Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen
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SPM-Koll VIII_CoverWeb_SPM VIII – KOLL 14.11.18 09:22 Seite 1 SPM Kolloquium — colloque Bern 2018 AS – Archäologie Schweiz SAM – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit SBV – Schweizerischer Burgenverein (Herausgeber) Die Schweiz von 1350 bis 1850 im Spiegel archäologischer Quellen Die Schweiz von 1350 bis 1850 — La Suisse de 1350 à 1850 AS – Archéologie Suisse SAM – Groupe de travail suisse pour l’archéologie du Moyen Age et de l’époque moderne SBV – Association suisse Châteaux forts (éditeurs) La Suisse de 1350 à 1850 à travers les sources archéologiques Akten des Kolloquiums Actes du Colloque Bern, 25.–26.1.2018 Verlag Archäologie Schweiz SPM Basel 2018 ISBN 978-3-908006-48-0
Umschlag: Dudelsackbläser vom so genannten Holbein-Brunnen. Werk eines unbekannten Künstlers, um 1545. Sandstein mit farbiger Fassung. Höhe 91 cm. Heute Basel, Historisches Museum, Inv. 1910.132. Umzeichnung Archäologie Baselland, S. Schäfer. Schellen-Under. Schaffhauser Spielkarte. Schaffhausen, um 1800. Holzschnitt, schablonenkoloriert. Drucker David Hurter; Bearbeitung I. D. Zeder. Couverture: Joueur de cornemuse de la fontaine dite de Holbein. Oeuvre d’un artiste inconnu, ver 1545. Grès avec décor polychrome. Hauteur 91 cm. Aujourd’hui à Bâle, Musée Historique, Inv. 1910.132. Dessin Archéologie Baselland, S. Schäfer. Schellen-Under (Under de grelot). Carte à jouer de Schaffhouse. Schaffheouse, vers 1800. Gravure sur bois peinte au pochoir. Imprimeur David Hurter. Infogra- phie I. D. Zeder. Wissenschaftliche Leitung / Direction scientifique : Steuerungsgruppe SPM VIII (s. S. 7), im Auftrag der Wissenschaftlichen Kommission der Archäologie Schweiz / sur mandat de la Commission Scientifique d’Archéologie Suisse. Die Umsetzung dieser Internet-Publikation wurde unterstützt durch die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozial- wissenschaften SAGW. Der Band ist gratis online verfügbar unter www.archaeologie-schweiz ▻ Publikationen ▻ Online-Publi- kationen. La réalisation de cette publication éléctronique a été largement soutenue par l’Académie des Sciences humaines et sociales ASSH. Le volume est mis à disposition en ligne gratuitement sur www.archeologie-suisse.ch ▻ Publications ▻ Publications en ligne. Hardcopy produziert mit Unterstützung der Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. / Version imprimée réalisée avec le soutien du Groupe de Travail pour l’Archéologie du Moyen Age et de l’Epoque moderne. Bestelladresse für die gedruckte und gebundene Version: Archäologie Schweiz, Petersgraben 51, CH-4051 Basel, admin@archaeologie-schweiz.ch Adresse de commande pour la version imprimée et reliée: Archéologie Suisse, Petersgraben 51, CH-4051 Bâle, admin@archeologie-suisse.ch Projektleitung / Direction du projet : Urs Niffeler. Redaktion / Rédaction : Catherine Leuzinger-Piccand (Beitrag Liboutet/Vanetti); Urs Niffeler (übrige Teile). Druckvorstufe / Prépresse : Isabelle D. Zeder. Copyright by Archäologie Schweiz, Basel 2018. ISBN 978-3-908006-48-0
Inhaltsverzeichnis – Table de matière – Indice Dank ....................................................7 Zur Chronologie und Typologie der Wohnbauten Graubündens im Zeitraum von 1350 bis 1850 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Mathias Seifert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 Alpnutzung in Spätmittelalter und Frühneuzeit 1. Siedlungen – Habitat am Beispiel Andermatt UR Brigitte Andres und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . . .129 1.1 Städte – Villes Der Oberwalliser Wohnbau in Spätmittelalter und Basel – Transformationen einer Stadt Neuzeit. Das Bespiel Schnydrighaus in Mund, Frank Löbbecke, Martin Möhle, Gemeinde Naters Werner Bellwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139 Christoph Matt und Marco Bernasconi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .11 Vom Lagerbau zum Stadthaus. Innerschweizer Holzbau Ulrike Gollnick und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .147 Die bauliche Entwicklung des Städtchens Werdenberg (Grabs SG) im 14. und frühen 15. Jh. Carolin Krumm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .29 Bauernhäuser aus Altholzbeständen – eine Erscheinung des Taunerwesens im 18./19. Jh.? Katharina König . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 Städtischer Wohnbau am Beispiel Zug Anette JeanRichard und Christoph Rösch . . . . . . . . . . . . . . . . . .37 Archéologie du « village vigneron » : l’exemple Freiburg: Rue Neuveville 46, du Vignoble neuchâtelois (15e–17e siècles). ein spezieller Typ von Gerbereigebäude Comment le développement de l’économie viticole Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .49 du 15e au 17e siècle a durablement influencé le paysage, l’urbanisme et l’architecture de la région Christian de Reynier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .175 Murten: Ein Dachstuhltyp zu Wohnbauten ab dem frühen 16. Jh. Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .53 1.3 Sonderbauten und Infrastruktur – Bossonnens FR: Von der mittelalterlichen Burg Bâtiments spécialisés et infrastructures bis zur Artillerieplattform Christian Kündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .57 Münzstätten im archäologischen Befund Rahel C. Ackermann und Christoph Ph. Matt . . . . . . . . . . . . . .189 Saint-Ursanne, premières investigations en archéologie urbaine dans le Jura Die gemeineidgenössischen, bernischen und vorder- Sébastien Saltel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .63 österreichischen Landvogteischlösser des Aargaus Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .195 1.2 Ländliche Siedlungen – Habitat rural Baden AG: vom Wildbad zum Kurort Andrea Schaer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .197 Der städtische Einfluss auf die Haus- und Siedlungsentwicklung im Basler Untertanengebiet Bad Weissenburg und das Badewesen (Kanton Baselland ohne Laufental) im Berner Oberland Anita Springer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .69 Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .207 Hochstudbauten im Aargau. Bauarchäologische und bauhistorische Unter- Typologische Entwicklung vom 16. Jh. bis 19. Jh. suchungen am Escher- und am Linthkanal Cecilie Gut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .79 Jakob Obrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .217 Alles unter Schutt und Asche. Das ehemalige Gasthaus Ochsen in Flüelen UR: Ofenkachelfunde des 14.–18. Jh. in Brandhorizonten Gasthof, Kaufhaus und Sust an der Gotthardroute. von Fricktaler Bauerndörfern Ein stattlicher Bau am Übergang zwischen Land David Wälchli . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .93 und See Ulrike Gollnick und Christian Auf der Maur . . . . . . . . . . . . . .229 Bohlenständerbau im Kanton St. Gallen Moritz Flury-Rova . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 3
Le pavillon de chasse de Guillaume de La Baume : 3. Glaubenswelt – Croyances une source d’inspiration pour le Canton de Fribourg Rocco Tettamanti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .237 3.1 Bauten und Zeichen – Pour une relecture du statut économique du Canton Bâtiments et symboles de Vaud à l’époque moderne : les cas du fer et des fours à chaux du Jura-Nord vaudois Die Mikwe von Lengnau AG Peter Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .397 Alice Vanetti et Marion Liboutet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .239 Das «Cappeli» im Berner Stockental Volker Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .399 2. Materielle Kultur – Culture matérielle Ermitages religieux des environs de la ville de Fribourg Laufenburg-Siechebifang – ein aussergewöhnlicher (15e–19e siècles) : un patrimoine à redécouvrir Fundkomplex aus dem 15. Jh. Ludovic Bender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .407 Ein Einblick in das Inventar des ehemaligen Laufenburger Siechenhauses Aménager un temple réformé en terres neuchâteloises Reto Bucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .255 (1530–1850). Apports de l’archéologie Jacques Bujard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .417 Bunte Schüsseln, schlichte Tassen. Gefässkeramik- entwicklung in der Nordostschweiz (1350–1850) An Holzbauten beobachtete Zeichen Valentin Homberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .271 von Praktiken der Volksfrömmigkeit Ulrike Gollnick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .427 Ein geschlossenes Geschirrensemble des 18. Jh. aus Winterthur Annamaria Matter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .283 3.2 Bestattungen – Sépultures Alles im grünen Bereich. Die Haushaltskeramik Grabbeigaben im Gebiet der Deutschschweiz vom Bauschänzli in Zürich, datiert vor 1662 Martina Kaelin-Gisler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .431 Jonathan Frey . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .297 Die Bestattungen im Kanton Bern im Wandel der Zeit. Spätmittelalterliche und neuzeitliche Keramik- Interdisziplinäre Betrachtungen zu den Gräbern und komplexe im Kanton Zug Verstorbenen Eva Roth Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .309 Amelie Alterauge und Sandra Lösch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .441 Reperti ceramici in Ticino dal 1350 al 1850: Evolution des ensembles funéraires de la fin du prime considerazioni Moyen-Âge au début du 20e siècle. Quelques exemples Maria-Isabella Angelino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .325 de fouilles récentes dans les cantons de Vaud et de Neuchâtel L’atelier de potiers de Bulle-rue de la Poterne Lucie Steiner et Sophie Thorimbert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .457 (1765–1895). Etat de la recherche Gilles Bourgarel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .337 Temple de Daillens VD : sépultures découvertes dans le chœur désaffecté – un cas d’école L’évolution du vaisselier genevois entre 1350 et 1850 Anna Pedrucci . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .469 Michelle Joguin Regelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .361 Tabak und Tabakpfeifen in der Schweiz Andreas Heege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .371 4. Umwelt und Naturressourcen – Environnement et ressources naturelles Konjunkturen und Kleingeldwanderung. Kirchenfunde des 16.–19. Jh. Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .383 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Plomben und Marken Archäologie Rahel C. Ackermann und Benedikt Zäch . . . . . . . . . . . . . . . . . .391 Christian Rohr und Chantal Camenisch . . . . . . . . . . . . . . . . . .479 Landwirtschaft und Umwelt im Spiegel archäobiologischer Funde – Materialvorlage Marlu Kühn, Sabine Deschler-Erb und Simone Häberle . . . . .489 4
Abkürzungen – Abréviations – Abbreviazioni AAS Annuaire d’Archéologie Suisse AS et al. 2011 AS et al. (Hrsg.; 2011) Archäologie Schweiz AS/ ABBS Archäologische Bodenforschung des Kantons Basel- Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Archäo- Stadt logie des Mittelalters und der Neuzeit SAM/ ADSO Archäologie und Denkmalpflege im Kanton Solo- Schweizerischer Burgenverein SBV (Hrsg.; 2011) thurn SPM – Siedlungsbefunde und Fundkomplexe der AF Archéologie Fribourgeoise Zeit zwischen 800 und 1350. Akten des Kollo- AiZ Archäologie im Kanton Zürich quiums zur Mittelalterarchäologie in der Schweiz, AKBE Archäologie im Kanton Bern Frauenfeld, 28.–29.10.2010. Basel. – Archéologie AM Archeologia Medievale Suisse AS/Groupe de travail suisse pour l’archéolo- ArchBE Archäologie Bern – Archéologie bernoise. Jahrbuch gie du Moyen Âge et de l’époque moderne SAM/ des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern Association suisse Châteaux forts SBV (éds.; 2011) as. archäologie schweiz – archéologie suisse – archeo- SPM – Habitat et mobilier archéologiques de la logia svizzera période entre 800 et 1350. Actes du colloque ASA Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde «Archéologie du Moyen Âge en Suisse», Frauen- ASSPA Annuaire de la Société Suisse de Préhistoire et feld, 28.–29.10. 2010. Bâle. d’Archéologie – Annuario della Società Svizzera di SPM VII Urs Niffeler (Projektleitung u. Red.), Reto Marti et Preistoria e di Archeologia al. (wissenschaftl. Leitung) SPM VII, Archäologie BSSI Bollettino Storico della Svizzera Italiana der Zeit von 800 bis 1350 – L’archéologie de la BZ Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertums- période entre 800 et 1350 – L’archeologia del kunde periodo tra l’800 ed il 1350. Basel 2014. CAF Cahiers d’Archéologie Fribourgeoise, Fribourg CAR Cahiers d’Archéologie Romande, Lausanne ENr. Ereignisnummer Kantone – Cantons – Cantoni FA Freiburger Archäologie FHA Freiburger Hefte für Archäologie AG Aargau HLS Historisches Lexikon der Schweiz AI Appenzell Innerrhoden HS Helvetia Sacra AR Appenzell Ausserrhoden ISOS Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der BE Bern Schweiz von nationaler Bedeutung BL Basel-Landschaft JbAB Jahresbericht der Archäologischen Bodenforschung BS Basel-Stadt Basel-Stadt FR Fribourg JbADG Jahresbericht des Archäologischen Dienstes Grau- GE Genève bünden und der Denkmalpflege Graubünden GL Glarus JbAS Jahrbuch der Archäologie Schweiz GR Graubünden JbHGL Jahrbuch der Historischen Gesellschaft Luzern JU Jura (1983–2001); Historische Gesellschaft Luzern, Ar- LU Luzern chäologie, Denkmalpflege, Geschichte (seit 2002) NE Neuchâtel JbHVFL Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürsten- NW Nidwalden tum Liechtenstein OW Obwalden JbSGUF Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- SG St. Gallen und Frühgeschichte SH Schaffhausen KA Kantonsarchäologie SO Solothurn KDM Die Kunstdenkmäler des Kantons … SZ Schwyz KdS Die Kunstdenkmäler der Schweiz TG Thurgau RHV Revue historique vaudoise TI Ticino SBKAM Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Ar- UR Uri chäologie des Mittelalters VD Vaud SAEF/AAKF Service archéologique de l’Etat de Fribourg/Amt VS Valais für Archäologie des Kantons Freiburg ZG Zug SCA Service Cantonal d’Archéologie ZH Zürich SPM Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum Mittelalter – La Suisse du Paléolithique au Moyen-Age – La Sviz- FL Fürstentum Liechtenstein zera dal Paleolitico al Medioevo ZA Zürcher Archäologie ZD Zürcher Denkmalpflege, Stadt Zürich, Bericht ZAK Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte ZAM Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 5
Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850 Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie Christian Rohr und Chantal Camenisch Einleitung Phasen unterdurchschnittlicher Sonnenaktivität einher, kon- kret mit dem so genannten Wolf-Minimum (1280–1340), dem Die Potenziale, ja die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit Spörer-Minimum (ca. 1420–1550), dem Maunder-Minimum zwischen Archäologie einerseits und historisch bzw. natur- (ca. 1645–1715) und dem Dalton-Minimum (ca. 1790–1830).5 wissenschaftlich orientierter Klimageschichtsforschung an- In manchen der genannten Phasen kamen als verstärkende dererseits sind in den letzten Jahren immer wieder betont Faktoren kurzfristige Klimaveränderungen hinzu, so aufgrund worden.1 Der folgende Beitrag versteht sich in diesem Sinne von schweren Vulkanausbrüchen, etwa nach dem Ausbruch als Einführung in die Klimageschichte der Zeit zwischen des Tambora (Indonesien) im April 1815, auf den 1816 ein 1350 und 1850. Ein besonderes Augenmerk liegt auf den «Jahr ohne Sommer» in Mitteleuropa folgte, das insbeson- schriftlichen und bildlichen historischen Quellen mit Nach- dere in der Schweiz eine schwere Hungerkrise verursachte.6 richten zum Wetter bzw. zur Witterung sowie zu extremen Nach 1850 setzte schliesslich eine allgemeine, in zunehmen- Naturereignissen. Dabei wird die klimahistorische Datenbank dem Masse anthropogene Erderwärmung seit der Industria- Euro-Climhist sowohl allgemein als auch in Form einiger lisierung ein, die bis heute anhält und häufig mit dem Begriff ausgewählter Abfrageergebnisse vorgestellt. «Anthropozän» umschrieben wird (Abb. 1). Zum besseren Verständnis seien hier noch einige klimage- schichtliche Begriffsbestimmungen angefügt: Wetter bezeich- Klima und extreme Naturereignisse net den spürbaren, kurzfristigen Zustand der Atmosphäre an in der «Kleinen Eiszeit» einem bestimmten Ort der Erdoberfläche, der unter anderem als Sonnenschein, Bewölkung, Regen, Wind, Hitze oder Kälte Die Zeit zwischen 1350 und 1850 deckt sich weitgehend mit in Erscheinung tritt. Dies umfasst somit die aktuelle Situation der so genannten Kleinen Eiszeit, deren Beginn zumeist etwa von einigen Stunden bis zu einer oder wenigen Wochen. Wit- um 1300 angesetzt wird, das Ende um 1850. Blickt man auf terung hingegen meint die Wetterverhältnisse in einem be- die klimatischen Entwicklungen seit der Römerzeit, so ist da- stimmten Zeitabschnitt, von mehreren Tagen bis zu einer bei eine durch weitgehend natürliche Faktoren verursachte Ab- Jahreszeit, auf ein bestimmtes Gebiet bezogen. Sie bildet die folge wärmerer und kälterer Phasen rekonstruierbar: Auf das regionale Auswirkung von aktuellem Wetter und lokalem Kli- so genannte «Römerzeitliche Klimaoptimum» (ca. 300 v. Chr.– ma, insbesondere in Bezug auf die fühlbaren Wetterelemente 250 n. Chr.) folgte eine kältere Phase, die sich weitgehend wie Niederschlag, Temperatur, Wind, Luftdruck und Luft- mit der Völkerwanderungszeit und dem Frühmittelalter deckt feuchtigkeit. Das (geografische) Klima wiederum ist nach der (ca. 250–750/ 900). Die Phase ab 750/ 900 n. Chr. war hin- Definition von Joachim Blüthgen «die für einen Ort, eine gegen wieder klimatisch begünstigter, was mitverantwortlich Landschaft oder einen größeren Raum typische Zusammen- für ein starkes Bevölkerungswachstum sowie eine Ausdehnung fassung der erdnahen und die Erdoberfläche beeinflussenden der Siedlungen in höhere alpine Lagen im Hochmittelalter atmosphärischen Zustände und Witterungsvorgänge während war.2 Das Konzept eines «Hochmittelalterlichen Klimaopti- eines längeren Zeitraumes in charakteristischer Verteilung mums» wurde allerdings in der jüngeren Forschung wieder der häufigsten, mittleren und extremen Werte».7 Hier geht relativiert, sodass man für die Periode bis etwa 1250/ 1300 es somit um langfristige Durchschnittswerte; die World Me- besser von einer Zeit «Hochmittelalterlicher Klimaanomalie» teorological Organization (WMO) der UNO in Genf hat sprechen sollte, weil sich damals überdurchschnittlich warme dazu standardisierte 30jährige Beobachtungszeiträume, die Winter und Sommer mit extrem kalten abwechselten.3 so genannten Climatic Normals, festgelegt. Klimawandel wird Auch für die «Kleine Eiszeit» muss betont werden, dass es somit in wissenschaftlicher Hinsicht als Veränderung der sich dabei nicht um eine durchgehend kalte Periode handelt, Durchschnittswerte aufeinanderfolgender 30-Jahres-Werte sondern interne Schwankungen zu beobachten sind; so liegt beschrieben. In der historischen Klimatologie wird als Refe- 1540, das vermutlich heisseste und trockenste Jahr des 2. Jahr- renzperiode für den Vergleich historischer Klimadaten meist tausends, ebenfalls in dieser insgesamt gesehen kalten Epo- die Zeit 1901–1960 herangenommen, also eine Phase, die che.4 Die besonders kalten Perioden gehen in der Regel mit schon deutlich nach dem Ende der «Kleinen Eiszeit» liegt, Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. 479 Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
aber noch nicht einen derart starken anthropogenen Ein- überliefert, weisen aber zu Beginn das Problem auf, dass die fluss aufweist wie die letzten Jahrzehnte. Instrumente oft recht ungenau waren und keine der heute Extreme Naturereignisse, sowohl kurzfristige wie Stürme, gängigen Skalen verwendeten. Die Einführung eines gesamt- Überschwemmungen und Lawinen als auch längerfristige eidgenössischen Messnetzes mit normierten Geräten unter wie Dürren, sind somit aussergewöhnliche Erscheinungen, der Führung der heutigen MeteoSchweiz erfolgte schliesslich die aber für den hier behandelten Kontext die wichtigste im Dezember 1863. Kategorie darstellen, weil sie heute noch archäologisch nach- Bildliche Quellen spielen für die klimageschichtliche For- weisbare Veränderungen in der Bausubstanz und Landschaft schung mit Bezug auf archäologische Befunde eine ebenfalls betreffen. In der Regel handelt es sich um kurzfristige Witte- wichtige Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit der rungsanomalien, die zu den Extremereignissen führten, in Veränderung von Fliessgewässern nach Überschwemmungen manchen Fällen aber auch um kurzfristige Klimaverände- oder auch durch Korrektionen. So existieren zahlreiche Plan- rungen. So brachte das schon oben erwähnte Jahr ohne zeichnungen zu Flussläufen und Flussbegradigungen, die in Sommer 1816 nach dem Ausbruch des Vulkans Tambora mit den meisten Fällen bis ins 17. Jh. zurückreichen, in Einzel- sich, dass in höheren alpinen Regionen der Schweiz deutlich fällen sogar noch älter sind. Dazu treten Stadtansichten aller mehr Schnee im Gebirge liegen blieb bzw. Niederschläge als Art, die z. B. Flusslandschaften in oder vor den Toren der Schnee fielen. In der Folge war der Winter 1816/ 17 einer der Stadt wiedergeben. Manche Veduten widmen sich extremen schwersten Lawinenwinter des Untersuchungszeitraums, der Naturereignissen, etwa massiven Bergstürzen wie dem von wiederum im Spätfrühling 1817 durch die Verbindung von Goldau 1806, die zumindest einen gewissen witterungsbe- Starkregen und Schneeschmelze zu schweren Überschwem- zogenen Anteil hatten.11 mungen v. a. im Einzugsgebiet des Alpenrheins führte.8 Eine weitere relevante Form von Dokumentendaten bilden die Hochwassermarken. Durch die vielen anthropogenen Eingriffe in die Flusssysteme, aber auch durch ihre – mitun- Quellen zur Klimageschichte ter nicht zuverlässige – Neuanbringung sind sie zwar nur zum der Schweiz seit dem Spätmittelalter Teil geeignet, die Intensität von Hochwasserereignissen exakt wiederzugeben,12 doch lassen sie sich in jedem Fall als Zei- Bei den schriftlichen Quellen sind zwei Hauptgruppen zu chen einer Erinnerungskultur lesen, die wiederum für die unterscheiden: Auf der einen Seite stehen individuelle erzäh- Prävention in Form einer baulichen Adaption an die Natur- lende Quellen wie Chroniken oder in späterer Zeit auch Zei- gefahr wesentlich war. tungen etc. Sie geben Einzelbeobachtungen, etwa zu extremen Naturereignissen, wieder, deren Auswahl und Überlieferung natürlich subjektiv ist. Demgegenüber sind institutionelle, Auswirkungen von Klima und serielle Aufzeichnungen wie Rechnungsbücher über einen län- Extremereignissen auf Wirtschaft, geren Zeitraum vorhanden und verändern selbst über Jahr- hunderte ihren Charakter nur geringfügig. Sie beinhalten u. a. Gesellschaft und Kultur Informationen über Erntedaten und Ernteerträge bei Getrei- de und Wein, die wiederum als wichtige Klimazeiger dienen Allgemein konnten Menschen in vergangenen Jahrhunderten können, oder erwähnen Aufwendungen für Brückenrepara- deutlich eher baulich auf ihre Erfahrungen mit Extremereig- turen nach Hochwassern oder Eisgängen.9 Dazu treten nor- nissen oder auf typische Witterungsverhältnisse, etwa domi- mative Quellen wie Urkunden oder Reglemente, die einen nante Windrichtungen, reagieren denn auf Klimawandel, der Einblick in die Präventions- und Bewältigungsstrategien bei ohne die heutigen diachronen Vergleichsmöglichkeiten höchs- Naturgefahren geben und daher auch archäologisch von Be- tens in Ansätzen spürbar war. Hingegen wurden aufgrund deutung sind. So ist etwa der berühmte Bannwald zum Schutz wiederholter schwerer Überschwemmungs- und Lawinen- vor Lawinen oberhalb von Andermatt schon seit 1397 urkund- schäden Siedlungsplätze verschoben13 oder es wurden Bau- lich belegt. materialien oder Dachformen gewählt, die solchen Extrem- Direkte Informationen zum täglichen Wetter enthalten Wit- ereignissen besser standhielten. terungstagebücher, die erstmals im 14. Jh. in England auftau- Das Potenzial der historischen Klimaforschung für die Ar- chen und ab dem 16. Jh. grössere Verbreitung finden, zum chäologie liegt daher vermutlich weniger im Bereich allgemei- Teil in Form von vorgedruckten Schreibkalendern. Häufig ner Klimaverläufe, sondern in der Beschäftigung mit extremen sind solche Witterungsaufzeichnungen von Personen verfasst, Naturereignissen und ihren Auswirkungen: Zerstörung von für die Wetterbeobachtungen mit ihrer beruflichen Tätigkeit Wohnhäusern, Wirtschaftsgebäuden und baulichen Schutz- zusammenhingen, etwa als Weinbauer, Gutsverwalter oder massnahmen sowie Veränderungen im Gelände, die archäo- Arzt. Mehrere gebildete Geistliche betrieben ebenfalls ge- logisch nachweisbar sind, lassen sich so deutlich genauer naue Wetterbeobachtungen und beteiligten sich an frühen datieren als mit naturwissenschaftlich basierten Methoden. meteorologischen Netzwerken, so der «Wetterpfarrer» Johann Auch die Anpassung an Naturgefahren durch externe Schutz- Jakob Sprüngli (1717–1803), der Teil des Messnetzwerkes bauten, die Verstärkung von Gebäudeteilen oder die Optimie- der Berner Oekonomischen Gesellschaft war und zudem rung von Siedlungsplätzen lässt in vielen Fällen ein Extrem- umfangreiche phänologische Beobachtungen durchführte.10 ereignis als Auslöser erkennen. Langfristige Anpassung an Frühe instrumentelle Messdaten sind ab der Mitte des 18. Jh. dominante Wetterlagen, etwa die Ausrichtung von Häusern 480 Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
Abb. 1. Wintertemperaturen an der Alpennordseite der Schweiz und ihre Abweichungen von der Referenzperiode 1901–1960. Nach Pfister 1999, 58f. und die Konstruktionsweise von Dächern nach der vorherr- Schweiz dokumentiert, ab 1972 Hochwasser und Murgänge schenden Windrichtung, bringen ein weiteres Kooperations- von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee feld zwischen Archäologie, Baugeschichtsforschung und Kli- und Landschaft (WSL),16 ab dem Winter 1936/ 37 Lawinen mawissenschaften. vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) Erste Ergebnisse und die grundsätzlichen Potenziale einer in Davos. interdisziplinären Kooperation von Archäologie, Geschichts- Die Datenbank Euro-Climhist17 verfolgt das Ziel, einschlägige wissenschaft und Naturwissenschaften wurden kürzlich in Daten zum Themenbereich Witterung und Klima aus Archi- einer Studie von Raphael Longoni zu den Hochwassern der ven der Natur und der Gesellschaft raum-zeitlich zu dokumen- Saane in Fribourg zwischen 1387 und 1570 aufgezeigt.14 tieren. Erstmals erlaubt es Euro-Climhist, verschiedene Daten- Durch die Einbindung archäologischer Befunde konnte er typen wie Klimazeiger (z. B. Baumringe oder Weinlesedaten) seine Chronologie der Hochwasserereignisse besser belegen unmittelbar mit zeitgleichen Witterungsbeschreibungen zu und umgekehrt archäologische Befunde deuten. So verweist er vergleichen oder bei vorinstrumentellen Überschwemmungen etwa auf das Haus an der heutigen Rue de la Neuveville 46, die klimatische Disposition und die auslösende Wetterlage das als einer der frühesten Bauten der unteren Neustadt in abzuschätzen. Alle Kalenderdaten sind auf den heute verwen- der 2. H. des 13. Jh. errichtet wurde; aus dieser Bauphase ist deten Gregorianischen Kalender umgerechnet. Zur Qualitäts- indessen nur noch der Keller erhalten. Das Gebäude wurde kontrolle wird grafisch zwischen zeitgenössischen, erstklas- gemäss dendrochronologischen Untersuchungen zusammen sigen, und nicht zeitgenössischen, zweitklassigen, Angaben mit den Nachbarhäusern Nr. 44 und 48 von 1387 bis 1389 zu unterschieden. grossen Teilen abgerissen, neu gebaut und Richtung Saane Der Name Euro-Climhist ist zugleich Überlieferung und Pro- vergrössert, wie eine archäologische Bauanalyse ergeben hat.15 gramm. Eine erste Datenbank namens Euro-Climhist wurde Dieser Befund deckt sich wiederum bestens mit dem durch 1992–1994 im Rahmen eines Projekts der European Science mehrere schriftliche Quellen dokumentierten Extremhoch- Foundation zur Untersuchung der europäischen Witterung im wasser von 1387, das offenbar der unmittelbare Auslöser für Zeitfenster 1675–1715 aufgebaut,18 in dem sich kalte Extreme die baulichen Veränderungen war. als Folge einer schwächeren Sonnenaktivität häuften. Weil die Finanzierung ungenügend war, musste sich das Projekt in den folgenden 15 Jahren weitgehend auf die Schweiz konzentrie- Die klimahistorische Datenbank ren, d. h. auf das Lebenswerk des Berner Klimahistorikers Euro-Climhist Christian Pfister.19 Seit 2010 wird Euro-Climhist im Auftrag des Bundesrates Die einschlägigen institutionellen Datenbanken zu Klimaver- durch das Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie läufen und extremen Naturereignissen in der Schweiz sind the- MeteoSchweiz im Rahmen des globalen Klima-Beobach- matisch zersplittert und reichen zeitlich unterschiedlich weit tungssystems GCOS20 langfristig mitfinanziert. Die heutige zurück. Ab 1864 wurden tägliche Wetterdaten von Meteo- Internetversion in Form von regionalen Modulen wurde ab Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. 481 Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
EURO CLIMHIST NACH ORTEN EURO CLIMHIST NACH KATEGORIEN Eis-, Schnee-Erscheinungen 1% Indizes 3% Wirtschafts- und Gewässer, Berge, soziopolitische Daten Phänologische Täler, Gletscher, 1% Regionen Westschweiz Beobachtungen Wallis (VS), Tessin (TI), Pässe, Wälder 12% GE,VD,NE, JU,FR 2% Graubünden (GR) 5% 13% 2% Messreihen und serielle Witterungsdaten Schäden und 15% Bern (BE), Luzern (LU) Naturgefahren 20% 2% Deskriptive Daten Nordostschweiz: 45% ZH, SH, SG, TG, AI, AR 29% Europäische Wetterlagen Nordwestschweiz: 31% AG, BS, BL, SO Zentralschweiz: 17% UR, SZ, OW, NW, ZG, GL 2% Abb. 2. Verteilung der Datensätze in Euro-Climhist zur Schweiz ab 1501 nach ihrer Abb. 3. Verteilung der Datensätze in Euro-Climhist zur Schweiz ab 1501 nach Herkunft. Der hohe Anteil der Nordostschweiz hängt in erster Linie mit den für Zürich Kategorien. Deskriptive Daten (inkl. tägliche Wetterbeobachtungen) machen mit 45% schon früh vorhandenen täglichen Wetterbeobachtungen zusammen. Der geringe den Löwenanteil aus. Europäische Wetterlagen stehen mit 31 % an zweiter Stelle. Anteil der Westschweiz hingegen ist nicht zuletzt auf einen geringeren Grad an Auf- Dahinter folgen die Messreihen und seriellen Witterungsdaten (15 %), die Tempera- arbeitung der historischen Dokumentendaten zurückzuführen. Nach http://www.euro tur- und Niederschlagsindizes (3 %), pflanzen- und tierphänologische Daten (2 %), climhist.unibe.ch/de/ (04.11.2018). Witterungsschäden und Naturgefahren (2 %), Eis- und Schnee-Erscheinungen (1 %) sowie Wirtschaftsdaten (z. B. Grösse der Getreidesorten, Wein- und Obsternten, Ge- treidepreise etc.) mit 1%. Nach http://www.euroclimhist.unibe.ch/de/ (04.11.2018). 2011 aufgebaut. 2015 ging als erstes das Modul Schweiz die für die Zeit ab 1684 weitgehend lückenlos sind (Abb. 3). online (Abb. 2), das auf Deutsch, Französisch, Italienisch Für gesellschaftsgeschichtliche einschliesslich archäologische und Englisch angeboten wird. Es diente als Pilotprojekt zur Analysen massgeblich sind insbesondere die Informationen Erarbeitung einer problemadäquaten Methodik in Wechsel- über Klima- und Witterungsschäden und ihre Auswirkungen wirkung mit einer benutzerfreundlichen Software. Der Zu- auf Mensch, Vieh und Infrastruktur sowie Hinweise auf den gang ist öffentlich und kostenlos. Detailergebnisse sind An- Umgang der Betroffenen mit Extremereignissen. «Wirtschafts- gehörigen von Wissenschaft, Schulen und Medien sowie daten» umfassen zurzeit Angaben zur Grösse der landwirt- internen und externen Mitarbeitenden vorbehalten. Weitere schaftlichen Produktion sowie Nahrungsmittelpreise, die regionale Module entstehen derzeit unter Leitung regionaler soziopolitischen Daten beschreiben adaptive Massnahmen Arbeitsgruppen. zur Krisenbekämpfung. «Proxy-Daten», also Verweise auf bio- In Arbeit ist das Modul Mittelalter unter Leitung von Chris- physische Temperaturzeiger in der naturnahen Umwelt, z. B. tian Rohr und Chantal Camenisch, Universität Bern. Es um- die Entwicklungsstadien von Pflanzen (biologische Tempera- fasst europaweit Daten aus der Zeit vor 1501. Regionale turanzeiger) oder die Dauer der Schneebedeckung sowie die Module machen in dieser Periode wenig Sinn, weil zum einen Vereisung von Flüssen und Seen (physikalische Temperatur- die Dokumentation zu wenig dicht ist und sich zum anderen anzeiger), liegen sowohl in Form phänologischer Beobachtun- historische Territorialeinheiten nur in den wenigsten Fällen gen durch den Menschen vor, etwa durch den schon erwähn- mit modernen decken. Zudem ist ein gesamteuropäisches ten Berner «Wetterpfarrer» Johann Jakob Sprüngli, als auch Übersichtsmodul ab 1501 mit saisonalen und ab dem späten über ausgewähnte «Archive der Natur», z. B. Baumringe. 17. Jh. auch monatlichen Wetterkarten für Europa in Vorbe- Über die Vergabe von Indizes zur Temperatur und zum reitung, das von Jürg Luterbacher (Universität Giessen) ge- Niederschlag werden vorinstrumentelle Dokumentendaten leitet wird. Tägliche, standardisierte Wetterkarten für Europa auf einer Skala von −3 (extrem kalt) bis +3 (extrem heiss) ab 1763 sind seit Sommer 2018 aufbauend auf den Daten bzw. −3 (extrem trocken) bis +3 (extrem feucht) klassifiziert.22 von Mikhaël Schwander21 ebenfalls über Euro-Climhist ab- Dies erlaubt es, die höchst unterschiedlichen schriftlichen rufbar. Im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Uni- Zeugnisse einigermassen vergleichbar zu machen. versität Tallinn sollen Ende 2018 und 2019 umfangreiche Räumlich werden die Daten einerseits nach der administrati- Datenbestände zum (östlichen) Ostseeraum in die Datenbank ven Gliederung (Kantone, Gemeinden, Ortschaften), anderer- einfliessen. seits nach geografischen Raumeinheiten (Flüsse, Bäche, Seen, Die derzeit rund 177 000 Datensätze (Stand August 2018) für Gletscher, Täler, Berggipfel, Pässe, Wälder, etc.) verortet und die Schweiz ab 1501 umfassen in erster Linie Dokumenten- kartografisch dargestellt. Daneben können historische und be- daten und frühe instrumentelle Daten. Die zahlenmässig gröss- stehende Regionen, in Grenznähe auch Länder übergreifend te Gruppe bilden dabei die täglichen Wetterbeobachtungen, (wie z. B. die Regio Basiliensis), definiert werden. 482 Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
Abfragen sind entweder nach Themen oder nach derzeit b) Hagel- und Gewitterschäden in weiten über 60 Zeitreihen allein für die Schweiz möglich. Letztere umfassen jeweils gleichartige Elemente, beispielsweise Teilen der Innerschweiz, 30. Juni 1597 monatliche Witterungsberichte (ab 1762 und vorläufig bis 1889), die örtliche Anzahl der Tage mit Niederschlag, den Eine Reihe von Bergen am Nordrand der Schweizer Alpen Zeitpunkt der Getreideernte im Mittelland, die Über- ist massgeblich dafür verantwortlich, dass sich in deren schwemmungen des Lago Maggiore, die homogenisierten Umgebung häufig schwere Gewitter bilden. Dies gilt für den Getreidepreise in Zürich seit 1540,23 aber auch phänologi- Moléson im Kanton Fribourg ebenso wie für die Gantrisch- sche Werte wie die Auftaudaten des St. Moritzersees.24 region im Kanton Bern, den Pilatus bei Luzern oder den Säntis (SG, AR, AI). In Luzern beobachtete um 1600 der gelehrte Chronist Renward Cysat solche Witterungserschei- Beispiele für historische Doku- nungen besonders genau und dokumentierte sie in seinen mentendaten mit Relevanz für die «Collectanea».26 Er muss dafür zu seinen eigenen Beobach- tungen auch viele weitere Augenzeugenberichte aus anderen archäologische Forschung Orten zusammengetragen haben. Die Schadensregion reichte von Fribourg und Bern über die gesamte Vierwald- Im Folgenden sollen einige Beispiele darüber Auskunft geben, stätterseeregion bis Zug: wie historische Dokumentendaten strukturiert sind, die je nach Erkenntnisinteresse für archäologische Forschungen «[…] 30 tag deß vßgenden monats July; da jst abends vmb von Bedeutung sein könnten. Bis auf das letzte Beispiel beru- 6 vren ein grusam, erschrockenlich wetter gachling ange- hen alle auf Abfragen über Euro-Climhist. brochen von sturmwind, rägen vnd bösem, schwärem hagel; hatt zuo Vnderwalden vnd an andern orten am seew vmbher angfangen […] vnd schnell wider gewendt gegen a) Hochwasserschäden in der Schweiz, 1566 der Rüß gan Emmen, Diericken, Rot, Ebicken vnd dem- selben strich nach wytter vffwertz; hatt […] die ziegeltächer Das Jahr 1566 ging als ein besonders hochwasserreiches in an kilchen, hüsern vnd schüwren v̈bel zerschlagen. An ett- die Klimageschichte der Schweiz ein. Über die gesamten zwölf lichen orten sind stein gfallen wie fünst, item wie hennen- Monate verteilt und in fast allen Teilen der Schweiz sind eyer, die mindern wie böumnüß; hatt die bäch vnd wilden Überschwemmungsschäden dokumentiert, wie die Ergebnis- wasser grusam angetriben, dz sy großen, mercklichen scha- liste der Abfrage in Euro-Climhist zeigt (Tab. 1; Abb. 4). den gethan, besonder vnser Krientzbach, wiewol er verschi- Die Quellen sind zu einem überwiegenden Teil zeitgenös- nens 24 July noch vil grössern schaden gethan. [Fol.212v] sisch und bauen zum Teil auf eigener Anschauung auf. Sie Diser vorberüerter hagel hatt sich gar seltzam vmbher vnd können somit Hinweise auch auf Gebäudeschäden geben, hin vnd wider geträyt an mancherley ort nach dem dann die gegebenenfalls noch heute in der Bausubstanz nachweis- die windstoß gsin; […] Jst ouch wytter dem Sibenthal naher bar sind, etwa in Form von Ausbesserungen aus der Zeit für Bern vffher kommen gan Fryburg, da hatt es grusam unmittelbar nach 1566. So schreibt der Zürcher Humanist geschädiget nit allein was noch vff dem feld gsin vnd die und Nachfolger Zwinglis, Heinrich Bullinger (1504–1575), obsfrücht an böümen, ja die boüm selbst gar v̈bel, sonder in seinem Diarium: ouch an hüsern, tächern vnd fenstern jn der statt, allso dz der schad was Fryburg gelitten vff ein tonen golds geschetzt «Das gieng nach mer uff umb Johannis Baptistä [24. Juni]; worden. […] vnd hat sich eins solchen grusamen wetters dann ouch von anfang Iunii vil rägens was. gieng in der niemant, wie allt er joch gwesen, verdencken mögen. Jst nacht die Syl an. So wuchs der see vil höcher, denn man in ouch geacht worden, das jn vil 100 jaren derglychen nitt ie gesähen hat. Man fur mit einem nawen von des herren gsin.»27 Haben huß für den Hecht, Rapen, Sternen, under der schif- flüten stuben für das kouffhuß und Wettingerhuß, under Es würde für das Euro-Climhist-Projekt deutlich zu weit füh- der zimberlüten stuben bis uff den platz vor dem Rüden. ren, diese Quellen von sich aus mit archäologischen Befunden Das kornhuß stund im wasser, und was bi dem Weggen abzugleichen, zumal viele stadtarchäologische Detailbefunde und zum Schwert gestäget. Das wasser luff für den Kämbel gar nicht öffentlich zugänglich sind. Allerdings sind derartige uff halben Münsterplatz hinab, gieng an das werchhuß, Informationen aus Chroniken der Archäologie ein Argument luff in krüzgang zum Frowen münster, und an der oberen für das Bilden einer Datierungshypothese, etwa in dem Sin- bruggen gägen Frowen münster mocht man es von der ne, dass Umbauten bei Häusern, z. B. die Errichtung eines bruggen erlangen.»25 neuen Dachstuhls und die Einführung einer neuen Form der Dachbedeckung, mit den hier geschilderten Schäden in Ver- bindung gebracht werden, sofern nicht andere Indizien ge- gen eine solche Kausalkette sprechen. Ähnliches gilt für die historisch dokumentierten Stadt- und Dorfbrände, die eben- falls oft die Auslöser für Veränderungen an der Dachsub- stanz waren. Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. 483 Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
Abb. 4. Überschwemmungsschäden von 1566 gemäss Abfrage in Euro-Climhist. Datum Beschreibung, Ort, Höhe m ü. M. Quelle 1566, Ganzes Jahr Überschwemmungsschäden / Locarno TI (198 m), Centovalli, Maggiatal Franscini, Tessin 1566, Januar 1–10 Hagel, Überschwemmungsschäden / Basel (278 m) Wurstisen, Chronik 1566, Frühling Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Scheuchzer, Meteorologica 1566, Frühling Überschwemmungsschäden: Ernte / Selzach SO (445 m) Kocher, Selzach 1566, April 21–30 Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Haller, Kalender 1566, April 21–30 Überschwemmungsschäden / Basel (278 m) Wurstisen, Chronik 1566, April 24 Überschwemmungsschäden: Wasser auf Höhe der Brücke(n) / Bremgarten AG (386 m), Aare, Reuss, Rhein Merz, Schodoler 1566, Mai Hochwasser, Überschwemmungsschäden: Brücken, Strassen, Wohnhäuser zerstört / Basel (278 m), Rhein Gross, Chronik_Basel 1566, Mai Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Haller, Kalender 1566, Mai 21–31 Überschwemmungsschäden / Flims GR (1081 m) Salis-Seewis, Capaul 1566, Juni Überschwemmungsschäden / Biel BE (434 m) Rechberger, Chronik 1566, Juni ergiebiger Niederschlag, Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Bullinger, Diarium 1566, Juni Hochwasser, Überschwemmungsschäden / Basel (278 m), Rhein Gross, Chronik_Basel 1566, Juni ergiebiger Niederschlag, Hochwasser, Überschwemmungsschäden: Brücken, Siedlungen zerstört / Cysat, Collectanea Luzern (436 m), Vierwaldstättersee (434 m), Reuss 1566, Sommer Überschwemmungsschäden / Basadingen TG (413 m) Bauernchronik, Basadingen 1566, Juni Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Haller, Kalender 1566, Juni Überschwemmungsschäden, grosse Schneemassen / Kt. Uri Schaller-Donauer, Chronik 1566, Sommer Überschwemmungsschäden / Kt. Uri Schaller-Donauer, Chronik 1566, Juni Überschwemmungsschäden / Basel (278 m) Wurstisen, Chronik 1566, Juni 21–30 Überschwemmungsschäden / Juranordfuss Scheuchzer, Meteorologica 1566, Juni 21–30 Überschwemmungsschäden / Freiburg (629 m), Saane Rudella, chronique 1566, Juni 29–30 Überschwemmungsschäden: Kulturen / Basel (278 m), Rhein Gross, Chronik_Basel 1566, Juni 29 Überschwemmungsschäden: Brücken zerstört / Aarberg BE (455 m), Bern (540 m), Aare Haller, Chronik 1566, Juli ergiebiger Niederschlag, Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Bullinger, Diarium 1566, Juli Überschwemmungsschäden: Siedlungen / Mittelland (Westliches Zentrales) Haller, Kalender 1566, Juli Überschwemmungsschäden / Zürich (408 m) Haller, Kalender 1566, Juli 1–10 Überschwemmungsschäden / Basel (278 m) Wurstisen, Chronik 1566, Juli 5 Überschwemmungsschäden / Luzern (436 m) Cysat, Collectanea 1566, Juli 23 Überschwemmungsschäden / Basel (278 m) Gross, Chronik_Basel 1566, August 24–30 Überschwemmungsschäden / Glenner, Vorderrhein Röthlisberger, Unwetterschäden 1566, Herbst Überschwemmungsschäden / Kt. Schaffhausen Waldkirch, Begebenheiten 1566, September Überschwemmungsschäden: katastrophal / Langensee (193 m) Gugger, Lago_Maggiore Tab. 1. Ergebnisse der Abfrage in Euro-Climhist: Überschwemmungsschäden 01.01.–31.12.1566, gesamte Schweiz. Unzeitgenössische Quellen sind kursiv gesetzt. 484 Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
Abb. 5. Richard La Nicca, Project für den Wiederaufbau der zum Theil zerstörten Aarbrücke bey Aarau, 24.06.1844. Aarau, Stadtarchiv, PAST0555. c) Jahrhundertsturm «Gerd», 29. Januar 1645 d) Gebäude- und Brückenschäden durch Hochwasser in Aarau, 1830er Jahre Der Wintersturm ist in insgesamt sechs voneinander unab- hängigen Quellen in Euro-Climhist dokumentiert, die von Historisch-hydrologische Detailstudien haben das Potenzial, Genf über Solothurn und Zürich bis nach St. Gallen reichen. die Quellenlage besonders tief zu sondieren und dabei die Sie sind nur zum Teil zeitgenössisch, lassen aber sowohl die Aussagen aus seriellen institutionellen Quellen wie Rech- Art der Sturmschäden als auch die Ausdehnung der betrof- nungsbüchern mit Plänen und Flussprofilen sowie archäolo- fenen Region erahnen. Erneut gilt das zum vorherigen Bei- gischen Befunden zu verbinden. Oben haben wir die Studie spiel Gesagte, dass derartige Quellen für eine Abgleichung von Raphael Longoni zu Fribourg erwähnt. Ein ähnliches mit baugeschichtlichen Befunden geeignet sind. So schreibt Vorgehen hat Mauro Bolzern zur Aare im Raum Aarau ge- etwa der zeitgenössische Chronist Franz Haffner zu den wählt.29 Die Situation nach den Zerstörungen an der Aarauer Schäden in Solothurn: Aarebrücke durch eine Serie von Hochwassern (1830/ 1835/ 1836) gibt nicht nur der «Situations Plan über die Strasse und «Entstuhnde urplötzlich allhie zu Solothurn und anderstwo deren Angrenzungen von der Aarbrüke bis zum sog. Hunger- ein solch ungewohnlicher Sturmwind/ dass er vil hundert berggässlein [Nr. 20]» von Johann Georg Andres (27.06.1837) Bäum auss der Erden gerissen/ und auff den Tächern vil wieder,30 sondern auch Richard La Niccas «Project für den tausent Ziegel abgeworffen.»28 Wiederaufbau der zum Theil zerstörten Aarbrücke bey Aarau» (Abb. 5). Die genaue Konstruktionszeichnung der hölzernen Aarebrücke ermöglicht es, noch heute vorhandene Reste dieser Brücke genau zuzuordnen und so zudem das damalige und das heutige Flussprofil miteinander zu vergleichen. Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. 485 Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
Zusammenfassung und Ausblick die durch die chemische Zusammensetzung bedingte Frucht- barkeit des Bodens. Gerade in diesem Zusammenhang gibt Das grosse Potenzial interdisziplinärer Kooperation zwischen es archäologische Forschungsresultate, die für die Klimafol- Umwelt- und Klimageschichte und den archäologischen genforschung und für die Wirtschafts- und Agrargeschichte Wissenschaften haben wir hier zwar nur angedeutet, doch gleichermassen von fundamentaler Bedeutung sein können. wird es in Zukunft noch in grösserem Ausmass dabei helfen Die Bodenfruchtbarkeit wird durch Erosion beeinflusst, der können, Datierungshypothesen zu baulichen Veränderungen, langfristige und kaum merkliche Prozesse zugrunde liegen, Neubauten und Verlegungen zu formulieren oder zu unter- nicht minder aber durch Extremereignisse.31 Die historische mauern. Dies gilt für Wohnbauten und Wirtschaftsgebäude Klimatologie vermag möglicherweise mit der Datierung der ebenso wie für Bauten zur Umgestaltung des natürlichen letzteren durch historische Quellen ihrerseits einen Beitrag Lebensumfelds (Flussbegradigungen, Schutzbauten, etc.). an die Erforschung der Böden zu leisten. Über die klimahistorische Datenbank Euro-Climhist, die seit 2015 frei zugänglich ist, sind historische Dokumentendaten Christian Rohr, Chantal Camenisch sowie frühe Messdaten für die Schweiz und darüber hinaus Historisches Institut und Oeschger Center greifbar. Einzuschränken ist, dass vermutete Auswirkungen for Climate Change Research von (langfristigem) Klimawandel, etwa auf den Hausbau, Universität Bern kaum aus Dokumentendaten ablesbar sind. Das Potenzial ist Länggassstrasse 49 eher hinsichtlich der Zerstörungen durch und die Anpassung 3012 Bern an extreme Naturereignisse gegeben. christian.rohr@hist.unibe.ch Aus Platzgründen nur angedeutet sei, dass nicht nur das ORCID 0000-0003-0283-6584 Klima einem stetigen Wandel unterworfen ist, sondern auch chantal.camenisch@hist.unibe.ch Anmerkungen 1 zuletzt etwa Izdebski et al. 2016; Sadori et al. 2016. 16 Hilker et al. 2009. 2 Rohr et al. 2018; Camenisch 2018; Pfister et al. 2018; Camenisch/ Rohr 17 http:/ / www.euroclimhist.unibe.ch/ de/ (28.04.2018); zu den Inhalten 2018. und Potenzialen der Datenbank: ausführliche Einführungstexte auf der 3 Brázdil et al. 2005; Diaz et al. 2011. Homepage (verfügbar in Deutsch, Französisch, Italienisch und Eng- 4 zum Jahr 1540 im europäischen Vergleich umfassend Wetter et al. 2015. lisch) sowie Pfister et al. 2017. 5 Pfister et al. 2018; Rohr et al. 2018; Camenisch et al. 2016; Wei-Hock 18 Pfister et al. 1994. Soon/ Yaskell 2003; Luterbacher et al. 2001. 19 Den Kern bilden dazu die Forschungen zur Habilitationsschrift Pfister 6 dazu im Detail Krämer 2015. 1984 sowie Pfister 1999. 7 Blüthgen/ Weischet 1980, 5. 20 http:/ / www.meteoschweiz.admin.ch/ home/ forschung-und-zusam- 8 zum Lawinenwinter von 1817 etwa Rohr 2014; für die Situation im menarbeit/ internationale-zusammenarbeit/ gcos.html (28.04.2018). angrenzenden Vorarlberg Kasper 2010. 21 Schwander et al. 2017. 9 Rohr et al 2018; Camenisch 2015. 22 Pfister 1999, 46. 10 Pfister 1984, 38f.; Burri/ Zenhäusern 2009. 23 aufbauend auf Studer 2015. 11 Hürlimann 2006; Gisler 2009. 24 aufbauend auf Livingstone 2000. 12 Wetter et al. 2011 zu Basel; allgemeiner für den Alpenraum Rohr 2007, 25 Bullinger 1904, 85. 89–91. 26 Zur Bedeutung Renward Cysats für die Klimageschichte der Schweiz 13 z. B. Schoeneich et al. 2002 zur Optimierung der Lage von Bergbau- vgl. Hille 2001; Pfister 2013. ernhäusern in der Vallée des Ormonts unweit von Les Diablerets: Die 27 Cysat 1969, 938f. (Euro-Climhist, occ-pf-2332-v08). Häuser wurden aus den Lawinenzügen auf die Abschnitte im Hang ver- 28 Haffner 1666, 303. legt, die weitgehend lawinensicher waren. 29 Bolzern 2019. 14 Longoni 2018. 30 Aarau, Stadtarchiv, PAST0720. Abbildung bei Bolzern 2019. 15 Longoni 2018, 42 in Abgleichung mit Orcel et al. 2005, 2 (AfA FR FNE- 31 Bork et al. 1998, bes. 26.241–243.251. NE46 2004, Dokumentation); Bourgarel/ Kündig 2005, 2f.; Kündig 2006, 3f. (AfA FR FNE-NE46 2004, Dokumentation). 486 Ch. Rohr/Ch. Camenisch, Klima und extreme Naturereignisse in der Schweiz, 1350–1850. Nutzen und Potenziale historischer und naturwissenschaftlicher Klimaforschung für die Archäologie
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