Journal of Health Monitoring - Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität und Lebenserwartung

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MÄRZ 2019   GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES
AUSGABE
        1    GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS

             Journal of Health Monitoring

             Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität
             und Lebenserwartung

                                                               1
Journal of Health Monitoring    Inhaltsverzeichnis

                                               Soziale Unterschiede in Deutschland: Mortalität und
                                               Lebenserwartung

                                            3 Focus Soziale Unterschiede in der Mortalität und
                                              Lebenserwartung in Deutschland – Aktuelle Situation
                                              und Trends
                                          16 Focus Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern
                                             und Jugendlichen in Deutschland – Zeitliche
                                             Entwicklung und Trends der KiGGS-Studie
                                           41 Fact sheet Entwicklung der Lebenserwartung in
                                              Deutschland – Aktuelle Trends
                                          49 Concepts & Methods Verbesserung der Informations-
                                             grundlagen zur Gesundheit von Menschen mit
                                             Migrationshintergrund. Projektbeschreibung und
                                             erste Erkenntnisse von IMIRA

                             2019 3(1)
Journal of Health Monitoring 2018 4(1)                                                               2
Journal of Health Monitoring   Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                  FOCUS

Journal of Health Monitoring · 2019 4(1)
DOI 10.25646/5868
                                                      Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in
Robert Koch-Institut, Berlin
                                                      Deutschland – Aktuelle Situation und Trends
Thomas Lampert 1, Jens Hoebel 1,
Lars Eric Kroll 2                                     Abstract
                                                     Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung sind ein deutlicher Ausdruck bestehender sozialer und
1
 Robert Koch-Institut, Berlin
                                                      gesundheitlicher Ungleichheit in der Bevölkerung. Nach Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) der Jahre 1992 bis
 Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits-
 monitoring
                                                      2016 sterben 13 % der Frauen und 27 % der Männer aus der niedrigsten Einkommensgruppe bereits vor Vollendung des
 Ehemals Robert Koch-Institut, Berlin
2                                                    65. Lebensjahres, während dies in der höchsten Einkommensgruppe lediglich auf 8 % der Frauen und 14 % der Männer zutrifft.
 Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits-         Bezogen auf die mittlere Lebenserwartung bei Geburt beträgt die Differenz zwischen der niedrigsten und höchsten
 monitoring                                           Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre. Auch in der ferneren Lebenserwartung im Alter von
                                                      65 Jahren bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den Einkommensgruppen. Bei Frauen beträgt die Spannweite zwischen
Eingereicht: 21.12.2018
Akzeptiert: 23.01.2019                                der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe 3,7 Jahre, bei Männern 6,6 Jahre. Die Ergebnisse der Trendanalysen sprechen
Veröffentlicht: 14.03.2019                            dafür, dass die sozialen Unterschiede in der Lebenserwartung über die letzten 25 Jahre relativ stabil geblieben sind.

                                                         SOZIALE UNGLEICHHEIT · SOZIOÖKONOMISCHER STATUS · EINKOMMEN · MORTALITÄT · LEBENSERWARTUNG

                                                      1. Einleitung                                                        in der Gesundheit und Lebenserwartung der Bevölkerung
                                                                                                                           niederschlägt. So haben Menschen mit niedrigem Einkom-
                                                      Deutschland gehört zu den wohlhabendsten Ländern der                 men, Berufsstatus und Bildungsniveau ein erhöhtes Risiko
                                                      Welt und verfügt über sehr gut ausgebaute soziale Sicherungs-        für chronische Krankheiten und Beschwerden. Gleiches gilt
                                                      und Versorgungssysteme. Zugleich gibt es aber eine erheb-            für krankheitsbedingte funktionelle Einschränkungen in der
                                                      liche Ungleichheit der Lebensbedingungen und sozia­len Teil-         Alltagsgestaltung und Lebensqualität. Auch im individuel-
                                                      habechancen. Dies zeigt sich unter anderem an der sehr               len Gesundheitsverhalten und bei verhaltensbezogenen
                                                      ungleichen Verteilung der Einkommen und Vermögen, den                Risikofaktoren wie Rauchen, Bewegungsmangel, Überge-
                                                      schlechten Aussichten geringqualifizierter Menschen auf dem          wicht und Hypertonie zeichnen sich die sozialen Unter-
                                                      Arbeitsmarkt, der Ausweitung prekärer Beschäftigungsver-             schiede deutlich ab. Sie kumulieren letztlich in einer höhe-
                                                      hältnisse und dem nach wie vor engen Zusammenhang zwi-               ren vorzeitigen Sterblichkeit und verkürzten Lebenszeit in
                                                      schen der sozialen Herkunft und den Bildungschancen [1].             den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen [2–4].
                                                          Aus Sicht von Public Health und Gesundheitspolitik ist               Der Analyse sozialer Unterschiede in der Mortalität und
                                                      die soziale Ungleichheit von Bedeutung, weil sie sich auch           Lebenserwartung kommt vor diesem Hintergrund große

           Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                            3
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                 FOCUS

                                             Bedeutung zu. Ein möglicher empirischer Zugang eröffnet              2. Methode
                                             sich über das Sozio-oekonomische Panel (SOEP), einer
                                             vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)                Für die Analysen der einkommensbezogenen Unterschie-
                                             jährlich durchgeführten Haushaltsbefragung, die auf eine             de in der Mortalität und Lebenserwartung stehen im SOEP
                                             zeitnahe Erfassung des politischen und gesellschaftlichen            für den Zeitraum von 1992 bis 2016 Informationen zu
                                             Wandels in Deutschland zielt. Durch ein Mortalitäts-                 83.287 Personen zur Verfügung, die aber nicht alle über
                                             Follow-up, das heißt eine Erfassung von Gründen für die              den gesamten Zeitraum beobachtet wurden. Die Studien-
                                             Nichterreichbarkeit von Studienteilnehmenden vorheriger              teilnehmenden wurden für 617.550 Ein-Jahres-Episoden
                                             Erhebungswellen, können Todesfälle ermittelt werden. Die             beobachtet, das heißt im Durchschnitt 7,4 Jahre. Im Beob-
                                             Daten wurden bereits mehrfach genutzt, um soziale Unter-             achtungszeitraum sind insgesamt 4.193 Studienteilneh-
                                             schiede in der Mortalität und Lebenserwartung zu analy-              mende verstorben; dies entspricht 5,0 % aller Studienteil-
Soziale Unterschiede in der                  sieren. Dabei galt das Interesse zumeist Unterschieden               nehmenden.
Lebenserwartung sind eine                    zwischen Einkommensgruppen, einzelne Analysen stellten                   Als Einkommensindikator wird das sogenannte
extreme Ausprägungsform                      aber auch auf Unterschiede zwischen Bildungs- oder                   Netto-Äquivalenzeinkommen betrachtet, das die Größe
sozialer Ungleichheit.                       Berufsstatusgruppen ab. Die vorliegenden Ergebnisse                  und Zusammensetzung des Haushaltes und damit Ein-
                                             sprechen überwiegend dafür, dass erhebliche soziale                  sparungen durch gemeinsames Wirtschaften in einem
                                             Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung beste-            Mehrpersonenhaushalt sowie die unterschiedlichen Ein-
                                             hen, und zwar zuungunsten von Personen mit wenig Ein-                kommensbedarfe von Erwachsenen und Kindern berück-
                                             kommen, geringer Bildung und niedrigem Berufsstatus                  sichtigt. Das Netto-Äquivalenzeinkommen ermöglicht
                                             [5–10].                                                              somit, die Einkommenssituation von Haushalten unter-
                                                Im Folgenden werden die Daten des SOEP [11] genutzt,              schiedlicher Größe und Alterszusammensetzung mitein-
                                             um einkommensbezogene Unterschiede in der Mortalität                 ander zu vergleichen. Die Grundlage für die Berechnung
                                             und Lebenserwartung im Zeitraum von 1992 bis 2016 zu                 des Netto-Äquivalenzeinkommens bildet das Haushalts-
                                             analysieren. Neben der mittleren Lebenserwartung bei                 nettoeinkommen, das heißt die Summe der Einkommen
                                             Geburt wird auch die fernere Lebenserwartung im Alter von            aller Haushaltsmitglieder nach Abzug von Steuern und
                                             65 Jahren betrachtet. Zudem werden Ergebnisse von Trend­             Sozialabgaben. Anschließend wird eine Äquivalenzbilan-
                                             analysen präsentiert, die Hinweise darauf geben, ob und              zierung beziehungsweise Bedarfsgewichtung vorgenom-
                                             wie sich das Ausmaß und Erscheinungsbild der sozialen                men, und zwar anhand der Neuen OECD-Skala, die auch
                                             Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung im                in der amtlichen Sozial- und Armutsberichterstattung ange-
                                             Verlauf der letzten 25 Jahre verändert haben.                        wendet wird. Nach dieser haben im Vergleich zum Haus-
                                                                                                                  haltsvorstand alle weiteren Personen im Alter ab
                                                                                                                  15 Jahren einen 0,5-fachen Einkommensbedarf und alle

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                         4
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                   FOCUS

                                             Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren einen 0,3-fachen             vorliegenden Arbeit die Mortalitätsrisiken nicht für die
                                             Einkommensbedarf. Das Netto-Äquivalenzeinkommen                      gesamte Altersspanne, sondern altersgruppenspezifisch
                                             berechnet sich aus dem Haushaltsnettoeinkommen und                   berechnet. Diese Anpassung wurde vorgenommen, da die
                                             einem Quotienten, der sich aus der Summe der Bedarfs-                Annahme konstanter Einkommensunterschiede im Lebens-
                                             gewichte der Haushaltsmitglieder ergibt, also zum Beispiel           verlauf als zu stark erachtet wurde. Aufgrund der limitier-
                                             1 bei einem Einpersonenhaushalt, 1,5 bei einem Haushalt              ten Fallzahlen konnten allerdings nur zwei Altersgruppen
                                             mit zwei Erwachsenen und 2,1 bei einem Haushalt mit zwei             (Alter bis 50 Jahre und 51 Jahre und älter) verglichen wer-
                                             Erwachsenen und zwei Kindern beziehungsweise Jugend-                 den. Zudem kam zusätzlich ein semi-parametrisches
                                             lichen unter 15 Jahren.                                              Cox-Modell zur Anwendung, um a priori keine Annahmen
                                                 Das mittlere Netto-Äquivalenzeinkommen der Bevölke-              zum Altersverlauf des Mortalitätsrisikos zu treffen.
                                             rung lag im Untersuchungszeitraum 1992 bis 2016 bei                     Zur Bestimmung der mittleren Lebenserwartung wur-
Rund 13 % der Frauen                         1.495 Euro (Median). Davon ausgehend wurden für die                  den, anhand der Genesis-Datenbank des Statistischen Bun-
und 27 % der Männer mit                      Analysen fünf Einkommenskategorien abgegrenzt: Perso-                desamtes, Sterberisiken aus den amtlichen Sterbetafeln für
niedrigem Einkommen                          nen mit einem Einkommen unter 60 % dieses Mittelwertes,              Deutschland extrahiert [13]. Die Werte liegen in der Daten-
sterben vor Vollendung                       von 60 bis unter 80 %, von 80 bis unter 100 %, von 100 bis           bank jahresweise differenziert nach Alter und Geschlecht
                                             unter 150 % und schließlich jene mit einem Einkommen,                vor. Da vor dem Jahr 2000 nur abgekürzte Sterbetafeln bis
des 65. Lebensjahres.
                                             das 150 % und mehr dieses Mittelwertes beträgt. Personen             zu einem Alter von 90 Jahren berechnet wurden, zur
                                             mit einem Einkommen unterhalb der 60 %-Schwelle,                     Berechnung von Lebenserwartungen auf Basis von Sterbe­
                                             also mit einem Einkommen unter 897 Euro, sind nach                   risiken aber abgeschlossene Sterbetafeln notwendig
                                             sozialpolitischer Definition von Armut betroffen oder                sind, wurden alle Sterberisiken bis zu einem Alter von
                                             einem Armutsrisiko ausgesetzt. Die 150 %-Schwelle, die               112 Jahren extra­poliert und für das Alter von 112 Jahren von
                                             2.243 Euro betrug, kann entsprechend zur Abgrenzung                  einem Sterberisiko von 100 % ausgegangen. Die resultie-
                                             relativer Wohlhabenheit herangezogen werden.                         renden Lebenserwartungen wurden anschließend mit den
                                                 Bei der Analyse von Einkommensunterschieden in der               in der Genesis-Datenbank ausgewiesenen Werten jahres-
                                             Lebenserwartung wird eine Methode verwendet, die rela-               weise verglichen, um die durchgeführte Extrapolation zu
                                             tive Mortalitätsrisiken aus Surveydaten mit allgemeinen              überprüfen. Die mittlere Abweichung zwischen den ent-
                                             Mortalitätsrisiken aus amtlichen Periodensterbetafeln                sprechend berechneten und den durch das Statistische
                                             kombiniert [12]. Die relativen Mortalitätsrisiken wurden             Bundesamt bereitgestellten Werten betrug dabei weniger
                                             auf Basis des SOEP differenziert nach Zeiträumen, Alters-            als 0,05 Jahre für Frauen und Männer bei Geburt.
                                             gruppen und nach dem Geschlecht der Befragten mit                       Zur Berechnung der einkommensgruppenspezifischen
                                             Cox-Regressionsmodellen für Surveydaten errechnet.                   Überlebensrate und Lebenserwartung wurden Mittelwerte
                                             In Abweichung von früheren Arbeiten wurden in der                    der alters- und geschlechtsspezifischen Mortalitätsrisiken

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                           5
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                                   FOCUS

                                                aus den amtlichen Sterbetafeln für die jeweiligen Unter­                         resultierende Ergebnisse und erläuternde Kommentare in
                                                suchungszeiträume berechnet. Auf diese Baselineraten                             einer einzigen Datei zu speichern. Auf dem Online-Quell­
                                                wurden anschließend die anhand des SOEP berechneten,                             code-Archiv Github werden die Dateien in HTML-Seiten
                                                relativen Mortalitätsrisiken der Einkommensgruppen im                            umgewandelt und können so mit jedem Internet-Browser
                                                Verhältnis zum Bevölkerungsdurchschnitt altersgruppen-                           betrachtet werden. Sie können dort aber auch herunter­
                                                und geschlechtsspezifisch angewendet. Auf Basis der                              geladen und nach der Installation der zugehörigen Ausfüh-
                                                resultierenden einkommensspezifischen Raten wurden                               rungsumgebung (Project Jupyter) selbst ausgeführt oder
                                                anschließend Survivorfunktionen und Lebenserwartungen                            modifiziert werden.
                                                berechnet. Neben der mittleren Lebenserwartung bei
                                                Geburt wird im Folgenden auch die fernere Lebenserwar-                           3. Ergebnisse
                                                tung im Alter von 65 Jahren dargestellt. Außerdem wird der
Die Differenz in der mittleren                  Anteil der Frauen und Männer ausgewiesen, der bereits vor                    Frauen und Männer mit einem Einkommen unterhalb der
Lebenserwartung bei Geburt                      Vollendung des 65. Lebensjahres verstorben ist. Alle Ana-                    Armutsrisikogrenze hatten im Beobachtungszeitraum ein
zwischen der niedrigsten und                    lysen wurden mit dem Statistikpaket R in der Version 3.5                     signifikant höheres Mortalitätsrisiko als der Bevölkerungs-
höchsten Einkommensgruppe                       durchgeführt [14]. Aufgrund der Komplexität der angewen-                     durchschnitt. Die Einkommensdifferenzen in der Sterb-
                                                deten Methode und zur Unterstützung der Reproduzier-                         lichkeit waren dabei für Frauen und Männer in der jünge-
beträgt bei Frauen 4,4 Jahre
                                                barkeit der Ergebnisse werden das Vorgehen, die verwen-                      ren der beiden Altersgruppen (Alter bis 50 Jahre) etwas
und bei Männern 8,6 Jahre.                      deten Bibliotheken und die entwickelten Funktionen in                        stärker ausgeprägt als in der höheren Altersgruppe
                                                Form eines sogenannten „jupyter notebooks“ dokumen-                          (51 Jahre und älter). In Abbildung 1 sind die entsprechenden
                                                tiert [15]. Diese Notebooks ermöglichen es, Programmcode,                    Risiken in der sogenannten Effektkodierung mit Bezug

                                                       Hazard Ratio (Referenz: Mittleres Risiko der Bevölkerung)
                                                 2,0
                                                                                     Frauen                                                        Männer                                    Alter:
                                                Ref.                                                                                                                                         0 − 50
                                                                                                                                                                                             Jahre
                                                 0,5
                                                         < 60            60 − < 80   80 −
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                                    FOCUS

                                 Abbildung 2              Überlebensrate        Frauen                                                                         Männer
                                                  1,00
        Überlebensraten nach Geschlecht und
                                 Einkommen        0,80
Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 –2016
                                                  0,60

                                                  0,40

                                                  0,20

                                                         0                 25     50             75           100                0                25              50              75             100
                                                                                                                                                                                         Alter (Jahre)
                                                         Einkommensposition:    < 60 %     60 % − < 80 %    80 % −
Journal of Health Monitoring   Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                                     FOCUS

                                     Tabelle 1                        Mittlere Lebenserwartung Fernere Lebenserwartung          Die Differenz zwischen der niedrigsten und der höchsten
     Mittlere Lebenserwartung bei Geburt und                                        bei Geburt*  im Alter von 65 Jahren*        Einkommensgruppe machte bei Frauen 4,4 Jahre und bei
         fernere Lebenserwartung im Alter von     Einkommen                   Frauen      Männer        Frauen      Männer      Männern 8,6 Jahre aus. Frauen und Männer, die das
  65 Jahren nach Geschlecht und Einkommen          < 60 %                        78,4       71,0           15,2        9,8      65. Lebensjahr erreicht hatten, konnten im Mittel damit rech-
Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 – 2016     60 % – < 80 %                 79,7       73,3           15,9       11,0
                                                                                                                                nen, weitere 17,0 Jahre beziehungsweise 12,5 Jahre zu leben.
                                                      80 % –
Journal of Health Monitoring   Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                                  FOCUS

                                  Abbildung 5           Lebenserwartung mit 65 Jahren (Jahre)
                                                  25
         Trends der ferneren Lebenserwartung                                         Frauen                                                                 Männer
  im Alter von 65 Jahren nach Geschlecht und      20
        Einkommen im Zeitraum 1992 bis 2016
                                                  15
Quelle: SOEP, Periodensterbetafeln 1992 – 2016
                                                  10

                                                   5

                                                       1992 −1995 1996 −1999 2000 −2003 2004 −2007 2008 −2011 2012 −2015         1992−1995 1996 −1999 2000 −2003 2004 −2007 2008 −2011 2012 −2015
                                                                                                                                                                                              Jahr
                                                       Einkommensposition:         < 60 %       60 % − < 80 %    80 % −
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                 FOCUS

                                             betrachtet werden. Vor diesem Hintergrund sind auch die                 Zu beachten ist darüber hinaus, dass im SOEP derzeit
                                             zum Teil erheblichen Sprünge in der Entwicklung der mitt-            keine systematische Nacherfassung zum Verbleib bei
                                             leren Lebenserwartung bei Geburt und in der ferneren                 Nichtteilnahme erfolgt. Durch mehrere sogenannte Ver-
                                             Lebenserwartung im Alter von 65 Jahren in einigen Einkom-            bleibstudien konnten Todesfälle bis zum Jahr 2009 relativ
                                             mensgruppen zu sehen, die deshalb mit entsprechender                 gut nacherfasst werden. Seither ist aber keine entspre-
                                             Zurückhaltung interpretiert werden sollten.                          chende Studie mehr durchgeführt worden. Da Personen
                                                Die Ergebnisse stimmen weitgehend mit anderen Ergeb-              mit schlechtem Gesundheitszustand und entsprechend
                                             nissen zu einkommensbezogenen Unterschieden in der                   höherem Sterberisiko häufiger die weitere Studienteil-
                                             Mortalität und Lebenserwartung überein. Dies gilt unter              nahme verweigern, muss davon ausgegangen werden, dass
                                             anderem für frühere Analysen auf Basis von Daten des                 die Mortalität künftig in stärkerem Maße unterschätzt und
                                             SOEP [6–9], wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Ergeb-          die Lebenserwartung überschätzt wird [12]. Da ebenso
Im Alter von 65 Jahren liegt                 nisse nicht unmittelbar mit den hier vorgestellten vergli-           angenommen werden kann, dass dies auf Personen mit
die fernere Lebenserwartung                  chen werden können. Ein Grund hierfür ist, dass unter-               niedrigem Einkommen verstärkt zutrifft, dürfte daraus auch
von Frauen und Männern in                    schiedliche Beobachtungszeiträume betrachtet werden.                 eine Erhöhung der Unsicherheiten für die Abschätzung
der niedrigsten Einkommens-                  Zudem gibt es substanzielle Veränderungen in der Daten-              der einkommensbezogenen Unterschiede in der Lebens­
                                             basis sowie Unterschiede im Hinblick auf die angewende-              erwartung resultieren.
gruppe 3,7 beziehungsweise
                                             ten Analyseverfahren. Das SOEP hat keine statische Daten-               Die Ergebnisse stehen zudem im Einklang mit Studien,
6,6 Jahre unter der in der                   basis, mit jeder neuen Datensatzversion können Werte für             die auf anderen Daten basieren. Hinzuweisen ist unter
höchsten Einkommens-                         vergangene Jahre geändert werden. Dies hängt etwa mit                anderem auf die MONICA/KORA-Studien in der Region
gruppe.                                      der Nacherfassung fehlender Werte, Änderungen bei                    Augsburg [16, 17], den Lebenserwartungssurvey des Bun-
                                             Imputations- und Gewichtungsverfahren oder dem nach-                 desinstituts für Bevölkerungsforschung [18] und die Studie
                                             träglichen Ausfall von Fällen zusammen. Hinzu kommen                 zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) [19],
                                             methodisch begründete Änderungen für die vorliegenden                in denen ebenfalls eine Weiterverfolgung der Studienteil-
                                             Analysen, die ebenfalls Abweichungen bei Ergebnissen                 nehmenden erfolgt. Analysen, die Unterschiede in der
                                             bedingen können. Außerdem wurden für diese Arbeit meh-               Lebenserwartung im Trend berichten, dabei aber zum Bei-
                                             rere Anpassungen vorgenommen, um die Stabilität der                  spiel die fernere Lebenserwartung von Personen nach
                                             Ergebnisse für Trendanalysen zu verbessern und Limitati-             einem Herzinfarkt oder mit einer Diabetes-Erkrankung [20]
                                             onen des ursprünglichen Vorgehens [12] zu begegnen. So               untersuchen, zeigen ebenfalls Unterschiede nach Einkom-
                                             werden etwa altersgruppenspezifische Mortalitätsrisiken              men und auch anderen Sozialindikatoren wie der Bildung
                                             geschätzt, Cox-Regressionsmodelle eingesetzt und nur die             und beruflichen Stellung auf.
                                             Einkommensinformationen zu Beginn des jeweiligen indi-                  Darüber hinaus sind Analysen mit Daten der Sozial­
                                             viduellen Untersuchungszeitraums berücksichtigt.                     versicherungsträger zu beachten, wenngleich diese einige

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                        10
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                  FOCUS

                                         zusätzliche Limitationen aufweisen. So ist die Aussagekraft          und nur gelegentlich das Einkommen betrachtet wird.
                                         der Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung aufgrund              Aufschlussreich sind zum Beispiel die Ergebnisse eines
                                         der selektiven Mitgliederstruktur eingeschränkt [21]. Außer-         europäischen Forschungsprojektes, für das Daten von
                                         dem weisen die Einkommensangaben oftmals Lücken auf                  nationalen Gesundheitssurveys mit Mortalitäts-Follow-ups
                                         oder fehlen gänzlich, sodass stattdessen zumeist die Bil-            aus 22 Ländern genutzt wurden. Die Ergebnisse, die sich
                                         dung und berufliche Stellung sowie bisweilen auch der Ver-           auf die 1990er- und 2000er-Jahre beziehen, deuten im
                                         sichertenstatus (pflicht- vs. freiwillig versichert) verwendet       europäischen Durchschnitt auf ein etwa zweifach erhöhtes
                                         wird. Dafür haben die Daten der Gesetzlichen Krankenver-             Mortalitätsrisiko in den niedrigen im Vergleich zu den
                                         sicherung einige Vorteile, wie zum Beispiel sehr große Fall-         hohen Bildungsgruppen hin. Eine nach Todesursachen
                                         zahlen und die Möglichkeit, todesursachenspezifische                 differenzierte Betrachtung zeigt, dass diese Unterschiede
                                         Analysen durchzuführen. Ergebnisse, die zum Beispiel auf             sowohl bei Todesfällen infolge von kardiovaskulären und
                                         Daten der AOK (Allgemeine Ortskrankenkasse) oder der                 Krebs­erkrankungen als auch infolge von Unfällen und Ver-
                                         GEK (Gmünder Ersatzkasse) basieren, weisen auf erheb­                letzungen bestehen. Im Ländervergleich fanden die sozia-
                                         liche soziale Unterschiede in der Mortalität infolge von Herz-       len Unterschiede in der Mortalität in den osteuropäischen
                                         infarkt, Schlaganfall und verschiedenen Krebserkrankungen,           Ländern einen stärkeren Ausdruck als in den süd-, mittel-
                                         darunter Magen-, Darm- und Lungenkrebs, hin [21, 22].                und nordeuropäischen Ländern [24].
                                             Eine Auswertung basierend auf Daten der Deutschen                    Für einige Länder sind zudem Aussagen über langfris-
                                         Rentenversicherung Bund, die sich allerdings nur auf männ-           tige zeitliche Entwicklungen der sozialen Unterschiede in
                                         liche Versicherte bezieht, konnte zeigen, dass ein niedriges         der Mortalität und Lebenserwartung möglich. Dies gilt in
                                         Einkommen, ermittelt über Einkommensentgeltpunkte, mit               Europa insbesondere für Großbritannien und die skandi-
                                         einer geringeren ferneren Lebenserwartung im Alter von               navischen Länder. In Großbritannien kann für derartige
                                         65 Jahren assoziiert ist. Außerdem weisen diese Ergebnisse           Analysen auf das routinemäßige Mortalitäts-Follow-up zum
                                         darauf hin, dass sich die einkommensbezogenen Unter-                 amtlichen Zensus zurückgegriffen werden. Auf Basis von
                                         schiede in der ferneren Lebenserwartung im Beobachtungs-             Daten für England und Wales ergab sich in den Jahren 1982
                                         zeitraum, der sich von 1995/1996 bis 2007/2008 erstreckte,           bis 1986 im Vergleich der niedrigsten mit der höchsten
                                         weiter ausgeweitet haben. Die Lebenserwartung ist in die-            Berufsstatusgruppe eine Differenz in der mittleren Lebens-
                                         sem Zeitraum zwar in allen Einkommensgruppen gestiegen,              erwartung bei Geburt von 3,8 Jahren bei Frauen und
                                         der Zugewinn fiel aber in den hohen Einkommensgruppen                4,9 Jahren bei Männern. In den nachfolgenden 20 Jahren
                                         größer aus als in den niedrigen Einkommensgruppen [23].              hat sich die Lebenserwartung in allen Statusgruppen erhöht,
                                             Auch für andere Länder werden vergleichbare soziale              gleichzeitig aber der Abstand zwischen den Gruppen ver-
                                         Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung                   größert. In den Jahren 2002 bis 2006 betrug er 4,2 Jahre
                                         berichtet, wobei zumeist die Bildung oder der Berufsstatus           bei Frauen und 5,8 Jahre bei Männern [25].

Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                         11
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                            FOCUS

                                             Auch für Norwegen wurde gezeigt, dass die sozialen                   Der entscheidende Vorteil in anderen Ländern besteht
                                         Unterschiede in der Lebenserwartung im Verlauf der letz-             im Vorhandensein nationaler Mortalitätsregister, die zudem
                                         ten Jahrzehnte zugenommen haben. Dies macht eine Stu-                mit anderen Datenquellen, zum Beispiel bevölkerungs­
                                         die deutlich, die Daten des norwegischen Bevölkerungs­               repräsentativen sozialwissenschaftlichen und gesundheits-
                                         registers sowie bevölkerungsbezogener Studien und                    bezogenen Studien, zusammengeführt werden können.
                                         Datenbanken aus den Jahren 1961 bis 2009 nutzte. Anfang              Auch wenn eine vergleichbare Verknüpfung verschiedener
                                         der 1960er-Jahre hatten Frauen und Männer mit niedriger              Datenquellen aufgrund der Datenschutzbestimmungen
                                         Bildung ab dem 35. Lebensjahr im Durchschnitt eine fer-              in Deutschland nicht beziehungsweise nur teilweise
                                         nere Lebenserwartung von 44,1 Jahren beziehungsweise                 möglich ist, wären mit der Etablierung eines natio­nalen
                                         40,3 Jahren. Die Vergleichswerte für Frauen und Männer               Mortalitätsregisters zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten
                                         mit hoher Bildung betrugen 45,6 Jahre beziehungsweise                verbunden [31]. Sofern dieses Mortalitätsregister auch
                                         42,2 Jahre. Bis zum Jahr 2009 stieg die fernere Lebens­              Informationen über die soziale Lage der Verstorbenen
                                         erwartung bei Frauen und Männern der niedrigen Bildungs-             bereitstellt beziehungsweise mit Datenquellen verknüpft
                                         gruppe um 2,9 beziehungsweise 2,1 Jahre an. Bei Frauen               werden kann, die diese Informationen enthalten, könnte
                                         und Männern der hohen Bildungsgruppe fiel der Zugewinn               auch für Aussagen zu sozialen Unterschieden in der Mor-
                                         an Lebenszeit mit 6,1 beziehungsweise 6,4 Jahren weitaus             talität und Lebenserwartung sowie deren Entwicklung im
                                         höher aus [26].                                                      Zeitverlauf eine deutlich verbesserte Datengrundlage
                                             Die sozialen Unterschiede in der Mortalität und Lebens-          geschaffen werden.
                                         erwartung stellen für Public Health und Gesundheits­politik
                                                                                                                                                           Korrespondenzadresse
                                         eine große Herausforderung dar [27, 28]. Für ein kontinu-
                                                                                                                                                         PD Dr. Thomas Lampert
                                         ierliches Monitoring, als eine wesentliche Voraussetzung                                                            Robert Koch-Institut
                                         für die Planung, Umsetzung und Evaluation von Maßnah-                            Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring
                                         men zur Verringerung der sozialen Unterschiede in der                                                           General-Pape-Str. 62–66
                                                                                                                                                                     12101 Berlin
                                         Mortalität und Lebenserwartung, ist eine weitere Verbes-
                                                                                                                                                        E-Mail: LampertT@rki.de
                                         serung der Datenlage anzustreben. Bislang kann in
                                         Deutschland auf Mortalitäts-Follow-ups, die im Rahmen                                                                          Zitierweise
                                         sozialwissenschaftlicher oder gesundheitsbezogener                                                     Lampert T, Hoebel J, Kroll LE (2019)
                                                                                                                     Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in
                                         Studien durchgeführt werden, sowie auf die Routinedaten
                                                                                                                                       Deutschland – Aktuelle Situation und Trends.
                                         der Sozialversicherungsträger zurückgegriffen werden.                                               Journal of Health Monitoring 4(1): 3–15.
                                         Beide empirischen Zugänge sind vielversprechend, aber                                                                  DOI 10.25646/5868
                                         mit jeweils eigenen methodischen Limitationen verbun-
                                         den [21, 29, 30].

Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                                   12
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                               FOCUS

                                         Die englische Version des Artikels ist verfügbar unter:                6.   Kroh M, Neiss H, Kroll LE et al. (2012) Menschen mit hohen
                                                                                                                     Einkommen leben länger. DIW Wochenbericht 38
                                         www.rki.de/journalhealthmonitoring-en
                                                                                                                7.   Kröger H, Kroh M, Kroll LE et al. (2017) Einkommensunterschiede
                                                                                                                     in der Mortalität in Deutschland – Ein empirischer Erklärungs­
                                         Datenschutz und Ethik                                                       versuch. Zeitschrift für Soziologie 46(2):124-146
                                         Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels unterliegen                   8.   Lampert T, Kroll LE, Dunkelberg A (2007) Soziale Ungleichheit
                                         den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes                              der Lebenserwartung in Deutschland. Aus Politik und Zeit­
                                                                                                                     geschichte 42:11-18
                                         (BDSG). Das heißt die im Interview erhobenen Daten wer-
                                                                                                                9.   Reil-Held A (2000) Einkommen und Sterblichkeit in Deutsch-
                                         den im SOEP anonymisiert, sodass einzelne Befragte nicht                    land: Leben Reiche länger? Discussion Papers 580. Institut für
                                         mehr erkennbar sind.                                                        Volkswirtschaftslehre und Statistik, Universität Mannheim
                                                                                                                10. Voges W, Groh-Samberg O (2012) Arme sterben früher. Zum
                                                                                                                    Zusammenhang von Einkommenslage und Lebenslage und dem
                                         Förderungshinweis                                                          Mortalitätsrisiko. In: Brähler E, Kiess J, Schubert C et al. (Hrsg)
                                         Die vorliegenden Auswertungen wurden aus Eigenmitteln                      Gesund und gebildet. Voraussetzungen für eine moderne Gesell-
                                                                                                                    schaft. Vandenhock & Ruprecht, Göttingen, S. 146-167
                                         des Robert Koch-Instituts durchgeführt.
                                                                                                                11. Goebel J, Grabka MM, Liebig S et al. (2018) The German
                                                                                                                    Socio-Economic Panel (SOEP). Jahrbücher für Nationalökonomie
                                         Interessenkonflikt                                                         und Statistik.
                                                                                                                    https://doi.org/10.1515/jbnst-2018-0022 (Stand: 01.02.2019)
                                         Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
                                                                                                                12. Kroll LE, Lampert T (2009) Soziale Unterschiede in der Lebens­
                                                                                                                    erwartung. Datenquellen in Deutschland und Analysemöglich­
                                         Literatur                                                                  keiten des SOEP. Methoden – Daten – Analysen 3(1):3-30
                                         1.   Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (2018)           13. Statistisches Bundesamt (Destatis) (2018) Sterbetafel (12621-
                                              Armuts- und Reichtumsbericht.                                         0001).
                                              https://www.armuts-und-reichtumsbericht.de                            https://www-genesis.destatis.de (Stand: 01.02.2019)
                                              (Stand: 01.02.2019)
                                                                                                                14. R Core Team (2018) R: A language and environment for statisti-
                                         2.   Lampert T, Hoebel J, Kuntz B et al. (2017) Gesundheitliche            cal computing. R Foundation for Statistical Computing, Wien.
                                              Ungleichheit in verschiedenen Lebensphasen. Gesundheits­              http://www.R-project.org/ (Stand: 01.02.2019)
                                              berichterstattung des Bundes, gemeinsam getragen von RKI
                                              und Destatis. Robert Koch-Institut, Berlin                        15. Kroll LE, Hoebel J, Lampert T (2019) SOEP mortality results for
                                                                                                                    the paper “Social differences in mortality and life expectancy.
                                         3.   Mielck A (2005) Soziale Ungleichheit und Gesundheit. Einfüh-          Current situation and trends”.
                                              rung in die aktuelle Diskussion. Verlag Hans Huber, Bern              https://github.com/lekroll/R/blob/master/files/SOEP_Mortality_
                                         4.   Richter M, Hurrelmann K (2009) Gesundheitliche Ungleichheit.          JOHM_2019.ipynb (Stand: 01.02.2019)
                                              Grundlagen, Probleme, Perspektiven. VS Verlag für Sozialwissen-   16. Klein T, Schneider S, Löwel H (2001) Bildung und Mortalität.
                                              schaften, Wiesbaden                                                   Die Bedeutung gesundheitsrelevanter Aspekte des Lebensstils.
                                                                                                                    Zeitschrift für Soziologie 30(5):384-400
                                         5.   Doblhammer G, Muth E, Kruse A (2008) Lebenserwartung in
                                              Deutschland: Trends, Prognose, Risikofaktoren und der Einfluss    17. Schneider S (2007) Ursachen schichtspezifischer Mortalität in
                                              ausgewählter Medizininnovationen. Rostocker Zentrum zur               der Bundesrepublik Deutschland: Tabakkonsum dominiert alle
                                              Erforschung des Demografischen Wandels, Rostock                       anderen Risikofaktoren. Int J Public Health 52:39-53

Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                                      13
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland                                                              FOCUS

                                         18. Luy M (2006) Differentielle Sterblichkeit: die ungleiche Vertei-     30. Wolf IK, Knopf H, Scheidt-Nave C et al. (2012) Möglichkeiten und
                                             lung der Lebenserwartung in Deutschland. Rostocker Zentrum –             Grenzen retrospektiver Todesursachenrecherchen im Rahmen
                                             Diskussionspapier 6                                                      bundesweiter epidemiologischer Studien. Bundesgesundheitsbl
                                                                                                                      55(3):431-435
                                         19. Lampert T, Kroll LE (2014) Soziale Unterschiede in der Mortalität
                                             und Lebenserwartung. GBE kompakt 5(2). Robert Koch-Institut,         31. Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) (2011) Ein Natio-
                                             Berlin.                                                                  nales Mortalitätsregister für Deutschland. Bericht der Arbeits-
                                             https://edoc.rki.de/handle/176904/3128 (Stand: 01.02.2019)               gruppe und Empfehlung des Rates für Sozial- und Wirtschafts­
                                                                                                                      daten (RatSWD).
                                         20. Perna L, Thien-Seitz U, Ladwig K-H et al. (2010) Socio-economic          https://www.ratswd.de/download/publikationen_rat/Bericht_
                                             differences in life expectancy among persons with diabetes melli-        Empfehlung_Mortalitaetsregister.pdf (Stand: 01.02.2019)
                                             tus or myocardial infarction: results from the German MONICA/
                                             KORA study. BMC Public Health 10(1):135
                                         21. Voges W, Helmert U, Timm A et al. (2004) Soziale Einfluss­
                                             faktoren von Morbidität und Mortalität. Sonderauswertung von
                                             Daten der Gmünder Ersatzkasse (GEK). Zentrum für Sozial­
                                             politik, Universität Bremen
                                         22. Geyer S, Peter R (1999) Occupational status and all-cause mor-
                                             tality: a study with health insurance data from Nordrhein-West-
                                             falen, Germany. Eur J Public Health 9(2):114-118
                                         23. Kibele EUB, Jasilionis D, Shkolnikov VM (2013) Widening socio-
                                             economic differences in mortality among men aged 65 years and
                                             older in Germany. J Epidemiol Community Health 67(5):453-457
                                         24. Mackenbach JP, Stirbu I, Roskam A-J et al. (2008) Socioeconomic
                                             inequalities in health in 22 European countries. N Engl J Med
                                             358(23):2468-2481
                                         25. Johnson B (2011) Deriving trends in life expectancy by the
                                             National Statistics Socioeconomic Classification using the ONS
                                             Longitudinal Study. Health Statistics Quarterly 49:9-51
                                         26. Steingrímsdóttir ÓA, Næss Ø, Moe JO et al. (2012) Trends in life
                                             expectancy by education in Norway 1961-2009. Eur J Epidemiol
                                             27(3):163-171
                                         27. Marmot M, Allen J, Goldblatt P et al. (2010) Fair society, healthy
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                                             in England post-2010. University College London, London
                                         28. Wilkinson RG, Pickett KE (2008) Income inequality and socioeco-
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                                         29. Himmelreicher RK, von Gaudecker HM, Scholz RD (2006)
                                             Nutzungsmöglichkeiten von Daten der gesetzlichen Renten­
                                             versicherung über das Forschungsdatenzentrum der Renten­
                                             versicherung (FDZ-RV). MPIDR Working Paper WP-2006-018

Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                                     14
Journal of Health Monitoring    Soziale Unterschiede in der Mortalität und Lebenserwartung in Deutschland        FOCUS

                                             Impressum
                                             Journal of Health Monitoring

                                             Herausgeber
                                             Robert Koch-Institut
                                             Nordufer 20
                                             13353 Berlin

                                             Redaktion
                                             Susanne Bartig, Johanna Gutsche, Dr. Birte Hintzpeter,
                                             Dr. Franziska Prütz, Martina Rabenberg, Dr. Alexander Rommel,
                                             Dr. Livia Ryl, Dr. Anke-Christine Saß, Stefanie Seeling,
                                             Martin Thißen, Dr. Thomas Ziese
                                             Robert Koch-Institut
                                             Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring
                                             Fachgebiet Gesundheitsberichterstattung
                                             General-Pape-Str. 62–66
                                             12101 Berlin
                                             Tel.: 030-18 754-3400
                                             E-Mail: healthmonitoring@rki.de
                                             www.rki.de/journalhealthmonitoring

                                             Satz
                                             Gisela Dugnus, Alexander Krönke, Kerstin Möllerke

                                             ISSN 2511-2708

                                             Hinweis
                                             Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendigerweise die
                                             Meinung des Robert Koch-Instituts wider.

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   Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                15
Journal of Health Monitoring   Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland                                                FOCUS

Journal of Health Monitoring · 2019 4(1)
DOI 10.25646/5867
                                                      Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in
Robert Koch-Institut, Berlin
                                                      Deutschland – Zeitliche Entwicklung und Trends der KiGGS-Studie
Thomas Lampert, Jens Hoebel,
Benjamin Kuntz, Jonas D. Finger,                      Abstract
Heike Hölling, Michael Lange, Elvira Mauz,            Der Beitrag analysiert, wie sich das Ausmaß gesundheitlicher Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland
Gert B. M. Mensink, Christina Poethko-Müller,
                                                      in den letzten zehn Jahren entwickelt hat. Die Analysen basieren auf Daten der Studie zur Gesundheit von Kindern und
Anja Schienkiewitz, Anne Starker,
Johannes Zeiher, Bärbel-Maria Kurth
                                                      Jugendlichen in Deutschland (KiGGS), die für die 0- bis 17-jährige Bevölkerung in Deutschland repräsentativ sind und
                                                      in drei Wellen erhoben wurden: KiGGS-Basiserhebung (2003 – 2006), KiGGS Welle 1 (2009 – 2012) und KiGGS Welle 2
Robert Koch-Institut, Berlin                          (2014 – 2017). Betrachtet werden Prävalenzen zu fünf Gesundheitsoutcomes: allgemeiner Gesundheitszustand, psychische
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits-          Auffälligkeiten, körperliche Aktivität, Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke und Rauchen. Die gesundheitlichen
monitoring                                            Ungleichheiten werden an Unterschieden nach dem sozioökonomischen Status (SES) der Familie festgemacht, der als
                                                      Index aus Bildung, Beruf und Einkommen der Eltern bestimmt wird. Betrachtet werden sowohl absolute als auch
Eingereicht: 19.10.2018
Akzeptiert: 30.01.2019                                relative gesundheitliche Ungleichheiten. Hierzu werden der Slope Index of Inequality (SII) und der Relative Index of
Veröffentlicht: 14.03.2019                            Inequality (RII) mittels linearer Wahrscheinlichkeitsmodelle beziehungsweise log-Binomial-Modellen berechnet. Für alle
                                                      Gesundheitsoutcomes zeigen sich deutliche Ungleichheiten zuungunsten von Heranwachsenden aus Familien mit
                                                      niedrigem SES. In KiGGS Welle 2 waren diese beim allgemeinen Gesundheitszustand und dem Konsum zuckerhaltiger
                                                      Erfrischungsgetränke besonders stark ausgeprägt. Die Trendergebnisse sprechen hier zudem für eine Ausweitung der
                                                      relativen Ungleichheiten. Bei letzterem haben gleichzeitig die absoluten Ungleichheiten abgenommen, was ebenso für
                                                      das Rauchen gilt. Die unverändert hohen und zum Teil ausgeweiteten gesundheitlichen Ungleichheiten weisen darauf
                                                      hin, dass Heranwachsende aus Familien mit niedrigem SES von den bislang umgesetzten Maßnahmen zur Prävention
                                                      und Gesundheitsförderung im Kindes- und Jugendalter noch nicht gleichermaßen profitieren.

                                                         KINDER- UND JUGENDGESUNDHEIT · SOZIOÖKONOMISCHER STATUS · GESUNDHEITLICHE UNGLEICHHEIT · TRENDANALYSEN

                                                      1. Einleitung                                                        behandelt und zum Teil auch durch Impfungen verhindert
                                                                                                                           werden [1–3]. Chronische Krankheiten und Funktionsein-
                                                      Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen in                    schränkungen kommen im Kindes- und Jugendalter weit-
                                                      Deutschland wächst gesund auf. Akute Erkrankungen wie                aus seltener als in späteren Lebensabschnitten vor. Eine
                                                      Infektionen der oberen Atemwege oder Durchfallerkran-                Ausnahme stellen allergische Erkrankungen dar, die bereits
                                                      kungen sind zwar häufig, können aber zumeist gut                     bei Kindern und Jugendlichen weit verbreitet sind [4–6].

           Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                          16
Journal of Health Monitoring     Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland                                                  FOCUS

                                                  Zu berücksichtigen sind daneben Entwicklungsverzögerun-              Gesundheit und Infektionserkrankungen, sondern insbe-
Die KiGGS-Studie                                  gen und -störungen, zum Beispiel in Bezug auf die moto-              sondere hinsichtlich frühkindlicher Entwicklungsstörungen
Studie zur Gesundheit von Kindern und             rische, die psychosoziale und die kognitive Entwicklung              [27] sowie in der psychischen und psychosozialen Gesund-
Jugendlichen in Deutschland                       der Heranwachsenden, sowie psychische Auffälligkeiten                heit [28, 29]. Auch im Gesundheitsverhalten und bei ver-
Datenhalter: Robert Koch-Institut                 und Störungen, wie zum Beispiel die Aufmerksamkeits­                 haltensassoziierten Risikofaktoren, zum Beispiel Ernäh-
Ziele: : Bereitstellung zuverlässiger Informa­    defizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Ess- und                 rung, körperliche Aktivität oder Übergewicht, sowie den
tionen über Gesundheitszustand, Gesundheits-      Angststörungen [7–10].                                               angesprochenen perinatalen Risikofaktoren zeichnen sich
verhalten, Lebensbedingungen, Schutz- und
Risikofaktoren und gesundheitliche Versorgung         Die gesundheitliche Entwicklung im Kindes- und                   zum Teil erhebliche sozioökonomische Unterschiede
der in Deutschland lebenden Kinder, Jugend-       Jugendalter hat erheblichen Einfluss auf die Gesundheits-            ab [30, 31].
lichen und jungen Erwachsenen mit der Mög-
                                                  chancen im weiteren Lebensverlauf [11, 12]. Wie früh die                In den letzten Jahren haben die Bemühungen zur Ver-
lichkeit von Trend- und Längsschnittanalysen
                                                  Weichen gestellt werden, machen Studien deutlich, die                besserung der gesundheitlichen Situation von Kindern und
Studiendesign: Kombinierte Querschnitt- und
Kohortenstudie                                    Zusammenhänge zwischen prä- und perinatalen Risiko­                  Jugendlichen zugenommen, und zwar sowohl in Bezug auf
KiGGS-Erhebungswellen:                            faktoren wie dem mütterlichen Rauchen in der Schwanger-              die Prävention und Gesundheitsförderung als auch im Kon-
▶ KiGGS-Basis­erhebung (2003 – 2006)              schaft und dem Auftreten von Krankheiten im späteren                 text der Gesundheitsversorgung. Kindern und Jugendlichen
  Untersuchungs- und Befragungssurvey             Leben belegen [13–15]. Empirische Evidenz besteht auch               aus sozioökonomisch benachteiligten Familien gilt dabei
▶ KiGGS Welle 1 (2009 – 2012)
  Befragungssurvey                                für den Zusammenhang zwischen einem niedrigen                        ein besonderes Interesse, und zwar nicht nur weil sie einen
▶ KiGGS Welle 2 (2014 – 2017)                     Geburtsgewicht und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkran-             höheren Förder- und Versorgungsbedarf haben, sondern
  Untersuchungs- und Befragungssurvey
                                                  kungen sowie für Diabetes mellitus Typ 2 im mittleren und            auch, weil sie von den vorhandenen Angeboten bislang
KiGGS-Querschnitt                                 höheren Erwachsenenalter [16, 17]. Weitere Risikofaktoren            nicht gleichermaßen erreicht werden wie Kinder und
Grundgesamtheit: Kinder und Jugendliche
mit ständigem Wohnsitz in Deutschland             im Kindes- und Jugendalter, die nachweislich zu einer lang-          Jugendliche aus sozial besser gestellten Familien [32]. Eine
Alter bei der jeweiligen Erhebungswelle:          fristigen Erhöhung des Risikos für chronische Erkrankun-             wesentliche Voraussetzung für die Planung, Umsetzung
0 – 17 Jahre                                      gen und Gesundheitsstörungen führen, sind Frühgeburt-                und Evaluation von Maßnahmen und Programmen zur
KiGGS-Kohorte                                     lichkeit, Umweltbelastungen, Gewalterfahrungen [18, 19],             Förderung der Kinder- und Jugendgesundheit sind somit
Stichprobengewinnung: Erneute Einladung           ungesunde Ernährungs- und Bewegungsmuster, Über­                     Daten, die eine umfassende Beschreibung und Analyse der
der Teilnehmenden der KiGGS-Basiserhebung
                                                  gewicht und Adipositas [20] sowie der frühzeitige Konsum             gesundheitlichen Situation sowie der sozioökonomisch
(n = 17.641), die zur nochmaligen Kontaktierung
bereit sind                                       psychoaktiver Substanzen wie Tabak und Alkohol [21].                 ungleichen Verteilung der Gesundheitschancen von Kin-
Alter bei Erhebung der KiGGS Welle 1:                 Die vorliegenden Studien weisen zudem darauf hin,                dern und Jugendlichen ermöglichen. Einen wichtigen
6 – 24 Jahre (n = 11.992)
Alter bei Erhebung der KiGGS Welle 2:
                                                  dass Kinder und Jugendliche aus sozioökonomisch benach-              Beitrag leistet hier die vom Robert Koch-Institut durchge-
10 – 31 Jahre (n = 10.853)                        teiligten Familien deutlich häufiger als Gleichaltrige aus           führte Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugend­lichen
                                                  sozioökonomisch besser gestellten Familien in ihrer                  in Deutschland (KiGGS), die im Gegensatz zu vielen ande-
Mehr Informationen unter                          Gesundheit beeinträchtigt sind [22–26]. Die Unterschiede             ren Studien einen Großteil der gesundheitlichen Entwick-
www.kiggs-studie.de                               zeigen sich dabei weniger in Bezug auf die körperliche               lungsbereiche für das gesamte Kindes- und Jugendalter

       Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                            17
Journal of Health Monitoring    Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland                                               FOCUS

                                             abdeckt. Außerdem sind ausgehend von der ersten Erhe-               Befragungssurvey in insgesamt 167 für die Siedlungsstruk-
                                             bung, die in den Jahren 2003 – 2006 stattfand (KiGGS-               tur der Bundesrepublik Deutschland repräsentativen
                                             Basiserhebung), und der ersten Folgebefragung in den                Gemeinden (Sample Points) realisiert. Aus den Melde­
                                             Jahren 2009 – 2012 (KiGGS Welle 1) unter Hinzuziehung               registern der Einwohnermeldeämter dieser Gemeinden
                                             der aktuellen Daten, die zwischen 2014 – 2017 erhoben               wurden nach dem Zufallsprinzip nach Altersjahrgängen
                                             wurden (KiGGS Welle 2), Aussagen über zeitliche Entwick-            stratifiziert Adressen von Kindern und Jugendlichen aus-
                                             lungen und Trends in den letzten zehn Jahren möglich.               gewählt. Um hinreichend Teilnehmende mit Migrations-
                                                Im Folgenden werden die Daten der KiGGS-Studie                   hintergrund zu gewinnen, wurde eine Aufstockung der Stich-
                                             genutzt, um anhand ausgewählter Indikatoren drei Fragen             probe von Kindern und Jugendlichen mit nicht deutscher
                                             zur Gesundheit im Kindes- und Jugendalter nachzugehen:              Staatsangehörigkeit vorgenommen. Insgesamt haben 17.641
                                                                                                                 Kinder und Jugendliche (8.656 Mädchen, 8.985 Jungen) im
Kinder und Jugendliche                       „„      ie hat sich die Gesundheit von Kindern und Jugend-
                                                    W                                                            Alter von 0 bis 17 Jahren teilgenommen (Responsequote
aus Familien mit niedrigem                          lichen in Deutschland über die letzten zehn Jahre ent-       66,6 %). Neben körperlichen Untersuchungen, einem ärzt-
sozioökonomischen Status                            wickelt?                                                     lichen Interview, verschiedenen Tests und Laboranalysen
haben häufiger gesundheit-                   „„    Haben sich die sozioökonomischen Unterschiede in der         umfasste das Erhebungsprogramm eine schriftliche Befra-
                                                    Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ausgeweitet,         gung der Eltern beziehungsweise der Kinder und Jugend­
liche Nachteile gegenüber
                                                    verringert oder sind sie konstant geblieben?                 lichen selbst ab dem vollendeten elften Lebensjahr [34].
sozioökonomisch besser                       „„   Wie sind diese Entwicklungen vor dem Hintergrund der              Die zweite Querschnitterhebung (KiGGS Welle 1) wurde
gestellten Gleichaltrigen.                          in Deutschland umgesetzten Maßnahmen und Pro-                im Zeitraum von 2009 – 2012 als telefonische Befragung
                                                    gramme zur Förderung der Kinder- und Jugendgesund-           realisiert. Das Erhebungsprogramm lehnte sich an das der
                                                    heit einzuordnen?                                            KiGGS-Basiserhebung an, beschränkte sich aber zwangs-
                                                                                                                 läufig auf die in Telefoninterviews möglichen Themen und
                                             2. Methode                                                          Inhalte. Insgesamt wurden 12.368 Kinder und Jugendliche
                                             2.1 Studienbeschreibung                                             (6.093 Mädchen, 6.275 Jungen) im Alter von 0 bis 17 Jah-
                                                                                                                 ren einbezogen, wobei erneut die Eltern und ab dem voll-
                                             Die KiGGS-Studie wird im Rahmen des Gesundheitsmoni-                endeten elften Lebensjahr auch die Teilnehmenden selbst
                                             torings am Robert Koch-Institut durchgeführt [33]. Die              befragt wurden. Die Stichprobe umfasste zum einen 7.913
                                             drei Querschnitterhebungen, die den Analysen zugrunde               Kinder und Jugendliche, die bereits an der KiGGS-Basis­
                                             liegen, sind für in Deutschland lebende Kinder und Jugend-          erhebung teilgenommen haben und zum Zeitpunkt der
                                             liche im Alter von 0 bis 17 Jahren repräsentativ. Die erste         Wiederbefragung 7 bis 17 Jahre alt waren (Responsequote
                                             Querschnitterhebung (KiGGS-Basiserhebung) wurde                     72,9 %). Zum anderen wurden in den gleichen Sample
                                             von 2003 – 2006 als kombinierter Untersuchungs- und                 Points 4.455 Teilnehmende im Alter von 0 bis 6 Jahren neu

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                       18
Journal of Health Monitoring    Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland                                                  FOCUS

                                             aus den Einwohnermelderegistern ausgewählt und einge-                Rauchen dar, das für Kinder und Jugendliche im Alter von
                                             laden (Responsequote 38,8 %), um auch im Rahmen von                  11 bis 17 Jahren erfasst wurde. Für den allgemeinen Gesund-
                                             KiGGS Welle 1 repräsentative Aussagen für die Gruppe der             heitszustand, die psychischen Auffälligkeiten und das
                                             0- bis 17-Jährigen treffen zu können [35].                           Rauchen stehen vergleichbare Angaben aus allen drei
                                                 Der dritte repräsentative Querschnitt (KiGGS Welle 2)            Erhe­bungen zur Verfügung. Demgegenüber liegen den Aus­
                                             wurde von 2014 – 2017 erneut als Untersuchungs- und                  wertungen für den Konsum zuckerhaltiger Erfrischungs-
                                             Befragungssurvey durchgeführt. Das Erhebungsprogramm                 getränke und zur körperlichen Aktivität nur je zwei Erhe-
                                             umfasste körperliche Untersuchungen, Tests und Labor­                bungen zugrunde. Bei der körperlichen Aktivität können
                                             analysen sowie eine schriftlich-postalische Befragung der            dabei lediglich für einen Zeitraum von fünf statt zehn Jah-
                                             Eltern und zusätzlich der Teilnehmenden selbst ab einem              ren Aussagen getroffen werden.
                                             Alter von elf Jahren [36]. Aus den Registern der Einwohner-              Der allgemeine Gesundheitszustand der Kinder und
Das Ausmaß                                   meldeämter der 167 Sample Points der KiGGS-Basiserhe-                Jugendlichen wird auf Grundlage der Einschätzung ihrer
sozioökonomischer                            bung wurde eine neue, nach Altersjahrgängen stratifizierte           Eltern beurteilt. In KiGGS wurde dazu eine von der Welt-
Unterschiede im Auftreten                    Stichprobe von Adressen gezogen. Eine nach dem Zufalls­              gesundheitsorganisation (WHO) empfohlene Frage einge-
von psychischen                              prinzip ausgewählte Teilstichprobe im Alter von 3 bis 17             setzt: „Wie würden Sie den Gesundheitszustand Ihres Kin-
                                             Jahren wurde zur Untersuchung und Befragung eingeladen,              des im Allgemeinen beschreiben?“ (Antwortkategorien:
Auffälligkeiten im Kindes-
                                             eine weitere Teilstichprobe von 0 bis 17 Jahren ausschließ-         „sehr gut“, „gut“, „mittelmäßig“, „schlecht“, „sehr
und Jugendalter ist im                       lich zur Befragung. Am Befragungsprogramm von KiGGS                  schlecht“) [38]. Für die Auswertungen wurde die Skala
Zeitverlauf weitgehend                       Welle 2 nahmen insgesamt 15.023 Kinder und Jugendliche               dichotomisiert, indem die Ausprägungen „sehr gut“ und
stabil geblieben.                            (7.538 Mädchen, 7.485 Jungen) teil (Responsequote 40,1 %),          „gut“ sowie „mittelmäßig“, „schlecht“ und „sehr schlecht“
                                             am zusätzlichen Untersuchungsprogramm 3.567 Kinder                   zusammengefasst wurden [39].
                                             und Jugendliche (1.801 Mädchen, 1.766 Jungen) (Respon-                   Die Erfassung der psychischen Auffälligkeiten, denen der
                                             sequote 41,5 %) [37].                                                Strengths and Difficulties Questionnaire (SDQ) zugrunde
                                                                                                                  liegt, basiert ebenfalls auf den Angaben der Eltern [40].
                                             2.2 Indikatoren                                                      Für die Auswertungen wurden die folgenden vier Problem-
                                                                                                                  bereiche des Fragebogens verwendet: Emotionale Probleme,
                                             Als Gesundheitsoutcomes werden der allgemeine Gesund-                Probleme mit Gleichaltrigen, Verhaltensprobleme und
                                             heitszustand, psychische Auffälligkeiten, körperliche Akti-          Hyper­aktivität. Es werden insgesamt 20 Aussagen der Eltern
                                             vität, der Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsgetränke                bezüglich ihrer Kinder als nicht zutreffend (0), teilweise
                                             und das Rauchen betrachtet. Die meisten Gesundheits­                 zutreffend (1) oder eindeutig zutreffend (2) bewertet. Kinder
                                             outcomes beziehen sich auf Kinder und Jugendliche im                 und Jugendliche mit einem über alle Bereiche summierten
                                             Alter von 3 bis 17 Jahren. Eine Ausnahme stellt das                  Gesamtwert bis zu 12 Punkten wurden, in Anlehnung

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                          19
Journal of Health Monitoring    Gesundheitliche Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland                                                FOCUS

                                              an eine deutsche Normierung [41], als psychisch unauffällig,        trinkst, wie viel trinkt es/trinkst du davon meistens?“.
                                              ab 13 Punkten als psychisch auffällig eingestuft [42].              Die Antwortmöglichkeiten waren: „½ Glas (oder weniger)“,
                                                  Die körperliche Aktivität der Kinder und Jugendlichen          „1 Glas (200 ml)“, „2 Gläser“, „3 Gläser“, „4 Gläser (oder
                                              wurde mit der in KiGGS Welle 1 und KiGGS Welle 2 einge-             mehr)“. In der KiGGS-Basiserhebung wurde die Frage zu
                                              setzten Frage erhoben: „An wie vielen Tagen einer norma-            den zuckerhaltigen Erfrischungstränken ohne den Zusatz
                                              len Woche bist du/ist Ihr Kind für mindestens 60 Minuten           „Nicht gemeint sind Light-Getränke“ erhoben. Diese sind
                                              am Tag körperlich aktiv?“. Bei 3- bis 10-jährigen Kindern           mit einer zusätzlichen Frage erfasst worden. Statt der
                                              wurden die Eltern befragt. Jugendliche im Alter von 11 bis          getrennten Antwortmöglichkeiten „2 Mal am Tag“ und
                                              17 Jahren sollten die Frage selbst beantworten. Die acht           „3 Mal am Tag“ gab es die Kategorie „2 bis 3 Mal am Tag“.
                                              Antwortkategorien reichten von „an keinem Tag“ bis zu „an           Die Antwortmöglichkeiten für Portionsmengen waren:
                                             7 Tagen“. Von geringer körperlicher Aktivität wird im Fol-          „¼ Glas (oder weniger)“ „½ Glas“, „1 Glas (200 ml)“,
Der Konsum zuckerhaltiger                     genden ausgegangen, wenn die Kinder beziehungsweise                „2 Gläser“, „3 Gläser (oder mehr)“. Aus den Angaben zu
Erfrischungsgetränke ging                     Jugendlichen an weniger als zwei Tagen pro Woche min-               den Verzehrhäufigkeiten wurden geschätzte mittlere
im Zeitverlauf in der hohen                   destens 60 Minuten am Tag körperlich aktiv sind [43].              Tagesmengen berechnet (Verzehrhäufigkeit pro 28 Tage
Statusgruppe prozentual                           Aussagen zum Konsum zuckerhaltiger Erfrischungsge-              mal Portionsmenge (g)/28 Tage). Für die Auswertungen
                                              tränke können auf Basis des in der KiGGS-Basiserhebung              wird zwischen Kindern und Jugendlichen, die täglich weni-
deutlicher zurück als in der
                                              und KiGGS Welle 2 eingesetzten Verzehrhäufigkeitsfrage-             ger als 500 ml und Kindern und Jugendlichen, die täglich
niedrigen Statusgruppe.                       bogens getroffen werden. Dieser wurde von den Eltern der            500 ml oder mehr zuckerhaltige Erfrischungsgetränke
Die relativen Ungleichheiten                  3- bis 10-jährigen Kinder beziehungsweise von den 11- bis           konsumieren, unterschieden [45].
haben demnach                                 17-jährigen Kindern und Jugendlichen selbst ausgefüllt [44].            Zur Erfassung des Rauchverhaltens der Jugendlichen
zugenommen.                                   Die Frage zum Konsum von zuckerhaltigen Erfrischungs-               wurde in der KiGGS-Basiserhebung und in KiGGS Welle 2
                                              getränken in KiGGS Welle 2 lautete: „Wie oft hat Ihr Kind/          schriftlich die Frage gestellt: „Rauchst du zurzeit?“. Die
                                              hast du in den letzten 4 Wochen zuckerhaltige Erfrischungs-         Antwortkategorien waren „nein“, „täglich“, „mehrmals pro
                                              getränke (z. B. Cola, Limonade, Eistee, Malzbier, Energie-          Woche“, „einmal pro Woche“ und „seltener“. In KiGGS
                                              getränke) getrunken? Nicht gemeint sind Light-Getränke“.            Welle 1 wurde zunächst gefragt „Hast du schon einmal
                                              Die Antwortmöglichkeiten waren: „nie“, „1 Mal im Monat“,            geraucht?“ (Antwortkategorien: „ja“ und „nein“). Wurde
                                             „2 – 3 Mal im Monat“, „1 – 2 Mal pro Woche“, „3 – 4 Mal pro          die Frage bejaht, schloss sich die Frage „Wie oft rauchst
                                              Woche“, „5 – 6 Mal pro Woche“, „1 Mal am Tag“, „2 Mal               du zurzeit?“ an. Die Antwortmöglichkeiten waren weitge-
                                              am Tag“, „3 Mal am Tag“, „4 – 5 Mal am Tag“, „öfter als             hend analog zu denen der anderen Befragungswellen: „täg-
                                              5 Mal am Tag“. Darüber hinaus wurde die mittlere Por­               lich“, „mehrmals pro Woche“, „einmal pro Woche“, „sel-
                                              tionsmenge mit der folgenden Frage erfasst: „Wenn Ihr               tener als einmal pro Woche“ oder „gar nicht“. Nachfolgend
                                              Kind/wenn du zuckerhaltige Erfrischungsgetränke trinkt/             werden alle Jugendlichen mit jeglichem, also auch mit nur

    Journal of Health Monitoring 2019 4(1)                                                                                                                        20
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