Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen
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Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Markus Knell, Diese Studie analysiert die Effekte der Pensionsreformen der letzten Jahre, die hauptsäch- Walpurga Köhler- lich aufgrund der erwarteten steigenden Pensionsausgaben infolge demographischer Ent- Töglhofer, wicklungen als notwendig erachtet wurden. In einem ersten Schritt wird die Nachhaltig- Doris Prammer1 keit der österreichischen Fiskalpolitik vor und nach den großen Reformschritten mithilfe von synthetischen Indikatoren beurteilt. Diese zeigen, dass die Reformen die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verbessern. Zugleich untersucht diese Studie auch, wie diese Einsparungen im Pensionsaufwand zustande kommen. Als wichtigste Faktoren erweisen sich dafür die Anhebung des durchschnittlichen effektiven Pensionsantrittsalters und die Kürzung der künftigen Pensionsansprüche. Für Letztere dürften insbesondere höhere Abschläge bei Frühpensionen und die Indexierung mit der Inflationsrate verant- wortlich sein. 1 Einleitung darüber hinaus auch mit der Frage, Die Pensionssysteme vieler Länder welche Faktoren hauptsächlich zur sind durch steigende Lebenserwar- Verbesserung der fiskalischen Posi- tung und niedrige Geburtenraten un- tion beitragen und welche Konse- ter Druck geraten. Deshalb wurden quenzen sich daraus für die künftige im vergangenen Jahrzehnt europaweit Entwicklung der Pensionsleistungen die Forderungen nach Reformen im- ergeben. mer lauter. In Österreich wurden mit Kapitel 2 bietet einen knappen den – insgesamt durchaus als ein- Überblick über das österreichische schneidend zu bezeichnenden – Pen- Pensionssystem, gefolgt von einer sionsreformen der Jahre 2000, 2003 kurzen Darstellung der wesentlichen und 2004 diesbezügliche Reform- Neuerungen durch die drei seit dem schritte sehr rasch umgesetzt. Auch Jahr 2000 in Österreich durchge- haben internationale Institutionen führten Pensionsreformen in Ka- umfassende Analysen und Reform- pitel 3. In Kapitel 4 werden die vorschläge zur Pensionsthematik pu- Effekte der Reformen auf die fiska- bliziert, so z. B. die Weltbank (Holz- lische Nachhaltigkeit auf Basis der mann und Hinz, 2005), die OECD jüngsten Projektionen der Entwick- (2005a, 2005b) und der Ausschuss lung der demographieabhängigen für Wirtschaftspolitik der EU (Eco- Ausgaben anhand der von der Euro- nomic Policy Committee – EPC, päischen Kommission verwendeten 2001, 2006). Angesichts der Auswir- Indikatoren evaluiert. Kapitel 5 be- kungen der genannten demogra- fasst sich mit den Effekten der Re- phischen Entwicklungen auf die formen auf die Höhe der künftigen Pensionssysteme wurde in vielen Pensionsleistungen in Gegenüberstel- Publikationen der fiskalischen Nach- lung zum Status quo. Kapitel 6 ent- haltigkeit besondere Beachtung ge- hält Schlussbemerkungen. schenkt. Diese Studie beschäftigt sich Wissenschaftliche 1 Die in diesem Beitrag zum Ausdruck gebrachte persönliche Meinung der Autoren muss nicht mit der offiziellen Begutachtung: Position der OeNB übereinstimmen. Die Autoren danken Daniele Franco, Ernest Gnan, Peter Part und Alfred Daniele Franco, Stiglbauer für wertvolle Kommentare und Anregungen. Der vorliegende Text ist eine Übersetzung aus dem Banca d’Italia. Englischen. 72 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen 2 Das österreichische Bis ins Jahr 2005 setzte sich die Pensionssystem im erste Säule aus einer Palette historisch Überblick gewachsener unterschiedlicher Pensi- 2.1 Eckdaten onsversicherungssysteme für die ver- Das umlagefinanzierte und leistungs- schiedenen Berufsgruppen zusam- orientierte österreichische Pensions- men. Erst mit dem Allgemeinen Pen- system beruht auf dem Prinzip der sionsgesetz 2004 wurde eine Pensi- staatlichen Pflichtversicherung. Die onsharmonisierung mit für alle Be- erste Säule, also die staatliche Pensi- rufsgruppen einheitlichen Beiträgen onsversicherung, umfasst die Alters- und Ansprüchen in Angriff genom- pension, die Invaliditätspension sowie men.2 Da bislang rund 93 %3 der die Hinterbliebenenpension. Um der arbeitenden Bevölkerung in die recht Gefahr der Altersarmut entgegenzu- großzügige staatliche Pflichtversiche- wirken, wird darüber hinaus jenen rung einbezogen waren,4 spielten die Pensionisten, deren Anspruch auf zweite (betriebliche Zusatzpensionen) Pensionsversicherungsleistungen un- und dritte Säule (private Pensionsvor- ter dem als Mindeststandard festge- sorge) bisher eine eher untergeord- legten Niveau liegt, eine aus Steuer- nete Rolle – wenn auch mit steigen- geldern finanzierte Ausgleichszulage der Tendenz. Durch die Einführung gewährt. der „Abfertigung neu“ im Jahr 2002 Grafik 1 Indikatoren zur Leistungshöhe des Pensionssystems in Österreich und den EU-15 (2004 und 2050) in % 90 80 78,3 70 69,0 64,0 61,1 60 51,6 50 43,9 40 30 21,8 20,1 20 13,4 15,2 15,7 10,7 12,2 13,1 10 0 2004 2050 2004 2050 2004 2050 2050 (2/14) (10/14) (3/13) (11/13) (7/15) (5/15) (5/15) Pensionsaufwand Pensionsaufwand Pensionsniveau Pensionsniveau Bruttoersatzrate Bruttoersatzrate Bruttoersatzrate (in % des BIP) (in % des BIP) (EPC) (EPC) (OECD) AT EU-15 Quelle: OeNB-Berechnungen basierend auf EPC (2006, Tabellen 3.3, 3.11 und 2.2 (statistischer Anhang)) und OECD (2005a, Tabelle 4.1). Anmerkung: Die in Klammer angegebenen Ziffern beziehen sich auf die Position Österreichs im Ranking der EU-15. 2 Ausgenommen Landes- und Gemeindebedienstete (die nicht im neuen System erfasst sind) sowie Selbstständige und Bauern (für die niedrigere Beiträge gelten). 3 Siehe Felderer, Koman und Schuh (2006). 4 Geringfügig Beschäftigte und eine Reihe Freier Berufe sind hier nicht erfasst; die Bruttoersatzrate beträgt für Pensionszugänge 64 % (Grafik 1). Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 73
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen haben jedoch betriebliche Zusatzpen- rechnung werden allerdings nicht nur sionen an Bedeutung gewonnen. Ar- Zeiten der aktiven Beitragszahlung beitgeber sind nun verpflichtet, pro herangezogen, sondern auch so ge- Arbeitnehmer einen Beitrag in Höhe nannte Ersatzzeiten, wie z. B. Ar- von 1,53 % des Bruttomonatslohns in beitslosigkeit, Präsenzdienst, Kinder- die Mitarbeitervorsorgekassen einzu- erziehung. zahlen; die Arbeitnehmer können bei Das gesetzliche Pensionsantritts- Pensionsantritt zwischen der Auszah- alter ist für Männer auf 65 Jahre und lung des Gesamtbetrags und einer für Frauen auf 60 Jahre festgelegt. monatlichen Zusatzpension wählen. Das Mindestantrittsalter für vorzei- Die Einführung der prämienbegüns- tige Alterspension betrug bis zum tigten Zukunftsvorsorge im Jahr Jahr 2000 für Männer 60 Jahre und 2003 hingegen zielte auf eine Stär- für Frauen 55 Jahre. In Übereinstim- kung der Rolle der privaten Pensions- mung mit einer Entscheidung des vorsorge ab.5 Verfassungsgerichtshofs wird das Pen- Die erste Säule finanziert sich zu sionsantrittsalter für Frauen nunmehr rund zwei Drittel aus den von aktiven schrittweise dem der Männer ange- Erwerbspersonen geleisteten Beiträ- glichen.7 Ungeachtet des gesetzlichen gen, wobei grundsätzlich 22,8 % der Regelpensionsalters beträgt das effek- jeweiligen Beitragsgrundlage zu ent- tive Pensionsantrittsalter derzeit nur richten sind.6 Für die Pensionsbe- 57,7 Jahre; das spiegelt sich auch im Grafik 2 Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer (55–64) und Lebenserwartung in % bzw. in Jahren 90 80 85,0 84,6 79,2 79,3 Jahre Jahre 70 Jahre Jahre 62,0% 60 59,2% 50 44,2% 40 31,9% 30 20 10 0 (12/15) (9/15) (5/15) (3/15) Erwerbsquote (55–64) Erwerbsquote (55–64) Lebenserwartung Lebenserwartung 2003 2050 (Männer und Frauen) (Männer und Frauen) AT EU-15 2004 2050 Quelle: OeNB-Berechnungen basierend auf EPC (2006, Tabellen 2.2, 2.5 und 2.6). Anmerkung: Die Lebenserwartung (bei der Geburt) ist als Durchschnittswert für Männer und Frauen ausgewiesen. Die in Klammer angegebenen Ziffern beziehen sich wiederum auf die Position Österreichs im Ranking der EU-15. 5 Siehe Url (2003) sowie Eckert und Prammer (2003). 6 In unselbstständigen Dienstverhältnissen entfallen dabei 10,25 % auf den Arbeitnehmer und 12,55 % auf den Arbeitgeber. 7 Die Altersgrenzen für Frühpensionierungen werden im Zeitraum 2019 bis 2028 angeglichen, für reguläre Alters- pensionen im Zeitraum 2024 bis 2033. 74 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen geringen Anteil „regulärer“ Alters- rückblickend weitgehend parallel zur pensionen von nur 27 % und in der Entwicklung der Verbraucherpreis- niedrigen Erwerbsquote8 der 55- bis inflation. 64-Jährigen (31,9 % im Jahr 2003) Die jährliche Anpassung bereits wider. Damit rangiert Österreich in bestehender Pensionen errechnet sich dieser Altersgruppe im Vergleich der wie folgt: EU-15 an drittletzter Stelle, während Pension = laufende Pension die Erwerbsquote für 25- bis 54-Jäh- x Anpassungsfaktor rige in Österreich mit 87,4 % deut- Vor den jüngsten Reformen basierte lich über dem EU-Durchschnitt liegt die Festlegung des Anpassungsfaktors (Grafik 2).9 durch das Sozialministerium auf dem Prinzip der Nettolohnanpassung. Das 2.2 Berechnung der Pensions- bedeutet, die Durchschnittseinkom- leistungen men von aktiven Erwerbspersonen Die jeweilige Höhe der Erstpension und die Durchschnittspensionen soll- errechnet sich folgendermaßen:10 ten sich (jeweils nach Sozialversi- Erstpension = Steigerungsbetrag cherungsbeiträgen) im Gleichklang x Pensionsbemessungsgrundlage entwickeln. Aufgrund der laufenden Jedes Versicherungsjahr wird mit Änderungen in der Struktur der einem bestimmten Steigerungsbetrag Leistungsberechtigten11 entsprach die bewertet, der vor der Pensionsreform Pensionsanpassung de facto weit- 2003 2 % je Versicherungsjahr be- gehend der Verbraucherpreisinfla- trug. So erreichten Pensionsberech- tion.12 tigte den Maximalwert der Alters- pension im Ausmaß von 80 % der 3 Pensionsreformen seit 2000 Pensionsbemessungsgrundlage nach In einem Vergleich der EU-15 ver- 40 Versicherungsjahren. zeichnete Österreich im Jahr 2004 Die Bemessungsgrundlage er- die zweithöchsten staatlichen Pensi- rechnet sich aus dem Durchschnitt onsausgaben in Höhe von 13,4 % des der Jahreseinkommen über den BIP. Im Bericht des EPC (2001) Durchrechnungszeitraum, der die wurde angesichts der eingangs er- zur Berechnung des Pensionsan- wähnten – für Österreich besonders spruchs herangezogenen Versiche- ungünstigen – demographischen Ent- rungsjahre umfasst. Einkommen ver- wicklung eine Erhöhung des Pensi- gangener Jahre werden mittels Auf- onsaufwands auf 18,7 % des BIP bis wertungsfaktoren valorisiert. Bis zum Jahr 2035 und danach eine nur 2004 wurden diese Faktoren durch leichte Verringerung auf 17,0 % bis das Sozialministerium festgelegt; zum Jahr 2050 geschätzt;13 der daraus 8 Anteil der erwerbstätigen oder arbeitslos gemeldeten Personen an der Bevölkerung im Alter von 15 bis 64 Jahren. 9 Für eine detaillierte Beschreibung des österreichischen umlagefinanzierten Pensionssystems, siehe Stefanits, Ober- mayr und Wörister (2004), Holzmann und Heitzmann (2002) sowie Wöss (2000). 10 Siehe Knell (2004). 11 Strukturelle Veränderungen ergeben sich dadurch, dass Pensionsneuzugänge üblicherweise Anspruch auf höhere Leistungen als Pensionsabgänge haben. Das impliziert an sich einen laufenden automatischen Anstieg der Durch- schnittspension. 12 Siehe Knell (2004) sowie Mayrhuber und Url (2000). 13 Die in diesem Bericht dargestellten Langfristprojektionen für die Entwicklung der österreichspezifischen demo- graphieabhängigen Ausgaben wurden vom Bundesministerium für Finanzen bereitgestellt. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 75
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen folgende Anstieg der Budgetbelastung 3.1 Pensionsreform 2000 wäre beträchtlich gewesen. Mit der Pensionsreform 2000 sollten Künftige Pensionsansprüche an zwei Ziele erreicht werden: Die Re- das staatliche Pensionssystem stellen form sollte kurzfristig zur Budget- implizite Verpflichtungen des Staats konsolidierung beitragen. Darüber dar, deren Höhe von der Altersstruk- hinaus sollten mit der Einsetzung tur der Bevölkerung mitbestimmt einer Kommission zur längerfristigen wird. Angesichts der erwarteten – Pensionssicherung die Weichen für sowohl absolut als auch im Verhältnis eine regelmäßige Evaluierung der zur Bevölkerung im erwerbsfähigen langfristigen Finanzierbarkeit des Alter – zunehmenden Pensionisten- österreichischen Pensionssystems ge- zahlen zielen die jüngsten Pensionsre- stellt werden; die Erkenntnisse dieser formen in Österreich auf eine Verrin- Kommission prägten dementspre- gerung dieser impliziten Verpflich- chend bereits die Diskussion der tungen und damit auf eine künftige folgenden beiden Pensionsreform- Budgetentlastung ab. Die Alten- schritte. quote14, die 2005 25 % betrug, wird Die Reform 2000 bestand aus fol- sich demographischen Prognosen zu- genden Maßnahmen: folge bis 2050 verdoppeln, das heißt, – Abschaffung der vorzeitigen Al- die Anzahl der Beitragszahler pro terspension wegen geminderter Pensionsbezieher wird sich von der- Erwerbsfähigkeit bei gleichzei- zeit vier auf zwei verringern. Die da- tigen Zugangserleichterungen zur mit einhergehende notwendige Erhö- Invaliditätspension zur Vermei- hung der Abgaben stellt aus wirt- dung sozialer Härtefälle. schaftspolitischer Perspektive ein zu- – Schrittweise Anhebung des An- nehmendes Problem dar. spruchsalters15 für die anderen Daher zielten die Reformen des Vorruhestandsregelungen16 ab Ok- umlagefinanzierten Pensionssystems tober 2000 um insgesamt 18 Mo- der Jahre 2000, 2003 und 2004 so- nate auf 61,5 Jahre für Männer wohl auf die Sicherung der langfristi- und 56,5 Jahre für Frauen. gen Tragfähigkeit der öffentlichen Fi- – Stärkere Ausrichtung des Ab- nanzen als auch auf eine Verbesserung schlag- und Zuschlagsatzes nach der aktuarischen Fairness des staatli- versicherungsmathematischen chen Pensionsversicherungssystems. Grundsätzen. Der Abschlag bei Während sich die Pensionsreform des Inanspruchnahme einer vorzei- Jahres 2000 vorwiegend auf die An- tigen Alterspension wird pro Jahr hebung des effektiven Pensionsan- auf 3 Steigerungspunkte festge- trittsalters konzentrierte, wurde mit setzt, wobei die Einbußen auf den folgenden beiden Schritten eine maximal 10,5 Steigerungspunkte umfassende parametrische Reform oder 15 % des Pensionsanspruchs des österreichischen Pensionssystems begrenzt sind. Zur Vermeidung umgesetzt. von Härtefällen wurden (wie für 14 Anzahl der Personen in der Altersgruppe 65+ imVerhältnis zu Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren. 15 Das Antrittsalter wurde jeweils zu Quartalsbeginn um zwei Monate hinaufgesetzt. 16 Vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungszeiten oder aufgrund von Langzeitarbeitslosigkeit sowie Altersteilzeit. 76 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen das Frühpensionsalter) Über- Bemessungsgrundlage erst nach gangsfristen geschaffen. Hingegen 45 (anstatt 40) Beitragsjahren wird der Pensionsantritt nach erreicht wird. dem gesetzlichen Pensionsan- – Abschaffung der vorzeitigen Al- trittsalter mit einem Bonus von terspension wegen Arbeitslosig- jährlich 4 % der Bemessungs- keit, schrittweise Anhebung des grundlage honoriert. Mindestantrittsalters für die vor- – Verschärfung der Anspruchsvor- zeitige Alterspension bei langer aussetzungen für den Bezug von Versicherungsdauer für Männer Hinterbliebenenleistungen. Der von 61,5 und für Frauen von zuvor geltende Anspruch von 56,5 Jahren auf das gesetzliche Hinterbliebenen auf 40 % bis Pensionsantrittsalter (Männer: 60 % des Pensionsbezugs des Ehe- 65; Frauen: 60) bis zum Jahr gatten/der Ehegattin wurde je 2017. nach Erwerbseinkommen bzw. – Verringerung des Anreizes für die eigener Alterspension auf 0 % bis Inanspruchnahme einer Früh- 60 % gekürzt. pension durch die Erhöhung des jährlichen Abschlags von 3 Stei- 3.2 Pensionsreform 2003 gerungspunkten auf 4,2 % der Durch die im Juni 2003 verabschie- Bemessungsgrundlage bei Decke- dete und per 1. Jänner 2004 inkraft lung der Einbußen mit 15 % des getretene Pensionsreform kam es zur Pensionsanspruchs. Anhebung Änderung grundlegender Parameter der Bonifikation für die Inan- des österreichischen Pensionssys- spruchnahme der Pension nach tems: dem Regelpensionsalter von 4 % – Ausdehnung des Durchrech- auf 4,2 % der Bemessungsgrund- nungszeitraums zur Ermittlung lage. der Bemessungsgrundlage auf die – Die neuen Ruhestandsbestim- besten 40 Beitragsjahre (anstelle mungen für pragmatisierte Be- der bisher herangezogenen besten amte spiegeln das für die Privat- 15 Jahre bzw. 18 Jahre bei Früh- wirtschaft geltende Pensionsrecht pensionierung). Der Durchrech- wider: Ausweitung des Durch- nungszeitraum wird pro Jahr um rechnungszeitraums auf 40 Jahre 12 Monate verlängert, sodass die (mit einer Übergangsfrist bis neue Regelung erst im Jahr 2028 2028); Reduktion des jährlichen voll greift. Als Versicherungs- Steigerungsbetrags; schrittweise zeiten werden auch Zeiten der Fa- Anhebung des Regelpensionsal- milienhospizkarenz sowie verlän- ters auf 65 Jahre (vorzeitige Ver- gerte Kindererziehungsperioden setzung in den Ruhestand mit anerkannt.17 61,5 Jahren bei langer Versiche- – Schrittweise Reduktion des jähr- rungsdauer ist nur noch mit ent- lichen Steigerungsbetrags von 2 % sprechenden Abschlägen mög- auf 1,78 % bis 200918, sodass die lich); Erhöhung der Pensionsbei- maximale Ersatzrate von 80 % der träge um 1 Prozentpunkt. 17 Insgesamt werden pro Kind maximal 24 Monate (anstatt wie zuvor 18 Monate) angerechnet. 18 Die Kürzung des Steigerungsbetrags erfolgt schrittweise (2004: 1,96 %; 2005: 1,92 %; 2006: 1,88 %; 2007: 1,84 %; 2008: 1,80 %). Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 77
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Langzeitversicherte (45 Versicherungs- – Ausweitung des Durchrechnungs- jahre) und Schwerarbeiter sind von zeitraums auf das gesamte Er- der Kürzung des Steigerungsbetrags werbseinkommen (unter Umstän- und der Anhebung des Regelpensi- den >40 Jahre). onsalters ausgenommen. Weiters sind – Wiedereinführung einer Früh- die Einbußen infolge der Pensions- pensionsvariante, der so genann- reform durch eine Verlustdeckelung ten Korridorpension. In einem bis 2032 mit maximal 10 % begrenzt. Pensionskorridor zwischen 62 Diese Deckelung gilt aber nicht für und 68 Jahren kommen bei vor- Anspruchsverluste, die sich aus der zeitigem Pensionsantritt Ab- Neuregelung der Frühpensionen er- schläge bzw. bei späterem Pensi- geben. onsantritt Zuschläge in Höhe von 4,2 % pro Jahr zur Anwendung 3.3 Pensionsreform 2004 (bis zu einer Gesamthöhe von Die beiden Grundpfeiler dieser Pen- 15 % des Pensionsanspruchs für sionsreform waren die Verabschie- Abschläge bzw. 12,6 % für Zu- dung des für beinahe alle Berufsgrup- schläge). Die Korridorpension pen gültigen Pensionsharmonisie- kann nur bei Vorliegen von zu- rungsgesetzes und die Einrichtung mindest 37,5 anrechenbaren Ver- eines leistungsorientierten persön- sicherungsjahren in Anspruch ge- lichen Pensionskontos im Rahmen nommen werden. des umlagefinanzierten Pensionssys- – Valorisierung der bisherigen Bei- tems für nach dem 1. Jänner 1955 tragszahlungen mittels Aufwer- Geborene.19 Mit diesem Reform- tungsfaktor. Dieser entspricht schritt wurden die folgenden Ände- künftig der Wachstumsrate der rungen an den bestehenden Rege- Bruttodurchschnittslöhne.20 lungen vorgenommen: – Anpassung bestehender Pensio- – Einführung der Formel 45/65/80 nen nur noch entsprechend der für die Anspruchsberechtigung Inflationsrate (Wegfall der kom- im neuen System: Nach 45 Versi- plizierten Berechnung auf Basis cherungsjahren wird bei Errei- der Nettolohnanpassung). chen des Regelpensionsalters von – Senkung der Deckelung von An- 65 Jahren eine Pensionsleistung spruchsverlusten auf 5 % mit in Höhe von 80 % der Bemes- schrittweiser Anhebung auf 10 % sungsgrundlage zugestanden. Da- bis 2024. Dadurch werden jedoch mit wurde der im Zuge der Re- die durch die Pensionsreform 2003 form 2003 reduzierte Steige- erzielbaren Kosteneinsparungen rungsbetrag bei 1,78 belassen. teilweise wieder wettgemacht. 19 Das neue System der persönlichen Pensionskonten wurde u. a. auch als „notional defined benefit“-Modell bezeich- net, weil die leistungsorientierte Pensionszusage auf individuellen Pensionskonten erfasst wird. Terminologisch ist dies jedoch nicht ganz korrekt, weil derartige fiktive Pensionskonten per definitionem beitragsorientiert sind und daher streng genommen auch in einem umlagefinanzierten Pensionssystem nach dem „notional defined contribution“ (NDC)-Modell strukturiert sein müssten. Mit seinen leistungsorientierten Pensionskonten ist das österreichische Modell somit dem deutschen Entgeltpunktesystem weitaus ähnlicher als dem schwedischen Pensionskontensystem (Knell, 2005). Ähnlich wie in NDC-Systemen werden jedoch im neuen österreichischen System persönliche Konten geführt, in denen alle eingezahlten Beiträge (entsprechend aufgewertet) ausgewiesen sind. Ab 2007 hat die Pensionsversicherung auf Anfrage entsprechende Kontomitteilungen an die Versicherten zu schicken. 20 Genauer: jährliche Wachstumsrate der durchschnittlichen Beitragsgrundlage. 78 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen – Einführung eines einheitlichen 4 Fiskalische Beitragssatzes von 22,8 %; der Nachhaltigkeit von Selbstständigen und Bauern des österreichischen geleistete reduzierte Eigenbei- Pensionssystems tragssatz wird durch eine Aus- 4.1 Langfristige Projektionen gleichsleistung aus allgemeinen Die Projektionen in den Pensions- Steuergeldern aufgestockt. berichten des Ausschusses für Wirt- – Einführung eines Nachhaltigkeits- schaftspolitik (EPC) der Jahre 2001 faktors, durch den bei Abweichun- und 2006 veranschaulichen die mit gen wesentlicher demographischer dem Alterungsprozess der Bevölke- Faktoren von den Projektions- rung einhergehende zunehmende werten ein Anpassungsprozess in- Budgetbelastung in den Mitgliedstaa- gang gesetzt wird. Die Anpassung ten der EU-15. Die demographische der wichtigsten Parameter des Entwicklung verläuft in diesen Staa- Pensionssystems erfolgt jedoch ten grundsätzlich ähnlich, die daraus nicht automatisch, sondern im resultierenden Kosten (Pensionsauf- politischen Prozess.21 wendungen und andere demographie- Um das Vertrauen in das umlagefi- abhängige Ausgaben) variieren jedoch nanzierte staatliche Pensionssystem stark von Land zu Land. Die länder- in Österreich zu erhalten, unterliegen spezifischen Projektionen des Be- nur jene Personen zur Gänze den richts des Jahres 2006 der Entwick- neuen Bestimmungen der Pensions- lung des staatlichen Pensionsaufwands harmonisierung, die vor dem 1. Jän- wurden von den jeweiligen Mitglied- ner 2005 noch keine Pensionsansprü- staaten vorgelegt und basieren auf che erworben hatten. Für Personen, harmonisierten Annahmen über die die zu diesem Stichtag das 50. Le- Entwicklung der wichtigsten makro- bensjahr noch nicht erreicht hatten, ökonomischen Variablen, während erfolgt die Berechnung der Pensions- die Projektionen zur Entwicklung der ansprüche nach einer Kombination sonstigen demographieabhängigen aus alter und neuer Regelung (ent- Ausgaben (Bildungs- und Gesund- sprechend der jeweils vor bzw. nach heitsausgaben sowie Ausgaben für dem 1. Jänner 2005 erworbenen Ver- Altenpflege) von der Europäischen sicherungszeiten), während für über Kommission bereitgestellt wurden. 50-Jährige ausschließlich das alte Österreich verzeichnete demnach im System gilt. Jahr 2000 mit 14,5 % des BIP den Die Einführung der persönlichen höchsten realen Pensionsaufwand in- Pensionskonten zielt vor allem auf nerhalb der EU-15.22 Gemäß den eine Erhöhung der Transparenz und damaligen Projektionen (EPC, 2001) der aktuarischen Fairness des staatli- wäre der Pensionsaufwand bis 2035 chen Pensionsversicherungssystems; kontinuierlich auf 18,7 % des BIP diese Zielsetzungen werden aller- gestiegen und in der Folge bis 2050 dings durch die langen Übergangs- auf den im EU-15-Vergleich noch fristen abgeschwächt. immer hohen Wert von 17 % des BIP 21 Für eine Einschätzung dieses Nachhaltigkeitsfaktors, siehe Knell (2005). 22 In die Projektionen des EPC für Pensionsaufwendungen aus dem Jahr 2001 sind Verwaltungsausgaben einbezogen, in die Projektionen des Jahres 2006 hingegen nicht. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 79
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen gesunken.23 Derartig hohe und wach- gerechnet. Gemäß diesen jüngsten sende Pensionsaufwendungen hätten Projektionen ist Österreich das ein- eine beträchtliche Belastung in Bezug zige Land der EU-25, in dem – ohne auf die langfristige Tragfähigkeit der partiellen Umstieg auf ein privates öffentlichen Finanzen dargestellt. An- kapitalgedecktes System – der Pen- gesichts der gegebenen vergleichs- sionsaufwand in Prozent des BIP weise hohen Abgabenquote, der zu- merklich sinken dürfte. nehmenden Öffnung der Wirtschaft und dem internationalen Steuerwett- 4.2 Langfristige Tragfähigkeit der bewerb hätten adäquate Abgabener- öffentlichen Finanzen höhungen kaum politische Zustim- „Sustainability“ – also „Nachhaltig- mung gefunden. keit“ bzw. „langfristige Tragfähig- Der jüngste Bericht des EPC keit“ – wird in der ökonomischen („Impact of ageing populations on pu- Literatur unterschiedlich definiert. blic spending“, 2006) zeigt infolge Rein intuitiv kann ein budgetpoli- der projizierten Budgetentlastung tischer Kurs dann als langfristig trag- durch die drei erwähnten Pensionsre- fähig bezeichnet werden, wenn kein formen hingegen ein vergleichsweise Handlungsbedarf im Sinne einer positives Bild von der Entwicklung Kurskorrektur gegeben ist. Nachhal- des Pensionsaufwands in Österreich. tigkeitsanalysen dienen dazu aufzu- Ausgehend von Pensionsaufwendun- zeigen, ob der eingeschlagene Bud- gen in Höhe von 13,4 % des BIP im getkurs unbegrenzt beibehalten wer- Jahr 2004 – die dritthöchsten im den kann, ohne dass die öffentlichen Vergleich der EU-25 – zeigen die Pro- Schulden explodieren, bzw. ob die jektionen für Österreich nunmehr Regierung mit einnahmen- oder aus- einen Rückgang der Pensionsaufwen- gabenseitigen Maßnahmen gegensteu- dungen um 1,2 Prozentpunkte auf ern müsste, um letztendlich nicht in 12,2 % des BIP bis 2050. Trotz adap- die Situation zu kommen, die Staats- tierter Modellannahmen und einer schulden eventuell nicht mehr bedie- nunmehr erwarteten geringeren Zu- nen zu können. Die Tragfähigkeit der nahme der Altenquote24 geht ein Gut- öffentlichen Finanzen ist offenkundig teil der Verbesserung im Vergleich zu dann nicht mehr gegeben, wenn die den im Jahr 2001 projizierten Ent- Schuldenquote ein Ausmaß erreicht wicklungen auf die Pensionsreformen hat, bei dem sich für die staatlichen zurück. Durch die vorgesehene An- Anleihen keine Käufer mehr finden. hebung des effektiven Pensionsan- Allerdings lässt sich ex ante der trittsalters und die Anpassung der Grenzwert, ab dem Investoren da- Pensionsansprüche an ein aktuarisch vor zurückschrecken, Anleihen eines faireres System wird mit einem ge- Staats zu kaufen, nicht festlegen. ringeren Ansteigen der diesbezüg- Nachhaltigkeitsanalysen veranschau- lichen künftigen Budgetbelastung und lichen durch das Aufzeigen der lang- mit einer verbesserten Tragfähigkeit fristig zu erwartenden Schuldendyna- der österreichischen Staatsfinanzen mik bei gegebener Ausrichtung der 23 Die Entwicklung des Pensionsaufwands im Zeitverlauf steht vor allem im Zeichen des Pensionsantritts und vor- aussichtlichen Pensionsabgangs der geburtenstarken Jahrgänge. 24 In den Projektionen des EPC aus dem Jahr 2001 wurde die Altenquote für das Jahr 2050 auf 54 % geschätzt, in den Projektionen des Jahres 2006 jedoch nur noch auf 52 %. 80 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Fiskalpolitik zumindest, ob die Schul- auf Basis langfristiger Projektionen denquote eines Staats tendenziell beurteilt wird, die mit großen Un- sinkt, steigt oder stabil bleibt. sicherheiten behaftet sind.26 Zudem Eine einheitliche theoretische De- wirft auch die statistische Definition finition der langfristigen Tragfähig- der Hauptvariablen, anhand derer die keit bzw. nachhaltigen Entwicklung langfristige Tragfähigkeit beurteilt der öffentlichen Finanzen existiert werden soll, Probleme auf. Theore- nicht (Balassone und Franco, 2000). tisch müsste die Analyse bei der Net- In der Fachliteratur finden sich min- toverschuldung des Staats ansetzen, destens drei verschiedene Interpreta- also bei den Verbindlichkeiten des tionen dieses Begriffs. Domar (1944) Staats abzüglich seiner Forderungen. geht in seiner Definition davon aus, Da jedoch nur unzureichende Daten dass die Schuldenquote eines Staats zum staatlichen Vermögen vorliegen, gegen einen endlichen Wert konver- werden diese Berechnungen nähe- gieren muss, da die Abgabenquote rungsweise auf Basis der Bruttover- nicht unendlich wachsen kann. Nach schuldung durchgeführt. Buiter (1985), Blanchard (1990) und Zur Beurteilung der Entwicklung Blanchard et al. (1990) bedingt das der langfristigen Belastung der öf- Konzept der Nachhaltigkeit hingegen fentlichen Finanzen durch die Ver- eine Rückführung der Schuldenquote schiebung der Altersstruktur wurden in Richtung ihres Ausgangsniveaus. einfache Nachhaltigkeitsindikatoren Von Blanchard (1990) und Blanchard („synthetic sustainability indicators“), et al. (1990) stammt schließlich die wie die von der Europäischen Kom- These, dass Nachhaltigkeit dann ge- mission verwendeten Indikatoren S1 geben ist, wenn der abgezinste Bar- und S2, vorgeschlagen. Auf Basis wert aller künftigen Primärüber- langfristiger Projektionen der Ver- schüsse dem gegenwärtigen Schul- schuldungsdynamik lässt sich mit denstand entspricht; daraus folgt, diesen Indikatoren der Konsolidie- dass die abgezinste Schuldenquote rungsbedarf aufzeigen, der für die gegen null geht.25 Es gibt somit keine Sicherung der Nachhaltigkeit (zu alleingültige theoretische Benchmark einem bestimmten Zeitpunkt) not- für die Interpretation dessen, was wendig ist. langfristige Tragfähigkeit bedeutet. Der erste Indikator (S1) – ab- Jedoch decken sich die drei erwähnten geleitet von der intertemporalen Bud- Definitionen insofern, als sie alle auf getrestriktion mit finitem Zeithori- die Feststellung hinauslaufen, dass zont – misst die Differenz zwischen eine ständig steigende Schuldenquote der aktuellen Steuerquote und jener dem Prinzip der Nachhaltigkeit wi- konstanten Steuerquote, die notwen- derspricht. In operationaler Hinsicht dig wäre, um die Schuldenquote am kommt erschwerend hinzu, dass die Ende des festgelegten Betrachtungs- Nachhaltigkeit von Entwicklungen zeitraums auf einen bestimmten 25 Eine nähere Erläuterung der Zusammenhänge zwischen den einzelnen Definitionen findet sich bei Balassone und Franco (2000). 26 Die Ergebnisse werden sowohl von den Annahmen über demographische Entwicklungen, über die langfristige Entwicklung volkswirtschaftlicher Indikatoren (Produktivität und BIP-Wachstum) sowie die zu erwartende Budgetbelastung durch die projizierten demographieabhängigen Ausgaben beeinflusst. Hinzu kommen mögliche Effekte von Strukturreformen, die möglicherweise ebenfalls das Potenzialwachstum oder die Budgetentwicklung bestimmter Ausgabenkategorien beeinflussen. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 81
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Wert, z. B. 60 % des BIP, zu bringen. 2050 hinaus, eine nicht nachhaltige Im konkreten Fall gibt S1 die Diffe- Entwicklung aufweist (Langenus, renz zwischen der aktuellen Steuer- 2006).29 quote Österreichs und der Steuer- Der zweite Indikator (S2) ver- quote an, die notwendig wäre, um – anschaulicht die intertemporale Bud- unter der Annahme, dass die demo- getrestriktion der Regierung bei graphieabhängigen Ausgaben27 den einem infiniten Betrachtungshori- langfristig projizierten Entwicklun- zont. S2 misst die Differenz zwischen gen entsprechen, während die ande- der aktuellen Steuerquote und der ren, demographieunabhängigen Aus- Steuerquote, die notwendig wäre, da- gaben in Prozent des BIP konstant mit die aktuelle Schuldenquote30 und gehalten werden – im Jahr 2050 einen der abgezinste Barwert aller künf- Schuldenstand von 60 % des BIP zu tigen Primärsalden einander entspre- erreichen. Ein positiver S1-Wert sig- chen, wobei wiederum von einer nalisiert einen bestehenden Konsoli- Entwicklung der Primärausgaben- dierungsbedarf, das heißt, dass bei quote im Sinn der langfristigen Pro- dem eingeschlagenen budgetpoli- jektionswerte für die demographie- tischen Kurs die Erreichung der 60- abhängigen Ausgaben und der Kons- Prozent-Marke für die Schuldenquote tanthaltung der demographieunab- im Jahr 2050 nicht garantiert ist. Zur hängigen Ausgaben in Prozent des Sicherung der fiskalischen Nachhal- BIP ausgegangen wird. Der Wert von tigkeit bedarf es demnach einer Ver- S2 hängt vom Zins-Wachstums-Dif- besserung des Primärsaldos.28 Aller- ferenzial bzw. vom Diskontfaktor ab, dings ist durch Maßnahmen zur von der Höhe und der Struktur der Schließung der festgestellten Steuer- demographieabhängigen und -unab- lücke – also durch eine etwaige sofor- hängigen Ausgaben sowie von der tige Anhebung der aktuellen Steuer- aktuellen Bruttoverschuldung und quote auf das vom Indikator ange- von der aktuellen Steuerquote. Das zeigte Niveau – nur gewährleistet, Risiko einer ungünstigen Schulden- dass die die langfristige Tragfähigkeit dynamik nach Ende des Analysezeit- definierende Zielgröße am Ende des raums ist bei S2 angesichts des infini- jeweiligen Betrachtungshorizonts er- ten Analysehorizonts nicht gegeben. reicht wird; hinsichtlich der weiteren Allerdings definiert dieser Ansatz Entwicklung nach diesem Betrach- fiskalische Nachhaltigkeit extrem tungszeitraum wird keine Aussage restriktiv, fordert er doch de facto gemacht. Somit ist selbst bei einem gegen null gehende diskontierte negativen S1-Wert nicht auszuschlie- Staatsschulden. ßen, dass der Staatshaushalt „sehr Laut der Europäischen Kommis- langfristig“ betrachtet, d. h. über sion (2005) sind die synthetischen 27 Dabei handelt es sich um die projizierten Pensionsausgaben, sowie Ausgaben für Bildung, für Gesundheit und Altenpflege, aber auch Arbeitslosigkeit. 28 EineVerbesserung des Primärsaldos lässt sich allerdings sowohl einnahmen- als auch ausgabenseitig erzielen. 29 Bei diesem Ansatz wird jegliche Information über die weitere Entwicklung des Primärsaldos nach dem Zieljahr ignoriert. Die Wahl des Zeithorizonts unterliegt einem „trade-off“: Einerseits sollte der Zeithorizont hinreichend lang gewählt werden, um alle relevanten künftigen Einflussfaktoren auf den Primärsaldo einzubeziehen, anderer- seits kurz genug, um die mit dem Zeithorizont zunehmenden Unsicherheiten zu minimieren. 30 Die Europäische Kommission verwendet noch einen dritten Indikator, der einen von S2 abgeleiteten Soll-Primär- saldo angibt. In der vorliegenden Studie wird dieser Indikator aber nicht verwendet. 82 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Indikatoren S1 und S2 nur als grobe 4.3 Auswirkung der öster- Näherungswerte für die Nachhaltig- reichischen Pensionsreformen keitslücke zu interpretieren. Die Auf- auf die Nachhaltigkeit der merksamkeit sollte sich vor allem auf öffentlichen Finanzen die Vorzeichen und die Größenord- Die vorliegende Nachhaltigkeitsana- nung der Indikatoren richten, nicht lyse der öffentlichen Finanzen basiert jedoch auf den genauen Wert, weil auf den Projektionswerten der EPC- dieser naturgemäß sehr stark von den Berichte 2001 bzw. 2006 für die Projektionswerten für die Staats- demographieabhängigen Ausgaben. schuld (abgeleitet auf Basis von par- Darunter sind staatliche Aufwen- tiellen Gleichgewichtsanalysen) und dungen für Pension, Gesundheits- im Fall von S2 vom gewählten Dis- und Pflegewesen, Bildungswesen und kontfaktor abhängt. So gesehen signa- Arbeitslosenunterstützung zu verste- lisieren diese Indikatoren „nur“, ob es hen.31 Als Pensionsaufwand wurde einen Konsolidierungsbedarf gibt (ab- dabei für Österreich der Pensionsauf- zulesen am Vorzeichen) und ob eine wand im Rahmen der staatlichen Konsolidierung ohne große Struktur- Pflichtversicherung inklusive der Be- reformen möglich ist (abzulesen an amtenpensionen einbezogen (aller- der Größenordnung des Indikators). dings ohne Ausgleichszulagen, die zur Die Entwicklung der Schuldendyna- Sicherung eines Mindesteinkommens mik hängt jedoch in hohem Maß vom im Ruhestand gewährt werden und Wert des Primärsaldos zu Beginn der derzeit rund 0,4 % des BIP betragen, Projektionsperiode ab. Daher sind und für 2006 ohne administrative die jeweiligen Projektionswerte für Ausgaben). die Entwicklung des Schuldenstands Im Basisszenario (Tabelle 1, Pensi- keinesfalls als Prognosen im engeren onsaufwand lt. EPC (2006)) wird von Sinn zu verstehen. Vielmehr sind den Gegebenheiten der gesamtstaatli- diese Indikatoren ein Instrumenta- chen Budgetentwicklung des Jahres rium in der wirtschafts- und struk- 2005 ausgegangen, d. h., die Einnah- turpolitischen Debatte, die im Ideal- menquote und die demographieunab- fall zeitliche und quantitative An- hängigen Ausgaben in Prozent des haltspunkte für einen eventuellen BIP werden für den gesamten Pro- budgetpolitischen Handlungsbedarf jektionszeitraum auf dem Niveau des aufzeigen (Giammarioli et al., 2006). Jahres 2005 konstant gehalten. Für die demographieabhängigen Ausga- ben gilt die im EPC-Bericht 2006 dargestellte Entwicklung.32 31 Die Projektionswerte für alle demographieabhängigen Ausgaben mit Ausnahme des Pensionsaufwands stammen von der Europäischen Kommission. Die Schätzung des Pensionsaufwands verblieb bei der Erstellung der EPC-Be- richte in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten der EU. Die österreichspezifischen Pensionsausgaben- Projektionen wurden dementsprechend vom Bundesministerium für Finanzen bereitgestellt und in der Ageing Working Group des EPC begutachtet („peer review“). 32 Hauptdatenquellen sind die Tabellen 3.3, 4.13, 5.18, 6.9 sowie 7.2 des EPC-Berichts 2006 bzw. das Österreich- Kapitel des statistischen Anhangs zu diesem Bericht. Die vorliegende Studie stützt sich auch im Hinblick auf die Wirtschaftsentwicklung (BIP-Wachstum, Zinsniveau) auf den EPC-Bericht, insbesondere auf das Österreich- Kapitel im statistischen Anhang. Das nominelle Zinsniveau wird für den gesamten Projektionszeitraum als konstant bei 5 % unterstellt, während die BIP-Wachstumsraten je nach geschätzter Beschäftigungslage und Produktivität variieren. Fehlende Jahresdaten wurden durch Interpolation von Fünf-Jahres-Daten generiert. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 83
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Tabelle 1 Alternativszenarien für die Schuldendynamik Bruttoverschuldung in % des BIP 2005 2008 2010 2020 2030 2040 2050 Szenario 2005 Basisszenario (Pensionsaufwand lt. EPC (2006)) 62,9 59,6 56,3 40,1 38,8 47,2 50,4 Zinssatz +1 Prozentpunkt 62,9 61,4 59,3 48,9 54,4 72,2 88,2 Zinssatz –1 Prozentpunkt 62,9 57,8 53,5 32,6 26,8 30,1 27,1 Pensionsaufwand lt. EPC (2001) 62,9 64,3 65,2 79,6 126,1 201,0 285,7 Variierende Beitragsleistung 62,9 59,7 56,5 40,1 41,4 55,2 65,3 Szenario 2008 Basisszenario (Pensionsaufwand lt. EPC (2006)) x 59,5 54,0 25,3 8,6 -0,9 -19,1 Variierende Beitragsleistung x 59,5 53,9 24,6 9,8 5,0 -7,3 Quelle: Statistik Austria, Stabilitätsprogramm November 2005, OeNB-Berechnungen auf Basis der in den Berichten des EPC publizierten österreichspezifischen demographiebedingten Ausgaben- bzw. Einnahmenquoten: EPC (2001, Tabelle 3.5); EPC (2006, Tabellen 3.3, 3.24, 4.13, 5.18, 6.9, 7.6 und Österreich-Tabelle im statistischen Anhang). Anmerkung: Szenario 2005: Im Basisszenario wird unterstellt, dass die demographieunabhängigen Ausgaben- und Einnahmenquoten auf dem Niveau von 2005 bleiben, während sich die demographieabhängigen Ausgaben wie im EPC-Bericht 2006 dargestellt entwicklen. Beim Alternativszenario Zinssatz +/–1 Prozentpunkt wird der Effekt eines Zinsrückgangs bzw. -anstiegs um 1 Prozentpunkt gegenüber dem Basisszenario veranschaulicht. Das Szenario Pensionsaufwand laut EPC-Bericht 2001 basiert auf den im Jahr 2001 vom EPC vorgelegten Projektionswerten für die Pensionsausgaben. Im Szenario mit variierender Beitragsleistung werden die im EPC-Bericht 2006 projizierten Beitragswerte heran- gezogen (während das Basisszenario von einer konstanten Einnahmenentwicklung ausgeht). Alle Szenarien mit dem Ausgangsjahr 2005 beruhen auf dem Budget- und Schuldenstand des Jahres 2005. Für das Szenario 2008 wurden die im Stabilitätsprogramm November 2005 für das Jahr 2008 angepeilten Budgetdaten als Startwerte genommen. Auf Basis dieser Annahmen er- Ohne die jüngsten Pensionsre- möglicht die Berechnung der Schul- formen würde sich jedoch eine gänz- dendynamik, ausgehend vom Schul- lich andere Schuldendynamik zeigen. denstand des Jahres 2005, Aussagen Eine leichte Adaptierung des „Szena- darüber, wie stark die demographie- rios 2005“ durch die Substitution der abhängigen Ausgaben – bei unverän- jüngsten Projektionen für den Pensi- derter Rechtslage – den öffentlichen onsaufwand durch den im EPC-Be- Haushalt künftig belasten werden. richt 2001 publizierten Pensionsauf- Bei den gegebenen Annahmen des wand zeigt, dass Österreichs Schul- Basisszenarios weist die Schulden- denquote einen explosiven Schulden- quote, ausgehend vom Wert von pfad aufweisen würde (Tabelle 1, 62,9 % des BIP im Jahr 2005, im Ver- Pensionsaufwand lt. EPC (2001)). Bei lauf der nächsten zwei Jahrzehnte einer gegenüber dem Basisszenario einen sinkenden Trend auf. Danach unveränderten demographieunabhän- kommt es infolge des Pensionsantritts gigen Ausgaben- und Einnahmensitu- der geburtenstarken Jahrgänge zu ation hätte der zu erwartende, ver- einem Anstieg der Schuldenquote. gleichsweise höhere Pensionsaufwand Letztlich sollte diese im Jahr 2050 die Schuldenquote bis zum Jahr 2050 einen Wert von rund 50 % des BIP auf 285 % des BIP hinaufschnellen erreichen – eine Größenordnung, die lassen (Grafik 3 und Tabelle 1). bei der unterstellten Definition von Darüber hinaus wird mit zwei „langfristiger Tragfähigkeit“ bzw. Variationen des Basisszenarios in „Nachhaltigkeit“ (das Erreichen einer Tabelle 1 verdeutlicht, welche Aus- Schuldenquote von 60 % des BIP im wirkungen Nominalzinsänderungen Jahr 2050) nicht weiter bedenklich – konkret eine Zinsänderung um ist. 1 Prozentpunkt, also ein Nominal- zinsniveau von 4 % bzw. 6 % – auf 84 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Grafik 3 Schuldendynamik in % des BIP 300 250 200 150 100 50 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 Pensionsaufwand (Projektion) lt. EPC (2006) Pensionsaufwand (Projektion) lt. EPC (2001) Quelle: Statistik Austria, OeNB-Berechnungen basierend auf EPC (2006) und EPC (2001). die Schuldendynamik haben würde Beitragsleistung) wird dieser Grenz- (Zinssatz ±1 Prozentpunkt). In einem wert hingegen deutlich überschrit- weiteren Alternativszenario wird die ten. Annahme einer auf dem Jahreswert In den beiden Vergleichsszenarien 2005 konstant gehaltenen Einnah- mit dem Ausgangsjahr 2008 werden menquote fallengelassen und eine die demographieunabhängigen Ein- variierende Beitragsleistung entspre- nahmen- und Ausgabenquoten kons- chend der im EPC-Bericht 200633 tant auf dem im Stabilitätsprogramm publizierten Entwicklung der Sozial- vom November 2005 für das Jahr versicherungsbeiträge unterstellt; an- 2008 angepeilten Niveau gehalten. sonsten gelten jedoch die Basisszena- Die Annahmen zu Zins-Wachstums- rio-Annahmen. Damit wird dem Differenzial und Pensionsaufwand Strukturwandel bzw. den Ände- decken sich (bis auf den späteren rungen auf dem Arbeitsmarkt besser Startpunkt) mit den Annahmen des Rechnung getragen, weil nicht nur Basisszenarios 2005. Da das „Szena- Ausgaben, sondern auch Einnahmen rio 2008“ laut Stabilitätsprogramm demographieabhängig sind.34 So gese- von einem Nulldefizit ausgeht, star- hen handelt es sich dabei um das der ten die jeweiligen Schuldenprojekti- Realität am ehesten entsprechende onen aber unter vergleichsweise güns- Szenario dieser stark stilisierten Be- tigeren Vorzeichen, wodurch sich trachtungen. Die so ermittelte Schul- letztlich sogar negative Schulden- denquote liegt nur im Szenario Zins- stände ergeben – ein Ergebnis, das satz –1 Prozentpunkt mit 27,1 % des den hypothetischen Modellcharakter BIP im Jahr 2050 weit unter dem dieser langfristigen Projektionen ver- Referenzwert von 60 % des BIP; in deutlicht. In der Praxis sind derartige den beiden anderen Szenarien (Zins- Werte nämlich höchst unrealistisch, satz +1 Prozentpunkt bzw. variierende da die demographieunabhängigen Aus- 33 Siehe Tabelle 3.24 des EPC-Berichts und die Österreich-Tabelle im Berichtsanhang. 34 Im Projektionszeitraum ist mit einer Abnahme der Beamtenstellen zu rechnen. Allerdings unterlagen die Beitrags- zahlungen der Beamten zur Sozialversicherung bis zur Pensionsharmonisierung keiner Höchstbemessungsgrund- lage, womit ihre Beiträge vergleichsweise höher ausfielen. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 85
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen Tabelle 2 Synthetische Nachhaltigkeitsindikatoren der Europäischen Kommission S1 S2 Szenario 2005 Basisszenario (Pensionsaufwand lt. EPC (2006)) -0,1 0,0 Zinssatz +1 Prozentpunkt 0,3 0,5 Zinssatz –1 Prozentpunkt -0,6 -0,5 Pensionsaufwand lt. EPC (2001) 3,4 4,2 Variierende Beitragsleistung 0,1 0,4 Szenario 2008 Basisszenario (Pensionsaufwand lt. EPC (2006)) -1,3 -1,1 Variierende Beitragsleistung -1,1 -0,8 Quelle: OeNB-Berechnungen basierend auf den vom EPC (2001 und 2006) publizierten Projektionen der demographieabhängigen Ausgaben- bzw. Einnahmenquoten und der darauf basierenden Darstellung der Schuldendynamik in Tabelle 1. Anmerkung: S1 zeigt die Nachhaltigkeitslücke bei einer für 2050 angepeilten Schuldenquote von 60 % des BIP. S2 veranschaulicht den Konso- lidierungsbedarf im Zusammenhang mit den intertemporalen Budgetrestriktionen. Ein positiver Wert signalisiert Konsolidierungs- bedarf, während null oder ein negativer Wert den öffentlichen Finanzen langfristige Tragfähigkeit – bezogen auf die gewählten Annahmen – attestiert. Für die Szenarien gelten die in Tabelle 1 angeführten Anmerkungen. gaben- und Einnahmenquoten im Fall Das Basisszenario 2005 ergibt nun- eines hohen Budgetüberschusses und mehr einen negativen Wert für S1 einer stark rückläufigen Verschul- und S2, das heißt, es besteht – bei den dung wohl kaum konstant bleiben unterstellten Annahmen – kein wei- werden. terer Handlungsbedarf. Unter der Wie Tabelle 2 zeigt, erfolgt die Annahme eines Zinsrückgangs fällt Beurteilung der langfristigen Tragfä- das Ergebnis noch deutlicher aus higkeit auf Basis der Berechnung der (Zinssatz –1 Prozentpunkt). Bei weniger Nachhaltigkeitsindikatoren S1 und günstigen Finanzierungsbedingungen S2. Es zeigt sich, dass die fiskalische hingegen (Zinssatz +1 Prozentpunkt) Nachhaltigkeit in Österreich ohne die signalisiert das Vorzeichen von S1 und jüngsten Pensionsreformen nicht ge- S2 einen weiteren Konsolidierungs- geben gewesen wäre (Pensionsaufwand bedarf (in Höhe von rund 0,5 % des lt. EPC (2001)). Die zwei Indikatoren BIP). Weiteren Konsolidierungsbe- S1 und S2 signalisieren eine positive darf signalisieren die Nachhaltig- Nachhaltigkeits- bzw. Steuerlücke keitsindikatoren jedoch auch, wenn von ähnlicher Größenordnung: die die Annahme einer konstanten Ein- Nachhaltigkeit wäre ohne Reformen nahmenquote zugunsten einer vari- nur über dauerhafte Mehreinnahmen ierenden Beitragsleistung aufgegeben oder sofortige dauerhafte Einspa- wird: Der auf Basis des Alternativsze- rungen im Ausmaß von mindestens narios mit variierender Beitragsleistung 3,4 % des BIP (S1) zu erzielen gewe- berechnete Indikator S2 zeigt einen sen. Da mit den Pensionsreformen Handlungs- bzw. Konsolidierungs- seit dem Jahr 2000 jedoch künftig bedarf im Ausmaß von 0,4 % des Einsparungen verbunden sein wer- BIP an. den, fällt die im Basisszenario 2005 Wie schon die Entwicklung der geschätzte Belastung der öffentlichen Schuldendynamik zeigte, wäre durch Finanzen durch die Bevölkerungsal- die konsequente Umsetzung der terung – ausgehend vom im EPC-Be- mittelfristigen Konsolidierungspläne richt 2006 geschätzten Pensionsauf- entsprechend den Vorgaben des Sta- wand – vergleichsweise gering aus. bilitätsprogramms vom November 86 ◊ Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06
Jüngste Pensionsreformen in Österreich und ihre Auswirkungen auf fiskalische Nachhaltigkeit und Pensionsleistungen 2005 das Risiko minimiert, auf eine werden diesem Trend aber entgegen- langfristig nicht tragfähige Fiskalent- wirken. Das EPC prognostiziert mit wicklung zuzusteuern. Ausgehend –43,3 % einen deutlichen Rückgang von einem Nulldefizit im Jahr 2008 des Anteils der Pensionistenquote zeigen beide Szenarien mit dem Aus- („take-up ratio“ – Anteil der Pensi- gangsjahr 2008 negative Werte für S1 onsbezieher an der Altersgruppe 65+) und S2, d. h. auch im Falle variie- sowie einen ebenso deutlichen Rück- render Beitragsentwicklung. gang des Pensionsniveaus („benefit Zusammenfassend lässt sich fest- ratio“ – Durchschnittspension in stellen, dass die Nachhaltigkeitsindi- Relation zum BIP pro Erwerbstäti- katoren bestätigen, dass die Belastung gen)35 um –32,3 %, was zusammen der öffentlichen Haushalte infolge der mit der höheren Erwerbsquote den Bevölkerungsalterung und die daraus Anstieg der Altenquote mehr als resultierenden Risiken für die lang- wettmachen dürfte. Im EU-15- fristige Tragfähigkeit der öffentlichen Durchschnitt sind diese zwei gegen- Finanzen mit den jüngsten Pensions- läufigen Effekte – höheres Pensions- reformen in Österreich reduziert antrittsalter und niedrigere Pensions- werden konnten. Allerdings soll bezüge – zwar auch ersichtlich, aber nochmals hervorgehoben werden, deutlich weniger stark ausgeprägt. dass über einen Zeitraum von 20 bis Im Basisszenario des EPC-Re- 30 Jahren hinausgehende Bevölke- ports wird unterstellt, dass die Er- rungsprognosen einen erheblichen werbsquote älterer Arbeitnehmer Unsicherheitsfaktor enthalten, und (55 bis 64) in Österreich von 32 % dass in den vorliegenden Projektionen auf knapp 60 %, also etwas über den des Pensionsaufwands die Aufwen- EU-15-Durchschnitt ansteigen wird dungen für Ausgleichszulagen nicht (Grafik 2). Diese Annahme erscheint enthalten sind. nicht unrealistisch, wenn man be- denkt, dass dies im Jahr 2050 ein 5 Hauptgründe für die durchschnittliches Pensionsantrittsal- Verbesserung der ter von rund 61,5 Jahren impliziert – fiskalischen Nachhaltigkeit ein Wert, der bis in die Siebzigerjahre Anhand einer vom EPC durchgeführ- der Regelfall war. Allerdings sind ten Zerlegung lässt sich feststellen, diese Prognosen mit Unsicherheiten welche Faktoren hauptsächlich für die behaftet. Außerdem erlauben es die Änderungen beim Pensionsaufwand vorhandenen Daten nicht, weiterge- verantwortlich sind. Die Ergebnisse hende Aussagen über die einzelnen dieser Zerlegung (dargestellt in Ta- Faktoren beim Rückgang der Pensio- belle 3) weisen darauf hin, dass die nistenquote zu machen, also darüber, Altenquote in Österreich aufgrund ob dieser Rückgang auf eine allge- der Veränderung der Bevölkerungs- meine Anhebung des Pensionsan- struktur bei sonst gleichen Parame- trittsalters zurückzuführen ist oder tern um 84,5 % steigen würde. Die im Wesentlichen auf bestimmte Be- Auswirkungen der Pensionsreformen reiche, wie Invaliditätspensionen oder und erwartete Verhaltensänderungen Beamtenpensionen, beschränkt ist. 35 Siehe Tabelle 3. In der Literatur und auch in der englischenVersion des vorliegenden Artikels wird öfters zwischen „benefit ratio“ und „pension level“ unterschieden. Da die beiden Kennzahlen sehr ähnlich sind (Kasten 1), sprechen wir in der deutschen Fassung hier einheitlich von „Pensionsniveau“. Geldpolitik & Wirtschaft Q2/06 ◊ 87
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