Journal of Health Monitoring - 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands - RKI
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NOVEMBER 2019 GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES 2 SPECIAL ISSUE GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands 1
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Journal of Health Monitoring · 2019 4(S2) DOI 10.25646/6076 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Robert Koch-Institut, Berlin Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands Thomas Lampert, Stephan Müters, Benjamin Kuntz, Stefan Dahm, Abstract Enno Nowossadeck Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurden große gesellschaftliche Anstrengungen unternommen, um die Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen in den neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern Robert Koch-Institut, Berlin Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits- anzugleichen. Infolgedessen haben sich auch die Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit deutlich verringert, in vielen monitoring Fällen bereits im Laufe der 1990er-Jahre. Dies lässt sich beispielsweise in Bezug auf die Lebenserwartung und die Herz- Kreislauf-Mortalität feststellen. Auch mit Blick auf das Gesundheitsverhalten hat eine deutliche Annäherung stattgefunden. Eingereicht: 11.06.2019 So sind heute nur noch sehr geringe Unterschiede zum Beispiel beim Tabakkonsum oder in der Verbreitung der Adipositas Akzeptiert: 28.08.2019 Veröffentlicht: 01.11.2019 zu beobachten. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass der Blick auf die verbleibenden Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zu kurz greift. Stattdessen sollte eine kleinräumigere Betrachtung unter Berücksichtigung der regional unterschiedlichen Lebensverhältnisse angestrebt werden. REGIONALE UNTERSCHIEDE · NEUE UND ALTE BUNDESLÄNDER · LEBENSERWARTUNG · GESUNDHEIT · RISIKOFAKTOREN 1. Einleitung haben sich die Ost-West-Unterschiede wesentlich verrin- gert [2]. Andererseits liegt die Arbeitslosenquote und der Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurden gro- Anteil der Personen, die von Armut betroffen oder bedroht ße gesellschaftliche Anstrengungen unternommen, um die sind, in den neuen Bundesländern noch immer deutlich Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen in den höher als in den alten Bundesländern. Dies lässt sich aller- neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern dings nicht allein auf die DDR-Vergangenheit zurückführen, anzugleichen. Im Verlauf der letzten 30 Jahre konnte in vie- sondern ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen wirt- len Bereichen eine Annäherung erreicht werden. So liegen schaftlichen, sozialen und demografischen Entwicklungen die Tariflöhne in Ostdeutschland inzwischen bei 98 Pro- zu sehen. zent des Westniveaus und die Angleichung der Renten in Wanderungsprozesse als immanenter Bestandteil Ost und West soll bis 2024 vollzogen sein [1]. Auch in Bezug gesellschaftlicher Veränderungen waren seit der Wieder- auf den Lebensstandard, das heißt die Ausstattung mit als vereinigung in den neuen und den alten Bundesländern wichtig erachteten Konsum- und Gebrauchsgütern, und deutlich unterschiedlich ausgeprägt. Die Zuwanderung aus die subjektive Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen dem Ausland fokussierte sich insbesondere auf die alten Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 2
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Bundesländer. Zudem weisen und wiesen die alten Bun- zugrunde liegende Risikofaktoren. Außerdem wurde offen- desländer Zuwanderungsgewinne aus den neuen Bundes- sichtlich, dass der Blick auf verbleibende Ost-West-Unter- ländern auf. Die neuen Bundesländer haben im Gegenzug schiede zu kurz greift und stattdessen eine kleinräumigere sehr starke Wanderungsverluste gegenüber den alten Bun- regionale Betrachtung unter Berücksichtigung der regional desländern erlitten. Abgewandert sind überwiegend junge unterschiedlichen Lebensverhältnisse, zum Beispiel in Menschen, vor allem junge, gut ausgebildete Frauen (die Bezug auf die Wirtschaftskraft und die Beschäftigungs- und sogenannte altersselektive Abwanderung) [3]. Damit ver- Einkommenschancen, anzustreben ist [6 –8]. ließen auch Frauen die schrumpfenden Regionen, die spä- Der vorliegende Beitrag des Journal of Health Monito- ter selbst noch Kinder bekamen oder bekommen können. ring knüpft an die Vorgängerberichte an und befasst sich Dies führte zu einer Spirale aus Abwanderung und abneh- anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls mit der Frage, menden Geburtenzahlen [4]. Zwar gibt es mittlerweile Hin- ob und inwieweit sich die beschriebenen Entwicklungen weise auf eine zunehmende Rückwanderung [5], doch über- weiter fortgesetzt haben. Dazu werden zunächst die mitt- wiegen bei den Rückwanderern Männer. lere Lebenserwartung und die Sterblichkeit betrachtet Welche Bedeutung den Veränderungen der Lebensbe- (Kapitel 3.1). Anschließend wird auf Herz-Kreislauf-Erkran- dingungen und Teilhabechancen in den neuen und alten kungen, Krebserkrankungen und psychische Störungen ein- Bundesländern für die Gesundheit der Menschen zukommt, gegangen (Kapitel 3.2 bis Kapitel 3.4). Neben der subjekti- hat der im Jahr 2009 veröffentlichte Bericht „20 Jahre nach ven Gesundheit (Kapitel 3.5) werden zudem als wichtige dem Mauerfall: Wie hat sich die Gesundheit in Deutsch- Einflussfaktoren der Tabakkonsum, die Adipositas sowie land entwickelt?“ eindrücklich gezeigt [6]. Der Bericht, der die sportliche Inaktivität (Kapitel 3.6 bis Kapitel 3.8) behan- vom Robert Koch-Institut im Auftrag des Bundesministe- delt. Abschließend wird an einigen Beispielen verdeutlicht, riums für Gesundheit erstellt wurde, bilanzierte die gesund- wie wichtig eine kleinräumige Analyse von Ost-West-Unter- heitliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland und schieden, nach Möglichkeit unter Berücksichtigung der zum griff dazu auf eine breite Datengrundlage zurück. Das Spek- Teil beträchtlichen Unterschiede in den Lebensbedingungen trum der behandelten Themen reichte vom Krankheits- und und Teilhabemöglichkeiten, ist (Kapitel 3.9). Sterbegeschehen über das Gesundheitsverhalten und damit assoziierten Risikofaktoren bis hin zur Gesundheits- 2. Methode versorgung. Wie ein fünf Jahre später vorgelegter Nachfol- geartikel auch [7], machte dieser Bericht deutlich, dass sich Für den vorliegenden Beitrag wird auf eine breite Daten- viele Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit verringert grundlage zurückgegriffen. Allerdings setzt die Betrachtung haben oder nicht mehr bestehen. Dies gilt zum Beispiel erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr für die mittlere Lebenserwartung, die subjektive Gesund- 1990 ein, da nur sehr wenige Studien und andere Daten- heit und auch für viele chronische Erkrankungen und quellen zur Verfügung stehen, um die gesundheitliche Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 3
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Situation von Menschen in der damaligen DDR mit der Neben den Daten des Robert Koch-Instituts werden von Menschen in der alten Bundesrepublik zu vergleichen. für den vorliegenden Beitrag unter anderem Daten des Nach 1990 wurden weitreichende Anstrengungen unter- Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des Deutschen nommen, um die Datenlage für solche Vergleiche zu ver- Institutes für Wirtschaftsforschung [14] und des Mikro- bessern. Beispielsweise wurde in den Jahren 1991 und 1992 zensus des Statistischen Bundesamtes [15, 16] genutzt. vom Robert Koch-Institut in den neuen Bundesländern ein Wichtige Einblicke liefern zudem weitere Datenquellen der Gesundheitssurvey durchgeführt, der sich weitgehend an amtlichen Statistik, wie zum Beispiel die Statistik der natür- den zuletzt in den Jahren 1990 und 1991 in den alten Bun- lichen Bevölkerungsbewegung [17], die Todesursachen desländern stattgefundenen Gesundheitssurveys orientier- statistik [18] oder die Krankenhausdiagnosestatistik [19]. te [9, 10]. Im Zeitraum von 1997 bis 1999 gab es mit dem Ergänzt werden diese durch Ergebnisse einzelner gesund- Bundes-Gesundheitssurvey 1998 den ersten gesamtdeut- heitswissenschaftlicher Studien oder Erhebungen wie der schen Gesundheitssurvey [11]. Für den vorliegenden Bericht Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbun- wurden weitere Surveys des Robert Koch-Instituts des zur Anzahl der Mitglieder in Sportvereinen [20]. ausgewertet, so die Studie zur Gesundheit Erwachsener Um Erkrankungs- und Sterbehäufigkeiten von Bevölke- in Deutschland (DEGS 1, 2008 – 2011) [10] und mehrere rungsgruppen mit unterschiedlicher Altersstruktur zu ver- Wellen der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell gleichen, wurden Altersstandardisierungen auf Basis der (GEDA) aus den Jahren 2009, 2010, 2012 und 2014/2015 alten Europastandardbevölkerung vorgenommen [21]. Um [12]. Für Aussagen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden regionale Unterschiede in der Gesundheit unterhalb der Angaben zur Lebenszeitprävalenz (jemals im Laufe des Bundesländerebene analysieren und bewerten zu können, Lebens an dieser Erkrankung erkrankt) einer bedeutsamen sollten sie im Zusammenhang mit Unterschieden in den kardiovaskulären Erkrankung (selbstberichtete ärztliche Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten betrachtet Diagnose eines Schlaganfalls, einer Herzinsuffizienz, eines werden. Das Robert Koch-Institut hat hierzu einen Index Herzinfarkts oder einer anderen koronaren Herzkrankheit) entwickelt, der auf Basis verschiedener Indikatoren, dar- herangezogen. Die Prävalenz einer aktuellen depressiven unter Arbeitslosigkeit, Beschäftigtenquote, Haushalts Symptomatik wurde in der Studie GEDA 2014/2015-EHIS nettoeinkommen, Schuldnerquote, Steuereinnahmen und mit dem Patient Health Questionnaire (PHQ-8) erhoben Schulabgänger ohne Abschluss, regionale Unterschiede in [13]. Bezug auf sozioökonomische Deprivation misst (German Für Auswertungen der Zahl der Inzidenzfälle (Zahl der Index of Socioeconomic Deprivation, GISD) [22]. Mehrdi- Neuerkrankungen) beziehungsweise der Inzidenzraten mensionale Indizes auf regionaler Ebene haben den Vorteil, (Zahl der Neuerkrankungen je 100.000 Einwohnerinnen dass sie nicht nur einzelne Aspekte, sondern die Gesamt- bzw. Einwohner) werden Daten des Zentrums für Krebs heit sozioökonomischer Vor- und Nachteile in Sozialräu- registerdaten am Robert Koch-Institut herangezogen. men abbilden können. Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 4
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS 3. Ergebnisse Unterschied fällt aber inzwischen deutlich geringer aus. 3.1 Lebenserwartung Wie bei den Frauen ist dies auf die Entwicklung in den 1990er-Jahren zurückzuführen. Der verbliebene Unter- Kurz nach der Wiedervereinigung lag die mittlere Lebens- schied von etwas mehr als einem Jahr zuungunsten von erwartung bei Geburt in den neuen Bundesländern noch Männern in den neuen Bundesländern hat sich seitdem deutlich unter der in den alten Bundesländern. Frauen in nicht weiter verringert (Tabelle 1). den neuen Bundesländern konnten bei Geburt im Mittel Eine entsprechende Entwicklung ist für die fernere mit 77,2 Jahren Lebenserwartung rechnen, Frauen aus Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren zu beobachten. den alten Bundesländern mit 79,5 Jahren. Bei Männern Zu Beginn der 1990er-Jahre lag die fernere Lebenserwar- war der Unterschied mit 69,9 Jahren im Vergleich zu tung von Frauen und Männern aus den neuen Bundes- Der Ost-West-Unterschied in 73,1 Jahren noch größer. In den Folgejahren haben sich ländern noch ein bis zwei Jahre unter der von Frauen und der Lebenserwartung hat sich die Ost-West-Unterschiede in der mittleren Lebenser Männern aus den alten Bundesländern. Inzwischen ist es bereits während der 1990er- wartung bei Geburt schnell verringert. Bei Frauen kam es zu einer weitgehenden Angleichung gekommen. Bei bereits bis zum Jahr 2000 zu einer weitgehenden Anglei- Frauen liegt die fernere Lebenserwartung in den neuen Jahre deutlich verringert. chung. Seit den Jahren 2015/2017 liegt die mittlere Bundesländern inzwischen geringfügig höher als in den Lebenserwartung von Frauen in den neuen Bundeslän- alten Bundesländern. Männer aus den neuen Bundeslän- dern sogar geringfügig über der in den alten Bundes dern haben im Alter von 65 Jahren nach wie vor eine etwas ländern [23, 24]. Bei Männern kam es zu keiner vollstän- niedrigere fernere Lebenserwartung als Männer aus den digen Angleichung der Lebenserwartung, der Ost-West- alten Bundesländern. Frauen Männer 1991/1993 1999/2001 2007/2009 2015/2017 1991/1993 1999/2001 2007/2009 2015/2017 e0 Deutschland 79,01 81,07 82,53 83,18 72,47 75,00 77,33 78,36 Tabelle 1 Neue Bundesländer 77,18 80,53 82,37 83,22 69,86 73,69 76,27 77,25 Entwicklung der mittleren Lebenserwartung Alte Bundesländer 79,48 80,72 82,57 83,17 73,11 75,43 77,58 78,61 bei Geburt (e0) und der ferneren Differenz -2,30 -0,19 -0,20 0,05 -3,25 -1,74 -1,31 -1,36 Lebenserwartung mit 65 Jahren (e65) e65 in den neuen und alten Bundesländern Deutschland 18,02 19,44 20,52 21,00 14,34 15,79 17,22 17,80 nach Geschlecht Neue Bundesländer 16,69 18,90 20,20 21,05 13,26 15,17 16,75 17,44 Quelle: Statistik der natürlichen Alte Bundesländer 18,35 19,59 20,60 20,99 14,58 15,92 17,32 17,89 Bevölkerungsbewegung [17] Differenz -1,66 -0,69 -0,40 0,06 -1,32 -0,75 -0,57 -0,45 Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 5
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS 3.2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen aber nach 1988, nachdem bereits in den 1980er-Jahren die Herz-Kreislauf-Mortalität zu sinken begonnen hatte [24]. Die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in den Im Jahr 1990 betrug die kardiovaskuläre altersstandardi- neuen Bundesländern höher als in den alten Bundeslän- sierte Sterblichkeit in der damaligen DDR gegenüber jener dern. Nach Daten der GEDA-Studie aus den Jahren 2009, in der alten Bundesrepublik das 1,52-fache bei Frauen und 2010 und 2012 betrug die Lebenszeitprävalenz einer bedeut- das 1,44-fache bei Männern. Danach sank diese Übersterb- samen kardiovaskulären Erkrankung (selbstberichtete lichkeit und betrug 2016 das 1,18-fache bei Frauen und das ärztliche Diagnose von Herzinfarkt, anderer koronarer 1,24-fache bei Männern. Herzkrankheit, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz) in Mehr als die Hälfte der kardiovaskulär bedingten Todes- den neuen Bundesländern (mit Berlin) 13,0 % und war fälle werden durch acht Risikofaktoren verursacht (verhal- Die Sterblichkeit an damit höher als in den alten Bundesländern (ohne Berlin) tensbezogene Risikofaktoren wie sportliche Inaktivität, risi- Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit 11,7 % [25]. koreicher Alkoholkonsum, Rauchen und geringer Obst- und hat sich in den neuen Auch die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen Gemüseverzehr sowie krankheitsnahe Risikofaktoren wie ist in den neuen Bundesländern erhöht (Abbildung 1). Die Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechsel- Bundesländern in den letzten Angleichung an das Niveau der Bundesrepublik begann störung), die größtenteils vermeidbar sind [26]. Für diese 30 Jahren an die in den alten Bundesländern angenähert. Fälle je 100.000 Einwohner 800 700 600 500 400 300 200 Abbildung 1 100 Entwicklung der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf- Erkrankungen (altersstandardisiert) 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 in den neuen und alten Bundesländern Jahr 1990 – 2016 nach Geschlecht Frauen: Neue Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-Ost) Männer: Neue Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-Ost) Quelle: Todesursachenstatistik [18] Frauen: Alte Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-West) Männer: Alte Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-West) Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 6
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS wurde die regionale Verteilung in Deutschland anhand der meisten Krebsarten steigt das Erkrankungsrisiko mit dem Daten der GEDA-Studie aus den Jahren 2009, 2010 und Lebensalter an [29, 30]. Weitere Faktoren, wie beispiels 2012 untersucht. Bei allen acht Risikofaktoren wurden deut- weise Veränderungen von verhaltensbedingten Risikofak- liche Prävalenzunterschiede zwischen den Bundesländern toren, Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und verbes- gefunden. In den ostdeutschen Bundesländern mit serte diagnostische Verfahren haben ebenfalls zum Anstieg Ausnahme von Berlin wurden die höchsten Prävalenzen beigetragen [30]. von sportlicher Inaktivität, Adipositas, Hypertonie und Die Unterschiede in den Neuerkrankungsraten (Inzidenz- Diabetes bei beiden Geschlechtern und von riskantem fälle je 100.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohner) für Krebs Alkoholkonsum bei den Männern beobachtet. Beim Rau- insgesamt variieren zwischen den neuen und den alten chen nahmen die drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bundesländern. Frauen in den neuen Bundesländern haben Bremen vordere Rangplätze ein (vgl. Kapitel 3.6). Der Anteil niedrigere Inzidenzraten als Frauen in den alten Bundes- der Bevölkerung, der weniger als eine Portion Obst, ländern, bei Männern ist es umgekehrt (Abbildung 2). Gemüse oder Saft pro Tag verzehrt, war im Saarland am Dabei haben sich die Unterschiede in den zurückliegenden höchsten [27]. Jahren kaum verändert. Die Sterblichkeit ist rückläufig, unterscheidet sich zwischen den neuen und den alten 3.3 Krebserkrankungen Bundes ländern bei Frauen jedoch nur geringfügig (Abbildung 2). Bei Männern sind die Unterschiede zuun- Die Zahl der Krebsneuerkrankungen (ohne nicht-mela gunsten der neuen Bundesländer größer, diese haben sich notische Hauttumoren) betrug im Jahr 2014 nach Schät- im hier dargestellten Zeitraum nicht verringert. zungen des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert Für Lungenkrebs ergibt sich ein anderes Bild. Bei ins- Koch-Institut bei Frauen etwa 227.000 und bei Männern gesamt steigender Tendenz sind die Inzidenzraten wie 249.000 Fälle. Die häufigsten Krebserkrankungen bei auch die Sterblichkeit an Lungenkrebs bei Frauen in den Frauen waren 2014 Brustkrebs mit einem Anteil von 30,5 % neuen Bundesländern niedriger als bei Frauen in den alten aller Neuerkrankungen, Darmkrebs (12,3 %) sowie Lungen- Bundesländern. Bei Männern ist die Situation anders. Hier krebs (8,5 %). Bei Männern traten Prostatakrebs mit 23,0 % sind Inzidenz und Sterblichkeit in den neuen Bundeslän- aller Neuerkrankungen, Lungenkrebs (13,9 %) und Darm- dern bei insgesamt sinkenden Trends höher als in den krebs (13,3 %) am häufigsten auf [28]. Zwischen 1970 und alten Bundesländern (Abbildung 3). Die Unterschiede bei 2014 hat sich die Zahl der jährlichen Krebsneuerkrankun- Frauen zwischen den neuen und den alten Bundesländern gen verdoppelt. Etwa zur Hälfte ist dieser Anstieg durch haben sich ausgeweitet, weil die Sterblichkeit in den alten die demografische Alterung, also durch die Verschiebung Bundesländern schneller angestiegen ist als in den neuen. der Altersstruktur der Bevölkerung in Richtung eines grö- Dies ist vor allem dem lange Zeit höheren Anteil an ßeren Anteils höherer Altersgruppen, erklärbar: Für die Raucherinnen in den alten Bundesländern geschuldet Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 7
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS (vgl. Kapitel 3.6). Erst in den letzten Jahren haben sich die 70. Lebensjahres, also häufig erst Jahrzehnte nach dem Raucherquoten zwischen Ost und West angeglichen [7]. Beginn des Rauchens. Daher werden sich die gesunkenen Da sich Folgen des Rauchens oftmals erst Jahrzehnte Einstiegsraten in den Tabakkonsum erst nach weiteren später in Lungenkrebserkrankungen manifestieren, zwei bis drei Jahrzehnten im Neuerkrankungs- und Sterb- erkrankt etwa die Hälfte der Betroffenen erst jenseits des lichkeitsgeschehen widerspiegeln [31]. Fälle je 100.000 Einwohnerinnen 600 Frauen 500 400 300 200 100 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr Fälle je 100.000 Einwohner 600 Männer 500 400 300 200 100 Abbildung 2 Entwicklung der Inzidenz und Sterblichkeit an Krebs (ICD-10: C00 – C96, ohne C44) 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert) in den neuen und alten Bundesländern Inzidenz neue Bundesländer Sterblichkeit neue Bundesländer Inzidenz alte Bundesländer Sterblichkeit alte Bundesländer 1999 – 2015 nach Geschlecht Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28] ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 8
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Fälle je 100.000 Einwohnerinnen 90 Frauen 80 70 60 50 40 30 20 10 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr Fälle je 100.000 Einwohner 90 Männer 80 70 60 50 40 30 20 10 Abbildung 3 Entwicklung der Inzidenz und Sterblichkeit an Lungenkrebs (ICD-10: C33 – C34) 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert) in den neuen und alten Bundesländern Inzidenz neue Bundesländer Sterblichkeit neue Bundesländer Inzidenz alte Bundesländer Sterblichkeit alte Bundesländer 1999 – 2015 nach Geschlecht Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28] ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 9
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Die Neuerkrankungsraten bei Brustkrebs sind in den Die Brustkrebssterblichkeit hat seit Beginn der neuen und den alten Bundesländern bis 2008/2009 ange- 1990er-Jahre sowohl in den neuen als auch in den alten Bun- stiegen, insbesondere seit dem Jahr 2005. Seitdem sind desländern abgenommen (Abbildung 4). Dabei liegen die die Inzidenzraten rückläufig (Abbildung 4). Dies ist das Sterberaten in den alten Bundesländern etwa 20 % höher als Ergebnis des von 2005 bis 2009 etablierten Mammogra- in den neuen Bundesländern. Als Schutzfaktoren für Frauen phie-Screening-Programms [32]. Für Frauen von 50 bis 69 in Ostdeutschland werden höhere Geburtenraten, ein nied- Jahren ist die Teilnahme an diesem Programm kostenfrei. rigeres Alter bei Geburt des ersten Kindes, seltenere Kinder- Durch dieses Programm werden Tumoren zu einem frühe- losigkeit und andere Lebensstilfaktoren vermutet [30, 33 – 35]. ren Zeitpunkt diagnostiziert. Infolge dieses Vorziehens des Diagnosezeitpunktes steigen die Inzidenzraten zunächst 3.4 Psychische Störungen an und sinken anschließend wieder [30]. Über den gesam- ten Beobachtungszeitraum liegen die Neuerkrankungsra- Psychische Störungen weisen eine große Verbreitung auf ten bei Brustkrebs in den alten Bundesländern deutlich und haben eine hohe Krankheitslast [36]. Auswertungen höher als in den neuen Bundesländern. des Zusatzmoduls zur Psychischen Gesundheit der Studie Fälle je 100.000 Einwohnerinnen 160 Frauen 140 120 100 80 60 40 20 Abbildung 4 Entwicklung der Inzidenz und Sterblichkeit an Brustkrebs (ICD-10: C50) je 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Jahr 100.000 Einwohnerinnen (altersstandardisiert) in den neuen und alten Inzidenz neue Bundesländer Sterblichkeit neue Bundesländer Inzidenz alte Bundesländer Sterblichkeit alte Bundesländer Bundesländern 1999 – 2015 Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28] ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 10
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS DEGS 1 (DEGS 1-MH) des Robert Koch-Instituts zeigen eine Vergleichbare Verteilungsmuster zwischen den neuen 12-Monats-Prävalenz für psychische Störungen von 27,7 % und alten Bundesländern finden sich auch in Abrech- für die deutsche Allgemeinbevölkerung im Alter von 18 bis nungsdaten der Krankenkassen in Bezug auf depressive 79 Jahren. Die Unterschiede zwischen den neuen und den Erkrankungen [13, 38, 39]. So wird in den alten Bundes- alten Bundesländern sind dabei eher gering. Während bei ländern eine Depression häufiger diagnostiziert als in 36,6 % der Frauen in den neuen Bundesländern irgendeine den neuen, und zwar unter Berücksichtigung der unter- psychische Störung festgestellt worden ist, sind es bei Frau- schiedlichen Alters- und Geschlechtsstruktur [39]. Als en in den alten Bundesländern 33,7 %. Bei den Männern mögliche Erklärungen werden neben der Krankheitsver- beträgt die Prävalenz 20,4 % in den neuen Bundesländern breitung unter anderem Unterschiede im Versorgungs- gegenüber 23,0 % in den alten Bundesländern [7, 37]. system diskutiert. Diagnosen sollten von Psychothera- Die Prävalenz einer aktuellen depressiven Symptomatik peutinnen und -therapeuten sowie von Psychiaterinnen Depressionen sind in den in Deutschland liegt laut GEDA 2014/2015-EHIS bei 10,1 % und Psychiatern gestellt werden. Insbesondere bei Psy- neuen Bundesländern etwas [13]. In Ostdeutschland ist sie mit 9,1 % etwas niedriger als chotherapeutinnen und -therapeuten gibt es in den alten seltener als in den alten in Westdeutschland mit 10,3 %. Bei den Frauen aus den Bundesländern eine deutlich höhere Versorgungsdichte Bundesländern. neuen Bundesländern weisen 10,8 % eine depressive Symp als in den neuen Bundesländern, sodass in den alten tomatik auf gegenüber 11,7 % der Frauen aus den alten Bun- Bundesländern bessere Möglichkeiten der Diagnose desländern. Bei den Männern beträgt die Prävalenz 7,3 % bestehen [39 – 41]. gegenüber 8,9 %. Die in GEDA 2014/15-EHIS ebenfalls erho- Anhand der Krankenhausdiagnosestatistik können bene 12-Monats-Prävalenz einer selbstberichteten ärztlich weitere Hinweise auf die Versorgung psychischer diagnostizierten Depression liegt in Deutschland bei 8,1 % Störungen gewonnen werden. Für die stationären Fall- [38], in Ostdeutschland mit 6,6 % ebenfalls niedriger als in zahlen psychischer und Verhaltensstörungen ist für den Westdeutschland mit 8,3 %. Frauen aus den neuen Bundes- Zeitraum von 2000 bis 2011 ein deutlicher Anstieg zu ländern leiden zu 8,8 % unter einer ärztlich diagnostizierten beobachten, der sich aber seitdem nicht weiter fortge- Depression, Frauen aus den alten Bundesländern zu 9,8 %. setzt hat. Diese Entwicklung ist gleichermaßen für Frauen Bei den Männern beträgt die Prävalenz 4,2 % gegenüber und Männer in den neuen und alten Bundesländern fest- 6,7 %. Differenzierte Betrachtungen nach Bundesländern zustellen. Die Unterschiede zwischen den neuen und zeigen sowohl für die depressive Symptomatik als auch für den alten Bundesländern haben sich seit der Jahrtau- selbstberichtete ärztliche Depressionsdiagnosen ein häufi- sendwende nicht mehr ausgeweitet. geres Vorkommen in den alten Bundesländern. Eine Aus- Anders sieht es aus, wenn bestimmte Erkrankungs nahme stellt Bayern mit einer geringeren Prävalenz dar. gruppen betrachtet werden. Dies gilt zum Beispiel Zudem zeigt sich, dass die Prävalenzen in den Stadtstaaten für affektive Störungen (Internationale statistische über denen in den Flächenstaaten liegen [13]. Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesund- Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 11
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS heitsprobleme, 10. Revision, ICD-10: F30 – F39), zu denen 3.5 Subjektive Gesundheit die Depression zählt, sowie für neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (ICD-10: F40 – F48). Wäh- Aussagen zur Entwicklung der subjektiven Gesundheit rend die stationären Fallzahlen in der Diagnosegruppe sind unter anderem anhand der Daten des Sozio-oekono- der affektiven Störungen in Westdeutschland höher sind mischen Panels möglich. Betrachtet man den Anteil der als in Ostdeutschland (Abbildung 5), sind diejenigen Frauen und Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren, die der neurotischen, Belastungs- und somatoformen ihren allgemeinen Gesundheitszustand als gut oder sehr Störungen bei Frauen und Männern in Ostdeutschland gut bewerten, dann sind nur sehr geringe Ost-West- höher (Abbildung 6). Dabei wurden die Unterschiede Unterschiede zu verzeichnen. Diese waren bereits zu zwischen Ost- und Westdeutschland zwischen 2000 bis Beginn der 1990er-Jahre schwach ausgeprägt. Über die etwa 2012 größer; seitdem entwickeln sie sich nicht letzten 20 Jahre hat sich der Anteil der Frauen und weiter auseinander. Männer mit sehr guter oder guter selbsteingeschätzter Fälle je 100.000 Einwohner 450 400 350 300 250 200 150 100 50 Abbildung 5 Entwicklung der stationären Fallzahlen für 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 affektive Störungen (ICD-10: F30 – F39) Jahr je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert) Frauen: Neue Bundesländer Männer: Neue Bundesländer in den neuen und alten Bundesländern Frauen: Alte Bundesländer Männer: Alte Bundesländer 2000 – 2017 nach Geschlecht Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [19] ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 12
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Abbildung 6 Fälle je 100.000 Einwohner 400 Entwicklung der stationären Fallzahlen für neurotische, Belastungs- und 350 somatoforme Störungen (ICD-10: F40 – F48) 300 je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert) in den neuen und alten Bundesländern 250 2000 – 2017 nach Geschlecht 200 Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [19] 150 100 50 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Jahr Frauen: Neue Bundesländer Männer: Neue Bundesländer Frauen: Alte Bundesländer Männer: Alte Bundesländer Beim Rauchen und der ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision Adipositas bestehen keine bedeutsamen Ost-West- Unterschiede mehr. Gesundheit nicht wesentlich verändert. Dies gilt sowohl 3.6 Rauchen für die neuen als auch für die alten Bundesländer. Eine nach Altersgruppen differenzierte Betrachtung bestätigt Mit Daten der Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts dies für die 18- bis 39-jährige und die 40- bis 54-jährige kann die Entwicklung des Tabakkonsums in der 25- bis 69- Bevölkerung. Einzig für die 55- bis 79-jährige Bevölkerung jährigen Bevölkerung der neuen und alten Bundesländer ist festzustellen, dass der Anteil der Frauen und Männer für den Zeitraum 1990 bis 2015 nachgezeichnet werden mit sehr guter oder guter subjektiver Gesundheit zuge- (Abbildung 8). Kurz nach der Wiedervereinigung lag der nommen hat. Dies kommt in den alten Bundesländern Anteil der Männer, die rauchen, in den neuen Bundesländern deutlicher zum Ausdruck als in den neuen Bundeslän- mit 40,6 % gegenüber 39,2 % etwas höher als in den alten dern. Infolgedessen sind vor allem bei Männern dieser Bundesländern [42]. Seit Beginn der 2000er-Jahre ist der Altersgruppe inzwischen deutlichere Ost-West-Unter- Tabakkonsum bei Männern insgesamt rückläufig, wobei der schiede als zu Beginn der 1990er-Jahre zu beobachten leichte Ost-West-Unterschied weitgehend erhalten geblieben (Abbildung 7). ist. Bei Frauen, die insgesamt seltener rauchen als Männer, Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 13
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Abbildung 7 Anteil (%) 90 Prävalenz „guter“ oder „sehr guter“ Frauen Männer selbsteingeschätzter Gesundheit in den neuen 80 und alten Bundesländern nach Geschlecht 70 Quelle: SOEP 1994 – 2015 [14], eigene Berechnungen 60 50 40 30 20 10 2000/2001 2002/2003 2004/2005 2006/2007 2008/2009 2010/2011 2012/2013 2014/2015 2000/2001 2002/2003 2004/2005 2006/2007 2008/2009 2010/2011 2012/2013 2014/2015 1994/1995 1996/1997 1998/1999 1994/1995 1996/1997 1998/1999 Jahr Neue Bundesländer 18 -39 Jahre Alte Bundesländer 18- 39 Jahre Neue Bundesländer 40 -54 Jahre Alte Bundesländer 40 - 54 Jahre Neue Bundesländer 55-79 Jahre Alte Bundesländer 55- 79 Jahre lag die Rauchquote zu Beginn der 1990er-Jahre in den neu- Mit den Daten des Mikrozensus 2017 können Rauchquo- en Bundesländern mit 20,5 % deutlich unter der Quote der ten in der Bevölkerung ab 15 Jahren in den einzelnen Bun- alten Bundesländer von 28,3 %. Bis zum Ende der 1990er- desländern ermittelt werden (Tabelle 2) [15]. Bei Männern Jahre glichen sich die Rauchquoten der ost- und westdeut- ist die Rauchquote mit 33,4 % in Mecklenburg-Vorpom- schen Frauen aneinander an. Seit Beginn der 2000er-Jahre mern am höchsten. Auch in Thüringen und Sachsen- ist der Anteil der Raucherinnen in den neuen Bundesländern Anhalt sowie den Stadtstaaten Berlin und Bremen liegt relativ konstant geblieben. Die Rauchquote bei Frauen in den sie mit jeweils um die 30 % vergleichsweise hoch. Relativ alten Bundesländern nahm dagegen zunächst weiter zu, um selten rauchen Männer aus dem Saarland, Hessen, Rhein- ab 2003 deutlich zurückzugehen. Zuletzt lag der Anteil der land-Pfalz und Bayern (Rauchquote < 25 %). Bei Frauen Raucherinnen in Westdeutschland sogar ein wenig niedriger findet sich die höchste Rauchquote in Bremen mit 24,2 %, als in Ostdeutschland (Abbildung 8). gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 22,1 % und Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 14
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Abbildung 8 Anteil (%) 60 Entwicklung der Rauchquoten in der Frauen Männer 25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen 50 und alten Bundesländern nach Geschlecht 40 Quelle: Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts, aktualisiert 30 nach Lampert 2010 [42] 20 10 1990 −1992 1998 2003 2009 2014 − 2015 1990 −1992 1998 2003 2009 2014 − 2015 Jahr Neue Bundesländer Alte Bundesländer Thüringen mit 21,7 %. Frauen aus Bayern und Sachsen 3.7 Adipositas haben im Ländervergleich mit jeweils 16,6 % die niedrigste Rauchquote. Für die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung wurde auf Basis von Messdaten bei beiden Geschlechtern eine deut- Bundesland Frauen Männer Gesamt lich höhere Adipositasprävalenz in den neuen im Vergleich % % % Baden-Württemberg 17,4 25,1 21,2 zu den alten Bundesländern festgestellt. Seitdem ist die Bayern 16,6 24,6 20,5 Prävalenz in Deutschland weiter angestiegen [43]. Die Unter- Berlin 21,3 29,9 25,5 schiede zwischen neuen und alten Bundesländern sind Brandenburg 20,2 29,0 24,5 dabei langsam zurückgegangen [9]. Nach den aktuellsten Bremen 24,2 30,9 27,4 zur Verfügung stehenden Messdaten aus DEGS 1 bestehen Hamburg 18,9 27,8 23,2 keine signifikanten Ost-West-Unterschiede mehr in der Ver- Hessen 17,5 24,8 21,1 Mecklenburg-Vorpommern 22,1 33,4 27,7 breitung von Adipositas bei Männern im Alter zwischen Niedersachsen 19,2 26,7 22,9 25 und 69 Jahren; bei Frauen finden sich noch geringe Unter- Nordrhein-Westfalen 19,4 26,0 22,6 schiede zuungunsten der neuen Bundesländer (Abbildung 9) Rheinland-Pfalz 18,6 24,9 21,7 [7]. Zu berücksichtigen ist, dass die DEGS 1-Daten bereits Saarland 17,7 23,5 20,6 in den Jahren 2008 bis 2011 erhoben wurden. Die nächsten Sachsen 16,6 26,5 21,4 Tabelle 2 Sachsen-Anhalt 20,0 29,8 24,8 Messdaten werden durch die Gesundheits- und Ernährungs- Rauchquoten ab 15 Jahren Schleswig-Holstein 20,0 27,1 23,5 studie in Deutschland (gern-Studie) bereitgestellt, die das nach Geschlecht und Bundesland Thüringen 21,7 30,8 26,2 Robert Koch-Institut gemeinsam mit dem Max Rubner- Quelle: Mikrozensus 2017 [15] Deutschland 18,6 26,4 22,4 Institut in den Jahren 2020 bis 2022 durchführen wird. Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 15
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Abbildung 9 Anteil (%) tigen, dass die anhand von Selbstangaben ermittelten 50 Entwicklung von Adipositas in der Prävalenzen zumeist deutlich niedriger liegen als die Frauen Männer 25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen 40 Prävalenzen, denen Messwerte zugrunde liegen, da ein Teil und alten Bundesländern nach Geschlecht 30 der Befragten dazu neigt, das eigene Körpergewicht zu Quelle: Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts, modifiziert nach 20 unterschätzen und die eigene Körpergröße zu überschät- Finger et al. 2016 [9] zen [44]. Nach den Daten des Mikrozensus 2017 sind die 10 höchsten Prävalenzen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit insgesamt über 20 % 1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011 1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011 Jahr zu beobachten. Am geringsten ist der Anteil der Menschen Neue Bundesländer Alte Bundesländer mit Adipositas in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin (Tabelle 3). Dies ist auch vor dem Hintergrund der im Für eine Analyse regionaler Verteilungsmuster kann auf Durchschnitt jüngeren Bevölkerung in den Stadtstaaten Selbstangaben zu Größe und Gewicht aus dem Mikro- zu interpretieren [16]. zensus zurückgegriffen werden. Dabei ist zu berücksich- 3.8 Sportliche Inaktivität Bundesland Frauen Männer Gesamt Mit den Daten der Untersuchungssurveys des Robert % % % Baden-Württemberg 13,2 16,4 14,9 Koch-Instituts kann gezeigt werden, dass kurz nach der Bayern 12,9 17,3 15,2 Wiedervereinigung die Sportbeteiligung in den neuen Berlin 12,2 13,8 13,0 Bundesländern geringer war als in den alten Bundes Brandenburg 17,1 19,5 18,3 ländern (Abbildung 10). In der Gruppe der 25- bis 69- Bremen 14,6 18,1 17,8 Jährigen gaben 49,2 % der Männer im Osten und 41,0 % Hamburg 10,0 12,8 12,2 der Männer im Westen an, keinen Sport zu treiben. Bei Hessen 14,0 18,2 16,1 Mecklenburg-Vorpommern 20,0 23,5 21,8 Frauen traf dies auf 58,7 % in den neuen und auf 50,3 % Niedersachsen 14,5 18,5 16,6 in den alten Bundesländern zu. Zum Ende der 1990er- Nordrhein-Westfalen 14,6 18,4 16,5 Jahre hatten sich die Ost-West-Unterschiede bei Männern Rheinland-Pfalz 15,3 19,9 17,7 ausgeweitet, während sich bei Frauen keine Unterschiede Saarland 11,8 19,6 16,3 mehr abzeichneten. Zuletzt ist das Ausmaß sportlicher Sachsen 17,8 18,2 18,0 Tabelle 3 Inaktivität sowohl in den neuen als auch in den alten Sachsen-Anhalt 19,8 21,7 20,8 Prävalenz von Adipositas nach Schleswig-Holstein 12,8 17,9 15,4 Bundesländern deutlich zurückgegangen. Ost-West- Geschlecht und Bundesland Thüringen 19,5 21,4 20,4 Unterschiede zeigen sich nunmehr weder bei Frauen noch Quelle: Mikrozensus 2017 [16] Deutschland 13,2 16,4 16,3 bei Männern. Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 16
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Abbildung 10 Anteil (%) gleichermaßen deutlich (Abbildung 11). Die höchsten Antei- 70 Entwicklung der sportlichen Inaktivität in der le an Vereinsmitgliedern finden sich im Saarland mit 37 %, Frauen Männer 25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen 60 in Rheinland Pfalz mit 35 % sowie in Bayern, Baden-Würt- und alten Bundesländern nach Geschlecht 50 temberg und Hessen mit jeweils rund 34 %. In den neuen Quelle: Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts, modifiziert nach 40 Bundesländern sind hingegen lediglich zwischen 13 % und Finger et al. 2016 [9] 18 % der Bevölkerung Mitglied in einem Sportverein. 30 20 3.9 Kleinräumige Unterschiede 10 Eine Unterscheidung zwischen Ost- und Westdeutschland 1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011 1990 −1992 1997−1999 2008 −2011 oder nach einzelnen Bundesländern greift oftmals zu kurz, Jahr um regionale Unterschiede in der Gesundheit zu analysie- Neue Bundesländer Alte Bundesländer Die Menschen in den neuen ren. Mit Blick auf viele Gesundheitsindikatoren ist festzu- Bundesländern sind seltener stellen, dass auch innerhalb der Bundesländer zum Teil Aufschlussreich sind auch die Statistiken des Deutschen erhebliche regionale Unterschiede bestehen. Sofern dies in Sportvereinen aktiv als die Olympischen Sportbundes [20]. Diese zeigen für das Jahr möglich ist, sollten deshalb auch regionale Analysen unter- Menschen in den alten 2018, dass in den neuen Bundesländern ein deutlich gerin- halb der Bundesländerebene durchgeführt werden, so zum Bundesländern. gerer Anteil der Bevölkerung in einem Sportverein organi- Beispiel für die 96 Raumordnungsregionen in Deutschland, siert ist als in den alten Bundesländern. Dies wird über die 401 Kreise und kreisfreien Städte oder die 4.504 Gemein- alle Altersgruppen hinweg bei Frauen und Männern deverbände. Anteil (%) 50 40 30 Abbildung 11 20 Mitglieder in einem Sportverein in Bezug auf 10 die jeweilige Gesamtbevölkerung in den neuen und alten Bundesländern (zum 31.12.2017) nach Geschlecht und Alter Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer 19 – 26 19 – 26 27 – 40 27 – 40 41 – 60 41 – 60 > 60 > 60 Quelle: Deutscher Olympischer Sportbund, Bestandserhebung 2018 [20] Neue Bundesländer Alte Bundesländer Altersgruppe (Jahre) Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 17
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Aus Abbildung 12 ist zu ersehen, wie sich die mittlere Kreise und kreisfreie Städte mit niedriger mittlerer Lebenserwartung bei Geburt und die sozioökonomische Lebenserwartung, während es in Bayern und Baden- Deprivation zwischen Kreisen und kreisfreien Städten Württemberg viele Kreise und kreisfreie Städte mit hoher unterscheidet. Demnach gibt es in Sachsen-Anhalt, Lebenserwartung gibt. Dabei fällt auf, dass in den Krei- Thüringen und Brandenburg vergleichsweise viele sen und kreisfreien Städten mit im Mittel niedriger Sozioökonomische Deprivation Lebenserwartung Quintile: Jahre: 1
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Lebenserwartung die sozioökonomische Deprivation 4. Diskussion am höchsten ist und umgekehrt. Die Differenz in der mittleren Lebenserwartung zwischen den Kreisen und Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die gesund- kreisfreien Städten mit der geringsten und der höchsten heitliche Situation in den neuen und alten Bundesländern sozioökonomischen Deprivation kann mit etwa fünf kurz nach der Wiedervereinigung in vielen Bereichen unter- Jahren beziffert werden. schied. Nach 30 Jahren gemeinsamer Entwicklung kann in Auch für viele andere Gesundheitsindikatoren kann vielen Fällen eine Annäherung, zum Teil sogar eine Anglei- gezeigt werden, dass eine differenzierte regionale chung der Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit beob- Analyse sinnvoll ist und zum Teil zu anderen oder zusätz- achtet werden. Auffallend ist dabei, dass sich diese Annä- lichen Erkenntnissen führt. Ein Beispiel hierfür sind herung oftmals schon in den ersten 10 bis 15 Jahren nach Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) aufgrund von psychi- der Wiedervereinigung vollzog und positiven Entwicklun- schen Störungen. Für Versicherte bei Betriebskranken- gen zuzuschreiben ist, die sich in Ostdeutschland schnel- kassen (BKK) konnte hierzu anhand von Abweichungen ler vollzogen als in Westdeutschland. Beispiele hierfür sind vom Bundesdurchschnitt von 2,8 AU-Tagen im Jahr 2017 der Anstieg der mittleren Lebenserwartung und der Rück- gezeigt werden, dass es vor allem in Mecklenburg- gang der Herz-Kreislauf-Mortalität. Bisweilen kommt die Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt viele Annäherung allerdings auch dadurch zustande, dass der Kreise und kreisfreie Städte mit einem deutlich über dem Osten, ausgehend von einer besseren Situation, quasi im Bundesdurchschnitt liegenden Wert gibt. Gleiches gilt negativen Sinne zum Westen aufgeschlossen hat. Zu ver- aber auch für einige alte Bundesländer wie zum Beispiel weisen ist diesbezüglich auf den Anstieg des Tabakkon- Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland. sums bei ostdeutschen Frauen in den 1990er-Jahren. Die größten Abweichungen in Richtung weniger AU-Tage Für eine weitgehende Nivellierung der Ost-West- sind wiederum für Bayern und Baden-Württemberg Unterschiede sprechen auch die Ergebnisse zur gesund- festzustellen und damit erneut für Kreise und kreisfreie heitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen, die Städte mit tendenziell geringerer sozioökonomischer nach der Wiedervereinigung geboren sind. Diese wurden Deprivation. Aber auch im nördlichen Nordrhein-West im vorliegenden Beitrag nicht thematisiert, waren aber falen, an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins und Gegenstand eines Berichts, den das Robert Koch-Institut Teilen Sachsens finden sich Kreise und kreisfreie Städte anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung mit deutlich weniger AU-Tagen als im Bundesdurch- Deutschlands publiziert hat [8, 46]. Diesem Bericht schnitt. Insgesamt verdeutlichen diese Ergebnisse, dass zufolge ließen sich bereits in den 2000er-Jahren keine eine Analyse auf kleinräumiger Ebene hilfreich ist, zum Unterschiede mehr in der Verbreitung allergischer Erkran- Beispiel für regionale Planungen von Versorgungsstruk- kungen und von Adipositas zwischen Kindern und Jugend- turen, Prävention und Gesundheitsförderung [45]. lichen aus den neuen und alten Ländern beobachten. Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 19
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS Auch bei der Inanspruchnahme von Impfungen, die in der vereinsgebundenen Sportbeteiligung zu berück- zunächst in den neuen Bundesländern höher war und der sichtigen, dass der Vereinssport in der DDR für den Brei- Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen für tensport eine geringere Bedeutung hatte als in der Bun- Kinder (U-Untersuchungen), die in den alten Bundes desrepublik und stärker im Zeichen der Förderung des ländern einen größeren Zuspruch erfuhren, haben Leistungssports stand. Dass die Impfquoten lange Zeit sich die Ost-West-Unterschiede inzwischen deutlich bei Kindern in den neuen Ländern höher waren als in den verringert. Angesichts dieser Ergebnisse kann angenom- alten Ländern, dürfte nicht zuletzt mit der für viele anste- men werden, dass Ost-West-Unterschiede in den nach- ckende Krankheiten geltenden Impfpflicht in der DDR folgenden Geburtsjahrgängen eine immer geringere Rolle zusammenhängen. Umgekehrt ist die zunächst in den spielen werden [8, 46]. neuen Ländern geringere Teilnahme am Krankheitsfrüh Die Frage nach den Gründen für die Verringerung der erkennungsprogramm für Kinder vor dem Hintergrund Ost-West-Unterschiede sowie die noch vorhandenen regi- zu erklären, dass dieses Programm in Ostdeutschland onalen Disparitäten in der Gesundheit ist nicht einfach nach der Wiedervereinigung neu eingeführt wurde. zu beantworten. Für die Annäherung der Gesundheits- Für die Gesundheitsunterschiede zwischen den Bun- chancen in den neuen und alten Ländern dürfte die im desländern und auf Ebene der Kreise und kreisfreien Zuge des Einigungsprozesses erfolgte Verbesserung des Städte ist insbesondere auf die differenziellen Lebens allgemeinen Lebensstandards in Ostdeutschland, der nur bedingungen und Teilhabechancen zu verweisen, die mit erheblichen Investitionen und Aufbauhilfen möglich im vorliegenden Beitrag anhand des German Index of war, einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Neben Socioeconomic Deprivation kenntlich gemacht wurden, der wirtschaftlichen Umstrukturierung und der mittler- oftmals aber auch an Einzelindikatoren wie der Armuts- weile erfolgten Entspannung der Arbeitsmarktsituation risikoquote, der Arbeitslosenquote oder dem Bruttoin- sowie Verbesserungen in Bezug auf die Stadtentwicklung, landsprodukt festgemacht werden. Zum Teil dürften die Wohnbedingungen und Umwelteinflüsse ist insbesondere beschriebenen Zusammenhänge auf die sozialräumliche auf die sehr rasch vollzogene Einbeziehung in die sozia- Segregation von Personen in unterschiedlichen Lebens- len Sicherungssysteme und das System der Gesundheits- lagen zurückzuführen sein. Die Ergebnisse von Mehrebe- versorgung zu verweisen. nenanalysen verweisen aber darauf, dass die Qualität des Außer den allgemeinen Prozessen dürften weitere Sozialraums auch unabhängig von der individuellen sozi- Entwicklungen eine Rolle für die Verringerung beziehungs- alen Lage einen Einfluss auf die Gesundheitschancen der weise das Fortbestehen der Ost-West-Unterschiede Menschen hat [22, 47]. gespielt haben, wobei diese je nach betrachtetem Gesund- Die Analyse kleinräumiger Unterschiede verweist ange- heitsindikator sehr unterschiedlich sein können. So sichts der sukzessiven Nivellierung der Ost-West-Unter- ist bei dem nach wie vor zu beobachtenden Unterschied schiede auf die zunehmende Notwendigkeit, andere Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 20
Journal of Health Monitoring 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands FOCUS regionale Kriterien als Ost und West oder auch Bundes- Korrespondenzadresse länder in den Blick zu nehmen. Das können kleinräumig- PD Dr. Thomas Lampert Robert Koch-Institut orientierte Ansätze sein wie NUTS2-Regionen, Raumord- Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring nungsregionen oder auch kreis- oder gemeindebasierte General-Pape-Str. 62 – 66 Analyseansätze. Neben solchen Konzepten, die sich an 12101 Berlin administrativen Abgrenzungen orientieren, sind zudem E-Mail: LampertT@rki.de Stadt-Land-Analysen oder, etwas stärker differenziert, Zitierweise siedlungsstrukturelle Typisierungen ebenso von Bedeu- Lampert T, Müters S, Kuntz B, Dahm S, Nowossadeck E (2019) tung wie GPS-basierte Gesundheitsforschung. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Abschließend ist darauf zu verweisen, dass sich die Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands. Journal of Health Monitoring 4(S2): 2 – 25. Entwicklung der beiden Teile Deutschlands nach dem DOI 10.25646/6076 Fall der Mauer nicht auf einer „Insel“, sondern im euro- päischen Kontext vollzog. Durch den Zusammenbruch Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter: des sozialistischen Systems in Europa fanden ähnliche www.rki.de/journalhealthmonitoring-en Umbrüche wie in den neuen Ländern auch in Polen, Tsche- chien, Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten statt. Datenschutz und Ethik Im Vergleich zu diesen Staaten, in denen die gesellschaft- GEDA und DEGS 1 unterliegen der strikten Einhaltung der lichen Transformationsprozesse ohne Anschluss an ein datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Bundesdaten- ökonomisch starkes Land und der damit verbundenen schutzgesetzes und wurden von der beziehungsweise dem Möglichkeit weitreichender Investitionen und Aufbau Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informations- hilfen erfolgte, zeichneten sich die positiven Entwicklun- freiheit in Deutschland genehmigt. Die zuständige Ethik- gen in der Gesundheit und Lebenserwartung in Ost- kommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat deutschland deutlich stärker und schneller ab [48, 49]. DEGS 1 unter ethischen Gesichtspunkten geprüft und der Studie zugestimmt (No.EA2/047/08). Die Teilnahme an GEDA und DEGS 1 war freiwillig. Die Teilnehmenden wurden über die Ziele und Inhalte der Studien sowie über den Datenschutz informiert und gaben ihre schriftliche Einwilligung (informed consent). Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels unterliegen den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Das heißt die im Interview erhobenen Daten Journal of Health Monitoring 2019 4(S2) 21
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