KÖRPER UND GESCHLECHT IN DER ADOLESZENZ BODY AND GENDER IN ADOLESCENCE

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V. King: Geschlechtsspezifische Aspekte der Entwicklung (S. 92-100)

                                          KÖRPER UND GESCHLECHT IN DER ADOLESZENZ

                                                                   BODY AND GENDER IN ADOLESCENCE

                                                                                                                     Vera King

Zusammmenfassung                                                Summary
In diesem Beitrag werden die mit der adoleszenten Aneignung     The article examines the conflicts connected with the appropri-
des männlichen und weiblichen Körpers verbundenen Kon-          ation of the male/female body in adolescence. To do so, it
flikte untersucht. Dazu werden psychodynamische Konzepte        integrates psychodynamic concepts into a micro-sociological
in eine mikrosoziologische Betrachtung integriert, bei der      approach focusing not on pathological developments but on
nicht pathologische Entwicklungen, sondern die mit den kör-     the psychic challenges posed generally by bodily change.
perlichen Veränderungen zu bewältigenden psychischen He-        Central to the argument is the duality of the adolescent body
rausforderungen zum Ausgangspunkt genommen werden. Im           as the site of ”being-for-myself” on the one hand, and as the
Zentrum steht dabei die Doppelsinnigkeit des herangewach-       em-bodi-ment of ”being-of-others-and-for-others” on the other.
senen Leibes als einerseits Träger des Für-mich-Seins, zum      The phenomenologically oriented approach concentrates on
andern als Verkörperung des Von-anderen-und-für-andere-         the constitutive ”obtrusiveness” of the body in adolescence. It
Seins. In einer phänomenologisch inspirierten Lesart wird die   outlines the attendant gender-typical demands, enactments, and
konstitutive “Aufdringlichkeit” des Körpers in der Adoles-      modes of coping, situates these in terms of intergenerational,
zenz herausgearbeitet. Es werden die damit verbundenen          familial adolescence dynamics and cultural gender images, and
geschlechtstypischen Anforderungen, Inszenierungen und          casts light on the body as the locus of engagement with
psychischen Bewältigungen skizziert, ins Verhältnis zu          adolescent conflicts.
intergenerationalen, familialen Adoleszenzdynamiken und
kulturellen Geschlechterbildern gesetzt und damit Licht auf
adoleszenztypische Störungen und auf den Geschlechtskörper
als einem Austragungsort adoleszenter Konflikte geworfen.

Schlüsselwörter                                                 Keywords
Männliche und weibliche Adoleszenz - geschlechtstsypische       male and female adolescence – gender-typical responses to
Verarbeitungen körperlicher Veränderungen - intergene-          physical change – intergenerational dynamics – body as locus
rationale Dynamiken der Adoleszenz - Körper als Aus-            of adolescent conflicts
tragungsort adoleszenter Konflikte

Die Adoleszenz wird eingeleitet durch die körperlichen Ver-     In einem ähnlichen Sinne ist der Übergangsraum Jugend oder
änderungen der Pubertät und geprägt durch die psychischen       die Adoleszenz als ein “psychosoziales Moratorium” (Erikson
und sozialen Entwicklungs- und Bildungsprozesse, bei denen      1959) bezeichnet worden, womit die psychische und soziale
im günstigen Fall die körperlichen Veränderungen integriert     Bedeutung eines Entwicklungsspielraums für Jugendliche auf
und die Selbst- und Elternbilder im Prozess des Abschieds       den Begriff gebracht ist: Ein Moratorium bedeutet Zeit und
von der Kindheit entsprechend modifiziert werden. Dies ist      Raum für die schwierige Umgestaltungs- und Synchronisie-
damit verbunden, sich schrittweise mit unterschiedlichen        rungsarbeit, mit der heranwachsende junge Frauen und Männer
Bedeutungsfacetten von Liebe und Arbeit zu befassen, die        in dieser Zwischenwelt der verlorenen Kindheit und der noch
eigenen Potenziale und Ressourcen ausschöpfen zu lernen und     zu erlangenden Erwachsenheit befasst sind. Ein Moratorium
sich zugleich mit den jeweiligen Einschränkungen der eige-      bezeichnet in diesem Sinne den Kern dessen, was die mit der
nen biografischen Möglichkeiten zu konfrontieren. Die ado-      Geschlechtsreifung verbundenen Entwicklungsprozesse über-
leszenten Wandlungen münden daher, wiederum im günsti-          haupt erst zur Adoleszenz macht: die gesellschaftlich und kul-
gen Fall, in die Fähigkeit, die eigenen Ressourcen und Be-      turell zur Verfügung gestellten Möglichkeitsräume für das
grenzungen in konstruktive Lebensentwürfe (als erwachsener      adoleszente Entwerfen und Probehandeln, für das zeitweilige
Mann oder erwachsene Frau) umzusetzen.                          Stillstehen und kindliche Verharren, für den Drang hin zur

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erwachsenen Identität und zur Eroberung der Welt - Zeiträu-          Der aufdringliche Körper in der Adoleszenz
me auch für die Wendung nach innen und die Erforschung
der eigenen Geschichte, für die Suche nach den Ursprüngen            Diese verschiedenen Bedeutungsfacetten des herangewachse-
und ihren möglichen Umgestaltungen. Ein solches adoleszen-           nen Geschlechtskörpers bilden strukturell die Demarkations-
tes Moratorium ist von daher ein in historischer Veränderung         linie zur Kindheit und schaffen damit körperlich-psychisch-
begriffenes Produkt der modernen westlichen Industriegesell-         sozial grundlegend neue Bedingungen und entsprechende Her-
schaften. Es ist von daher stets, auch auf die Geschlechter          ausforderungen, wie sie im Begriff der Adoleszenzkrise ge-
bezogen, sozial ungleich verteilt1 . Adoleszenz bezeichnet in        fasst sind. Allgemein sind Krisen Situationen, in denen je nach
diesem Sinne nicht einfach eine Lebensphase, sondern die             Ressourcen und Umständen entweder Neues entstehen kann
potenzielle Qualität dieser Übergangsphase, ein psycho-              oder aber in denen das Alte sich mit besonderer Mächtigkeit
sozialer Möglichkeitsraum zu sein, der in sozial und kulturell       in ein von der Krise erschüttertes und labilisiertes System ein-
variierender Weise die Verarbeitung des Verlusts der kindli-         schreiben kann. Entsprechend ist auch die Adoleszenzkrise
chen Welt zulässt und das notwendige spielerische Experi-            potenziell Quelle von Neuem, wie sie Medium der nachhalti-
mentieren mit Größenphantasien, mit Attacke und Versöh-              gen Reproduktion des Alten sein kann. Die besondere Dyna-
nung, Trennung und Wiederfindung ermöglicht.                         mik, Kraft und Gefährdungspotenzialität der Adoleszenzkrise
Die körperlichen Veränderungen stellen dabei einen wesentli-         liegt unter anderem darin begründet, dass die gewohnte
chen Anstoß dieser Umgestaltungsprozesse dar: Konfrontiert           Selbstverständlichkeit des leiblich-körperlichen Seins in funda-
mit der Erfahrung, dass der Verlust des “eigenen kindlichen          mentale Erschütterung und Unruhe versetzt wird: Psychisches
Körpers unumkehrbar ist” (Bründl 1994, S. 221), entsteht eine        Selbst-Verständnis und körperliches Sein treten phasenweise
neue Notwendigkeit, sich mit den psychischen und sozialen            auf befremdende Weise auseinander. Der veränderte Körper
Bedeutungen des Geschlechts auf bislang unbekannte Weise             tritt dem in vieler Hinsicht noch kindlichen Selbst wie etwas
auseinander zu setzen und sich selbst im übergreifenden Sin-         Fremdes gegenüber. Das selbstverständliche leibliche Sein hat
ne “in historischer Begrenztheit trauernd anzunehmen” (ebd.).        seine Fundamente verloren, der Körper wird zum eigentüm-
Die mit dem herangewachsenen geschlechtlichen Körper ver-            lich fremden “Ding”. Aus dieser Perspektive kann die adoles-
bundene Dialektik von Erweiterungs- und Begrenzungs-                 zente Entwicklung als ein strukturell krisenhafter Prozess an-
erfahrung kann von daher als eine der zentralen Herausfor-           gesehen werden, im Zuge dessen der herangewachsene,
derungen adoleszenter Veränderung betrachtet werden: So steht        geschlechtsreife Körper psychisch angeeignet und die
im Verhältnis zum kindlichen der herangewachsene Körper              selbstverständliche, selbstgewisse Verankerung im Körper-
zunächst einmal für das “Groß”- und “Wirkmächtigsein”. Der           Selbst auf neuem Niveau wiederhergestellt werden muss.
Körper signalisiert, potenziell dem Kreis der “Großen”,              Mit beiden Momenten des adoleszenten Prozesses - der Kör-
Männer oder Frauen, zuzugehören - das Erwachsenwerden,               perlichkeit und der Krisenhaftigkeit - tun sich jugend- oder
die Potenz, die Individualität, das Selbstwerden. Das körper-        adoleszenztheoretische Konzepte und Forschungen häufig
liche Herangewachsensein ist aus dieser Perspektive Vor-             schwer. So wird Krise oftmals konkretistisch missverstanden,
aussetzung der adoleszenten Individuation. Dabei ist der             so als sei die Adoleszenzkrise gleichzusetzen mit einem
adoleszente Körper nicht allein groß, sondern auch im mehr-          zwangsläufig oder stets manifest dramatischen oder katastro-
fach determinierten Sinne sexuiert und “geschlechtsreif” ge-         phenähnlichen Verlauf im Selbst- oder Fremdverständnis der
worden. In einem neuem Sinne ist der Bezug zum anderen               Subjekte. Schon bei Hall, dessen Werk “Adolescence” (1904)
und damit auch die Abhängigkeit vom anderen körperlich ver-          zu den Klassikern der Adoleszenzpsychologie gehört, wurde
mittelt: über Begehren und Begehrtwerden wie über die Bil-           in einer Art biologistischer Ableitung und auf eine für die spä-
der der potenziellen Fruchtbarkeit. Der geschlechtsreife Kör-        tere Diskussion folgenreiche Weise die Adoleszenz als Sturm-
per steht damit auch für den Bezug zu Vater und Mutter als           und Drangperiode aus den Körperprozessen konkretistisch
Eltern und Erzeugern, als generativem Paar; er steht für den         abgeleitet. Im Gegenzug zu solchen Konzepten und aus die-
Bezug zu den “Vorfahren”, die das Individuum hervorgebracht          sem konkretistischen Missverständnis heraus kommt es dann
haben, wie zu der Potenzialität von “Nachfahren”, für die            umgekehrt zu einer nicht minder reduktionistischen Kon-
Möglichkeit, selbst im Sinne der leiblich-körperlichen Zeu-          zeptualisierung von Jugend als einem krisenfreien Verlauf. In
gung und Empfängnis generativ zu sein2 . Die adoleszenten Ver-       der hier eingeschlagenen Perspektive geht es jedoch um eine
änderungen verkörpern also auch Generativität und Gene-              strukturtheoretische Betrachtung, in der Krise zunächst einmal
rationenabfolge. Die psychische Auseinandersetzung mit dem           jenen Umschlagspunkt bezeichnet, in dem aufgrund struktu-
Körper in der Adoleszenz verläuft daher immer in der doppel-         reller Wandlungen eine neue Notwendigkeit zur Äquilibration
ten Bedeutung, dass der Körper sowohl potenzieller Träger            auftaucht oder erzeugt wird, deren Inhalte und Formen eben
der Individuation ist, insofern Materialisation und Bühne des        im Moment des Umschlags noch nicht feststehen, also “erar-
Für-mich-Seins, als auch Träger der Generativität, Mate-             beitet” werden müssen3 . Zur Veranschaulichung der Struktur
rialisation und Bühne des Von-anderen-und-für-andere-Seins.          dieser Krise kann die phänomenologische Begrifflichkeit ver-

1
  Vgl. dazu ausführlicher King 2002b, King 2000 a, b, c
2
  Und zwar strukturell, d. h. unabhängig davon, ob „Nachkommenschaft“ gewünscht oder (später) realisiert wird
3
  Diese Momente des Umschlags konstituieren jenen Umarbeitungsprozess, der als Adoleszenz bezeichnet werden kann. Dass sich daraus
im Laufe der Moderne eine eigenständige, eigenlogische Lebensphase entwickelt hat, ändert nichts an den strukturellen Anforderungen und
Prägungen von Adoleszenz als einem Umwandlungsprozess.
Psychotherapie 7. Jahrg. 2002, Bd. 7, Heft 1 © CIP-Medien, München                                                             Seite 93
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wendet werden (vgl. Waldenfels 2000, Küchenhoff 1987), die          Geschlechterbedeutungen in den Körper in modernisierten Ge-
das Leib-Sein (im Sinne von: ich bin Leib) unterscheidet vom        sellschaften, sehr viel vermittelter. Sie realisieren sich wesent-
Körper-Haben (im Sinne von: ich habe diesen Körper). In             lich auch darüber, welche Formen den Adoleszenten zur Ver-
Anlehnung daran kann festgehalten werden, dass das Verhält-         fügung gestellt werden, um die vom Körperlichen selbst ausge-
nis von Leibsein und Körperhaben durch die körperlichen             henden Verarbeitungsanforderungen bewältigen zu können.
Veränderungen der Adoleszenz auf charakteristische Weise
in beunruhigende Unordnung und Unruhe versetzt und ver-             Produktion und Inszenierungen von
ändert wird. Die bislang gewohnte “Eigenleiberfahrung” des          Körperbedeutungen
herangewachsenen Nicht-mehr-Kindes wird durch die kör-
perlichen Veränderungen nahezu vollkommen umgewälzt. In             Allerdings ist Körperlich-Leibliches in diesem Sinne nicht
der Eigenleiberfahrung vergegenständlicht sich, wie es Kü-          einfach beliebig formbares Material4 , sondern vom Kör-
chenhoff (1987) als Abgrenzungskriterium von Normalität und         perlich-Leiblichen gehen selbst Anforderungen aus, etwa die
Pathologie formuliert hat, “unser Leib (immerfort) zum Kör-         beschriebene anstehende Trennung vom kindlichen Körper-
per, aber er kann normalerweise auch in die Unaufdringlichkeit      Selbstbild - die sich nicht positiv als konkrete Geschlechts-
zurückgleiten” (S. 290). Eben dieses “Zurückgleiten” in die         bedeutung bestimmen lassen, die jedoch andererseits auch For-
“Unaufdringlichkeit” ist nun, so kann hier hinzugefügt wer-         mung und Begrenzung markieren. So repräsentiert der er-
den, gerade in der Adoleszenz phasenweise außer Kraft ge-           wachsene geschlechtliche oder sexuelle Körper beispielsweise
setzt und muss erst neu erarbeitet werden. Der kindliche Leib       die künftige sexuelle und generative Potenz. Den sexuellen
ist zum aufdringlich veränderten Körper geworden. In dieser         Körper anzueignen, verlangt jedoch zunächst, sich von den
adoleszenztypisch zugespitzten Aufdringlichkeit des Körpers         kindlichen Liebesobjekten und Bedeutungswelten zu trennen.
und der mit ihm verbundenen Phantasien und Gefühle ent-             Hinzu kommt, gleichsam von der anderen Seite her, dass der
steht zwangsläufig eine psychische Labilisierung, wenn der          sexuelle Körper unnachgiebig auf das begehrte Objekt und
Leib passager zum aufdringlichen “Körper-Ding” (Waldenfels          die erneute Abhängigkeit von Liebesobjekten verweist. Auch
2000, S. 248f.) wird, das dem Ich entfremdet erscheint: Die-        hier stellt sich eine große Integrationsanforderung, nämlich
ses Ding hier soll mein Leib sein? so die phasenweise be-           die neu erwachten intensiven triebhaften Wünsche auszu-
fremdet-distanzierende Frage aus der Perspektive der Ado-           balancieren und die Sehnsucht nach Befriedigung und Nähe
leszenten, die Reaktion auf die eigentümlichen Veränderungen        zum Objekt mit der gleichzeitig auftretenden intensiven Angst
des in der Adoleszenz herangewachsenen Geschlechtskörpers.          vor der Nähe und vor dem Verlust an Abgrenzungsfähigkeit
Und die kulturelle Umgebung antwortet mit entsprechenden            in Einklang zu bringen. Es gilt also, sich im Prozess der An-
Codes: das ist dein Körper, der dies und jenes bedeutet, und        eignung des sexuellen Körpers von alten Objekten zu trennen
damit bist du Frau oder Mann geworden.                              und in der Hinwendung zu anderen Liebesobjekten die Be-
                                                                    ziehung zum anderen in ein neues Gleichgewicht zu bringen.
Da der Körper als Bedeutungsträger sozialer Strukturierungen        Da diese Trennungen und Neuanpassungen immer auch
fungiert, gehen die Prozesse der Konstruktion der Geschlech-        schwer fallen, erzeugt die unabänderliche Konfrontation mit
terbedeutungen einher mit bestimmten polaren Kodierungen,           einem herangewachsenen genitalen Körper erhebliche Äng-
die sowohl die geschlechtliche Arbeitsteilung als auch die          ste, von daher auch Widerstand und regressive verleugnende
Machtbeziehungen gleichsam leibhaftig begründen und re-             Tendenzen. Gerade die materielle und insofern unumstößli-
präsentieren sollen. Verknüpfungen von Körper- und Ge-              che Realität der körperlichen Veränderungen wird mit einer
schlechterbedeutungen, insbesondere über die Adjektivie-            gewissen Zwangsläufigkeit zum zentralen Bezugspunkt der
rungen der Sexualorgane etwa mittels der geläufigen Asso-           regressiven realitätsverhüllenden, verleugnenden oder
ziationen von männlich - weiblich mit außen - innen, oben -         manipulativen Tendenzen. Je bedrohlicher die mit dem adoles-
unten, hoch - tief, aber auch expliziten Bewertungen wie rein       zenten Körper verbundenen Beziehungsveränderungen sind,
- unrein, gesund - krank, wertvoll - überflüssig, stark - schwach   umso mehr richtet sich die psychische Anstrengung oder
usw., sind besonders eindrücklich aus den ethnologischen            regressive manipulative Kraft und Gewalt, im psychischen wie
(Bourdieu 1997) oder ethnoanalytischen Forschungen (Bos-            physischen Sinne, auf eben diese materielle Realität des Kör-
se 1994) bekannt geworden. Aber auch in modernen Gesell-            pers. Vergegenwärtigen wir uns dazu, dass sich die adoles-
schaften finden sich entsprechende Konstruktionen und den           zente Entwicklung charakterisieren lässt durch die Diskrepanz
vormodern-rituellen Fixierungen von Körper-Bedeutungen              zwischen der körperlichen Reife einerseits und einer noch
analoge Effekte wie die vielfach analysierten Verknüpfungen         nicht erreichten psychischen Integrationsfähigkeit anderer-
der Menstruation mit Unreinheit, Krankheit oder Einge-              seits. Die gelungene Integration der herangewachsenen
schränkt-Sein (Waldeck 1988, King 1992, Flaake 2001).               Leiblichkeit am Ende der Adoleszenz verlangt mit andern
Manche dieser Kodierungen und Botschaften wirken unmit-             Worten eine psychische Kompetenz, die zunächst, und dies
telbar und direkt - denken wir an bestimmte Geschlechter-           charakterisiert das Adoleszenzspezifische, noch nicht einge-
diskurse, wie sie über kulturelle Leitbilder und Normen etwa        löst werden kann. Der adoleszente Körper wird zur Quelle
in den Medien explizit zum Ausdruck gebracht und in den             und zum Austragungsort der psychischen Spannungen, ge-
jugendkulturellen Stilen vorgefunden werden. Manche die-            rade weil eine idealiter zu erreichende Integration und
ser Botschaften und Strukturierungsmechanismen sind jedoch,
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und das kennzeichnet gerade die Einschreibungen von                     Wie kulturalistische Varianten des (De-)Kostruktivismus annehmen.

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Individuiertheit noch nicht vorhanden sind. Die Spannung zwi-        repräsentanzen im Verhältnis zu den Objektrepräsentanzen.
schen körperlichem Herangewachsensein und einem der                  Diese Überbesetzung des Selbst ist umso notwendiger, je un-
körperlichen Entwicklung psychischen Hinterherhinken er-             sicherer die Selbstidentität. Aus diesen Unsicherheiten ergibt
zeugt eine Lücke, eine Art Vakuum. Aus dieser Lücke heraus           sich auch, dass die Bilder des Körpers schwanken und abwei-
erfolgen die typischen adoleszenten Kompensationen, bevor            chen im Verhältnis zu ihrer realen Morphologie oder der
eine wirkliche Aneignung des herangewachsenen Körpers auf            Außenwahrnehmung: So wird in den Körper hineinphanta-
psychischer Ebene vollzogen sein könnte: das typische ado-           siert, und er wird bewusst oder unbewusst manipuliert, in-
leszente Changieren zwischen Groß und Klein, zwischen groß-          dem er wie in der Geschichte der Raupe größer oder kleiner,
artigen und kleinmütigen Gesten. Es entwickelt sich eine aus-        dicker oder dünner gemacht wird - also zum Beispiel erwach-
geprägte Spannung zwischen Sein und Schein, zwischen Wis-            sener oder kindlicher, männlich oder weiblich, erotisch oder
sen und Nichtwissen, Allmachtsphantasie und Entwertung,              abstoßend. Andere Beispiele für die Manipulationen des Kör-
zwischen homosexuellen und heterosexuellen Identifizierun-           pers sind sportliche Exzesse und vielfältige Formen, in denen
gen, zwischen Verschmelzungswünschen und narzisstischem              der Körper malträtiert oder beherrscht wird, etwa durch
Rückzug, unersättlicher Gier und strenger Askese, die unver-         Drogeneinnahme oder durch Askese. Jugendliche geben sich
mittelt alternieren und dissoziiert werden können. Zur Il-           bekanntlich exzessiven Triebbefriedigungen wie stoischen
lustration sei auf eine Metapher aus “Alice im Wunderland”           Versagungen hin. Sie experimentieren mit ihren körperlichen
verwiesen, die von Lough (1983) und Willenberg (1989)                Kräften und Grenzen und spielen dabei in mehr oder minder
adoleszenztheoretisch interpretiert worden ist: In dieser klei-      gefährdenden Formen notwendigerweise auch mit dem Risi-
nen Geschichte weiht die Raupe Alice in ihr Geheimnis ein.           ko und mit der Destruktion. Denn da die Trennung von der
Die Raupe erklärt Alice, wie sie ihre eigene Körpergröße selbst      Kindheit, vom kindlichen Körper und kindlichen Beziehungs-
bestimmen und verwandeln kann: “Ißt sie von der einen Seite          konstellationen und Welterfahrungen immer auch als Verlust
des Pilzes, (so) wächst sie, ißt sie von der anderen, (so)           erfahren wird, der in unterschiedlicher Ausprägung auch
schrumpft sie” (Willenberg 1989, S. 194). Lough (1983) in-           Schmerzen und Aggressionen hervorruft, schließen solche
terpretiert dieses Bild als Metapher für die Schwankungen            Trennungsempfindungen auch Phantasien von Zerstörung mit
und die außerordentliche Verwandlungsfähigkeit des psychi-           ein im Sinne von: Etwas ist für immer unwiederbringlich ver-
schen Reifeniveaus von Adoleszenten - Adoleszente schwan-            loren und damit “zerstört”. Passive Zerstörungsempfindungen
ken in ihrer psychischen Größe und Kleinheit, und sie spielen        werden immer auch in aktive Haltungen umgesetzt und da-
auch damit im Sinne von “hysterischen” Selbstverhüllungen            durch zu bewältigen versucht. Insbesondere Winnicott (1965)
gegenüber ihrer körperlichen Reife. Dieses Hin- und Her-             hat daher betont, dass destruktive Phantasien und Neigungen
schwanken hat eine Analogie auch in den an- und abschwellen-         zu den Bewältigungsformen der Adoleszenz dazugehören und
den Erregungsabläufen oder in den Bildern der sich auf- und          von der Umwelt bis zu einem gewissen Grad ertragen und
abbauenden Erektion, wie Willenberg (1989, ebd.) hervorge-           gleichsam “gehalten” werden müssen. Anders als bei Kin-
hoben hat. Gerade in der Adoleszenz sind ja die Schwankun-           dern ist die adoleszente Destruktivität oder das adoleszent-
gen der Ich-Fähigkeiten zugleich an die adoleszente Trieb-           destruktive “Agieren” mit größerem Risiko für sich selbst und
haftigkeit und die beunruhigenden Verselbständigungen des            für die anderen verknüpft, da Adoleszente nun über größere
sexuellen Körpers geknüpft. Zusammenfassend können wir               Wirkmächtigkeit, Kraft und Fähigkeiten verfügen, solche
die je nach Wunsch sich klein und groß machende, sich dick           Impulse auch in real gefährliche oder gefährdende Handlun-
oder dünn machende Raupe als Metapher der adoleszenten,              gen umzusetzen. Doch Spiel und Ernstmachen mit dem Risi-
ja geradezu adoleszent-hysterischen Bewältigungsformen               ko und der Grenzüberschreitung sind in der Adoleszenz immer
verstehen5 , als spielerische, mitunter jedoch auch unfruchtbar      auch Versuche, den veränderten Körper und die Gefühle, ihm
fixierte Form der Bewältigung der dem adoleszenten Ich als           ausgeliefert zu sein, zu beherrschen - Versuche, die Ab-
potenziell überwältigend erscheinenden adoleszenten Ver-             hängigkeit, für die der Körper steht, zu bewältigen, die eige-
änderungen.                                                          ne Autonomie durch das Durchspielen von Grenzsituationen
                                                                     zu erproben. Das physische und psychische Veränderungsspiel
Diese adoleszent-hysterischen Modi kreisen zwangsläufig um           mit dem gleichsam konstitutiv Unveränderlichen - der kör-
die Körperlichkeit, sei es um die körperliche Erscheinung oder       perlichen Realität - ist insofern immer zentraler Bestandteil
um die Körperrepräsentanzen. Die adoleszent-hysterischen             der adoleszenten Psyche und beinhaltet sowohl Selbstver-
Inszenierungen werden auf der Bühne des Körpers und sei-             größerungen als auch Selbstverkleinerungen und -entwertun-
ner Erscheinung gespielt. Dazu gehören, gleichsam am äu-             gen. Dieses Spiel kann auf unterschiedlichen Symbolisie-
ßersten Rand des Körper-Ichs, zum Beispiel die adoleszenz-           rungsebenen und mit unterschiedlicher Gewaltsamkeit und
typischen Ästhetisierungen des Körpers, mit denen sich Ju-           Fixierung im Konkreten ablaufen - so lange, bis die Körper-
gendliche von der Erwachsenenkultur abgrenzen und die von            Selbst-Beziehung eine neue Gelassenheit erlangt hat. Um
den Erwachsenen als bizarr, hässlich, verrückt oder provoka-         nochmals an die phänomenologische Terminologie anzu-
tiv empfunden werden. Diese Ästhetisierungen sind ein Teil           knüpfen: Das aufdringliche Körperhaben in der Adoleszenz
der in der Adoleszenz notwendigen Überbesetzung der Selbst-          kann auch wieder in ein ruhigeres oder hintergründigeres

5
 Der Begriff des “Hysterischen” wird hier im Sinne eines Verarbeitungsmodus verwendet (Mentzos 1986), der insbesondere in der
Adoleszenz und in Hinblick auf die Bewältigung der adoleszenten Körperlichkeit zum Tragen kommt (vgl. King 2001).

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Leibsein zurückschwenken.                                          die Verheißungen des Größerwerdens, die Expansion und die
Bezeichnenderweise wird nun sowohl in der Forschung zur            potenzielle Fruchtbarkeit des erwachsenen Lebens - und da-
männlichen Adoleszenz als auch in der Forschung zur weibli-        mit sind wiederum, in einer weiteren Steigerung der Ambiva-
chen Adoleszenz als jeweils geschlechtsspezifische Besonder-       lenz, auch Begrenzung, Endlichkeit und nicht zuletzt die herr-
heit akzentuiert, dass der Körper in der Adoleszenz zum Pro-       schende Geschlechterordnung verbunden. In diesem Sinne
blem wird, eine Neigung zu körperlicher Selbstdestruktivität       reagieren Jugendlichen auf diese Vielzahl hochambivalenter
entsteht wie auch eine Neigung zu psychosomatischen Sym-           Bedeutungen, indem sie phasenweise den Körper zu verber-
ptomen6 . Allerdings sind diese Fragen in unterschiedlichen        gen und die Geschlechtlichkeit zu verleugnen suchen, um ihn
Kontexten erforscht worden und in Hinblick auf weibliche           dann wieder zur Darstellung von Konflikten zu verwenden.
Adoleszente ausführlicher thematisiert. Hinzu kommt, dass          Konflikte und Gefühlszustände werden dabei expressiv ver-
zwar offenbar für beide Geschlechter der Körper oftmals als        körpert und oftmals mit großer Leidenschaft am eigenen Leib
Austragungsort oder Medium adoleszenter Konflikte in               ästhetisiert. Adoleszente nehmen die ambivalenten Bedeu-
Erscheinung tritt, sich jedoch die Formen und Beweggründe          tungen des Körpers wie auch der herrschenden Geschlechter-
bei Jungen und Mädchen, die Formen der Körperbeschäfti-            ordnung auf, indem sie mit ihm spielen, ihn aufs Spiel setzen
gung wie auch der Destruktivität zu unterscheiden scheinen.        und riskieren - und ihn zugleich zu beherrschen und zu kon-
Bei Mädchen wird mit dem Eintreten körperlicher Verände-           trollieren versuchen. Je nach Konfliktlage, emotionaler Verfas-
rungen oftmals ein manifester Einbruch des Selbstwertgefühls       sung, sozialer Situation, je nach Entwicklungs- oder Pro-
beobachtet, während Jungen eher zu begrenzungsverleugnen-          blemlage und schließlich auch: je nach Geschlecht changieren
den, manischen Reaktionen zu neigen scheinen. Dabei kann           diese Körperverwendungen und -darstellungen im jeweiligen
davon ausgegangen werden, dass diese unterschiedlichen Aus-        Mischungsverhältnis von konstruktiven oder destruktiven
richtungen auch mit unterschiedlich verkörperten Bildern von       Tendenzen, von Spiel oder Risiko oder eben auch hinsichtlich
sexueller Intimität und Hingabe zusammenhängen, die zudem          der zentralen Themen.
kulturell geschlechtstypisiert werden. Dabei scheint diese Ten-
denz zur Körperkontrolle bei weiblichen und männlichen Ado-        Nun steigern sich die ambivalenten Wahrnehmungen des
leszenten unterschiedlich gerichtet. Bei Mädchen und jungen        Körpers noch in seinen sexuellen und geschlechtlichen Be-
Frauen drückt sich der Drang zur Beherrschung eher in der          deutungen, nämlich Ort und Medium der sexuellen Intimität
adoleszenztypischen Zwanghaftigkeit aus, mit der beispiels-        zu sein. Sexuelle und damit verbundene psychische Verschmel-
weise Kontrolle ausgeübt wird über das, was in den Körper          zung und der damit verbundene phasenweise Selbstverlust in
hineinkommt, etwa das Essen, aber auch über die Körper-            der Leidenschaft realisieren sich körperlich - und gerade des-
formen und die körperliche Erscheinung im Ganzen. Männli-          halb muss im Verhältnis zum Körper zugleich die Fähigkeit
che Adoleszente neigen demgegenüber eher dazu, mittels des         zu Kontrolle und Beherrschung betont und stilisiert werden.
eigenen Körpers Kontrolle im Außen, über die äußere Welt           Vergegenwärtigen wir uns dazu erneut, dass im Erleben des
der Objekte ausüben zu können. Diese unterschiedlichen Ten-        eigenen Körpers immer zugleich die anderen in den Leib ein-
denzen zeigen sich auch in den erwähnten unterschiedlichen         geschrieben sind: Der Leib verweist auf Natalität, auf den
Formen der adoleszenztypischen körperlichen Selbstdestruk-         leiblichen Ursprung und die damit verknüpfte fundamentale
tivität. Während zum Beispiel Essstörungen in der Adoleszenz       Bezogenheit – “auf andere, von denen ich gezeugt, geboren
vorwiegend bei Mädchen und jungen Frauen vorkommen,                und aufgezogen wurde” (Waldenfels 2000, S. 306). Diese
neigen Jungen und junge Männer eher zu gefährlichen Aktio-         generative Bedeutung des Leiblichen wird im adoleszenten
nen, Sportarten, riskanter Fahrweise und entsprechenden            Ringen um Individuation für beide Geschlechter in besonde-
Unfällen u.Ä. Welche spezifische Rolle spielt nun jeweils der      rer Weise relevant. Für Adoleszente, so wurde ausgeführt,
Körper in der weiblichen und männlichen Adoleszenz?                aktiviert die neu hinzugekommene Potenzialität, selbst genera-
                                                                   tiv zu werden, in besonderer Weise die Auseinandersetzung
Bewältigungsformen männlicher und                                  mit den “Vorfahren”, mit dem eigenen Ursprung und den Bil-
weiblicher Adoleszenter                                            dern des eigenen Gewordenseins. Dies bedeutet zugleich, dass
                                                                   der herangewachsene genitale und fruchtbare Körper in der
Bislang wurde herausgearbeitet, dass im Zuge der mit der           Adoleszenz die Phantasien erweckt, selbst potenziell Teil ei-
Geschlechtsreifung verbundenen Veränderungen Körperliches          nes sich vereinigenden oder hervorbringenden Paars zu wer-
oft als bedrängend und hochambivalent erlebt wird: So reibt        den: Das innere Bild des adoleszenten genitalen Körpers ist
sich zum einen die in vieler Hinsicht noch kindliche Psyche        insofern - bei beiden Geschlechtern - auf ambivalente, beun-
an ihrer geschlechtsreif herangewachsenen körperlichen Er-         ruhigende Weise von den Bildern des Sexuellen, von Zeu-
scheinung, die schmerzlich das unumgängliche Ende der Kind-        gung und Empfängnis, von den ambivalenten Bildern des in-
heit signalisiert. Zugleich repräsentiert der Körper aber auch     einander verschlungenen und eindringenden generativen Paars

6
  Zu “geschlechtstypische(n) Ausprägungen psychosomatischer Probleme” und “Mustern der Problembewältigung” vgl. Hurrelmann 1999,
Kap. 4.4; Brähler/Felder 1992; zur “Somatisierung psychischer Probleme” bei männlichen Jugendlichen vgl. Roth 2000, zu körper-
gefährdendem Risikoverhalten bei männlichen Adoleszenten vgl. Metz-Göckel 1993, Friedrich 1990; zu konflikthaften Körperbedeutungen
in der weiblichen Adoleszenz vgl. z.B. Flaake/King 1992, Steiner-Adair 1992, King 2000d, 2001, Flaake 2001.

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erfüllt7 . Welch große Bedeutung diese inneren Bilder haben,            genitalen Körpers zugleich ein genuiner Entwurf des Objekt-
wird u.a. daran deutlich und manifest, wie und mit welcher              bezugs: psychischer (oft auch realer) Raum eines potenziell
Intensität sich Adoleszente mit den verschiedenen Varianten             neuen Ursprungs, ein virtuell oder phantasmatisch den Penis
des “ersten Mals” auseinander setzen, in denen jeweils neue             in sich aufnehmender und virtuell ein Kind empfangender,
Körpergrenzen durchdrungen oder überschritten und dabei                 nährender und gebärender8 . So wird die junge Frau in der
Innen und Außen in neuen Bezug gesetzt werden: die Menar-               Adoleszenz damit konfrontiert, dass ihr Körper und ihr inne-
che, in der auf neue Weise etwas von innen nach außen dringt            rer Raum - phantasmatisch - vom Objekt durchdrungen sind
(Flaake/King 1993); der erste “richtige” Kuss, mit dem erst-            - eine potenzielle Quelle und Grundlage von Potenz wie auch
mals Körpergrenzen sexuell überschritten werden, und                    von Angst vor Zerstörung. Da die sexuelle Verschmelzung im
schließlich der erste sexuelle Verkehr und die Defloration. In          weiblichen Köper und Innenraum stattfindet, sind auch die
der Studie von Breitenbach (2000) schildern beispielsweise              Abgrenzungsbemühungen bei weiblichen Adoleszenten stär-
fast alle Mädchen den ersten Kuss – “ritueller Anfang der               ker auf den Körper selbst, auf die Kontrolle der im Innern
erotischen Biographie bzw. der heterosexuellen Beziehungen”             lokalisierten Triebhaftigkeit und - abstrakt formuliert - auf
- als ein “negatives Erlebnis” (S. 314). “Das Vokabular, das            eine Beherrschung der Objekte im Körper ausgerichtet. Dies
sie benutzen, spricht von körperlichem Ekel und psychischer             hat zur Folge, dass auch destruktive Tendenzen zur Körper-
Überwältigung” (ebd.). Diese negativen Empfindungen müs-                kontrolle umso größer sind, je weniger Raum den Mädchen
sen nicht daher rühren, dass es sich immer um den falschen              im psychischen und sozialen Sinne zur Verfügung steht, um
Zeitpunkt oder den falschen Partner handelte, wie Breiten-              ihre Selbstanteile zu stärken, mit Größenphantasien und
bach vermutet (ebd.). Es kann vielmehr angenommen wer-                  Grenzüberschreitungen zu experimentieren, narzisstische Be-
den, dass es das Überschreiten der Körpergrenzen selbst ist,            friedigung und Ruhe in sich selbst zu finden - kurz gesagt:
welches beim ersten Mal als überwältigend intrusiv empfun-              einen adoleszenten Entwicklungsspielraum zur Verfügung zu
den wird, das Gefühl der Selbstabgegrenztheit durcheinander             haben. Je schwerer Selbstabgrenzung und Selbstbehauptung
bringt und daher “negativ” erlebt wird. Die inneren Vorberei-           fallen, je weniger Möglichkeiten und Ressourcen der expan-
tungen auf den ersten sexuellen Verkehr werden wiederum                 siven Selbst-Stabilisierung in der Adoleszenz gegeben sind,
oftmals mit sehr viel Sorgfalt getroffen, wie Dannenbeck u.a.           umso eher wird der Körper selbst zum Konfliktfeld. Nun ist
(1999) verdeutlichen, wobei kontrollierende und pragmatisie-            es aber so, dass jungen Frauen häufig gerade weniger Raum
rende Aspekte dieser Auseinandersetzungen (Breitenbach                  für die Expansion, narzisstische Stabilisierung und den dazu
ebd.) auch auf die dabei zu bewältigenden Ängste hinweisen.             notwendigen spielerischen Umgang mit Größenphantasien zu-
Leidenschaftliche Empfindungen können erst dann realisiert              gestanden wird, dass der Entwicklungs- und Experimentier-
und genossen werden, wenn die Selbstabgrenzung stabilisiert             spielraum für junge Frauen aus kulturellen Gründen oftmals
ist, die Überschreitung der Körper-Selbst-Grenzen nicht mehr            eingeschränkter ist. Adoleszente Entwicklungsspielräume jun-
als bedrohlich empfunden wird und nicht-destruktive Bilder              ger Frauen können eingeschränkt sein durch familiale Dynami-
des in der Lust ineinander verschmelzenden Paars überwie-               ken, in denen die Töchter funktionalisiert und dadurch an
gen. Einen weiteren Hinweis auf die eindringlichen, mit                 Selbstabgrenzung und Selbstbehauptung gehindert werden,
Generativität und Objektverschmelzung verknüpften Phanta-               wie nicht nur empirische Untersuchungen von Familien etwa
sien, die mit der Leiblichkeit und Sexualität der Adoleszenz            mit essgestörten Patientinnen gezeigt haben (Reich 1997;
verbunden sind, geben die beinahe schon irrational anmu-                Reich/Cierpka 1997), sondern auch Untersuchungen über die
tenden Ängste, schwanger zu werden oder eine Schwanger-                 Reaktionen der Eltern auf die erste Menstruation und die Se-
schaft zu bewirken, die nach Starke (1999) mit weitem Ab-               xualität der Töchter verdeutlichen (Flaake 2001). Solche fa-
stand an erster Stelle der sexualitätsbezogenen Ängste Ado-             milialen Dynamiken sind ein Beispiel von vielen Struktur-
leszenter nach deren Aussage rangieren.                                 merkmalen der herrschenden Geschlechterordnung, die noch
                                                                        immer die adoleszenten Spielräume von Mädchen verringern.
Gilt dies für beide Geschlechter, so bekommen diese inneren
Bilder für weibliche Adoleszente jedoch eine besondere Be-              Wird nun aber durch die möglichen Formen des Manipulierens,
deutung und Brisanz, da sich die Vereinigung und das Entste-            Einengens, Eindringens und Instrumentalisierens der Raum
hen und Heranwachsen des phantasmatischen Kindes im weib-               der Abgrenzung und narzisstischen Stabilisierung verringert,
lichen Körper vollziehen und psychisch verortet sind. In die-           besetzt oder enteignet, so müssen bei weiblichen Adoleszen-
sem Sinne ist die psychische Repräsentanz des weiblichen                ten umso mehr die Objekte im eigenen Körper beherrscht,

7
  Und zwar unabhängig von der hetero- oder homosexuellen Orientierung und unabhängig von der sexuellen Praxis. So hat zum Beispiel
Reiche aus psychoanalytischer Sicht betont: dass “der Homosexuelle ... geradeso wie der Heterosexuelle das Urbild der vereinigten Eltern-
imago derart in sich bewahren (internalisieren) (muss), dass es ihn - als gutes inneres Objekt - mit kreativer Lebensenergie versorgen kann”
(2000, S. 197f.). Das Bild des Ursprungs ist - zumindest bis zur umfassenden “Revolutionierung” der Reproduktion qua Technologie -
zwangsläufig ein heterosexuelles, entsprechend sind nach Reiche “in der unbewußten Phantasie, die dem Orgasmus seine einzigartige
Macht verleiht und deren Erneuerung in jedem sexuellen Erlebnis gesucht wird, ... die vereinigten Eltern und ... darum das heterosexuelle
Paar enthalten” (S. 194).

8
 Auch im Fall der Homosexualität sind die Repräsentanzen des weiblichen Innenraums mit Bildern des (mütterlichen) Ursprungs und des
“zeugenden” (Eltern-)Paars verwoben.

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die Ausbalancierung von Selbst- und Objekt-Grenzen aus-              typischerweise: das Objekt - im Äußeren - sichern und zugleich
schließlich nach innen gerichtet und Größenphantasien im             die eigene Unabhängigkeit vollständig bewahren. Diese Kon-
Verhältnis zum eigenen Körper agiert werden. Im Fall der             figuration kann die Vorstellungen von Liebesbeziehungen
Essstörungen etwa, indem über das Verschlingen, Auskotzen            prägen (Meuser 1998, S. 246). Aber auch in anderen Berei-
oder Verweigern der Nahrung der Körper als Objektbehältnis           chen kann sich diese besondere Form von Bezugnahme durch-
manipuliert, das Objekt in eigener Verfügung hineingenom-            setzen: nämlich perfekte Kontrolle über die Welt der Objekte
men oder ausgestoßen oder schließlich das Objekt im Körper           einüben und zugleich vollkommen autonom bleiben zu wol-
ausgehungert wird. Diese Bewältigungsversuche bedeuten               len. Da diese Gleichung niemals aufgeht, können solche psy-
zugleich im Verhältnis zu den ausgeführten adoleszent-hys-           chischen Konfigurationen oft nur mit einem Schuss Gewalt-
terischen Mechanismen eine Verschärfung der Abwehr-                  samkeit aufrechterhalten werden. Die Gewaltsamkeit richtet
manöver, die mit größeren Spaltungen verbunden sind oder             sich potenziell gegen die Objekte, die kontrolliert werden müs-
sein können: Sind die Selbst-Objekt-Beziehungen instabiler,          sen, im Besonderen aber kann sie sich auch auf riskante Wei-
wird die Beziehung zwischen den Eltern besonders destruk-            se in das forcierte Bild der eigenen Autonomie einschleichen
tiv erlebt, oder ist die Adoleszente einer besonders intrusiven      - indem eben zum Beispiel der eigene Körper als möglichst
Familiendynamik ausgesetzt, wie dies für Familien essge-             perfektes Medium der Bemeisterung der Welt und der ande-
störter Patientinnen vielfach festgestellt wurde, so muss die        ren aufs Spiel gesetzt wird und reale Gefährdung geleugnet
Abwehr verschärft und die regressive “Konkretisierung des            werden muss. Die Größe der Gefahr, die dabei im Äußeren
Körpers” gesteigert werden. Analog zur Hypochondrie wird             eingegangen wird, kann als Ausdruck und Spiegelung innerer
die Beschäftigung mit dem Körper als Objekt dann immer               Bedrohung verstanden werden. Dabei muss angenommen
mehr zum Schutzwall. Und schließlich kann es zum totalen             werden, dass vor allem dann, wenn die verinnerlichte Erfah-
narzisstischen Rückzug in den anorektischen Identitätsentwurf        rung eines fürsorglich liebevollen, väterlichen Vaters fehlt,
kommen (Schneider 1993), indem dem in der Adoleszenz auf-            die eigene Männlichkeit in der Intimität zu zerschmelzen und
dringlich gewordenen Körper jede Seinsmöglichkeit ge-                sich die Dramatik der Mannwerdung geradezu gewaltsam zu
nommen wird, so als sei der Körper ein anderer im Verhältnis         verschärfen drohen (Bosse 1994). Die Identifizierung mit ei-
zum eigenen Ich. Damit wird der weibliche Körper als poten-          nem fürsorglichen und väterlichen Vater könnte demgegenüber
zielles Objektbehältnis oder als Ort der potenziellen Ver-           eine Brücke schlagen in dem adoleszenten Ringen darum, das
schmelzung von Selbst und Objekt, als virtueller Ort und             Streben nach Selbstständigkeit und Abgrenzung und die Sehn-
Behältnis eines neuen Ursprungs oder einer neuen “Urszene”           sucht nach Intimität und Bindung konstruktiver zu verbin-
gleichsam auf Null gesetzt: Aus diesem Körper kann nichts            den. Umgekehrt sind Ängste vor Selbstverlust zwangsläufig
entstehen, in ihn kann nichts eindringen.                            dort am größten, wo das innere Bild des Männlichen, wie es
                                                                     wesentlich auch aus dem Bild des Vaters entworfen wird, pre-
Andere Formen des Ringens mit dem Objekt im Körper mit               kär oder unkonturiert ist, insbesondere auch dort, wo das Bild
teilweise durchaus ähnlichen Funktionen stellen verdecktere          des Vaters nicht mit Generativität und Bezogenheit verknüpft
Formen des Agierens dar, wie zum Beispiel Schwanger-                 werden kann. Dort kann die neu herangewachsene männliche
schaften oder Abtreibungen in der Adoleszenz, die nach dem           Körperlichkeit aufs Spiel gesetzt und adoleszenztypisches
Modus einer Sucht agiert werden, wie sie von Berger (1989,           Risikoverhalten gefährlich zugespitzt werden9 . Zusammen-
S. 248ff.) beschrieben worden sind. Eine weitere Variante stel-      fassend kann daher festgehalten werden, dass männliche
len psychosomatische Beschwerden dar, wie zum Beispiel               Adoleszente eher zu externalisierenden und manischen oder
Unterbauchschmerzen ohne spezifische Befunde bei jungen              selbstvergrößernden Bewältigungsformen neigen, die jedoch
Frauen, die etwa in Operationen wie fehlindizierte Append-           nicht, wie oftmals der Fall, mit “größerem” Selbstwertgefühl
ektomien einmünden können (Hontschik 1987, King 1992).               in eins gesetzt werden dürfen.

In Hinblick auf männliche Adoleszente stellt sich das Pro-
                                                                     Intergenerationale Dynamiken
blem anders dar: Hier scheinen die Schwierigkeiten häufig
eher darin zu liegen, dass zu wenig männlich-väterliche Mo-          Übergreifend stellen die körperlichen Veränderungen und die
delle und Identifizierungsmöglichkeiten für die Differen-            adoleszent intensivierte sexuelle Aura der Töchter und Söhne
zierung “nach innen” zur Verfügung stehen. So gilt zwar für          die familiale Dynamik, die Integrationskapazität des elterli-
beide Geschlechter, dass in der Adoleszenz zumindest phasen-         chen Paars und dessen elterliche Kompetenzen vor neue He-
weise psychische und sexuelle Verschmelzung als bedrohlich           rausforderungen. Zwischen Eltern und adoleszenten Kindern
empfunden werden - für männliche Adoleszente kann es je-             entstehen neue Varianten von Rivalität und Verführung. Beide
doch näher liegen, die Gefahrenquelle im Außen bzw. im In-           Elternteile sind dabei immer - in der zugespitzten Offen-
nern der anderen zu lokalisieren und entsprechende Kontrol-          kundigkeit der generationellen Differenz mit inzwischen ge-
le ausüben zu wollen. Die adoleszente Devise lautet dann             schlechtsreifen und sexuell “potenten” Kindern - auch mit

9
  Umgekehrt liegen in den Peer-Beziehungen und dem jugendkulturellen Raum auch Potenziale der Kompensation, Neukonstruktion und
der Differenzierung von Männlichkeitsbildern. Aus dieser Perspektive können jugendkulturelle Räume als Orte betrachtet werden, an denen
sich unterschiedliche Formen und Niveaus der Aneignungen des Körpers inszenieren, ebenso wie die phasenweise oder dauerhafte Abwehr
jener Ängste, die mit der generativen Leiblichkeit und psychosexuellen Körperlichkeit verbunden sind bzw. durch diese hervorgerufen
werden. Vgl. dazu King 2002.
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dem Älterwerden und den Grenzen und Möglichkeiten ihrer              Aneignungen und Auseinandersetzungen mit Geschlecht und
Paarbeziehung konfrontiert. Die Paarbeziehung kann dabei             Körper sind von daher sowohl von Seiten der Eltern und Er-
in eine durch die Adoleszenz der Kinder ausgelöste Krise             wachsenen als auch von Seiten der jungen Frauen und Männer
geraten. Dabei kommt es immer wieder auch zu abwehren-               durch eine intergenerationale Ambivalenz geprägt, wie sie mit
den und projektiven Verarbeitungsformen - sei es, indem se-          Adoleszenz und den adoleszenten Ausgestaltungen von
xuelle Wünsche und Phantasien in den Körper der Adoles-              “Männlichkeit” und “Weiblichkeit” konstitutiv verbunden ist.
zenten “verlegt und dort in Schach zu halten versucht” wer-
den (Flaake 2001, S. 230), sei es, indem “Attraktivität und          Literatur
verführerische Kraft des ... Körpers zu bannen versucht (wer-
                                                                     Berger M: Zur Bedeutung des “Anna-selbdritt”-Motivs für die Be-
den), indem er zum Objekt ... taxierender Blicke und
                                                                         ziehung der Frau zum eigenen Körper und zu ihrem Kind. In:
Kommentierungen gemacht und herabgesetzt wird” (ebd.).                   Hirsch M. (Hrsg.): Der eigene Körper als Objekt. Zur Psycho-
Da solche Konstellationen regelmäßig auch an konventionel-               dynamik selbstdestruktiven Körperagierens. Berlin, Springer,
le Muster der Geschlechterbeziehungen anknüpfen, wird, wie               1989, 241-277
beschrieben wurde, insbesondere der töchterliche Körper              Bosse H: Der fremde Mann. Jugend, Männlichkeit, Macht. Eine
leicht zum Projektionsfeld erhoben und instrumentalisiert.               Ethnoanalyse. Frankfurt/M., Fischer, 1994
Doch geschlechtsübergreifend werden im Verhältnis zwischen           Bourdieu P: Die männliche Herrschaft. In: Dölling I, Krais B (Hrsg.):
Eltern und adoleszenten Kindern erotische und aggressive,                Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktionen in der sozialen
von Neid, Eifersucht und Rivalität gespeiste Empfindungen                Praxis. Gender studies. Frankfurt/M., Suhrkamp, 1997, 153-217
                                                                     Brähler E, Felder H (Hrsg.): Weiblichkeit, Männlichkeit und Ge-
virulent, die mittels projektiver und kontrollierender Verar-
                                                                         sundheit. Opladen, Westdeutscher Verlag, 1992
beitungen abzuwehren versucht werden können. Sexuelle                Breitenbach E: Mädchenfreundschaften in der Adoleszenz. Eine
Empfindungen, Verführung und Rivalität können in gren-                   fallrekonstruktive Untersuchung von Gleichaltrigengruppen.
züberschreitenden Kommentaren und Einmischungen zum                      Opladen, Leske +Budrich, 2000
Ausdruck kommen und die selbstregulative Aneignung des               Bründl P: Adoleszente Entwicklungskrise in der Übertragung. In:
sexuellen adoleszenten Körpers auf verstörende Weise behin-              Endres M (Hrsg.): Krisen im Jugendalter. Gerd Biermann zum
dern. Sowohl bei Vätern als auch bei den Müttern werden mit              80. Geburtstag. München, Ernst Reinhardt, 1994, 220-236
der Adoleszenz der Kinder die eigenen Erfahrungen und Verar-         Dannenbeck C, Mayr M, Stich J: Sexualität lernen: Zeit brauchen,
beitungen der Adoleszenz aktiviert. In dem Maße, wie in der              Zeit lassen, Zeit haben. Diskurs 1, 1999: 36-43
                                                                     Erikson E H: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt/M.; Suhrkamp,
Entwicklungsgeschichte der Eltern adoleszente In-
                                                                         1959/1966
tegrationsanforderungen ungelöst geblieben sind, setzen sich         Flaake K: Körper, Sexualität, Geschlecht. Studien zur Adoleszenz
problematische Lösungen oftmals in der weiteren Lebensge-                junger Frauen. Gießen, Psychosozial, 2001
schichte fort. Aber auch integrative Lösungen können an mar-         Flaake K, King V (Hrsg.): Weibliche Adoleszenz. Zur Sozialisation
kanten biografischen Punkten etwa in kontraproduktive Lö-                junger Frauen, Frankfurt/M., Campus, 1992
sungen umkippen und müssen im weiteren Lebensverlauf                 Flaake K, King V: “Jetzt geht es endlich los.” Junge Mädchen und
immer wieder neu ausbalanciert werden. Als markante                      die erste Menstruation. FR 20.2.1993
biografische Punkte können dabei insbesondere die im späte-          Friedrich W: Jungen, Männer und Körper(lichkeit). In: Willems H,
ren Leben zu bewältigenden Themen der Produktivität und                  Winter R (Hrsg.): ... damit Du groß und stark wirst. Beiträge zur
                                                                         männlichen Sozialisation, Tübingen, 1990
der Generativität gelten - und zwar sowohl in Hinblick auf
                                                                     Hall G St: Adolescence (Vol. II). New York, Appleton, 1904.
Aufbau als auch auf Abbau oder Verlust produktiver Potenz.           Hontschik B: Theorie und Praxis der Appendektomie. Köln, Pahl-
Einen derartigen Krisenpunkt stellt nun gerade die Adoles-               Rugenstein, 1987
zenz der eigenen Kinder dar, die mit eigenen unbewältigten           Hurrelmann K: Lebensphase Jugend. Eine Einführung in die sozial-
Themen und den schmerzlichen Seiten der Generationenab-                  wissenschaftliche Jugendforschung. Weinheim, Juventa, 1999
folge konfrontiert. Je nachdem, welche Verarbeitungsmöglich-         King V: Geburtswehen der Weiblichkeit - verkehrte Entbindungen.
keiten den Vätern und Müttern zur Verfügung stehen, und in               Zur Konflikthaftigkeit der psychischen Aneignung der Inner-
Abhängigkeit davon, wie die neu aufgeflammten Themati-                   genitalität in der Adoleszenz. In: Flaake K, King V (Hrsg.):
ken der adoleszenten Individuierung und Sexualität in der                Weibliche Adoleszenz. Zur Sozialisation junger Frauen. Frank-
                                                                         furt/M., Campus, 1992, 103-125
Paarbeziehung der Eltern bewältigt werden, wird der Körper
                                                                     King V: Geschlecht und Adoleszenz im sozialen Wandel. Jugendar-
der anderen auch als solcher respektiert und die Sexualität              beit im Brennpunkt gesellschaftlicher und individueller Verände-
der Adoleszenten als neue Grenzlinie zwischen Eltern und                 rungen. In: King V, Müller B (Hrsg.): Adoleszenz und pädagogi-
Kind anerkannt - oder eben auf bedrängende manipulative                  sche Praxis. Bedeutungen von Geschlecht, Generation und Her-
Weise ins Visier genommen oder zu negieren versucht. Häu-                kunft in der Jugendarbeit. Freiburg, Lambertus, 2000a, 37-58
fig sind in diesem Zusammenhang intergenerationelle oder             King V: Identitätsbildungsprozesse in der weiblichen Adoleszenz.
auch institutionalisierte Inszenierungen zwischen Eltern oder            In: Wiesse J (Hrsg.): Identität und Einsamkeit. Zur Psychoana-
Angehörigen der Elterngeneration und Adoleszenten zu                     lyse von Narzissmus und Beziehung. Göttingen, Vandenhoeck
beobachten. Dies verweist darauf, dass Ablösung von den El-              & Ruprecht, 2000b, 53-70
                                                                     King V: Entwürfe von Männlichkeit in der Adoleszenz. Wandel und
tern sowohl sozial als auch psychisch immer auch eine struk-
                                                                         Kontinuität von Familien- und Berufsorientierungen. In: Bosse
turelle Ablösung der Eltern bzw. der jeweiligen Eltergeneration          H, King V (Hrsg.): Männlichkeitsentwürfe. Wandlungen und
bedeutet und entsprechende individuelle wie intergene-                   Widerstände im Geschlechterverhältnis. Frankfurt/M., Campus,
rationale Konfliktpotenziale in sich birgt (King 2002). Die              2000c, 92-107

Psychotherapie 7. Jahrg. 2002, Bd. 7, Heft 1 © CIP-Medien, München                                                                Seite 99
V. King: Geschlechtsspezifische Aspekte der Entwicklung (S. 92-100)

King V: Narzissmus und Objektbindung in der weiblichen Adoles-        Reiche R: Der gewöhnliche Weg zur Homosexualität beim Mann.
   zenz: Wandlungen der Autonomie. Z. f. psychoanal. Theorie und          In: Bosse H, King V (Hrsg.): Männlichkeitsentwürfe. Wandlun-
   Praxis, XV, 4-2000d: 386-409                                           gen und Widerstände im Geschlechterverhältnis. Frankfurt/M.,
King V: Hysterie und weibliche Adoleszenz. Inszenierungen und             Campus, 2000, 178-198
   Verhüllungen des Objekts im Körper. Forum Psychoanal 17,           Roth M: Körperliche Beschwerden als Indikator für psychische
   2001: 235-250                                                          Auffälligkeiten bei 12- bis 16jährigen Schülerinnen und Schü-
King V: Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. Individuati-          lern der Sekundarstufe I. Psychologie in Erziehung und Unter-
   on, Generativität und Geschlecht in modernisierten Gesellschaf-        richt, Nr. 47/1, 2000: 18-28
   ten. Opladen, Leske & Budrich, 2002                                Schneider G: Sich öffnen - sich verschließen: Zur Dialektik von
Küchenhoff J: Körper und Sprache. Forum Psychoanal 3, 1987: 288-          Grundregel und anorektischem Widerstand. In: Seidler G (Hrsg.):
   299                                                                    Magersucht - öffentliches Geheimnis. Göttingen, 1993, 234-256
Lough GJ: Alice in wonderland and cognitive development: teaching     Starke K: Sexualität und “wahre Liebe”. Fragen an 14- bis 17jährige
   with examples. J. Adolescence 6, 1983:305-313                          Jugendliche. Diskurs 1, 1999: 30-36
Mentzos S: Hysterie. Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierun-       Steiner-Adair C: Körperstrategien. Weibliche Adoleszenz und die
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   forschung 11, Heft 1+2, 1993:90-110                                Waldeck R: Der rote Fleck im dunklen Kontinent. Zeitschrift für
Meuser M: Gefährdete Sicherheiten und pragmatische Arrangements.          Sexualforschung., 1988, H. 3, 198 - 205; H. 4, 337 - 350
   Lebenszusammenhänge und Orientierungsmuster junger Männer.         Waldenfels B: Das leibliche Selbst. Vorlesungen zur Phänomenolo-
   In: Oechsle M, Geissler B (Hrsg.): Die ungleiche Gleichheit.           gie des Leibes. Frankfurt/M., Suhrkamp, 2000
   Junge Frauen und der Wandel im Geschlechterverhältnis.             Willenberg H: “Mit Leib und Seel’ und Mund und Händen.” Der
   Opladen, Leske & Budrich, 1998, 237-258                                Umgang mit der Nahrung, dem Körper und seinen Funktionen
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   Reich G, Cierpka M: Psychotherapie der Eßstörungen.                    Hirsch M (Hrsg.): Der eigene Körper als Objekt. Berlin, Sprin-
   Krankheitsmodelle und Therapiepraxis - störungsspezifisch und          ger, 1989, 170-220
   schulenübergreifend. Stuttgart, 1997, 44-60                        Winnicott DW: Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Frankfurt/
Reich G, Cierpka M : Psychotherapie der Eßstörungen. Krankheits-          M., Suhrkamp, 1965/1993
   modelle und Therapiepraxis - störungsspezifisch und schulen-
   übergreifend. Stuttgart, 1997

                                                   Priv. Doz. Dr. phil. Vera King
                                                J.W. Goethe-Universität Frankfurt/M.
                                    Institut für Sozialisationsforschung und Sozialpsychologie
                                              Fachbereich Gesellschaftswissenschaften
                                                         Robert-Mayer-Str. 5
                                                         60054 Frankfurt/M.

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