Journal of Health Monitoring - Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität und Lebenserwartung
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MÄRZ 2019 GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES AUSGABE 1 GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität und Lebenserwartung 1
Journal of Health Monitoring Inhaltsverzeichnis Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität und Lebenserwartung 3 Focus Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland – Aktuelle Situation und Trends 16 Focus Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland – Zeitliche Entwicklung und Trends der KiGGS-Studie 41 Fact sheet Entwicklung der Lebenserwartung in Deutschland – Aktuelle Trends 49 Concepts & Methods Verbesserung der Informations- grundlagen zur Gesundheit von Menschen mit Migrationshintergrund. Projektbeschreibung und erste Erkenntnisse von IMIRA 2019 3(1) Journal of Health Monitoring 2018 4(1) 2
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Journal of Health Monitoring · 2019 4(1) DOI 10.25646/5868 Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Robert Koch-Institut, Berlin Deutschland – Aktuelle Situation und Trends Thomas Lampert 1, Jens Hoebel 1, Lars Eric Kroll 2 Abstract Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung sind ein deutlicher Ausdruck bestehender sozialer und 1 Robert Koch-Institut, Berlin gesundheitlicher Ungleichheit in der Bevölkerung. Nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1992 bis Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits- monitoring 2016 sterben 13 % der Frauen und 27 % der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe bereits vor Vollendung des Ehemals Robert Koch-Institut, Berlin 2 65. Lebensjahres, während dies in der höchsten Einkommensgruppe lediglich auf 8 % der Frauen und 14 % der Männer zutrifft. Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits- Bezogen auf die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beträgt die Differenz zwischen der niedrigsten und höchsten monitoring Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre. Auch in der ferneren Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. Bei Frauen beträgt die Spannweite zwischen Eingereicht: 21.12.2018 Akzeptiert: 23.01.2019 der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe 3,7 Jahre, bei Männern 6,6 Jahre. Die Ergebnisse der Trendanalysen sprechen Veröffentlicht: 14.03.2019 dafür, dass die sozialen Unterschiede in der Lebenserwartung über die letzten 25 Jahre relativ stabil geblieben sind. SOZIALE UNGLEICHHEIT · SOZIOÖKONOMISCHER STATUS · EINKOMMEN · MORTALITÄT · LEBENSERWARTUNG 1. Einleitung in der Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung niederschlägt. So haben Menschen mit niedrigem Einkom- Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern der men, Berufsstatus und Bildungsniveau ein erhöhtes Risiko Welt und verfügt über sehr gut ausgebaute soziale Sicherungs- für chronische Krankheiten und Beschwerden. Gleiches gilt und Versorgungssysteme. Zugleich gibt es aber eine erheb- für krankheitsbedingte funktionelle Einschränkungen in der liche Ungleichheit der Lebensbedingungen und sozialen Teil- Alltagsgestaltung und Lebensqualität. Auch im individuel- habechancen. Dies zeigt sich unter anderem an der sehr len Gesundheitsverhalten und bei verhaltensbezogenen ungleichen Verteilung der Einkommen und Vermögen, den Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Überge- schlechten Aussichten geringqualifizierter Menschen auf dem wicht und Hypertonie zeichnen sich die sozialen Unter- Arbeitsmarkt, der Ausweitung prekärer Beschäftigungsver- schiede deutlich ab. Sie kumulieren letztlich in einer höhe- hältnisse und dem nach wie vor engen Zusammenhang zwi- ren vorzeitigen Sterblichkeit und verkürzten Lebenszeit in schen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen [1]. den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen [2–4]. Aus Sicht von Public Health und Gesundheitspolitik ist Der Analyse sozialer Unterschiede in der Mortalität und die soziale Ungleichheit von Bedeutung, weil sie sich auch Lebenserwartung kommt vor diesem Hintergrund große Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 3
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Bedeutung zu. Ein möglicher empirischer Zugang eröffnet 2. Methode sich über das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), einer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Für die Analysen der einkommensbezogenen Unterschie- jährlich durchgeführten Haushaltsbefragung, die auf eine de in der Mortalität und Lebenserwartung stehen im SOEP zeitnahe Erfassung des politischen und gesellschaftlichen für den Zeitraum von 1992 bis 2016 Informationen zu Wandels in Deutschland zielt. Durch ein Mortalitäts- 83.287 Personen zur Verfügung, die aber nicht alle über Follow-up, das heißt eine Erfassung von Gründen für die den gesamten Zeitraum beobachtet wurden. Die Studien- Nichterreichbarkeit von Studienteilnehmenden vorheriger teilnehmenden wurden für 617.550 Ein-Jahres-Episoden Erhebungswellen, können Todesfälle ermittelt werden. Die beobachtet, das heißt im Durchschnitt 7,4 Jahre. Im Beob- Daten wurden bereits mehrfach genutzt, um soziale Unter- achtungszeitraum sind insgesamt 4.193 Studienteilneh- schiede in der Mortalität und Lebenserwartung zu analy- mende verstorben; dies entspricht 5,0 % aller Studienteil- Soziale Unterschiede in der sieren. Dabei galt das Interesse zumeist Unterschieden nehmenden. Lebenserwartung sind eine zwischen Einkommensgruppen, einzelne Analysen stellten Als Einkommensindikator wird das sogenannte extreme Ausprägungsform aber auch auf Unterschiede zwischen Bildungs- oder Netto-Äquivalenzeinkommen betrachtet, das die Größe sozialer Ungleichheit. Berufsstatusgruppen ab. Die vorliegenden Ergebnisse und Zusammensetzung des Haushaltes und damit Ein- sprechen überwiegend dafür, dass erhebliche soziale sparungen durch gemeinsames Wirtschaften in einem Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung beste- Mehrpersonenhaushalt sowie die unterschiedlichen Ein- hen, und zwar zuungunsten von Personen mit wenig Ein- kommensbedarfe von Erwachsenen und Kindern berück- kommen, geringer Bildung und niedrigem Berufsstatus sichtigt. Das Netto-Äquivalenzeinkommen ermöglicht [5–10]. somit, die Einkommenssituation von Haushalten unter- Im Folgenden werden die Daten des SOEP [11] genutzt, schiedlicher Größe und Alterszusammensetzung mitein- um einkommensbezogene Unterschiede in der Mortalität ander zu vergleichen. Die Grundlage für die Berechnung und Lebenserwartung im Zeitraum von 1992 bis 2016 zu des Netto-Äquivalenzeinkommens bildet das Haushalts- analysieren. Neben der mittleren Lebenserwartung bei nettoeinkommen, das heißt die Summe der Einkommen Geburt wird auch die fernere Lebenserwartung im Alter von aller Haushaltsmitglieder nach Abzug von Steuern und 65 Jahren betrachtet. Zudem werden Ergebnisse von Trend Sozialabgaben. Anschließend wird eine Äquivalenzbilan- analysen präsentiert, die Hinweise darauf geben, ob und zierung beziehungsweise Bedarfsgewichtung vorgenom- wie sich das Ausmaß und Erscheinungsbild der sozialen men, und zwar anhand der Neuen OECD-Skala, die auch Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung im in der amtlichen Sozial- und Armutsberichterstattung ange- Verlauf der letzten 25 Jahre verändert haben. wendet wird. Nach dieser haben im Vergleich zum Haus- haltsvorstand alle weiteren Personen im Alter ab 15 Jahren einen 0,5-fachen Einkommensbedarf und alle Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 4
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren einen 0,3-fachen vorliegenden Arbeit die Mortalitätsrisiken nicht für die Einkommensbedarf. Das Netto-Äquivalenzeinkommen gesamte Altersspanne, sondern altersgruppenspezifisch berechnet sich aus dem Haushaltsnettoeinkommen und berechnet. Diese Anpassung wurde vorgenommen, da die einem Quotienten, der sich aus der Summe der Bedarfs- Annahme konstanter Einkommensunterschiede im Lebens- gewichte der Haushaltsmitglieder ergibt, also zum Beispiel verlauf als zu stark erachtet wurde. Aufgrund der limitier- 1 bei einem Einpersonenhaushalt, 1,5 bei einem Haushalt ten Fallzahlen konnten allerdings nur zwei Altersgruppen mit zwei Erwachsenen und 2,1 bei einem Haushalt mit zwei (Alter bis 50 Jahre und 51 Jahre und älter) verglichen wer- Erwachsenen und zwei Kindern beziehungsweise Jugend- den. Zudem kam zusätzlich ein semi-parametrisches lichen unter 15 Jahren. Cox-Modell zur Anwendung, um a priori keine Annahmen Das mittlere Netto-Äquivalenzeinkommen der Bevölke- zum Altersverlauf des Mortalitätsrisikos zu treffen. rung lag im Untersuchungszeitraum 1992 bis 2016 bei Zur Bestimmung der mittleren Lebenserwartung wur- Rund 13 % der Frauen 1.495 Euro (Median). Davon ausgehend wurden für die den, anhand der Genesis-Datenbank des Statistischen Bun- und 27 % der Männer mit Analysen fünf Einkommenskategorien abgegrenzt: Perso- desamtes, Sterberisiken aus den amtlichen Sterbetafeln für niedrigem Einkommen nen mit einem Einkommen unter 60 % dieses Mittelwertes, Deutschland extrahiert [13]. Die Werte liegen in der Daten- sterben vor Vollendung von 60 bis unter 80 %, von 80 bis unter 100 %, von 100 bis bank jahresweise differenziert nach Alter und Geschlecht unter 150 % und schließlich jene mit einem Einkommen, vor. Da vor dem Jahr 2000 nur abgekürzte Sterbetafeln bis des 65. Lebensjahres. das 150 % und mehr dieses Mittelwertes beträgt. Personen zu einem Alter von 90 Jahren berechnet wurden, zur mit einem Einkommen unterhalb der 60 %-Schwelle, Berechnung von Lebenserwartungen auf Basis von Sterbe also mit einem Einkommen unter 897 Euro, sind nach risiken aber abgeschlossene Sterbetafeln notwendig sozialpolitischer Definition von Armut betroffen oder sind, wurden alle Sterberisiken bis zu einem Alter von einem Armutsrisiko ausgesetzt. Die 150 %-Schwelle, die 112 Jahren extrapoliert und für das Alter von 112 Jahren von 2.243 Euro betrug, kann entsprechend zur Abgrenzung einem Sterberisiko von 100 % ausgegangen. Die resultie- relativer Wohlhabenheit herangezogen werden. renden Lebenserwartungen wurden anschließend mit den Bei der Analyse von Einkommensunterschieden in der in der Genesis-Datenbank ausgewiesenen Werten jahres- Lebenserwartung wird eine Methode verwendet, die rela- weise verglichen, um die durchgeführte Extrapolation zu tive Mortalitätsrisiken aus Surveydaten mit allgemeinen überprüfen. Die mittlere Abweichung zwischen den ent- Mortalitätsrisiken aus amtlichen Periodensterbetafeln sprechend berechneten und den durch das Statistische kombiniert [12]. Die relativen Mortalitätsrisiken wurden Bundesamt bereitgestellten Werten betrug dabei weniger auf Basis des SOEP differenziert nach Zeiträumen, Alters- als 0,05 Jahre für Frauen und Männer bei Geburt. gruppen und nach dem Geschlecht der Befragten mit Zur Berechnung der einkommensgruppenspezifischen Cox-Regressionsmodellen für Surveydaten errechnet. Überlebensrate und Lebenserwartung wurden Mittelwerte In Abweichung von früheren Arbeiten wurden in der der alters- und geschlechtsspezifischen Mortalitätsrisiken Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 5
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS aus den amtlichen Sterbetafeln für die jeweiligen Unter resultierende Ergebnisse und erläuternde Kommentare in suchungszeiträume berechnet. Auf diese Baselineraten einer einzigen Datei zu speichern. Auf dem Online-Quell wurden anschließend die anhand des SOEP berechneten, code-Archiv Github werden die Dateien in HTML-Seiten relativen Mortalitätsrisiken der Einkommensgruppen im umgewandelt und können so mit jedem Internet-Browser Verhältnis zum Bevölkerungsdurchschnitt altersgruppen- betrachtet werden. Sie können dort aber auch herunter und geschlechtsspezifisch angewendet. Auf Basis der geladen und nach der Installation der zugehörigen Ausfüh- resultierenden einkommensspezifischen Raten wurden rungsumgebung (Project Jupyter) selbst ausgeführt oder anschließend Survivorfunktionen und Lebenserwartungen modifiziert werden. berechnet. Neben der mittleren Lebenserwartung bei Geburt wird im Folgenden auch die fernere Lebenserwar- 3. Ergebnisse tung im Alter von 65 Jahren dargestellt. Außerdem wird der Die Differenz in der mittleren Anteil der Frauen und Männer ausgewiesen, der bereits vor Frauen und Männer mit einem Einkommen unterhalb der Lebenserwartung bei Geburt Vollendung des 65. Lebensjahres verstorben ist. Alle Ana- Armutsrisikogrenze hatten im Beobachtungszeitraum ein zwischen der niedrigsten und lysen wurden mit dem Statistikpaket R in der Version 3.5 signifikant höheres Mortalitätsrisiko als der Bevölkerungs- höchsten Einkommensgruppe durchgeführt [14]. Aufgrund der Komplexität der angewen- durchschnitt. Die Einkommensdifferenzen in der Sterb- deten Methode und zur Unterstützung der Reproduzier- lichkeit waren dabei für Frauen und Männer in der jünge- beträgt bei Frauen 4,4 Jahre barkeit der Ergebnisse werden das Vorgehen, die verwen- ren der beiden Altersgruppen (Alter bis 50 Jahre) etwas und bei Männern 8,6 Jahre. deten Bibliotheken und die entwickelten Funktionen in stärker ausgeprägt als in der höheren Altersgruppe Form eines sogenannten „jupyter notebooks“ dokumen- (51 Jahre und älter). In Abbildung 1 sind die entsprechenden tiert [15]. Diese Notebooks ermöglichen es, Programmcode, Risiken in der sogenannten Effektkodierung mit Bezug Hazard Ratio (Referenz: Mittleres Risiko der Bevölkerung) 2,0 Frauen Männer Alter: Ref. 0 − 50 Jahre 0,5 < 60 60 − < 80 80 −
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Abbildung 2 Überlebensrate Frauen Männer 1,00 Überlebensraten nach Geschlecht und Einkommen 0,80 Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 –2016 0,60 0,40 0,20 0 25 50 75 100 0 25 50 75 100 Alter (Jahre) Einkommensposition: < 60 % 60 % − < 80 % 80 % −
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Tabelle 1 Mittlere Lebenserwartung Fernere Lebenserwartung Die Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten Mittlere Lebenserwartung bei Geburt und bei Geburt* im Alter von 65 Jahren* Einkommensgruppe machte bei Frauen 4,4 Jahre und bei fernere Lebenserwartung im Alter von Einkommen Frauen Männer Frauen Männer Männern 8,6 Jahre aus. Frauen und Männer, die das 65 Jahren nach Geschlecht und Einkommen < 60 % 78,4 71,0 15,2 9,8 65. Lebensjahr erreicht hatten, konnten im Mittel damit rech- Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 – 2016 60 % – < 80 % 79,7 73,3 15,9 11,0 nen, weitere 17,0 Jahre beziehungsweise 12,5 Jahre zu leben. 80 % –
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Abbildung 5 Lebenserwartung mit 65 Jahren (Jahre) 25 Trends der ferneren Lebenserwartung Frauen Männer im Alter von 65 Jahren nach Geschlecht und 20 Einkommen im Zeitraum 1992 bis 2016 15 Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 – 2016 10 5 1992 −1995 1996 −1999 2000 −2003 2004 −2007 2008 −2011 2012 −2015 1992−1995 1996 −1999 2000 −2003 2004 −2007 2008 −2011 2012 −2015 Jahr Einkommensposition: < 60 % 60 % − < 80 % 80 % −
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund sind auch die Zu beachten ist darüber hinaus, dass im SOEP derzeit zum Teil erheblichen Sprünge in der Entwicklung der mitt- keine systematische Nacherfassung zum Verbleib bei leren Lebenserwartung bei Geburt und in der ferneren Nichtteilnahme erfolgt. Durch mehrere sogenannte Ver- Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren in einigen Einkom- bleibstudien konnten Todesfälle bis zum Jahr 2009 relativ mensgruppen zu sehen, die deshalb mit entsprechender gut nacherfasst werden. Seither ist aber keine entspre- Zurückhaltung interpretiert werden sollten. chende Studie mehr durchgeführt worden. Da Personen Die Ergebnisse stimmen weitgehend mit anderen Ergeb- mit schlechtem Gesundheitszustand und entsprechend nissen zu einkommensbezogenen Unterschieden in der höherem Sterberisiko häufiger die weitere Studienteil- Mortalität und Lebenserwartung überein. Dies gilt unter nahme verweigern, muss davon ausgegangen werden, dass anderem für frühere Analysen auf Basis von Daten des die Mortalität künftig in stärkerem Maße unterschätzt und SOEP [6–9], wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Ergeb- die Lebenserwartung überschätzt wird [12]. Da ebenso Im Alter von 65 Jahren liegt nisse nicht unmittelbar mit den hier vorgestellten vergli- angenommen werden kann, dass dies auf Personen mit die fernere Lebenserwartung chen werden können. Ein Grund hierfür ist, dass unter- niedrigem Einkommen verstärkt zutrifft, dürfte daraus auch von Frauen und Männern in schiedliche Beobachtungszeiträume betrachtet werden. eine Erhöhung der Unsicherheiten für die Abschätzung der niedrigsten Einkommens- Zudem gibt es substanzielle Veränderungen in der Daten- der einkommensbezogenen Unterschiede in der Lebens basis sowie Unterschiede im Hinblick auf die angewende- erwartung resultieren. gruppe 3,7 beziehungsweise ten Analyseverfahren. Das SOEP hat keine statische Daten- Die Ergebnisse stehen zudem im Einklang mit Studien, 6,6 Jahre unter der in der basis, mit jeder neuen Datensatzversion können Werte für die auf anderen Daten basieren. Hinzuweisen ist unter höchsten Einkommens- vergangene Jahre geändert werden. Dies hängt etwa mit anderem auf die MONICA/KORA-Studien in der Region gruppe. der Nacherfassung fehlender Werte, Änderungen bei Augsburg [16, 17], den Lebenserwartungssurvey des Bun- Imputations- und Gewichtungsverfahren oder dem nach- desinstituts für Bevölkerungsforschung [18] und die Studie träglichen Ausfall von Fällen zusammen. Hinzu kommen zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) [19], methodisch begründete Änderungen für die vorliegenden in denen ebenfalls eine Weiterverfolgung der Studienteil- Analysen, die ebenfalls Abweichungen bei Ergebnissen nehmenden erfolgt. Analysen, die Unterschiede in der bedingen können. Außerdem wurden für diese Arbeit meh- Lebenserwartung im Trend berichten, dabei aber zum Bei- rere Anpassungen vorgenommen, um die Stabilität der spiel die fernere Lebenserwartung von Personen nach Ergebnisse für Trendanalysen zu verbessern und Limitati- einem Herzinfarkt oder mit einer Diabetes-Erkrankung [20] onen des ursprünglichen Vorgehens [12] zu begegnen. So untersuchen, zeigen ebenfalls Unterschiede nach Einkom- werden etwa altersgruppenspezifische Mortalitätsrisiken men und auch anderen Sozialindikatoren wie der Bildung geschätzt, Cox-Regressionsmodelle eingesetzt und nur die und beruflichen Stellung auf. Einkommensinformationen zu Beginn des jeweiligen indi- Darüber hinaus sind Analysen mit Daten der Sozial viduellen Untersuchungszeitraums berücksichtigt. versicherungsträger zu beachten, wenngleich diese einige Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 10
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS zusätzliche Limitationen aufweisen. So ist die Aussagekraft und nur gelegentlich das Einkommen betrachtet wird. der Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund Aufschlussreich sind zum Beispiel die Ergebnisse eines der selektiven Mitgliederstruktur eingeschränkt [21]. Außer- europäischen Forschungsprojektes, für das Daten von dem weisen die Einkommensangaben oftmals Lücken auf nationalen Gesundheitssurveys mit Mortalitäts-Follow-ups oder fehlen gänzlich, sodass stattdessen zumeist die Bil- aus 22 Ländern genutzt wurden. Die Ergebnisse, die sich dung und berufliche Stellung sowie bisweilen auch der Ver- auf die 1990er- und 2000er-Jahre beziehen, deuten im sichertenstatus (pflicht- vs. freiwillig versichert) verwendet europäischen Durchschnitt auf ein etwa zweifach erhöhtes wird. Dafür haben die Daten der Gesetzlichen Krankenver- Mortalitätsrisiko in den niedrigen im Vergleich zu den sicherung einige Vorteile, wie zum Beispiel sehr große Fall- hohen Bildungsgruppen hin. Eine nach Todesursachen zahlen und die Möglichkeit, todesursachenspezifische differenzierte Betrachtung zeigt, dass diese Unterschiede Analysen durchzuführen. Ergebnisse, die zum Beispiel auf sowohl bei Todesfällen infolge von kardiovaskulären und Daten der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) oder der Krebserkrankungen als auch infolge von Unfällen und Ver- GEK (Gmünder Ersatzkasse) basieren, weisen auf erheb letzungen bestehen. Im Ländervergleich fanden die sozia- liche soziale Unterschiede in der Mortalität infolge von Herz- len Unterschiede in der Mortalität in den osteuropäischen infarkt, Schlaganfall und verschiedenen Krebserkrankungen, Ländern einen stärkeren Ausdruck als in den süd-, mittel- darunter Magen-, Darm- und Lungenkrebs, hin [21, 22]. und nordeuropäischen Ländern [24]. Eine Auswertung basierend auf Daten der Deutschen Für einige Länder sind zudem Aussagen über langfris- Rentenversicherung Bund, die sich allerdings nur auf männ- tige zeitliche Entwicklungen der sozialen Unterschiede in liche Versicherte bezieht, konnte zeigen, dass ein niedriges der Mortalität und Lebenserwartung möglich. Dies gilt in Einkommen, ermittelt über Einkommensentgeltpunkte, mit Europa insbesondere für Großbritannien und die skandi- einer geringeren ferneren Lebenserwartung im Alter von navischen Länder. In Großbritannien kann für derartige 65 Jahren assoziiert ist. Außerdem weisen diese Ergebnisse Analysen auf das routinemäßige Mortalitäts-Follow-up zum darauf hin, dass sich die einkommensbezogenen Unter- amtlichen Zensus zurückgegriffen werden. Auf Basis von schiede in der ferneren Lebenserwartung im Beobachtungs- Daten für England und Wales ergab sich in den Jahren 1982 zeitraum, der sich von 1995/1996 bis 2007/2008 erstreckte, bis 1986 im Vergleich der niedrigsten mit der höchsten weiter ausgeweitet haben. Die Lebenserwartung ist in die- Berufsstatusgruppe eine Differenz in der mittleren Lebens- sem Zeitraum zwar in allen Einkommensgruppen gestiegen, erwartung bei Geburt von 3,8 Jahren bei Frauen und der Zugewinn fiel aber in den hohen Einkommensgruppen 4,9 Jahren bei Männern. In den nachfolgenden 20 Jahren größer aus als in den niedrigen Einkommensgruppen [23]. hat sich die Lebenserwartung in allen Statusgruppen erhöht, Auch für andere Länder werden vergleichbare soziale gleichzeitig aber der Abstand zwischen den Gruppen ver- Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung größert. In den Jahren 2002 bis 2006 betrug er 4,2 Jahre berichtet, wobei zumeist die Bildung oder der Berufsstatus bei Frauen und 5,8 Jahre bei Männern [25]. Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 11
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Auch für Norwegen wurde gezeigt, dass die sozialen Der entscheidende Vorteil in anderen Ländern besteht Unterschiede in der Lebenserwartung im Verlauf der letz- im Vorhandensein nationaler Mortalitätsregister, die zudem ten Jahrzehnte zugenommen haben. Dies macht eine Stu- mit anderen Datenquellen, zum Beispiel bevölkerungs die deutlich, die Daten des norwegischen Bevölkerungs repräsentativen sozialwissenschaftlichen und gesundheits- registers sowie bevölkerungsbezogener Studien und bezogenen Studien, zusammengeführt werden können. Datenbanken aus den Jahren 1961 bis 2009 nutzte. Anfang Auch wenn eine vergleichbare Verknüpfung verschiedener der 1960er-Jahre hatten Frauen und Männer mit niedriger Datenquellen aufgrund der Datenschutzbestimmungen Bildung ab dem 35. Lebensjahr im Durchschnitt eine fer- in Deutschland nicht beziehungsweise nur teilweise nere Lebenserwartung von 44,1 Jahren beziehungsweise möglich ist, wären mit der Etablierung eines nationalen 40,3 Jahren. Die Vergleichswerte für Frauen und Männer Mortalitätsregisters zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten mit hoher Bildung betrugen 45,6 Jahre beziehungsweise verbunden [31]. Sofern dieses Mortalitätsregister auch 42,2 Jahre. Bis zum Jahr 2009 stieg die fernere Lebens Informationen über die soziale Lage der Verstorbenen erwartung bei Frauen und Männern der niedrigen Bildungs- bereitstellt beziehungsweise mit Datenquellen verknüpft gruppe um 2,9 beziehungsweise 2,1 Jahre an. Bei Frauen werden kann, die diese Informationen enthalten, könnte und Männern der hohen Bildungsgruppe fiel der Zugewinn auch für Aussagen zu sozialen Unterschieden in der Mor- an Lebenszeit mit 6,1 beziehungsweise 6,4 Jahren weitaus talität und Lebenserwartung sowie deren Entwicklung im höher aus [26]. Zeitverlauf eine deutlich verbesserte Datengrundlage Die sozialen Unterschiede in der Mortalität und Lebens- geschaffen werden. erwartung stellen für Public Health und Gesundheitspolitik Korrespondenzadresse eine große Herausforderung dar [27, 28]. Für ein kontinu- PD Dr. Thomas Lampert ierliches Monitoring, als eine wesentliche Voraussetzung Robert Koch-Institut für die Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnah- Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring men zur Verringerung der sozialen Unterschiede in der General-Pape-Str. 62–66 12101 Berlin Mortalität und Lebenserwartung, ist eine weitere Verbes- E-Mail: LampertT@rki.de serung der Datenlage anzustreben. Bislang kann in Deutschland auf Mortalitäts-Follow-ups, die im Rahmen Zitierweise sozialwissenschaftlicher oder gesundheitsbezogener Lampert T, Hoebel J, Kroll LE (2019) Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Studien durchgeführt werden, sowie auf die Routinedaten Deutschland – Aktuelle Situation und Trends. der Sozialversicherungsträger zurückgegriffen werden. Journal of Health Monitoring 4(1): 3–15. Beide empirischen Zugänge sind vielversprechend, aber DOI 10.25646/5868 mit jeweils eigenen methodischen Limitationen verbun- den [21, 29, 30]. Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 12
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter: 6. Kroh M, Neiss H, Kroll LE et al. (2012) Menschen mit hohen Einkommen leben länger. DIW Wochenbericht 38 www.rki.de/journalhealthmonitoring-en 7. Kröger H, Kroh M, Kroll LE et al. (2017) Einkommensunterschiede in der Mortalität in Deutschland – Ein empirischer Erklärungs Datenschutz und Ethik versuch. Zeitschrift für Soziologie 46(2):124-146 Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels unterliegen 8. Lampert T, Kroll LE, Dunkelberg A (2007) Soziale Ungleichheit den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes der Lebenserwartung in Deutschland. Aus Politik und Zeit geschichte 42:11-18 (BDSG). Das heißt die im Interview erhobenen Daten wer- 9. Reil-Held A (2000) Einkommen und Sterblichkeit in Deutsch- den im SOEP anonymisiert, sodass einzelne Befragte nicht land: Leben Reiche länger? Discussion Papers 580. Institut für mehr erkennbar sind. Volkswirtschaftslehre und Statistik, Universität Mannheim 10. Voges W, Groh-Samberg O (2012) Arme sterben früher. Zum Zusammenhang von Einkommenslage und Lebenslage und dem Förderungshinweis Mortalitätsrisiko. In: Brähler E, Kiess J, Schubert C et al. (Hrsg) Die vorliegenden Auswertungen wurden aus Eigenmitteln Gesund und gebildet. Voraussetzungen für eine moderne Gesell- schaft. Vandenhock & Ruprecht, Göttingen, S. 146-167 des Robert Koch-Instituts durchgeführt. 11. Goebel J, Grabka MM, Liebig S et al. (2018) The German Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie Interessenkonflikt und Statistik. https://doi.org/10.1515/jbnst-2018-0022 (Stand: 01.02.2019) Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. 12. Kroll LE, Lampert T (2009) Soziale Unterschiede in der Lebens erwartung. Datenquellen in Deutschland und Analysemöglich Literatur keiten des SOEP. Methoden – Daten – Analysen 3(1):3-30 1. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2018) 13. Statistisches Bundesamt (Destatis) (2018) Sterbetafel (12621- Armuts- und Reichtumsbericht. 0001). https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de https://www-genesis.destatis.de (Stand: 01.02.2019) (Stand: 01.02.2019) 14. R Core Team (2018) R: A language and environment for statisti- 2. Lampert T, Hoebel J, Kuntz B et al. (2017) Gesundheitliche cal computing. R Foundation for Statistical Computing, Wien. Ungleichheit in verschiedenen Lebensphasen. Gesundheits http://www.R-project.org/ (Stand: 01.02.2019) berichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI und Destatis. Robert Koch-Institut, Berlin 15. Kroll LE, Hoebel J, Lampert T (2019) SOEP mortality results for the paper “Social differences in mortality and life expectancy. 3. Mielck A (2005) Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einfüh- Current situation and trends”. rung in die aktuelle Diskussion. Verlag Hans Huber, Bern https://github.com/lekroll/R/blob/master/files/SOEP_Mortality_ 4. Richter M, Hurrelmann K (2009) Gesundheitliche Ungleichheit. JOHM_2019.ipynb (Stand: 01.02.2019) Grundlagen, Probleme, Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissen- 16. Klein T, Schneider S, Löwel H (2001) Bildung und Mortalität. schaften, Wiesbaden Die Bedeutung gesundheitsrelevanter Aspekte des Lebensstils. Zeitschrift für Soziologie 30(5):384-400 5. Doblhammer G, Muth E, Kruse A (2008) Lebenserwartung in Deutschland: Trends, Prognose, Risikofaktoren und der Einfluss 17. Schneider S (2007) Ursachen schichtspezifischer Mortalität in ausgewählter Medizininnovationen. Rostocker Zentrum zur der Bundesrepublik Deutschland: Tabakkonsum dominiert alle Erforschung des Demografischen Wandels, Rostock anderen Risikofaktoren. Int J Public Health 52:39-53 Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 13
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS 18. Luy M (2006) Differentielle Sterblichkeit: die ungleiche Vertei- 30. Wolf IK, Knopf H, Scheidt-Nave C et al. (2012) Möglichkeiten und lung der Lebenserwartung in Deutschland. Rostocker Zentrum – Grenzen retrospektiver Todesursachenrecherchen im Rahmen Diskussionspapier 6 bundesweiter epidemiologischer Studien. Bundesgesundheitsbl 55(3):431-435 19. Lampert T, Kroll LE (2014) Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung. GBE kompakt 5(2). Robert Koch-Institut, 31. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) (2011) Ein Natio- Berlin. nales Mortalitätsregister für Deutschland. Bericht der Arbeits- https://edoc.rki.de/handle/176904/3128 (Stand: 01.02.2019) gruppe und Empfehlung des Rates für Sozial- und Wirtschafts daten (RatSWD). 20. Perna L, Thien-Seitz U, Ladwig K-H et al. (2010) Socio-economic https://www.ratswd.de/download/publikationen_rat/Bericht_ differences in life expectancy among persons with diabetes melli- Empfehlung_Mortalitaetsregister.pdf (Stand: 01.02.2019) tus or myocardial infarction: results from the German MONICA/ KORA study. BMC Public Health 10(1):135 21. Voges W, Helmert U, Timm A et al. (2004) Soziale Einfluss faktoren von Morbidität und Mortalität. Sonderauswertung von Daten der Gmünder Ersatzkasse (GEK). Zentrum für Sozial politik, Universität Bremen 22. Geyer S, Peter R (1999) Occupational status and all-cause mor- tality: a study with health insurance data from Nordrhein-West- falen, Germany. Eur J Public Health 9(2):114-118 23. Kibele EUB, Jasilionis D, Shkolnikov VM (2013) Widening socio- economic differences in mortality among men aged 65 years and older in Germany. J Epidemiol Community Health 67(5):453-457 24. Mackenbach JP, Stirbu I, Roskam A-J et al. (2008) Socioeconomic inequalities in health in 22 European countries. N Engl J Med 358(23):2468-2481 25. Johnson B (2011) Deriving trends in life expectancy by the National Statistics Socioeconomic Classification using the ONS Longitudinal Study. Health Statistics Quarterly 49:9-51 26. Steingrímsdóttir ÓA, Næss Ø, Moe JO et al. (2012) Trends in life expectancy by education in Norway 1961-2009. Eur J Epidemiol 27(3):163-171 27. Marmot M, Allen J, Goldblatt P et al. (2010) Fair society, healthy lives. The Marmot Review. Strategic review of health inequalities in England post-2010. University College London, London 28. Wilkinson RG, Pickett KE (2008) Income inequality and socioeco- nomic gradients in mortality. Am J Public Health 98(4):699-704 29. Himmelreicher RK, von Gaudecker HM, Scholz RD (2006) Nutzungsmöglichkeiten von Daten der gesetzlichen Renten versicherung über das Forschungsdatenzentrum der Renten versicherung (FDZ-RV). MPIDR Working Paper WP-2006-018 Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 14
Journal of Health Monitoring Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland FOCUS Impressum Journal of Health Monitoring Herausgeber Robert Koch-Institut Nordufer 20 13353 Berlin Redaktion Susanne Bartig, Johanna Gutsche, Dr. Birte Hintzpeter, Dr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg, Dr. Alexander Rommel, Dr. Livia Ryl, Dr. Anke-Christine Saß, Stefanie Seeling, Martin Thißen, Dr. Thomas Ziese Robert Koch-Institut Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring Fachgebiet Gesundheitsberichterstattung General-Pape-Str. 62–66 12101 Berlin Tel.: 030-18 754-3400 E-Mail: healthmonitoring@rki.de www.rki.de/journalhealthmonitoring Satz Gisela Dugnus, Alexander Krönke, Kerstin Möllerke ISSN 2511-2708 Hinweis Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 Das Robert Koch-Institut ist ein Bundesinstitut im International Lizenz. Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 15
Journal of Health Monitoring Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland FOCUS Journal of Health Monitoring · 2019 4(1) DOI 10.25646/5867 Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Robert Koch-Institut, Berlin Deutschland – Zeitliche Entwicklung und Trends der KiGGS-Studie Thomas Lampert, Jens Hoebel, Benjamin Kuntz, Jonas D. Finger, Abstract Heike Hölling, Michael Lange, Elvira Mauz, Der Beitrag analysiert, wie sich das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland Gert B. M. Mensink, Christina Poethko-Müller, in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Die Analysen basieren auf Daten der Studie zur Gesundheit von Kindern und Anja Schienkiewitz, Anne Starker, Johannes Zeiher, Bärbel-Maria Kurth Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), die für die 0- bis 17-jährige Bevölkerung in Deutschland repräsentativ sind und in drei Wellen erhoben wurden: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006), KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) und KiGGS Welle 2 Robert Koch-Institut, Berlin (2014 – 2017). Betrachtet werden Prävalenzen zu fünf Gesundheitsoutcomes: allgemeiner Gesundheitszustand, psychische Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits- Auffälligkeiten, körperliche Aktivität, Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke und Rauchen. Die gesundheitlichen monitoring Ungleichheiten werden an Unterschieden nach dem sozioökonomischen Status (SES) der Familie festgemacht, der als Index aus Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern bestimmt wird. Betrachtet werden sowohl absolute als auch Eingereicht: 19.10.2018 Akzeptiert: 30.01.2019 relative gesundheitliche Ungleichheiten. Hierzu werden der Slope Index of Inequality (SII) und der Relative Index of Veröffentlicht: 14.03.2019 Inequality (RII) mittels linearer Wahrscheinlichkeitsmodelle beziehungsweise log-Binomial-Modellen berechnet. Für alle Gesundheitsoutcomes zeigen sich deutliche Ungleichheiten zuungunsten von Heranwachsenden aus Familien mit niedrigem SES. In KiGGS Welle 2 waren diese beim allgemeinen Gesundheitszustand und dem Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke besonders stark ausgeprägt. Die Trendergebnisse sprechen hier zudem für eine Ausweitung der relativen Ungleichheiten. Bei letzterem haben gleichzeitig die absoluten Ungleichheiten abgenommen, was ebenso für das Rauchen gilt. Die unverändert hohen und zum Teil ausgeweiteten gesundheitlichen Ungleichheiten weisen darauf hin, dass Heranwachsende aus Familien mit niedrigem SES von den bislang umgesetzten Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter noch nicht gleichermaßen profitieren. KINDER- UND JUGENDGESUNDHEIT · SOZIOÖKONOMISCHER STATUS · GESUNDHEITLICHE UNGLEICHHEIT · TRENDANALYSEN 1. Einleitung behandelt und zum Teil auch durch Impfungen verhindert werden [1–3]. Chronische Krankheiten und Funktionsein- Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in schränkungen kommen im Kindes- und Jugendalter weit- Deutschland wächst gesund auf. Akute Erkrankungen wie aus seltener als in späteren Lebensabschnitten vor. Eine Infektionen der oberen Atemwege oder Durchfallerkran- Ausnahme stellen allergische Erkrankungen dar, die bereits kungen sind zwar häufig, können aber zumeist gut bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet sind [4–6]. Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 16
Journal of Health Monitoring Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland FOCUS Zu berücksichtigen sind daneben Entwicklungsverzögerun- Gesundheit und Infektionserkrankungen, sondern insbe- Die KiGGS-Studie gen und -störungen, zum Beispiel in Bezug auf die moto- sondere hinsichtlich frühkindlicher Entwicklungsstörungen Studie zur Gesundheit von Kindern und rische, die psychosoziale und die kognitive Entwicklung [27] sowie in der psychischen und psychosozialen Gesund- Jugendlichen in Deutschland der Heranwachsenden, sowie psychische Auffälligkeiten heit [28, 29]. Auch im Gesundheitsverhalten und bei ver- Datenhalter: Robert Koch-Institut und Störungen, wie zum Beispiel die Aufmerksamkeits haltensassoziierten Risikofaktoren, zum Beispiel Ernäh- Ziele: : Bereitstellung zuverlässiger Informa defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Ess- und rung, körperliche Aktivität oder Übergewicht, sowie den tionen über Gesundheitszustand, Gesundheits- Angststörungen [7–10]. angesprochenen perinatalen Risikofaktoren zeichnen sich verhalten, Lebensbedingungen, Schutz- und Risikofaktoren und gesundheitliche Versorgung Die gesundheitliche Entwicklung im Kindes- und zum Teil erhebliche sozioökonomische Unterschiede der in Deutschland lebenden Kinder, Jugend- Jugendalter hat erheblichen Einfluss auf die Gesundheits- ab [30, 31]. lichen und jungen Erwachsenen mit der Mög- chancen im weiteren Lebensverlauf [11, 12]. Wie früh die In den letzten Jahren haben die Bemühungen zur Ver- lichkeit von Trend- und Längsschnittanalysen Weichen gestellt werden, machen Studien deutlich, die besserung der gesundheitlichen Situation von Kindern und Studiendesign: Kombinierte Querschnitt- und Kohortenstudie Zusammenhänge zwischen prä- und perinatalen Risiko Jugendlichen zugenommen, und zwar sowohl in Bezug auf KiGGS-Erhebungswellen: faktoren wie dem mütterlichen Rauchen in der Schwanger- die Prävention und Gesundheitsförderung als auch im Kon- ▶ KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006) schaft und dem Auftreten von Krankheiten im späteren text der Gesundheitsversorgung. Kindern und Jugendlichen Untersuchungs- und Befragungssurvey Leben belegen [13–15]. Empirische Evidenz besteht auch aus sozioökonomisch benachteiligten Familien gilt dabei ▶ KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) Befragungssurvey für den Zusammenhang zwischen einem niedrigen ein besonderes Interesse, und zwar nicht nur weil sie einen ▶ KiGGS Welle 2 (2014 – 2017) Geburtsgewicht und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkran- höheren Förder- und Versorgungsbedarf haben, sondern Untersuchungs- und Befragungssurvey kungen sowie für Diabetes mellitus Typ 2 im mittleren und auch, weil sie von den vorhandenen Angeboten bislang KiGGS-Querschnitt höheren Erwachsenenalter [16, 17]. Weitere Risikofaktoren nicht gleichermaßen erreicht werden wie Kinder und Grundgesamtheit: Kinder und Jugendliche mit ständigem Wohnsitz in Deutschland im Kindes- und Jugendalter, die nachweislich zu einer lang- Jugendliche aus sozial besser gestellten Familien [32]. Eine Alter bei der jeweiligen Erhebungswelle: fristigen Erhöhung des Risikos für chronische Erkrankun- wesentliche Voraussetzung für die Planung, Umsetzung 0 – 17 Jahre gen und Gesundheitsstörungen führen, sind Frühgeburt- und Evaluation von Maßnahmen und Programmen zur KiGGS-Kohorte lichkeit, Umweltbelastungen, Gewalterfahrungen [18, 19], Förderung der Kinder- und Jugendgesundheit sind somit Stichprobengewinnung: Erneute Einladung ungesunde Ernährungs- und Bewegungsmuster, Über Daten, die eine umfassende Beschreibung und Analyse der der Teilnehmenden der KiGGS-Basiserhebung gewicht und Adipositas [20] sowie der frühzeitige Konsum gesundheitlichen Situation sowie der sozioökonomisch (n = 17.641), die zur nochmaligen Kontaktierung bereit sind psychoaktiver Substanzen wie Tabak und Alkohol [21]. ungleichen Verteilung der Gesundheitschancen von Kin- Alter bei Erhebung der KiGGS Welle 1: Die vorliegenden Studien weisen zudem darauf hin, dern und Jugendlichen ermöglichen. Einen wichtigen 6 – 24 Jahre (n = 11.992) Alter bei Erhebung der KiGGS Welle 2: dass Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benach- Beitrag leistet hier die vom Robert Koch-Institut durchge- 10 – 31 Jahre (n = 10.853) teiligten Familien deutlich häufiger als Gleichaltrige aus führte Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sozioökonomisch besser gestellten Familien in ihrer in Deutschland (KiGGS), die im Gegensatz zu vielen ande- Mehr Informationen unter Gesundheit beeinträchtigt sind [22–26]. Die Unterschiede ren Studien einen Großteil der gesundheitlichen Entwick- www.kiggs-studie.de zeigen sich dabei weniger in Bezug auf die körperliche lungsbereiche für das gesamte Kindes- und Jugendalter Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 17
Journal of Health Monitoring Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland FOCUS abdeckt. Außerdem sind ausgehend von der ersten Erhe- Befragungssurvey in insgesamt 167 für die Siedlungsstruk- bung, die in den Jahren 2003 – 2006 stattfand (KiGGS- tur der Bundesrepublik Deutschland repräsentativen Basiserhebung), und der ersten Folgebefragung in den Gemeinden (Sample Points) realisiert. Aus den Melde Jahren 2009 – 2012 (KiGGS Welle 1) unter Hinzuziehung registern der Einwohnermeldeämter dieser Gemeinden der aktuellen Daten, die zwischen 2014 – 2017 erhoben wurden nach dem Zufallsprinzip nach Altersjahrgängen wurden (KiGGS Welle 2), Aussagen über zeitliche Entwick- stratifiziert Adressen von Kindern und Jugendlichen aus- lungen und Trends in den letzten zehn Jahren möglich. gewählt. Um hinreichend Teilnehmende mit Migrations- Im Folgenden werden die Daten der KiGGS-Studie hintergrund zu gewinnen, wurde eine Aufstockung der Stich- genutzt, um anhand ausgewählter Indikatoren drei Fragen probe von Kindern und Jugendlichen mit nicht deutscher zur Gesundheit im Kindes- und Jugendalter nachzugehen: Staatsangehörigkeit vorgenommen. Insgesamt haben 17.641 Kinder und Jugendliche (8.656 Mädchen, 8.985 Jungen) im Kinder und Jugendliche ie hat sich die Gesundheit von Kindern und Jugend- W Alter von 0 bis 17 Jahren teilgenommen (Responsequote aus Familien mit niedrigem lichen in Deutschland über die letzten zehn Jahre ent- 66,6 %). Neben körperlichen Untersuchungen, einem ärzt- sozioökonomischen Status wickelt? lichen Interview, verschiedenen Tests und Laboranalysen haben häufiger gesundheit- Haben sich die sozioökonomischen Unterschiede in der umfasste das Erhebungsprogramm eine schriftliche Befra- Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ausgeweitet, gung der Eltern beziehungsweise der Kinder und Jugend liche Nachteile gegenüber verringert oder sind sie konstant geblieben? lichen selbst ab dem vollendeten elften Lebensjahr [34]. sozioökonomisch besser Wie sind diese Entwicklungen vor dem Hintergrund der Die zweite Querschnitterhebung (KiGGS Welle 1) wurde gestellten Gleichaltrigen. in Deutschland umgesetzten Maßnahmen und Pro- im Zeitraum von 2009 – 2012 als telefonische Befragung gramme zur Förderung der Kinder- und Jugendgesund- realisiert. Das Erhebungsprogramm lehnte sich an das der heit einzuordnen? KiGGS-Basiserhebung an, beschränkte sich aber zwangs- läufig auf die in Telefoninterviews möglichen Themen und 2. Methode Inhalte. Insgesamt wurden 12.368 Kinder und Jugendliche 2.1 Studienbeschreibung (6.093 Mädchen, 6.275 Jungen) im Alter von 0 bis 17 Jah- ren einbezogen, wobei erneut die Eltern und ab dem voll- Die KiGGS-Studie wird im Rahmen des Gesundheitsmoni- endeten elften Lebensjahr auch die Teilnehmenden selbst torings am Robert Koch-Institut durchgeführt [33]. Die befragt wurden. Die Stichprobe umfasste zum einen 7.913 drei Querschnitterhebungen, die den Analysen zugrunde Kinder und Jugendliche, die bereits an der KiGGS-Basis liegen, sind für in Deutschland lebende Kinder und Jugend- erhebung teilgenommen haben und zum Zeitpunkt der liche im Alter von 0 bis 17 Jahren repräsentativ. Die erste Wiederbefragung 7 bis 17 Jahre alt waren (Responsequote Querschnitterhebung (KiGGS-Basiserhebung) wurde 72,9 %). Zum anderen wurden in den gleichen Sample von 2003 – 2006 als kombinierter Untersuchungs- und Points 4.455 Teilnehmende im Alter von 0 bis 6 Jahren neu Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 18
Journal of Health Monitoring Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland FOCUS aus den Einwohnermelderegistern ausgewählt und einge- Rauchen dar, das für Kinder und Jugendliche im Alter von laden (Responsequote 38,8 %), um auch im Rahmen von 11 bis 17 Jahren erfasst wurde. Für den allgemeinen Gesund- KiGGS Welle 1 repräsentative Aussagen für die Gruppe der heitszustand, die psychischen Auffälligkeiten und das 0- bis 17-Jährigen treffen zu können [35]. Rauchen stehen vergleichbare Angaben aus allen drei Der dritte repräsentative Querschnitt (KiGGS Welle 2) Erhebungen zur Verfügung. Demgegenüber liegen den Aus wurde von 2014 – 2017 erneut als Untersuchungs- und wertungen für den Konsum zuckerhaltiger Erfrischungs- Befragungssurvey durchgeführt. Das Erhebungsprogramm getränke und zur körperlichen Aktivität nur je zwei Erhe- umfasste körperliche Untersuchungen, Tests und Labor bungen zugrunde. Bei der körperlichen Aktivität können analysen sowie eine schriftlich-postalische Befragung der dabei lediglich für einen Zeitraum von fünf statt zehn Jah- Eltern und zusätzlich der Teilnehmenden selbst ab einem ren Aussagen getroffen werden. Alter von elf Jahren [36]. Aus den Registern der Einwohner- Der allgemeine Gesundheitszustand der Kinder und Das Ausmaß meldeämter der 167 Sample Points der KiGGS-Basiserhe- Jugendlichen wird auf Grundlage der Einschätzung ihrer sozioökonomischer bung wurde eine neue, nach Altersjahrgängen stratifizierte Eltern beurteilt. In KiGGS wurde dazu eine von der Welt- Unterschiede im Auftreten Stichprobe von Adressen gezogen. Eine nach dem Zufalls gesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Frage einge- von psychischen prinzip ausgewählte Teilstichprobe im Alter von 3 bis 17 setzt: „Wie würden Sie den Gesundheitszustand Ihres Kin- Jahren wurde zur Untersuchung und Befragung eingeladen, des im Allgemeinen beschreiben?“ (Antwortkategorien: Auffälligkeiten im Kindes- eine weitere Teilstichprobe von 0 bis 17 Jahren ausschließ- „sehr gut“, „gut“, „mittelmäßig“, „schlecht“, „sehr und Jugendalter ist im lich zur Befragung. Am Befragungsprogramm von KiGGS schlecht“) [38]. Für die Auswertungen wurde die Skala Zeitverlauf weitgehend Welle 2 nahmen insgesamt 15.023 Kinder und Jugendliche dichotomisiert, indem die Ausprägungen „sehr gut“ und stabil geblieben. (7.538 Mädchen, 7.485 Jungen) teil (Responsequote 40,1 %), „gut“ sowie „mittelmäßig“, „schlecht“ und „sehr schlecht“ am zusätzlichen Untersuchungsprogramm 3.567 Kinder zusammengefasst wurden [39]. und Jugendliche (1.801 Mädchen, 1.766 Jungen) (Respon- Die Erfassung der psychischen Auffälligkeiten, denen der sequote 41,5 %) [37]. Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) zugrunde liegt, basiert ebenfalls auf den Angaben der Eltern [40]. 2.2 Indikatoren Für die Auswertungen wurden die folgenden vier Problem- bereiche des Fragebogens verwendet: Emotionale Probleme, Als Gesundheitsoutcomes werden der allgemeine Gesund- Probleme mit Gleichaltrigen, Verhaltensprobleme und heitszustand, psychische Auffälligkeiten, körperliche Akti- Hyperaktivität. Es werden insgesamt 20 Aussagen der Eltern vität, der Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke bezüglich ihrer Kinder als nicht zutreffend (0), teilweise und das Rauchen betrachtet. Die meisten Gesundheits zutreffend (1) oder eindeutig zutreffend (2) bewertet. Kinder outcomes beziehen sich auf Kinder und Jugendliche im und Jugendliche mit einem über alle Bereiche summierten Alter von 3 bis 17 Jahren. Eine Ausnahme stellt das Gesamtwert bis zu 12 Punkten wurden, in Anlehnung Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 19
Journal of Health Monitoring Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland FOCUS an eine deutsche Normierung [41], als psychisch unauffällig, trinkst, wie viel trinkt es/trinkst du davon meistens?“. ab 13 Punkten als psychisch auffällig eingestuft [42]. Die Antwortmöglichkeiten waren: „½ Glas (oder weniger)“, Die körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen „1 Glas (200 ml)“, „2 Gläser“, „3 Gläser“, „4 Gläser (oder wurde mit der in KiGGS Welle 1 und KiGGS Welle 2 einge- mehr)“. In der KiGGS-Basiserhebung wurde die Frage zu setzten Frage erhoben: „An wie vielen Tagen einer norma- den zuckerhaltigen Erfrischungstränken ohne den Zusatz len Woche bist du/ist Ihr Kind für mindestens 60 Minuten „Nicht gemeint sind Light-Getränke“ erhoben. Diese sind am Tag körperlich aktiv?“. Bei 3- bis 10-jährigen Kindern mit einer zusätzlichen Frage erfasst worden. Statt der wurden die Eltern befragt. Jugendliche im Alter von 11 bis getrennten Antwortmöglichkeiten „2 Mal am Tag“ und 17 Jahren sollten die Frage selbst beantworten. Die acht „3 Mal am Tag“ gab es die Kategorie „2 bis 3 Mal am Tag“. Antwortkategorien reichten von „an keinem Tag“ bis zu „an Die Antwortmöglichkeiten für Portionsmengen waren: 7 Tagen“. Von geringer körperlicher Aktivität wird im Fol- „¼ Glas (oder weniger)“ „½ Glas“, „1 Glas (200 ml)“, Der Konsum zuckerhaltiger genden ausgegangen, wenn die Kinder beziehungsweise „2 Gläser“, „3 Gläser (oder mehr)“. Aus den Angaben zu Erfrischungsgetränke ging Jugendlichen an weniger als zwei Tagen pro Woche min- den Verzehrhäufigkeiten wurden geschätzte mittlere im Zeitverlauf in der hohen destens 60 Minuten am Tag körperlich aktiv sind [43]. Tagesmengen berechnet (Verzehrhäufigkeit pro 28 Tage Statusgruppe prozentual Aussagen zum Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsge- mal Portionsmenge (g)/28 Tage). Für die Auswertungen tränke können auf Basis des in der KiGGS-Basiserhebung wird zwischen Kindern und Jugendlichen, die täglich weni- deutlicher zurück als in der und KiGGS Welle 2 eingesetzten Verzehrhäufigkeitsfrage- ger als 500 ml und Kindern und Jugendlichen, die täglich niedrigen Statusgruppe. bogens getroffen werden. Dieser wurde von den Eltern der 500 ml oder mehr zuckerhaltige Erfrischungsgetränke Die relativen Ungleichheiten 3- bis 10-jährigen Kinder beziehungsweise von den 11- bis konsumieren, unterschieden [45]. haben demnach 17-jährigen Kindern und Jugendlichen selbst ausgefüllt [44]. Zur Erfassung des Rauchverhaltens der Jugendlichen zugenommen. Die Frage zum Konsum von zuckerhaltigen Erfrischungs- wurde in der KiGGS-Basiserhebung und in KiGGS Welle 2 getränken in KiGGS Welle 2 lautete: „Wie oft hat Ihr Kind/ schriftlich die Frage gestellt: „Rauchst du zurzeit?“. Die hast du in den letzten 4 Wochen zuckerhaltige Erfrischungs- Antwortkategorien waren „nein“, „täglich“, „mehrmals pro getränke (z. B. Cola, Limonade, Eistee, Malzbier, Energie- Woche“, „einmal pro Woche“ und „seltener“. In KiGGS getränke) getrunken? Nicht gemeint sind Light-Getränke“. Welle 1 wurde zunächst gefragt „Hast du schon einmal Die Antwortmöglichkeiten waren: „nie“, „1 Mal im Monat“, geraucht?“ (Antwortkategorien: „ja“ und „nein“). Wurde „2 – 3 Mal im Monat“, „1 – 2 Mal pro Woche“, „3 – 4 Mal pro die Frage bejaht, schloss sich die Frage „Wie oft rauchst Woche“, „5 – 6 Mal pro Woche“, „1 Mal am Tag“, „2 Mal du zurzeit?“ an. Die Antwortmöglichkeiten waren weitge- am Tag“, „3 Mal am Tag“, „4 – 5 Mal am Tag“, „öfter als hend analog zu denen der anderen Befragungswellen: „täg- 5 Mal am Tag“. Darüber hinaus wurde die mittlere Por lich“, „mehrmals pro Woche“, „einmal pro Woche“, „sel- tionsmenge mit der folgenden Frage erfasst: „Wenn Ihr tener als einmal pro Woche“ oder „gar nicht“. Nachfolgend Kind/wenn du zuckerhaltige Erfrischungsgetränke trinkt/ werden alle Jugendlichen mit jeglichem, also auch mit nur Journal of Health Monitoring 2019 4(1) 20
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