Journal of Health Monitoring - 30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands - RKI

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NOVEMBER 2019   GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES

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SPECIAL ISSUE     GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

                  Journal of Health Monitoring
                  30 Jahre nach dem Fall der Mauer:
                  Regionale Unterschiede in der Gesundheit
                  der Bevölkerung Deutschlands

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Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                    FOCUS

Journal of Health Monitoring · 2019 4(S2)
DOI 10.25646/6076
                                                       30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der
Robert Koch-Institut, Berlin
                                                       Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands
Thomas Lampert, Stephan Müters,
Benjamin Kuntz, Stefan Dahm,                           Abstract
Enno Nowossadeck                                       Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurden große gesellschaftliche Anstrengungen unternommen, um die
                                                       Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen in den neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern
Robert Koch-Institut, Berlin
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits-
                                                       anzugleichen. Infolgedessen haben sich auch die Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit deutlich verringert, in vielen
monitoring                                             Fällen bereits im Laufe der 1990er-Jahre. Dies lässt sich beispielsweise in Bezug auf die Lebenserwartung und die Herz-
                                                       Kreislauf-Mortalität feststellen. Auch mit Blick auf das Gesundheitsverhalten hat eine deutliche Annäherung stattgefunden.
Eingereicht: 11.06.2019                                So sind heute nur noch sehr geringe Unterschiede zum Beispiel beim Tabakkonsum oder in der Verbreitung der Adipositas
Akzeptiert: 28.08.2019
Veröffentlicht: 01.11.2019                             zu beobachten. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass der Blick auf die verbleibenden Unterschiede zwischen Ost- und
                                                       Westdeutschland zu kurz greift. Stattdessen sollte eine kleinräumigere Betrachtung unter Berücksichtigung der regional
                                                       unterschiedlichen Lebensverhältnisse angestrebt werden.

                                                          REGIONALE UNTERSCHIEDE · NEUE UND ALTE BUNDESLÄNDER · LEBENSERWARTUNG · GESUNDHEIT · RISIKOFAKTOREN

                                                       1. Einleitung                                                        haben sich die Ost-West-Unterschiede wesentlich verrin-
                                                                                                                            gert [2]. Andererseits liegt die Arbeitslosenquote und der
                                                       Nach dem Fall der Mauer im November 1989 wurden gro-                 Anteil der Personen, die von Armut betroffen oder bedroht
                                                       ße gesellschaftliche Anstrengungen unternommen, um die               sind, in den neuen Bundesländern noch immer deutlich
                                                       Lebensbedingungen und sozialen Teilhabechancen in den                höher als in den alten Bundesländern. Dies lässt sich aller-
                                                       neuen Bundesländern an die in den alten Bundesländern                dings nicht allein auf die DDR-Vergangenheit zurückführen,
                                                       anzugleichen. Im Verlauf der letzten 30 Jahre konnte in vie-         sondern ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen wirt-
                                                       len Bereichen eine Annäherung erreicht werden. So liegen             schaftlichen, sozialen und demografischen Entwicklungen
                                                       die Tariflöhne in Ostdeutschland inzwischen bei 98 Pro-              zu sehen.
                                                       zent des Westniveaus und die Angleichung der Renten in                  Wanderungsprozesse als immanenter Bestandteil
                                                       Ost und West soll bis 2024 vollzogen sein [1]. Auch in Bezug         gesellschaftlicher Veränderungen waren seit der Wieder-
                                                       auf den Lebensstandard, das heißt die Ausstattung mit als            vereinigung in den neuen und den alten Bundesländern
                                                       wichtig erachteten Konsum- und Gebrauchsgütern, und                  deutlich unterschiedlich ausgeprägt. Die Zuwanderung aus
                                                       die subjektive Zufriedenheit mit den Lebensbedingungen               dem Ausland fokussierte sich insbesondere auf die alten

          Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                             2
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                       FOCUS

                                          Bundesländer. Zudem weisen und wiesen die alten Bun-                 zugrunde liegende Risikofaktoren. Außerdem wurde offen-
                                          desländer Zuwanderungsgewinne aus den neuen Bundes-                  sichtlich, dass der Blick auf verbleibende Ost-West-Unter-
                                          ländern auf. Die neuen Bundesländer haben im Gegenzug                schiede zu kurz greift und stattdessen eine kleinräumigere
                                          sehr starke Wanderungsverluste gegenüber den alten Bun-              regionale Betrachtung unter Berücksichtigung der regional
                                          desländern erlitten. Abgewandert sind überwiegend junge              unterschiedlichen Lebensverhältnisse, zum Beispiel in
                                          Menschen, vor allem junge, gut ausgebildete Frauen (die              Bezug auf die Wirtschaftskraft und die Beschäftigungs- und
                                          sogenannte altersselektive Abwanderung) [3]. Damit ver-              Einkommenschancen, anzustreben ist [6 –8].
                                          ließen auch Frauen die schrumpfenden Regionen, die spä-                  Der vorliegende Beitrag des Journal of Health Monito-
                                          ter selbst noch Kinder bekamen oder bekommen können.                 ring knüpft an die Vorgängerberichte an und befasst sich
                                          Dies führte zu einer Spirale aus Abwanderung und abneh-              anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls mit der Frage,
                                          menden Geburtenzahlen [4]. Zwar gibt es mittlerweile Hin-            ob und inwieweit sich die beschriebenen Entwicklungen
                                          weise auf eine zunehmende Rückwanderung [5], doch über-              weiter fortgesetzt haben. Dazu werden zunächst die mitt-
                                          wiegen bei den Rückwanderern Männer.                                 lere Lebenserwartung und die Sterblichkeit betrachtet
                                              Welche Bedeutung den Veränderungen der Lebensbe-                 (Kapitel 3.1). Anschließend wird auf Herz-Kreislauf-Erkran-
                                          dingungen und Teilhabechancen in den neuen und alten                 kungen, Krebserkrankungen und psychische Störungen ein-
                                          Bundesländern für die Gesundheit der Menschen zukommt,               gegangen (Kapitel 3.2 bis Kapitel 3.4). Neben der subjekti-
                                          hat der im Jahr 2009 veröffentlichte Bericht „20 Jahre nach          ven Gesundheit (Kapitel 3.5) werden zudem als wichtige
                                          dem Mauerfall: Wie hat sich die Gesundheit in Deutsch-               Einflussfaktoren der Tabakkonsum, die Adipositas sowie
                                          land entwickelt?“ eindrücklich gezeigt [6]. Der Bericht, der         die sportliche Inaktivität (Kapitel 3.6 bis Kapitel 3.8) behan-
                                          vom Robert Koch-Institut im Auftrag des Bundesministe-               delt. Abschließend wird an einigen Beispielen verdeutlicht,
                                          riums für Gesundheit erstellt wurde, bilanzierte die gesund-         wie wichtig eine kleinräumige Analyse von Ost-West-Unter-
                                          heitliche Entwicklung in Ost- und Westdeutschland und                schieden, nach Möglichkeit unter Berücksichtigung der zum
                                          griff dazu auf eine breite Datengrundlage zurück. Das Spek-          Teil beträchtlichen Unterschiede in den Lebensbedingungen
                                          trum der behandelten Themen reichte vom Krankheits- und              und Teilhabemöglichkeiten, ist (Kapitel 3.9).
                                          Sterbegeschehen über das Gesundheitsverhalten und
                                          damit assoziierten Risikofaktoren bis hin zur Gesundheits-           2. Methode
                                          versorgung. Wie ein fünf Jahre später vorgelegter Nachfol-
                                          geartikel auch [7], machte dieser Bericht deutlich, dass sich        Für den vorliegenden Beitrag wird auf eine breite Daten-
                                          viele Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit verringert             grundlage zurückgegriffen. Allerdings setzt die Betrachtung
                                          haben oder nicht mehr bestehen. Dies gilt zum Beispiel               erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr
                                          für die mittlere Lebenserwartung, die subjektive Gesund-             1990 ein, da nur sehr wenige Studien und andere Daten-
                                          heit und auch für viele chronische Erkrankungen und                  quellen zur Verfügung stehen, um die gesundheitliche

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Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                      FOCUS

                                          Situation von Menschen in der damaligen DDR mit der                      Neben den Daten des Robert Koch-Instituts werden
                                          von Menschen in der alten Bundesrepublik zu vergleichen.             für den vorliegenden Beitrag unter anderem Daten des
                                          Nach 1990 wurden weitreichende Anstrengungen unter-                  Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) des Deutschen
                                          nommen, um die Datenlage für solche Vergleiche zu ver-               Institutes für Wirtschaftsforschung [14] und des Mikro-
                                          bessern. Beispielsweise wurde in den Jahren 1991 und 1992            zensus des Statistischen Bundesamtes [15, 16] genutzt.
                                          vom Robert Koch-Institut in den neuen Bundesländern ein              Wichtige Einblicke liefern zudem weitere Datenquellen der
                                          Gesundheitssurvey durchgeführt, der sich weitgehend an               amtlichen Statistik, wie zum Beispiel die Statistik der natür-
                                          den zuletzt in den Jahren 1990 und 1991 in den alten Bun-            lichen Bevölkerungsbewegung [17], die Todesursachen­
                                          desländern stattgefundenen Gesundheitssurveys orientier-             statistik [18] oder die Krankenhausdiagnosestatistik [19].
                                          te [9, 10]. Im Zeitraum von 1997 bis 1999 gab es mit dem             Ergänzt werden diese durch Ergebnisse einzelner gesund-
                                          Bundes-Gesundheitssurvey 1998 den ersten gesamtdeut-                 heitswissenschaftlicher Studien oder Erhebungen wie der
                                          schen Gesundheitssurvey [11]. Für den vorliegenden Bericht           Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportbun-
                                          wurden weitere Surveys des Robert Koch-Instituts                     des zur Anzahl der Mitglieder in Sportvereinen [20].
                                          aus­gewertet, so die Studie zur Gesundheit Erwachsener                   Um Erkrankungs- und Sterbehäufigkeiten von Bevölke-
                                          in Deutschland (DEGS 1, 2008 – 2011) [10] und mehrere                rungsgruppen mit unterschiedlicher Altersstruktur zu ver-
                                          Wellen der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell                  gleichen, wurden Altersstandardisierungen auf Basis der
                                          (GEDA) aus den Jahren 2009, 2010, 2012 und 2014/2015                 alten Europastandardbevölkerung vorgenommen [21]. Um
                                          [12]. Für Aussagen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden             regionale Unterschiede in der Gesundheit unterhalb der
                                          Angaben zur Lebenszeitprävalenz (jemals im Laufe des                 Bundesländerebene analysieren und bewerten zu können,
                                          Lebens an dieser Erkrankung erkrankt) einer bedeutsamen              sollten sie im Zusammenhang mit Unterschieden in den
                                          kardiovaskulären Erkrankung (selbstberichtete ärztliche              Lebensbedingungen und Teilhabemöglichkeiten betrachtet
                                          Diagnose eines Schlaganfalls, einer Herzinsuffizienz, eines          werden. Das Robert Koch-Institut hat hierzu einen Index
                                          Herzinfarkts oder einer anderen koronaren Herzkrankheit)             entwickelt, der auf Basis verschiedener Indikatoren, dar-
                                          herangezogen. Die Prävalenz einer aktuellen depressiven              unter Arbeitslosigkeit, Beschäftigtenquote, Haushalts­
                                          Symptomatik wurde in der Studie GEDA 2014/2015-EHIS                  nettoeinkommen, Schuldnerquote, Steuereinnahmen und
                                          mit dem Patient Health Questionnaire (PHQ-8) erhoben                 Schulabgänger ohne Abschluss, regionale Unterschiede in
                                          [13].                                                                Bezug auf sozioökonomische Deprivation misst (German
                                              Für Auswertungen der Zahl der Inzidenzfälle (Zahl der            Index of Socioeconomic Deprivation, GISD) [22]. Mehrdi-
                                          Neuerkrankungen) beziehungsweise der Inzidenzraten                   mensionale Indizes auf regionaler Ebene haben den Vorteil,
                                          (Zahl der Neuerkrankungen je 100.000 Einwohnerinnen                  dass sie nicht nur einzelne Aspekte, sondern die Gesamt-
                                          bzw. Einwohner) werden Daten des Zentrums für Krebs­                 heit sozioökonomischer Vor- und Nachteile in Sozialräu-
                                          registerdaten am Robert Koch-Institut herangezogen.                  men abbilden können.

Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                            4
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                        FOCUS

                                                3. Ergebnisse                                                        Unterschied fällt aber inzwischen deutlich geringer aus.
                                                3.1 Lebenserwartung                                                  Wie bei den Frauen ist dies auf die Entwicklung in den
                                                                                                                     1990er-Jahren zurück­zuführen. Der verbliebene Unter-
                                                Kurz nach der Wiedervereinigung lag die mittlere Lebens-             schied von etwas mehr als einem Jahr zuungunsten von
                                                erwartung bei Geburt in den neuen Bundesländern noch                 Männern in den neuen Bundesländern hat sich seitdem
                                                deutlich unter der in den alten Bundesländern. Frauen in             nicht weiter verringert (Tabelle 1).
                                                den neuen Bundesländern konnten bei Geburt im Mittel                    Eine entsprechende Entwicklung ist für die fernere
                                                mit 77,2 Jahren Lebenserwartung rechnen, Frauen aus                  Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren zu beobachten.
                                                den alten Bundesländern mit 79,5 Jahren. Bei Männern                 Zu Beginn der 1990er-Jahre lag die fernere Lebenserwar-
                                                war der Unterschied mit 69,9 Jahren im Vergleich zu                  tung von Frauen und Männern aus den neuen Bundes-
 Der Ost-West-Unterschied in                    73,1 Jahren noch größer. In den Folgejahren haben sich               ländern noch ein bis zwei Jahre unter der von Frauen und
 der Lebenserwartung hat sich                   die Ost-West-Unterschiede in der mittleren Lebenser­                 Männern aus den alten Bundesländern. Inzwischen ist es
 bereits während der 1990er-                    wartung bei Geburt schnell verringert. Bei Frauen kam es             zu einer weitgehenden Angleichung gekommen. Bei
                                                bereits bis zum Jahr 2000 zu einer weitgehenden Anglei-              Frauen liegt die fernere Lebenserwartung in den neuen
 Jahre deutlich verringert.
                                                chung. Seit den Jahren 2015/2017 liegt die mittlere                  Bundesländern inzwischen geringfügig höher als in den
                                                Lebenserwartung von Frauen in den neuen Bundeslän-                   alten Bundesländern. Männer aus den neuen Bundeslän-
                                                dern sogar geringfügig über der in den alten Bundes­                 dern haben im Alter von 65 Jahren nach wie vor eine etwas
                                                ländern [23, 24]. Bei Männern kam es zu keiner vollstän-             niedrigere fernere Lebenserwartung als Männer aus den
                                                digen Angleichung der Lebenserwartung, der Ost-West-                 alten Bundesländern.

                                                                                                                      Frauen                                                Männer
                                                                          1991/1993    1999/2001     2007/2009     2015/2017     1991/1993     1999/2001     2007/2009    2015/2017
                                                e0
                                                 Deutschland                   79,01        81,07         82,53         83,18         72,47         75,00        77,33          78,36
                                    Tabelle 1    Neue Bundesländer             77,18        80,53         82,37         83,22         69,86         73,69        76,27          77,25
Entwicklung der mittleren Lebenserwartung        Alte Bundesländer             79,48        80,72         82,57         83,17         73,11         75,43        77,58          78,61
           bei Geburt (e0) und der ferneren      Differenz                     -2,30        -0,19         -0,20          0,05          -3,25         -1,74        -1,31         -1,36
       Lebenserwartung mit 65 Jahren (e65)      e65
    in den neuen und alten Bundesländern         Deutschland                   18,02        19,44         20,52         21,00         14,34         15,79        17,22         17,80
                           nach Geschlecht       Neue Bundesländer             16,69        18,90         20,20         21,05         13,26         15,17        16,75         17,44
           Quelle: Statistik der natürlichen     Alte Bundesländer             18,35        19,59         20,60         20,99         14,58         15,92        17,32         17,89
               Bevölkerungsbewegung [17]         Differenz                     -1,66        -0,69         -0,40          0,06         -1,32          -0,75        -0,57         -0,45

      Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                              5
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                    FOCUS

                                                    3.2 Herz-Kreislauf-Erkrankungen                                          aber nach 1988, nachdem bereits in den 1980er-Jahren die
                                                                                                                             Herz-Kreislauf-Mortalität zu sinken begonnen hatte [24].
                                                    Die Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist in den                Im Jahr 1990 betrug die kardiovaskuläre altersstandardi-
                                                    neuen Bundesländern höher als in den alten Bundeslän-                    sierte Sterblichkeit in der damaligen DDR gegenüber jener
                                                    dern. Nach Daten der GEDA-Studie aus den Jahren 2009,                    in der alten Bundesrepublik das 1,52-fache bei Frauen und
                                                    2010 und 2012 betrug die Lebenszeitprävalenz einer bedeut-               das 1,44-fache bei Männern. Danach sank diese Übersterb-
                                                    samen kardiovaskulären Erkrankung (selbstberichtete                      lichkeit und betrug 2016 das 1,18-fache bei Frauen und das
                                                    ärztliche Diagnose von Herzinfarkt, anderer koronarer                    1,24-fache bei Männern.
                                                    Herzkrankheit, Schlaganfall oder Herzinsuffizienz) in                        Mehr als die Hälfte der kardiovaskulär bedingten Todes-
                                                    den neuen Bundesländern (mit Berlin) 13,0 % und war                      fälle werden durch acht Risikofaktoren verursacht (verhal-
    Die Sterblichkeit an                            damit höher als in den alten Bundesländern (ohne Berlin)                 tensbezogene Risikofaktoren wie sportliche Inaktivität, risi-
    Herz-Kreislauf-Erkrankungen                     mit 11,7 % [25].                                                         koreicher Alkoholkonsum, Rauchen und geringer Obst- und
    hat sich in den neuen                               Auch die Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-Erkrankungen                Gemüseverzehr sowie krankheitsnahe Risikofaktoren wie
                                                    ist in den neuen Bundesländern erhöht (Abbildung 1). Die                 Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes und Fettstoffwechsel-
    Bundesländern in den letzten
                                                    Angleichung an das Niveau der Bundesrepublik begann                      störung), die größtenteils vermeidbar sind [26]. Für diese
    30 Jahren an die in den alten
    Bundesländern angenähert.
                                                          Fälle je 100.000 Einwohner
                                                    800

                                                    700

                                                    600

                                                    500

                                                    400

                                                    300

                                                    200

                                   Abbildung 1      100
Entwicklung der Sterblichkeit an Herz-Kreislauf-
            Erkrankungen (altersstandardisiert)             1990       1992       1994    1996      1998      2000    2002     2004      2006      2008      2010      2012         2014       2016
        in den neuen und alten Bundesländern                                                                                                                                                      Jahr
                   1990 – 2016 nach Geschlecht                 Frauen: Neue Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-Ost)           Männer: Neue Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-Ost)
             Quelle: Todesursachenstatistik [18]               Frauen: Alte Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-West)          Männer: Alte Bundesländer (ab 1998 ohne Berlin-West)

         Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                           6
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                    FOCUS

                                          wurde die regionale Verteilung in Deutschland anhand der             meisten Krebsarten steigt das Erkrankungsrisiko mit dem
                                          Daten der GEDA-Studie aus den Jahren 2009, 2010 und                  Lebensalter an [29, 30]. Weitere Faktoren, wie beispiels­
                                          2012 untersucht. Bei allen acht Risikofaktoren wurden deut-          weise Veränderungen von verhaltensbedingten Risikofak-
                                          liche Prävalenzunterschiede zwischen den Bundesländern               toren, Krebsfrüherkennungsuntersuchungen und verbes-
                                          gefunden. In den ostdeutschen Bundesländern mit                      serte diagnostische Verfahren haben ebenfalls zum Anstieg
                                          Ausnahme von Berlin wurden die höchsten Prävalenzen                  beigetragen [30].
                                          von sportlicher Inaktivität, Adipositas, Hypertonie und                  Die Unterschiede in den Neuerkrankungsraten (Inzidenz-­­
                                          Diabetes bei beiden Geschlechtern und von riskantem                  fälle je 100.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohner) für Krebs
                                          Alkoholkonsum bei den Männern beobachtet. Beim Rau-                  insgesamt variieren zwischen den neuen und den alten
                                          chen nahmen die drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und                Bundesländern. Frauen in den neuen Bundesländern haben
                                          Bremen vordere Rangplätze ein (vgl. Kapitel 3.6). Der Anteil         niedrigere Inzidenzraten als Frauen in den alten Bundes-
                                          der Bevölkerung, der weniger als eine Portion Obst,                  ländern, bei Männern ist es umgekehrt (Abbildung 2).
                                          Gemüse oder Saft pro Tag verzehrt, war im Saarland am                Dabei haben sich die Unterschiede in den zurückliegenden
                                          höchsten [27].                                                       Jahren kaum verändert. Die Sterblichkeit ist rückläufig,
                                                                                                               unterscheidet sich zwischen den neuen und den alten
                                          3.3 Krebserkrankungen                                                Bundes­   ländern bei Frauen jedoch nur geringfügig
                                                                                                               (Abbildung 2). Bei Männern sind die Unterschiede zuun-
                                          Die Zahl der Krebsneuerkrankungen (ohne nicht-mela­                  gunsten der neuen Bundesländer größer, diese haben sich
                                          notische Hauttumoren) betrug im Jahr 2014 nach Schät-                im hier dargestellten Zeitraum nicht verringert.
                                          zungen des Zentrums für Krebsregisterdaten am Robert                     Für Lungenkrebs ergibt sich ein anderes Bild. Bei ins-
                                          Koch-Institut bei Frauen etwa 227.000 und bei Männern                gesamt steigender Tendenz sind die Inzidenzraten wie
                                          249.000 Fälle. Die häufigsten Krebserkrankungen bei                  auch die Sterblichkeit an Lungenkrebs bei Frauen in den
                                          Frauen waren 2014 Brustkrebs mit einem Anteil von 30,5 %             neuen Bundesländern niedriger als bei Frauen in den alten
                                          aller Neuerkrankungen, Darmkrebs (12,3 %) sowie Lungen-              Bundesländern. Bei Männern ist die Situation anders. Hier
                                          krebs (8,5 %). Bei Männern traten Prostatakrebs mit 23,0 %           sind Inzidenz und Sterblichkeit in den neuen Bundeslän-
                                          aller Neuerkrankungen, Lungenkrebs (13,9 %) und Darm-                dern bei insgesamt sinkenden Trends höher als in den
                                          krebs (13,3 %) am häufigsten auf [28]. Zwischen 1970 und             alten Bundesländern (Abbildung 3). Die Unterschiede bei
                                          2014 hat sich die Zahl der jährlichen Krebsneuerkrankun-             Frauen zwischen den neuen und den alten Bundesländern
                                          gen verdoppelt. Etwa zur Hälfte ist dieser Anstieg durch             haben sich ausgeweitet, weil die Sterblichkeit in den alten
                                          die demografische Alterung, also durch die Verschiebung              Bundesländern schneller angestiegen ist als in den neuen.
                                          der Altersstruktur der Bevölkerung in Richtung eines grö-            Dies ist vor allem dem lange Zeit höheren Anteil an
                                          ßeren Anteils höherer Altersgruppen, erklärbar: Für die              Raucherinnen in den alten Bundesländern geschuldet

Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                          7
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                            FOCUS

                                                (vgl. Kapitel 3.6). Erst in den letzten Jahren haben sich die                       70. Lebensjahres, also häufig erst Jahrzehnte nach dem
                                                Raucherquoten zwischen Ost und West angeglichen [7].                                Beginn des Rauchens. Daher werden sich die gesunkenen
                                                   Da sich Folgen des Rauchens oftmals erst Jahrzehnte                              Einstiegsraten in den Tabakkonsum erst nach weiteren
                                                später in Lungenkrebserkrankungen manifestieren,                                    zwei bis drei Jahrzehnten im Neuerkrankungs- und Sterb-
                                                erkrankt etwa die Hälfte der Betroffenen erst jenseits des                          lichkeitsgeschehen widerspiegeln [31].

                                                       Fälle je 100.000 Einwohnerinnen
                                                600
                                                                                                                             Frauen
                                                500

                                                400

                                                300

                                                200

                                                100

                                                        1999     2000     2001      2002     2003     2004     2005     2006      2007     2008     2009     2010      2011   2012   2013   2014    2015
                                                                                                                                                                                                      Jahr

                                                       Fälle je 100.000 Einwohner
                                                600
                                                                                                                             Männer
                                                500

                                                400

                                                300

                                                200

                                                100
                                Abbildung 2
 Entwicklung der Inzidenz und Sterblichkeit
     an Krebs (ICD-10: C00 – C96, ohne C44)             1999     2000     2001      2002     2003     2004     2005     2006      2007     2008     2009     2010      2011   2012   2013   2014    2015
                                                                                                                                                                                                      Jahr
 je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert)
     in den neuen und alten Bundesländern                      Inzidenz neue Bundesländer                         Sterblichkeit neue Bundesländer
                                                               Inzidenz alte Bundesländer                         Sterblichkeit alte Bundesländer
                1999 – 2015 nach Geschlecht
Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28]     ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision

      Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                  8
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                            FOCUS

                                                      Fälle je 100.000 Einwohnerinnen
                                                90
                                                                                                                               Frauen
                                                80

                                                70

                                                60

                                                50

                                                40

                                                30

                                                20

                                                10

                                                       1999     2000     2001      2002     2003     2004     2005      2006     2007     2008      2009     2010      2011   2012   2013   2014    2015
                                                                                                                                                                                                      Jahr
                                                      Fälle je 100.000 Einwohner
                                                90
                                                                                                                             Männer
                                                80

                                                70

                                                60

                                                50

                                                40

                                                30

                                                20

                                                10
                                Abbildung 3
 Entwicklung der Inzidenz und Sterblichkeit
         an Lungenkrebs (ICD-10: C33 – C34)            1999     2000     2001      2002     2003     2004     2005      2006     2007     2008      2009     2010      2011   2012   2013   2014    2015
                                                                                                                                                                                                      Jahr
 je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert)
     in den neuen und alten Bundesländern                     Inzidenz neue Bundesländer                         Sterblichkeit neue Bundesländer
                                                              Inzidenz alte Bundesländer                         Sterblichkeit alte Bundesländer
               1999 – 2015 nach Geschlecht
Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28]     ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision

      Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                  9
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                             FOCUS

                                                      Die Neuerkrankungsraten bei Brustkrebs sind in den                                  Die Brustkrebssterblichkeit hat seit Beginn der
                                                  neuen und den alten Bundesländern bis 2008/2009 ange-                               1990er-Jahre sowohl in den neuen als auch in den alten Bun-
                                                  stiegen, insbesondere seit dem Jahr 2005. Seitdem sind                              desländern abgenommen (Abbildung 4). Dabei liegen die
                                                  die Inzidenzraten rückläufig (Abbildung 4). Dies ist das                            Sterberaten in den alten Bundesländern etwa 20 % höher als
                                                  Ergebnis des von 2005 bis 2009 etablierten Mammogra-                                in den neuen Bundesländern. Als Schutzfaktoren für Frauen
                                                  phie-Screening-Programms [32]. Für Frauen von 50 bis 69                             in Ostdeutschland werden höhere Geburten­raten, ein nied-
                                                  Jahren ist die Teilnahme an diesem Programm kostenfrei.                             rigeres Alter bei Geburt des ersten Kindes, seltenere Kinder-
                                                  Durch dieses Programm werden Tumoren zu einem frühe-                                losigkeit und andere Lebensstilfaktoren vermutet [30, 33 – 35].
                                                  ren Zeitpunkt diagnostiziert. Infolge dieses Vorziehens des
                                                  Diagnosezeitpunktes steigen die Inzidenzraten zunächst                              3.4 Psychische Störungen
                                                  an und sinken anschließend wieder [30]. Über den gesam-
                                                  ten Beobachtungszeitraum liegen die Neuerkrankungsra-                               Psychische Störungen weisen eine große Verbreitung auf
                                                  ten bei Brustkrebs in den alten Bundesländern deutlich                              und haben eine hohe Krankheitslast [36]. Auswertungen
                                                  höher als in den neuen Bundesländern.                                               des Zusatzmoduls zur Psychischen Gesundheit der Studie

                                                         Fälle je 100.000 Einwohnerinnen
                                                  160
                                                                                                                                Frauen
                                                  140

                                                  120

                                                  100

                                                   80

                                                   60

                                                   40

                                                   20
                                  Abbildung 4
                Entwicklung der Inzidenz und
  Sterblichkeit an Brustkrebs (ICD-10: C50) je            1999     2000     2001     2002      2003     2004     2005     2006      2007     2008     2009     2010      2011   2012   2013   2014     2015
                                                                                                                                                                                                         Jahr
100.000 Einwohnerinnen (altersstandardisiert)
                      in den neuen und alten                     Inzidenz neue Bundesländer                         Sterblichkeit neue Bundesländer
                                                                 Inzidenz alte Bundesländer                         Sterblichkeit alte Bundesländer
                   Bundesländern 1999 – 2015
  Quelle: Zentrum für Krebsregisterdaten [28]     ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision

        Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                  10
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                  FOCUS

                                             DEGS 1 (DEGS 1-MH) des Robert Koch-Instituts zeigen eine                Vergleichbare Verteilungsmuster zwischen den neuen
                                             12-Monats-Prävalenz für psychische Störungen von 27,7 %              und alten Bundesländern finden sich auch in Abrech-
                                             für die deutsche Allgemeinbevölkerung im Alter von 18 bis            nungsdaten der Krankenkassen in Bezug auf depressive
                                             79 Jahren. Die Unterschiede zwischen den neuen und den               Erkrankungen [13, 38, 39]. So wird in den alten Bundes-
                                             alten Bundesländern sind dabei eher gering. Während bei              ländern eine Depression häufiger diagnostiziert als in
                                             36,6 % der Frauen in den neuen Bundesländern irgend­eine             den neuen, und zwar unter Berücksichtigung der unter-
                                             psychische Störung festgestellt worden ist, sind es bei Frau-        schiedlichen Alters- und Geschlechtsstruktur [39]. Als
                                             en in den alten Bundesländern 33,7 %. Bei den Männern                mögliche Erklärungen werden neben der Krankheitsver-
                                             beträgt die Prävalenz 20,4 % in den neuen Bundesländern              breitung unter anderem Unterschiede im Versorgungs-
                                             gegenüber 23,0 % in den alten Bundesländern [7, 37].                 system diskutiert. Diagnosen sollten von Psychothera-
                                                 Die Prävalenz einer aktuellen depressiven Symptomatik            peutinnen und -therapeuten sowie von Psychiaterinnen
Depressionen sind in den                     in Deutschland liegt laut GEDA 2014/2015-EHIS bei 10,1 %             und Psychiatern gestellt werden. Insbesondere bei Psy-
neuen Bundesländern etwas                    [13]. In Ostdeutschland ist sie mit 9,1 % etwas niedriger als        chotherapeutinnen und -therapeuten gibt es in den alten
seltener als in den alten                    in Westdeutschland mit 10,3 %. Bei den Frauen aus den                Bundesländern eine deutlich höhere Versorgungsdichte
Bundesländern.                               neuen Bundesländern weisen 10,8 % eine depressive Symp­              als in den neuen Bundesländern, sodass in den alten
                                             tomatik auf gegenüber 11,7 % der Frauen aus den alten Bun-           Bundesländern bessere Möglichkeiten der Diagnose
                                             desländern. Bei den Männern beträgt die Prävalenz 7,3 %              bestehen [39 – 41].
                                             gegenüber 8,9 %. Die in GEDA 2014/15-EHIS ebenfalls erho-               Anhand der Krankenhausdiagnosestatistik können
                                             bene 12-Monats-Prävalenz einer selbstberichteten ärztlich            weitere Hinweise auf die Versorgung psychischer
                                             diagnostizierten Depression liegt in Deutschland bei 8,1 %           Störungen gewonnen werden. Für die stationären Fall-
                                             [38], in Ostdeutschland mit 6,6 % ebenfalls niedriger als in         zahlen psychischer und Verhaltensstörungen ist für den
                                             Westdeutschland mit 8,3 %. Frauen aus den neuen Bundes-              Zeitraum von 2000 bis 2011 ein deutlicher Anstieg zu
                                             ländern leiden zu 8,8 % unter einer ärztlich diagnostizierten        beobachten, der sich aber seitdem nicht weiter fortge-
                                             Depression, Frauen aus den alten Bundesländern zu 9,8 %.             setzt hat. Diese Entwicklung ist gleichermaßen für Frauen
                                             Bei den Männern beträgt die Prävalenz 4,2 % gegenüber                und Männer in den neuen und alten Bundesländern fest-
                                             6,7 %. Differenzierte Betrachtungen nach Bundesländern               zustellen. Die Unterschiede zwischen den neuen und
                                             zeigen sowohl für die depressive Symptomatik als auch für            den alten Bundesländern haben sich seit der Jahrtau-
                                             selbstberichtete ärztliche Depressionsdiagnosen ein häufi-           sendwende nicht mehr ausgeweitet.
                                             geres Vorkommen in den alten Bundesländern. Eine Aus-                   Anders sieht es aus, wenn bestimmte Erkrankungs­
                                             nahme stellt Bayern mit einer geringeren Prävalenz dar.              gruppen betrachtet werden. Dies gilt zum Beispiel
                                             Zudem zeigt sich, dass die Prävalenzen in den Stadtstaaten           für affektive Störungen (Internationale statistische
                                             über denen in den Flächenstaaten liegen [13].                        Klassi­fikation der Krankheiten und verwandter Gesund- ­­

   Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                       11
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                            FOCUS

                                               heitsprobleme, 10. Revision, ICD-10: F30 – F39), zu denen                           3.5 Subjektive Gesundheit
                                               die Depression zählt, sowie für neurotische, Belastungs-
                                               und somatoforme Störungen (ICD-10: F40 – F48). Wäh-                                 Aussagen zur Entwicklung der subjektiven Gesundheit
                                               rend die stationären Fallzahlen in der Diagnosegruppe                               sind unter anderem anhand der Daten des Sozio-oekono-
                                               der affektiven Störungen in Westdeutschland höher sind                              mischen Panels möglich. Betrachtet man den Anteil der
                                               als in Ostdeutschland (Abbildung 5), sind diejenigen                                Frauen und Männer im Alter von 18 bis 79 Jahren, die
                                               der neurotischen, Belastungs- und somatoformen                                      ihren allgemeinen Gesundheitszustand als gut oder sehr
                                               Störungen bei Frauen und Männern in Ostdeutschland                                  gut bewerten, dann sind nur sehr geringe Ost-West-
                                               höher (Abbildung 6). Dabei wurden die Unterschiede                                  Unterschiede zu verzeichnen. Diese waren bereits zu
                                               zwischen Ost- und Westdeutschland zwischen 2000 bis                                 Beginn der 1990er-Jahre schwach ausge­­prägt. Über die
                                               etwa 2012 größer; seitdem entwickeln sie sich nicht                                 letzten 20 Jahre hat sich der Anteil der Frauen und
                                               weiter auseinander.                                                                 Männer mit sehr guter oder guter selbsteingeschätzter

                                                     Fälle je 100.000 Einwohner
                                               450

                                               400

                                               350

                                               300

                                               250

                                               200

                                               150

                                               100

                                                50
                                Abbildung 5
 Entwicklung der stationären Fallzahlen für
                                                      2000     2001    2002       2003   2004     2005    2006     2007     2008     2009     2010    2011     2012   2013   2014   2015   2016    2017
     affektive Störungen (ICD-10: F30 – F39)                                                                                                                                                         Jahr
je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert)
                                                          Frauen: Neue Bundesländer                      Männer: Neue Bundesländer
    in den neuen und alten Bundesländern                  Frauen: Alte Bundesländer                      Männer: Alte Bundesländer
                2000 – 2017 nach Geschlecht
 Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [19]     ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision

     Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                 12
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                            FOCUS

                                  Abbildung 6           Fälle je 100.000 Einwohner
                                                  400
       Entwicklung der stationären Fallzahlen
             für neurotische, Belastungs- und     350
  somatoforme Störungen (ICD-10: F40 – F48)
                                                  300
je 100.000 Einwohner (altersstandardisiert) in
         den neuen und alten Bundesländern        250
                  2000 – 2017 nach Geschlecht     200
    Quelle: Krankenhausdiagnosestatistik [19]
                                                  150

                                                  100

                                                   50

                                                         2000     2001    2002       2003   2004     2005    2006     2007     2008     2009    2010     2011     2012   2013   2014   2015   2016    2017
                                                                                                                                                                                                        Jahr
                                                             Frauen: Neue Bundesländer                      Männer: Neue Bundesländer
                                                             Frauen: Alte Bundesländer                      Männer: Alte Bundesländer

  Beim Rauchen und der                            ICD-10 = Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision
  Adipositas bestehen keine
  bedeutsamen Ost-West-
  Unterschiede mehr.                              Gesundheit nicht wesentlich verändert. Dies gilt sowohl                             3.6 Rauchen
                                                  für die neuen als auch für die alten Bundesländer. Eine
                                                  nach Altersgruppen differenzierte Betrachtung bestätigt                             Mit Daten der Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts
                                                  dies für die 18- bis 39-jährige und die 40- bis 54-jährige                          kann die Entwicklung des Tabakkonsums in der 25- bis 69-
                                                  Bevölkerung. Einzig für die 55- bis 79-jährige Bevölkerung                          jährigen Bevölkerung der neuen und alten Bundesländer
                                                  ist festzustellen, dass der Anteil der Frauen und Männer                            für den Zeitraum 1990 bis 2015 nachgezeichnet werden
                                                  mit sehr guter oder guter subjektiver Gesundheit zuge-                              (Abbildung 8). Kurz nach der Wiedervereinigung lag der
                                                  nommen hat. Dies kommt in den alten Bundesländern                                   Anteil der Männer, die rauchen, in den neuen Bundesländern
                                                  deutlicher zum Ausdruck als in den neuen Bundeslän­-                                mit 40,6 % gegenüber 39,2 % etwas höher als in den alten
                                                  dern. Infolgedessen sind vor allem bei Männern dieser                               Bundesländern [42]. Seit Beginn der 2000er-Jahre ist der
                                                  Altersgruppe inzwischen deutlichere Ost-West-Unter-                                 Tabakkonsum bei Männern insgesamt rückläufig, wobei der
                                                  schiede als zu Beginn der 1990er-Jahre zu beobachten                                leichte Ost-West-Unterschied weitgehend erhalten geblieben
                                                  (Abbildung 7).                                                                      ist. Bei Frauen, die insgesamt seltener rauchen als Männer,

        Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                 13
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                                                                                                                                                               FOCUS

                                   Abbildung 7          Anteil (%)
                                                   90
            Prävalenz „guter“ oder „sehr guter“                                                                      Frauen                                                                                                                                      Männer
selbsteingeschätzter Gesundheit in den neuen       80
    und alten Bundesländern nach Geschlecht
                                                   70
                  Quelle: SOEP 1994 – 2015 [14],
                         eigene Berechnungen       60

                                                   50

                                                   40

                                                   30

                                                   20

                                                   10

                                                                                             2000/2001

                                                                                                         2002/2003

                                                                                                                      2004/2005

                                                                                                                                  2006/2007

                                                                                                                                              2008/2009

                                                                                                                                                          2010/2011

                                                                                                                                                                      2012/2013

                                                                                                                                                                                  2014/2015

                                                                                                                                                                                                                                         2000/2001

                                                                                                                                                                                                                                                     2002/2003

                                                                                                                                                                                                                                                                  2004/2005

                                                                                                                                                                                                                                                                              2006/2007

                                                                                                                                                                                                                                                                                          2008/2009

                                                                                                                                                                                                                                                                                                      2010/2011

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  2012/2013

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                              2014/2015
                                                        1994/1995

                                                                     1996/1997

                                                                                 1998/1999

                                                                                                                                                                                                     1994/1995

                                                                                                                                                                                                                 1996/1997

                                                                                                                                                                                                                             1998/1999
                                                                                                                                                                                              Jahr

                                                                    Neue Bundesländer 18 -39 Jahre                                                         Alte Bundesländer 18- 39 Jahre
                                                                    Neue Bundesländer 40 -54 Jahre                                                         Alte Bundesländer 40 - 54 Jahre
                                                                    Neue Bundesländer 55-79 Jahre                                                          Alte Bundesländer 55- 79 Jahre

                                                   lag die Rauchquote zu Beginn der 1990er-Jahre in den neu-                                                                                    Mit den Daten des Mikrozensus 2017 können Rauchquo-
                                                   en Bundesländern mit 20,5 % deutlich unter der Quote der                                                                                     ten in der Bevölkerung ab 15 Jahren in den einzelnen Bun-
                                                   alten Bundesländer von 28,3 %. Bis zum Ende der 1990er-                                                                                      desländern ermittelt werden (Tabelle 2) [15]. Bei Männern
                                                   Jahre glichen sich die Rauchquoten der ost- und westdeut-                                                                                    ist die Rauchquote mit 33,4 % in Mecklenburg-Vorpom-
                                                   schen Frauen aneinander an. Seit Beginn der 2000er-Jahre                                                                                     mern am höchsten. Auch in Thüringen und Sachsen-
                                                   ist der Anteil der Raucherinnen in den neuen Bundesländern                                                                                   Anhalt sowie den Stadtstaaten Berlin und Bremen liegt
                                                   relativ konstant geblieben. Die Rauchquote bei Frauen in den                                                                                 sie mit jeweils um die 30 % vergleichsweise hoch. Relativ
                                                   alten Bundesländern nahm dagegen zunächst weiter zu, um                                                                                      selten rauchen Männer aus dem Saarland, Hessen, Rhein-
                                                   ab 2003 deutlich zurückzugehen. Zuletzt lag der Anteil der                                                                                   land-Pfalz und Bayern (Rauchquote < 25 %). Bei Frauen
                                                   Raucherinnen in Westdeutschland sogar ein wenig niedriger                                                                                    findet sich die höchste Rauchquote in Bremen mit 24,2 %,
                                                   als in Ostdeutschland (Abbildung 8).                                                                                                         gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit 22,1 % und

         Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                                                                                                                                                  14
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                      FOCUS

                                  Abbildung 8           Anteil (%)
                                                   60
         Entwicklung der Rauchquoten in der                                       Frauen                                                               Männer
25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen       50
  und alten Bundesländern nach Geschlecht
                                                   40
              Quelle: Gesundheitssurveys des
             Robert Koch-Instituts, aktualisiert   30
                       nach Lampert 2010 [42]
                                                   20

                                                   10

                                                        1990 −1992     1998        2003          2009      2014 − 2015       1990 −1992     1998        2003     2009     2014 − 2015
                                                                                                                                                                                  Jahr
                                                              Neue Bundesländer            Alte Bundesländer

                                                   Thüringen mit 21,7 %. Frauen aus Bayern und Sachsen                   3.7 Adipositas
                                                   haben im Ländervergleich mit jeweils 16,6 % die niedrigste
                                                   Rauchquote.                                                           Für die ersten Jahre nach der Wiedervereinigung wurde auf
                                                                                                                         Basis von Messdaten bei beiden Geschlechtern eine deut-
                                                   Bundesland                       Frauen       Männer        Gesamt
                                                                                                                         lich höhere Adipositasprävalenz in den neuen im Vergleich
                                                                                         %           %              %
                                                   Baden-Württemberg                   17,4        25,1           21,2   zu den alten Bundesländern festgestellt. Seitdem ist die
                                                   Bayern                              16,6        24,6           20,5   Prävalenz in Deutschland weiter angestiegen [43]. Die Unter-
                                                   Berlin                              21,3        29,9           25,5   schiede zwischen neuen und alten Bundesländern sind
                                                   Brandenburg                         20,2        29,0           24,5   dabei langsam zurückgegangen [9]. Nach den aktuellsten
                                                   Bremen                              24,2        30,9           27,4
                                                                                                                         zur Verfügung stehenden Messdaten aus DEGS 1 bestehen
                                                   Hamburg                             18,9        27,8           23,2
                                                                                                                         keine signifikanten Ost-West-Unterschiede mehr in der Ver-
                                                   Hessen                              17,5        24,8           21,1
                                                   Mecklenburg-Vorpommern              22,1        33,4           27,7   breitung von Adipositas bei Männern im Alter zwischen
                                                   Niedersachsen                       19,2        26,7           22,9   25 und 69 Jahren; bei Frauen finden sich noch geringe Unter-
                                                   Nordrhein-Westfalen                 19,4        26,0           22,6   schiede zuungunsten der neuen Bundesländer (Abbildung 9)
                                                   Rheinland-Pfalz                     18,6        24,9           21,7   [7]. Zu berücksichtigen ist, dass die DEGS 1-Daten bereits
                                                   Saarland                            17,7        23,5           20,6
                                                                                                                         in den Jahren 2008 bis 2011 erhoben wurden. Die nächsten
                                                   Sachsen                             16,6        26,5           21,4
                                   Tabelle 2       Sachsen-Anhalt                      20,0        29,8           24,8
                                                                                                                         Messdaten werden durch die Gesundheits- und Ernährungs-
                   Rauchquoten ab 15 Jahren        Schleswig-Holstein                  20,0        27,1           23,5   studie in Deutschland (gern-Studie) bereitgestellt, die das
             nach Geschlecht und Bundesland        Thüringen                           21,7        30,8           26,2   Robert Koch-Institut gemeinsam mit dem Max Rubner-
                Quelle: Mikrozensus 2017 [15]      Deutschland                         18,6        26,4           22,4   Institut in den Jahren 2020 bis 2022 durchführen wird.

        Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                            15
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                           FOCUS

                                  Abbildung 9           Anteil (%)                                                               tigen, dass die anhand von Selbstangaben ermittelten
                                                   50
            Entwicklung von Adipositas in der                                                                                    Prävalenzen zumeist deutlich niedriger liegen als die
                                                                     Frauen                              Männer
25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen       40                                                                            Prävalenzen, denen Messwerte zugrunde liegen, da ein Teil
  und alten Bundesländern nach Geschlecht
                                                   30                                                                            der Befragten dazu neigt, das eigene Körpergewicht zu
              Quelle: Gesundheitssurveys des
       Robert Koch-Instituts, modifiziert nach     20
                                                                                                                                 unterschätzen und die eigene Körpergröße zu überschät-
                          Finger et al. 2016 [9]                                                                                 zen [44]. Nach den Daten des Mikrozensus 2017 sind die
                                                   10
                                                                                                                                 höchsten Prävalenzen in Mecklenburg-Vorpommern,
                                                                                                                                 Sachsen-Anhalt und Thüringen mit insgesamt über 20 %
                                                        1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011      1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011
                                                                                                                          Jahr
                                                                                                                                 zu beobachten. Am geringsten ist der Anteil der Menschen
                                                            Neue Bundesländer               Alte Bundesländer                    mit Adipositas in den Stadtstaaten Hamburg und Berlin
                                                                                                                                 (Tabelle 3). Dies ist auch vor dem Hintergrund der im
                                                   Für eine Analyse regionaler Verteilungsmuster kann auf                        Durchschnitt jüngeren Bevölkerung in den Stadtstaaten
                                                   Selbstangaben zu Größe und Gewicht aus dem Mikro-                             zu interpretieren [16].
                                                   zensus zurückgegriffen werden. Dabei ist zu berück­sich-
                                                                                                                                 3.8 Sportliche Inaktivität

                                                    Bundesland                             Frauen     Männer        Gesamt
                                                                                                                                 Mit den Daten der Untersuchungssurveys des Robert
                                                                                                %         %              %
                                                   Baden-Württemberg                          13,2      16,4           14,9
                                                                                                                                 Koch-Instituts kann gezeigt werden, dass kurz nach der
                                                   Bayern                                     12,9      17,3           15,2      Wiedervereinigung die Sportbeteiligung in den neuen
                                                   Berlin                                     12,2      13,8           13,0      Bundesländern geringer war als in den alten Bundes­
                                                   Brandenburg                                17,1      19,5           18,3      ländern (Abbildung 10). In der Gruppe der 25- bis 69-
                                                   Bremen                                     14,6      18,1           17,8      Jährigen gaben 49,2 % der Männer im Osten und 41,0 %
                                                   Hamburg                                    10,0      12,8           12,2
                                                                                                                                 der Männer im Westen an, keinen Sport zu treiben. Bei
                                                   Hessen                                     14,0      18,2           16,1
                                                   Mecklenburg-Vorpommern                     20,0      23,5           21,8
                                                                                                                                 Frauen traf dies auf 58,7 % in den neuen und auf 50,3 %
                                                   Niedersachsen                              14,5      18,5           16,6      in den alten Bundesländern zu. Zum Ende der 1990er-
                                                   Nordrhein-Westfalen                        14,6      18,4           16,5      Jahre hatten sich die Ost-West-Unterschiede bei Männern
                                                   Rheinland-Pfalz                            15,3      19,9           17,7      ausgeweitet, während sich bei Frauen keine Unterschiede
                                                   Saarland                                   11,8      19,6           16,3      mehr abzeichneten. Zuletzt ist das Ausmaß sportlicher
                                                   Sachsen                                    17,8      18,2           18,0
                                     Tabelle 3
                                                                                                                                 Inaktivität sowohl in den neuen als auch in den alten
                                                   Sachsen-Anhalt                             19,8      21,7           20,8
                Prävalenz von Adipositas nach      Schleswig-Holstein                         12,8      17,9           15,4      Bundesländern deutlich zurückgegangen. Ost-West-
                  Geschlecht und Bundesland        Thüringen                                  19,5      21,4           20,4      Unterschiede zeigen sich nunmehr weder bei Frauen noch
                 Quelle: Mikrozensus 2017 [16]     Deutschland                                13,2      16,4           16,3      bei Männern.

        Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                 16
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                             FOCUS

                                 Abbildung 10           Anteil (%)                                                             gleichermaßen deutlich (Abbildung 11). Die höchsten Antei-
                                                   70
Entwicklung der sportlichen Inaktivität in der                                                                                 le an Vereinsmitgliedern finden sich im Saarland mit 37 %,
                                                                      Frauen                            Männer
25- bis 69-jährigen Bevölkerung in den neuen       60                                                                          in Rheinland Pfalz mit 35 % sowie in Bayern, Baden-Würt-
  und alten Bundesländern nach Geschlecht
                                                   50                                                                          temberg und Hessen mit jeweils rund 34 %. In den neuen
              Quelle: Gesundheitssurveys des
       Robert Koch-Instituts, modifiziert nach     40
                                                                                                                               Bundesländern sind hingegen lediglich zwischen 13 % und
                          Finger et al. 2016 [9]                                                                               18 % der Bevölkerung Mitglied in einem Sportverein.
                                                   30

                                                   20                                                                          3.9 Kleinräumige Unterschiede
                                                   10
                                                                                                                               Eine Unterscheidung zwischen Ost- und Westdeutschland
                                                        1990 −1992 1997 −1999 2008 −2011     1990 −1992 1997−1999 2008 −2011   oder nach einzelnen Bundesländern greift oftmals zu kurz,
                                                                                                                        Jahr   um regionale Unterschiede in der Gesundheit zu analysie-
                                                            Neue Bundesländer              Alte Bundesländer
  Die Menschen in den neuen                                                                                                    ren. Mit Blick auf viele Gesundheitsindikatoren ist festzu-
  Bundesländern sind seltener                                                                                                  stellen, dass auch innerhalb der Bundesländer zum Teil
                                                   Aufschlussreich sind auch die Statistiken des Deutschen                     erhebliche regionale Unterschiede bestehen. Sofern dies
  in Sportvereinen aktiv als die
                                                   Olympischen Sportbundes [20]. Diese zeigen für das Jahr                     möglich ist, sollten deshalb auch regionale Analysen unter-
  Menschen in den alten                            2018, dass in den neuen Bundesländern ein deutlich gerin-                   halb der Bundesländerebene durchgeführt werden, so zum
  Bundesländern.                                   gerer Anteil der Bevölkerung in einem Sportverein organi-                   Beispiel für die 96 Raumordnungsregionen in Deutschland,
                                                   siert ist als in den alten Bundesländern. Dies wird über                    die 401 Kreise und kreisfreien Städte oder die 4.504 Gemein-
                                                   alle Altersgruppen hinweg bei Frauen und Männern                            deverbände.

                                                         Anteil (%)
                                                   50

                                                   40

                                                   30
                                Abbildung 11       20
Mitglieder in einem Sportverein in Bezug auf
                                                   10
    die jeweilige Gesamtbevölkerung in den
             neuen und alten Bundesländern
 (zum 31.12.2017) nach Geschlecht und Alter                   Frauen            Männer            Frauen            Männer         Frauen         Männer         Frauen         Männer
                                                              19 – 26           19 – 26           27 – 40           27 – 40        41 – 60        41 – 60         > 60           > 60
  Quelle: Deutscher Olympischer Sportbund,
                 Bestandserhebung 2018 [20]                   Neue Bundesländer                 Alte Bundesländer                                                          Altersgruppe (Jahre)

        Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                   17
Journal of Health Monitoring    30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                        FOCUS

                                                     Aus Abbildung 12 ist zu ersehen, wie sich die mittlere                 Kreise und kreisfreie Städte mit niedriger mittlerer
                                                  Lebenserwartung bei Geburt und die sozioökonomische                       Lebenserwartung, während es in Bayern und Baden-
                                                  Deprivation zwischen Kreisen und kreisfreien Städten                      Württemberg viele Kreise und kreisfreie Städte mit hoher
                                                  unterscheidet. Demnach gibt es in Sachsen-Anhalt,                         Lebenserwartung gibt. Dabei fällt auf, dass in den Krei-
                                                  Thüringen und Brandenburg vergleichsweise viele                           sen und kreisfreien Städten mit im Mittel niedriger

                                                                                 Sozioökonomische Deprivation                                    Lebenserwartung

                                                                                                             Quintile:                                                 Jahre:
                                                                                                                1
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                     FOCUS

                                          Lebenserwartung die sozioökonomische Deprivation                     4. Diskussion
                                          am höchsten ist und umgekehrt. Die Differenz in der
                                          mittleren Lebenserwartung zwischen den Kreisen und                   Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die gesund-
                                          kreisfreien Städten mit der geringsten und der höchsten              heitliche Situation in den neuen und alten Bundesländern
                                          sozioökonomischen Deprivation kann mit etwa fünf                     kurz nach der Wiedervereinigung in vielen Bereichen unter-
                                          Jahren beziffert werden.                                             schied. Nach 30 Jahren gemeinsamer Entwicklung kann in
                                              Auch für viele andere Gesundheitsindikatoren kann                vielen Fällen eine Annäherung, zum Teil sogar eine Anglei-
                                          gezeigt werden, dass eine differenzierte regionale                   chung der Ost-West-Unterschiede in der Gesundheit beob-
                                          Analyse sinnvoll ist und zum Teil zu anderen oder zusätz-            achtet werden. Auffallend ist dabei, dass sich diese Annä-
                                          lichen Erkenntnissen führt. Ein Beispiel hierfür sind                herung oftmals schon in den ersten 10 bis 15 Jahren nach
                                          Arbeitsunfähigkeitstage (AU-Tage) aufgrund von psychi-               der Wiedervereinigung vollzog und positiven Entwicklun-
                                          schen Störungen. Für Versicherte bei Betriebskranken-                gen zuzuschreiben ist, die sich in Ostdeutschland schnel-
                                          kassen (BKK) konnte hierzu anhand von Abweichungen                   ler vollzogen als in Westdeutschland. Beispiele hierfür sind
                                          vom Bundesdurchschnitt von 2,8 AU-Tagen im Jahr 2017                 der Anstieg der mittleren Lebenserwartung und der Rück-
                                          gezeigt werden, dass es vor allem in Mecklenburg-                    gang der Herz-Kreislauf-Mortalität. Bisweilen kommt die
                                          Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt viele                     Annäherung allerdings auch dadurch zustande, dass der
                                          Kreise und kreisfreie Städte mit einem deutlich über dem             Osten, ausgehend von einer besseren Situation, quasi im
                                          Bundesdurchschnitt liegenden Wert gibt. Gleiches gilt                negativen Sinne zum Westen aufgeschlossen hat. Zu ver-
                                          aber auch für einige alte Bundesländer wie zum Beispiel              weisen ist diesbezüglich auf den Anstieg des Tabakkon-
                                          Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und das Saarland.                 sums bei ostdeutschen Frauen in den 1990er-Jahren.
                                          Die größten Abweichungen in Richtung weniger AU-Tage                     Für eine weitgehende Nivellierung der Ost-West-
                                          sind wiederum für Bayern und Baden-Württemberg                       Unterschiede sprechen auch die Ergebnisse zur gesund-
                                          festzustellen und damit erneut für Kreise und kreisfreie             heitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen, die
                                          Städte mit tendenziell geringerer sozioökonomischer                  nach der Wiedervereinigung geboren sind. Diese wurden
                                          Deprivation. Aber auch im nördlichen Nordrhein-West­                 im vorliegenden Beitrag nicht thematisiert, waren aber
                                          falen, an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins und                   Gegenstand eines Berichts, den das Robert Koch-Institut
                                          Teilen Sachsens finden sich Kreise und kreisfreie Städte             anlässlich des 20. Jahrestages der Wiedervereinigung
                                          mit deutlich weniger AU-Tagen als im Bundesdurch-                    Deutschlands publiziert hat [8, 46]. Diesem Bericht
                                          schnitt. Insgesamt verdeutlichen diese Ergebnisse, dass              zufolge ließen sich bereits in den 2000er-Jahren keine
                                          eine Analyse auf kleinräumiger Ebene hilfreich ist, zum              Unterschiede mehr in der Verbreitung allergischer Erkran-
                                          Beispiel für regionale Planungen von Versorgungsstruk-               kungen und von Adipositas zwischen Kindern und Jugend-
                                          turen, Prävention und Gesundheitsförderung [45].                     lichen aus den neuen und alten Ländern beobachten.

Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                          19
Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                     FOCUS

                                          Auch bei der Inanspruchnahme von Impfungen, die                      in der vereinsgebundenen Sportbeteiligung zu berück-
                                          zunächst in den neuen Bundesländern höher war und der                sichtigen, dass der Vereinssport in der DDR für den Brei-
                                          Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen für                    tensport eine geringere Bedeutung hatte als in der Bun-
                                          Kinder (U-Untersuchungen), die in den alten Bundes­                  desrepublik und stärker im Zeichen der Förderung des
                                          ländern einen größeren Zuspruch erfuhren, haben                      Leistungssports stand. Dass die Impfquoten lange Zeit
                                          sich die Ost-West-Unterschiede inzwischen deutlich                   bei Kindern in den neuen Ländern höher waren als in den
                                          verringert. Angesichts dieser Ergebnisse kann angenom-               alten Ländern, dürfte nicht zuletzt mit der für viele anste-
                                          men werden, dass Ost-West-Unterschiede in den nach-                  ckende Krankheiten geltenden Impfpflicht in der DDR
                                          folgenden Geburtsjahrgängen eine immer geringere Rolle               zusammenhängen. Umgekehrt ist die zunächst in den
                                          spielen werden [8, 46].                                              neuen Ländern geringere Teilnahme am Krankheitsfrüh­
                                              Die Frage nach den Gründen für die Verringerung der              erkennungsprogramm für Kinder vor dem Hintergrund
                                          Ost-West-Unterschiede sowie die noch vorhandenen regi-               zu erklären, dass dieses Programm in Ostdeutschland
                                          onalen Disparitäten in der Gesundheit ist nicht einfach              nach der Wiedervereinigung neu eingeführt wurde.
                                          zu beantworten. Für die Annäherung der Gesundheits-                      Für die Gesundheitsunterschiede zwischen den Bun-
                                          chancen in den neuen und alten Ländern dürfte die im                 desländern und auf Ebene der Kreise und kreisfreien
                                          Zuge des Einigungsprozesses erfolgte Verbesserung des                Städte ist insbesondere auf die differenziellen Lebens­
                                          allgemeinen Lebensstandards in Ostdeutschland, der nur               bedingungen und Teilhabechancen zu verweisen, die
                                          mit erheblichen Investitionen und Aufbauhilfen möglich               im vorliegenden Beitrag anhand des German Index of
                                          war, einen wesentlichen Beitrag geleistet haben. Neben               Socioeconomic Deprivation kenntlich gemacht wurden,
                                          der wirtschaftlichen Umstrukturierung und der mittler-               oftmals aber auch an Einzelindikatoren wie der Armuts-
                                          weile erfolgten Entspannung der Arbeitsmarktsituation                risikoquote, der Arbeitslosenquote oder dem Bruttoin-
                                          sowie Verbesserungen in Bezug auf die Stadtentwicklung,              landsprodukt festgemacht werden. Zum Teil dürften die
                                          Wohnbedingungen und Umwelteinflüsse ist insbesondere                 beschriebenen Zusammenhänge auf die sozialräumliche
                                          auf die sehr rasch vollzogene Einbeziehung in die sozia-             Segregation von Personen in unterschiedlichen Lebens-
                                          len Sicherungssysteme und das System der Gesundheits-                lagen zurückzuführen sein. Die Ergebnisse von Mehrebe-
                                          versorgung zu verweisen.                                             nenanalysen verweisen aber darauf, dass die Qualität des
                                              Außer den allgemeinen Prozessen dürften weitere                  Sozialraums auch unabhängig von der individuellen sozi-
                                          Entwicklungen eine Rolle für die Verringerung beziehungs-            alen Lage einen Einfluss auf die Gesundheitschancen der
                                          weise das Fortbestehen der Ost-West-Unterschiede                     Menschen hat [22, 47].
                                          gespielt haben, wobei diese je nach betrachtetem Gesund-                 Die Analyse kleinräumiger Unterschiede verweist ange-
                                          heitsindikator sehr unterschiedlich sein können. So                  sichts der sukzessiven Nivellierung der Ost-West-Unter-
                                          ist bei dem nach wie vor zu beobachtenden Unterschied                schiede auf die zunehmende Notwendigkeit, andere

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Journal of Health Monitoring   30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands                             FOCUS

                                          regionale Kriterien als Ost und West oder auch Bundes-                                                           Korrespondenzadresse
                                          länder in den Blick zu nehmen. Das können kleinräumig-                                                          PD Dr. Thomas Lampert
                                                                                                                                                             Robert Koch-Institut
                                          orientierte Ansätze sein wie NUTS2-Regionen, Raumord-
                                                                                                                          Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring
                                          nungsregionen oder auch kreis- oder gemeindebasierte                                                           General-Pape-Str. 62 – 66
                                          Analyseansätze. Neben solchen Konzepten, die sich an                                                                       12101 Berlin
                                          administrativen Abgrenzungen orientieren, sind zudem                                                           E-Mail: LampertT@rki.de
                                          Stadt-Land-Analysen oder, etwas stärker differenziert,
                                                                                                                                                                        Zitierweise
                                          siedlungsstrukturelle Typisierungen ebenso von Bedeu-                      Lampert T, Müters S, Kuntz B, Dahm S, Nowossadeck E (2019)
                                          tung wie GPS-basierte Gesundheitsforschung.                              30 Jahre nach dem Fall der Mauer: Regionale Unterschiede in der
                                              Abschließend ist darauf zu verweisen, dass sich die                                       Gesundheit der Bevölkerung Deutschlands.
                                                                                                                                          Journal of Health Monitoring 4(S2): 2 – 25.
                                          Entwicklung der beiden Teile Deutschlands nach dem
                                                                                                                                                              DOI 10.25646/6076
                                          Fall der Mauer nicht auf einer „Insel“, sondern im euro-
                                          päischen Kontext vollzog. Durch den Zusammenbruch
                                                                                                               Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter:
                                          des sozialistischen Systems in Europa fanden ähnliche
                                                                                                               www.rki.de/journalhealthmonitoring-en
                                          Umbrüche wie in den neuen Ländern auch in Polen, Tsche-
                                          chien, Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten statt.
                                                                                                               Datenschutz und Ethik
                                          Im Vergleich zu diesen Staaten, in denen die gesellschaft-
                                                                                                               GEDA und DEGS 1 unterliegen der strikten Einhaltung der
                                          lichen Transformationsprozesse ohne Anschluss an ein
                                                                                                               datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Bundesdaten-
                                          ökonomisch starkes Land und der damit verbundenen
                                                                                                               schutzgesetzes und wurden von der beziehungsweise dem
                                          Möglichkeit weitreichender Investitionen und Auf­bau­
                                                                                                               Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informations-
                                          hilfen erfolgte, zeichneten sich die positiven Entwicklun-
                                                                                                               freiheit in Deutschland genehmigt. Die zuständige Ethik-
                                          gen in der Gesundheit und Lebenserwartung in Ost-
                                                                                                               kommission der Charité – Universitätsmedizin Berlin hat
                                          deutschland deutlich stärker und schneller ab [48, 49].
                                                                                                               DEGS 1 unter ethischen Gesichtspunkten geprüft und der
                                                                                                               Studie zugestimmt (No.EA2/047/08). Die Teilnahme an
                                                                                                               GEDA und DEGS 1 war freiwillig. Die Teilnehmenden
                                                                                                               wurden über die Ziele und Inhalte der Studien sowie über
                                                                                                               den Datenschutz informiert und gaben ihre schriftliche
                                                                                                               Einwilligung (informed consent).
                                                                                                                   Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels unter­liegen
                                                                                                               den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes
                                                                                                               (BDSG). Das heißt die im Interview erhobenen Daten

Journal of Health Monitoring 2019 4(S2)                                                                                                                                  21
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