Jugendkulturen in der digitalisierten Moderne: Neue Visualitäten?

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Jugendkulturen in der digitalisierten Moderne: Neue
Visualitäten?

Lea Puchert

Beitrag zur Veranstaltung »Jugend in Bewegung. (Un)Sichtbarkeiten in gesellschaftlichen
Transformationsprozessen« der Sektion Jugendsoziologie

In der „digitalisierten Moderne“ (Baecker 2018) sind die Sozialisationskontexte sowie das Alltagshan-
deln und die Alltagsräume von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zunehmend von digitalen Medi-
en durchdrungen (Kutscher 2013, S. 1). In der Folge sind die digitalisierten Alltags-, Bildungs- und Frei-
zeitwelten für Jugendliche zu bedeutsamen Sozialisations- und Erfahrungskontexten für die Entwick-
lung sozialer Identitätskonstruktionen und jugendkultureller Vergemeinschaftung avanciert. Auch in
der öffentlichen und medialen Debatte kommt digitalisierten Alltagskulturen von Heranwachsenden
eine deutlich stärkere Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu. Mehr denn je zeigt sich dies etwa in der
aktuellen Corona-Krisenzeit. Der so durch digitale Medien eröffnete „neuartige soziale Raum jugendli-
cher Alltagskultur“ (Wensierski 2019, S. 2) erschütterte nicht nur die typische jugendbezogene Freizeit-
und Kulturindustrie und besiegelte teilweise das Ende einer ganzen Ära an bis dahin dominierenden
Jugendindustrien, sondern er durchdringt und überformt auch insbesondere die sozialen Strukturen
und kulturellen Ausdrucksformen von Jugendlichen (Wensierski 2019, S. 4f.). Vor allem mit den neuen
digital generierten Jugendszenen (die computer/-spielebezogenen Szenen; die Visual Kei-Szene; die C-
Walk-Szene; die Nerd-Szene) zeichnet sich noch deutlicher sowohl ein Strukturwandel der Öffentlich-
keit als auch vor allem, so die jugendtheoretische These dieses Beitrags, ein Strukturwandel jugendli-
cher Lebenswelten und Alltagskulturen durch digitale Medien ab (Puchert 2020, S. 155, 164f.). Aller-
dings wissen wir noch zu wenig darüber, welche Veränderungen sich daraus für die Jugendphase er-
geben und wie sich vor allem die Lebenswelten und Vergemeinschaftungen von Jugendlichen durch
digitale Medien wandeln. Auch fehlt es bis dato an systematischen theoretischen und empirischen
sozialwissenschaftlichen Analysen zur Bedeutung von digitalen Medien für die klassischen und neu
entstehenden jugendkulturellen Szenen. Dabei scheint insbesondere das Thema „Visualität“, etwa im
Sinne von Sichtbarkeit, Sichtbarmachung, Sichtbarwerdung oder auch eine explizit gewählte Unsicht-
barkeit, eine bedeutsame und vielschichtige Rolle zu spielen: von klassischen jugendkulturellen Sze-
nen, die durch digitale Medien eine Revitalisierung und über ihre vormals lokale Begrenzung hinaus
auch stärkere globale Verbreitung erfahren sowie neue Szene-Produkte und Interaktionsformen her-
vorbringen – und damit ihre unmittelbare Visualität letztlich nicht nur transformieren, sondern auch
verstärken (Musik-Szenen; FanArt; Gothics; Sprayer*innen); über digital generierte Jugendkulturen, die
ihre Bedeutung erst durch die sichtbare Präsenz im Internet erhalten (C-Walk) bis hin zu jugendkultu-
rellen Akteuren, die demgegenüber gerade die Unsichtbarkeit im digitalen Raum suchen (Nerds: Ha-
cker*innen; Whistleblower*innen).
LEA PUCHERT

   Der nachfolgende Beitrag setzt an einigen dieser wissenschaftlichen Leerstellen an und versucht in
einem ersten Schritt, die vorliegenden Erkenntnisse zum Thema „Digitale Medien und Jugendkulturen“
in systematisierender Form aufzuarbeiten und pointiert darzustellen. In einem zweiten Schritt soll am
Beispiel der Jugendkultur der Nerds die Dynamik, Ambivalenz und Entwicklungsdimension jugendkul-
tureller Phänomene im Kontext gegenwärtiger gesellschaftlicher Transformationsprozesse illustriert
werden. Entworfen wird dabei eine erste topographische Skizze zur Nerd-Jugendkultur, die auf deren
zunehmende Bedeutung aufmerksam macht. Dabei wird deutlich, dass die Jugendszene der Nerds
von ihrer ehemals soziokulturellen Marginalisierung mittlerweile auch in der Mitte der Gesellschaft
angekommen ist. So hat sich der Typus des Nerds von einem ehemals „mobbinggefährdeten sozialen
Außenseiter zum Leitbild einer hippen technikkulturellen Avantgarde oder zum Prototyp eines anar-
chischen Hüters digitaler Grundrechte in der forcierten Mediengesellschaft“ (Puchert, Wensierski 2020,
S. 65) entwickelt. Daran anschließend soll in einem dritten Schritt die Bedeutung digitaler Medien für
die Lebenswelten und Alltagskulturen von Jugendlichen im 21. Jahrhundert jugendtheoretisch resü-
miert werden.

Digitale Medien und Jugendkulturen

Der Diskurs über digitale Medien und Jugendkulturen ist nicht neu. Bereits ab den 1990er Jahren wird
vor dem Hintergrund der mediensozialisatorisch veränderten Aufwachsprozesse der Zusammenhang
von „Neuen Medien und Jugend“ verstärkt thematisiert. So versteht der Jugendforscher Waldemar
Vogelsang (2003) bereits zur Jahrtausendwende das Internet als neuen „virtuellen Erlebnis- und Be-
gegnungsraum“ der für Jugendliche einen „Kristallisationspunkt für Szenen und Fankulturen“ (Vogel-
sang 2003, S. 4) bildet. Auch die Szeneforscher Ronald Hitzler und Arne Niederbacher (2010) identifi-
zieren in ihrer Klassifizierung posttraditionaler Jugendkulturen digitale Medien als neue „Erlebnis-
Elemente“ (Hitzler, Niederbacher 2010, S. 27). Gleichwohl erweist sich der Forschungsstand zur Rolle
von digitalen Medien für Jugendkulturen als bislang eher überschaubar und es liegen vor allem ältere
Befunde zum Thema vor.
   Darüber hinaus versammeln sich unter dem Gegenstandsfeld „Digitale Medien und Jugendkultu-
ren“ viele unterschiedliche, z.T. inflationär verwendete Bezeichnungen und Begrifflichkeiten, die quasi
Symptome eines bislang noch nicht strukturierten, eher verwässerten und weniger etablierten For-
schungsfeldes sind. So entstehen immer wieder neue, eher etikettierende, ideologisch gefärbte und
homogenisierende Generationenbezeichnungen und -zuordnungen. Diese werden allerdings zum
einen der Ausdifferenzierung von Jugend(szenen) in der Moderne nicht gerecht und sie stilisieren zum
anderen die On- und Offlinewelten künstlich zu dichotomen Gegensatzpaaren.
   Die insgesamt bis dato also eher spärlichen Befunde der empirischen Sozialforschung zur Rolle von
digitalen Medien für Jugendkulturen weisen aber zumindest auf zwei grundlegende Bedeutungsdi-
mensionen hin. Erstens zeigt sich eine supplementäre und kultivierende Rolle: digitale Medien führen
quasi als Supplementphänomene zur digitalen Erweiterung bestehender jugendkultureller Verge-
meinschaftungsformen. Zweitens können digitale Medien auch neue, sog. Digitale Jugendkulturen
hervorbringen und nehmen somit eine konstitutive Funktion ein.
   Dabei ist eine supplementäre Rolle von digitalen Medien insbesondere für die musikorientierten
Szenen, die Graffiti-Szene, die Sport-Szenen, die Gothic-Szene und die Szene der Fans, FanArt/-Fiction
empirisch nachgewiesen. Demnach sind digitale Medien für die musikorientierten Szenen bereits zu
einem „unverzichtbares Szenemedium“ (Hitzler, Niederbach 2010, S. 81) geworden und dienen insbe-

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sondere zur szeneinternen Kommunikation, zur Distribution von Szenewissen und Szenestil und zur
bildbasierten Szenedarstellung nach außen – etwa in Form von Chats, Foren, Gästebüchern, Hom-
pages, digitalen Fanzines und Wikis. Darüber hinaus nutzen musikorientierte Szenen digitale Medien-
angebote, etwa mittels Bricolage- und Mash-Up-Techniken, zur Erzeugung neuer ästhetischer szene-
kultureller Artefakte (z.B. zur Metal-Szene: Richard 2014). Nach Jannis Androutsopoulos (2005) entwi-
ckelt sich das Internet für die HipHop-Szene schon früh zu einem „Schauplatz jugendkultureller Identi-
tätsarbeit“ (Androutsopoulos 2005, S. 163). Zudem zeichnen Paul Eisewicht und Tilo Grenz (2011) in
ihrer Studie zur Indie-Szene nach, dass sich diese durch die Nutzung eines breiten Spektrums an digi-
talen Medienangeboten zu einem „Hybrid transnationaler und lokaler Kontexte“ (Eisewicht, Grenz
2011) formiert. Für die Hardcore-Szene rekonstruieren Philipp Lorig und Waldemar Vogelsang (2011)
einen digitalen Transfer ethischer Grundhaltungen, womit die Hardcore-Szene zu einem „Prototyp
ethischtranslokaler Vergemeinschaftung“ (Lorig, Vogelsang 2011, S. 381) avanciere. Auch der Graffiti-
Szene ist das Internet mittlerweile ein wichtiges Medium zum Austausch und zur (globalen) Vernet-
zung. Die Szeneforscher Hitzler und Niederbacher (2010) gehen aber davon aus, dass für die Graffiti
Writer nach wie vor das lokale Graffito als persönliche Botschaft zur Visualität im öffentlichen Raum im
Szenefokus steht. Innerhalb der Sport-Szenen lassen sich hingegen ganz unterschiedliche Bedeutungs-
dimensionen des Internets ausmachen: von der Rolle als einziges medienbezogenes Element und
„Spiegel lokaler Aktion“ (Hugger, Cwielong 2011, S. 11) in der Parkour- und Freerunner-Szene; über die
vorrangige Funktion der Visualität, Information und Distribution in der Sportkletter-Szene; bis hin zum
öffentlichen Merchandising und geheimen Planen von Stadionchoreographien der Ultra-Szene. Die
vorliegenden Analysen zur Gothic-Szene sind sich bislang nicht über die supplementäre Rolle von digi-
talen Medien einig. So identifizieren Friederike Gross (2006) sowie Birgit Richard et al. (2010) das Inter-
net zum einen mit seinen netzbasierten Möglichkeiten der Selbstdarstellung und Vernetzung als digi-
talen Schutzraum zur sozialen Integration der häufig im öffentlichen Raum stigmatisierten und lokal
isolierten Gothics sowie zum anderen mit den digitalen text- und bildbezogenen Speicher- und Archi-
vierungsmöglichkeiten quasi als digitalen Hort der Revitalisierung ihrer „magischen Bilderwelten“
(Richard et al. 2010, S. 129). Im Kontrast dazu konstatieren Hitzler und Niederbacher (2010) einen z.T.
eher skeptischen Internetumgang bei Gothic-Anhänger*innen als Protest gegenüber einer zuneh-
menden Naturdistanzierung der Gothic-Szene. Bleibt die Frage, ob hier eine zunehmende digitale Vi-
sualität und Sichtbarmachung auf der einen Seite, gleichsam auch eine technophobe Haltung bei Tei-
len der Szene-Anhänger*innen auf der anderen Seite evoziert. Demgegenüber lassen sich für die Sze-
ne der Fans bzw. FanArt/-Fiction stärker positiv konnotierte supplementäre Bedeutungsdimensionen
von digitalen Medien rekonstruieren: zunehmende Verlagerung von analogen Fanzines auf E-Fanzines
sowie die Entstehung neuer Szene-Produkte und Interaktionsformen, wie Dōujunshi, Oekaki, Linearts,
Paper Children, Collaborations/Collabs und Wettbewerbe; eine globale Vernetzung, breite innerszeni-
sche Kommunikation und vereinfachte Planung von analogen Fan-Events (sog. Conventions oder Zir-
kel) sowie die Möglichkeit der gemeinsamen Kritik gegenüber Kommerzialisierungsprozessen in der
Populärkultur. Folgt man Ilona A. Cwielong (2014) und ihrer Studie zur Manga- und Animé-Szene, dann
bleibt jedoch auch hier weiterhin die Präsenz in der analogen Welt primär bedeutsam. Fassen wir nun
diese vorliegenden Ergebnisse zur supplementären Rollen von digitalen Medien für jugendkulturelle
Vergemeinschaftungsformen zusammen, dann zeigt sich eine ausgeprägte Dynamik und Vielschichtig-
keit der Bedeutungsdimensionen. Im Ergebnis ist sich die Wissenschaftscommunity mittlerweile einig,
dass jugendkulturelle Szenen gegenwärtig nicht mehr ohne digitale Elemente und ihre Präsenz im
digitalen Raum denkbar sind (Hugger, Cwielong 2011, S. 8). Hierbei werden offenbar vor allem solche
Szenen durch digitale Medien erweitert bzw. modifiziert, die sich über Ästhetik, Symbolik und Stil aus-
drücken und vergemeinschaften. Für diese Szenen kann das Internet dann scheinbar folgende Bedeu-

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LEA PUCHERT

tungen entfalten: Transfermedium des szenespezifischen Stils; bedeutsamer digitalformierter Erfah-
rungs-, Handlungs- und Kommunikationskontext; individuelle oder kollaborative Auseinandersetzung
mit dem Szenefokus, den szenebezogenen Identitätskonstruktionen und weiteren szenespezifischen
Elementen; Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung szenenotwendiger Kenntnisse und Fähigkeiten;
globale Verbreitung und Etablierung und damit z.T. Überwindung vormals lokaler Begrenzungen; Sze-
neerhalt und Wahrung der Definitionsmacht. Damit kristallisiert sich eine vor allem supplementäre,
kultivierende und revitalisierende Rolle digitaler Medien für vorhandene jugendkulturellen Szenen
heraus. In besonderem Maße betrifft das auch deren Visualität und Sichtbarkeit, Sichtbarwerdung,
Sichtbarmachung. Gleichsam avanciert das Internet für diese digital amplifzierten Jugendkulturen
nicht zu einem komplementären Surrogat, sondern primär bedeutsam bleibt die analoge Szeneprä-
senz mit ihren Aushandlungsprozessen der szenebezogenen Beziehungen, Regeln, Ritualen und Infra-
strukturen (Puchert 2020, S. 158f.).

Mit Blick auf die konstitutive Rolle von digitalen Medien für Jugendkulturen hat sich im Laufe der Jahre
ein Sammelsurium an disparaten Begrifflichkeiten und Bezeichnungen herausgebildet. Aus meiner
Sicht bietet sich für die Analyse des Verhältnisses von jugendkulturellen Vergemeinschaftungen und
digitalen Medien sinnvollerweise vorrangig eine Anlehnung an klassische Begriffe der Jugendfor-
schung an. Mithin orientiert sich der Beitrag für den Zusammenhang von „Digitalen Medien und Ju-
gendkulturen“ eher an einem Verständnis von „digitalen Jugendkulturen“ bzw. „digitalen jugendkultu-
rellen Szenen“. Zwar liegt auch für die digitalgenerierten Jugendkulturen keine befriedigende empiri-
sche Befundlage vor. Gleichwohl lassen sich aus den bisher vorliegenden Analysen vier Prototypen
digitaler jugendkultureller Szenen identifizieren: die computer/-spielebezogenen Szenen; die Visual
Kei-Szene; die C-Walk-Szene; die Nerds. Unklar bleibt dabei in meiner Perspektive allerdings, ob die
Szene der Nerds nicht auch als übergeordnete Jugendkultur für die Computer-Szenen und die Visual
Kei-Szene fungieren kann bzw. vice versa jeweils eher Teil der beiden Szenen ist. Zur Klärung dieser
empirischen Leerstelle wären zukünftig mehr Analysen der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung
nötig.
   Während der Computer bzw. seine technikkulturellen Artefakte in den um digitale Praktiken ampli-
fizierten jugendkulturellen Szenen lediglich als Begleiterscheinung bedeutsam werden, übernehmen
der Computer bzw. die Computerspiele im Fall der computer/-spielebezogenen Szenen quasi als Dreh-
und Angelpunkt des jugendkulturellen Szeneinteresses eine konstitutive, quasi szeneinitiierende Funk-
tion. Die Untersuchungen zu computer/-spielebezogenen Szenen machen dabei in der Gesamtschau
auf eine stark ausdifferenzierte, dynamisch und pluralistische Jugendkultur aufmerksam: Computer-
fans und -freaks; Hacker*innen-Szene; LAN-Szene; professionelle Clan-Spieler*innen und E-
Sportler*innen; Online-Rollenspieler*innen von MMOGs; Demoszene; Warez-Szene; Modding-Szene.
Deutlich wird, dass die genuin digitalgenierte computer/-spielebezogene Szenen „nicht nur rezeptiv
und konsumtiv, sondern eben auch kreativ-produktiv und partizipativ, innovativ bis manipulativ und
subversiv sowie ausgeprägt gemeinschaftsorientiert ausgerichtet“ (Puchert 2020, S. 162) sind. Darüber
hinaus offenbart sich auch ein breites Spektrum an Organisations- und Aneignungsformen in den
computerbezogenen jugendkulturellen Szenen: von lokalen LAN-Treffen befreundeter Freizeit-
Spieler*innen bis hin zu globalen Profi-Wettkämpfen der sog. Pro-Gamer aus dem E-Sport und sog.
MMOG-Spieler*innen (Multiplayer Online Games), die in Form von Gilden und Clans gemeinsam in
Ligen und bei Turnieren spielen. Das stereotype Bild vom isoliert im eigenen Jugendzimmer spielen-
den Nerd scheint damit immer weniger der digitalisierten Spielewelt von jugendlichen Computerspie-
ler*innen gerecht zu werden (Vogelsang 2005, S. 130ff.). Überdies wird deutlich, dass sich viele der
jugendlichen Anhänger*innen von computer-/spielebezogenen Szenen eben nicht mehr nur als bloße

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Spieler*innen und passive Konsument*innen verstehen, sondern sich auch durchaus kritisch mit der
kommerziell orientierten Spieleindustrie auseinandersetzen und „zusammen mit vielen anderen pro-
duktiven User-Praktiken an den Fundamenten einer kommerziellen Verwertungskultur“ (Unger 2014,
S. 85) rütteln. Zudem machen die Hacker- und die Warez-Szene (stellt gecrackte Software kostenlos zur
Verfügung) darauf aufmerksam, dass gegenüber einer Visualität und Präsenz im öffentlichen Raum
eher der digitale Underground als Handlungs- und Erfahrungskontext präferiert werden. Insbesonde-
re die Hacker*innen-Szene mit ihren dichotomen Bedeutungsdimensionen (gute White-Hats vs. böse
Black-Hats) bewegt sich dabei jedoch in einem Spannungsfeld zwischen Informationsfreiheit vs. öf-
fentlicher Kontrolle, Staatssicherheit vs. Anarchie, normalem Bürgerverhalten vs. Abweichlertum (Fun-
ken 2010, S. 191; Puchert 2020, S. 160ff.).
   Neben der computer-/spielebezogenen Jugendkultur erweist sich die Visual Kei-Szene (Visual: engl.
für visuell/sichtbar; Kei: jap. für Gruppe), zumindest für Deutschland, als weitere digital generierte
jugendkulturelle Szene. Zunächst formierte sich ab den 1980er Jahren in Japan quasi als Fan-
Gemeinde zur aufwändig kostümierten Band X-Japan und der sich daraus entwickelnden J-Rock-Musik.
So versuchten die Visus so originalgetreu wie möglich die Bühnenoutfits der Musiker und später auch
von Animé- und Manga-Figuren nachzubilden. Die Verbreitung der Visual Kei-Szene nach Deutschland
erfolgte dann aber ausschließlich über das Internet, aufgrund fehlender Lizenzverträge der japani-
schen Bands in Europa und Nordamerika und fehlender Beziehungen zu japanischen Szeneanhä-
nger*innen. Friederike Gross (2014) beschreibt die VK-Szene daher als einen ausgesprochenen „Proto-
typ der internetgenerierten Jugendszene“ (Gross 2014, S. 209). Mit ihrem Szenefokus auf die persönli-
che ästhetische Selbstdarstellung und -inszenierung und dem Cosplay (Kofferwort für costume/play)
räumt insofern gerade diese, eindeutig weiblich dominierte, digitale Jugendszene der Visualität die
zentrale Bedeutung ein. Der Szeneaustausch und -treff erfolgt überwiegend online, aber auch im ana-
logen Raum auf Conventions im Wettkampf um das beste Kostüm (Puchert 2020, S. 162).
   Mit der C-Walk-Szene lässt sich eine dritte digitale jugendkulturelle Szene ausmachen. Bei dem C-
Walk (Crip-Walk) handelt es sich um einen mittlerweile global verbreiteten Tanzstil, der sich ursprüng-
lich auf den Straßentanz der afroamerikanischen Straßengangs Bloods und Crips in den USA gründet.
Durch spätere Modifizierungen, insbesondere im Zuge der Distribution über die Plattform YouTube,
entstehen schließlich diverse neuartige Stiles. Der heutige Crip-Walk ist damit seiner sozialen und kul-
turellen Ursprungsbedeutung als reiner Streetperformance entwachsen. Demgegenüber hat sich für
die jugendlichen C-Walker eine Kombination aus dem Walk im öffentlichen-urbanen Raum und der
anschließenden zentral bedeutsamen Verbreitung und Bewertung über YouTube zum Szenefokus
entwickelt. Crip-Walker gehen dabei intensive Vergemeinschaftungen ein, da für die Szenezugehörig-
keit die Anbindung an eine Tanz-Crew Voraussetzung ist. Die Bedeutsamkeit der C-Walk-Szene für ihre
jugendlichen Szenemitglieder liegt somit insbesondere in der Möglichkeit der sozialen Anerkennung
und Integration sowie der Bewältigung anderer jugendphasenspezifischer Entwicklungsaufgaben (Ei-
semann 2015; Puchert 2020, S. 162f.).
   Überdies gehört zum Kreis digitaler Jugendkulturen in meiner Perspektive auch eine vierte: die ju-
gendkulturelle Szene der Nerds. Allerdings ist diese bislang wenig durch die scientific Community und
die sozialwissenschaftliche Jugendforschung in den Blick genommen worden, sodass es noch an expli-
ziten theoretischen und empirischen Analysen mangelt. Es bedarf insofern zunächst einmal einer An-
näherung an die kulturelle Figur des Nerds und seine etymologische sowie soziale und kulturelle Ent-
wicklungsgeschichte, bevor im Anschluss daran der Typus des Nerds als digitale Jugendkultur rekon-
struiert und im Rahmen einer heuristischen Typologie skizziert wird (Erstveröffentlichung dazu: Pu-
chert, Wensierski 2020).

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LEA PUCHERT

Jugendkultur der Nerds als bedeutsame Szene für Jugendliche

Die Entstehung des „Nerd“-Begriffes ist bis heute nicht ganz geklärt, scheint aber wohl insbesondere
mit der Herausbildung der amerikanischen Jugend- und Popkultur nach dem Zweiten Weltkrieg in
Zusammenhang zu stehen. Hierzu lassen sich insbesondere drei Entwicklungsphasen nachzeichnen: 1.
Konsolidierung im amerikanischen Sprachgebrauch bis in die 1960er Jahre; 2. Etablierung als „visueller
Stereotyp“ (Mertens 2012, S. 58) in den 1970er Jahren; anschließend 3. Entwicklung einer „stereotypen
Visualität“ (Mertens 2012, S. 60) durch amerikanische Fernseh-Serien und Filme entlang unattraktiver
Erscheinungsmerkmale, die gesellschaftliche Exklusion zur Folge haben (z.B. typische 80er-Jahre Klei-
dung, lange Haare, Band-Shirts). Die so entstandene kulturelle Figur des Nerds findet spätestens ab
den 1980er Jahren auch international Verbreitung –in Japan mit dem Äquivalent des „Otaku“ und in
der Bundesrepublik Deutschland mit eher computerbezogenen Bezügen (Mertens 2012, S. 53ff.;
Scholz 2014). Bis in die 1990er Jahre hinein wird zur Synchronisation der amerikanischen TV-Serien die
Figur des Nerds in Deutschland mit negativen Bezeichnungen (Trottel, Dummkopf, Idiot, Loser) über-
setzt. Mittlerweile hat sich jedoch der Begriff „Nerd“ als Anglizismus etabliert – nunmehr auch positiv
konnotiert. „War die Bezeichnung in den 1980er Jahren noch klar als Beleidigung zu sehen (Nerd1), so
hat sich das Lexem heute so entwickelt, dass es die Bezeichneten auch als Auszeichnung oder Kom-
pliment wahrnehmen (Nerd2)“ (Osterroth 2015, S. 5). Galten „Nerds“ früher besonders als sozial ex-
kludierte und unmodische Technik- und Computerfreaks, so werden damit heute eher gefragte Com-
puter- und digitale Technikexpert*innen und sogar modische Trendsetter assoziiert. Nach Tim Jänick
(2013) steht diese Transformation von dem*r ehemals soziokulturell marginalisierten Außenseiter*in
zum technikkulturell-hegemonialen Leitbild in der digitalen Moderne in engem Zusammenhang mit
der positiveren Darstellung von Nerds in Filmen (Jänick 2013, S. 56ff.). „Nerds werden darin als coole
Programmierer, intelligente Actionhelden und Geheimagenten, smarte Charming-Boys, rebellische
Untergrund-Kämpfer sowie eiskalte Geschäftsleute dargestellt“ (Puchert, Wensierski 2020, S. 71). Zu-
dem geht mit dem Bedeutungswandel eine zunehmende Diffusion von ‚Nerd-Technik‘ in die gesell-
schaftliche Mainstream-Kultur einher (Quail 2011, S. 467). Die kulturelle Figur des Nerds avanciere
damit quasi zum „Vorbild der Informationsgesellschaft“ (Scholz 2014, S. 10). Auch hat die Unterhal-
tungsindustrie die jugendlichen Nerd-Szeneanhänger*innen mittlerweile als kaufstarke Konsu-
ment*innengruppe identifiziert. In der Konsequenz dieses positiven Transformationsprozesses
scheint sich jedoch der ehemals subkulturell-anarchige Charakter der ‚Nerd-Kultur‘ sukzessive abzu-
schleifen (Puchert, Wensierski 2020, S. 65ff.)
   Dieses Spannungsverhältnis lässt sich auch für die Entwicklung einer topographischen Skizze der
jugendkulturellen Szene der Nerds anlegen. So speist sich die Jugendkultur der Nerds in meiner Per-
spektive aus folgenden drei Typen: 1.) Digitale Technik-Avantgarde; 2.) Digitale Gamer und Spie-
ler*innen; 3.) Gesellschaftskritische digitale Subkultur. Die sichtbar werdende bipolare Struktur zwi-
schen gesellschaftlicher Funktionselite der Business-Class (Typ 1) und gesellschaftskritischer subkultu-
reller Szene (Typ 3) verdeutlicht letztlich das Spannungsverhältnis zwischen Diffusion in die
Mainstream-Kultur vs. Erhalt der Subkultur. Die Technik-Avantgardist*innen bilden mithin den diamet-
ralen Gegenpart zu den gesellschaftskritischen Underground-Vertreter*innen.
   Im ersten Typ „Digitale Technik-Avantgarde“ lassen sich demnach Technikexpert*innen versam-
meln, die durch die (Weiter-)Entwicklung von innovativer digitaler Technik eine technische Vorreiterrol-
le einnehmen und damit bedeutsame Entwicklungen in der digitalisierten Moderne evozieren. Die
Nerd-Szene der Technik-Avangardist*innen scheint insofern mit ihrer „doppelten Aura des Ungewöhn-
lichen und Außergewöhnlichen“ (Puchert, Wensierski 2020, S. 74) und ihren Prototypen wie Bill Gates,

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Elon Musk, Mark Zuckerberg, Larry Page und Sergey Brin in mehrfacher Hinsicht identitätsstiftend und
orientierungsleitend für Jugendliche: durch die Möglichkeit, den individuellen technikkulturellen Habi-
tus zu kultivieren sowie soziale und berufliche Anerkennung und ökonomische Prosperität zu erlan-
gen. So wird mit der Zugehörigkeit zur Technik-Avantgarde die kulturelle Leitfigur vom Nerd ihrer ur-
sprünglich negativ-passiven Konnotation enthoben und paradoxerweise zu einem eher technikkultu-
rell dominant-aktiven Leitbild gewendet – das damit in der Konsequenz allmählich seinen subkulturel-
len Wesenszug zu verlieren scheint (Puchert, Wensierski 2020, S. 74).
   Demgegenüber speist sich der Typus 2 „Digitale Gamer und Spieler*innen“ eher aus spieleorien-
tierten/-affinen Nerds. Szenefokus ist hier vielmehr die spielbezogene Auseinandersetzung mit digita-
ler Technik/-Technologie. Bei den Szenemitglieder*innen finden sich sowohl freizeitorientierte Casual-
Spieler*innen als auch sog. Berufsmäßig tätige Pro-Gamer aus dem E-Sport. Die Vergemeinschaf-
tungsformen reichen von eher lockeren und spontanen Vereinigungen (z.B. Netzwerke, Foren) bis hin
zu stärker institutionalisierten sozialen Organisationsstrukturen (z.B. LAN-Treffen, Clans und Gilden,
Conventions, Kampagnen und Interessenverbänden). Gegenüber den Technik-Avantgardist*innen
erweisen sich die „digitalen Gamer und Spieler*innen“ zwar offenbar als weniger männlich dominiert,
da vor dem Hintergrund der Anime-, Manga-, Cosplayer und Rollenspieler*innen-Szene auch ein grö-
ßerer Frauenanteil zu verzeichnen ist. Gleichwohl gehören besonders der Computer- und Konsolen-
spieler*innenszene weiterhin vorranging männliche Jugendliche an (Puchert, Wensierski 2020, S. 75).
   Der Typus 3 „Gesellschaftskritische digitale Subkultur“ bildet dann mit seiner Ausrichtung als ge-
sellschaftskritische Underground-Szene den maximalen Gegenpol zum ersten Typus der in den
Mainstream diffundierenden Technik-Avantgardist*innen. „Dem Fortschrittsdenken der Technik-Eliten
setzen sie eine deutlich technik- bzw. elitenkritischere ethische und gesellschaftspolitische Perspektive
entgegen“ (Puchert, Wensierski 2020, S. 76), decken Verfehlungen von Regierungen und Unternehmen
auf und machen die gesellschaftliche Öffentlichkeit darauf aufmerksam. Im Laufe der Zeit hat diese
gesellschaftskritische digitale Subkultur z.T. institutionelle Organisationsstrukturen und Treffpunkte
entwickelt, wie etwa in Gestalt des Chaos Computer Clubs (CCC) und seinem chaos communication
congress oder der „Hackerspaces“. Unterscheiden lässt sich der Typus 3 wohl insbesondere in eine
genuine Hacker*innen-Szene auf der einen und eine Whistlerblower-Szene als quasi politisierte und
sozial motivierte „Hacktivisten“ auf der anderen Seite. Beide subkulturellen Gruppen bewegen sich
häufig auch jenseits der Legalität und daher in der Anonymität des digitalen Raums. Insbesondere die
Szene der „Whistleblower“ verteidigt ihren aufklärerische „civil disobedience“ allerdings als moralische
Verpflichtung. Als Prototypen hierfür können u.a. Julian Assange, Bradley „Chelsea“ Manning und
Edward Snowden gelten. Ihnen steht mit den sog. „Black-Hats“ eine Szene von Cyber-Kriminellen ge-
genüber, die auf der Basis von eher asozialen Motiven sowohl Privatpersonen als auch Regierungen
und Unternehmen angreifen und in der Folge z.T. massiv schädigen. Offenbar entfalten aber beide
Gruppen, die asozial-motivierten Hacker*innen wie auch die ethisch-motivierten Hacktivist*innen eine
große Strahlkraft für Jugendliche (Puchert, Wensierski 2020, S. 75ff.).
   Insgesamt bilden „die Nerds“ damit eine vielgestaltige und auch ambivalente jugendkulturelle Ver-
gemeinschaftung, die sich aktuell in einem Spannungsverhältnis von Mainstream und Subkultur be-
wegt. Zugleich unterscheiden sich dabei die Vergemeinschaftsungsformen, Kompetenzbereiche und
Expertisen, Szenefokusse, Stile, Identitäts- und Geschlechterkonzepte sowie die ethischen und gesell-
schaftspolitischen Orientierungen und sozialisatorischen Funktionen. Nachfolgende Tabelle soll dies
einmal überblickshaft zusammenfassen (Puchert, Wensierski 2020, S. 77ff.):

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Vergemeinschaftungsformen
     -lockere, lose Organisationsstrukturen
     -stärker professionalisierte Organisationsstrukturen
     -digital anonyme Underground-Szenen vs. medial und öffentlich präsente Avantgarde-
      Gruppen
Kompetenzbereiche und Expertisen
     - Spezialist*innen in technikpuristischen und digitalen Szenen
     - Expert*innen in künstlerisch-ästhetischen, szenisch orientierten und modeorientierten
       Praxen
Szenefokusse
     -   Kultivierung des eigenen technikkulturellen Habitus und Weiterentwicklung von Technik
         und Technologien als Beitrag für gesellschaftlichen Fortschritt
     -   Rückzug in Fantasiewelten und hedonistische Freizeitbeschäftigung
     -   gesellschaftliche Aufklärung
     -   Kontrollgewinn gegenüber Dritten
Stile
     -   Popkultur-Enthusiast*innen, Fanboys/-girls
     -   US-amerikanischer Typus mit Hemd in der Jeans und großer Brille
     -   Heavy-Metal-Stil mit schwarzer Kleidung, langen Haaren und speziellen T-Shirts
     -   Cosplayer und Rollen-Spieler*innen
     -   cooler-cleaner Mix aus Business und Casual Look
     -   eigene sprachliche Codes (Computer-Fachtermini; Spezialbegriffe der Rollenspieler*innen-
         Praxen und Cosplayer)
    -    Musik: Nerdcore-Hip-Hop
Identitäts- und Geschlechterkonzepte
     -  Figur des*r unattraktiven und sozial unsicheren Außenseiter*in vs. beruflich erfolgreiche,
        attraktive und sozial beliebte Nerds
    -   eher bescheidener und zurückhaltender Nerd-Habitus vs. „Nerd-Pride“ mit selbstbewusst-
        elitärer Einstellung
    -   durch starke geschlechtsspezifische Segregation weniger Trendsetter für Wandel der
        Geschlechterverhältnisse
ethische und gesellschaftspolitische Orientierungen
     -   ungebrochene Identifikation mit gesellschaftlich relevanten Technologien
     -   Orientierung an gesellschaftskonformen Werten
     -   Motoren für gesellschaftliche Entwicklung
     -   Trendsetter und attraktive Gruppe für Konsumindustrie
     -   gesellschaftskritischer Protest gegenüber Missständen in der digitalisierten Moderne
     -   asoziale Motive
     -   spielebezogene Fantasiewelten als freizeitkulturelle, hedonistische biographische
         Moratorien
sozialisatorische Funktionen
     -   äquivalent zu klassischen Jugendkulturen
     -   Spiel mit Identitäten und öffentliche Selbstinszenierung
     -   Distinktion gegenüber anderen adoleszenten Szenen und sozialen Gruppen
     -   subkulturelle Abgrenzung gegenüber hegemonialen Jugendkulturen vs. Diffusion in
         Mainstream-Kulturen
     -   neue Ambivalenz des kulturellen Leitbildes vom Nerd identitätsstiftend und
         orientierungsleitend

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JUGENDKULTUREN       IN DER DIGI TALISIERTEN    MODERNE: NEUE VISUALITÄTEN?

Jugendliche Lebenswelten und Alltagkulturen in der digitalisierten
Moderne – ein Resümee

Worauf machen nun die digital erweiterten und digital generierten Jugendkulturen aufmerksam? Ins-
besondere konnte nachgezeichnet werden, wie sehr digitale Medien mittlerweile die sozialen Struktu-
ren und kulturellen Ausdrucksformen von Jugendlichen überformen und durchdringen. Gegenwärtig
scheint wohl keine jugendkulturelle Vergemeinschaftungsform mehr ohne ihre digitalen Bezüge
denkbar. Neben einem Strukturwandel der Öffentlichkeit – respektive der Verlagerung vom öffentli-
chen-urbanen Raum hin zum analogen Raum – offenbart sich damit auch ein Strukturwandel jugendli-
cher Lebenswelten und Alltagskulturen durch digitale Medien. So etabliert sich neben den nach wie
vor bedeutsamen klassischen jugendlichen Sozialräumen letztlich auch ein neuartiger sozialer „Raum
der jugendlichen Alltagskultur“ (Wensierski 2019, S. 2). Für traditionelle Jugendkulturen kann dieser
neuartige Raum supplementäre und kultivierende bis hin zu revitalisierende Bedeutungsdimensionen
entfalten und damit gleichsam auch eine stärkere öffentliche und mediale Visualität erzeugen. Denn
es ändern sich sowohl die stilbildenden Praxen und Szenefokusse als auch die Beziehungs- und Kom-
munikationsformen, Organisations- und Infrastrukturen sowie die Distributionswege. Darüber hinaus
avancieren für genuin digitale Jugendkulturen das Internet und die digitalen Technologien quasi zu
essentiellen Elementen und Triebfedern, ohne die sie sich nicht konstituieren und entwickeln könnten.
Der durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Digitalisierungsschub könnte hierfür noch als zusätz-
licher Katalysator wirken. Stellt sich aus jugendtheoretischer Perspektive dann die Frage, ob es im
Zuge dessen auch zu einer grundlegenden Veränderung der Jugendphase und ihrer spezifischen
Strukturmerkmal kommt? Eher nicht, so die hier vertretene These. Obschon digitale Medien die Ju-
gendphase in der digitalisierten Moderne zwar deutlich beeinflussen und mitstrukturieren, verändern
sie doch die Jugendphase und die mit ihr verbundenen, von Jugendlichen zu bewältigenden Entwick-
lungsaufgaben nicht grundlegend. Nach wie vor bleibt auch die analoge Welt mit ihren für Jugendliche
individuell orientierungsleitenden und identitätsstiftenden Bezugspersonen zentral bedeutsam. Ins-
besondere das durch die Corona-Krise verordnete Social-Distancing zeigt, wie sehr Jugendliche unter
dem Entzug der sozialen Kontakte im öffentlichen Raum leiden und digitale Medien hierfür keine Sur-
rogate schaffen können. Nichtsdestotrotz bleibt es Aufgabe zukünftiger sozialwissenschaftlicher For-
schung sich stärker als bislang dem Zusammenhang von digitalen Medien und jugendlichen Alltagskul-
turen zu widmen – sowohl auf theoretischer als auch empirischer Ebene.

Literatur

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