Wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise auf die österreichische E- Wirtschaft - Studie
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise auf die österreichische E- Wirtschaft Studie ENDBERICHT VerfasserInnen: Christoph Dolna-Gruber Alexander Harrucksteiner Andreas Hirtl Karina Knaus Auftraggeber: Oesterreichs Energie Datum: Wien, 8. Juni 2020
IMPRESSUM Herausgeberin: Österreichische Energieagentur – Austrian Energy Agency GmbH, FN 413091m Mariahilfer Straße 136, A-1150 Wien, T. +43 (1) 586 15 24, Fax DW 340 office@energyagency.at | www.energyagency.at Für den Inhalt verantwortlich: DI Peter Traupmann | Gesamtleitung: Karina Knaus, PhD | Lektorat: Mag. Bao-An Phan Quoc, BA | Layout: Mag. Bao-An Phan Quoc, BA | Herstellerin: Österreichische Energieagentur – Austrian Energy Agency GmbH | Verlagsort und Herstellungsort: Wien Nachdruck nur auszugsweise und mit genauer Quellenangabe gestattet. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Die Österreichische Energieagentur GmbH hat die Inhalte der vorliegenden Publikation mit größter Sorgfalt recherchiert und dokumentiert. Für die Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität der Inhalte können wir jedoch keine Gewähr übernehmen.
Executive Summary Das Coronavirus hat weitreichende und schwerwiegende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Österreich. Die Rezession ist gewiss, ihr Ausmaß noch nicht. Der Tenor unter Ökonominnen und Ökonomen ist, dass eine wirtschaftliche Rezession eintreten wird. Dies ist allen Wirtschaftsprognosen gemeinsam. Die Unterschiede resultieren aus divergierenden Annahmen zur Dauer und Intensität der Krise. Wesentlich dafür sind die Effektivität der Maßnahmen, sowohl punkto Viruseindämmung als auch Stimulierung der Konjunktur (McKinsey & Company 2020). Der Verlauf der Rezession wird in Österreich weitgehend von der wirtschaftlichen Entwicklung in anderen Ländern beeinflusst, insbesondere bei den wichtigen Handelspartnern Deutschland, Italien und den USA. In einem optimistischen Narrativ erfolgt in allen betroffenen Ländern eine rasche und effektive Eindämmung des Coronavirus (1) und die Lockerung der Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens erfolgt innerhalb weniger Wochen. Besonders betroffene Sektoren werden mit wirtschaftlichen Maßnahmen unterstützt und die Wirtschaft erholt sich rasch auf ein Niveau vor dem Ausbruch der Pandemie („V“- Rezession). Studien, die diesem Narrativ folgen, rechnen mit einem Einbruch des Wirtschaftswachstums von -2,0 % bis -4,0 % im Jahr 2020 und mit einer Erholung von knapp 3,0 % im Jahr 2021. Ein pessimistisches Narrativ geht davon aus, dass die Eindämmung der globalen Pandemie nur kurzfristig gelingt und dass es durch die Lockerung dieser Maßnahmen zu einem erneuten Anstieg der weltweiten Covid- 19-Fälle kommt (2). Auch wenn eine österreichische umsichtige Handhabung einer zweiten Infektionswelle III
einen neuerlichen generellen Lockdown vermeiden könnte, geht ein pessimistisches Narrativ jedenfalls von einer länger anhaltenden „U“-Rezession aus. In diesem Fall kann es zu einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von -7,5 % kommen (Baumgartner, et al. 2020). Wenn man zusätzlich auch in Österreich von einem zweiten längeren Lockdown ausgeht, dann wäre im pessimistischen Narrativ mit noch höheren Einbrüchen im Wirtschaftswachstum zu rechnen. Mit einer Rückkehr zum Vorkrisenniveau ist in diesem Narrativ erst ab 2022 zu rechnen. Als weniger wahrscheinlich gilt derzeit ein Worst-Case-Szenario, in dem eine nachhaltige Eindämmung des Coronavirus nicht gelingt (3) und die konjunkturbelebenden Maßnahmen nur begrenzt wirksam werden. Zusätzlich weitet sich die Pandemie auf Länder aus, die bisher weniger vom Coronavirus betroffen waren. Dies führt zu einem Überschwappen der Wirtschaftskrise auf den Finanz- und Bankensektor und einer nachhaltigen „L“-Rezession. In den bis Ende Mai veröffentlichten Studien gibt es für Österreich keine derartigen Worst-Case- Szenarien. Angebots- und Nachfrageschock treffen die Volkswirtschaft und somit die E-Wirtschaft hart. Ein Novum dieser corona-induzierten Wirtschaftskrise ist das gleichzeitige Auftreten eines Nachfrage- und Angebotsschocks. Der Angebotsschock entsteht aufgrund von unterbrochenen (globalen) Lieferketten, Grenzkontrollen, Produktionsstilllegungen und behördlichen Schließungen. Nachfragelimitierende Effekte sind auf eine steigende Arbeitslosigkeit und die somit sinkende Kaufkraft, aber auch auf eine gedämpfte Nachfrage nach Exportgütern zurückzuführen (WIFO 2020a). Die E-Wirtschaft ist sowohl vom Nachfrage- als auch vom Angebotsschock betroffen, weil die Nachfrage nach Elektrizität durch Containment-Maßnahmen stark gesunken ist. Die Containment-Maßnahmen haben zur Folge, dass der finanzielle Spielraum von Haushalten und Unternehmen kleiner wird, eventuell Liquiditätsengpässe auftreten. Die E-Wirtschaft ist als Lieferant von Elektrizität davon betroffen. Umsatzeinbrüche entlang der gesamten Wertschöpfungskette Durch den mit der Coronakrise einhergehenden Verbrauchsrückgang und Preisverfall sind praktisch die gesamten Geschäftsbereiche der österreichischen E-Wirtschaft negativ betroffen. Besonders im Stromgroßhandel beschleunigte sich der bereits im Feber 2020 einsetzende Preisrückgang in den kurzfristigen Märkten (Day-Ahead-Markt), mit einem unmittelbaren Erlöseffekt auf Stromerzeuger. An den Endkundenmärkten führt der Absatzrückgang mit steigender Dauer der Einschränkungen zu entsprechenden wirtschaftlichen Herausforderungen im Vertrieb, aber auch im Netzbereich. Nach dem Erstrundeneffekt weitere negative wirtschaftliche Folgen Nach diesen unmittelbar wirksamen Effekten sind weitere negative Auswirkungen zu erwarten, etwa Zahlungsausfälle und Liquiditätsrisiken bei KundInnen, aber auch Insolvenzen von Geschäftspartnern oder Finanzierungslücken bei der Ökostromförderung. Die Coronakrise wird auch in den Bilanzen der Unternehmen sichtbar sein. Die letzte Wirtschafts- und Finanzkrise hat sich in der E-Wirtschaft mit einem Minus von 12,0 % auf den Jahresüberschuss IV
1 niedergeschlagen. Im Jahr 2009 mussten einzelne Unternehmen bei ansteigenden Umsatzerlösen sogar einen negativen Jahresüberschuss hinnehmen. Daher ist davon auszugehen, dass 2020 für die österreichische E- Wirtschaft wirtschaftlich sehr herausfordernd wird. Sollten pessimistischere Szenarien Realität werden und die österreichische Volkswirtschaft nur gering und mit starker Zeitverzögerung wachsen, werden auch die Jahre 2021 bzw. 2022 für die österreichische E-Wirtschaft von hohem ökonomischen Druck geprägt sein. Stromerzeugung: Marktwert sinkt um bis zu 1 Mrd. Euro Stromerzeuger sehen sich zwischen März und Mai 2020 im Großhandelsmarkt mit drastisch gesunkenen Preisen konfrontiert. Auch wenn die Höhe der Stromerzeugung in Österreich nicht direkt durch volkswirtschaftliche Faktoren wie das Wirtschaftswachstum bestimmt wird, sind für 2020 Umsatz- bzw. Erlösrückgänge aufgrund des Preisverfalls zu erwarten. Das aktuelle Preisniveau im Day-Ahead-Markt von 20 EUR/MWh liegt deutlich unter dem Jahresmittel 2019 von 40 EUR/MWh. Geht man davon aus, dass sich das Preisniveau für den Rest des Jahres auf einem niedrigen Niveau von 25 EUR/MWh einpendelt, würde der 2 Marktwert oder das Marktvolumen gegenüber 2019 – bei gleichbleibender Menge – erheblich sinken. Die gefallenen Terminmarktnotierungen haben darüber hinaus für die wirtschaftliche Bewertung des Erzeugungsportfolios in den Folgejahren eine negative Auswirkung. In einem optimistischen Szenario sinkt das Marktvolumen der Stromerzeugung gegenüber dem Vorjahr um 500 Mio. Euro (minus 20,0 %), in einem pessimistischen Szenario sogar um 970 Mio. Euro oder minus 38,0 % gegenüber 2019. Mögliche Lücke bei Ökostromfinanzierung Negative Effekte sind auch für den Ökostromförderbeitrag zu erwarten, der für die Finanzierung der Förderung von Anlagen für die Erzeugung von Strom auf Basis erneuerbarer Energiequellen relevant ist. Er wird jeweils ex- ante für das Folgejahr auf Basis von Prognosen festgelegt. Da die Prognose angesichts der bisherigen Entwicklungen des Jahres und der wirtschaftlichen Situation zu optimistisch angelegt ist, wird sich eine Finanzierungslücke ergeben, welche im Jahr 2021 über einen erhöhten Ökostromförderbeitrag eingehoben werden muss. Abhängig vom tatsächlichen Marktpreis im Jahr 2020 könnte die Finanzierungslücke bei 86 Mio. Euro (Marktpreis 40 EUR/MWh) bis 269 Mio. Euro (Marktpreis 25 EUR/MWh) liegen. 1 Vgl. Marktbericht der E-Control für die Jahre 2008 und 2009 verfügbar auf https://www.e-control.at/publikationen/marktberichte (abgerufen am 28.04.2020) 2 Es handelt sich hierbei um eine volkswirtschaftliche Bewertung der Marktgröße und nicht um betriebswirtschaftliche Kennzahlen einzelner Unternehmen. Mengen und Preise werden entlang der Markterwartungen und Narrative abgeschätzt. Das Ergebnis zeigt somit mögliche Bandbreiten der zu erwartenden Veränderungen entlang der entwickelten Narrative und ist nicht als Prognose zu verstehen. V
Stromvertrieb: Absatz um bis zu 600 Mio. Euro geringer Für den Stromhandel und den Stromvertrieb sind die geänderten Bedingungen an den Großhandelsmärkten ebenfalls von Relevanz. Das niedrigere Großhandelspreisniveau bedeutet für den Stromvertrieb, dass im Vorhinein beschaffte, durch den Absatzrückgang überschüssige Mengen nur zu niedrigeren Preisen wieder verkauft werden können. Ebenfalls relevant für den Stromvertrieb ist das erhöhte Mengenrisiko. In der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009 sank die Abgabe an Endkunden um 3,6 %. Vor allem bei der Großindustrie war der Verbrauchsrückgang mit -14,9 % beträchtlich, während die Abgabe an Haushalte mit +1,3 % sogar leicht 3 anstieg . Durch die Ausgangsbeschränkungen zeigen sich bis Ende Mai Verbrauchsrückgänge in der Größenordnung von rund 10,0 %. Prognosen gehen davon aus, dass sich dies für den Stromverbrauch des 4 gesamten Jahres 2020 bei einem Minus von rund 5,0 % einpendeln könnte. In Kombination mit einem Preiseffekt im Industriekundensegment verringert sich die Bewertung des Marktwerts oder Marktvolumens gegenüber dem Vorjahr deutlich. Soweit das Mengenrisiko bei den Lieferanten liegt, schlägt sich Verbrauchsrückgang immanent und direkt auf die Umsätze des Vertriebs durch. Anpassungen bei Teilzahlungsbeträgen sowie vermehrte Stromabschaltungen aufgrund der Verletzung vertraglicher Pflichten könnten im Jahr 2020 bzw. 2021 ebenfalls relevanter werden. Bis 1. Juni 2020 wurde vereinbart, dass keine Abschaltungen vorgenommen werden. In einem optimistischen Szenario sinkt das Marktvolumen des Stromvertriebs/-absatzes gegenüber dem Vorjahr um 300 Mio. Euro (minus 10,0 %), in einem pessimistischen Szenario sogar um 580 Mio. Euro bzw. sinkt dieser gegenüber 2019 um 19,0 %. Stromnetze: Erlöse aus Netztarifen sinken Stromnetze Der Bereich Stromnetze ist ebenfalls durch einen Rückgang bei Leistung und Arbeit betroffen. Die Mindereinnahmen werden zwar letztendlich über das Regulierungskonto ausgeglichen, Liquiditätsprobleme können aber eine Herausforderung für Netzbetreiber darstellen. Darüber hinaus ist bei der bereits lange diskutierten Reform der Systemnutzungsentgelte mit weiteren Verzögerungen zu rechnen. Netzbetreiber sind auch von coronabedingten Einschränkungen der Bautätigkeit und von den Unterbrechungen von Lieferketten betroffen. Dies trifft etwa auch den Smart-Meter-Roll-out. 3 Marktstatistik E-Control verfügbar auf https://www.e-control.at/statistik/strom/marktstatistik (abgerufen am 27.04.2020) 4 Vgl. https://www.energyquantified.com/blog/fast-or-slow-consumption-recovery (abgerufen am 27.04.2020) VI
Inhaltsverzeichnis 1 EINLEITUNG 9 2 WIRTSCHAFTLICHES UMFELD 10 2.1 Auswirkungen der Coronakrise 10 2.2 Ausblick 16 3 EFFEKTE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT 18 3.1 Markteffekte – Stromabsatz 18 3.2 Markteffekte – Großhandelsmarkt 22 3.2.1 Day-Ahead-Markt 22 3.2.2 Terminmarkt 24 3.2.3 Preisentwicklung CO2-Zertifikate und fossile Energieträger 27 3.3 Markteffekte – Endkundenmarkt 29 3.4 Sonstige Effekte 30 3.4.1 Effekte durch geänderte Rahmenbedingungen im Ausland 30 3.4.2 Zahlungsausfälle 30 3.4.3 Stromnetze 31 3.4.4 Ökostromfinanzierung 32 4 AUSBLICK UND HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE E-WIRTSCHAFT 34 5 LITERATUR 37 6 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 43 7 TABELLENVERZEICHNIS 45 VII
EINLEITUNG 1 Einleitung Ausgehend von der Identifikation des neuen Virus SARS-CoV-2 („Coronavirus“) im Jänner 2020 haben sich innerhalb weniger Monate in vielen Bereichen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens große Veränderungen eingestellt. Die globale Ausbreitung der durch das Virus verursachten Erkrankung Covid-19 („Corona“) mit mehr als sechs Millionen nachgewiesenen Fällen bis Ende Mai 2020 zog zur Eindämmung der Pandemie in vielen Ländern massive Einschränkungen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens nach sich – mit weitreichenden Folgen für die Weltwirtschaft und Österreich. Während erste Prognosen vom 16. März vom Institut für höhere Studien (IHS) und Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) von einem BIP- 5 Rückgang von „lediglich“ -2,0 % bis -2,5 % ausgehen, zeichnen spätere Studien mit BIP-Einbrüchen von bis zu - 6 7 9,0 % für 2020 (Bank Austria für Österreich) bzw. -20,0 % (ifo für Deutschland) ein pessimistischeres Bild. Auch die Energiemärkte wurden in den letzten Monaten durch die, nachfolgend als „Coronakrise“ bezeichneten, Umbrüche und Verwerfungen der Covid-19-Pandemie maßgeblich beeinflusst. So liegen die Verbrauchseinbrüche bei Strom in Europa bei -5,0 bis -20,0 %, wobei insbesondere der Großkundenbereich betroffen ist. In der chinesischen Provinz Hubei lag der Stromverbrauch im März 2020, also 8 Monate nach Beginn des dortigen Ausbruchs, 30,0 % unter dem Vorjahr. Die Day-Ahead-Strompreise sanken ausgehend von einem bereits sehr niedrigen Preisniveau im Mai-Mittel auf knapp 18 EUR/MWh (Feber: 29 EUR/MWh), während das Frontmonat am Terminmarkt um über 30,0 % einbrach. Diese Marktsituation stellt sowohl die Erzeugung, den Vertrieb als auch das Netz vor wirtschaftliche Herausforderungen. Neben dem Absatzrückgang ist mit sekundären Effekten wie Zahlungsschwierigkeiten zu rechnen. Vor diesem Hintergrund behandelt die Studie folgende Fragen: Welche direkten Effekte auf die Strommärkte (Erzeugung, Handel & Vertrieb, Netze) machen sich durch die Coronakrise bereits bemerkbar? Wie könnten zukünftige Entwicklungen aussehen? Welche wirtschaftliche Folgen und Herausforderungen ergeben sich daraus? Methodisch wird dabei aktuell verfügbares Datenmaterial ausgewertet, insbesondere zum Stromverbrauch und zu den Strompreisen. Hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen werden in dieser Studie explizit keine Modelle oder Prognosen erstellt. Einerseits sind vor allem Preisprognosen aufgrund der derzeitigen großen Unsicherheit der Begleitumstände mit einem eher eingeschränkten Mehrwert verbunden. Andererseits kann die vorliegende Studie auf eine Vielzahl existierender volkswirtschaftlicher Untersuchungen und erste Erfahrungen anderer Länder zurückgreifen. Auf Basis dieser werden Narrative entwickelt, um mögliche Bandbreiten für zukünftige Preis- und Mengenentwicklungen zu skizzieren. Damit soll die Studie eine grobe Erstabwägung vor dem Hintergrund der so entwickelten Sensitivitäten ermöglichen und gleichzeitig zeigen, wie groß die Herausforderungen der E-Wirtschaft durch die Coronakrise sein können. In Kapitel 2 wird das durch die Coronakrise veränderte wirtschaftliche Umfeld analysiert und in den Narrativen ein weiterer Ausblick skizziert. Kapitel 3 widmet sich den direkten wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise auf die E-Wirtschaft. Im zweiten Teil des Kapitels werden zudem Effekte, die das Marktumfeld betreffen, wie Zahlungsausfälle und Liquidität, diskutiert. Das abschließende Kapitel 4 beleuchtet die Herausforderungen für die österreichische E-Wirtschaft. 5 Im Vergleich: Der letzte Wirtschaftseinbruch während der Finanzkrise 2009 ließ in Österreich das BIP um 4,9 % schrumpfen. 6 Siehe (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020) 7 Siehe dazu (Dorn, et al. 2020) 8 Siehe beispielsweise https://ember-climate.org/project/coronavirus_electricity_demand/ 9
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT 2 Wirtschaftliches Umfeld 2.1 Auswirkungen der Coronakrise Obwohl die Coronakrise in vielerlei Hinsicht einzigartig ist, lautet der einheitliche Tenor unter Ökonominnen 9 und Ökonomen, dass mit einer wirtschaftlichen Rezession zu rechnen ist . Erste negative Effekte auf das BIP- Wachstum im ersten Quartal 2020 zeigen sich bereits in der WIFO-Quartalsrechnung von Ende Mai. Verglichen mit dem ersten Quartal 2019 kam es zu einem spürbaren Rückgang des BIP von 2,9 %. Sowohl die 10 Konsumausgaben der privaten Haushalte als auch die Exporte gingen um jeweils 4,3 % und 4,2 % zurück . Auf Basis eines wöchentlichen BIP-Indikators geht die Österreichische Nationalbank (OeNB) für den Zeitraum 16. März 2020 bis 24. Mai 2020 von einem kumulierten Verlust von knapp 14 Mrd. Euro oder 4,0 % des BIP 11 2019 aus . Ein Novum dieser corona-induzierten Wirtschaftskrise ist das gleichzeitige Auftreten von Nachfrage- und Angebotsschocks. Laut Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) entstehen die Angebotsschocks in dieser Krise aufgrund von unterbrochenen (globalen) Lieferketten, Grenzkontrollen, Produktionsstilllegungen und behördlichen Schließungen. Nachfragelimitierende Effekte sind auf eine steigende Arbeitslosigkeit und die somit sinkende Kaufkraft, aber auch auf eine gedämpfte Nachfrage nach Exportgütern zurückzuführen. Ein zusätzlicher negativer Effekt ist der Wegfall des Inlandskonsums während der Zeit der Ausgangsbeschränkungen, welcher noch in der Finanzkrise 2008/2009 eine stützende Funktion der Konjunktur innehatte (WIFO 2020a). Die damalige Situation ist aufgrund der sehr unterschiedlichen Ursachen und auch Auswirkungen daher nur bedingt mit der Coronakrise zu vergleichen. Vor dem Einsetzen der Coronakrise wurde für 2020 noch mit einem leichten Wirtschaftswachstum gerechnet. So prognostizierte die OeNB im Dezember 2019 ein reales BIP-Wachstum von 1,1 %. Mit Bekanntgabe der Ausgangsbeschränkungen für Österreich änderte sich der wirtschaftliche Ausblick schlagartig. Die Einschätzungen zum realen BIP-Wachstum in Österreich für 2020 reichen von -2,0 % bis -9,0 % (siehe Tabelle 1). Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ist dabei die Dauer der Einschränkungen und die Intensität der Rezession. Eine Gemeinschaftsstudie von Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien), WIFO, Institut für Höhere Studien (IHS) und des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) prognostiziert für das Jahr 2020 beispielsweise einen realen Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 4,0 % bei einer Ausgangsbeschränkung von neun Wochen. Der Rückgang des BIP erhöht sich jedoch auf 6,0 %, sollte die Ausgangsbeschränkung für 13 Wochen bestehen (IIASA et al. 2020). Die AutorInnen rechnen damit, dass sich die österreichische Konjunktur erst 2022 vollkommen von der Coronakrise erholt haben wird. Mit einem besonders starken Wirtschaftseinbruch rechnet die Bank Austria (BIP-Rückgang von 9,0 % im Jahr 2020). Einerseits wird die Situation am Arbeitsmarkt kritisch gesehen, was auf den Erwerb langlebiger Konsumgüter einen negativen Effekt hat. Andererseits sieht die Bank Austria einen Rückgang der Investitionstätigkeit aufgrund des unsicheren internationalen Umfelds und vorhandener Überkapazitäten. Allerdings erwartet die Bank Austria eine „V“-Rezession und somit einen starken Zuwachs des BIP von 8,0 % im Jahr 2021. 9 Einschätzung IGM Forum vom 14.03.2020 https://voxeu.org/article/economic-impact-pandemic-igm-forum-survey (abgerufen am 17.04.2020). 10 WIFO-Quartalsrechnung vom 29.05.2020 https://www.wifo.ac.at/news/covid-19-pandemie_bip- rueckgang_im_i_quartal_2020_um_29_gegenueber_dem_vorjahr_ (abgerufen am 02.06.2020) 11 OeNB-BIP-Indikator vom 24.05.2020 (KW 21) verfügbar auf https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=&ved=2ahUKEwixx9- 7kObpAhXnlYsKHQf9Ck0QFjAAegQIAxAB&url=https%3A%2F%2Fwww.oenb.at%2Fdam%2Fjcr%3Aa8afb0c3-6ad9-4a6d-a9a0- c6128eca9b1b%2Fwoechentlicher_bip-indikator_der_oenb_KW21.pdf&usg=AOvVaw2CGy0tLn8Jae2UcXseEeC0 (abgerufen am 03.06.2020). 10
WIRTSCHAFTLICHES UMFELD Arbeitsmärkte In der Realwirtschaft hinterlässt die Coronakrise deutliche Spuren: Erste Anzeichen deuten auf eine sich anbahnende Rezession. Die Arbeitslosigkeit stieg seit Mitte März stark an und erreichte ihren vorzeitigen 12 Höhepunkt Mitte April mit einer Anzahl von 588.234 (inkl. SchulungsteilnehmerInnen). Seitdem sind die Arbeitslosenzahlen leicht rückläufig, befinden sich jedoch noch weit über dem Vorjahresniveau. Konkret waren 13 Ende Mai 2020 noch 517.221 (inkl. 43.921 SchulungsteilnehmerInnen) Personen arbeitslos gemeldet. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 11,5 % (nach nationaler Berechnungsmethode) und einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahresmonat von 69,7 %. Tabelle 1: Zusammenfassung der prognostizierten BIP-Entwicklung für Österreich BIP 2020 BIP 2021 Institut Anmerkung Quelle [real] [real] OeNB +1,1 % +1,5 % Stand 12.2019, Pre-Corona (Fenz und Schneider 2019) Optimistische Szenarien: kurzer Lockdown, keine zweite Welle IHS -2,0 % - Stand 03.2020 (Kocher, et al. 2020) WIFO(a) -2,5 % - Stand 03.2020 (WIFO 2020a) Stand 05.2020, Szenario 1: 5 Wochen Lockdown – OeNB – Szen. 1 -3,2 % - 5 Wochen Lockerungsphase (OeNB 2020a) Stand 04.2020, Best-Case-Szenario: Lockdown bis IIASA – Szen. 1 -4,0 % +2,7 % Mitte Mai (IIASA et al. 2020) Pessimistischere Szenarien: längerer Lockdown, ggfs. zweite Infektionswelle Fiskalrat -4,6 % - Stand 04.2020, 12 Wochen Lockdown (Fiskalrat Austria 2020) Stand 04.2020, zweite Infektionswelle wird WIFO(b) – Szen. 1 -5,2 % +3,5 % „smart“ bewältigt (Baumgartner, et al. 2020) (Europäische Kommission EU-Kommission -5,5 % +5,0 % Stand 05.2020 2020) Stand 04.2020, Worst-Case-Szenario: Lockdown IIASA – Szen. 2 -6,0 % +3,5 % bis Mitte Juni (IIASA et al. 2020) Pessimistische Szenarien: starke wirtschaftliche Auswirkungen der Coronakrise IWF -7,0 % +4,5 % Stand 04.2020 (IWF 2020) Stand 04.2020, schwächere Entwicklung WIFO(b) – Szen. 2 -7,5 % +1,2 % österreichischer Partnerländer in Q3 und Q4 2020 (Baumgartner, et al. 2020) Stand 05.2020, Szenario 2: 13 Wochen Lockdown – OeNB – Szen. 2 -8,1 % - 10 Wochen Lockerungsphase (OeNB 2020a) Stand 05.2020, Double-Dip-Szenario 3: 5 Wochen OeNB – Szen. 3 -8,3 % - Lockdown – 5 Wochen Lockerungsphase. Zweite (OeNB 2020a) Welle Q4 2020 (Pudschedl, Schwarz und Bank Austria -9,0 % +8,0 % Stand 04.2020 Wolf 2020) Die Maßnahmen zur Attraktivierung des Kurzarbeitsmodells haben noch stärkere Zuwächse der Arbeitslosigkeit 12 bisher abfedern können. Mit Stand 01. Juni 2020 befanden sich 1.371.338 Menschen in Kurzarbeit. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise waren im Jahr 2009 nur 60.000 Menschen in Kurzarbeit (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020). Dies unterstreicht, dass die Coronakrise mit der Finanzkrise nicht direkt vergleichbar ist. 12 BMAFJ https://www.bmafj.gv.at/Services/News/Aktuelle-Arbeitsmarktzahlen.html (abgerufen am 03.06.2020) 13 AMS, aktuelle Monatsdaten https://www.ams.at/arbeitsmarktdaten-und-medien/arbeitsmarkt-daten-und-arbeitsmarkt- forschung/arbeitsmarktdaten#aktuelle-monatsdaten (abgerufen am 02.06.2020) 11
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT Einen Ausblick auf die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen im Jahr 2020 wird in Tabelle 2 geboten. Es handelt sich bei der Einschätzung der Arbeitslosenquote um einen Jahresdurchschnittswert. Den pessimistischsten Ausblick gewährt IIASA et al. mit einem Wert von 12,0 % in ihrem Worst-Case-Szenario (IIASA et al. 2020). Frühere Studien vom März schätzten die Lage noch etwas optimistischer ein mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 8,4 %. Noch 2019 betrug die jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote 7,4 % (4,5 % nach EU-Methodik). Die Bank Austria erwartet einen Peak der Arbeitslosigkeit in den kommenden Wochen mit einer Arbeitslosenquote von über 13,0 % (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020). Tabelle 2: Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in Österreich Arbeitslosenquote Institut 2020 Quelle AT-Methodik EU-Methodik EU-Kommission - 5,8 % (Europäische Kommission 2020) IWF - 5,5 % (IWF 2020) IHS 8,4 % - (Kocher, et al. 2020) WIFO(a) 8,4 % - (WIFO 2020a) WIFO(b) – Szen. 1 8,7 % - (Baumgartner, et al. 2020) WIFO(b) – Szen. 2 9,1 % - (Baumgartner, et al. 2020) IIASA – Szen. 1 10,5 % - (IIASA et al. 2020) (Pudschedl, Schwarz und Wolf Bank Austria 11,0 % 7,0 % 2020) IIASA – Szen. 2 12,0 % - (IIASA et al. 2020) Staatshaushalt Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung werden ein gewaltiges Defizit im Budget mit sich bringen. Einschätzungen zu Budgetdefiziten und der Verschuldung der öffentlichen Hand im Jahr 2020 werden einerseits über konjunkturstützende bereits beschlossene Maßnahmen und andererseits über indirekte Effekte wie verminderte Steuereinahmen durch eine rückläufige Konjunktur berechnet (Fiskalrat Austria 2020). Laut OeNB-Übersicht vom 08.05.2020 haben die angekündigten fiskalischen Covid-19-Maßnahmen ein Volumen von ca. 45 Mrd. Euro. Das Maßnahmenpaket setzt sich folgend zusammen: Kurzarbeitshilfe: 7 Mrd. Euro Steuerstundungen: 10 Mrd. Euro COVID-19-Krisenbewältigungsfonds: 28 Mrd. Euro Im COVID-19-Krisenbewältigungsfonds enthalten sind Kreditgarantien, der Härtefallfonds und der Corona- Hilfsfonds, welcher die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen erhalten soll (OeNB 2020a). Die Auswirkungen auf den Staatshaushalt sind in Tabelle 3 aufgeführt. Zu beachten ist, dass der Wissensstand über die fiskalischen Maßnahmen der Bundesregierung zum Erstellzeitpunkt der Studien unterschiedlich war. Die Bank Austria schätzt die Lage zur öffentlichen Verschuldung mit 86,0 % des BIP am kritischsten ein (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020). Zum Vergleich: Noch Ende 2019 betrug die Staatsverschuldung nur 70,4 % des BIP. Das würde eine Steigerung von beinahe 16 Prozentpunkten bedeuten. Weniger kritisch sehen das IIASA et al., welche von einer Steigerung von ca. 5 Prozentpunkten ausgehen (IIASA et al. 2020). Inflation Erste Anzeichen für einen Rückgang der Inflationsrate waren schon im März ersichtlich. Während die Teuerung im Feber 2020 noch einen Wert von 2,2 % hatte, sank diese einen Monat später auf 1,6 % (OeNB 2020a). Einer Prognose der Bank Austria zufolge wird die Inflation im Jahr 2020 auf durchschnittlich 0,9 % sinken. Noch im Vorjahr belief sich die Teuerungsrate bei 1,5 %. Vor allem die niedrigen Ölpreise und der coronabedingte 12
WIRTSCHAFTLICHES UMFELD Nachfrageausfall werden preisdämpfend auf die Inflationsrate im Jahr 2020 wirken. Ein Tiefstand der Teuerung wird in den nächsten Monaten erwartet, und zwar bei einem Monatswert von ca. 0,5 % (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020). Zusätzlich stehen statistische Ämter bei der Bewertung der Inflation vor der Herausforderung, dass manche Güter im Warenkorb, z. B. Flüge, im Zeitraum März bis Mai nicht oder nur sehr eingeschränkt 14 verfügbar waren . Tabelle 3: Entwicklung Budgetdefizit und öffentliche Verschuldung Öffentliche Budgetdefizit Verschuldung Institut 2020 Quelle 2020 [% des BIP] [% des BIP] [Mrd. €] IHS - 5,0 % - (Kocher, et al. 2020) IIASA – Szen. 1 75,0 % - - (IIASA et al. 2020) WIFO(a) 76,0 % 5,5 % 21,5 (WIFO 2020a) Fiskalrat – Szen. 2* - 6,1 % 23,5 (Fiskalrat Austria 2020) (Europäische Kommission EU-Kommission 78,8 % 6,1 % - 2020) Fiskalrat – Szen. 1* - 6,6 % 25,6 (Fiskalrat Austria 2020) IWF - 7,1 % - (IWF 2020) WIFO(b) – Szen. 1 80,2 % 7,4 % - (Baumgartner, et al. 2020) (Pudschedl, Schwarz und Wolf Bank Austria 86,0 % 9,6 % 35,0 2020) WIFO(b) – Szen. 2 84,5 % 10,0 % - (Baumgartner, et al. 2020) *Keine Unterscheidung in Szenarien bei der BIP-Prognose, jedoch bei öffentlicher Verschuldung; Szenario 1: mehr Gewicht Nachfrageschock; Szenario 2: gleiche Gewichtung Tabelle 4: Entwicklung Inflation Inflation Institut 2020 Quelle [%] IHS 1,3 % (Kocher, et al. 2020) WIFO(a) 1,3 % (WIFO 2020a) EU-Kommission 1,1 % (Europäische Kommission 2020) WIFO(b) – Szen. 1 0,9 % (Baumgartner, et al. 2020) (Pudschedl, Schwarz und Wolf Bank Austria 0,9 % 2020) WIFO(b) – Szen. 2 0,5 % (Baumgartner, et al. 2020) IWF 0,4 % (IWF 2020) Zinsniveau Die in der Vergangenheit verfolgte expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) erweist sich als günstige Voraussetzung zur Bewältigung der Coronakrise. Der Leitzins im Euroraum (Hauptrefinanzierungssatz) 14 Siehe Pressemitteilung des IHS vom 26. März 2020 verfügbar auf https://www.ihs.ac.at/fileadmin/public/2016_Files/Documents/2020/Prognose_Maerz/Pressemitteilung_DE_Prognose_maerz_2020.pdf (abgerufen am 02.06.2020) 13
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT und der Einlagenzinssatz (Einlagenfazilität) wurden auf ihrem niedrigen Niveau, 0,0 % und -0,5 %, belassen (Baumgartner, et al. 2020). Dadurch werden Unternehmen und Privathaushalte weiterhin von günstigen Finanzierungskonditionen profitieren. Schon im Dezember 2019 erreichten Unternehmenskredite bis zu 1 Mio. Euro einen historischen Tiefstand von 1,63 %. Profitieren konnten auch private Haushalte, welche im Jahr 2019 langfristige Wohnbaukredite mit einem Zinssatz von 1,61 % in Anspruch nehmen konnten. Diese niedrigen Zinssätze setzen gute Rahmenbedingungen für Investitionen in eine Post-Corona-Welt (OeNB 2020a). Finanzmärkte Sensibel auf die Coronakrise reagieren auch die Finanzmärkte. Der österreichische Börsenindex ATX erlitt einen 15 Verfall von fast -50,0 % in nur einem Monat. Noch Mitte Feber befand sich der ATX bei einem Wert von rund 3.200 Punkten. Einen Monat später am 18.03.2020 erreicht er seinen Tiefpunkt bei 1.630,84. Auch im Nachbarland Deutschland verzeichnet der DAX eine Indexreduzierung von -38,7 % (17.02.2020 – 18.03.2020). Der EURO STOXX 50 verliert 38,0 % im Zeitraum zwischen 12. Feber und 18. März. Mit Stand 02.06.2020 scheint jedoch die Talfahrt der Börsen vorerst beendet zu sein und alle Indizes zeigen wieder positive Aufwärtssignale. Am 2. Juni befand sich der ATX bei 2.308,79 Punkten. Ob sich dieser positive Trend fortsetzen 16 wird, ist jedoch unklar. Sektorale Betrachtung Eine genauere Betrachtung der österreichischen Wirtschaft lässt erkennen, dass alle Sektoren von der Coronakrise erfasst sind, es jedoch deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen und Sektoren gibt. In Tabelle 5 sind die fünf meist betroffenen Branchen der Coronakrise in Österreich laut Österreichischer Nationalbank (OeNB) aufgeführt (OeNB 2020b). In dieser Ersteinschätzung der OeNB wurden alle Branchen einer Bewertung für den Zeitraum zwischen Kalenderwoche 11 und Kalenderwoche 15 (09.03.2020 – 17 12.04.2020) unterzogen. Dafür wurden acht Indikatoren zur Hilfe gezogen, welche die Vulnerabilität der Branchen darstellen soll. Eine höhere Indexzahl bedeutet dabei eine höhere Vulnerabilität. Tabelle 5: Fünf meist betroffenen Branchen der Coronakrise in Österreich 15 Vergleich 3-Monatshoch zu 3-Monatstief 16 Eigene Auswertung, Finanzmarktdaten von https://www.finanztreff.de/ (abgerufen am 17.04.2020) 17 Indikatoren: Nachfragerückgang, Aufholmöglichkeiten, Anstieg Arbeitslosigkeit, Anteil behördlicher Schließungen, Personalintensität, Anteil ausländischer Arbeitskräfte, Abhängigkeit importierter Vorleistungen, Eigenkapitalquote, Kreditausfallswahrscheinlichkeit, Kurzfristige Nettoliquiditätsposition, nicht ausgenutzte Kreditrahmen in Relation zum Bruttoproduktionswertes 14
WIRTSCHAFTLICHES UMFELD Vor allem Unternehmen im Tourismus-, Unterhaltungs- und persönlichen Dienstleistungsbereich müssen mit starken Einbußen rechnen. Unternehmen in den oben genannten Branchen haben engen Kundenkontakt und kaum nennenswerte Aufholeffekte. Am stärksten betroffen ist der Beherbergungs- und Gastronomiesektor, welcher mit einem Anteil am BIP von 8,4 % sehr relevant für Österreichs Wirtschaft ist (BMNT 2018a). Aufgrund der erschwerten Einreisebedingungen wird die ausländische Nachfrage im Jahr 2020 sehr stark zurückgehen. Das WIFO prognostiziert in diesem Sektor einen Bruttowertschöpfungsrückgang von 27,5 % im Jahr 2020 (verglichen mit 2019; (Baumgartner, et al. 2020)). Die Bank Austria prognostiziert sogar einen Rückgang von 30,0 % (Pudschedl, Schwarz und Wolf 2020). Auch der produzierende Bereich ist wesentlich von der Coronakrise betroffen. Nachdem in der Industrie die Dynamik bereits 2019 zurückging, wurde der Effekt durch Produktionsausfälle verstärkt. Laut WIFO ist die Wertschöpfung im Bereich „Bergbau, Herstellung von Waren, Energie- und Wasserversorgung, Abfallentsorgung“ im 1. Quartal (Jänner, Feber, März) insgesamt bereits um 5,7 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurückgegangen (WIFO 2020), obwohl weitreichende Containment-Maßnahmen in Österreich erst Mitte März ergriffen wurden. Die Bank Austria geht davon aus, dass die Industrieproduktion 2020 (real) im Vergleich zum Vorjahr um 8,0 % zurückgehen wird (UniCredit Bank Austria AG 2020b). Damit wären die Einbußen der österreichischen Industrie in der Coronakrise geringer als in der Finanzkrise 2009, in der die Produktion um 12,7 % abnahm (UniCredit Bank Austria AG 2020a). Die sektorale Betrachtung verdeutlicht auch die Herausforderungen für ein Land wie Österreich, welches im Vergleich zu anderen Ländern der EU sowohl eine hohe Tourismusintensität wie auch einen hohen Anteil der produzierenden Industrie am BIP aufweist. Zudem gibt es hinsichtlich des Anteils der beiden Sektoren an der Wertschöpfung große regionale Unterschiede, sodass lokal und regional gesehen verstärkte negative Effekte auftreten können. Wirtschaftliche Lage wichtiger Partnerländer Eine negative Entwicklung der Wirtschaft bei wichtigen Handelspartnern wirkt sich einem exportorientierten Land wie Österreich besonders negativ aus. Tabelle 6 zeigt aktuelle Konjunkturprognosen der drei wichtigsten 18 Exportpartner Österreichs: Deutschland, USA und Italien . Besonders stark betroffen von der Covid-19- Pandemie sowohl aus medizinischer Sicht als auch aus konjunktureller Sicht ist Italien. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert einen realen BIP-Rückgang von 9,1 % im Jahr 2020. Die EU-Kommission erwartet sogar einen Einbruch des BIP um 9,5 %. Durch die enge Verwicklung der österreichischen Wirtschaft mit der 18 deutschen (ca. 30,0 % des Exports ) sollte ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der deutschen Wirtschaft geworfen werden. Die Prognosen reichen von -2,8 % bis zu -20,6 %. Eine Auswahl an Studien sind in Tabelle 6 zusammengefasst. Die Covid-19-Pandemie wird auch in Osteuropa, welche ebenfalls für die E-Wirtschaft von Relevanz ist, wirtschaftliche Spuren hinterlassen. Davon am stärksten betroffen ist Kroatien. Durch seinen starken Tourismussektor, welcher einen Anteil von 25,1 % am BIP hat, ist Kroatien den Folgen der Coronakrise besonders ausgesetzt und wird Prognosen zufolge einen BIP-Rückgang von 9,0 % verzeichnen. Ein weiterer problematischer Faktor ist die Verschuldung der öffentlichen Hand, welche in Kroatien, aber auch in Slowenien 19 bei ca. 70,0 % liegt . Durch eine hohe Vorverschuldung könnten die budgetären Möglichkeiten eines ökonomischen Stimulus-Paketes beeinträchtigt werden. 18 Exportwirtschaftsbericht der WKO https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/exportwirtschaft.pdf (abgerufen am 24.04.2020) 19 Wiiw Covid-19 tracker for Eastern Europe vom 07.04.2020 https://wiiw.ac.at/eastern-europe-coronavirus-tracker-still-a-long-way-to-go- n-433.html (abgerufen am 24.04.2020) 15
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT Tabelle 6: Konjunkturprognosen selektierter Länder Prognose BIP Land Institut Anmerkung Quelle 2020 Bei einem zweimonatigem -7,2 % bis -11,2 % Lockdown ifo (Dorn, et al. 2020) -10,0 % Bei einem dreimonatigem Lockdown bis -20,6 % - 4,5 % Lockdown bis Ende April ifW Kiel (Kooths und Rauck 2020) -8,7 % Lockdown bis Ende Juli Deutschland -2,8 % Basisszenario Risikoszenario (ausgeprägtes V), Sach- -5,4 % (Feld, Truger und Wieland Wachstum 2021 von +4,9 % verständigenrat 2020) Risikoszenario (ausgeprägtes U), -4,5 % langsames Wachstum 2021 mit +1,0 % (Europäische Kommission EU-Kommission -6,5 % - 2020) S&P Global -5,2 % - (S&P Global 2020) USA IWF -5,9 % - (IWF 2020) (Europäische Kommission EU-Kommission -9,5 % - Italien 2020) IWF -9,1 % - (IWF 2020) 2.2 Ausblick Allen Wirtschaftsprognosen gemeinsam ist, dass unterschiedliche Annahmen hinsichtlich Dauer und Intensität der Krise zugrunde liegen, was jeweils in unterschiedlichen Ausprägungen der Auswirkungen resultiert. Grob können mögliche Narrative und Szenarien hinsichtlich ihrer Effektivität in punkto Viruseindämmung und Konjunkturmaßnahmen unterschieden werden (McKinsey & Company 2020). Darüber hinaus spielt die regionale Ausprägung eine wesentliche Rolle. Aktuell ist die Betroffenheit der einzelnen Länder hinsichtlich Fallzahlen und Eindämmungsmaßnahmen (wie beispielsweise Dauer der Ausgangsbeschränkungen) recht unterschiedlich. Auch der Spielraum für Konjunkturpakete kann je nach Land und Region stark variieren. Gerade für ein exportorientiertes Land wie Österreich wird es daher auch entscheidend sein, wie wichtige Partnerländer mit der Coronakrise umgehen bzw. wie sich die Weltwirtschaft entwickelt. Abbildung 1 fasst die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen ökonomischen Narrative zusammen. Laut McKinsey (2020) sind Szenarien für eine in den meisten Ländern erfolgreiche Eindämmung des Coronavirus mit zumindest partiell effektiven konjunkturellen Gegenmaßnahmen am wahrscheinlichsten. Jedoch ist aus der Bandbreite der für Österreich, die EU und relevanten Partnerländer verfügbaren Studien klar, dass die Unsicherheit hinsichtlich der weiteren Entwicklung sehr hoch ist. Fasst man die unterschiedlichen Annahmen in drei Narrativen zusammen, so ergibt sich folgender Ausblick: In einem optimistischen Narrativ erfolgt in allen betroffenen Ländern eine rasche und effektive Eindämmung des Coronavirus (1) und die Lockerung der Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens erfolgt innerhalb weniger Wochen. Durch effektive, aber weniger wirtschaftlich einschränkende Maßnahmen wird die weitere Ausbreitung des Virus bis zur Entwicklung eines Impfstoffes verhindert. Besonders betroffene Sektoren werden mit entsprechenden wirtschaftlichen Maßnahmen unterstützt und das Wirtschaftswachstum 16
WIRTSCHAFTLICHES UMFELD erholt sich rasch auf ein Niveau vor dem Ausbruch der Pandemie („V“-Rezession). Dies gilt sowohl für Österreich als auch für die für Österreich wichtigen wirtschaftlichen Partnerländer. Studien, die diesem Narrativ folgen, rechnen mit einem Einbruch des Wirtschaftswachstums von -2,0 % bis -4,0 % im Jahr 2020 (siehe auch Tabelle 1). In einem optimistischen Narrativ erholt sich die Wirtschaft rasch und kehrt spätestens Mitte 2022 auf das Vor-Corona-Niveau zurück. Ein pessimistisches Narrativ geht davon aus, dass die Eindämmung der globalen Pandemie nur kurzfristig gelingt und dass es durch die Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen zu einem erneuten Anstieg der weltweiten Covid-19-Fälle kommt (2). Während eine österreichische umsichtige Handhabung einer zweiten Infektionswelle – also ohne neuerlichem generellen Lockdown – möglich erscheint, geht ein pessimistisches Narrativ jedenfalls von einer länger anhaltenden „U“-Rezession aus. Ein Hauptrisiko dafür ist für eine integrierte Volkswirtschaft wie Österreich die weltweite Entwicklung. In diesem Fall kann es zu einem BIP- Einbruch von -7,5 % kommen (Baumgartner, et al. 2020). Wenn man zusätzlich in Österreich von einem zweiten längeren Lockdown ausgeht, dann wäre im pessimistischen Narrativ mit noch höheren Einbrüchen im Wirtschaftswachstum zu rechnen. Zudem ist für die Jahre 2021 und 2022 im Vergleich zum optimistischeren Narrativ mit einem niedrigeren Wirtschaftswachstum zu rechnen, was zur Folge hat, dass das Vorkrisenniveau deutlich später wieder erreicht wird. Als weniger wahrscheinlich gilt derzeit ein Worst-Case-Szenario, in dem eine wenig nachhaltige Eindämmung des Coronavirus (3) von wenig effektiven konjunkturellen Steuerungsmaßnahmen begleitet wird. Zusätzlich weitet sich die Pandemie auf Länder aus, die bisher weniger von dem Coronavirus betroffen waren. Dies führt zu einem Überschwappen der Wirtschaftskrise auf den Finanz- und Bankensektor und einer nachhaltigen „L“- Rezession. Die Rolle bzw. Stabilität des Banken- und Finanzsektors ist dabei ein zentraler Risikofaktor (WIFO 2020a). In den bis Ende Mai veröffentlichten Studien für Österreich gibt es keine Szenarien, die diesen Worst Case quantifizieren. Der Worst Case wird daher in weiterer Folge nicht betrachtet. Abbildung 1: Wesentliche Unterscheidungsmerkmale für mögliche ökonomische Narrative 17
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT 3 Effekte auf die österreichische E- Wirtschaft Unmittelbar hat die Coronakrise durch den einhergehenden Verbrauchsrückgang und Preisverfall einen Effekt auf die Strommärkte und somit die gesamte österreichische E-Wirtschaft. Besonders im Stromgroßhandel beschleunigte die Coronakrise den bereits im Feber 2020 einsetzenden Preisrückgang in den kurzfristigen Märkten (Day-Ahead-Markt). An den Endkundenmärkten kann der Absatzrückgang, vor allem bei länger andauernden Einschränkungen, für entsprechende wirtschaftliche Aufgabenstellungen im Vertrieb, aber auch im Netzbereich sorgen. Generell ist das zu erwartende schwierige wirtschaftliche Umfeld für die Energieversorgung eine Herausforderung, die mit zusätzlichen Effekten einhergeht wie Zahlungsausfälle und Liquiditätsrisiko bei KundInnen, aber auch Insolvenzen von Geschäftspartnern. Im nachfolgenden Kapitel werden die direkten Markteffekte und sonstige Effekte auf die österreichische E- Wirtschaft beleuchtet. Abschließend gibt das Kapitel einen Ausblick im Sinne der in Kapitel 2.2 vorgestellten Narrative. Es bildet die Basis für die in Kapitel 4 skizzierten wirtschaftlichen Problemstellungen und Risiken für die österreichische E-Wirtschaft. 3.1 Markteffekte – Stromabsatz Die Folgen der Coronakrise und der damit verbundenen Maßnahmen zur Einschränkung der Verbreitung des Virus ziehen, neben den Strompreisverwerfungen, auch eine Verringerung der Stromnachfrage mit sich. Im Zeitraum seit Bestehen der Ausgangsbeschränkung vom 16.03.2020 bis zum 31.05.2020 hat sich die 20 österreichische Stromlast, verglichen mit dem Jahr 2019, um durchschnittlich 10,0 % (temperaturbereinigt ) 21 reduziert. Abbildung 2 zeigt die Abweichungen im Vergleich zum Vorjahr (2019 = 100) auf Tagesbasis . In dieser Betrachtungsweise wird deutlich, dass der Beginn der Ausgangsbeschränkungen, vor allem an den Werktagen, zu einem deutlichen Verbrauchsrückgang geführt hat. An den Sonntagen, insbesondere am 15. und am 22. März, kam es temperaturbereinigt hingegen zu einem Verbrauchsplus im Vergleich zum Vorjahr von knapp 7,0 % bzw. 12,0 %. Die Osterwochenenden 2019 und 2020 unterscheiden sich hingegen nicht so drastisch voneinander. Der Stromlastrückgang am Ostermontag im Vergleich zum Ostermontag 2019 von gut 5,0 % fällt sogar relativ moderat aus. Andere Feiertage sind ebenfalls mit Verbrauchsabweichungen von 30,0 % deutlich erkennbar. In Summe bedeutet dies trotzdem im Vergleich zum Referenzzeitraum des Vorjahres einen Absatzrückgang von 1.322 GWh. Im Vertriebs- und Netzbereich führt der geringere Verbrauch zu einem unmittelbaren Rückgang der Einnahmen in diesem Zeitraum. Während dies nur 2,0 % der Jahresabgabe an Endkunden entspricht, ist entscheidend, wie sich die Situation im Rest des Jahres weiterentwickelt. Im optimistischen Narrativ würden sich der Wirtschaftseinbruch und somit auch der Stromverbrauch entsprechend rasch erholen. Im pessimistischen Narrativ wäre mit einer deutlichen Auswirkung weiter über 2020 hinaus zu rechnen (siehe auch Ausblick in Abschnitt 4). 20 Temperaturbereinigung mit einem Sensibilitätsfaktor von -0,8 %/K. Daten aus E-Control-Studie 2005 https://www.e- control.at/documents/1785851/1811528/WP15_TEMPVER_DOKU.pdf/7dab5eaf-4013-429a-bf08-06b744131440?t=1413907614262 (abgerufen am 20.04.2020) 21 Um einen möglichst validen Vergleich zu erhalten, wurden die jeweiligen Wochentage verglichen. Damit die Wochentage synchron verlaufen, wurde das Jahr 2020 um zwei Tage adjustiert. Dadurch wurde beispielsweise Sonntag, der 03. März 2019, mit Sonntag, dem 01. März 2020, synchronisiert. 18
EFFEKTE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT Abbildung 2: Relative Stromlast in Österreich im Vergleich zu 2019 Kundensegmente und Branchen Die Betroffenheit ist auch entlang der Kundensegmente sehr unterschiedlich. Bei den Haushalten wurde durch erhöhte Präsenz im Eigenheim (Homeoffice, Ausgangsbeschränkung) sogar ein Verbrauchsanstieg verzeichnet. 22 Dadurch kann der Stromverbrauch bis zu einem Drittel pro Tag ansteigen . Im Bereich des Gewerbes und der Industrie gibt es hingegen Unterschiede in der Betroffenheit der einzelnen Branchen. Dies kann für Vertriebsunternehmen, die vor allem bestimmte Branchen im Portfolio betreuen, mit einem zusätzlichen Risiko behaftet sein, vor allem wenn die wirtschaftlich stark betroffenen Bereiche einen hohen Anteil am Gesamtabsatz haben. Kombiniert man die wirtschaftliche Betrachtung mit dem Strombedarf der einzelnen Branchen, erhält man einen Überblick über besonders exponierte Bereiche (Tabelle 7). Konkret kann aus dem jährlichen Strombedarf 23 und dem Vulnerabilitätsindex der OeNB ein Ranking erstellt werden. Ein besonders hohes Absatzrisiko gibt es im Beherbergungs- und Gastronomiesektor. In der Zeit der Ausgangsbeschränkung besteht für diese Branche kaum Möglichkeit der wirtschaftlichen Aktivität und somit wirkt sich dies auch auf den Stromverbrauch drastisch aus. Stark betroffen sind auch der Landverkehr und hier insbesondere der Schienenverkehr. Handel und Einzelhandel sowie die Herstellung von Nahrungsmitteln, Getränken und Futtermitteln finden sich ebenfalls in den Top 5. Danach finden sich im Ranking Branchen aus dem produzierenden Bereich: Herstellung von Kraftwagen und -teilen Herstellung von chemischen Erzeugnissen Metallerzeugung und -bearbeitung Kokerei und Mineralölverarbeitung Herstellung von Glas/-waren, Keramik u.Ä. Mit der Aufhebung der Ausgangsbeschränkung werden Lieferkettenproblematiken und Langzeitnachfrage- einbußen, beispielsweise im Tourismussektor, stärker ins Gewicht fallen. 22 Salzburger Nachrichten vom 22.03.2020 https://www.sn.at/wirtschaft/oesterreich/energieverbrauch-in-wien-durch-coronakrise- gesunken-85232155 (abgerufen am 12.05.2020) 23 Grundsätzlich ist dieser von 09.03.2020 bis 12.04.2020 gültig und bietet keine Prognose. Beide Parameter wurden gleich gewichtet. 19
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT Tabelle 7: Sektorale Querschnittstabelle von Strombedarf und OeNB-Vulnerabilitätsindex Entwicklung in Europa Wagt man einen Blick über die Landesgrenzen, liegt Österreich mit seinen 10,0 % Stromlastrückgang im europäischen Mittelfeld. In Abbildung 3 wurde genau dieser Vergleich mit einigen ausgewählten Ländern gemacht. Dafür wurde der Zeitraum für alle Länder seit Inkrafttreten der Ausgangsbeschränkungen in Österreich (16.03.2020) bis zum 31.05.2020 betrachtet. Für den Ländervergleich wurden Länder mit einer starken Betroffenheit durch die Covid-19-Pandemie gewählt (Spanien und Italien), aber auch Länder mit hoher Relevanz für die österreichische E-Wirtschaft. Die größte Stromlastreduzierung ist in Italien zu verzeichnen, dicht gefolgt von Belgien. Italien verzeichnet einen Lastrückgang von 17,5 % und Belgien einen Lastrückgang von 15,8 %. Frankreich nimmt in diesem Ranking Platz drei mit 15,0 % Rückgang ein. Am geringsten wirkt sich die Coronakrise auf die Stromlast von der Schweiz und Deutschland aus. Die Schweiz verzeichnet einen Rückgang von 5,4 %, während es in Deutschland 6,6 % sind. Abbildung 3: Stromlastrückgang einiger ausgewählter europäischer Länder 20
EFFEKTE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT Eindeutig lässt sich die Situation für Spanien und Italien beschreiben. Beide Länder wurden sehr früh von der Coronakrise erfasst. Vor allem anfangs konnte sich der SARS-CoV-2-Virus in diesen beiden Ländern ungehindert verbreiten, womit die Eindämmung der Covid-19-Krankheit nur noch mit sehr drastischen Maßnahmen wie Ausgangssperren zu erreichen war. In Italien wurde schon am 10. März 2020 das ganze Land zu einer Sperrzone 24 25 erklärt . Vier Tage später wurde auch in Spanien eine Ausgangssperre ausgerufen . Beide Länder haben sehr strikte Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise getroffen, was sich auch in der Stromlast erkennbar macht, da diese nahezu kontinuierlich unter dem Niveau von 2019 befindet (siehe Abbildung 4). Abbildung 4: Relative Stromlast Südeuropa Fazit Sowohl die Situation in Österreich als auch die Entwicklung in anderen Ländern deuten darauf hin, dass 2020 mit einem Absatzrückgang, vor allem im Großkundensegment, zu rechnen ist. Besonders exponiert sind Vertriebsunternehmen mit einem großen Anteil an Industrie- und Gewerbekunden in den Branchen Gastronomie- und Beherbergung, elektrifizierter Schienenverkehr (z. B. Straßenbahn), Handel und Einzelhandel, aber auch der produzierenden Industrie. Auch der Umgang mit der kommenden Skisaison – dies betrifft sowohl die allgemeine Reisefreiheit wie auch der behördliche Umgang mit Gastronomie, Beherbergung und Seilbahnen – kann im Alpenraum ein Faktor für Stromversorger sein. In einem optimistischen Narrativ wäre aufgrund der raschen wirtschaftlichen Erholung mit einer schnellen Rückkehr zum Vorkrisen- Stromverbrauchsniveau zu rechnen. Auf Basis der Erfahrungen der Finanzkrise 2009 und Prognosen von Energy 26 Quantified kann man davon ausgehen, dass sich die Verbrauchsrückgänge zwischen 4,0 und 5,0 % einpendeln würden. In einem pessimistischen Narrativ, in dem es (zumindest punktuell oder branchenweise) zu erneuten Einschränkungen bzw. einer längeren und tiefer greifenden Rezession kommt, wäre mit stärkeren und über 2020 hinausgehenden Absatzrückgängen zu rechnen. Nimmt man für diesen Fall Anlehnungen an die Prognosen für Spanien und Italien bzw. an die Entwicklungen in den stark betroffenen Ländern, dann könnte in diesem Fall von Verbrauchsrückgängen von 10,0 % ausgegangen werden. 24 CNBC https://www.cnbc.com/2020/03/10/italy-in-national-lockdown-heres-what-it-means.html (abgerufen am 27.04.2020) 25 BBC https://www.bbc.com/news/world-europe-52380654 (abgerufen am 27.04.2020) 26 Vgl. https://www.energyquantified.com/blog/fast-or-slow-consumption-recovery (abgerufen am 27.04.2020) 21
WIRTSCHAFTLICHE AUSWIRKUNGEN DER CORONAKRISE AUF DIE ÖSTERREICHISCHE E-WIRTSCHAFT 3.2 Markteffekte – Großhandelsmarkt Im Stromgroßhandel sind die Effekte der Auswirkungen der Coronakrise grundsätzlich direkt ablesbar. Parallel zu den durch die Coronakrise bedingten Nachfragerückgängen (siehe Abschnitt 3.1) traten jedoch zwischen März und Mai 2020 auch andere Faktoren ein, die ebenfalls einen Preisrückgang begünstigten. Die Terminmärkte hingegen spiegeln klar die Erwartungen der Händler eines schwierigen Marktumfeldes in den nächsten Monaten wider. Der nachfolgende Abschnitt betrachtet zuerst die Entwicklung im Day-Ahead-Markt, gefolgt von den wichtigsten Terminmarktprodukten. Neben der Entwicklung in Österreich wird auch der CWE- 27 Raum , allen voran die Preisabweichungen zu Deutschland, mitbetrachtet. 3.2.1 Day-Ahead-Markt An den Day-Ahead-Märkten gab es nach Einsetzen der Ausgangsbeschränkungen in den betroffenen Ländern einen merklichen Preisverfall. Tabelle 8 zeigt die Entwicklung in den Ländern der lastflussbasierten Marktkopplung der Central–West-Europe-Region (CWE) sowie den in Kontinentaleuropa von der Coronakrise besonders stark betroffenen Ländern Italien und Spanien. Dabei zeigt sich im Vergleich zur Woche vor den Ausgangsbeschränkungen ein Rückgang von knapp 20,0 %. Der Preisrückgang fiel in Belgien am deutlichsten aus, während in Italien (Central North) die Preise lediglich um knapp 5,0 % sanken. Im Vergleich zur Vorjahreswoche fielen die Preise beinahe 50,0 %, was auf das deutlich geringere Preisniveau im Jahr 2020 zurückzuführen ist. In Österreich sanken die Day-Ahead-Preise in der KW 12 um gut 4 EUR/MWh bzw. 16,0 % gegenüber KW 11. In Deutschland lag das resultierende Wochenmittel sogar bei unter 20 EUR/MWh. Aktuell liegen die Preise im CWE-Raum zwischen 15 und 18 EUR/MWh (KW 22: 25. bis 31. Mai 2020). In Frankreich war somit das Preisniveau nur halb so hoch wie in der Woche vor den Ausgangsbeschränkungen, in Österreich immerhin um gut 30,0 % niedriger. Tabelle 8: Europäische Day-Ahead-Preise im Wochenmittel vor und nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen Erste Woche Vorwoche Veränderung Vorjahres- Veränderung Ende Mai der Vorwoche woche Vorjahres- KW 22: Maßnahmen* woche 25.–31. Mai [Einheit] EUR/MWh EUR/MWh % EUR/MWh % EUR/MWh Deutschland 17,61 21,34 -17,0 % 36,45 -52,0 % 18,04 Österreich 22,16 26,31 -16,0 % 38,86 -43,0 % 17,78 Niederlande 22,45 27,44 -18,0 % 40,03 -44,0 % 17,68 Belgien 21,01 27,30 -23,0 % 40,58 -48,0 % 15,60 Frankreich 21,29 26,66 -20,0 % 39,32 -46,0 % 14,39 Italien 35,88 37,49 -4,0 % 55,47 -35,0 % 23,62 Spanien 28,55 34,41 -17,0 % 50,14 -43,0 % 27,54 Anmerkungen: *In den meisten Ländern wurden die ersten Maßnahmen in der KW 12, also in der Woche ab 16. März, implementiert. Der Beginn der Ausgangsbeschränkungen wird in Deutschland mit KW 13 festgelegt, d. h. nach der Einigung zwischen Bund und Länder (siehe z. B. https://www.tagesschau.de/inland/kontaktverbot-coronavirus-101.html). In den Niederlanden wurde der Beginn der Schulschließungen herangezogen (KW 12), in Italien der 09. März. Bei Italien wurde die Gebotszone Central-North ausgewertet. Für Italien fehlen die Preise vom 24. März 2020. (Datenquelle: ENTSO-E Transparency Platform, Berechnungen: Österreichische Energieagentur) Eingebettet ist diese Entwicklung allerdings in einen bereits im Feber 2020 einsetzenden Preisverfall. Starke Windeinspeisung ließen in diesem Monat die Preise im CWE-Raum und auch in Österreich bereits auf unter 30 EUR/MWh fallen, in Deutschland sogar auf annährend 20 EUR/MWh im Monatsmittel. Im Jahr 2019 und im Jänner 2020 lagen die Day-Ahead-Preise im Mittel in Österreich hingegen noch bei rund 40 EUR/MWh. Im März 27 Central West Europe Region mit den Preiszonen Belgien, Deutschland-Luxembourg, Frankreich, Niederlande und Österreich. 22
Sie können auch lesen