Jörn Steigerwald (Gießen) Tom Holert: Künstlerwissen. Studien zur Semantik künstlerischer Kompetenz im Frankreich des 18. Und frühen 19 ...

 
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                        Jörn Steigerwald (Gießen)
Tom Holert: Künstlerwissen. Studien zur Semantik künstlerischer
Kompetenz im Frankreich des 18. Und frühen 19. Jahrhunderts.1

Mit seiner 1995 bei Klaus Herding        wird hier verstanden als inkorporier-
in Frankfurt/Main eingereichten Dis-     tes Soziales, als die in Dispositionen
sertation Künstlerwissen beschreitet     Leib gewordene Geschichte, die zu
Tom Holert auf gelungene Weise           der in Gestalt der Institution Ding
Neuland in der Kunstgeschichte.          gewordenen Geschichte in Relation
Nicht die Interpretation einzelner       steht. Das »literarische' bzw. das
Kunstwerke oder die Rekonstruktion       »künstlerische Feld' ist eine Logik
ästhetischer Positionen steht im Mit-    eigener Ordnung, innerhalb der es
telpunkt, sondern das Wissen, das        feldinterne Kämpfe um die jeweilige
zur Kommunikation zwischen und           Legitimität gibt, während eine Rela-
über den Künstler bzw. das von ihm       tion von Abstoßung und Anziehung
produzierte Werk dient. Die zentra-      zum ökonomischen Feld mit dessen
len Fragen seiner Studie lauten da-      Regeln das Feld von Außen be-
her: „Welche Fähigkeiten und Talen-      stimmt.
te qualifizieren eine Person zum            Damit ist bereits der Aufbau der
Künstler? Wie haben sich im Laufe        Arbeit und der untersuchte Bereich
der Geschichte die Kriterien und         aufgezeigt. Sie gliedert sich in drei
Standards verändert, mit denen eine      einander bedingende Teile die durch
spezifisch „künstlerische4' Qualifika-   den „gelehrten Künstler", das „Wis-
tion festgestellt wird?" (S. 7). Um      sen über Kunst im Wörterbuch" und
dies zu beantworten, macht Holert        ein Beispiel der künstlerischen Pra-
das Bourdieusche Konzept des li-         xis, vorgestellt an Anne-Louis Giro-
terarischen Feldes'2 für die bilden-     dets Une scene de deluge benannt
den Künste fruchtbar. Die zentrale       sind. Um ein homogenes Ganzes zu
Kategorie für seine eigene Untersu-      erreichen, das sowohl für eine pro-
chung ist die des ,Habitus'; ein Be-     duktive Lesbarkeit als auch eine
griff den Bourdieu seinerseits von       sinnfällige zeitliche wie inhaltliche
Panofsky übernommen hat, und der         Konzeption steht, beschränkt sich
nun rücküberführt wird. ,Habitus'        Holert auf das Feld der bildenden
1
    München: Fink 1998
2
    Pierre Bourdieu. Le champs htteraire. In: Actes de la recherche en sciences socia-
    les. (9), September, 1991, S. 4-46. Vgl. dazu auch Joseph Jurt: Das literarische
    Feld. Das Konzept Pierre Bourdieus in Theorie und Praxis. Darmstadt: WB 1995
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Künste im 18. Jahrhundert mit einem      zeigen letztere den Ort und die Gren-
Überhang im 19. Jahrhundert bis De-      zen historischen Wissens an, die für
lacroix. Genauer gesagt ist der Un-      ein Kunstwerk von Bedeutung bzw.
tersuchungsgegenstand die institutio-    von Notwendigkeit sind. Die auf die-
nelle Gestaltung des Wissens durch       ser Problematik aufbauende Ent-
die Akademien und die neu auftre-        wicklung des Künstlerwissens wird
tenden Wissensorganisationen wie         durch das 18. Jahrhundert verfolgt
die Encyclopedie, während als Refe-      und an prägnanten Beispielen die un-
renzpunkt vorzugsweise die Histori-      terschiedlichen Reaktionsmechanis-
enmalerei und die Bildhauerei dient.     men der Künstler vorgestellt.
   Im ersten Kapitel „Der gelehrte          Anhand des Bildhauers Falconet,
Künstler zwischen Pedanterie und         der sich durch seine mehrfache Op-
Philosophie'4 wird die durch das Auf-    position zu den Kunstkritikern wie
treten des Kunstkritikers hervorgeru-    den Antiquari, als Non-Konformist
fene Frage behandelt, wieviel ein        etabliert wird das Problem der Rele-
Künstler über seine eigene Kunst         vanz des Wissens für den Künstler
wissen bzw. wieviel Wissen davon er      aufgezeigt. Seine Position ist histo-
in seinen Werken zeigen darf. Da-        risch einerseits als Fortführung der
durch, daß der Künstler seit dem 18.     Forderungen der modernes innerhalb
Jahrhundert ein literarisches Pendant    der querelle und andererseits durch
hat, das im sich ausdifferenzierenden    seine Nähe zu den philosophes be-
Kunstsystem nicht mehr die Rolle         stimmt, deren relativierende Sicht-
des Biographen übernimmt, wie dies       weise er für sich reklamiert. Dies
exemplarisch bei Vasari der Fall ist,    hindert ihn aber nicht eben diesen
sondern die des Kritikers und Ratge-     die angemessene Betrachtungsweise
bers, erscheint seine literarische Am-   von Kunstwerken abzusprechen, da
bition als illegitim, da sie von ande-   die Spezifität desselben nur vom
rer Seite schon aufgenommen und          praktizierenden Künstler erkannt
besser vollbracht wurde. Anhand der      werden kann. So macht er „die Rele-
Semantik von ,erudit' und ,savant4       vanz kunsttheoretischer Aussagen
wird diese Problematik des Künst-        von ihrem Erfahrungsgehalt abhän-
lers augenfällig gemacht: der gelehr-    gig" und -wichtiger - „schirmt das
te Pedant steht im Gegensatz zum         Kunstsystem gegen Umwelteinflüsse
Mann von Welt, der dem Ideal der         ab" (S. 64). Diese Extremposition
hönnetete folgt. Ziel war zunächst       blieb aber nicht unbeantwortet; so
die Verfügbarmachung des gelehrten       verweist z. B. Diderot Falconet auf
Wissens, das in erträglichem Maße        das Gebiet der Praxis als geeignete
angewandt, den Ausschweifungen           Überbietungsmöglichkeit des An-
der Fantasie, als auch dem Pedantis-     tiquars und entzieht ihm zugleich die
mus entgegenstehen sollte. Aber          Auseinandersetzung auf der Ebene
nicht nur durch die Kunstkritiker,       des theoretisch-gelehrsamen. Die
auch durch die Antiquari sieht sich      Selbstbeschneidung auf den rein
der Künstler in seiner Funktion als      praktischen Nutzen für die eigene
Wissensträger bzw. -produzent be-        Produktion läßt hingegen Dandre-
schnitten; stehen erstere seinen li-     Brandons Costume des anciens peu-
terarischen Ambitionen entgegen, so      ples erkennen. In diesem speziell für
Buchbesprechungen                           267

Künstler geschriebenen Manuals an-       Wissen über Kunst im Wörterbuch
tiquarischer Dinge liegt der Schwer-    die Festlegung des Künstlerwissens
punkt nicht auf dem Inhalt, der         durch die Sprachregelung aufgezeigt.
nichts Neues bietet, sondern auf der    Auf dem allgemeinen Hintergrund
neuartigen Darstellungsform: „die       der Zunahme des Kunstwissens in
Historie [war] zur visuellen Lehrmit-   Produktion und Rezeption wird des-
telsammlung für Künstler kompakt        sen innere Logik im Wörterbuch mit
aufbereitet" (S. 79). Durch diese Art   der lexikologischen Besonderheit be-
der Präsentation, die genuin künstle-   trachtet, um die darin liegende „De-
risch ist, wird eine Opposition zur     finitionsmacht" (Holert) aufzuzei-
Büchergelehrsamkeit aufgebaut, von      gen. Der Bedarf nach einer
der sie sich im Zeichen der Genia-      künstlerischen Fachsprache wurde
lität4 und des ,Enthousiasmus' ab-      aber nicht als allgemeingültig ange-
hebt. Im Problemfeld von „wahrer        sehen, sondern häufig für fragwürdi-
Universalität und falschem Enzyklo-     ges Blendwerk falscher Spezialisie-
pädismus" (S. 91) kommt es einer-       rung gehalten. Ausgehend von
seits zu Spezialisierungen, die der     Felibiens Zweiteilung von traite und
Ausdifferenzierung im Kunstsystem       dictionnaire als differente Arten der
entsprechen und andererseits zur Er-    Wissensvermittlung wird die Ord-
findung eines neuen Ideal, das unter    nung und die Logik der Wissensprä-
der vermeintlichen Schirmherrschaft     sentation von der Encyclopedie über
Poussins stehende Modell des peint-     das dictionnaire des arts von Watelet
re philosoph. Daß diese Modell mit      und Levesque bis zu Millins dic-
der historischen Realität des Malers    tionnaire des beaux-arts und dem
Poussin nicht ganz übereinkommt         akademischen Wörterbuch verfolgt.
wird dabei gerne hingenommen, da        Zwei Sachverhalte fokusiert Holert
damit ein letztes Mal die klassische    dafür: das Problem der Etablierung
Tradition der Zusammenkunft von         von Kunst als Disziplin und der
Kunst und Philosophie proklamiert       künstlerischen Sprache als Fachspra-
werden konnte. Doch geschah dies        che sowie das Problem der Homony-
sowohl bei Poussin, als auch bei de-    ma und Synonyma, die einer Eindeu-
nen, die sich auf ihn beriefen wie      tigkeit der Termini im Gebrauch
David, im Zeichen der Produktion        entgegensteht. Dabei wird auffällig,
von Kunst. Daß dies nicht unbedingt     daß diese Probleme nicht im Rah-
der Fall sein mußte, zeigt Holert an-   men der Encyclopedie selbst gelöst
hand der Gruppe der meditateurs,        werden kann, wie dies bereits Wate-
die mit ihrer „entmaterialisierten      let - der selber Beiträger ist - fest-
theoretischen Praxis" (S. 120) die      stellt, sondern nur außerhalb dieses
Postulate Falconets und Davids um-      Rahmens gelöst werden kann. Der
kehren, ohne sich deswegen in die       wichtige Schritt zur Etablierung fin-
Gelehrsamkeit zurückzuziehen.           det sich in Millins „archaeographi-
   Galt der erste Teil dem Rollenver-   scher Dictionnaire" (S. 180) in der
ständnis des Künstlers, d. h. seinem    literarisches, mythologisches, histo-
Verhältnis zur Organisation des Wis-    risches, archäologisches und konser-
sens und zur Hierarchie der Gattun-     vatorisches Wissen zusammenläuft.
                                        Die Bedürfnisse nach sachlicher In-
gen, so wird im zweiten Teil Das
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formation und sprachlicher Kompe-        de die darauf aufbauende Diskussion
tenz, die durch die Autoren, Heraus-     um die Kompetenz und das Wissen
geber und Verleger erst geweckt wor-     des Malers bzw. seines Gemäldes
den sind, haben nun in der neu           werden aufgezeigt, um es als ein
geschaffenen Disziplin der Kunstge-      Produkt der Aufhebung seiner eige-
schichte ihren eigenen festen Sitz.      nen Gesetzmäßigkeiten zu beschrei-
Daß die freiberuflich tätigen Autoren    ben. Doch ist es nur ein Zeichen des
aber manchmal - zwangsweise -            Übergangs, wie die Reaktionen De-
produktiver sind, als staatlich beauf-   lacroixs sichtbar machen, für den
tragte und bezahlte Verwalter des        Girodets Wissen als intellektueller
Wissens, macht der lange Prozeß des      Maler nur noch dubios erscheint.
Scheiterns des akademischen Wör-            Zusammenfassend läßt sich sagen,
terbuchs deutlich, die in über einhun-   daß Tom Holert mit dieser Arbeit
dert Jahre gerade sechs Bände, nach      nicht nur Neuland betritt, sondern
mehrmaligen Konzeptionswechsel,          auf glänzende Weise auch ein neues
zustande brachten.                       Forschungsgebiet aufzeichnet, das
   Der letzte Teil untersucht anhand     nicht nur für den Wissenssoziologen
von Girodets Gemälde Une scene de        und - historiker von Interesse ist,
deluge die künstlerische Praxis als      sondern auch für den Literaturhisto-
Schnittpunkt der Geschichte der Po-      riker anregend sein kann. Dabei
sitionen und der Geschichte der Dis-     kommt der Studie zugute, daß sie
positionen. Zugleich findet sich mit     Detailgenauigkeit mit einem interes-
Girodet ein bewußter Endpunkt des        santen - und in Deutschland wenig
Künstlerwissens, wie es sich im 18.      beachteten - soziologischen Konzept
Jahrhundert entwickelt hat, da von       verbindet. Hervorhebenswert ist
und durch ihn alle Konventionen          auch die sehr gute Lesbarkeit der
und Kommunikationstopoi außer            Untersuchung, die angenehmerweise
Kraft gesetzt wird. Wurde von David      auf eine Überfrachtung mit (über-
eine elaborierte naivite proklamiert,    flüssigen) Fachtermini verzichtet.
ein produktives Nichtwissen, das            Daher soll statt einer beckmesseri-
den wahren Künstler auszeichnet          schen Kritik die Konzeption aufge-
und ihn zum peintre philosophe           nommen und verschiedene Momente
macht, so setzt dem sein Schüler         benannt werden, auf die aufbauend
Girodet ein vollkommen neues Kon-        weitergegangen werden könnte. Ge-
zept entgegen, das nicht auf dem         rade das Beispiel Girodets könnte
was der Darstellung, sondern dem         sinnfällig machen, wie das bis 1800
wie der Herstellung seinen Schwer-       geltende Prinzip der Relation von
punkt liegt. Bei ihm wird der            Imitatio und Aemulatio in der Nach-
menschliche Körper als expressives       ahmungsästhetik und ihrer Theorien
Medium von Leiden und Leiden-            aufgebrochen, und durch eine neue
schaft und zur Probe aufs Exempel        Form der Intertextualität ersetzt
von Wissen und Wissenschaft. Aber        wird.3 Ein Vergleich mit dem Ram-
nicht allein das Bild, auch und gera-    dohr-Streit um den Tetschner Altar
3
    Vgl. dazu den Artikel von Barbara Bauer: Aemulatio. In: Historisches Wörterbuch
    der Rhetorik Hg. v. GertUeding. Tübingen 1992, Bd. 1, S. 141-187. Siehe beson-
Buchbesprechungen                            269

wäre dafür sicherlich ergiebig, da so   den behandelten Zeitraum zentral
das Kommunikationsproblem präzi-        wäre.7 Auch könnte man das Fou-
ser gefaßt würde. Auch die damit        caultsche Diskurssystem auf mehrfa-
einhergehende Aufwertung des            che Weise fruchtbar machen, da man
Kunstenthousiasmus, der über die        so einerseits weitere Gattungen mit
Admiratio hinausgeht und nach einer     ihren jeweiligen Wissenshorizonten
eigenen Semantik sucht könnte dar-      und hegemonialen Ansprüchen ein-
auf aufbauend untersucht werden.4       bauen könnte, wie dies z. B. anhand
Hinzu kommt die ab dem 18. Jahr-        der Landschaftsmalerei geschehen
hundert differenzierte Beschrei-        könnte und andererseits das Wider-
bungskunst, die Ekphrasis, die sich     spiel von Klassizismus und Roman-
in eine wissenschaftliche und eine      tik als miteinander verbundene Defi-
narrative Kunstbeschreibung aufspal-    nitionsmächte aufgezeigt werden
tet, die auf dem Hintergrund der Pro-   könnte.
blematik um das Künstlerwissen ge-         Abschließend kann nur noch ein-
nauer gefaßt werden kann.5 In           mal betont werden, daß es sich bei
Erweiterung zur Konzeption Holerts      der Studie Tom Holerts um eine
könnte die epistemologische Aus-        äußert gelungene Arbeit handelt, de-
richtung stärker nutzbar gemacht        ren Vorzug nicht zuletzt darin liegt,
werden, die gerade für den Übergang     daß sie zum weiterdenken anregt und
von der episteme der Repräsentation     viele offene Fragen aufwirft, ohne
zur episteme des Menschen von Be-       die eigene Homogenität zu gefähr-
deutung ist.6 Damit verbunden wäre      den: Man kann ihr nur möglichst
die Frage nach der Kontinuität oder     viele Leser wünschen.
Diskontinuität der Systeme, die für

  ders die abschließenden Überlegungen zu einer Textwissenschaft auf der Basis der
  rhetorischen Terminologie, die aber auch für die Kunstwissenschaft fruchtbar ge-
  macht werden könnte.
  Vgl. dazu beispielhaft für dieses wenig beachtete Gebiet Oskar Bätschmann: Bele-
  bung durch Bewunderung: Pygmalion als Modell der Kunstrezeption. In: Mathi
  Mayer / Gerhard Neumann (Hg.): Pygmalion. Die Geschichte des Mythos in der
  abendländischen Kultur. Freiburg im Breisgau 1997, S. 325-370
  Vgl. dazu den Aufsatz von Helmut Pfotenhauer: Winckelmann und Heinse. Die Ty-
  pen der Beschreibungskunst im 18. Jahrhundert oder die Geburt der neueren Kunst-
  geschichte. In: Beschreibungskunst - Kunstbeschreibung: Ekphrasis von der Antik
  bis zur Gegenwart. Hg. v. Gottfried Boehm und Helmut Pfotenhauer. München
  1995, S. 313-341, der sich vorzugsweise mit der Möglichkeit der adäquaten Be-
  schreibung von Bildern in Wörtern beschäftigt.
  Dies wäre ein Kritikpunkt an Holerts Studie, der im Vorwort auf Foucault Archäo-
  logie des Wissens aufbaut, ohne dies im weiteren Verlauf aufzunehmen.
  Vgl. dazu Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19.
  Jahrhundert. Dresden 1996
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