Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen

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Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Klimawandel und Gesundheit
Extremwetterereignisse und die
Auswirkungen auf die mentale Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychosomatik
7.10.2021 | Dr. med. Inga Wermuth

Dr. phil. Julia Schoierer
PD Dr. med. Stephan Böse-O´Reilly
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Klimawandel
   und Extremwettereignisse

www.climatevisuals.org        2
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Globale Temperaturentwicklung
1850-2020

                                www.klimafakten.de
                                                     3
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Temperaturentwicklungen in Berlin

Expertennetzwerk aus: Deutsches Klima-Konsortium, Deutsche Meteorologische Gesellschaft, Deutscher Wetterdienst,
                 Extremwetterkongress Hamburg, Helmholtz-Klima-Initiative, klimafakten.de, 2021
                                                                                                                   4
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
„Climate change is the greatest threat to global health
                in the 21st century”        Das Bildelement mit der
                                            Beziehungs-ID rId3 wurde in der
                                                          Datei nicht gefunden.

„Jegliche Zunahme der globalen Erwärmung wird sich
  laut Projektionen auf die menschliche Gesundheit
    auswirken, mit überwiegend negativen Folgen”
                                (IPCC 2018)
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Report 2019 Lancet Countdown

„Ein heute geborenes Kind wird eine Welt erleben, die mehr als
vier Grad wärmer ist als der vorindustrielle Durchschnitt, der
Klimawandel wirkt sich auf die menschliche Gesundheit aus von der
Kindheit und Jugend bis zum Erwachsenenalter und Alter“

        2020   2027 2034   2045   2060   2080   2095   2100
    15.10.21
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Watts et al. 2015;
                                                                                                               siehe auch Watts et al. 2018

              Direkte Effekte   Indirekte Effekte   Soziale Faktoren                 Gesundheitliche Folgen

                                                       Alter &
                                    Wasser-           Geschlecht         Allergien      Verletzungen/Unfälle         Unterernährung
                  Stürme
                                    qualität
                                                                         Atemwegserkrankungen          Herzkreislauferkrankungen
                                                     Gesundheits-
                                                        status
                                                                       Infektionskrankheiten   Mentale Gesundheit         Vergiftungen
                                      Luft-
Klimawandel

                  Dürren                              Sozioöko-
                                 verschmutzung        nomischer
                                                        Status

                                                       Soziales
               Überschwem-         Änderung            Kapital
                  mung            Landnutzung
                                                     Gesundheits-
                                                     infrastruktur

                Hitzewellen       Ökologischer
                                    Wandel            Mobilität &
                                                     Konfliktstatus

                                                                                                                                       7
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Was ist ein Extremwetterereignis?
   (Extremwettereignis = EWE)
                                   § Im deutschen Sprachraum keine einheitliche
                                     Definition für „Extremwetter“
                                   § Meterologisch: selten vorkommendes Ereignis, das
                                     stark von einer Referenzperiode (meist 1961-1990),
                                     dem statistischen langjährigen Durchschnittwert,
                                     abweicht und nur alle 10 Jahre wiederkehrt
                                   § Die Kategorisierung als „extrem“ ist an den
                                     gesellschaftlichen und geografischen Kontext
                                     gebunden, in dem sich das Ereignis zuträgt
                                   § EWE können Hitze, Starkwind, Stürmen, Lawinen,
                                     Starkniederschlag mit Sturzfluten und
                                     Überschwemmungen
                                   Seneviratne SI et al (2012): Managing the risks of extreme events
                                   and disasters to advance climate change adpation: changes in
                                   climate extremes and theri impacts on the natur physical
                                   environment
                                   Garcia DM et al (2016): Extreme weather-driven disasters and
                                   children‘s health
www.climatevisuals.org
                                                                                                       8
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Zunahme von Naturkatastrophen
 Medieneffekt?

https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7072869   10
Klimawandel und Gesundheit Extremwetterereignisse und die Auswirkungen auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen
Warum gibt es mehr Extremwetter?
Extremwetterereignisse global
Zunahmen von Naturkatastrophen in Deutschland
Zunahme von Niederschlägen
Prognose für Deutschland 1961-1990 versus 2021-2050

Alle Trends und Vorhersagen sind
regional spezifisch & stark unterschiedlich

  §    Starkniederschlag im Winter
       und Übergangsjahreszeiten

  §    Starkniederschlag
       in Süddeutschland auch
       im Sommer
                                              Änderungspotential     der      Tage   mit
  §    Westen und Süden:                      Starkniederschlag (Niederschlagsmenge ≥ 20
                                              mm) 2021 - 2050 im Vergleich zu 1961 -
       Gefahr von Hochwassern                 1990 bei starkem Wandel

                                              Quelle: Buth, M., et al. 2015
Überschwemmungen
Rheinland-Pfalz / Nordrhein-Westfalen - 2021

https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/koblenz/traumatisierte-kinder-hochwasser-100.html
                                                                                                  16
Titel | Abteilung/Institut | Datum   18
Psychotraumatologie
              Exkurs

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Posttraumatische Belastungsstörung
    Traumafolgestörungen gemäß ICD-11 und DSM-5

    à Änderungen in der ICD-11:
     Wegfall der Akuten Belastungsstörung in der ICD-11 (nur noch Z-Code);
     Neu: Komplexe PTBS und Anhaltende Trauerstörung
    à Hohe Rate an Komorbiditäten, insbesondere auch affektive Störungen
Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters (ISBN 9783840928796). © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen
                                                                                                           20
Posttraumatische Belastungsstörung
    Diagnostische Kriterien nach ICD-11
                                                                                                       à In der ICD-11 keine spezifischen
                                                                                                        Anpassungen der PTBS-Kriterien für das
                                                                                                        Kindesalter, aber in der Einleitung
                                                                                                        Hinweise auf altersspezifische
                                                                                                        Ausprägungen von Symptomen
                                                                                                        (bei jüngeren Kindern traumatisches
                                                                                                        Spiel, repetitive traumabezogene
                                                                                                        Zeichnungen, Alpträume ohne klaren
                                                                                                        Inhalt, erhöhte Impulsivität, Wutanfälle,
                                                                                                        Trennungsängste, exzessives Weinen und
                                                                                                        Entwicklungsrückschritte)
                                                                                                       àDSM-5 mit der expliziten Einführung
                                                                                                        eines PTBS-Subtyps für Kinder unter dem
                                                                                                        Alter von 6 Jahren fortschrittlicher,
                                                                                                        konzeptualisiert die bei Kindern
                                                                                                        auftretenden Besonderheiten besser

Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters (ISBN 9783840928796). © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen
                                                                                                                                                    21
Posttraumatische Belastungsstörung
    Prävalenzraten PTBS nach verschiedenen Traumatisierungen
                                                                                                       à andere Störungen nach traumatischen
                                                                                                        Erfahrungen (z. B. Depression,
                                                                                                        Angststörungen, Störung des
                                                                                                        Sozialverhaltens, u. a.) werden in vielen
                                                                                                        Studien nicht untersucht
                                                                                                       à

Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters (ISBN 9783840928796). © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen                                            22
Psychotraumatologie
Risikofaktoren für die Entwicklung einer PTBS
bei Kindern und Jugendlichen

Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters, basierend auf einer Meta-Analyse von Trickey et al 2012   23
Auswirkungen von Extremwetterereignissen
             auf die psychische Gesundheit von Kindern

www.climatevisuals.org
                                                         24
Physische Gesundheitsauswirkungen von EWE

  § Geringes unmittelbares Mortalitäts- und Verletzungsrisiko in Ländern mit hohem Einkommen
  § Potentielle akute physische Gesundheitsauswirkungen
     § Ertrinken, erschlagen werden (Bsp. Baum)
     § Verletzungen durch schwimmende oder herumfliegende Trümmerteile, Feuer und Stromschläge
  § Vergiftungen und Infektionen durch Wasserknappheit und Kontaminationen

Fernandez A, lack J, Jones M et al. (2015). Flooding and mental health: a systematic mapping review. PLOS One, 10 (4), e:0119929
                                                                                                                                   25
Psychische Symptome/Erkrankungen nach EWE
 Allgemeine ätiologische Überlegungen
§ Neben Verletzungen und Todesfällen kommt es          § Auswirkung von Alter und Entwicklungsstand
  zudem zu einer oft weitreichenden Zerstörung           entscheidend für die Wahrnehmung und inneren
  der Lebensgrundlagen, was die                          Ressourcen von Kindern und Jugendlichen à
  Bewältigungsbemühungen von Überlebenden                unterschiedliche Risiken für die Entwicklung
  zusätzlich massiv erschwert [La Greca & Prinstein,     psychischer Erkrankungen bei Kindern und
  2002].                                                 Jugendlichen [Fernandez 2015; Bonnano 2010;
                                                         Lai 2018; Convery 2010]
§ Es wird bisher davon ausgegangen, dass Kinder
  ein erhöhtes Risiko für eine PTBS aufweisen, da      § Auch wenn sich zunächst noch ähnliche
  ihnen weniger Bewältigungsstrategien zur               Beeinträchtigungen wie z.B. eine gestörte
  Verfügung stehen [Garcia 2016];                        Emotionsregulation oder ein reduziertes
  zudem erhöhte Belastung durch                          Selbstwirksamkeitserleben entwickeln, können
                                                         davon ausgehend je nach Entwicklungsstand
 § Kommunikationsschwierigkeiten von Bedürfnissen
                                                         variable und häufig typische alterskorrelierte
   / eingeschränkte Verständigung bezüglich des
                                                         psychopathologische Symptome und
   Traumas
                                                         Erkrankungsbilder entstehen [Schmid 2013]
 § limitiertes Verständnis der Umwelt / Umgebung
                                                       § Die Wahrscheinlichkeit, psychische Erkrankungen
 § Limitierte Möglichkeiten der Partizipation in der     zu entwickeln, korreliert positiv mit dem Grad der
   Gemeinschaft                                          Exposition während des EWE [Garcia 2016; Lai
                                                         2017]
                                                                                                              26
Psychische Symptome/Erkrankungen nach EWE
 Bemerkungen zur Studienlage
§ Studienplanung erschwert                             § Großteil der Literatur befasst sich mit
                                                         Naturkatastrophen in anderen Ländern,
§ Varianz der Prävalenzraten für PTBS und
                                                         eingeschränkte Übertragbarkeit auf den hiesigen
  Depression zwischen den Studien sehr hoch
                                                         geografischen und kulturellen Raum ist
  (beispielsweise Wang et al.: PTBS-Raten zwischen 1
                                                         anzunehmen (insbesondere Unterschiede in den
  und 60 % und Depressionsraten zwischen 1 und
                                                         sozialen Strukturen, Versicherungssystemen und
  33 %)
                                                         Architektur der Gebäude)
§ Nahezu ausschließlich retrospektive Erfassung,
                                                       § Erfassung von subklinischen Phänomenen,
  ohne dass vergleichbare großflächige Basisdaten
                                                         Symptomen und Erkrankungen
  bezüglich des mentalen Gesundheitsstatus von
  Kindern und Jugendlichen vor dem EWE vorlägen         § PTSS = Posttraumatische Stresssymptome =
  [Milojjevic 2017]                                       adaptive Reaktion auf ein traumatisches oder ein
                                                          Stress hervorrufendes Ereignis
§ Heterogenität in den Studienbedingungen und
  Studiendesigns, vor allem bezüglich                   § PTBS = Posttraumatische Belastungsstörung =
  Zielpopulation, Evaluationsinstrumenten,                klinisch diagnostizierte psychische Störung, die
  Datenerhebung und Analysemethoden                       sich im Verlauf nach einem traumatischen
                                                          Ereignis manifestiert hat
§ Kaum Kontrollen auf potenzielle Confounder oder
  langjährige Nachkontrollen

                                                                                                             27
Psychische Symptome / Erkrankungen nach EWE
 Wirbelstürme
§ Klinisch bedeutsame Symptome bei 30 bis 50 % der                  § Untersuchungen nach dem Wirbelsturm Katrina
  Kinder [La Greca & Prinstein, 2002]                                 2005:
§ Klarer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der                          § Nach neun Monaten litten 35 % und nach 21
  Symptome und dem Grad der Exposition                                   Monaten noch immer 29 % der Kinder
                                                                         (Durchschnittsalter 9 Jahre) an klinisch
§ Untersuchung nach Wirbelsturm
                                                                         relevanten posttraumatischen Symptomen [La
  Ike nach 8 versus 15 Monaten
                                                                         Greca et al. 2010]
  [Lai et al 2013]
                                                                       § PTBS-Prävalenz von 50% bei Vorschulkindern (3-
 § 13 % à 7 % PTBS
                                                                         6 Jahre) [Scheeringa und Zeanah 2008]
 § 11 % à 11% Depression
                                                                         § Die Rate war bei Kindern höher, die in der Stadt
 § 10 % à 7% Komorbidität                                                  blieben (62.5 %), als bei jenen, die evakuiert
   von PTBS und Depression                                                 wurden (43.5 %).
                                                                         § Kindern mit PTBS wiesen zudem über 88 %
                                                                           mindestens eine weitere komorbide Störung auf
                                                                           (besonders häufig Trennungsangst und
                                                                           oppositionelles Verhalten)

                         https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=302898
                                                                                                                          28
Psychische Symptome / Erkrankungen nach EWE
 Flutkatastrophen und Tsunami
§ PTBS-Prävalenz von 37% nach Überschwemmung im
  Buffalo Creek Tal in den USA nach Dammbruch Jahre
  1972 (cave: retrospektive Schätzung der
  Störungsprävalenz), 17 Jahre nach dem Ereignis
  PTBS-Prävalenz von 7% [Green et al 1991 bzw. 1994]
§ In einer Untersuchung in Polen nach einer
  Überschwemmung erfüllten nach 28 Monaten 18% der
  11- bis 21-Jährigen alle Diagnosekriterien einer
  PTBS [Bokszczanin 2007]
§ PTBS-Prävalenz von 11-13% bei 7- bis 14-jährigen
  Kindern sowohl nach zwei als auch neun Monaten nach
  dem Tsunami in Südostasien 2004 [Thienkrua et al 2006)
§ Acht Jahre nach dem Tsunami litten von den damals am
  stärksten betroffenen Kindern und Jugendlichen noch
  immer fast die Hälfte unter klinisch relevanten
  Symptomen [Adeback et al 2018]                           https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5509730

§ Expositionsgrad scheint einen großen Teil der
  Unterschiede in den Prävalenzen zu erklären
                                                                                                                     29
Prävalenz psychischer Erkrankungen
 Daten zum Verlauf PTSS und PTBS
§ Verläufe (ein Jahr nach einer Naturkatastrophe)                § Prototypische Verlaufstypen nach Unfall [Le
                                                                   Brocque 2010] konnten auch bei anderen
 § 4-23% Chronischer Verlauf (persistierende hohe
                                                                   Traumagruppen gefunden werden [u.a. Lai et al
   PTSS)
                                                                   2017; Self-Brown et al 2013]
 § 45-72% Resilienz (Persistierende niedrige PTSS)
 § 16-27% Genesung (initial erhöhte PTSS, die im
   Verlauf abnehmen)
 § 0-18% verzögerter Verlauf (initial niedrige PTSS,
   die im Verlauf ansteigen)
§ Der Stress hält noch lange nach einem
  schwerwiegenden EWE an und kann auch später
  noch zur Entwicklung von posttraumatischen
  Stresssymptomen führen [Stanke 2012; Lai 2017;
  Hlodversdottir 2018]

                                            Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters (ISBN 9783840928796). © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen
                                                                                                                                                       30
Prävalenz psychischer Erkrankungen
 Weitere Symptome/Störungsbilder
§ Depressionen
§ Panikattacken
§ Angststörungen
§ Schlafstörungen
§ Lernschwierigkeiten
à Keine Angabe von Prävalenzen [Garcia 2016]

Zusätzliche Beschreibungen aus anderen
Kulturräumen (z.B. Bangladesch) bei Kindern infolge
von Überschwemmungen:
§ antisoziale und aggressive Verhaltensweisen
à Übertragbarkeit auf mitteleuropäische Verhältnisse
unter Berücksichtigung transkultureller Aspekte nicht
sicher beurteilbar

                                                        31
Risikofaktoren und Stressoren
Primäre Stressoren                                 Sekundäre Stressoren
= Faktoren, die in direkter Verbindung mit         = Faktoren, die nach dem EWE auftreten und
der Erfahrung eines EWE stehen                     als langfristige Belastung mentale
                                                   Erkrankungen auslösen können

§   Wahrgenommene eigene Lebensgefahr              §   Ökonomische Folgen: Probleme der
§   Wahrgenommene Gefahr für die                       Kompensation / Wiederaufbau
    Familienmitglieder                             §   Umsiedlung während / nach der Katastrophe /
§   Erlebnis einer Evakuierung                         Schulwechsel
§   Zerstörung oder Verlust des Wohnraums          §   Veränderte Reaktion und anderes Verhalten der
                                                       Eltern / Bezugspersonen
                                                   §   Konflikte mit Familienmitgliedern und dem
                                                       sozialen Umfeld
                                                   §   Reduzierter Zugang zu Gesundheits- und
                                                       Fördereinrichtungen
à In Ländern mit hohem Einkommen kommt es
hauptsächlich zu hohen ökonomischen Verlusten
und seltener zu Todesfällen [Garcia 2016]
à In Deutschland beispielsweise stehen als
primäre Stressoren „Evakuierung“ und „Zerstörung
des Wohnraums“ im Vordergrund

                                                                                                       32
Risikofaktoren und Stressoren
 Elterliches Verhalten und familiäre Risikofakotren
§ Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten wie
  „Klammern“, Reizbarkeit und Aggressivität stark
  vom Stresslevel der Eltern abhängig [Swenson
  1996]
§ Innerfamiliäre Spannungen und eine geringe soziale
  Unterstützung von Eltern wirken sich immens auf
  die Bewältigung eines Traumas aus und können
  diese stark behindern [Garcia 2016; Mort 2018;
  Bokszczanin 2008; Maclean 2016]
 § Beispiel: Assoziation zwischen hohem
   Konfliktlevel mit den Eltern und dem Ausmaß von
   PTSS [Bokszczanin 2008]
§ Elterliche Überfürsorglichkeit, wenn sie sich in Form
  von Infantilisierung der Kinder und exzessiver
  elterlicher Kontrolle äußert, könnte ebenso einen
  Risikofaktor darstellen [Bokszczanin 2008]
§ Armut und geringes Familieneinkommen [Garcia
  2016; Lowe 2013]
                                                          33
Risikofaktoren und Stressoren
 Umsiedelung
§ Kinder und Kleinkinder reagieren durch ihr starkes
  Abhängigkeitsverhältnis und die Prägung durch ihre
  Umwelt empfindlich auf deren Veränderungen
§ Verlust des Zuhause als Ort der Sicherheit
§ Verlagerung und Veränderung der sozialen Umwelt
§ Längere Aufenthalte in temporären Unterkünften
  oder die Verzögerung des Wiederaufbaus führen
  häufig zu Schulwechseln und längerer Trennung
  von Familienmitgliedern und Freunden [Mort 2018;
  Munro 2017]

                                                       34
Risikofaktoren und Stressoren
 Geschlecht und Alter
Kleinkinder:
§ Erlebnis einer Naturkatastrophe vor dem fünften
  Lebensjahr à ~ 15%iger Anstieg der
  Wahrscheinlichkeit für lebenslange Angstzustände,
  Stimmungsschwankungen oder
  Substanzmissbrauch [MacLean 2016; Bezug auf
  Naturkatastrophen]

Mädchen in der Adoleszenz:
§ Allgemein häufiger von Angstzuständen,
  Depressionen und PTBS betroffen, deren
  Auftretenswahrscheinlichkeit sich nach einem EWE
  noch erhöht [Garcia 2016; Bokszczanin 2007; Lai
  2017]

                                                      35
Risikofaktoren und Stressoren
 Triggereignisse
§ Triggerfakotren:
  werden von Risikofaktoren getrennt als relevant
  eingeschätzt und wirken sich auf das Wiedererleben
  des Traumas und das Stresslevel der Kinder und
  Jugendlichen aus
  Beispiel: Regen in den ersten Monaten nach einem
  EWE
§ Trigger nehmen normalerweise kontinuierlich in den
  Monaten nach dem EWE an Auslösungskraft ab
  [Convery 2010}]

                                                       36
Protektive Faktoren

§ Familienbezogene Ressourcen und soziale               § Resilienz = Fähigkeit zur erfolgreichen Anpassung
  Unterstützung [Lai 2018; Bokszczanin 2008]              und Bewältigung von schweren Lebenssituationen
                                                          oder Traumata mit Hilfe von persönlichen und
§ Jugendliche scheinen ein geringeres Risiko für eine
                                                          sozialen Ressourcen
  PTBS zu haben als Kinder, dabei ist jedoch nur bei
  der Gruppe der älteren Jungen kein Anstieg der        § Allgemein hohe Resilienz bei Flutopfern
  PTBS-Symptome zu beobachten [Lai 20018;
                                                        § Kollektive Resilienz ist von besonderer Bedeutung
  Bokszczanin 2008]
                                                          und entsteht durch:
§ Vermutung: Jugendliche besitzen bereits vermehrt
                                                         § Reduktion von Risiko- und
  Bewältigungsstrategien und können sich stärker in
                                                           Ressourcenungleichheiten
  der Gesellschaft und bei Aufräumarbeiten
  einbringen [Bokszczanin 2008]                          § Einbezug der lokalen Bevölkerung
                                                         § Verknüpfung und Kommunikation der
                                                           organisatorischen Einheiten
                                                         § Planen keinen Plan zu haben; Flexibilität und
                                                           Entscheidungsfähigkeit

                                                                                                              37
Indirekte Klimawandelfolgestörungen
Exkurs

                                      38
Indirekte Klimawandelfolgestörungen
 Klimaangst und Solastalgie
§ Klimaangst
 § Starke Gefühle, verbunden mit Beobachtungen
   der globalen Folgen des Klimawandels sowie
   Ängste und Unsicherheiten bezüglich des
   beispiellosen Ausmaßes der aktuellen und
   zukünftigen Risiken [übersetzt nach Doherty &
   Clayton 2011]
 § Alternativ handelt es sich nicht um eine
   Krankheit, sondern um eine gesunde empathische
   Reaktion auf eine reale Gefahr („eco-empathy“)
§ Solastalgie
 § Neologismus, der den psychischen oder
   existenziellen Stress beschreibt, welcher durch
   Umweltveränderung verursacht wird [nach
   Albrecht et al 2007]
 § Gefühl von Machtlosigkeit gegenüber der sich um
   einen herum verändernden Umwelt
                                                     Umweltbewusstseintsstudie, UBA   39
Konsequenzen für die Praxis

                              40
Diagnostik und Interventionsmethoden
    Assessing Children‘s Disaster Reactions and Mental Health Needs
                                              § Screeningverfahren sind geeignet für Kinder, die
                                                direkt von der Katastrophe betroffen bzw. ihr
                                                ausgesetzt waren
                                              § Bei Vorliegen von Risikofaktoren sollte eine
                                                umfangreiche klinische Evaluation erfolgen
                                              § Bei Vorliegen von Symptomen sollte sofort eine
                                                klinische Evaluation erfolgen
                                              § Bei Vorliegen einer PTBS oder anderen
                                                psychiatrischen Erkrankung muss ein
                                                Behandlungsplan erstellt und eine Therapie
                                                eingeleitet werden
                                              § Psychosoziale Unterstützung ist bei Stress- oder
                                                Belastungsanzeichen angezeigt

Pfefferbaum B 2013: An Assessment framework
                                                                                                   41
Diagnostik und Interventionsmethoden
    Deutschsprachige Instrumente zur Diagnostik
    von Traumafolgestörungen bei Kindern

Aus Landolt: Psychotraumatologie des Kindesalters (ISBN 9783840928796). © 2021 Hogrefe Verlag, Göttingen
                                                                                                           42
Konsequenzen für die Forschung

§ Allgemeiner Forschungsmangel in Bezug auf Kinder und Jugendliche!
§ Pädiatrische Daten werden im EM-DAT nicht explizit erfasst, aber die berichteten Katastrophenmuster lassen
  vermuten, dass die Exposition gegenüber Hitze und Kälte, Stürmen, Traumata, Chemikalien, Wasser und
  Infektionserregern mögliche Verletzungsmechanismen sind.
§ Altersstratifizierte Katastrophendaten werden benötigt, um einen zeitnahen, transparenten, koordinierten und
  nachhaltigen datengestützten Ansatz zur pädiatrischen Katastrophenresistenz zu ermöglichen.

 Ries, M. et al. Disasters in Germany and France: An Analysis of the Emergency Events Database From a Pediatric Perspective. Disaster Med Public Health Prep 2019,
 13, (5-6), 958-965.                                                                                                                                                 43
Wie können wir vulnerable Personen erreichen?
www.klimawandelundbildung.de

                                                44
Bildungsmodule kostenlos herunterladbar
www.klimawandelundbildung.de

                                          45
Fazit

§ Extremwetterereignisse nehmen in Folge des           § Als Risikofaktoren sind innerfamiliäre Konflikte,
  Klimawandels zu                                        geringe soziale Unterstützung der Eltern, Trennung
                                                         von Freunden und Familienmitgliedern aufgrund
§ Studien zur Auswirkung auf die mentale Gesundheit      von Umsiedelung und Armut und geringes
  von Kindern und Jugendlichen existieren, weisen        Einkommen der Eltern hervorzuheben
  jedoch starke methodische Unterschiede bzw.
  Mängel auf und sind schwer übertragbar               § Kinder und Jugendliche stellen im Zusammenhang
                                                         mit Naturkatastrophen und EWE eine vulnerable
§ Angaben der Prävalenzen für PTSS (5-43%) und           Gruppe dar, die in Bezug auf die mentale
  PTBS (0,5-18%) nach EWE sind einer großen              Gesundheit nach Traumata besonders
  Streubreite unterworfen                                berücksichtigt werden sollte

§ Weitere psychische Erkrankungen wie Depressionen     § Bessere Daten ermöglichen eine gezielte
  oder Angststörungen können ebenfalls auftreten,        Versorgung nach EWE durch fachmedizinisches
  hierzu liegen jedoch kaum verlässliche Prävalenzen     Personal, den Öffentlichen Gesundheitsdienst und
  vor                                                    weitere psychosoziale Strukturen wie z.B. Schulen
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. med. Inga Wermuth

inga.wermuth@med.uni-muenchen.de
+49 89 4400-55931
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