Journal of Health Monitoring - RKI
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JUNI 2020 GESUNDHEITSBERICHTERSTATTUNG DES BUNDES SPECIAL ISSUE 3 GEMEINSAM GETRAGEN VON RKI UND DESTATIS Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am Robert Koch-Institut Berlin, 14. Dezember 2018 1
Journal of Health Monitoring Inhaltsverzeichnis 3 Editorial Handlungsrelevante Evidenz für Public 21 P roceedings Zusammenfassung der World-Café- Health – Der internationale Workshop zu Evidence- Diskussion Tisch 1: Assessment based Public Health 2018 am Robert Koch-Institut, 23 P roceedings Zusammenfassung der World-Café- Berlin Diskussion Tisch 2: Evaluation 7 Proceedings Neue Herausforderungen im Bereich 25 P roceedings Zusammenfassung der World-Café- evidenzbasierte Public Health und wie man ihnen Diskussion Tisch 3: Dissemination begegnen kann 9 Proceedings Konzeptionelle Fragen im Zusammen- hang mit der Entwicklung, Durchführung und Evaluation von Interventionen 11 Proceedings Bestandsaufnahme verfügbarer Evidenz und Schließung von Evidenzlücken – Bericht aus dem National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 13 P roceedings Neue Methoden für die Gesundheits interventionsforschung 15 Proceedings Systematische Reviews zu Public Health: Problemstellungen und mögliche Lösungsansätze 17 P roceedings Evidence-based Public Health (EBPH) – Gesundheitspolitische Beratung und Information der Öffentlichkeit 19 P roceedings Erfahrungen aus der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 2
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI EDITORIAL Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6485 Handlungsrelevante Evidenz für Public Health – Robert Koch-Institut, Berlin Der internationale Workshop zu Evidence-based Public Health 2018 Christa Scheidt-Nave 1, Angela Fehr 2, Sebastian Haller 3, Giselle Sarganas 1, am Robert Koch-Institut, Berlin Henriette Steppuhn 1, Julia Truthmann 4, Thomas Harder 3 Am 14. Dezember 2018 fand am Robert Koch-Institut Tisch 1 (ASSESSMENT) – Welche Instrumente/Metho- 1 obert Koch-Institut, Berlin R Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits (RKI) in Berlin ein eintägiger internationaler Workshop den zur systematischen Evidenzbewertung benötigt das monitoring mit dem Titel „Evidence-based Public Health for Public RKI als nationales Public-Health-Institut, um Public-Health- 2 Robert Koch-Institut, Berlin Zentrum für Internationalen Gesundheitsschutz Health Action“ statt. Der Workshop wurde von einer Themen zu identifizieren und zu priorisieren? 3 Robert Koch-Institut, Berlin interdisziplinären Public-Health-Forschungsgruppe des Tisch 2 (EVALUATION) – Welche Methoden, Expertisen Abteilung für Infektionsepidemiologie 4 Ehemals Robert Koch-Institut, Berlin RKI organisiert und zielte darauf ab, (1) einen Einblick und Daten benötigt das RKI als nationales Public-Health- Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits in aktuelle Konzepte und methodische Herausforderun- Institut, um Public-Health-Interventionen zu evaluieren? monitoring gen im Bereich evidenzbasierte Public Health (EBPH) Tisch 3 (DISSEMINATION) – Wie kann das RKI als natio Korrespondenzadresse Dr. Christa Scheidt-Nave zu geben und (2) nächste Schritte zum Ausbau der nales Public-Health-Institut Ergebnisse für Public-Health- Robert Koch-Institut Zusammenarbeit in der EBPH-Forschung und -Praxis Akteure besser verfügbar machen, und was könnten wich- Abteilung für Epidemiologie und Gesundheits monitoring innerhalb des RKI sowie mit externen Partnerinnen und tige Schritte sein, um dies zu unterstützen (z. B. Cochrane- General-Pape-Straße 62 – 66 Partnern auf nationaler und internationaler Ebene zu Public-Health-Research-Netzwerk, institutionelle Reposi- 12101 Berlin E-Mail: Scheidt-NaveC@rki.de identifizieren. torien)? Eingereicht: 15.01.2020 Der Workshop bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil Der Workshop war allen Beschäftigten des RKI zugäng- Akzeptiert: 20.01.2020 umfasste eine Reihe von Gastvorträgen, zu denen Exper- lich. Insgesamt nahmen 66 Personen einschließlich der Veröffentlicht: 04.06.2020 tinnen und Experten aus Deutschland und Großbritannien eingeladenen Referentinnen und Referenten teil. Das Pro- Interessenkonflikt Die Autorinnen und Autoren geben an, dass kein (UK) eingeladen waren. Der zweite, interaktive Teil war gramm des Workshops ist auf dem Publikationsserver des Interessenkonflikt besteht. Gruppendiskussionen gewidmet. Dabei wurde die Methode RKI verfügbar. Förderungshinweis des World Café genutzt, um mit den Teilnehmenden über Der Workshop Evidence-based Public Health for Public Health Action wurde mit Mitteln des mögliche Ansätze zur Stärkung von EBPH im RKI zu dis- Teil 1: Gastvorträge Robert Koch-Instituts finanziert. kutieren. Die Gruppendiskussionen fanden an drei Tischen In zwei einführenden Vorträgen stellten Mark Petticrew, in zwei Runden von je zwanzig Minuten statt. Die Diskus- Department of Social and Environmental Health Research sionen orientierten sich am Public Health Action Cycle und an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, Dieses Werk ist lizenziert unter einer wurden durch Tischmoderatorinnen und -moderatoren auf und Eva A. Rehfuess, Institut für Medizinische Informa- Creative Commons Namensnennung 4.0 der Grundlage der folgenden drei zentralen Fragestellun- tionsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie an der International Lizenz. gen stimuliert und gesteuert: Pettenkofer School of Public Health, Ludwig-Maximilians- Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 3
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI EDITORIAL Universität München, aktuelle Konzepte und methodische UK, teilte ihre Erfahrungen zur Entwicklung von EBPH-Hand- Herausforderungen im Bereich der EBPH dar. Beide Vortra- lungsleitlinien und ging dabei auf zwei grundlegende Prin- gende hoben insbesondere hervor, dass Public-Health- zipien in der Arbeit des NICE ein. Erstens ist es angesichts Maßnahmen immer gleichbedeutend mit Veränderungen in der Komplexität von Problemen im Bereich Public Health komplexen Systemen sind. Insbesondere mit Blick auf Pub- unbedingt notwendig, systematisch nach der bestmöglich lic-Health-Maßnahmen zur Prävention nichtübertragbarer verfügbaren Evidenz zu suchen. Somit müssen Informatio Krankheiten betonte Marc Petticrew, wie wichtig es ist, nicht nen über alle Evidenzklassen hinweg berücksichtigt werden. nur das zu untersuchen, was leicht messbar ist, zum Bei- Zweitens ist die Identifizierung von Evidenzlücken und von spiel individuelle gesundheitsrelevante Verhaltensweisen, Unsicherheiten in bestimmten Bereichen der Evidenzbasis sondern auch weitergehende Ursachen. Hierzu zählen indi- ein zentraler Bestandteil der Erarbeitung von EBPH-Hand- viduelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontextfakto- lungsleitlinien durch NICE. Hiermit kann ein Beitrag dazu ren, wie etwa die Wahrnehmung gesundheitlicher Risiken geleistet werden, Prioritätensetzung in der Forschung zu oder Marktmechanismen. Ein tiefes Verständnis der kom- lenken, um somit die Evidenzbasis kontinuierlich zu ver- plexen Determinanten nichtübertragbarer Krankheiten ist bessern. Diese Grundsätze könnten in Zukunft die Priori- Voraussetzung dafür, Evidenz zu erzeugen, die für die Umset- sierung von EBPH-Forschung und -Praxis am RKI unter- zung und Evaluation wirksamer Public-Health-Maßnahmen stützen. in sehr unterschiedlichen Kontexten notwendig ist. Till Bärnighausen vom Heidelberger Institut für Global Eva A. Rehfuess veranschaulichte die Bedeutung von Health (HIGH), Universität Heidelberg, stellte innovative Kontextfaktoren anhand von Beispielen für Interventionen, Methoden in der bevölkerungsbezogenen Implementie- die sich je nach Kontext als nutzbringend oder auch schäd- rungs- und Evaluationsforschung vor, darunter Regressi- lich erwiesen haben. Erkenntnisse aus randomisierten kon- ons-Diskontinuitäts-Analysen und Fixed-Effect-Modelle. Er trollierten Studien (RCTs) können somit durchaus zu zeigte auf, dass quasi-experimentelle Studiendesigns eine schwerwiegenden Fehlschlüssen führen, wenn der Einfluss Schlüsselrolle in der Public-Health-Interventionsforschung von Kontextfaktoren nicht berücksichtigt wird. Logische haben, insbesondere wenn die Durchführung von RCTs aus Modelle können dabei helfen, grafische Übersichten zu ethischen und methodischen Gründen nicht möglich ist. Kontextfaktoren zu erstellen, die für das Design und die Bei sorgfältiger Planung zur Beantwortung einer konkreten Evaluation von Public-Health-Maßnahmen relevant sind. Forschungsfrage kann durch Anwendung quasi-experimen- Es gibt bereits mehrere Rahmenkonzepte, die den Prozess teller Studiendesigns das Bias-Risiko minimiert und damit von der Evidenzsynthese bis zur Entscheidungsbildung im auch höhergradige Evidenz bezüglich der Wirksamkeit von Bereich Public Health leiten können. Public-Health-Maßnahmen erzeugt werden. Kay Nolan vom Centre for Guidelines am National Ins- Stefan Lhachimi vom Institut für Public Health und Pfle- titute for Health and Care Excellence (NICE), Manchester/ geforschung an der Universität Bremen diskutierte einige Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 4
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI EDITORIAL der besonderen Herausforderungen, die sich im Zusam- vorhaben und Anwendung von EBPH am RKI anhand von menhang mit der Durchführung von systematischen zwei Beispielen. Im PRECEPT-Projekt (Project on a Frame- Reviews und Metaanalysen zu Public-Health-Interventionen work for Rating Evidence in Public Health) wurde von einer ergeben. Er betonte dabei, dass die Qualität der Evidenz- internationalen und multidisziplinären Forschungsgruppe basis schon auf der Ebene von Primärstudien verbessert unter Federführung des RKI ein wissenschaftliches Rahmen- werden muss, insbesondere im Hinblick auf die Verringe- konzept für die Bewertung von Evidenz zu Public-Health- rung des Bias-Risikos, die Standardisierung von Definitio- Maßnahmen für die Prävention und Kontrolle übertragba- nen für Zielgrößen und Interventionen und die Berücksich- rer Krankheiten entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Das tigung der Tatsache, dass Studienergebnisse in Abhängigkeit Projekt wurde vom European Center for Disease Prevention von Kontextfaktoren stark variieren können. Er stellte auch and Control (ECDC) gefördert. Die Ständige Impfkommis- laufende Arbeiten vor, die zum Ziel haben, Methoden für sion (STIKO) gibt Empfehlungen zu Impfungen gemäß des die Synthese von Evidenz zu Public-Health-Maßnahmen zu Infektionsschutzgesetzes (IfSG), die fortlaufend aktualisiert verbessern, um zeitnahe und handlungsrelevante Informa- werden. Diese Empfehlungen basieren auf systematischen tionen für die Planung und Umsetzung gesundheitspoliti- Reviews der biomedizinischen Fachliteratur, die von der scher Maßnahmen besser gewährleisten zu können. STIKO-Geschäftsstelle im RKI durchgeführt werden. Die Manfred Wildner vom Landesinstitut für Gesundheit, Empfehlungen dienen zur Information der Öffentlichkeit, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel- Beratung von Bundesgesundheitsbehörden zu gesundheits- sicherheit, Oberschleißheim, und der Pettenkofer School politischen Maßnahmen und Impfprogrammen sowie zur of Public Health an der Ludwig-Maximilians-Universität Unterstützung von Entscheidungen des Gemeinsamen Bun- München verdeutlichte die Notwendigkeit eines tragfähigen desausschusses über die Erstattungsfähigkeit von Impfun- Netzwerks zur Translation wissenschaftlicher Ergebnisse gen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. im Bereich EBPH. Auf der Grundlage seiner langjährigen Erfahrungen in der Arbeit an der Schnittstelle von Gesund- Teil 2: Gruppendiskussion heitspolitik, Forschung und Praxis plädierte er für einen Aus den Gruppendiskussionen an drei World-Café-Tischen kontinuierlichen, strukturierten und offenen Diskurs zwi- ergaben sich mehrere zentrale Aspekte, die für den Ausbau schen Politik, Forschung und Praxis, geleitet von der gemein- von EBPH am RKI wichtig sind: samen Verantwortung, die bestmöglich verfügbare Evidenz Tisch 1 (ASESSMENT) – Welche Instrumente/Metho- für gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse bereitzu- den zur systematischen Evidenzbewertung benötigt das stellen sowie Implementierungs- und Evaluationsforschung RKI als nationales Public-Health-Institut, um Public-Health- zu unterstützen und die Öffentlichkeit zu informieren. Themen zu identifizieren und zu priorisieren? Thomas Harder vom Robert Koch-Institut, Abteilung für Neben der Bewertung von Evidenz im Bereich Public Infektionsepidemiologie, illustrierte laufende Forschungs- Health sollte sich die künftige Arbeit auf Gap-Analysen und Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 5
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI EDITORIAL systematische Priorisierungsprozesse konzentrieren, um Die rechtzeitige und effektive Dissemination von Evi- die Evidenz zu generieren, die derzeit am meisten benötigt denz im Bereich Public Health ist essentiell für die Umset- wird und die höchste Praxisrelevanz hat. Dies kann auch zung von Maßnahmen. Dies erfordert den Aufbau tragfä- dazu beitragen, zeitliche und personelle Ressourcen effi- higer Netzwerke zwischen Forschung, Praxis und Politik. zient zu nutzen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden sys- Zudem müssen diejenigen Methoden und Technologien tematische Ansätze für Health-Gap-Analysen benötigt, die verstärkt genutzt werden, die geeignet sind, um Ergebnisse sowohl quantitative als auch qualitative Methoden, wie einer evidenzbasierten Public-Health-Forschung zusam- zum Beispiel Diskursanalysen, umfassen. menzuführen, zu visualisieren und gezielt für spezifische Tisch 2 (EVALUATION) – Welche Methoden, Expertisen Nutzergruppen aufzubereiten, die diese Informationen als und Daten benötigt das RKI als nationales Public-Health- Entscheidungsgrundlage benötigen. Institut, um Public-Health-Interventionen zu evaluieren? Insgesamt zeigte der Workshop, dass wesentliche Prin- Um Public-Health-relevante Evidenz zu erzeugen, müs- zipien und Methoden von EBPH grundlegend sind, um sen die Forschungsmethoden im Bereich EBPH gestärkt eine Public-Health-Forschung voranzubringen, die Politik und kontinuierlich weiterentwickelt werden. Dies schließt und Praxis zu informieren und zu beraten und somit Auf- zum einen die Nutzung innovativer Methoden ein, mit gaben wahrzunehmen, die von der Weltgesundheitsorga- denen sich Literatursuche und Evidenzsynthese verkürzen nisation als eine der wesentlichen Funktionen von Public lassen (z. B. “reviews of reviews“). Zum anderen kann durch Health definiert worden sind. Die Notwendigkeit hierfür Anwendung von Methoden zur Gesundheitsfolgenabschät- zeigt sich angesichts aktueller Bedrohungen der öffent zung die Auswahl und Planung gesundheitspolitischer Maß- lichen Gesundheit auf nationaler und globaler Ebene, zu nahmen unterstützt werden. Darüber hinaus könnten quasi- der Infektionskrankheiten und antimikrobielle/Antibiotika- experimentelle Studiendesigns in das methodische Reper- Resistenzen ebenso beitragen wie die wachsende Krank- toire zur Post-hoc-Evaluation von Public-Health-Interventi- heitslast infolge nichtübertragbarer Krankheiten und onen auf Bevölkerungsebene aufgenommen werden. Dies altersbedingter gesundheitlicher Beeinträchtigungen. würde helfen, die Implementierungsforschung an der Schnittstelle zwischen Public-Health-Forschung und Praxis zu stärken. Tisch 3 (DISSEMINATION) – Wie kann das RKI als natio nales Public-Health-Institut Ergebnisse für Public-Health- Akteure besser verfügbar machen, und was könnten wich- tige Schritte sein, um dies zu unterstützen (z. B. Cochrane- Public-Health-Research-Netzwerk, institutionelle Reposi- torien)? Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 6
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6486 Neue Herausforderungen im Bereich evidenzbasierte Public Robert Koch-Institut, Berlin Health und wie man ihnen begegnen kann Mark Petticrew Public Health ist definiert worden als “the process of dings ist die Nutzung vereinfachter Modelle zur Synthese London School of Hygiene and Tropical Medicine Department of Social and Environmental Health mobilizing and engaging local, state, national, and inter- und Bewertung von Evidenz oft irreführend und kann Research national resources to assure the conditions in which mitunter sogar schaden. Im Gegensatz dazu kann es bei Korrespondenzadresse people can be healthy” [1]. der Entwicklung und Umsetzung von Public-Health- Prof. Dr. Mark Petticrew Das Ziel von „Evidence-based Public Health“ ist es, Interventionen hilfreich sein, die Interventionen als Ver- London School of Hygiene and Tropical Medicine wissenschaftliche Evidenz in den Mittelpunkt dieses Pro- änderungen in komplexen Systemen (und nicht als dis- Department of Social and Environmental Health Research zesses zu stellen, um wissenschaftliche neben anderer krete, begrenzte Ereignisse) zu verstehen. Systemba- 15–17 Tavistock Place Evidenz und Expertise für Public-Health-Entscheidungs- sierte Ansätze erfordern, dass wir ganz anders über Pub- London WC1H 9SH, Vereinigtes Königreich prozesse heranzuziehen [2]. Das stellt selbstverständlich lic-Health-Evidenz und -Methoden nachdenken. Obwohl E-Mail: mark.petticrew@lshtm.ac.uk eine besondere Herausforderung dar. Zudem leitet sich herausfordernd, sind solche systembasierten Ansätze Eingereicht: 25.11.2019 Evidenz im Bereich Public Health aus vielen Quellen ab vielversprechend [4]. Sie sind vor allem dann hilfreich, Akzeptiert: 20.01.2020 und wird unter Anwendung eines breiten Spektrums wenn darüber nachgedacht werden soll, wie einmal gene- Veröffentlicht: 04.06.2020 wissenschaftlicher Methoden generiert. Public-Health- rierte Evidenz auf sehr unterschiedliche Kontexte über- Interessenkonflikt Evidenz ist somit oft schwierig zu erzeugen und auf tragen werden kann. Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. andere Kontexte zu übertragen. Hierbei können sich All dies hat praktische Bedeutung, da viele nichtüber- Hinweis sowohl Primär- (z. B. Evaluationen) als auch Sekundär- tragbare Krankheiten (und die damit verbundenen Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- forschungsvorhaben (z. B. systematische Reviews) Ungleichheiten) innerhalb komplexer Systeme entstehen. weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. äußerst komplex und kostspielig gestalten. Klar defi- Beispiele für solche Systeme sind Märkte für ungesunde nierte epidemiologische Konzepte – selbst scheinbar Waren – wie Tabak, Alkohol, ungesunde Nahrungsmittel, einfache wie „Bevölkerung“, „Intervention“ und „Ergeb- Glücksspiele und vieles andere. Um wirklich zu verste- nis“ – können im Kontext von Public Health zudem auch hen, warum Menschen beispielsweise ungesunde Nah- schwieriger zu definieren sein [3]. rungsmittel konsumieren, müssen wir Veränderungen Vor diesem Hintergrund besteht eine der größten der Wirtschafts- und Sozialsysteme untersuchen, die die Herausforderungen darin, zu beantworten, wie aussa- zunehmende Verfügbarkeit und Erschwinglichkeit unge- gekräftige und handlungsrelevante Public-Health-Evi- sunder Güter begünstigen [5]. Dies stellt eine große Her- Dieses Werk ist lizenziert unter einer denz erzeugt und genutzt werden kann. Angesichts die- ausforderung für Public Health sowohl in Ländern mit Creative Commons Namensnennung 4.0 ser hohen Komplexität ziehen sich Forschende häufig niedrigem und mittlerem Einkommen als auch in wohl- International Lizenz. darauf zurück, einfacheren Ansätzen zu folgen. Aller- habenden Ländern dar. Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 7
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS In diesem Beitrag wird beschrieben, wie die Anwen- dung einer komplexen System-Perspektive dazu beitra- gen kann, wichtige Public-Health-Probleme (z. B. im Bereich nichtübertragbarer Krankheiten) anzugehen und dabei mehr aussagekräftige, handlungsrelevante Evidenz zu erzeugen. Dies wird unter anderem anhand von Bei- spielen zu Tabak-, Alkohol-, und Nahrungsmittelkonsum erläutert [6, 7]. Literatur 1. Detels R, McEwen J, Beaglehole R (2002) Oxford textbook of public health. Vol 1. Oxford University Press., Oxford 2. Sackett DL, Rosenberg WM, Gray JA et al. (1996) Evidence based medicine: what it is and what it isn’t. BMJ 312(7023):71–72 3. Petticrew M, Viehbeck S, Cummins S et al. (2016) À mêmes mots, sens différents – les difficultés de la terminologie épidémiologique avec la recherche en interventions en santé des populations. Rev Epidemiol Sante Publique 64 Suppl 2:S43–54 4. Rutter H, Savona N, Glonti K et al. (2017) The need for a complex sys- tems model of evidence for public health. Lancet 390(10112):2602–2604 5. Stuckler D, McKee M, Ebrahim S et al. (2012) Manufacturing epidemics: the role of global producers in increased consumption of unhealthy com- modities including processed foods, alcohol, and tobacco. PLoS Med 9(6):e1001235 6. Petticrew M, Katikireddi SV, Knai C et al. (2017) ‘Nothing can be done until everything is done’: the use of complexity arguments by food, bever- age, alcohol and gambling industries. J Epidemiol Community Health 71(11):1078–1083 7. Petticrew M, Shemilt I, Lorenc T et al. (2017) Alcohol advertising and public health: systems perspectives versus narrow perspectives. J Epidemiol Community Health 71(3):308–312 Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 8
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6487 Konzeptionelle Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung, Robert Koch-Institut, Berlin Durchführung und Evaluation von Interventionen Eva A. Rehfuess 1,2 1 Die Konzeptualisierung von Public-Health-Interventio- Ob eine Public-Health-Maßnahme – zum Beispiel Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, nen als Ereignisse in komplexen Systemen stellt einen eine Verhaltensintervention zur Förderung gesunder Biometrie und Epidemiologie 2 zentralen Ausgangspunkt für diesen Beitrag dar [1]. Wich- Ernährung – von Entscheidungsträgern eingeführt und Ludwig-Maximilians-Universität München Pettenkofer School of Public Health tig ist, dass Entwicklung, Evaluation und Implementie- von den Zielgruppen angenommen und aufrechterhal- rung von Interventionen selten in einer linearen Abfolge ten wird, hängt von vielen Faktoren ab. Logische Modelle, Korrespondenzadresse eintreten, sondern eher zyklisch ablaufen und iterativen „graphische Darstellungen zur Identifizierung wichtiger Prof. Dr. Eva A. Rehfuess Ludwig-Maximilians-Universität München Prozessen folgen. Die Generierung von Forschungsevi- Elemente und Zusammenhänge innerhalb eines Sys- Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, denz über diese Phasen hinweg bezieht im Idealfall ver- tems“, sind ein Instrument, um die Intervention und Biometrie und Epidemiologie Marchioninistraße 17 schiedene Public-Health-Stakeholder ein, um politikre- ihre Komponenten konkret zu beschreiben und um 81377 München levante Evidenz zu erzeugen. andere wichtige Faktoren und ihre Wechselwirkungen zu E-Mail: rehfuess@ibe.med.uni-muenchen.de Dieser Beitrag konzentriert sich auf zwei Aspekte, die durchdenken [3, 4]. Hinsichtlich der Bedarfe in Entschei- Eingereicht: 25.11.2019 in allen Stadien – bei Design, Evaluation und Umsetzung dungsprozessen geben „evidence-to-decision“(EtD)-Fra- Akzeptiert: 20.01.2020 von Interventionen – von Bedeutung sind: Zum einen meworks einen Kriteriensatz vor; dadurch werden impli- Veröffentlicht: 04.06.2020 die Notwendigkeit, ein breites Spektrum von Fragen zu zite Werte und Kriterien im Entscheidungsprozess Interessenkonflikt formulieren und Evidenz zu berücksichtigen, die über explizit gemacht und systematisch betrachtet. Das Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt den Nachweis von Wirksamkeit hinausgeht; zum ande- WHO-INTEGRATE EtD Framework, das im Wertefunda- besteht. ren das Verständnis, dass Public-Health-Interventionen ment der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veran- Hinweis von ihrem Kontext abhängen und mit diesem in Wech- kert ist, schlägt sechs substanzielle Kriterien vor – Abwä- Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- selwirkung stehen. Diese beiden Aspekte werden anhand gung von gesundheitlichem Nutzen und Schaden, weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. von Beispiel-Interventionen vorgestellt, die sich an Ein- Einklang mit Menschenrechten und soziokulturelle zelpersonen, Bevölkerungsgruppen und Systeme richten. Akzeptabilität, gesundheitliche Ungleichheit und Nicht- Nachdem „rhetorische Aufrufe nach komplexen System diskriminierung, gesamtgesellschaftliche Auswirkungen, ansätzen für Public Health selten so umgesetzt werden, finanzielle und wirtschaftliche Erwägungen, Umsetzbar- dass relevante Evidenz für gesundheitspolitische Maß- keit und Auswirkungen auf das Gesundheitssystem – nahmen generiert werden kann“ [2], stellt der Beitrag sowie das Meta-Kriterium Qualität der Evidenz [5]. Dieses Werk ist lizenziert unter einer zudem ausgewählte Instrumente vor, um diesen Her- Kontext hat hohe Relevanz für Entscheidungen, die Creative Commons Namensnennung 4.0 ausforderungen in der Primärforschung, der Evidenz- das Gesundheitssystem betreffen – dies verdeutlicht das International Lizenz. synthese und der Entscheidungsfindung zu begegnen. Beispiel einer pränatalen Einnahme von Kortikosteroiden, Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 9
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS die in einkommensstarken Ländern weitgehend positive Literatur Auswirkungen hat, in einkommensschwachen Ländern 1. Petticrew M, Knai C, Thomas J et al. (2019) Implications of a complexity jedoch erheblichen Schaden verursacht. Der Kontext perspective for systematic reviews and guideline development in health decision making. BMJ Glob Health 4(Suppl 1):e000899 einer Intervention wird definiert als „jeglicher Aspekt der 2. Rutter H, Savona N, Glonti K et al. (2017) The need for a complex sys- Rahmenbedingungen unter denen eine Intervention tems model of evidence for public health. Lancet 390(10112):2602–2604 durchgeführt wird und der in Wechselwirkung mit der 3. Rehfuess EA, Booth A, Brereton L et al. (2018) Towards a taxonomy of Intervention Einfluss auf deren Wirkungen nehmen kann“ logic models in systematic reviews and health technology assessments: A priori, staged, and iterative approaches. Res Synth Methods 9(1):13–24 [6]. Das Context and Implementation of Complex Inter- 4. Rohwer A, Pfadenhauer L, Burns J et al. (2017) Series: Clinical Epidemiol- ventions (CICI) Framework ist ein Instrument, um den ogy in South Africa. Paper 3: Logic models help make sense of complexity Kontext umfassend zu reflektieren und zu überlegen, wie in systematic reviews and health technology assessments. J Clin Epidemi- ol 83:37–47 kontextbezogene Faktoren – das heißt geografische, epi- 5. Rehfuess EA, Stratil JM, Scheel IB et al. (2019) The WHO-INTEGRATE demiologische, sozioökonomische, soziokulturelle, evidence to decision framework version 1.0: integrating WHO norms and rechtliche, politische und ethische – die Funktionsweise values and a complexity perspective. BMJ Glob Health 4(Suppl 1): e000844 einer Intervention beeinflussen (oder auch nicht beein- 6. Craig P, Di Ruggiero E, Frohlich KL et al. (2018) Taking account of context flussen) können, und wie die Wirkungen der Interven- in population health intervention research: guidance for producers, users tion variieren [7]. Dies hat Konsequenzen für die Über- and funders of research. National Institute for Health Research, United Kingdom tragbarkeit von Interventionen von einem Kontext auf einen anderen, wobei derzeit Handlungsanleitungen für 7. Pfadenhauer LM, Gerhardus A, Mozygemba K et al. (2017) Making sense of complexity in context and implementation: the Context and Implemen- die Anpassung („adaptation“) und erneute Evaluation tation of Complex Interventions (CICI) framework. Implement Sci von Interventionen entwickelt werden [8]. 12(1):21 Dieser Beitrag legt den Fokus auf zwei konzeptionelle 8. Centre for the Development and Evaluation of Complex Interventions for Public Health Improvement (no date) The Adapt Study. Fragen, die Design, Evaluation und Umsetzung von Inter- http://decipher.uk.net/research-page/adaptation-of-population-health- ventionen gleichermaßen betreffen – die Bedeutung interventions-for-implementation-and-or-re-evaluation-in-new-contexts- development-of-guidance/ (Stand: 31.01.2020) eines breiten Spektrums an Fragen und darauf bezoge- ner Evidenz und die Bedeutung des Kontexts. Wenn man komplexe Systemansätzen für Public Health und die daraus resultierenden Implikationen ernst nimmt, bedarf es „weitreichender Veränderungen in der Art und Weise wie bevölkerungsweite Gesundheitsinterventionen finan- ziert, durchgeführt und publiziert werden“ [6]. Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 10
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6488 Bestandsaufnahme verfügbarer Evidenz und Schließung von Robert Koch-Institut, Berlin Evidenzlücken – Bericht aus dem National Institute for Health Kay Nolan National Institute for Health and Care Excellence and Care Excellence (NICE) Centre for Guidelines Das National Institute for Health and Care Excellence was für wen und unter welchen Umständen funktioniert. Korrespondenzadresse (NICE) wendet seit über zwölf Jahren Grundsätze der Die verfügbare Evidenz ist zudem oft zu ungenau, um Dr. Kay Nolan National Institute for Health and Care Excellence evidenzbasierten Medizin im Zusammenhang mit Pub- die Art der Beziehung zwischen der Intervention und Centre for Guidelines lic-Health-Problemen an, was in der Konsequenz das dem Ergebnis zu beurteilen. Level 1A, City Tower, Piccadilly Plaza Manchester M1 4BT, Vereinigtes Königreich Praktizieren evidenzbasierter Public Health (EBPH) Die Evidenz zu Public-Health-Interventionen ist sel- E-Mail: Kay.Nolan@nice.org.uk bedeutet [1]. Dabei hat NICE als Organisation grundle- ten perfekt. Ansonsten bräuchte es keine Organisatio- gende Prinzipien festgelegt, die bei der Entwicklung aller nen wie NICE oder zumindest würden sich deren Rolle Eingereicht: 27.11.2019 Akzeptiert: 20.01.2020 evidenzbasierten NICE-Leitlinien berücksichtigt werden. und Arbeitsweise grundsätzlich verändern. Vielleicht Veröffentlicht: 04.06.2020 Eines dieser Prinzipien stellt die Verwendung der „best- noch wichtiger ist die Frage, die bei der Bestandsauf- möglich verfügbaren Evidenz“ dar. Als Grundlage für die nahme zur verfügbaren Evidenz durch NICE gestellt wird Interessenkonflikt Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt Entwicklung von Leitlinien im Bereich Public Health führt „Was ist die bestmöglich verfügbare Evidenz zur Beant- besteht. NICE somit grundsätzlich eine Bestandsaufnahme zur wortung der konkreten Frage, um die es geht?“ Wir wis- bestehenden Evidenzbasis durch. sen, dass Fragestellungen im Bereich Public Health Hinweis Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- Einschätzungen zur Wirksamkeit von Interventionen davon profitieren können, ein breiteres Spektrum an weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. sind bei komplexen Public-Health-Problemen nur selten verfügbarer Evidenz zu berücksichtigen, einschließlich auf Basis des Goldstandards, das heißt mittels rando- der Evidenz, die in der Evidenzhierarchie weiter unten misierter kontrollierter Studien, möglich. Zudem steht liegt. Mit einem transparenten und systematischen spezifische, qualitativ hochwertige Evidenz oft nicht zur Ansatz und unter Nutzung von Evidenz unterschiedlichs- Verfügung, weil eine Vielzahl von Faktoren wie Kontext, ter Fachdisziplinen ist NICE in der Lage, die verfügbare weiter gefasste Determinanten von Gesundheit, Varia- Evidenz für komplexe Public-Health-Probleme zu sich- bilität betrachteter Bevölkerungsgruppen sowie biologi- ten und zusammenzuführen [2]. sche Faktoren außerhalb der menschlichen Biologie nicht Die Evidenzbasis zur Erstellung von NICE-Leitlinien ausreichend berücksichtigt werden. Häufig fehlt es auch ist vielfältig und besteht nicht nur aus traditionellen wis- Dieses Werk ist lizenziert unter einer an guten Endpunktstudien, welche die spezifische Frage senschaftlichen Veröffentlichungen, sondern umfasst Creative Commons Namensnennung 4.0 nach dem „Was funktioniert“ beantworten. Auch gibt es auch Kommentare involvierter Akteurinnen und Akteure, International Lizenz. noch weniger Studien, welche die Frage beantworten, graue Literatur, „real world“-Evidenz und Expertinnen- Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 11
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS beziehungsweise Expertenmeinungen [3]. Die Definition von Evidenz, so wie sie für die Anwendung von EBPH durch NICE genutzt wird, hat sich im Laufe der Zeit ent- wickelt und wird sich auch weiter entwickeln. Konsistent bleibt jedoch, dass die Qualität von Evidenz und dabei insbesondere das Bias-Risiko bewertet werden. In diesem Beitrag soll der Ansatz beschrieben wer- den, den NICE bei der Bestandsaufnahme zur verfügba- ren Evidenz als Grundlage für die Entwicklung nationa- ler Public-Health-Leitlinien verfolgt. Die wichtigsten Problemstellungen und einige Lösungsansätze werden beispielhaft anhand von Evidenzsynthesen zur Entwick- lung von Leitlinien für den Bereich nichtübertragbarer Krankheiten veranschaulicht. Literatur 1. Pettman TL, Armstrong R, Doyle J et al. (2012) Strengthening evaluation to capture the breadth of public health practice: ideal vs. real. J Public Health (Oxf) 34(1):151–155 2. Lomas J, Culyer T, McCutcheon C (2005) Conceptualizing and combining evidence for health system guidance: final report. Canadian Health Services Research Foundation, Ottawa 3. National Institute for Health and Care Excellence (NICE) (2018) Developing NICE guidelines: the manual. https://www.nice.org.uk/process/pmg20/chapter/introduction-and- overview (Stand: 31.01.2020) Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 12
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6489 Neue Methoden für die Gesundheitsinterventionsforschung Robert Koch-Institut, Berlin Till Bärnighausen Forschung ist sowohl für die Konzeption und das Design methodische Ansätze vor und illustriere sie mit Beispie- als auch für die Durchführung von gesundheitspoliti- len aus Studien in ressourcenarmen Kommunen in Universität Heidelberg Medizinische Fakultät, Heidelberger Institut für schen Maßnahmen wichtig. Die Interventionsforschung Afrika und Asien. Mein Schwerpunkt liegt auf innovati- Global Health lässt sich dabei in vier Dimensionen einteilen: ven Studiendesigns: neue Formen der Designforschung Korrespondenzadresse für Gesundheitsinterventionen [16], eine Reihe von inno- Prof. Dr. Dr. Till Bärnighausen 1. Identifizierung des Bedarfs an Gesundheitsinter- vativen experimentellen und quasi-experimentellen Universität Heidelberg ventionen, was groß angelegte bevölkerungsrepräsen- Ansätzen zur kausalen Wirkungsevaluation [17–21], neue Medizinische Fakultät Heidelberger Institut für Global Health tative Studien erfordert (z. B. [1–3]). Methoden zur validen Messung von gesundheits- und Im Neuenheimer Feld 130.3 2. Design-Forschung, um Interventionen zu entwi- verhaltensbezogenen Zielgrößen [22–24], neue Ansätze 69120 Heidelberg ckeln, die wünschenswert, durchführbar und tragfähig in der quantitativen ökonomischen Evaluation, [25] und E-Mail: till.baernighausen@uni-heidelberg.de sind, was ethnografische Studien, Ideenentwicklung, neue Methoden für die Einbeziehung von Politik und Eingereicht: 16.01.2020 Erprobung von Prototypen und Pilotversuche erforder- Öffentlichkeit. Für jede Methode erkläre ich die Absicht, Akzeptiert: 06.05.2020 lich macht (z. B. [4–7]). beschreibe den erkenntnistheoretischen und statisti- Veröffentlicht: 04.06.2020 3. Evaluationsforschung zur Quantifizierung von (i) schen Hintergrund und bespreche Anwendungsmög- Interessenkonflikt kausalen Effekten und Auswirkungen – kausale Wirkungs- lichkeiten, Stärken und Schwächen. Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. evaluation – [8–10], (ii) Wirkmechanismen – Umset- Hinweis zungs- oder Prozessevaluation – [11] und (iii) gesell- Literatur Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- schaftlichem Nutzen von Gesundheitsinterventionen 1. Haber N, Tanser F, Bor J et al. (2017) From HIV infection to therapeutic weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. – ökonomische Evaluation [12]. response: a population-based longitudinal HIV cascade-of-care study in KwaZulu-Natal, South Africa. Lancet Hiv 4(5):E223–E230 4. Forschung zur Steuerung und Translation gesund- 2. Geldsetzer P, Manne-Goehler J, Theilmann M et al. (2018) Diabetes and heitspolitischer Maßnahmen, um die ethische und poli- Hypertension in India A Nationally Representative Study of 1.3 Million tische „Güte“ unserer Herangehensweisen an eine „real Adults. JAMA Intern Med 178(3):363–372 life“-orientierte Gesundheitsinterventionsforschung zu 3. Geldsetzer P, Manne-Goehler J, Marcus ME et al. (2019) The state of hypertension care in 44 low-income and middle-income countries: a gewährleisten [13, 14], und die rasche Einbeziehung neuer cross-sectional study of nationally representative individual-level data Erkenntnisse in die Gesundheitspolitik und die Alltags- from 1.1 million adults. Lancet 394(10199):652–662 praxis sicherzustellen [15]. 4. Yapa HM, Bärnighausen T (2018) Implementation science in resource- poor countries and communities. Implement Sci 13(1):154 Dieses Werk ist lizenziert unter einer 5. Adam M, McMahon SA, Prober C et al. (2019) Human-Centered Design Creative Commons Namensnennung 4.0 Für jede dieser vier Dimensionen der Gesundheits- of Video-Based Health Education: An Iterative, Collaborative, Community- Based Approach. J Med Internet Res 21(1):e12128 International Lizenz. interventionsforschung stelle ich mehrere neuartige Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 13
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS 6. Isler J, Sawadogo NH, Harling G et al. (2019) Iterative Adaptation of a 20. Ortblad K, Musoke DK, Ngabirano T et al. (2017) Direct provision versus Maternal Nutrition Videos mHealth Intervention Across Countries Using facility collection of HIV self-tests among female sex workers in Uganda: Human-Centered Design: Qualitative Study. JMIR Mhealth Uhealth A cluster-randomized controlled health systems trial. Plos Med 14(11) 7(11):e13604 21. Geldsetzer P, Francis JM, Sando D et al. (2018) Community delivery of 7. Muller N, Emmrich PMF, Rajemison EN et al. (2019) A Mobile Health antiretroviral drugs: A non-inferiority cluster-randomized pragmatic trial Wallet for Pregnancy-Related Health Care in Madagascar: Mixed-Methods in Dar es Salaam, Tanzania. Plos Med 15(9) Study on Opportunities and Challenges. JMIR Mhealth Uhealth 22. Barnighausen T, Bor J, Wandira-Kazibwe S et al. (2011) Correcting HIV 7(3):e11420 Prevalence Estimates for Survey Nonparticipation Using Heckman-type 8. Hu J, Geldsetzer P, Steele SJ et al. (2018) The impact of lay counselors on Selection Models. Epidemiology 22(1):27–35 HIV testing rates: quasi-experimental evidence from lay counselor rede- 23. Haber N, Harling G, Cohen J et al. (2018) List randomization for eliciting ployment in KwaZulu-Natal, South Africa. Aids 32(14):2067–2073 HIV status and sexual behaviors in rural KwaZulu-Natal, South Africa: a 9. McGovern ME, Herbst K, Tanser F et al. (2016) Do gifts increase consent randomized experiment using known true values for validation. BMC to home-based HIV testing? A difference-in-differences study in rural Med Res Methodol 46(18):1–12 KwaZulu-Natal, South Africa. Int J Epidemiol 45(6):2100–2109 24. Harling G, Gumede D, Mutevedzi T et al. (2017) The impact of self-inter- 10. Chen S, Sudharsanan N, Huang F et al. (2019) Impact of community views on response patterns for sensitive topics: a randomized trial of based screening for hypertension on blood pressure after two years: electronic delivery methods for a sexual behaviour questionnaire in rural regression discontinuity analysis in a national cohort of older adults in South Africa. BMC Med Res Methodol 125(17):1–14 China. BMJ 366:l4064 25. Verguet S, Kim JJ, Jamison DT (2016) Extended Cost-Effectiveness Analy- 11. Marchal B, van Belle S, van Olmen J et al. (2012) Is realist evaluation sis for Health Policy Assessment: A Tutorial. Pharmacoeconomics keeping its promise? A review of published empirical studies in the field 34(9):913–923 of health systems research. Evaluation 18(2):192–212 12. Barnighausen T, Bloom DE, Cafiero-Fonseca ET et al. (2014) Valuing vaccination. n: Proc Natl Acad Sci USA 111(34):12313–12319 13. Barnighausen T, Eyal N, Wikler D (2014) HIV Treatment-as-Prevention Research at a Crossroads. PLoS Med 11(6) 14. Eyal N, Lipsitch M, Barnighausen T et al. (2018) Risk to study nonpartici- pants: A procedural approach. Proc Natl Acad Sci USA 115(32):8051–8053 15. Barnighausen T (2017) Population health intervention research: three important advancements. Int J Med Sci Public Health 62(8):841–843 16. Berner-Rodoreda A, Barnighausen T, Kennedy C et al. (2018) From doxas- tic to epistemic – a typology and critique of qualitative interview styles. Qualitative Inquiry (efirst) 17. Barnighausen T, Tugwell P, Rottingen JA et al. (2017) Quasi-experimental study designs series-paper 4: uses and value. J Clin Epidemiol 89:21–29 18. Barnighausen T, Oldenburg C, Tugwell P et al. (2017) Quasi-experimental study designs series-paper 7: assessing the assumptions. J Clin Epidemiol 89:53–66 19. Bor J, Moscoe E, Mutevedzi P et al. (2014) Regression Discontinuity Designs in Epidemiology Causal Inference Without Randomized Trials. Epidemiology 25(5):729–737 Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 14
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6490 Systematische Reviews zu Public Health: Problemstellungen und Robert Koch-Institut, Berlin mögliche Lösungsansätze Stefan K. Lhachimi Systematische Reviews (SR) mit Metaanalysen rando- betrug die mittlere Dauer/Median zwischen der Veröf- Universität Bremen Institut für Public Health und Pflegeforschung misierter kontrollierter Studien (RCT) sind ein Grund- fentlichung des Protokolls und der Veröffentlichung der bestandteil der evidenzbasierten Medizin. Cochrane- Rezension circa 56 Monate (Range: ca. 22 – 78 Monate). Korrespondenzadresse Reviews werden hierbei oft als Goldstandard angesehen. In der Regel muss die Recherche hierzu eher breit ange- Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi Universität Bremen Genauso sind systematische Reviews von Public-Health- legt sein, sowohl im Hinblick auf das Spektrum an Institut für Public Health und Pflegeforschung Interventionen (SR-PHI) vonnöten und werden auch berücksichtigter Literatur (insbesondere von grauer Lite- Grazer Straße 4 28359 Bremen zunehmend durchgeführt [1]. Dennoch unterscheiden ratur oder Strategiepapieren) als auch hinsichtlich der E-Mail: Stefan.Lhachimi@uni-bremen.de sich Public-Health-Interventionen (PHI) wesentlich von Suchstrategie selbst. Neuere Forschungen zu verkürzten klinischen Interventionen, wobei eine genaue Abgren- Suchstrategien legen zudem nahe, dass der Spielraum Eingereicht: 25.11.2019 Akzeptiert: 20.01.2020 zung schwierig bleibt. für die Reduzierung des Suchaufwands bei SR-PHI der- Veröffentlicht: 04.06.2020 Im Allgemeinen sind PHI politische Maßnahmen oder zeit geringer ist als bei klinischen Interventionen. Verhaltensinterventionen, die darauf abzielen, die Zweitens sind Primärstudien, die SR-PHIs zugrunde Interessenkonflikt Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Gesundheit der Bevölkerung zu schützen oder zu verbes- gelegt werden, oft nicht randomisiert. Selbst in Fällen, sern. Es handelt sich somit nicht nur um primär klinische in denen RCT-Designs angewendet werden, fehlen den Hinweis Interventionen, die aufgrund der Krankheitslast oder der Studien wichtige Merkmale, die ein geringes Bias-Risiko Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. Patientenzahlen (z. B. Impfungen) Public-Health-Rele- gewährleisten. Beispielsweise können Verhaltensinter- vanz haben. Ausgehend von einer Reihe veröffentlichter ventionen nicht verblindet werden, weswegen sich ein und laufender Cochrane-Reviews über finanzpolitische Kontaminationsbias oft nicht verhindern lässt. Ein neu Maßnahmen, die als Beispiel für Public-Health-Interven- entwickeltes Instrument zur Abschätzung des Bias-Risi- tionen fungieren – konditionslose Unterstützungszah- kos (ROBINS-I) soll diese Problematik mindern, indem lungen (unconditional cash transfers, UCT) [2, 3] und es ermöglicht, bestimmte nicht randomisierte Studien Besteuerung hochkalorischer Nahrungsmittel [4–6] – potenziell höher zu bewerten, das heißt auf „moderate geht dieser Beitrag auf ein Reihe von Herausforderungen Qualität“ hochzustufen. ein, die sich bei der Durchführung von SR-PHI zeigen Drittens sind Primärstudien zu PHI weniger standar- können. disiert: Die evidenzbasierte Medizin zielt explizit auf die Dieses Werk ist lizenziert unter einer Erstens ist die Durchführung von SR-PHI zeitaufwen- Reproduzierbarkeit früherer Ergebnisse ab, um die Creative Commons Namensnennung 4.0 dig: Bei den SR, die in den letzten zwei Jahren von der Robustheit der Evidenzbasis zu erhöhen. Im Gegensatz International Lizenz. Cochrane Public Health Group veröffentlicht wurden, dazu unterscheiden sich Public-Health-Studien oft in der Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 15
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS spezifischen Ausgestaltung der Intervention, und oft gibt Literatur es keine vereinbarten Standards für primäre Endpunkte 1. Petticrew M (2009) Systematic reviews in public health: old chestnuts oder minimale signifikante Unterschiede. and new challenges. Bull World Health Organ 87(3):163–163 Viertens kann Ungewissheit bezüglich der Übertrag- 2. Pega F, Liu SY, Walter S et al. (2017) Unconditional cash transfers for reducing poverty and vulnerabilities: effect on use of health services and barkeit von Ergebnissen eines SR-PHI auf ein anderes health outcomes in low- and middle-income countries. Cochrane Data- Setting bestehen: Ein noch wenig untersuchter Aspekt base Syst Rev (11) der Übertragbarkeit einer bestimmten PHI ist die poli- 3. Pega F, Liu SY, Walter S et al. (2015) Unconditional cash transfers for assistance in humanitarian disasters: effect on use of health services and tische Umsetzbarkeit in einem anderen Gesellschafts- health outcomes in low- and middle-income countries. Cochrane Data- system (z. B. sind uneingeschränkte Bargeldtransfers für base Syst Rev (9) die Allgemeinbevölkerung wirklich akzeptabel). Eine wei- 4. Heise TL, Katikireddi SV, Pega F et al. (2016) Taxation of sugar-sweetened beverages for reducing their consumption and preventing obesity or other tere Herausforderung besteht darin, dass sich öffent adverse health outcomes: Protocols. Cochrane Database Syst Rev (8) liche Gemeinschaften innerhalb verschiedener Rechts- 5. Lhachimi SK, Pega F, Heise TL et al. (2016) Taxation of the fat content of ordnungen in Gesundheitszustand und Verhaltens- foods for reducing their consumption and preventing obesity or other adverse health outcomes (Protocol). Cochrane Database Syst Rev (10) mustern erheblich unterscheiden. Daher kann die 6. Pfinder M, Katikireddi SV, Pega F et al. (2016) Taxation of unprocessed Anwendung bestimmter Interventionen zu sehr unter- sugar or sugar-added foods for reducing their consumption and prevent- schiedlichen Ergebnissen führen, was das Ausmaß des ing obesity or other adverse health outcomes. Cochrane Database Syst Rev (8) Interventionseffektes angeht [9]. Instrumente aus der quantitativen Gesundheitsfolgenabschätzung (Health 7. Nussbaumer-Streit B, Klerings I, Wagner G et al. (2018) Abbreviated liter- ature searches were viable alternatives to comprehensive searches: a Impact Assessment, HIA) können hierbei jedoch genutzt meta-epidemiological study. J Clin Epidemiol 102:1–11 werden, um prospektiv die Auswirkungen einer bestimm- 8. Thomson H, Craig P, Hilton-Boon M et al. (2018) Applying the ROBINS-I ten bevölkerungsweiten Intervention abzuschätzen. tool to natural experiments: an example from public health. Syst Rev 7(1):15 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die relative 9. Lhachimi SK, Cole KJ, Nusselder WJ et al. (2012) Health impacts of Komplexität und Dauer von systematischen Reviews zu increasing alcohol prices in the European Union: A dynamic projection. PHI in starkem Kontrast zu der notwendigen, frühzeiti- Prev Med 55(3):237–243 gen Politikberatung steht. Für einige der im Beitrag skiz- 10. Schonbach JK, Thiele S, Lhachimi SK (2019) What are the potential pre- ventive population-health effects of a tax on processed meat? A quantita- zierten Probleme sind methodische Lösungsansätze tive health impact assessment for Germany. Prev Med 118:325–331 bereits in Arbeit. Gleichwohl muss bei der Planung von Primärstudien im Bereich Public Health mehr Augen- merk darauf gelegt werden, dass Standardisierung von Interventionen und Endpunkten unabdingbar für die zukünftige Einbeziehung der Studien in SRs ist. Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 16
Journal of Health Monitoring Evidence-based Public Health for Public Health Action – Proceedings eines internationalen Workshops am RKI PROCEEDINGS Journal of Health Monitoring · 2020 5(S3) DOI 10.25646/6491 Evidence-based Public Health (EBPH) – Gesundheitspolitische Robert Koch-Institut, Berlin Beratung und Information der Öffentlichkeit Manfred Wildner 1,2 1 Public Health ist definiert als ‘the science and art of pre- grund der aktuellen Auswirkungen von in die Zukunft Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit venting disease, prolonging life and promoting […] health gerichteten Erwartungshaltungen, die Rolle von „windows Landesinstitut für Gesundheit […] through organized community efforts’ [1]. Überle- of opportunities“ [8] und Planungszeiträume (kurz-, mit- 2 Ludwig-Maximilians-Universität München gungen über die Art und Weise, wie Evidenz in die Poli- tel- und langfristig) sind entscheidend. Im Idealfall bil- Pettenkofer School of Public Health tik und schließlich in die Praxis gebracht werden kann, den Evidenzbewertung, Politikentwicklung, politische Korrespondenzadresse sind ebenso wichtig wie theoretische Überlegungen, die Priorisierung und Anpassung, praktische Umsetzung Prof. Dr. Manfred Wildner Bayerisches Landesamt für Gesundheit und derzeit auf die Nichtlinearität dieser Transferprozesse und wissenschaftliche Bewertung eine logische zeitliche Lebensmittelsicherheit fokussieren [2, 3]. Empfehlungen zum Evidenztransfer Abfolge, die sich aus dem Public Health Action Cycle mit Landesinstitut für Gesundheit im Bereich Public Health sollten generell die dreistellige verschiedenen Ansatzpunkten für die Politikberatung Veterinärstraße 2 85764 Oberschleißheim Beziehung zwischen Wissenschaft, Praxis und Politik ableitet. Ideen: Sie haben großen Einfluss, zum Beispiel E-Mail: Manfred.Wildner@lgl.bayern.de mit ihren unterschiedlichen Wert- und Zielstellungen als Wertesysteme in Wissenschaft, Politik und Praxis und Eingereicht: 25.11.2019 berücksichtigen [4]. Übereinstimmend mit früheren Ana- darüber hinaus als politische Ideologien oder im Rahmen Akzeptiert: 20.01.2020 lysen, stellt der vorliegende Beitrag ein Plädoyer für eine einer Stakeholder-Analyse von Institutionen, Interessen, Veröffentlicht: 04.06.2020 bewusste Wahrnehmung von Worten und Rahmenbe- Ideen und ihren Netzwerken [9]. Settings und Kontext: Interessenkonflikt dingungen, beteiligten Personen, Zeit und Zeitpunkten, Sie sind wichtig für die Definition des politischen Hand- Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Ideen und Ideologien, Settings und Kontexten und deren lungsfeldes, des Wertesystems, der regionalen Reich- Hinweis Zusammenspiel dar [5, 6]. weite und des administrativen Organisationsgrades, der Inhalte externer Beiträge spiegeln nicht notwendiger- Worte: Sie beschränken und beeinflussen unser Den- Sensibilität für Kontexteinflüsse und nicht zuletzt als weise die Meinung des Robert Koch-Instituts wider. ken („linguistic turn“) und sind häufig Ursache von sub- Referenz für die Verortung der eigenen Rolle als Akteur. tilen Missverständnissen und ideologischen Vorurteilen. Die Information der Öffentlichkeit ist aus mindestens Menschen: Institutionen und ihre Interessen sind ent- drei Gründen ein notwendiges Unterfangen. Für die Wis- scheidend, ebenso wie die „Verhaltenskohäsion“ von senschaft ergibt sich aus der öffentlichen Finanzierung Akteurinnen und Akteuren/Gruppen und die häufige eine Verantwortung zur Information und auch die Gele- „Verhaltensinkohäsion“ der Medien [7]. Zeit: Das genheit, neue Erkenntnisse zu befördern. Aus politischer Bewusstsein dafür, welche Erwartungen an die Auswir- Sicht ist sie eine wichtige Legitimation der Entschei- Dieses Werk ist lizenziert unter einer kungen von Public-Health-Interventionen nach Zeit und dungsfindung und ein wirksames Element für einen Creative Commons Namensnennung 4.0 Raum geknüpft werden, die „flipped evaluation“ aus Handlungsauftrag. Aus der Public-Health-Perspektive International Lizenz. Unternehmerperspektive, eine „reversed causality“ auf- eröffnet sich eine großartige Gelegenheit, „gute und Journal of Health Monitoring 2020 5(S3) 17
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