Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik - IWP
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Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik Nr. 2/2022 | 01. März 2022 In dieser Ausgabe… Aktuelles aus dem iwp … diskutieren Christian Bredemeier (Uni Nach der Ringvorlesung ist vor der Ring- Wuppertal) und Theresa Markefke die Rolle vorlesung. Trotz pandemiebedingter Er- von Teilzeitarbeit als vermeintlichem Karrie- schwernisse haben regelmäßig mehr als rekiller. Sie zeigen auf, dass es verschiedene 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Faktoren für den negativen Zusammenhang der vergangenen Ringvorlesung teilge- zwischen einer Teilzeitbeschäftigung und nommen. Die nächste Ringvorlesung im anschließender Lohnentwicklung gibt, und Wintersemester 2022/2023 wird das The- stellen die Ergebnisse einer eigenen Studie menfeld der ökonomischen Ursachen, Be- gleitumstände und Auswirkungen von vor, die diese Faktoren berücksichtigt. Die Migration in den Blick nehmen. Ergebnisse implizieren, dass Teilzeitarbeit weniger schädlich für die Karriere ist als oft Publikation im Wirtschaftsdienst. In der vermutet. Januarausgabe erschien der Beitrag "Obli- gatorische Versicherung gegen Schäden infolge von Naturkatastrophen" von Ann-Kristin Becker und Christoph Oslislo. Publikation in Journal of Economic Behav- ior and Organization. In einer Sonderaus- gabe zu sozialen Normen wurde der Bei- trag "Social Norms and elections: How elected rules can make behavior (in)ap- propriate" von Christoph Oslislo gemein- sam mit Jana Freundt (Uni Fribourg) und Arno Apffelstaedt (Uni Köln) veröffent- licht. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |1
Karrierekiller Teilzeit? Was wir aus den Erfahrungen unfreiwillig Teilzeitbeschäftigter lernen können Von Christian Bredemeier und Theresa Markefke* Teilzeit hat negative Folgen Beruf abträglich. Denn wenn Teilzeit ein Karriere- für die Karriere – oder? killer ist, stellt dies viele junge Menschen, insbe- sondere Frauen, vor eine Entscheidung: Kinder Ein Drittel aller Beschäftigten in Deutschland ar- oder Karriere. Zudem trägt die Konzentration von beitete im Jahr 2020 in Teilzeit, also weniger als Frauen in Teilzeitarbeit zu den anhaltenden Lohn- 35 Stunden pro Woche.1 Der Eintritt in eine Teil- unterschieden zwischen den Geschlechtern bei zeitbeschäftigung ist oft ein wichtiger Wende- und verhindert so weitere Fortschritte bei der punkt in der Karriere und wurde in der ökonomi- Gleichstellung von Frauen und Männern.7 schen Literatur intensiv erforscht. So wird ein Wechsel in Teilzeitarbeit in der Regel als kostspie- Wie ist der negative Zusammenhang zwischen lig empfunden, weil nicht nur eine Verringerung Teilzeitarbeit und Arbeitsmarkterfolg zu erklä- des aktuellen, sondern auch des zukünftigen ren? Auf der Suche nach einer Antwort ist zu be- Lohns erwartet wird. Insbesondere verdienen achten, dass es viele Faktoren gibt, die sich so- Teilzeitbeschäftigte weniger pro Stunde als Voll- wohl auf die Wahrscheinlichkeit, in Teilzeit zu ar- zeitbeschäftigte.2 Sie erfahren darüber hinaus im beiten, als auch auf den Lohn auswirken können. weiteren Verlauf ihres Erwerbslebens auch ein In diesem Impuls diskutieren wir die wichtigsten geringeres Lohnwachstum.3 Empirische Studien Erklärungsansätze für einen negativen Zusam- belegen, dass Jahre der Berufserfahrung in Teil- menhang zwischen Teilzeitarbeit und Verdienst, zeit den später erzielten Stundenlohn nicht im zeigen Schwierigkeiten bei der Messung dieses selben Maße steigern wie Berufsjahre in Vollzeit.4 Zusammenhangs auf und stellen die Ergebnisse Je nach Bildungsniveau ist der mit einem weite- einer eigenen Studie vor. Diese Ergebnisse relati- ren Berufsjahr verbundene Lohnanstieg um 85- vieren die Interpretation des starken statisti- 90% geringer, wenn das Jahr an Berufserfahrung schen Zusammenhangs zwischen Teilzeiterfah- in Teilzeit gesammelt wurde.5 Zuweilen ist daher rung und Verdienst als Kosten der Teilzeit, denn von Teilzeit als „Karrierekiller“ die Rede.6 Diese sie weisen darauf hin, dass nur ein Teil des gerin- Beobachtung ist nicht nur aus individueller, son- geren Verdiensts von Menschen mit Teilzeiterfah- dern auch aus gesellschaftlicher Perspektive von rung tatsächlich auf die Teilzeit als Ursache zu- Bedeutung. Hohe Karrierekosten sind der viel- rückzuführen ist. Ein wesentlicher Teil der Ver- fach gewünschten Vereinbarkeit von Familie und dienstunterschiede scheint hingegen andere Ein- *Prof. Dr. Christian Bredemeier ist Professor für Applied Economics an der Bergischen Universität Wuppertal. Theresa Markefke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftspolitik in Köln. 1 Siehe Sozialpolitik-aktuell 2 Siehe zum Beispiel Hirsch (2005); Manning und Petrongolo (2008); Goldin (2014) 3 Blundell et al. (2016); Adda et al. (2017) 4 Francesconi (2002); Bertrand et al. (2010); Blundell et al. (2016) 5 Blundell et al. (2016) 6 Siehe zum Beispiel in diesen Artikeln aus dem Merkur, der Bundeszentrale für politische Bildung und RTL 7 Blau und Kahn (2017) Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |2
flussfaktoren widerzuspiegeln, die unabhängig Person kann jedoch nur in geringerem Maße be- von der Entscheidung zur Teilzeitarbeit bestehen, rufs- und firmenspezifische Kompetenzen auf- diese Entscheidung aber beeinflusst haben oder bauen. Dieser während der Teilzeitbeschäftigung durch sie erst offenbart wurden. Der Verlust an entstandene Humankapitalmangel im Vergleich Fähigkeiten und Fertigkeiten während einer Teil- zu durchgehend Vollzeitbeschäftigten lässt sich zeitbeschäftigung ist hingegen begrenzt. Dies ist auch nach einer Rückkehr in eine Vollzeitbeschäf- eine gute Nachricht mit Blick auf die politischen tigung nicht mehr ohne Weiteres beheben. Letzt- Bestrebungen, die Vereinbarkeit von Familie und lich unterstellt auch dieser Ansatz eine geringere Beruf zu vergrößern. Schließlich bedeutet dieses Produktivität von (vormals) Teilzeitbeschäftig- Ergebnis, dass die Kosten, eine Zeit lang in Teilzeit ten, die geringere Löhne rechtfertigt, allerdings zu arbeiten, etwa um Kinder zu betreuen, kleiner geht sie kausal auf die Teilzeitbeschäftigung zu- sind, als oftmals vermutet. Das relativiert die rück. Rolle der Teilzeit als vermeintlichem Karrierekil- ler. Obwohl diese beiden Erklärungen weit verbreitet sind, gibt es kaum empirische Erkenntnisse dar- Theoretische Erklärungsansätze über, wie stark sie die Lohnhöhe beeinflussen. für die Lohneinbußen Der einflussreiche britische Arbeitsmarktökonom Alan Manning weist darauf hin, dass die soge- In der ökonomischen Literatur herrschen zwei un- nannte Pay Penalty, also die mit einer Unterbre- terschiedliche Ansätze vor, die den Zusammen- chung der Vollzeitkarriere einhergehende Lohn- hang zwischen Phasen der Teilzeitarbeit und einbuße, in Relation zum in geringerem Maße er- nachfolgender niedrigerer Entlohnung erklären. worbenen Humankapital überproportional groß Gemäß der ersten Erklärung signalisieren Teilzeit- erscheint.8 beschäftigte möglicherweise andere Prioritäten, eine geringere Karriereorientierung oder eine Freiwillige und unfreiwillige Teilzeit schwächere Arbeitsmotivation als Vollzeitbe- schäftigte. Die geringere Karriere- und Berufsori- In unserer aktuellen Studie (Bredemeier und entierung haben die Betroffenen diesem Erklä- Markefke, 2022) gewinnen wir neue Erkenntnisse rungsansatz zufolge durch die Wahl einer Teilzeit- über die Folgen einer Teilzeitbeschäftigung für stelle offenbart. Unterstellt wird letztlich eine ge- den weiteren Erwerbsverlauf und die zugrunde- ringere Produktivität, die entsprechend mit einer liegenden Wirkungszusammenhänge der Part- geringeren Entlohnung einhergeht. time Pay Penalty, indem wir zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung unter- Der zweite Erklärungsansatz basiert auf der Hu- scheiden. Freiwillige Teilzeitbeschäftigung bedeu- mankapitaltheorie, die einen positiven Zusam- tet dabei, dass die betroffenen Beschäftigten menhang zwischen Fähigkeiten und Fertigkeiten gerne in verringertem Umfang arbeiten möchten, (dem sogenannten Humankapital) auf der einen während unfreiwillig in Teilzeit Beschäftigte lieber und dem Arbeitseinkommen auf der anderen in Vollzeit arbeiten würden. Freiwillige Teilzeit Seite zugrunde legt. Mit den Jahren an Berufser- kann sich aus familiären Bedingungen ergeben, fahrung steigern Beschäftigte ihr Humankapital, zum Beispiel der Kindererziehung. Unfreiwillige da sie berufs- und firmenspezifisches Wissen er- Teilzeit entsteht, wenn sich nach dem Ende eines werben als auch Aus- und Weiterbildungen absol- Beschäftigungsverhältnisses oder einer Erwerbs- vieren. Es besteht also ein - wohlbekannter – Zu- unterbrechung keine Vollzeitstelle finden lässt sammenhang zwischen Berufserfahrung und Ein- oder wenn aus betrieblichen Gründen nicht mehr kommen, denn eine langjährige Mitarbeiterin in Vollzeit gearbeitet werden kann, etwa auf- kann vielfältiger eingesetzt werden als ein neu grund gesunkener Nachfrage. Die Unterschei- eingestellter Kollege. Eine teilzeitbeschäftigte dung zwischen den Arten der Teilzeit lässt sich 8 Manning (2011) Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |3
nutzen, um den Aspekt der sogenannten Selbst- berücksichtigt, würden die Wirkungen einer Teil- auswahl in die Teilzeitbeschäftigung zu berück- zeitbeschäftigung auf den Lohn überschätzt. sichtigen. Die Selbstauswahl kann in zwei Dimen- Diese Form der Selbstauswahl wurde in der Lite- sionen auftreten. Bei der statischen Selbstaus- ratur bislang kaum berücksichtigt. Die wenigen wahl geht es um grundsätzliche Unterschiede Studien, die dynamische Selbstauswahl zu be- zwischen Personen, die einer Teilzeitbeschäfti- rücksichtigen versuchen, wenden entweder sehr gung nachgehen und Personen, die in Vollzeit be- aufwendige statistische Verfahren an, die mit vie- schäftigt sind, die auch die jeweiligen Löhne be- len Annahmen einhergehen. Oder sie ziehen insti- einflussen. Bei der dynamischen Selbstauswahl tutionell bedingte Veränderungen in den Arbeits- reagieren Menschen auf eine Änderung ihrer Le- stunden von bestimmten Personen heran.9 Damit bensumstände, die auch ihre Verdienstmöglich- ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Ge- keiten beeinflussen, mit einem Wechsel in Teil- samtheit der Erwerbstätigen begrenzt. zeit. Die Unterscheidung in freiwillige und unfrei- willige Teilzeitbeschäftigung hilft vor allem, Letz- Um zu Ergebnissen mit größeren Verallgemeine- teres zu adressieren. rungsmöglichkeiten zu kommen, nutzen wir in unserer Studie die Unterscheidung zwischen frei- Grundsätzliche Unterschiede bestehen, wenn An- williger und unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung. gestellte bei sonst gleichen Merkmalen unter- Denn ist eine Person unfreiwillig in Teilzeit, kann schiedlich karriereorientiert sind. Diejenigen, die natürlich ausgeschlossen werden, dass ein niedri- weniger karriereorientiert sind, streben häufiger gerer Stundenumfang von der Arbeitskraft selbst eine Teilzeitbeschäftigung an, legen aber auch gewählt wurde, um auf Veränderungen in ihrem ansonsten weniger Wert auf ihr Einkommen und Leben zu reagieren, die mit einer niedrigeren Pro- erzielen daher geringere Löhne. Dauerhafte Un- duktivität einhergehen. Solche in tatsächlichen terschiede in den Präferenzen mit Blick auf Karri- oder selbst vermuteten Produktivitätsnachteilen ere und Privatleben werden in der Analyse be- der betroffenen Person liegenden Hintergründe rücksichtigt, indem Daten genutzt werden, in de- kommen nur bei freiwillig Teilzeitarbeitenden in nen Individuen über mehrere Zeitpunkte hinweg Frage. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse unse- beobachtet wurden. So lassen sich systematische rer Untersuchung ist eher gegeben als in dem Fall, Verdienstunterschiede zwischen den Individuen dass institutionelle Änderungen genutzt werden, statistisch herausrechnen. um die Selbstauswahl in die Teilzeit, die die Tren- nung von Ursache und Wirkung erschweren Die Karriereorientierung kann sich jedoch auch im würde, auszuschließen. Zum einen unterscheidet Zeitverlauf ändern und einen Eintritt in die Teil- sich der institutionelle Kontext stark zwischen zeitbeschäftigung zur Folge haben. Zum Beispiel verschiedenen Ländern und Zeitpunkten. Zum an- könnte eine Person in Teilzeit wechseln, um An- deren betreffen die institutionell neu getroffenen gehörige zu pflegen, und durch die Pflege derart Regelungen etwa zu Elternzeit oder Altersteilzeit beansprucht sein, dass sie im Job nicht mehr so nur bestimmte Gruppen von Beschäftigten. leistungsfähig ist wie sie es ohne Pflegearbeit Hingegen gibt es unfreiwillige Teilzeitbeschäfti- wäre. Ebenso ist es möglich, dass Beschäftigte gung bei Männern und Frauen, bei jungen und al- dann in Teilzeit wechseln, wenn sie feststellen, ten Beschäftigten sowie bei Menschen in ver- dass ihre Karriere stagniert. Da es in diesen Fällen schiedenen Lebenslagen. nicht nur darum geht, wer sich für Teilzeitarbeit entscheidet, sondern auch, wann eine bestimmte Gleichzeitig lassen sich die Erklärungen zu den Person sich zu diesem Schritt entscheidet, spricht Lohneinbußen schärfer durch die Unterschei- man von dynamischer Selbstauswahl in die Teil- dung zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Teil- zeitarbeit. Würden diese Veränderungen nicht zeit voneinander trennen: Während ein Verlust an 9 Für Deutschland gibt es eine Studie von Marie Paul (2016), in der die Autorin Veränderungen in familienpolitischen Regelungen ausnutzt, um die Wirkungen einer Teilzeitbeschäftigung für die Karriere von Frauen zu identifizieren. Daneben sei noch auf die Studie von Aaronson und French (2004) hingewiesen, die US-amerikanische Daten auswertet. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |4
Humankapital sowohl in unfreiwilliger wie auch in der familiären Situation Rechnung getragen. Au- freiwilliger Teilzeit stattfindet, geht eine Signal- ßerdem rechnen wir konstante Unterschiede in wirkung über die eigenen Einstellungen nur von den Lohnentwicklungen verschiedener Personen freiwilliger Teilzeitbeschäftigung, nicht aber von heraus. unfreiwilliger Teilzeit, aus. Die überwiegende Mehrheit der Übergänge in unfreiwillige Teilzeit Folgen einer (unfreiwilligen) findet innerhalb des gleichen Unternehmens Teilzeitbeschäftigung für die Karriere statt und das dortige Management weiß entspre- chend, wen es gegen ihren oder seinen Willen in Unsere Analyse zeigt, dass der Übergang von Teilzeit geschickt hat. Vollzeitarbeit in eine unfreiwillige Teilzeitarbeit zu einer Verringerung des Einkommens eines Be- Daten und Methode schäftigten für insgesamt drei Jahre führt, vergli- chen mit der Gruppe der Beschäftigten, die wei- Wir nutzen für unsere Studie Daten des Sozio- terhin einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Ab Ökonomischen Panels (SOEP) für den Zeitraum dem vierten Jahr ist das Einkommen statistisch von 1985 bis 2017. Das SOEP ist eine repräsenta- nicht mehr von dem Einkommen zu unterschei- tive Umfrage unter 30.000 Haushalten in den, das die Betroffenen ohne die Teilzeiterfah- Deutschland und kombiniert zwei Eigenschaften, rung erzielen würden. Der Rückgang des Einkom- die für unsere Untersuchung wichtig sind: Die mens beträgt etwa 3.100 € im ersten Jahr und Umfrage bietet die Möglichkeit, unfreiwillige Teil- etwa 5.500 € über die drei Jahre insgesamt. Zum zeitbeschäftigung zu identifizieren, indem die Be- Vergleich: Würde man den Übergang in die Teil- fragten Angaben über den gewünschten und den zeitbeschäftigung unabhängig von ihrer Freiwil- tatsächlichen Umfang ihrer Arbeitszeit pro Wo- ligkeit betrachten, so würde der Übergang das che machen, und sie wiederholt die Befragung Einkommen vermeintlich für über fünf Jahre re- derselben Individuen über Jahre hinweg.10 Damit duzieren, mit einem scheinbaren Einkommens- hat der Datensatz einen Vorteil gegenüber ande- verlust von insgesamt über 9.400 €, wovon drei ren Datensätzen, beispielsweise aus den USA. Viertel in den ersten drei Jahren nach dem Über- Dort gibt es keinen uns bekannten Datensatz, der gang anfielen. Während der unmittelbare Ver- diese beiden Merkmale kombiniert. dienstausfall ähnlich ist, verringert die Berück- sichtigung von unfreiwilliger Teilzeit die Langle- Wir führen eine Ereignisstudie durch, um zu ana- bigkeit und Stärke der nachfolgenden Einkom- lysieren, wie sich das Einkommen und andere mensverluste. Dynamische Selbstauswahl und wichtige Größen nach dem Ereignis des Eintre- Signalwirkung der Teilzeit scheinen daher einen tens in eine (unfreiwillige) Teilzeitbeschäftigung beträchtlichen Teil der Einkommensentwicklung entwickeln. Hierbei vergleichen wir die uns inte- nach einem Übergang in freiwillige Teilzeit zu er- ressierenden Größen in einer vom Ereignis be- klären. Anders ausgedrückt spiegelt die Einkom- troffenen Gruppe von Beschäftigten mit denen in mensentwicklung nach einem freiwilligen Eintritt einer nicht vom Ereignis betroffenen Gruppe. In in die Teilzeit zu einem erheblichen Teil Faktoren unserem Fall ist das Ereignis der Übergang von ei- wider, die die Entscheidung für die Teilzeit erst ner Vollzeit- in eine unfreiwillige Teilzeitbeschäfti- ausgelöst haben oder die durch diese Entschei- gung. Die Mitglieder der Vergleichsgruppe befin- dung offenbart wurden. Unsere Ergebnisse er- den sich während des gesamten Untersuchungs- möglichen eine Abschätzung der quantitativen zeitraums in Vollzeitbeschäftigung. Die beiden Bedeutung dieser Faktoren und zeigen, dass ein Gruppen werden so konzipiert, dass sie in ande- Übergang in Teilzeit deutlich weniger negative ren relevanten Charakteristiken ähnlich sind. So Folgen für den weiteren Arbeitsmarkterfolg hat werden Unterschiede nach Berufen, Wirtschafts- als der statistische Zusammenhang zwischen Teil- zweigen, der vorherigen Berufserfahrung und zeitarbeit und Einkommen suggeriert. 10 In Einklang mit der in der Literatur üblichen Einteilung definieren wir Teilzeit als eine Beschäftigung von maximal 34 Stunden pro Woche. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |5
Abbildung: Analyse ergibt hierzu, dass der Einkommensrück- Einkommensentwicklung nach Übergang in gang bei Männern insgesamt sowohl stärker aus- Teilzeit und unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung geprägt ist als auch länger andauert als bei Frauen. Jedoch ist weder bei Männern noch bei Frauen ein signifikanter Rückgang des Verdiens- tes pro Stunde festzustellen. Der stärkere Ein- kommensrückgang bei Männern ist darauf zu- rückzuführen, dass Männer nach einer Teilzeiter- fahrung im Durchschnitt weniger Arbeitsstunden leisten als ihre Kolleg*innen ohne Teilzeiterfah- rung.12 Es besteht also weniger eine Ungleichheit auf Stundenlohnbasis, sondern hinsichtlich des Verlaufs der Arbeitszeiten nach Phasen der Teil- zeit. Arbeitgeberseitige Auswahl Die Abbildung zeigt die Entwicklung des annualisierten Brutto- monatseinkommens in Euro in Relation zur Vergleichsgruppe Unsere Konzentration auf den unfreiwilligen und in Abhängigkeit vom Jahr vor dem Übergang von Vollzeit- Übergang beseitigt, wie bereits erklärt, Verzer- beschäftigung in Teilzeitbeschäftigung. Blaue Linie: Übergang in unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung. rungen durch die dynamische Selbstauswahl von Rote gestrichelte Linie: Übergang in Teilzeitbeschäftigung. Die Arbeitnehmer*innen in Teilzeit. Eine Herausfor- senkrechten Linien stellen die 95%-Konfidenzintervalle basie- derung bleibt aber die Möglichkeit der Auswahl rend auf robusten Standardfehlern dar. durch das Management derjenigen Arbeitneh- mer*innen, die in unfreiwillige Teilzeit gezwun- Die Unterschiede im Einkommen zwischen Perso- gen werden. Arbeitgeber*innen könnten dabei nen mit unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung und verfügbare Informationen über die Produktivität Personen in durchgehender Vollzeitbeschäfti- der Arbeitnehmer*innen nutzen, um diejenigen gung sind hauptsächlich darauf zurückzuführen, für die Teilzeitbeschäftigung auszuwählen, von dass von unfreiwilliger Teilzeit Betroffene im denen sie erwarten, dass sie in Zukunft schlech- Durchschnitt ihre Stunden nach dem Eintritt in die tere Leistungen erbringen werden. Dies würde zu Teilzeit nicht wieder auf das Niveau der Ver- einer negativen Korrelation zwischen (unfreiwilli- gleichsgruppe anheben können. Die meisten un- ger) Teilzeit und Verdienst führen, die aber nicht freiwillig Teilzeitbeschäftigten kehren schnell zu in der Teilzeit begründet wäre, sondern in der be- einer Vollzeitbeschäftigung zurück, aber sie arbei- reits zuvor vom Management erwarteten niedri- ten auch dann noch weniger Stunden als ihre Kol- geren Produktivität. Eine solche Korrelation leg*innen ohne vorangegangene Teilzeitbeschäf- würde insofern keine Informationen über Wirkun- tigung.11 Hingegen wird der Verdienst pro gear- gen von Teilzeit bieten. Dieser Gedanke legt es beiteter Stunde durch ihre vorangegangene Teil- nahe, eine Schätzung der Karrierekosten von Teil- zeitphase nicht wesentlich beeinflusst. zeitbeschäftigung auf der Basis der unfreiwilligen Übergänge von Voll- in Teilzeit lediglich als eine Unser Ansatz macht es möglich, die Folgen von Obergrenze zu betrachten, die tatsächlichen Kos- Teilzeitarbeit in verschiedenen Bevölkerungs- ten jedoch als (noch) geringer einzuschätzen. gruppen zu vergleichen. Da sich der Großteil der Auch zur Beurteilung dieses Effekts können wir bestehenden Studien auf Frauen beschränkt, unsere Ergebnisse nutzen: Wäre die Auswahl stellt sich die Frage, wie sich die Ergebnisse zwi- durch die Arbeitgeber*innen entscheidend, wäre schen den Geschlechtern unterscheiden. Unsere tendenziell auch ein negativer Zusammenhang 11 Dies ist im Durchschnitt über die gesamte Gruppe der Betroffenen zu beobachten. Einige der Personen, die in unfreiwillige Teilzeit wechseln, verbleiben auch länger in Teilzeit. 12 Zur Erinnerung: Eine Wochenarbeitszeit von 35Stunden oder mehr wird als Vollzeitarbeit gewertet. Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |6
zwischen Stundenlohn und unfreiwilliger Teil- (2011), dass die Verdienstunterschiede zwischen zeiterfahrung zu erwarten. Dass so ein Zusam- Menschen mit und ohne Unterbrechung der Voll- menhang in den Daten nicht festzustellen ist, zeitkarriere überproportional groß sind, um al- mag zum Teil mit Tariflöhnen oder einem dem be- leine durch Humankapitalunterschiede erklärt zu trieblichen Frieden dienlichen Wunsch zur Zah- werden. Unsere Studie zeigt: Rechnet man die Ef- lung einheitlicher Stundenlöhne geschuldet sein. fekte von Signalwirkung und dynamischer Selbst- Dennoch deutet der fehlende Zusammenhang auswahl heraus, sinken die verbleibenden Wir- zwischen Stundenlöhnen und unfreiwilliger Teil- kungen der Teilzeit erheblich, die dem Humanka- zeit darauf hin, dass die dynamische Auswahl pitaleffekt zuzurechnen sind. durch die Arbeitgeber*innen nicht übermäßig von Bedeutung zu sein scheint. Fazit Signalwirkung versus Humankapital Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verdienstein- bußen, die mit einer unfreiwilligen Teilzeitarbeit Die Unterscheidung in freiwillige und unfreiwil- verbunden sind, deutlich geringer ausfallen und lige Teilzeitbeschäftigung ist hilfreich, um zwi- von kürzerer Dauer sind. Die Einkommensent- schen den verschiedenen Erklärungen für die wicklung nach einem freiwilligen Eintritt in die niedrigeren Gehälter von Menschen mit Teil- Teilzeit spiegelt daher zu einem erheblichen Teil zeiterfahrung zu unterscheiden. Die relative Ein- Faktoren wider, die die Entscheidung für die Teil- kommensentwicklung nach einer freiwilligen Teil- zeit erst ausgelöst haben oder die durch diese zeit beinhaltet die Effekte des nicht erworbenen Entscheidung offenbart wurden. Das zeigt auch Humankapitals, der Signalwirkung der Teilzeit der sehr große Anteil von Beschäftigten, die an- und die der Auslöser der dynamischen Selbstaus- geben, freiwillig in Teilzeit zu arbeiten: 85% wün- wahl. Hingegen liegt bei einer unfreiwilligen Teil- schen sich eine Beschäftigung in dem geringeren zeit keine Selbstauswahl vor, die arbeitgebersei- Umfang. Die hohe Bedeutung der Selbstauswahl tige Auswahl scheint sehr moderat zu sein und sollte in der wirtschaftspolitischen Debatte be- eine Signalwirkung tritt nicht auf. rücksichtigt werden. Die Teilzeitarbeit an sich ist für die Karriere deutlich weniger schädlich als bis- Von daher sind unsere Ergebnisse hinsichtlich un- her oftmals angenommen. Unsere Ergebnisse re- freiwilliger Teilzeit ein recht sauberes Maß für die lativieren somit die Interpretation von Teilzeitbe- Bedeutung des Wirkungskanals des Humankapi- schäftigung als „Karrierekiller“. Dies gilt insbe- talmankos und geben einen Hinweis darauf, dass sondere für Teilzeitbeschäftigte, die mehr als 15 dieser zwar besteht, jedoch nicht zu überschät- Stunden arbeiten und an ihrem angestammten zen ist. Dass die geringere Akkumulation eine Arbeitsplatz in ihrem Unternehmen bleiben. Rolle spielt, zeigt sich darin, dass wir auch bei un- freiwilliger Teilzeit Verdiensteinbußen beobach- Somit sind unsere Ergebnisse eine gute Nachricht ten. Entsprechend sehen wir in den Daten zudem, in Hinblick auf Politikmaßnahmen, die die Verein- dass die negativen Auswirkungen umso stärker barkeit von Familie und Beruf fördern sollen, da sind, je größer die Stundenreduktion ist, also je es mit geringeren Kosten verbunden ist, eine geringer der Arbeitsumfang, in dem Fertigkeiten Weile in Teilzeit zu wechseln, etwa um Kinder zu und Kenntnisse aufgebaut werden können. Aber betreuen, als oftmals vermutet. auch bei einer unfreiwilligen Teilzeitarbeit von 15 Stunden oder weniger sind die Verdienstunter- Insoweit die Karrierekonsequenzen von Teilzeit schiede zur Vergleichsgruppe gering und ver- darauf zurückzuführen sind, dass Arbeitgeber schwimmen drei Jahre später im Rahmen des sta- den freiwilligen Wechsel in eine Teilzeitbeschäfti- tistischen Fehlers. Unsere Ergebnisse relativieren gung als Signal über ihnen unliebe Eigenschaften somit die Bedeutung des Humankapitalkanals für einer Arbeitskraft, wie etwa geringe Karriereori- die Folgen von Teilzeit. In diesem Sinne bestätigt entierung, interpretieren, können politische Maß- unsere Analyse die Vermutung von Alan Manning nahmen, die einen Wechsel zwischen Voll- und Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |7
Teilzeit vereinfachen, hilfreich sein. Denn je ver- Goldin, C. (2014). “A grand gender convergence: breiteter es ist, in bestimmten Lebensphasen in its last chapter". American Economic Review 104 Teilzeit zu arbeiten und anschließend in Vollzeit (4), 1091-1119. zurückzukehren, desto weniger würde dieses Verhalten als ein Signal über bestimmte Eigen- Hirsch, B. T. (2005). “Why do part-time workers schaften fungieren können. Diese Überlegungen earn less? The role of worker and job skills". ILR liefern Argumente für Politikmaßnahmen wie das Review 58 (4), 525-551. Recht auf Teilzeit in Elternzeit und die Brücken- teilzeit, die ein Recht auf die Rückkehr zur Voll- Manning, A. und Petrongolo, B. (2008). “The part- zeitarbeit festschreibt. time pay penalty for women in Britain". The Eco- nomic Journal 118 (526), F28-F51. Literaturhinweise Manning, A. “Imperfect Competition in the Labor Aaronson, D., und French, D. (2004). "The effect Market”. In: Ashenfelter, Orley, and David Card, of part-time work on wages: Evidence from the eds. Handbook of Labor Economics. Elsevier, 2010. social security rules”. Journal of Labor Economics 22.2, 329-252. Paul, M. (2016). “Is there a causal effect of work- ing part-time on current and future wages?" The Adda, J., Dustmann, C., und Stevens, K. (2017). Scandinavian Journal of Economics 118 (3), 494- “The career costs of children". Journal of Political 523. Economy 125 (2), 293-337. Bertrand, M., Goldin, C., und Katz, L. F. (2010). “Dynamics of the gender gap for young profes- sionals in the financial and corporate sectors". American Economic Journal: Applied Economics 2 (3), 228-55. Blau, F. D. und Kahn, L. M. (2017). “The gender wage gap: extent, trends, and explanations". Journal of Economic Literature 55 (3), 789-865. Blundell, R., Costa Dias, M., Meghir, C., and Shaw, J. (2016). “Female labor supply, human capital, and welfare reform". Econometrica 84 (5), 1705- 1753. Francesconi, M. (2002). “A joint dynamic model of fertility and work of married women". Journal of Labor Economics 20 (2), 336-380. IMPRESSUM Autorenkontakt: Herausgeber: Redaktion und V.i.S.d.P.: Theresa Markefke Institut für Wirtschaftspolitik Prof. Dr. Steffen J. Roth Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln Tel. 0221 / 470-5348 Pohligstr. 1 Pohligstr. 1 steffen.roth@wiso.uni-koeln.de 50969 Köln 50969 Köln Tel.: 0221 / 470-5355 Tel. 0221 / 470-5347 markefke@wiso.uni-koeln.de Fax 0221 / 470-5350 iwp@wiso.uni-koeln.de Kölner Impulse zur Wirtschaftspolitik | Nr. 2/2022 www.iwp.uni-koeln.de |8
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