Kasusfähigkeiten mehrsprachiger Achtjähriger - Eine explorative Pilotuntersuchung in Regelgrundschulen
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Tanja Ulrich, Sarah Thater und Sandra Mennicken Originalia Kasusfähigkeiten mehrsprachiger Achtjähriger Eine explorative Pilotuntersuchung in Regelgrundschulen Case marking skills of German multilingual eight-year-olds - An exploratory pilot study in primary schools Schlüsselwörter: Spracherwerb, Kasusmarkierung, Mehrsprachigkeit Keywords: Language acquisition, case marking, multilingualism Zusammenfassung: Ziel der explorativen Pilotstudie war es, die Abstract: The aim of this exploratory pilot study was to Kasuskorrektheit mehrsprachiger DrittklässlerInnen in Regel- investigate the correctness in German case marking of grundschulen zu erfassen. An der Untersuchung nahmen N=38 multilingual third-year primary students. In total, N=38 Kinder (n=20 Kinder simultan mehrsprachig, n=18 Kinder sukzes- eight-year-old children (n=20 simultaneous multilingual, siv mehrsprachig) im Alter von acht Jahren teil. Die Korrektheit n=18 successive multilingual) participated in the study. der Akkusativ- und Dativmarkierungen wurde im Rahmen von The correctness in case marking was determined by Elizitationsaufgaben erhoben und ergänzend die Genussicherheit eliciting accusative and dative markings. In addition, the der Kinder bestimmt sowie die Kapazität der phonologischen children’s gender marking competences and the capacity Schleife überprüft. In beiden Kasuskategorien weisen die Korrekt- of the phonological loop were evaluated. Considering heitswerte insgesamt eine hohe Varianz auf; dies gilt in besonderer the correctness in both cases, the results show a great Weise für den Dativ. Kinder mit simultan mehrsprachigem Erwerb variability, particularly in dative case marking. Simul- erreichen im Mittel höhere Korrektheitswerte als diejenigen mit taneous multilingual children achieve higher average sukzessivem Erwerb. Keine der beiden Gruppen schließt bis zum case marking correctness compared to successive mul- Alter von acht Jahren an Referenzwerte monolingual deutsch- tilingual children. At the age of 8, neither group reaches sprachiger Kinder an; vielmehr lassen sich die Korrektheitswerte the level of correctness their monolingual peers achieve; mit denen monolingual aufwachsender Kinder im Alter von vier on the contrary, the results most closely correspond to Jahren vergleichen. Die Fehlermuster entsprechen weitestgehend the correctness of 4-year-old monolingual children. The denen, die aus dem monolingualen Kasuserwerb berichtet wer- error patterns match those reported in monolingual case den. Mögliche Implikationen für Diagnostik und Förderung im acquisition. Possible implications for diagnostics and sup- mehrsprachigen Erwerb werden diskutiert. port of multilingual language acquisition are discussed. Einleitung mit Zielsetzung Motsch & Riehemann, 2008). Frühere acht Jahren bereits hohe Korrektheits- Korrekte Kasusmarkierungen sind im Studien konnten bereits zeigen, dass der werte in den beiden Kasuskategorien Deutschen – im Mündlichen wie im Kasuserwerb im Deutschen nicht nur Akkusativ und Dativ. Dennoch hat auch Schriftlichen – sowohl für die Produk- verhältnismäßig spät einsetzt, sondern ein nicht zu vernachlässigender Anteil tion eindeutiger Aussagen als auch für sich auch bis in das Grundschulalter hi- der einsprachigen Kinder den Erwerb in die zweifelsfreie Rezeption von ent- neinzieht (Marx, 2014). Einsprachig auf- diesem Alter noch nicht abgeschlossen scheidender Bedeutung (Marx, 2014; wachsende Kinder erreichen im Alter von (Ulrich, 2017). 84 Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95
Die vorliegende Untersuchung kon- Evidenzen zum (2014, S. 18) zufolge nur der Akkusativ zentriert sich auf die Frage, wie weit einsprachigen Kasuserwerb im fünften Lebensjahr erworben; demge- Originalia mehrsprachig aufwachsende Kinder genüber „steht der Erwerb des Dativs zu Inwieweit ein Kind den Kasus im Deut- ohne sprachliche Beeinträchtigungen Beginn des sechsten Lebensjahres noch schen erworben hat, wird in erster Linie im Erwerb von Akkusativ und Dativ mit aus“. Für eine umfassende Stichprobe daran festgemacht, ob die beiden Kate- acht Jahren fortgeschritten sind. von N=968 Vier- bis Neunjähriger konnte gorien Akkusativ und Dativ im Singular Die Erkenntnisse dieser Arbeit sind u. a. in einer Querschnittstudie mit elizitier- erworben sind (Bittner, 2013; Kauschke, für die Einordnung der sprachlichen ten Äußerungen gezeigt werden, dass 2012; Kruse, 2013). Der Fokus liegt dabei Leistungen mehrsprachiger Kinder im einige monolingual deutschsprachige, auf dem bestimmten Artikel. Dement- schulischen Kontext von Bedeutung und potenziell sprachunauffällige Kinder bis sprechend ist für das Auftreten erster können insbesondere Grundschullehr- in das Grundschulalter hinein Auffällig- „Kasusmarkierungen ein rudimentäres kräften erste Orientierungswerte liefern, keiten bezüglich der Kasusmarkierungen Determinator- und Pronominalsystem“ die über den einsprachigen Kasuserwerb zeigen (Ulrich, 2017; 2018). erforderlich (Tracy, 1984, S. 285). Dieses hinausgehen. Auftreten ist jedoch nicht mit dem Er- werbszeitpunkt gleichzusetzen, sodass Kasusfähigkeiten Theoretische Positionierung „zwischen dem Entdecken von Formen mehrsprachiger Kinder Die Flexionsklasse Kasus und dem Erwerb der dahinterstehenden Die Gruppe der mehrsprachigen Kinder Morphologische Kasusmarkierungen Regeln“ (Motsch & Rietz, 2016, S. 7) ist durch eine große Heterogenität ge- werden im Deutschen hauptsächlich an unterschieden wird. Für den monolingu- kennzeichnet. So wird beispielsweise Hilfselementen wie Artikeln und Ad- alen Kasuserwerb wird häufig angenom- neben anderen Variablen häufig das Alter jektiven vorgenommen. Diese können men, dass der Nominativ als erster Kasus, zu Erwerbsbeginn (Age of Onset, AoO) kasusspezifisch sein, aber auch mit Nu- dann der Akkusativ und zum Schluss zur Einteilung verschiedener Subgrup- merus und Genus zusammenfallen. Die der Dativ erworben wird (Bittner, 2013; pen gewählt (Chilla, 2019). Traditionell Substantivflexion, d. h. die Markierung Clahsen, 1984; Mills, 1985; Tracy, 1986). wird dabei zwischen einem simultan am Nomen, ist inzwischen von nachran- Für jeden Kasus sind dabei Entwick- mehrsprachigen und einem sukzessiv giger Bedeutung und historisch gese- lungsschritte festzustellen, die von der mehrsprachigen Erwerb unterschieden, hen „massive[n] Vereinfachungen und Mehrheit der Kinder durchlaufen werden wobei die Altersbereiche nicht immer Reduktionen“ unterlegen (Wiese, 2012, – wie z. B. fehlende Kasusmarkierungen, einheitlich gewählt werden. Für den si- S. 212). Der Kasus einer Nominalphra- das Einsetzen unmarkierter Artikel oder multanen Erwerb wird häufig ein Zeit- se ist weder willkürlich noch von den Übergeneralisierungen eines Kasus auf raum von bis zu drei Jahren angegeben, Sprechenden wählbar (Wegener, 1995b). einen anderen Kasuskontext (Clahsen, sodass diejenigen, die erst im vierten Die Zuweisung erfolgt im syntaktischen 1984; Motsch, 2010). Lebensjahr mit einer weiteren Sprache Zusammenhang (Duden, 2016) durch Die Mehrheit der Studien zum ungestör- in Kontakt kommen, dem sukzessiven kasusregierende Verben, Präpositionen ten Kasuserwerb im Deutschen stützt Erwerbstypen zugeordnet werden (Ar- und in seltenen Fällen auch Adjektive sich auf spontansprachliche Daten (z. B. mon-Lotem & de Jong, 2015; Ronniger und Nomen. Eine Besonderheit sind so- Clahsen, 1984; Korecky-Kröll & Dressler, et al., 2019). Für die vorliegende Studie genannte Wechselpräpositionen, im Nor- 2009; Mills, 1985; Tracy, 1986). Spon- wurde ein etwas engeres Kriterium ak- malfall räumliche Präpositionen (z. B. in, tansprachstudien liefern zwar ein au- tueller Veröffentlichungen (Chilla, 2019) vor, hinter) (Duden, 2016). Diese können, thentisches Bild über den tatsächlichen zugrunde gelegt, nach dem Kinder dann abhängig vom Kontext, zwei verschiede- Sprachgebrauch, vernachlässigen aber als simultan mehrsprachig gelten, wenn ne Kasus zuweisen (Dürscheid, 2007). das Wissen der Kinder über komplexere sie bis zum Alter von 1;11 Jahren mit Um den korrekten definiten Artikel zu Strukturen, die diese eventuell in der All- mindestens einer weiteren Sprache in bestimmen, müssen Kasus, Numerus tagssprache nicht verwenden (Siegmül- systematischen Kontakt gekommen sind und Genus bekannt sein (MacWhinney, ler et al., 2016). Deswegen bieten sich im (Chilla, 2019). Die Gruppe der sukzessiv 1978). Die fehlende Eins-zu-eins-Be- späten Grundschulalter Elizitationsver- mehrsprachigen Kinder umfasst dem- ziehung zwischen Form und Funktion fahren an, sodass gezielt die Kompetenz nach alle, die im Alter von 2;0 bis 7;11 der Markierungen stellt eine besondere zur Regelanwendung überprüft werden Jahren mit einer weiteren Sprache als Schwierigkeit beim Erwerb des deut- kann (Motsch & Riehemann, 2017). Offen ihrer Erstsprache in systematischen schen Kasussystems dar (Kauschke, bleibt bislang die Frage, zu welchem Kontakt gekommen sind (Chilla, 2019). 2012). Darüber hinaus besteht für einige Zeitpunkt der Kasuserwerb sprachunauf- Erste Daten zum Kasuserwerb mehr- Markierungen die Herausforderung der fälliger Kinder abgeschlossen ist. Bittner sprachiger Kinder ergeben sich, wie akustischen Diskriminierung (z. B. den (2013) spricht von einer Komplettierung auch bei einsprachig Lernenden, aus vs. dem; Szagun, 2007; 2013). des Kasuserwerbs im Alter von 3;0 bis Spontansprachanalysen (Dimroth, 2008; 4;11 Jahren. Dagegen wird Siegmüller Meisel, 1986), bei denen es sich meist Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95 85
um Einzelfalluntersuchungen handelt. sende. Ronniger et al. stellten in ihrer eindeutigen Kasusmarkierungen in Form Zunehmend kommen jedoch auch grö- Querschnittstudie mit N=138 ein- und von Ganzheiten (z. B. im Haus). Sprach- Originalia ßere, z.T. quantitative Erhebungen hinzu mehrsprachigen Kindern im Alter von lich kompetentere Schülerinnen und (Grimm & Schulz, 2016; Ronniger et 3;0 bis 5;11 Jahren die „Notwendigkeit Schüler verwendeten zunächst Akkusa- al., 2019; Scherger, 2015; 2016; 2018). [heraus,] beim mehrsprachigen Erwerb tiv- und später auch Dativmarkierungen Scherger (2018) untersuchte in einer zwischen den Erwerbstypen (simultan zunehmend korrekt, während das Genus- Studie zum mehrsprachigen Kasuser- vs. sukzessiv) zu unterscheiden“ (Ronni- system weiterhin rudimentär blieb. Jeuk werb die Fähigkeit zur Dativmarkierung ger et al., 2019, S. 203). Beide Gruppen (2008, S. 147) schließt daraus, dass „eine im Deutschen, indem sie u. a. sprach- Mehrsprachiger erreichten in Bezug Genusmarkierung am Determinierer [of- unauffällige monolinguale (n=18) und auf verschiedene sprachliche Bereiche fenbar] erst dann möglich [ist], wenn das deutsch-italienisch bilinguale Kinder sehr unterschiedliche Ergebnisse und System der Kasusmarkierung erkannt (n=14) im Alter von vier und sieben Jah- sollten demnach mit Blick auf ihren Er- wurde“ (vgl. auch Kaltenbacher & Klages, ren miteinander verglich. Die Auswer- werbskontext differenziert voneinander 2007). Auch Wegener (1995a) hebt in tung der spontansprachlichen und der betrachtet werden. Die Vergleichbar- einer Untersuchung zum Genuserwerb z.T. elizitierten Sprachdaten zeigte, dass keit verschiedener Studien wird vielfach die wechselseitige Beziehung von Genus „even though there is a delay found in jedoch durch die Tatsache erschwert, und Kasus im Spracherwerb hervor. Erst four-year-old bilinguals when compared dass zwar grundsätzlich zwischen den nach der Verwendung prototypischer to monolingual children, they [simulta- Erwerbstypen simultan vs. sukzessiv un- Artikel in einzelnen Kasuskategorien neous bilingual children without SLI] terschieden wird, aber es bislang keine scheinen die untersuchten Kinder das have caught up with their monolingual einheitlichen bzw. festgelegten Alters- Genus als grammatische Kategorie über- peers by the age of seven […]” (Scherger, grenzen für diese Erwerbstypen gibt. haupt wahrzunehmen und differenzierte 2018, S. 98). Die von Scherger (2018) Neben dem Erwerbskontext stellt auch Paradigma auszubilden. untersuchten, simultan mit Deutsch und die Erhebungsmethode einen möglichen Grundsätzlich scheint der mehrsprachi- Italienisch aufwachsenden Probandin- Einflussfaktor dar. Schönenberger et al. ge Kasuserwerb in ähnlichen Phasen nen und Probanden zeigten somit im (2012) zeigten in der Analyse des Daten- wie der monolinguale Erwerb sowie mit Alter von sieben Jahren vergleichbare materials von N=39 ein- und mehrspra- von der Erstsprache weitestgehend un- Fähigkeiten zur Kasusmarkierung wie chigen Kindern, dass in den Spontan- abhängigen Fehlermustern abzulaufen monolingual deutsch aufwachsende Kin- sprachproben lexikalische Fehler domi- (Thater, 2018). Die Mehrheit der Studi- der des gleichen Alters (vgl. auch Scher- nierten und es vergleichsweise wenige en (z. B. Grimm & Schulz, 2016; Marx, ger, 2016). Einen Rückstand jüngerer strukturelle Kasusfehler gab. Daten, die 2014; Schönenberger et al., 2011) zeigt Kinder im Bereich der Kasusfähigkeiten in einer Testsituation evoziert wurden, jedoch, dass mehrsprachig aufwachsen- konnten auch Grimm und Schulz (2016) spiegelten ein genau umgekehrtes Bild de Kinder über einen langen Zeitraum zeigen: Durch ihre Untersuchung mit der wider. Schwierigkeiten bei der Kasusbildung LiSe-DaZ (Linguistische Sprachstands- Ein weiterer Aspekt, der im Kontext der haben und der Kasuserwerb insgesamt erhebung – Deutsch als Zweitsprache; Analyse der Kasusfähigkeiten Mehr- eine große Herausforderung darstellt Schulz & Tracy, 2011) mit N=160 ein- und sprachiger eine Rolle spielen kann, ist (Ruberg, 2013). An dieser Stelle setzt die mehrsprachigen Probandinnen und Pro- die Genussicherheit. Während sprach- vorliegende Untersuchung an. Gerade banden im Alter von 4;0 bis 5;0 Jahren unauffällige monolingual deutschspra- im späten Grundschulalter scheint der zeigten sie, dass im Bereich Kasus „die chige Kinder spätestens ab dem Alter Kasuserwerb Mehrsprachiger auch im Leistungen der simultan-bilingualen von sieben Jahren eine 95-prozentige Mündlichen noch bedeutsamen Verän- Kinder denen der frühen Zweitsprach- Genuskorrektheit zeigen (Ulrich, 2017), derungen zu unterliegen (Grießhaber, lerner [glichen]“ und sich „gleichzeitig werden insbesondere im Kontext des 2007). Es finden sich jedoch nur wenige signifikant von monolingualen Kindern mehrsprachigen Erwerbs länger andau- Studien, die sich mit dieser Altersgruppe [unterschieden]“ (Grimm & Schulz, 2016, ernde Unsicherheiten bei der Zuwei- beschäftigten. Zudem handelte es sich S. 37). Inwiefern diese den berichteten sung des korrekten Genus beschrieben bei den meisten spontansprachlichen Rückstand zu einem späteren Zeitpunkt (Ruberg, 2013). Jeuk (2008) führte eine Erhebungen um Untersuchungen von eventuell aufholen, lässt sich aufgrund Analyse zum Genus- und Kasuserwerb Einzelfällen, die gerade angesichts der des Untersuchungsdesigns mit nur ei- anhand von Längsschnittdaten von N=54 Heterogenität mehrsprachiger Erwerbs- nem Erhebungszeitpunkt nicht feststel- Erst- und ZweitklässlerInnen durch. Die verläufe wenig Potenzial für Verallge- len. Schwierigkeiten der n=27 mehrsprachi- meinerungen bieten. Die Erhebung von Ein „Aufholen“, wie es von Scherger gen Grundschülerinnen und -schüler elizitierten Daten bietet demgegenüber (2018, S. 98) für die Gruppe der Sieben- bestanden sowohl in Auslassungen von den Vorteil, dass zum einen eine größe- jährigen berichtet wird, zeigt sich vor al- Artikeln als auch in einem kaum diffe- re Stichprobe untersucht, zum anderen lem für simultan mehrsprachig Aufwach- renzierten Genussystem mit nur wenigen über den kontextabhängigen Gebrauch 86 Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95
der Zielstruktur in der Spontansprache Beschreibung der Stichprobe führt. Zahlreiche Untersuchungen be- hinaus gezielt die Kompetenz zur An- legen signifikant reduzierte Leistungen Originalia Einschlusskriterien für die Teilnahme wendung einer grammatischen Regel der verbalen Kurzzeitgedächtnisspanne waren eine nach Einschätzung der Klas- überprüft werden kann (Behrens, 2004; für sprachentwicklungsgestörte Kinder, senlehrerin unauffällig erscheinende Kauschke, 2012; Scherger, 2015; Ulrich, weshalb Auffälligkeiten in diesem Be- Sprachentwicklung im Deutschen so- 2017). reich als mögliche Marker für Sprach- wie ein mehrsprachiger Erwerbshin- tergrund. Als „mehrsprachig“ wird ein entwicklungsstörungen, insbesondere Fragestellungen der Kind dann bezeichnet, wenn es „mit im Kontext des mehrsprachigen Erwerbs, Untersuchung mindestens einer direkten Bezugsperson diskutiert werden (Graf Estes et al., 2007; (im Normalfall ein Elternteil) regelmä- Henry & Botting, 2017; Kany & Schöler, - Wie lassen sich die Fähigkeiten zur ßig eine andere Sprache als Deutsch“ 2014; Torrens & Yagüe, 2018). Kasusmarkierung von mehrsprachigen Achtjährigen an einer Regelgrundschu- spricht (Thater, 2018, le beschreiben? S. 27). Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, umfasste Gesamtstichprobe simultan sukzessiv - Welche Korrektheit erreichen mehr- (AoO 0-1;11 J.) (AoO 2;0-6;11 J.) sprachige Achtjährige bei der Akku- die Untersuchungsstich- Stichprobenumfang sativ- sowie der Dativmarkierung am probe N=38 Kinder im Alter zwischen 8;0 und gesamt 38 20 (52,6%) 18 (47,4%) bestimmten Artikel in einer Elizitati- 8;11 Jahren (M=8;6 Jah- Jungen 21 (55,3%) 11 (55%) 10 (55,6%) onsaufgabe? - Wie lassen sich die Kasusfähigkeiten re, SD=0;4 Jahre). Es Mädchen 17 (44,7%) 9 (45%) 8 (44,4%) der untersuchten mehrsprachigen in nahmen n=21 Jungen Alterskennwerte Beziehung zu den Leistungen monolin- und n=17 Mädchen an MW 8;5 Jahre 8;4 Jahre 8;5 Jahre gual deutschsprachiger Kinder setzen? der Untersuchung teil. SD 0;4 Jahre 0;4 Jahre 0;4 Jahre - Inwiefern unterscheiden sich die Leis- tungen von sukzessiv und simultan Mithilfe eines Elternfra- Tabelle 1 Stichprobencharakteristika Mehrsprachigen? gebogens (Thater, 2018) - Wie lassen sich die Kasusfähigkeiten wurde(n) die weitere(n) der jeweiligen Teilstichproben in Bezie- gesprochene(n) Sprache(n) des Kindes Auch wenn sich die Erfassung der verba- ermittelt sowie erfragt, seit wann es mit len Kurzzeitgedächtnisspanne aufgrund hung zu den Leistungen monolingual den jeweiligen Sprachen in Kontakt sei. unzureichender Spezifität nicht als zu- deutschsprachiger Kinder setzen? Danach können 53% als simultan, 47% verlässiger alleiniger Marker für eine - Welche Fehlermuster finden sich bei als sukzessiv mehrsprachig eingestuft Sprachentwicklungsstörung erwiesen der Kasusmarkierung der untersuch- werden. N=4 Kinder sprechen neben hat, so gilt sie dennoch als wertvoller ten Probandinnen und Probanden? dem Deutschen noch zwei andere Spra- Indikator, um Hinweise auf mögliche Inwiefern sind diese mit Phänomenen chen; eins wächst mit insgesamt vier Einschränkungen allgemeiner Sprach- aus dem einsprachigen Kasuserwerb Sprachen auf. Die Art der gesprochenen verarbeitungsprozesse zu erhalten (Ar- vergleichbar? Erstsprachen zeigt sich als sehr hetero- chibald & Joanisse, 2009). Alle 38 Kinder gen. Die 38 untersuchten Probandinnen erreichten hinsichtlich ihrer Silbenspan- Methodik ne einen Prozentrang über 16 (PR ≥16) und Probanden sprechen neben dem Datenerhebung Deutschen insgesamt 22 verschiedene und somit ein Ergebnis im unauffälligen Die Daten wurden im Zeitraum von Sprachen. Die größte Gruppe stellen da- Bereich (Petermann & Daseking, 2012). November bis Dezember 2017 in sechs bei Kinder mit bilingualem Erwerb von Dies stützt die Annahme, dass es sich Regelgrundschulen in Köln und Umge- Deutsch und Türkisch dar (n=6, 15,8%). bei den Teilnehmenden der vorliegenden bung erhoben. Alle Kinder besuchten Um den subjektiven Eindruck von Klas- Untersuchung um Kinder mit tendenziell zum Zeitpunkt der Testungen die dritte senlehrerin und Eltern hinsichtlich einer unauffälliger mehrsprachiger Entwick- Klassenstufe. Die Testungen wurden weitgehend „unauffälligen“ Sprachent- lung handelt. mit Einverständnis der Eltern durch die wicklung zu objektivieren, wurde als Bei allen Probandinnen und Proban- Zweitautorin dieses Beitrags in Einzelsit- Maß für einzelsprachunabhängige Ver- den wurde zudem anhand von Subtest 3 zungen durchgeführt. Pro Kind wurden arbeitungsprozesse die Kapazität der der ESGRAF 4-8 (Motsch & Rietz, 2016) ca. 30 Minuten für die Durchführung phonologischen Schleife des Arbeitsge- die Genussicherheit für die in der Ka- der unten genannten Überprüfungen dächtnisses mithilfe des Nachsprechens susüberprüfung verwendeten Nomina benötigt. von Pseudowörtern erfasst. Dazu wurde eingeschätzt. Hierzu müssen insgesamt Die Autorinnen bestätigen die Einhal- der Untertest Pseudowörter nachspre- 20 verschiedene Tiere, Tierfutter und tung der aktuellen Fassung der Dekla- chen des „Zürcher Lesetest II“ (ZLT II; Objekte mit bestimmtem Artikel im ration von Helsinki. Petermann & Daseking, 2012) durchge- Nominativ benannt werden (z. B. das Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95 87
Pferd, die Banane, der Vorhang). Dabei Insgesamt werden jeweils 24 Akkusativ- wird ein Signifikanzniveau von α
mehrsprachig einsprachig einsprachig Originalia 8;0-8;11 Jahre 4;0-4;11 Jahre 8;0-8;11 Jahre (N=38) (N=180)* (N=195)* Akkusativ Dativ Akkusativ Dativ Akkusativ Dativ gesamt sim. suk. gesamt sim. suk. (n=20) (n=18) (n=20) (n=18) Range 4-24 15-24 4-24 0-24 0-24 0-22 8-24 0-24 13-24 2-24 MW 16,6 18,2 14,8 10,4 12,3 8,3 18,8 12,2 21,8 20,9 SD 4,3 2,9 4,9 8,2 7,7 8,5 3,6 7,6 2,6 4,8 Median 17 17,5 15,5 9,5 11,5 15,5 19 10 23 23 mittlere prozentuale Korrektheit 69,1% 75,6% 61,8% 43,3% 51,0% 34,7% 78,2% 50,7% 90,0% 87,0% Anmerkung: Die angegebenen absoluten Werte beziehen sich auf die erreichten Rohwertpunkte (max. 24 möglich). *Referenzdaten aus Ulrich, 2017 Tabelle 3 Korrektheit der Kasusmarkierung bei mehr- und einsprachigen Kindern tikel jeweils maximal 24 Rohwertpunk- Um diese Korrektheitswerte bei der Es wird deutlich, dass die hier unter- te erreicht werden. Die Teilnehmenden Markierung von Akkusativ und Dativ zu suchten mehrsprachigen Achtjährigen der Untersuchungsstichprobe erzielten den Leistungen einsprachig deutsch auf- weder im Akkusativ noch im Dativ eine bei der Akkusativmarkierung im Mit- wachsender Kinder in Beziehung setzen prozentuale Korrektheit erreichen, die tel einen Punktwert von 16,6 Punkten zu können, werden die mithilfe des glei- dem Mittelwert monolingual aufwach- bei einer Standardabweichung von 4,3 chen Erhebungsinstruments (ESGRAF sender Vierjähriger entspricht. Markie- Rohwertpunkten. Der Median, also der 4-8; Motsch & Rietz, 2016) gewonnenen ren einsprachig deutsch aufwachsende mittlere Wert der Verteilung, liegt bei 17 Daten zu den grammatischen Fähigkei- Kinder im Alter von vier Jahren im Mit- Rohwertpunkten (vgl. Tab. 3). Ein Kind ten monolingualer Kinder zwischen 4;0 tel 78% der Akkusativkontexte korrekt, erreichte mit einem Rohwert von 4 den und 8;11 Jahren des Projekts GED 4-9 erreichen die mehrsprachigen Acht- niedrigsten Wert, drei Kinder mit einem (Ulrich, 2017) als Referenz genutzt. Ta- jährigen hier nur eine Korrektheit von Rohwert von 24 den maximalen Punkt- belle 3 zeigt dementsprechend die be- 69%. Dies entspricht einem statistisch wert. Im Mittel markieren die untersuch- reits oben berichteten Korrektheitswerte signifikanten Mittelwertunterschied (CI ten Achtjährigen 69% der evozierten bei der Akkusativ- und Dativmarkierung [0,88, 3,51], t(216)=3,28, p=,001, d=0,6, Akkusativkontexte korrekt. Bei der Da- als Rohwertpunkte sowie als prozentuale mittlerer Effekt). Auch im Bereich der tivmarkierung erzielten die untersuch- Korrektheit. Daneben werden als Refe- Dativmarkierung bleiben die mehrspra- ten Kinder im Mittel einen Rohwert von renzgruppen die jüngste Untersuchungs- chigen Achtjährigen mit einer mittleren 10,4 der möglichen 24 Punkte bei einer gruppe der „GED 4-9-Studie“, die Grup- Korrektheit von 43% hinter der Durch- Standardabweichung von 8,2 Punkten. pe der 4;0- bis 4;11-Jährigen (N=180, schnittsleistung einsprachiger Vierjäh- Prozentual betrachtet markieren die hier M Alter =4;6 J., SDAlter =0;4 J., 47% Jungen, riger (50% Korrektheit bei der Dativ- untersuchten Achtjährigen damit 43,3% 53% Mädchen), sowie die gleichaltrige markierung) zurück – jedoch ohne, dass der evozierten Dativkontexte korrekt. Der Untersuchungsgruppe monolingualer dieser Mittelwertunterschied statistische mittlere Wert der Verteilung beträgt 9,5 Kinder (8;0-8;11 J., N=195, M Alter =8;6 J., Signifikanz erreicht (CI [-0,98, 4,47], Rohwertpunkte. Wie bereits anhand der SDAlter =0;4 J., 49% Jungen, 51% Mäd- t(216)=1,26, p=,21, d=0,23). Einsprachig großen Standardabweichung deutlich chen) mit den entsprechenden Werten aufwachsende Achtjährige markieren im wird, unterliegen die erreichten Werte angegeben. Mittel etwa 90% aller Akkusativ- sowie bei der Dativmarkierung einer sehr ho- Dativkontexte korrekt (vgl. Tab. 3). hen Varianz. So erreichten zwei Teilneh- Die Standardabweichung bei der Dativ- mende den niedrigsten Punktwert 0, drei sowie der Akkusativmarkierung ist bei hingegen die maximale Rohwertanzahl den mehrsprachigen (SD=8,2 bzw. 4,3) Unterschiede zwischen von 24. Die Ergebnisse hinsichtlich der etwas höher als bei den einsprachigen sukzessiv und simultan Dativmarkierung streuen so breit, dass Vierjährigen (SD=7,6 bzw. 3,6); jedoch Mehrsprachigen bis auf wenige Ausnahmen jedes mög- lässt sich die hohe Varianz hinsichtlich Im Folgenden wird untersucht, inwiefern liche Ergebnis (0-24 Rohwertpunkte) der Dativkorrektheit auch für die Gruppe sich die Korrektheitswerte von Kindern von den 38 Teilnehmenden mindestens der einsprachig deutsch aufwachsenden mit einem simultanen Erwerb von den einmal erzielt wird. Kinder beobachten (Ulrich et al., 2016; Korrektheitswerten derjenigen mit suk- Ulrich, 2017). zessiver Mehrsprachigkeit unterschei- Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95 89
den. Tabelle 3 zeigt die deskriptive Sta- tistik der erreichten Korrektheitswerte. Originalia Es wird deutlich, dass die Gruppe der Probandinnen und Probanden mit si- multan mehrsprachigem Erwerb für beide Kasus höhere Korrektheitswerte aufweist als die Gruppe mit sukzessiv mehrsprachigem Erwerb (Akkusativ: M=18,2 vs. M=14,8; Dativ: M=12,3 vs. M=8,3). So liegt die mittlere Korrektheit sowohl für den Akkusativ als auch für den Dativ für die simultan mehrsprachi- gen jeweils 15% höher als für die suk- zessiv mehrsprachigen Kinder. Zudem fallen die Standardabweichungen in der Gruppe der sukzessiv Mehrsprachigen Abbildung 1 Boxplots zur prozentualen Korrektheit simultan – sukzessiv (mittlere Linie: Median, obere höher aus als in der Gruppe der simultan Kante der Box: 1. Quartil, untere Kante der Box: 3. Quartil) Mehrsprachigen (Akkusativ: SD=2,9 vs. SD=4,9; Dativ: SD=7,7 vs. SD=8,5). Dies betrifft in besonderer Weise den Dativ. keine statistische Signifikanz (Akkusativ: rektheitswerte, wenn die Markierung Hier ist die hohe Standardabweichung CI [-2,3, 1,04], t(198)=-,74, p=,46; Da- in NP erfolgt, als dies bei der Markie- der sukzessiv mehrsprachigen Kinder tiv: CI [-3,45, 3,67], t(198)=,062, p=,95). rung in PP der Fall ist (M AkkPP=4,55, hervorzuheben; allerdings unterliegen Die sukzessiv Mehrsprachigen bleiben M AkkNP1=6,16, M AkkNP2=5,32). Vergleicht auch die Werte der simultan Mehrspra- hingegen für beide Kasus signifikant man innerhalb der beiden Kasuskate- chigen einer sehr hohen Varianz, wie hinter den durchschnittlichen Korrekt- gorien Akkusativ und Dativ jeweils den ein Blick auf die Boxplots in Abbildung heitswerten der vierjährigen Monolin- Median der beiden NP (zusammenge- 1 zeigt. gualen zurück (Akkusativ: Msukz =14,8, fasst) mit dem der PP, ist dieser Unter- M mono =18,8, CI [-5,8, -2,1], t(196)=-4,2, schied nur beim Akkusativ signifikant Um die Frage beantworten zu können, ob p
auf. In der PP ist mit n=22 die häufigste übrigen Fällen wurde die neutrale Mar- unpassend verwendet. Die zweithäufigs- Ersetzung „der“ (feminine Dativmar- kierung trotz korrekter Genuszuweisung te Fehlerart ist der neutrale Artikel „das“ Originalia kierung bzw. maskuline Nominativmar- als Maskulinum verwendet (n=27). Zu- (n=26), sodass hier von einer Nomina- kierung). dem wurde in einigen Fällen die korrekte tiv- bzw. Akkusativübergeneralisierung Der Fehleranteil ist bei den Neutra (kor- maskuline Akkusativmarkierung „den“ gesprochen werden kann. rekt: das) mit insgesamt 51,97% deutlich verwendet, obwohl zuvor die Genuszu- Es zeigt sich, dass die maskulinen Akku- höher. In beiden Phrasenstrukturen wird ordnung nicht korrekt erfolgte (n=48). sativmarkierungen zumindest zum Teil am häufigsten die maskuline Akkusativ- Im Dativ wird bei den Feminina (korrekt: mit einer maskulinen Genuszuordnung markierung „den“ fehlerhaft verwendet der) in etwa der Hälfte aller evozierten in Zusammenhang gebracht werden kön- (n=45). In der PP wird zudem häufig die Äußerungen ein fehlerhafter Artikel ver- nen. Insgesamt kann auch hier etwa die neutrale bzw. maskuline Dativmarkie- wendet (Fehleranteil insgesamt 49,56%). Hälfte von insgesamt n=47 Fällen als rung „dem“ genutzt (n=20). Insgesamt Der häufigste Fehlertyp ist in NP und genuskorrekte Übergeneralisierungen verwenden die Kinder in der PP in fast PP gleichermaßen die Verwendung des des Akkusativs auf einen Dativkontext 70% der Fälle einen fehlerhaften Arti- Artikels „die“ (korrekt im Nominativ bzw. eingeordnet werden (n=20). In n=26 Fäl- kel. Einen möglichen Anhaltspunkt für Akkusativ). In acht Fällen handelt es sich len wurden die Items zwar zuvor korrekt die Erklärung dieser Fehler bieten die in der Kategorie anderes (n=10) um eine als Neutra klassifiziert, aber dennoch Ergebnisse der Genusüberprüfung. Hier Ersetzung durch eine Präpositionalphra- die maskuline Akkusativmarkierung ordneten die Kinder Nomina mit neu- se (z. B. „zu die Katze“). Wie schon im verwendet. tralem Genus häufiger den maskulinen Akkusativ ist auch im Dativ der Fehler- Bei den Maskulina (korrekt: dem) ist (n=25; 21,93%) als den femininen (n=3; anteil bei den Neutra (korrekt: dem) mit der häufigste Fehler in beiden Phrasen- 2,63%) Artikeln fehlerhaft zu. Die insge- insgesamt 60,53% am höchsten. Am strukturen die maskuline Akkusativmar- samt n=45 Kontexte, in denen fehlerhaft häufigsten wird die maskuline Akkusa- kierung „den“. In der NP treten zudem „den“ als neutrale Akkusativmarkierung tivmarkierung „den“ (insgesamt n=47) die Verwendung des Nominativs „der“ verwendet wurde, lassen sich etwa zur Hälfte mit einer solch fehlerhaften Ge- nuszuordnung in Zusammenhang brin- evozierte Fehler- gen (z. B. der Holz den Holz; n=21; ∑ n. e. der die das dem den anderes Äußerungen anteil 46,7%). In der anderen Hälfte der Fälle Fehler gesamt in % (n=22; 48,9%) werden die Neutra zwar Akkusativ (24 Kontexte) im Nominativ korrekt genusmarkiert, Feminina im Akkusativ wird jedoch die maskuline Markierung verwendet (z. B. das Pferd Akk NP 1 3 --- 0 0 6 1 11 152 7,24 den Pferd). Akk PP 0 22 --- 1 2 5 0 30 76 39,47 Bei den Maskulina (korrekt: den) liegt der Neutra Fehleranteil insgesamt bei 29,51%. In der Akk NP 1 4 1 --- 0 22 0 28 76 36,84 NP überwiegt die Nominativmarkierung Akk PP 0 3 1 --- 20 23 4 51 76 67,11 „der“ (n=41) sowie die neutrale Nomi- Maskulina nativ- bzw. Akkusativmarkierung „das“ Akk NP 1 41 11 52 1 --- 9 115 380 30,26 (n=52). In der PP wird hingegen die neu- trale bzw. maskuline Dativmarkierung Akk PP 0 5 1 4 30 --- 2 42 152 27,63 „dem“ (n=30) fehlerhaft verwendet. Hin- Dativ (24 Kontexte) sichtlich der Genussicherheit für diese Feminina Maskulina zeigt sich, dass die unpas- Dat NP 0 --- 70 0 0 6 10 86 152 56,58 sende Einordnung als Neutrum (n=70; Dat PP 0 --- 21 0 0 5 1 27 76 35,53 18,4%) gehäuft auftritt und deutlich ge- genüber der Einordnung als Femininum Neutra (n=20; 5,3%) überwiegt. In etwa der Dat NP 0 8 1 16 --- 22 5 52 76 68,42 Hälfte der Fälle, in denen die neutrale Dat PP 0 2 1 10 --- 25 2 40 76 52,63 Akkusativmarkierung „das“ unpassend Maskulina verwendet wurde (n=52), haben die Kin- Dat NP 3 37 4 0 --- 177 29 250 380 65,79 der das jeweilige Item zuvor als Neutrum Dat PP 1 5 1 6 --- 44 2 59 152 38,82 eingeordnet (n=25, z. B. das Salat), so- Anmerkungen: Akk=Akkusativ, Dat=Dativ, NP=Nominalphrase, PP=Präpositionalphrase, n. e.=nicht evoziert dass die Markierung dem (fehlerhaften) Genus entsprechend korrekt ist. In den Tabelle 4 Absolute Fehlerhäufigkeiten nach Genus und Phrasenstruktur Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95 91
(n=37) und der Fehlertyp anderes (n=29) einen Zusammenhang mit fehlerhafter nen hinsichtlich ihrer Kasuskorrektheit häufig auf. Letzteres entsprach wie bei Genuszuordnung für die entsprechenden jedoch eher mit vier Jahre jüngeren, Originalia den Feminina oftmals der Verwendung Nomina. Als Fehlerarten überwiegen bei monolingual deutsch aufwachsenden einer Präpositionalphrase (n=22, z. B. der Dativmarkierung Übergeneralisie- Kindern vergleichen. zum Elefanten) zur Umschreibung des rungen von Akkusativ- und Nominativ- Angesichts der Tatsache, dass „Mehr- Dativs. formen, bei der Akkusativmarkierung sprachigkeit“ kein einheitliches Konzept in Präpositionalphrasen lassen sich darstellt (vgl. Kapitel „Kasusfähigkeiten Zusammenfassung der hingegen Übergeneralisierungen von mehrsprachig aufwachsender Kinder“) Ergebnisse Dativmarkierungen beobachten. und eine Reihe von Faktoren Einfluss Zusammenfassend zeigen die erhobenen auf den mehrsprachigen Erwerb nehmen Daten, dass die hier untersuchten mehr- Diskussion der Ergebnisse können, wurden in einer zweiten For- sprachig aufwachsenden Achtjährigen schungsfrage die simultan mehrsprachig Die vorliegende Untersuchung verfolgte im Mittel 69% der Akkusativ- und 43% aufwachsenden mit den sukzessiv mehr- das Ziel, im Rahmen einer explorativen der Dativkontexte korrekt markieren. sprachig aufwachsenden Probandinnen Pilotstudie die Korrektheit der Kasus- Dies entspricht einer Kasuskorrektheit, und Probanden verglichen. Dabei zeigen markierung mehrsprachiger Drittkläss- die hinter den Werten der monolingual sich deutliche Unterschiede zugunsten lerInnen in Regelgrundschulen einzu- schätzen. Dazu wurde die Fähigkeit zur der simultan Mehrsprachigen. Während aufwachsenden Vergleichsgruppe deut- Dativ- und Akkusativmarkierung bei die sukzessiv Mehrsprachigen im Mittel lich zurückbleibt. Die simultan bilingua- N=38 Kindern im Rahmen einer Elizi- nur jeden dritten Dativkontext sowie len Kinder der vorliegenden Stichprobe tationsaufgabe überprüft. 62% der Akkusativkontexte korrekt mar- erreichen Korrektheitswerte, die mit Die Ergebnisse weisen eine sehr hohe kieren und damit signifikant unterhalb vierjährigen Monolingualen vergleich- Varianz auf. Dies gilt insbesondere für der Mittelwerte der vier Jahre jüngeren, bar sind. Die sukzessiv mehrsprachig die Dativmarkierung. Hier streuen die monolingualen Vergleichsgruppe liegen, aufwachsenden Probandinnen und Pro- erreichten Werte der Probandinnen und erreichen die simultan mehrsprachigen banden erreichen hingegen für beide Probanden nahezu über das gesamte Achtjährigen der vorliegenden Untersu- Kasus signifikant niedrigere Werte als Spektrum der möglichen Rohwerte chung für die Akkusativ- sowie für die die monolinguale Vergleichsgruppe vier hinweg. Insgesamt erreichen die mehr- Dativmarkierung Korrektheitswerte, die Jahre jüngerer Kinder. Die Varianz ist sprachigen Achtjährigen sowohl für die denen vierjähriger monolingualer Kinder insbesondere für die Dativmarkierung Akkusativ- als auch für die Dativmarkie- entsprechen. Statistische Signifikanz als sehr hoch zu beschreiben. Jenseits rung Korrektheitswerte, die hinter den erreichen Unterschiede in der mittle- dieser quantitativen Betrachtung zeigt Referenzwerten vierjähriger Monolin- ren Korrektheit zwischen simultan und eine weiterführende Analyse für einen gualer zurückbleiben (vgl. Ulrich, 2017). sukzessiv Mehrsprachigen nur für den Teil der fehlerhaften Kasusmarkierungen Hinsichtlich der ersten Forschungsfra- Akkusativ; für den Dativ bestehen nume- ge kann somit konstatiert werden, dass risch zwar ähnlich große Unterschiede die vorliegenden Ergebnisse keinen An- der mittleren Ränge, hier fallen aber ver- mutlich die höhere Standardabweichung KURZBIOGRAFIE haltspunkt dafür liefern, dass die hier untersuchten mehrsprachigen Kinder bis und der recht kleine Stichprobenumfang PD Dr. Tanja Ulrich, Diplom-Lehrlogo- zum neunten Lebensjahr an die Kasusfä- stärker ins Gewicht. pädin, ist Vertretungsprofessorin Die vorliegenden Ergebnisse stützen die higkeiten monolingual deutsch aufwach- am Lehrstuhl für Sprachbehinder- sender Anschluss finden, wie bislang auf Annahme, dass der vollständige Erwerb tenpädagogik in schulischen und außerschulischen Bereichen der Basis der wenigen vorliegenden Studien des Kasussystems eine langwierige Er- Universität zu Köln. Sie leitet das vermutet werden konnte (Scherger, 2015; werbsaufgabe für mehrsprachig auf- Forschungsprojekt „Grammatische 2018). Zwar gibt es angesichts der hohen wachsende Kinder darstellt (vgl. auch Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder Varianz durchaus einige Kinder, die eine Grießhaber, 2007; Rothweiler, 2013; Ru- zum Zeitpunkt der Einschulung mindestens 90-prozentige Kasuskorrekt- berg, 2013). Die Daten der vorliegenden (GME)“. Ihre Schwerpunkte in Lehre Untersuchung können die Beobachtun- heit erreichen, sodass für sie der Erwerb und Forschung liegen im Bereich des als weitestgehend abgeschlossen ange- gen von Scherger (2016; 2018), dass si- Spracherwerbs unter erschwerten nommen werden kann (Brown, 1973). multan bilinguale Grundschülerinnen/- Bedingungen sowie der Entwicklung und Evaluation von Interventions- Konkret sind dies n=4 Kinder beim schüler im Alter von sieben Jahren ver- maßnahmen für schulische und au- Akkusativ und n=5 Kinder beim Dativ gleichbare Kasusfähigkeiten wie die ßerschulische Kontexte. (entspricht einem Anteil von 10,5% bzw. monolingualen Gleichaltrigen zeigen, 13,2% der Untersuchungsstichprobe). jedoch nicht bestätigen. So entspricht die Im Mittel lässt sich die hier untersuchte Kasuskorrektheit der hier untersuchten Gruppe mehrsprachiger DrittklässlerIn- simultan mehrsprachigen Kinder noch 92 Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95
im neunten Lebensjahr der von vier Jahre fehlerhaften Kasusmarkierungen im Hin- jüngeren Monolingualen. blick auf die Genera der entsprechenden KURZBIOGRAFIE Originalia Eine mögliche Ursache für diese Diskre- Nomina analysiert, so zeigt sich bei den Sarah Thater schloss 2018 den Master- panz könnte in der unterschiedlichen Art Neutra und Maskulina im Akkusativ un- studiengang Lehramt für sonderpäda- der Datenerhebung liegen. So fanden ter anderem eine Tendenz zur Übergene- gogische Förderung mit den Schwer- auch Grimm und Schulz (2016) anhand ralisierung der Dativmarkierung „dem“. punkten Sprache und Lernen an der von elizitierten Daten Unterschiede zwi- Dies könnte darauf zurückzuführen sein, Universität zu Köln ab. Anschließend schen simultan mehrsprachigen und mo- dass die verwendete Präposition „hinter“ absolvierte sie ihr Referendariat an nolingual aufwachsenden Kindern, wenn eine Wechselpräposition ist. Die für die einer Förderschule Sprache. Seit Mai 2020 ist sie als Sonderpädagogin an auch in einer jüngeren Altersgruppe. Erhebungssituation relevante Informati- einer inklusiven Grundschule in Bed- Zudem könnten die Gruppenzusammen- on ist nicht unmittelbar von der Kasuska- burg bei Köln tätig. setzung und die Art der gesprochenen tegorie abhängig (hinter dem Baum vs. Erstsprachen einen Einfluss auf die Er- hinter den Baum). Demnach könnte auch gebnisse ausüben: Während bei Scher- bei den Feminina die Markierung „der“ ger (2015; 2016; 2018) alle Probandinnen als Dativmarkierung eingeordnet wer- und Probanden bilingual mit den beiden den. Die häufige Übergeneralisierung maskuline Akkusativmarkierung, son- Sprachen Deutsch und Italienisch auf- von Dativmarkierungen in akkusativ- dern ist auch im Dativ Plural der definite wuchsen, ist die vorliegende Stichprobe fordernden Präpositionalphrasen sowie Artikel bei allen Genera. Entsprechend zum einen hinsichtlich der gesprochenen die vergleichsweise höhere Korrektheit könnte der Artikel auch mit dem Dativ Erstsprachen wesentlich heterogener, des Dativs in PPs gegenüber NPs un- Singular in Verbindung gebracht werden. zum anderen erwerben einzelne Kinder terstreicht die Vermutung, „dass der Insbesondere bei Maskulina in der NP auch mehr als zwei Sprachen. Dativ eine Art ‚prototypischen Kasus‘ greifen viele Kinder auf eine Umschrei- Über die Darstellung der übergreifenden für Präpositionalphrasen darstellt“ (Ul- bung durch eine Präpositionalphrase Kasuskorrektheit hinaus wurden zwei rich, 2017, S. 331, vgl. auch Baten, 2013), zurück (z. B. Wem gibst du die Möhre? weitergehende Analysen durchgeführt, Kinder sich also den Dativ über seinen – zum Elefant). Auch Schönenberger et al. deren Ziel ein qualitativer Blick auf die Gebrauch in PP erschließen. (2011) beobachteten einen Rückgriff auf Kasusfähigkeiten der Teilnehmenden In vielen Fällen wurde „den“ als Akku- Präpositionalphrasen, um indirekte Ob- war. Es zeigte sich, dass die Phrasen- sativmarkierung für Neutra verwendet. jekte ditransitiver Verben zu markieren. struktur einen erheblichen Einfluss auf Im Hinblick auf die Genussicherheit für Hinsichtlich der Genussicherheit für die die Korrektheit der Kasusmarkierung diese Items zeigt sich, dass etwa in der fraglichen Nomina in der Kasusüber- nimmt. Während die Markierung des Hälfte der Fälle ein Zusammenhang mit prüfung erreichten die Probandinnen Akkusativs den ProbandInnen inner- einer fehlerhaften Genusmarkierung und Probanden der vorliegenden Un- halb von NP signifikant leichter fällt besteht. Hier wirken sich somit die Ge- tersuchung im Mittel eine recht hohe als innerhalb von PP, zeigt sich für den nusunsicherheiten auf die Korrektheit Genuskorrektheit von 80,8%. Wie die Dativ genau das umgekehrte Bild. Hier der Kasusmarkierung aus. obigen Ergebnisse zeigen, lässt sich erreichen die untersuchten Kinder im Andererseits zeigt sich in vergleichbar anhand der erhobenen Daten keine Mittel die höchste Korrektheit in der vielen Fällen ein gegenteiliges Bild: Trotz eindeutige 1:1-Beziehung zwischen Ge- PP. Dieses Muster entspricht den Beob- korrekter Genusmarkierung der Neutra nus- und Kasuskorrektheit für einzelne achtungen, die in der monolingualen wird im Akkusativ der maskuline Arti- Items herstellen. Dennoch ist die enge Referenzgruppe (Normierungsstichpro- kel „den“ verwendet (48,9% der Fälle). Verwobenheit von Genus- und Kasus- be zum Erhebungsverfahren) gemacht Dies könnte darauf hinweisen, dass „den“ markierung insbesondere im Kontext wurden (Ulrich, 2017). Auch hier stellte als prototypische Akkusativmarkierung mehrsprachig aufwachsender Kinder die Akkusativmarkierung in PP eine auch für Neutra verwendet wird, eine sicherlich ein Aspekt, der in zukünftigen deutlich höhere Anforderung dar als die Beobachtung, die sich vergleichbar auch empirischen Studien noch differenzierter Verwendung des Akkusativs in NPs; im für monolingual deutsch aufwachsende in den Blick genommen werden sollte. Dativ wurde hingegen innerhalb der PP Kinder findet (Ulrich, 2017). Insgesamt entsprechen die oben be- die höchste Korrektheit erreicht. Dieser Hinsichtlich des Dativs überwiegt für schriebenen Fehlermuster den Beob- Befund unterstreicht die Notwendigkeit, alle Genera die Verwendung des jewei- achtungen aus dem monolingualen Ver- unterschiedliche Phrasenstrukturen dif- ligen akkusativ- bzw. nominativmarkier- gleichskorpus (Ulrich, 2017). Für die hier ferenziert zu betrachten, da „eine einfa- ten Artikels. Korecky-Kröll und Dressler untersuchten mehrsprachig aufwachsen- che Einteilung in Akkusativ- und Dativ- (2009) beschreiben im Zusammenhang den Grundschülerinnen/-schüler kann kontexte der Problematik nicht gerecht mit der fehlerhaften Verwendung von somit ein ähnlicher Zugang zum Erwerb wird“ (Marx, 2014, S. 119, vgl. auch Akkusativartikeln einen weiteren Erklä- des Kasussystems angenommen werden Schönenberger et al., 2012). Werden die rungsansatz: „Den“ fungiert nicht nur als wie bei monolingual aufwachsenden. Logos Jg. 29 | Ausg. 2 | 2021 | 84 - 95 93
Offenbar nimmt der Erwerbsprozess des Schlussfolgerungen der vorliegenden Daten wird jedoch auch deutschen Kasussystems jedoch vielfach deutlich, dass durchaus einige mehr- und Ausblick Originalia eine deutlich längere Zeit in Anspruch, sprachige Schülerinnen und Schüler Im Kontext der Sprachdiagnostik mehr- (ca. 10% der vorliegenden Stichprobe) als bislang angenommen wurde (vgl. sprachig aufwachsender Kinder führt die in der dritten Klasse beide Kasuska- Scherger, 2016; 2018). große Varianz hinsichtlich der Kasusfä- tegorien vollständig erworben haben Als limitierender Faktor dieser explo- higkeiten zu einer erschwerten Abgren- und Mehrsprachigkeit „per se“ somit rativen Pilotstudie kann sicherlich die zung zwischen sprachauffälligen und kein Hindernis für einen erfolgreichen Heterogenität der Stichprobe gesehen sprachunauffälligen Kasuskompetenzen. Kasuserwerb darstellt. Vielmehr stellt werden. Unter den n=38 untersuchten Jenseits unsicherer subjektiver Einschät- sich die weiterführende Frage nach den Probandinnen und Probanden wurden zungen des Spracherwerbsstandes eines Erwerbsbedingungen, die diesen Erwerb 22 verschiedene Erstsprachen gespro- mehrsprachigen Kindes bedarf es valider erschweren bzw. unterstützen. chen, insbesondere die sukzessiv bilin- Aussagen, die idealerweise aufgrund gualen Kinder unterschieden sich weiter- von psychometrischen Testverfahren Interessenkonflikt hin durch den Zeitpunkt des Erwerbsbe- gewonnen werden sollten. Allerdings Die Autorinnen geben an, dass kein Interessen- ginns des Deutschen (AoO). Diese Fak- stellt die Aufgabe, Normdaten für die so konflikt besteht. toren begünstigen sicherlich die große heterogene „Gruppe“ Mehrsprachiger zu Literatur Varianz der hier gefundenen Ergebnisse. generieren, die Spracherwerbsforschung Archibald, L. M. D., & Joanisse, F. (2009). On the vor eine enorme Herausforderung. Mit Sensitivity and Specificity of Nonword Rep- Andererseits wurde die Stichprobe zu- etition and Sentence Recall to Language and fällig aus sechs Regelgrundschulen im „LiSe-DaZ“ (Schulz & Tracy, 2011) liegt Memory Impairments in Children. Journal of für das Deutsche ein erstes Testverfah- Speech, Language, and Hearing Research, 52(4), Kölner Umland gezogen und zeigt somit 899–914. sehr realistisch auf, wie vielfältig die ren vor, das Normwerte in Abhängigkeit Armon-Lotem, S., & de Jong, J. (2015). Introduc- von der Kontaktzeit mit dem Deutschen tion. In S. Armon-Lotem, J. de Jong, & N. Meir „Gruppe der Mehrsprachigen“ tatsäch- (eds.), Assessing Multilingual Children. Disentan- lich sein kann und welcher Komplexität bereitstellt. Die Fähigkeit zur Kasusmar- gling Bilingualism from Language Impairment kierung wird dabei jedoch nur an we- (pp. 1–22). Multilingual Matters. die Spracherwerbsforschung im Kontext Baten, K. (2013). The Acquisition of the German nigen Items (n=4 Akkusativ, n=5 Dativ) Case System by Foreign Language Learners. John Mehrsprachigkeit gerecht werden muss. erhoben. Die Genussicherheit für diese Benjamins. Die vorliegenden, anhand einer recht Bittner, D. (2013). Grammatische Entwicklung. In Items wird ebenfalls nicht berücksich- S. Ringmann & J. Siegmüller (Hrsg.), Handbuch kleinen Stichprobe gewonnenen Daten tigt. Weitere Forschungsarbeiten sind Spracherwerb und Sprachentwicklungsstörungen. ermöglichen keine Verallgemeinerungen Schuleingangsphase (S. 51–76). Elsevier. notwendig, um Orientierungs- und Ver- auf die Gesamtgruppe mehrsprachig Brown, R. (1973). A First Language. The Early gleichsdaten zu unterschiedlichen Sub- Stages. Harvard University Press. aufwachsender Kinder in Deutschland. gruppen mehrsprachig aufwachsender Chilla, S. (2019). Spracherwerbsverzögerung Ebenso lassen sie keine Aussage über – Spracherwerbsstörung. In S. Jeuk & J. 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