstützendes Lebensumfeld.

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Zudem gilt es, flächendeckend Angebote zu          gen haben die vielen spontan organisierten
schaffen, die älteren Menschen die „Ent-           Hilfs- und Unterstützungsangebote in der
scheidung für die Gesundheit“ so einfach           Nachbarschaft gezeigt, wie systemrelevant
wie möglich machen. Notwendig sind Ange-           zivilgesellschaftliches Engagement für die
bote für Bewegung, gesunde Ernährung und           Gesellschaft ist. Dort, wo ehrenamtliche
für psychosoziales Wohlbefinden, die die           Strukturen dauerhaft gefördert werden, war
unterschiedlichen Lebenslagen älterer Men-         Hilfe besonders schnell und zuverlässig zu
schen berücksichtigen. Spezielle Konzepte          organisieren.
müssen zur Ansprache vulnerabler Gruppen
entwickelt werden, wie insbesondere Men-           Ein großer Teil der unterstützenden Angebo-
schen mit geringen Bildungschancen und             te in Einrichtungen, Heimen, Projekten und
ältere Migrantinnen und Migranten, die             Initiativen lebt von dem Engagement älterer
häufiger von Krankheit betroffen sind. Statt       Menschen. Fällt es weg, erhöht das die Ge-
zeitlich befristeter Projekte bedarf es lang-      fahr von Vereinsamung für alle Beteiligten.
fristiger Strukturen.                              Es braucht Konzepte dafür, wie Engagement
                                                   trotz Krisenmodus ausgeübt oder wieder
In Krisenzeiten muss es eine Aufgabe der           aufgenommen werden kann.
kommunalen Koordinierungsstellen (vgl.
Ziffer 1) sein, gemeinsam mit allen relevan-       Die Möglichkeit, sich zu engagieren, darf
ten örtlichen Akteuren wie z. B. Sportver-         nicht an das kalendarische Alter gebunden
einen Angebote zur Gesundheitsförderung            werden. Dies gilt sowohl für bezahlte als
und Prävention aufrechtzuerhalten oder             auch für unbezahlte Tätigkeiten. Eine leben-
neue passgenau zu schaffen. Zudem ist zu           dige Bürgergesellschaft kann auf die aktiven
gewährleisten, dass ältere und insbesondere        und engagierten Menschen in der nachbe-
pflegebedürftige Menschen, egal in welcher         ruflichen Phase nicht verzichten.
Wohnform sie leben, Zugang zu ärztlicher,
zahnärztlicher und therapeutischer Versor-         Es ist Aufgabe der Kommunen, die Partizi-
gung haben.                                        pation älterer Menschen zu fördern und sie
                                                   darin zu bestärken, ihre Interessen selbst-
4. Engagement und Partizipation                    bestimmt zu vertreten. Dazu zählen auch
   brauchen verlässliche Strukturen.               Bildungsangebote. Eine besondere Heraus-
   Dann sind sie auch in Krisenzeiten              forderung besteht darin, auch diejenigen zu
   nicht dem Zufall überlassen.                    beteiligen, die mit den üblichen Formen der
                                                   Ansprache nicht oder nur schwer erreicht
Die Erfahrungen der Corona-Krise haben             werden. Dazu zählen beispielsweise ältere
gezeigt, wie wichtig soziale Teilhabe für alle     Menschen mit körperlichen oder geistigen
Altersgruppen ist. Persönliche Netzwerke aus       Einschränkungen, mit niedrigem Einkom-
Angehörigen und Freunden, darunter auch            men oder geringen Bildungschancen. Auch
die engere Nachbarschaft, sind eine beson-         ältere Migrantinnen und Migranten sowie
ders wichtige Ressource zur Krisenbewälti-         Menschen, die unter Einsamkeit leiden, sind
gung. In der Zeit der Kontaktbeschränkun-          bislang zu wenig im Blick.

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Zudem müssen Voraussetzungen dafür                          5. Ambulante und stationäre Pflege
geschaffen werden, dass die Kontaktauf-                        sind nicht ausreichend auf Krisen-
nahme, Vernetzung und Aktivierung auch                         lagen vorbereitet. Das Pflegesystem
digital ermöglicht wird. Einrichtungen, Ver-                   muss grundlegend reformiert wer-
eine und Initiativen benötigen dafür sowohl                    den.
eine angemessene digitale Ausstattung wie
auch die Kompetenzen zur Nutzung und zur                    Die Corona-Krise hat die bestehenden Män-
Vermittlung der Fähigkeiten an andere. Die                  gel in der Pflege deutlich sichtbar werden
Grundversorgung der Menschen mit Lebens-                    lassen und dem grundlegenden Reform-
mitteln – wie in der Corona-Krise – und die                 bedarf des Systems Nachdruck verliehen. Es
Ermöglichung der sozialen Teilhabe dürfen                   zeigte sich, dass sowohl die häusliche als
nicht abhängig sein von dem zufälligen Vor-                 auch die stationäre Pflege nicht ausreichend
handensein einzelner Projekte oder kreati-                  auf Krisenlagen vorbereitet sind. Die nachfol-
ver Angebote von Engagierten. Im Rahmen                     genden Aspekte und Forderungen sollten da-
einer aktivierenden, auch auf die Potenziale                her zusammen mit den weiteren Beschlüssen
älterer Menschen setzenden kommunalen                       der Konzertierten Aktion Pflege (KAP) zügig
Seniorenpolitik, spielt die Förderung von                   einer Gesetzgebung zugeführt werden.
Engagement, Nachbarschaftshilfe und
Selbsthilfe eine zentrale Rolle. In jeder                   a. Pflegende Angehörige brauchen mehr
Kommune sollte es eine nachhaltig finan-                        Anerkennung und Unterstützung.
zierte, hauptamtlich besetzte Anlaufstelle                  Von 3,4 Millionen Menschen, die in Deutsch-
für die Koordination und Unterstützung bür-                 land auf Pflege angewiesen sind, werden
gerschaftlichen Engagements geben, die die                  2,6 Millionen zu Hause versorgt, die meisten
soziale Teilhabe in jedem Alter sicherstellt                von ihnen allein durch Angehörige. Über-
und auch in Krisenzeiten das Engagement                     wiegend wird diese Arbeit von Frauen über-
koordiniert. Als etablierte Partner bieten                  nommen. Seit Beginn der Corona-Pandemie
sich z. B. örtliche Seniorenbüros, Freiwil-                 sind unter anderem durch die Schließung
ligenagenturen, Mehrgenerationenhäuser,                     der Tages- und Kurzzeitpflegeeinrichtungen
Seniorenvertretungen und -beiräte an.                       und die Ausreise ausländischer Hilfskräfte
                                                            Entlastungsangebote weggefallen. Pflegen-
Eine zentrale Aufgabe der Deutschen Stiftung                de Angehörige waren häufig auf sich allein
für Engagement und Ehrenamt sollte sein,                    gestellt. Erste Studien bestätigen, dass sie
die Kommunen bei dieser Aufgabe zu unter-                   während der Pandemie erheblich belastet
stützen, so dass entsprechende Strukturen                   waren und sich die Pflegesituation in vielen
vor Ort gestärkt oder – wo sie noch ganz                    Fällen verschlechterte.2 Dazu zählt auch die
fehlen – mit einer Anschubfinanzierung                      Zunahme von Konflikten zwischen Pflegebe-
aufgebaut werden können.                                    dürftigen und pflegenden Angehörigen.

2 Vgl. Vincent Horn, Cornelia Schweppe, Häusliche Altenpflege in Zeiten von Corona: Erste Studienergebnisse,
  Johannes Gutenberg Universität 2020: https://www.sozialpaedagogik.fb02.uni-mainz.de/files/2020/07/Studie_
  JGU_H%C3%A4usliche-Pflege-unter-Corona.pdf. Vgl. auch Zentrum für Qualität in der Pflege, Pflegende Angehö-
  rige in der COVID-19 Krise: https://www.zqp.de/wp-content/uploads/ZQP-Analyse-Angeh%C3%B6rigeCOVID19.pdf.     7
BAGSO-Positionspapier                            Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

Die Corona-Pandemie hat noch einmal ge-                   ein absoluter Vorrang vor den Bedürfnissen
zeigt, dass pflegende Angehörige deutlich                 der Betroffenen nach sozialer Nähe, Be-
mehr öffentliche Anerkennung und poli-                    wegungsfreiheit und Selbstbestimmung
tische Unterstützung brauchen. Dringend                   gegeben. Den negativen Auswirkungen der
verbesserungsbedürftig ist die Vereinbarkeit              Isolation auf die Gesundheit der Bewoh-
von Pflege und Beruf. Eckpfeiler muss dabei               nerinnen und Bewohner wurde dabei zu
eine Pflegezeit analog zur Elternzeit sein.               wenig Beachtung geschenkt.
Vor dem Hintergrund der hohen psychosozi-
alen Belastung der pflegenden Angehörigen                 Die Politik hat die Verantwortung dafür,
braucht es in allen Kommunen gut mitein-                  welche Risiken eingegangen werden müs-
ander vernetzte Beratungs- und Unterstüt-                 sen, damit Menschen nicht psychisch krank
zungsangebote, die auch in Notfällen sofort               werden oder gar „an Einsamkeit sterben“,
greifen können (z. B. „Soforthilfe-Teams“).               entweder gar nicht oder nur sehr zögerlich
Diese sollten den Pflegehaushalten auch                   übernommen. Sie hat es stattdessen – lange
kostenfreie hauswirtschaftsnahe Dienst-                   Zeit und zum Teil bis heute – in das Er-
leistungen, z. B. Einkaufshilfen, vermitteln.             messen der Einrichtungsleitungen gestellt,
Ferner ist zu prüfen, inwieweit Flexibilisie-             in welchem Umfang Bewohnerinnen und
rungen in den Leistungen, die während der                 Bewohner Besuche von ihren Angehörigen
Corona-Situation vorgenommen wurden,                      oder zum Beispiel von Ehrenamtlichen emp-
dauerhaft beibehalten werden können. Im                   fangen dürfen. In dieser Situation haben
Falle einer Epidemie sind künftig alle Pfle-              sich viele Verantwortliche – auch eine mög-
gehaushalte schnellstmöglich mit ausrei-                  liche strafrechtliche Haftung vor Augen – für
chend Schutzmaterial zu versorgen.                        einen rigiden Infektionsschutz und gegen
                                                          die Freiheitsrechte der Bewohnerinnen und
b. Grundrechte müssen auch in Krisen-                     Bewohner entschieden. Auch wenn in vielen
    zeiten gewahrt werden.                                Einrichtungen die Mitarbeitenden vieles
Die Ausgangs- und Besuchsbeschränkungen                   möglich gemacht haben, hat dies für einen
in Pflegeheimen waren und sind erhebliche                 Großteil der Betroffenen und deren Ange-
Eingriffe in die Grundrechte der Betroffenen.             hörige über Wochen und Monate zu einer
Nicht immer gab und gibt es dafür eine hin-               unhaltbaren und die Gesundheit beein-
reichende Rechtsgrundlage.3 Darüber hinaus                trächtigenden Situation geführt. Eine Betei-
waren in einigen Einrichtungen zeitweise                  ligung der Bewohnerinnen und Bewohner,
Kontakte zwischen den Bewohnerinnen und                   deren Angehörigen sowie der Heimbeiräte
Bewohnern und der Aufenthalt außerhalb                    an solchen für die Lebensqualität elementa-
des eigenen Zimmers verboten. Dem Infek-                  ren Entscheidungen fand in den seltensten
tionsschutz wurde auch nach einem deut-                   Fällen statt.
lichen Rückgang der Infektionszahlen häufig

3 Vgl. Friedhelm Hufen, Verfassungsrechtliche Grenzen der Isolation von Bewohnern in Alten- und Pflegeeinrich-
  tungen, Gesundheit und Pflege (GuP) 2020, S. 93 ff.

                                                                                                                 8
BAGSO-Positionspapier                    Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

Um für die Zukunft ein verhältnismäßiges         nen und Bewohner kognitive Schwächen bis
Vorgehen sicherzustellen, ist dringend zu        hin zur Demenz entwickeln. Ihnen war und
klären, inwieweit Ausgangs- und Besuchs-         ist in der Pandemie nur sehr bedingt oder
beschränkungen in Pflegeheimen zulässig          gar nicht zu vermitteln, weshalb Schutz-
sind und wer darüber entscheiden darf. Da-       maßnahmen nötig sind, von körperlicher
rüber hinaus ist wichtig, dass Bewohnerin-       Distanz bis hin zu freiwilliger Quarantäne.
nen und Bewohner über ihre Vertretungen          Insbesondere diese Gruppe braucht auch in
in die konkrete Umsetzung der rechtlichen        normalen Zeiten in den Pflegeeinrichtungen
Vorgaben vor Ort einbezogen werden.              besondere Beachtung und Betreuung. Dazu
                                                 zählen Angebote für kulturelle und soziale
c. Die Situation in der stationären Pflege       Teilhabe, die eine angemessene personelle
   muss den Bedürfnissen der Bewohne-            Ausstattung erfordern.
   rinnen und Bewohner gerecht werden.
Die Erfahrungen in stationären Einrichtun-       Internationale und nationale Erfahrungen
gen während der Corona-Krise erfordern es,       zeigen, dass alternative Wohn- und Ver-
Versorgungskonzepte weiterzuentwickeln           sorgungsformen wie betreutes Wohnen und
und vielfältigere Wohnformen zu fördern.         innovative Versorgungsmodelle zum Beispiel
                                                 auf einem Bauernhof geeignet sein können,
Die meisten älteren Menschen wünschen            das Zusammenleben älterer und pflegebe-
sich, auch bei Pflegebedürftigkeit in ihren      dürftiger Menschen mit unterschiedlichen
Sozialraum eingebunden leben zu können.          Unterstützungsbedarfen zu ermöglichen. Die
Viele Pflegeheime haben sich in den letzten      Corona-Krise regt dazu an, verstärkt über die
Jahren bereits ins Quartier geöffnet und ko-     Förderung solcher integrativer und klein-
operieren mit lokalen Institutionen. In der      teiliger Wohnformen nachzudenken. Ziel
Corona-Krise entwickelten sich daraus an         muss sein, individuellen Bedürfnissen im
einigen Orten unterstützende Aktionen. Um        Alter und in der Pflegebedürftigkeit besser
die Öffnung der Pflegeheime zum Sozial-          zu entsprechen, das Miteinander zu fördern
raum hin zu fördern, sollte die Einbettung       und so die Lebensqualität zu erhöhen.
von Pflegeheimen in kommunale Strukturen
eine gesetzliche Zielvorgabe für Betreiber       d. Die Arbeitsbedingungen in der profes-
von Einrichtungen der Altenpflege werden.            sionellen Pflege müssen endlich besser
                                                     werden.
Mit der Corona-Pandemie wurde in Alten-          Die Corona-Krise hat einmal mehr gezeigt,
pflegeheimen eine Entwicklung deutlicher,        dass eine gute pflegerische Versorgung
die seit einigen Jahren erkennbar Bedeu-         nur mit ausreichendem und qualifiziertem
tung gewinnt: Pflegebedürftige kommen            Pflegepersonal gewährleistet werden kann.
immer öfter erst in eine stationäre Einrich-     Bereits in normalen Zeiten ist die Arbeitsbe-
tung, wenn ein erhöhter Pflegebedarf er-         lastung in der Pflege sehr hoch. In der Coro-
reicht ist. Das fordert die Pflegekräfte be-     na-Zeit war die Belastung durch die not-
sonders intensiv. Das gilt umso mehr, wenn       wendigen Schutzmaßnahmen noch höher.
die schwer pflegebedürftigen Bewohnerin-         Aufgrund der Ansteckungsgefahren arbeiten

                                                                                                 9
BAGSO-Positionspapier                     Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

sie zudem unter einem hohen psychischen           schen allein sterben mussten, weil Angehö-
Druck. Die Leistungen, die während der            rigen der Besuch im Krankenhaus oder im
Corona-Krise von den Mitarbeiterinnen und         Pflegeheim verweigert wurde. Auch eine eh-
Mitarbeitern in der Pflege erbracht wurden,       renamtliche Sterbebegleitung durch Hospiz-
können nicht hoch genug gewürdigt wer-            dienste und der Kontakt zu Seelsorgerinnen
den.                                              und Seelsorgern waren an vielen Orten nicht
                                                  möglich. Menschen blieben dadurch in einer
„Arbeiten am Limit“ darf nicht der Regel-         Phase allein, in der sie in besonderer Weise
fall sein. Neben mehr Pflegekräften braucht       auf Schutz und Begleitung angewiesen sind.
es angemessene Arbeitsbedingungen, um
den Pflegeberuf attraktiver zu machen.            Um einer solchen Situation künftig vorzu-
Wichtig sind u.a. die Einführung flexibler        beugen, müssen Pflegeheime und Kranken-
Arbeitszeitmodelle und bedarfsorientierter        häuser – wo dies noch nicht geschehen ist
Personalschlüssel, eine Organisations- und        – eine Kultur des Sterbens und Abschied-
Personalentwicklung (z. B. neue Aufgaben-         nehmens entwickeln. Dazu gehören an-
verteilung zwischen Ärztinnen und Ärzten,         gemessene räumliche und personelle Rah-
Pflegefach- und Pflegehilfskräften) sowie         menbedingungen für ein Sterben in Würde.
eine digitale Ausstattung, vor allem mit          Für die Einweisung in ein Krankenhaus in
bereits verfügbaren assistiven Technologien.      den letzten Lebenstagen ist der Patienten-
Solche Verbesserungen können wesentlich           wille entscheidend. Ziel muss stets sein,
dazu beitragen, eine personelle Kontinuität       dass Menschen dort sterben können, wo sie
in allen Versorgungsformen sicherzustellen.       ihren Vorstellungen entsprechend adäquat
                                                  versorgt und begleitet werden.
Einmalige Bonuszahlungen wie während der
Pandemie reichen nicht aus, um die profes-        Aufgrund der gestiegenen Zahl von Be-
sionelle Pflegearbeit finanziell anzuerken-       wohnerinnen und Bewohnern mit hohem
nen. Es gilt stattdessen, angemessene Löhne       Pflegebedarf und kurzer verbleibender
auf der Grundlage verbindlicher Tarifverträge     Lebenserwartung müssen Pflegeheime im
zu zahlen, ohne dass die Eigenanteile der         Aufbau von Strukturen unterstützt werden,
Pflegebedürftigen weiter ansteigen. Eine          die eine intensive, auf den Erfahrungen der
nachhaltige Reform der Pflegeversicherung         Hospizbewegung beruhende Begleitung am
ist deshalb dringend erforderlich.                Lebensende ermöglichen. Diese muss als
                                                  Bestandteil des Versorgungs- und Betreu-
6. Ein würdevolles Sterben muss in al-            ungsauftrags von Pflegeeinrichtungen ver-
   len Versorgungsstrukturen möglich              ankert werden.
   sein, auch in Zeiten einer Epidemie.
                                                  Die palliativmedizinische und -pflegerische
Die Krise hat verdeutlicht, wie wenig unser       Versorgung muss dringend flächendeckend
Gesundheits- und Pflegesystem auf ein             ausgebaut werden, um die Lebensquali-
würdevolles Sterben ausgerichtet ist. Am          tät und Selbstbestimmung der Menschen
offensichtlichsten wurde dies dort, wo Men-       in ihrer letzten Lebensphase zu verbessern.

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BAGSO-Positionspapier                     Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

Dazu gehört, dass der Anspruch auf Spe-           Der Zugang zum Internet und zu internet-
zialisierte Ambulante Palliativversorgung         basierten Diensten gehört mittlerweile zu
(SAPV) in allen Bundesländern einheitlich         den unverzichtbaren Bestandteilen einer
umgesetzt werden muss. Hospiz- und Pal-           öffentlichen Daseinsvorsorge. Das hat auch
liativkräfte müssen über das bisherige Maß        die Expertenkommission des Achten Alters-
hinaus in stationären Einrichtungen und           berichtes festgestellt. Die BAGSO fordert des-
ambulant in der eigenen Häuslichkeit zur          halb eine digitale Grundversorgung in allen
Begleitung Sterbender eingesetzt werden.          Wohnformen älterer Menschen, auch in
Durch eine stärkere Vernetzung der Akteure        Pflegeeinrichtungen. Notwendig sind neben
können Versorgungsengpässe in Krisenzeiten        dem flächendeckenden Breitbandausbau
dann besser bewältigt werden.                     die Bereitstellung von Internetanschlüssen,
                                                  die Ausstattung einkommensschwacher Per-
7. Der Zugang zum Internet ist Teil               sonen mit Geräten und Zugang zu Lernge-
   der öffentlichen Daseinsvorsorge.              legenheiten und Ansprechpartnern. Zudem
   Deutschland benötigt einen                     muss digitaler Kompetenzerwerb wesentlich
   „Digitalpakt Alter“.                           stärker als bisher gefördert werden, ebenso
                                                  Medienkompetenz, die notwendig ist, um
Wer Zugang zur digitalen Welt hat und sich        die Verlässlichkeit von Informationen ein-
darin kompetent bewegen kann, hatte auch          schätzen zu können. Niedrigschwellige Lern-
während der Corona-Pandemie mehr Mög-             und Übungsangebote für ältere Menschen
lichkeiten, Kontakte aufrecht zu erhalten,        müssen flächendeckend bereitgestellt wer-
Dinge des täglichen Bedarfs zu besorgen,          den. Initiativen von freiwillig engagierten
gut informiert zu bleiben und zu Hause für        Internethelferinnen und -helfern benötigen
Abwechslung zu sorgen. Neun Millionen             einen verlässlichen Rahmen. Erfahrungs-
ältere „Offliner“ sind von diesen Chancen         und Erprobungsräume für neue Technolo-
der Digitalisierung ausgeschlossen. Zu ihnen      gien sind in allen Kommunen einzurichten.
gehören überproportional Hochaltrige, Frau-       Dies sollte Teil einer umfassenden Bildungs-
en, Alleinlebende, Personen mit geringem          strategie in einem „Digitalpakt Alter“ –
Einkommen, geringer formaler Bildung oder         analog zum „DigitalPakt Schule“ – sein.
mit Migrationshintergrund.
                                                  Technikerwerb darf dabei kein Selbstzweck
Der Einstieg in digitale Medien aus Anlass        sein, sondern muss dazu dienen, Lebens-
der Krise hat sich für Anfänger häufig als zu     qualität im Alter zu verbessern. Auch in
schwierig erwiesen. Zudem waren Lernmög-          Krisenzeiten darf Teilhabe am gesellschaft-
lichkeiten in Volkshochschulen, Mehrgene-         lichen Leben nicht vom Zugang zu digitalen
rationenhäusern, Begegnungsstätten und            Medien abhängen.
Bibliotheken, die älteren Menschen Technik-
und Medienkompetenz vermitteln, während
der strengen Kontaktbeschränkungen weg-
gefallen.

                                                                                                   11
BAGSO-Positionspapier                     Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

8. Alte Menschen brauchen keine Be-               Politik, Medien und Zivilgesellschaft sind
   vormundung. Ihre Stimme und ihr                gefordert, gerade in Krisenzeiten die vielfäl-
   Engagement sind unverzichtbar.                 tigen Lebenslagen älterer Menschen ebenso
                                                  wie ihre Diversität zu sehen und in der öf-
Im Zuge der Corona-Krise wurden ältere            fentlichen Diskussion zu transportieren. Äl-
Menschen in der öffentlichen Diskussion           tere Menschen haben das Recht, nicht allein
häufig pauschal zur „Risikogruppe“ erklärt        aufgrund des Lebensalters einer vermeint-
oder zur freiwilligen Selbstisolation ange-       lich homogenen Gruppe zugeschrieben zu
halten. Die Diskussion war von Paternalis-        werden. Auch in Krisensituationen ist das
mus geprägt, die Einschätzung der Älteren         Recht auf Selbstbestimmtheit und Selbstver-
kaum gefragt. Alter wurde einseitig mit           antwortung älterer Menschen zu respektie-
Vorstellungen von Schutz- und Hilfebedürf-        ren. Dazu zählt auch, nicht ausschließlich
tigkeit, mit Verletzlichkeit und Gebrechlich-     über ältere Menschen zu reden, sondern
keit verbunden. Dies führte zu einer Stig-        sie selbst zu Wort kommen zu lassen. Ihre
matisierung, die von vielen Älteren zu Recht      Mitsprache und ihr Engagement sind un-
als diskriminierend und bevormundend              verzichtbar für den Erhalt einer lebendigen
empfunden wurde. Dabei wurde übersehen,           Bürgergesellschaft.
dass die Älteren solchen Krisensituationen
aufgrund ihrer Lebenserfahrung psychisch          9. Der rechtliche Schutz älterer Men-
häufig sehr gut gewachsen sind.                      schen muss verbessert werden.

Manche jüngere Menschen dagegen fühl-             Insbesondere in der ersten Phase der Co-
ten sich – in der gefährlichen Annahme,           rona-Pandemie wurden Grundrechte in
dass sie selbst nicht durch einen schweren        einer Weise eingeschränkt, wie es dies in
Krankheitsverlauf gefährdet seien – als           der Bundesrepublik Deutschland zuvor nicht
Leidtragende der Beschränkungen, die von          gegeben hat. Entscheidungen wie beispiels-
den politisch Verantwortlichen vermeintlich       weise die Besuchsverbote in Pflegeeinrich-
zum Schutz nur der Älteren verfügt wurden.        tungen dürfen in Zukunft nicht allein von
Nicht zuletzt durch teils unreflektierte Kom-     der Exekutive oder gar von privaten Trägern
munikation von Politik und Medien speziell        getroffen werden. Es braucht auch in Kri-
zu Beginn der Pandemie wurde so auch das          senzeiten Mechanismen, die eine öffentliche
Verhältnis zwischen den Generationen be-          Kontrolle und eine parlamentarische Ent-
lastet.                                           scheidung solcher Fragen sicherstellen.

Undifferenzierte Bilder vom Alter und von         Die Diskussionen um eine Verteilung knap-
älteren Menschen sind diskriminierend und         per medizinischer Ressourcen („Triage“)
wirken sich negativ auf das Selbstbild aus.       haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, die
Sie gefährden den Zusammenhalt der Ge-            Menschenrechte Älterer klarzustellen und
sellschaft und erschweren das dringend be-        zu stärken. Vor allem als Auslegungsmaß-
nötigte Engagement der Älteren.                   stab für Gesetze und Verordnungen hält die
                                                  BAGSO es für wichtig, dass Art. 3 Grundge-

                                                                                                   12
BAGSO-Positionspapier                           Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

setz um das Merkmal „Lebensalter“ ergänzt                Nachhaltigkeit setzt. Solche Entwicklungen
wird. Dies kommt jungen und alten Men-                   fordern uns daher dringender denn je dazu
schen zugute.                                            auf, das ökologische, soziale und ökonomi-
                                                         sche Gefüge zu reflektieren und im Dialog
Auch wenn der überwiegende Teil älterer                  der Generationen neu auszuhandeln.
Menschen nicht hilfe- und pflegebedürf-
tig ist, gibt es Lebensphasen, in denen der              Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030,
Anspruch auf staatlichen Schutz wichtiger                die 2015 von den Vereinen Nationen verab-
wird. Die aktuelle Krise hat erneut deut-                schiedet worden sind, bieten einen passen-
lich gemacht, dass es auch im Bereich des                den Aktionsrahmen. Die BAGSO bekennt sich
Erwachsenenschutzes präventiv wirkende                   zu den globalen Zielen und engagiert sich
Mechanismen geben muss, wie sie sich im                  im Dialog der Generationen für eine zu-
Kinder- und Jugendschutz bewährt haben.                  kunftsfähige Welt.
Es braucht regelmäßige Kontrollen sowohl in
Pflegeheimen als auch in der Häuslichkeit,               Die radikalen Veränderungen, die die Pan-
und bei Verdachtsfällen behördliche und                  demie hervorgebracht hat, bergen auch
gerichtliche Eingriffsbefugnisse.                        Chancen einer Besinnung und Neuorien-
                                                         tierung. Sie dürfen nicht durch die Rück-
Um weltweit einen besseren Schutz der                    kehr zu alten, überholten Routinen verspielt
Menschenrechte Älterer zu erreichen, unter-              werden, die langfristig zu weiteren Krisen
stützt die BAGSO die Entwicklung einer UN-               führen können. Die Corona-Pandemie hat
Altenrechtskonvention als rechtlich binden-              uns gezeigt, dass man auf manche Dinge
des Instrument.4                                         verzichten kann.

10. Deutschland muss zum Vorreiter in                    Hier sind alle – Jung und Alt – gefragt. Auch
    Sachen nachhaltiger Entwicklung                      Seniorinnen und Senioren fühlen sich mit-
    werden, um zukünftigen Krisen                        verantwortlich dafür, dass nachfolgende
    vorzubeugen. Alle Generationen                       Generationen eine Welt mit guten Lebens-
    sind gefordert, ihren Beitrag zu                     bedingungen vorfinden. Deshalb schließen
    leisten.                                             sich viele den Forderungen der jüngeren
                                                         Generationen für die Einhaltung des Pariser
Globale Entwicklungen bestimmen unseren                  Klimaabkommens an. Aufgerufen ist ins-
Alltag, unser Handeln und unsere Lebens-                 besondere auch die Politik: Deutschland hat
bedingungen stärker als jemals zuvor. Die                eine globale Verantwortung, zur Sicherstel-
Corona-Pandemie ist möglicherweise auch                  lung einer nachhaltigen Zukunft des Plane-
das Ergebnis eines Handelns, das nicht auf               ten beizutragen. Vorhandene Aktionspläne

4 In einer Videobotschaft wies UN-Generalsekretär Antonio Guterres am 1. Mai 2020 auf die Gefahr von Men-
  schenrechtsverletzungen gegenüber älteren Menschen im Zuge der Corona-Krise hin: https://www.youtube.
  com/watch?v=GDEchni3k5s&feature=youtu.be.

                                                                                                            13
BAGSO-Positionspapier                   Lebensbedingungen älterer Menschen verbessern

müssen umgesetzt und immer wieder über-
prüft werden, insbesondere auch darauf-
hin, inwiefern die Belange älterer Menschen
berücksichtigt werden.

Die Schließung der Grenzen in Europa und
der Fokus auf nationale Interessen zu Be-
ginn der Corona-Pandemie hat vor Augen
geführt, wie bedeutsam und gleichzeitig
zerbrechlich das Bündnis der Europäischen
Union und auch die globalen Zusammen-
schlüsse wie die Vereinten Nationen sind.
Zugleich wurde deutlich, dass Staaten Kri-
sen nicht allein lösen können und wir uns
verstärkt für ein vereintes Europa und eine
solidarische Welt einsetzen müssen. Die
heute Älteren wissen um den Wert von Frie-
den und Völkerverständigung. Sie müssen
dieses Wissen an die jüngeren Generationen
weitergeben.
                                                                                Herausgeber
Schlussbemerkung                                    BAGSO
                                                    Bundesarbeitsgemeinschaft
Wir haben die wichtigen Erfahrungen dieses          der Seniorenorganisationen e. V.
Jahres gesammelt und dabei sachkundige
Hinweise unserer Mitgliedsverbände ge-
                                                    Noeggerathstr. 49
nutzt. Die Wirkungen der Pandemie haben
                                                    53111 Bonn
zu schwerwiegenden Konsequenzen geführt
                                                    Telefon 0228 / 24 99 93-0
und müssen nun Folgen haben. Besserungs-
                                                    Fax 0228 / 24 99 93-20
vorschläge sind keine Zumutung, sondern
                                                    kontakt@bagso.de
unverzichtbar. Die besten Pandemie-Vorsor-
                                                    www.bagso.de
gemaßnahmen werden Katastrophen nicht
verhindern, wenn nicht in pandemiefreien
Zeiten – die hoffentlich bald wieder Nor-           Die BAGSO vertritt über ihre 120 Mit-
malität sind – strukturelle Missstände ab-          gliedsorganisationen viele Millionen
gestellt werden, die sonst im Notfall nicht         ältere Menschen in Deutschland.
befriedigend beherrschbar sind.

17. September 2020

                                                                                              14
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