Kommunalpolitik, politische (Willens-)Bildung und Jugendbeteiligung vernetzt gestalten
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PR AXISBEISPIEL II: JUGENDBETEILIGUNG IN DER GEMEINDE Kommunalpolitik, politische (Willens-)Bildung und Jugendbeteiligung vernetzt gestalten Xenia Beck, Gabriele Blawert, Ann-Kathrin Götz, Volker Knoop, Filipe Fraga Sousa, Sarah Stötzel, Raphael Walz, Udo Wenzl gung) der Gemeindeordnung lautet „Die Gemeinde soll In Gundelfingen (Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald) Kinder und muss Jugendliche bei Planungen und Vorha- entwickelt sich eine Form der kommunalen Jugendbetei- ben, die ihre Interessen berühren, in angemessener Weise ligung, die sich schulartübergreifend (Förderschule, Ge- beteiligen. Dafür sind von der Gemeinde geeignete Betei- meinschaftsschule und Gymnasium) in enger Verzahnung ligungsverfahren zu entwickeln. Insbesondere kann die mit der Kommune gestaltet. Gemeinsam mit den Schulen Gemeinde einen Jugendgemeinderat oder eine andere am Ort, Mitarbeitern der Schulsozial- und kommunalen Jugendvertretung einrichten.“1 Jugendarbeit, Verantwortlichen des Bürgertreffs und Die neuen Bildungspläne der allgemein bildenden Schu- dem Bürgermeister wird gegenwärtig ein Konzept kom- len traten mit Beginn des Schuljahres 2016/2017 in Kraft. munaler Jugendbeteiligung entwickelt und praktisch um- Mit Blick auf Politik in der Gemeinde sind im gemeinsamen gesetzt. Durch diese handlungsorientierte Praxis politi- Bildungsplan für die Sekundarstufe I für die Klassenstufen scher Bildung und kommunaler Jugendbeteiligung sollen 7, 8 und 9 folgende Zielvorgaben zu finden: „Die Schülerin- Jugendliche hautnah erfahren, welche Relevanz Politik nen und Schüler können Antworten auf die Fragen finden, in ihrem Leben haben kann. Die federführend an dem welche Möglichkeiten Bürger und Jugendliche haben, ihre Vorhaben Beteiligten skizzieren die Zielsetzung des Pro- Interessen in den Entscheidungsprozess in der Gemeinde jekts jeweils aus ihrer Perspektive bzw. aus der Sicht ihres einzubringen und wie die Macht in der Gemeinde verteilt Arbeitsfeldes. Des Weiteren beschreiben und bewerten ist (Macht und Entscheidung), wie die einzelnen Organe drei Schülerinnen aus ihrem Blickwinkel einen unlängst innerhalb der Gemeinde zusammenwirken (Ordnung und stattgefundenen Politikworkshop. Struktur), welchen Beitrag Verfahren und Institutionen zur Regelung und zum Schutz des friedlichen Zusammenle- bens in der Gemeinde leisten (Interessen und Gemein- wohl) und wie die Gemeinde mit ihren begrenzten finanzi- Vorbemerkungen ellen Mitteln umgeht (Knappheit und Verteilung).“ 2 Darüber hinaus finden sich im Bildungsplan zum Inhaltsbe- Kommunen sind Beteiligungsorte für alle Generationen reich „Politische Willensbildungsprozesse in Deutschland“ und Bildungsorte zugleich. Kinder und Jugendliche sollten folgende Lernziele: „Die Schülerinnen und Schüler können dabei besonderes im Blick sein, denn sie sind Gegenwart Antworten auf die Fragen finden, welche Möglichkeiten und Zukunft in einem. Werden sie frühzeitig ins kommunale Geschehen einbezogen, kann eine hohe Identifikation mit dem Gemeinwesen entstehen. Dies bedeutet u. a., Ge- meinschaft und Wertschätzung zu erfahren und Beteili- gung zu lernen, um auf diesem Wege möglichst früh positive Erfahrungen mit demokratischen Entscheidungs- prozessen zu machen. Junge Menschen können auf der kommunalen Ebene unmittelbar erfahren, wie gemeinsam mit anderen ein sozial gedeihliches Zusammenleben ver- antwortungsvoll gestaltet werden kann. Idee des Projekts ist es, dass Kinder, Jugendliche, Erwach- sene und Senioren einvernehmlich an der Entwicklung der Gemeinde mitwirken. Dies setzt einen ständigen Aus- tausch zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Gemeinderat und Bürgermeister sowie Mitarbeitenden der Kommunal- verwaltung voraus. Ein Höhepunkt des Politikwork- Rechtliche und (bildungs-)politische shops war das Gespräch mit Rahmenbedingungen Staatssekretär Volker Schebesta und Bürgermeister Mit der am 17. Oktober 2015 novellierten Gemeindeord- Raphael Walz. Die Schülerin- nung von Baden-Württemberg (GemO) wurde mit der nun nen und Schüler waren verbindlich festgeschriebenen Jugendbeteiligung ein erstaunt von den vielfältigen Steuerungsinstrument für eine aktivierende Jugendpolitik Aufgaben eines Politikers. auf den Weg gebracht. §41a (Kinder- und Jugendbeteili- Foto: Udo Wenzl 344
Bürger haben, ihre Interessen in den politischen Entschei- KOMMUNALPOLITIK, POLITISCHE (WILLENS-)BILDUNG dungsprozess einzubringen (Macht und Entscheidung) und UND JUGENDBETEILIGUNG VERNETZT GESTALTEN wie das Grundgesetz die Teilhabe regelt (Regeln und Recht), welchen Beitrag die Beteiligungsverfahren zum de- mokratischen und gewaltfreien Lösen von Interessenkon- kenntnis aus der Shell-Jugendstudie 2015 ist, dass die flikten leisten, wie die Demokratie gesichert und geschützt junge Generation sich in einem Aufbruch befindet, so Ul- werden kann (Interessen und Gemeinwohl) und welche Be- rich Schneekloth, der maßgeblich an der Erstellung der deutung Medien für eine demokratische Gesellschaft ha- Studie beteiligt war. Die Jugendlichen haben zunehmend ben (Privatheit und Öffentlichkeit).“ 3 mehr Interesse am Weltgeschehen, aber auch an ihrem un- Der Koalitionsvertrag der grün-schwarzen Landesregie- mittelbaren Lebens- und Sozialraum. Fast die Hälfte der rung vom 9. Mai 2016 formuliert auf Seite 80 das Anliegen, 15- bis 24-Jährigen gab an, sich für Politik zu interessieren. junge Menschen zur Partizipation zu ermutigen, sehr allge- Geändert hat sich allerdings die Art ihres Engagements. 6 mein: „Wir sprechen uns für eine stärkere politische Beteili- Die etablierten Parteien profitieren nicht vom wachsenden gung von Kindern und Jugendlichen aus. Die politische Bil- Politikinteresse, so das Autorenteam der Shell-Jugendstudie: dung der Jugendlichen in Baden-Württemberg werden wir Nur vier Prozent der 12- bis 25-Jährigen haben sich bereits im schulischen und außerschulischen Bereich weiter stär- in politischen Gruppen oder Parteien engagiert. Jugendli- ken.“4 Aber wie? Eine konkrete Antwort ist diesbezüglich che bringen Parteien – wie schon in den vergangenen Jah- nicht zu finden. Und das ist auch gut so: Denn das Wie kann ren – nur wenig Vertrauen entgegen. 7 am besten vor Ort, in den Gemeinden und Städten ent- Zielsetzung kommunaler Jugendbeteiligung kann es nicht schieden werden. Wünschenswert wäre jedoch, dass die sein, Jugendliche zu jungen Parteigängern zu machen. Kin- Landesregierung weitere Unterstützungsmittel durch den der und Jugendliche sollen vielmehr erfahren, dass Kommu- „Zukunftsplan Jugend“ bereitstellen würde. 5 nalpolitik und Landespolitik durchaus eng miteinander ver- Schulen sind Teil des kommunalen Gemeinwesens und ein woben sein können. Es gilt, Kindern und Jugendlichen zu wesentlicher sozialer Erfahrungs- und Lebensraum für die vermitteln, dass durch Wahlen parlamentarische Mehr- junge Generation. Daraus lassen sich mehrere pädagogi- heitsbildungen und Regierungsbildungen bestimmt werden. sche Maßgaben ableiten: Wenn (Ober-)Bürgermeister Die Mehrheit der Wählerschaft legt den generellen Kurs der bzw. Bürgermeisterinnen, Vertreterinnen und Vertreter der Politik fest, indem sie einer bestimmten Partei oder einem po- Schulen und der Kommunalverwaltung an einem Strang litischen Lager das Mandat dafür erteilt, sachpolitische Ent- ziehen, kann gemeinsam eine Form kommunaler Jugend- scheidungen voranzutreiben. Ändern sich nach einer Wahl beteiligung entwickelt und praktiziert werden. die Mehrheitsverhältnisse, dann kann sich entsprechend dieser Logik auch die politische Richtung ändern. Politik in der Lebenswelt der jungen Generation Den politischen Bildungsauftrag der Schulen Die Jugend wird heute oft als unpolitisch und politisch un- lebensweltorientiert und kommunal gestalten interessiert apostrophiert. Doch aktuelle Jugendstudien (Volker Knoop) zeigen, dass das Interesse der jungen Menschen an Politik in den letzten Jahren zugenommen hat. Eine zentrale Er- Im neuen Bildungsplan für das Unterrichtsfach Gemein- schaftskunde wird die Verantwortung der Schulen für die politische Bildung wie folgt beschrieben: „Das politische System Deutschlands kann nur dann nach demokratischen Prinzipien funktionieren, wenn es von politisch mündigen Bürgern getragen und gestaltet wird. Die Schülerinnen und Schüler zu demokratischem Denken und Handeln zu befähigen und zu ermutigen, ist die wichtigste Aufgabe der politischen Bildung, aber auch der Schule insgesamt“. 8 Die Bedeutung, die der politischen Bildung für die Demo- kratie beigemessen wird, zeigt sich letztlich auch darin, dass das Unterrichtsfach Gemeinschaftskunde Verfas- sungsrang hat. In Artikel 21 der Landesverfassung heißt es: „Die Jugend ist in den Schulen zu freien und verantwor- tungsfreudigen Bürgen zu erziehen und an der Gestaltung des Schullebens zu beteiligen.“ Und der zweite Absatz fährt fort: „In allen Schulen ist Gemeinschaftskunde or- dentliches Lehrfach.“ 9 Schulen können Schülerinnen und Schüler für Demokratie und Partizipation in ihrem unmittelbaren schulischen Um- feld begeistern. Das Gundelfinger Projekt versucht, Brü- cken zur realen Politik zu bauen, um selbstwirksames Ler- nen zu ermöglichen. Es geht mithin um Demokratieerzie- hung durch neue Ideen und Impulse. Der Sozial- und Erziehungswissenschaftler Wolfgang Edelstein, der maßgeblich an dem Modellversuch „Demo- kratie lernen und leben“ beteiligt war, vertritt ein erwei- 345
Xenia Beck, Gabriele Blawert, Ann-Kathrin Götz, Volker Knoop, Filipe Fraga Sousa, Sarah Stötzel, Raphael Walz, Udo Wenzl tertes Verständnis politischer Bildung, deren Aufgabe im Aufbau einer demokratischen Grundhaltung gesehen wird. Dieser Ansatz setzt an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen an. Kontexte demokratieförderlichen Lernens sind schulische und außerschulische Erfahrungs- und Handlungsfelder, die Informationen über Demokratie, Kompetenzen für Demokratie und Erfahrungen durch De- mokratie vermitteln.10 Schule hat demzufolge die Aufgabe, Demokratie als Lebensform erlebbar zu machen.11 Das Gundelfinger Jugendbeteiligungsverfahren, das schul- artübergreifend mit der Kommune durchgeführt wird, und gleichermaßen auch die landepolitische Ebene mit einbe- zieht (die Schülerinnen und Schüler fahren u. a. in den Land- tag von Baden-Württemberg nach Stuttgart), bietet Schü- lerinnen und Schülern die Möglichkeit, Politik hautnah zu erleben. Sie können Erfahrungen sammeln und sich in der Welt der Politik erproben. Gerade die politische Arbeit auf kommunaler Ebene, der direkte Kontakt und Austausch der Schülerinnen und Schüler mit den politisch Aktiven, den Funktionsträgern und politischen Organen einer Gemeinde verdeutlicht die Relevanz der Politik im Alltag der Jugendli- chen. Diese Art der politischen Beteiligung stärkt und er- höht die Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrerinnen und Lehrer, sich in Schule, Schulleben und Gemeinde zu engagieren. Politik so zu lernen und zu erleben, festigt das Fundament der Demokratie. Dieser be- Schulworkshop Politik im Bildungszentrum Meckenbeuren sondere Lernprozess stellt einen durchaus nachahmens- (Bodenseekreis) Fotos: Udo Wenzl werten Lernweg dar und ist gleichzeitig ein nachhaltiges Qualitätsmerkmal der beteiligten Schulen. Die Veranstaltung sei interessant, lehrreich, praxisbezo- gen gewesen. Vor allem das Gefühl, etwas zu tun, was mit Mit der Großgruppe „politische Bildung“ gestalten dem wirklichen Leben der Jugendlichen zu tun hat, kam gut (Udo Wenzl) an. Die Gruppen, die zum Beispiel Briefe an Politiker schrie- ben, fanden die Gruppenphase sehr spannend. Ein Mäd- Stellen Sie sich vor, zwischen 100 und 150 Jugendliche be- chen betonte im Namen der Teilnehmerinnen und Teilneh- finden sich in einem Raum, in einer Aula oder in einer Stadt- mer (aus der Nachbargemeinde), dass auch ihnen der halle und beschäftigen sich mit der Perspektive ihrer Stadt. Workshop viel gebracht habe. Einige fanden die Mischung Durch das anfängliche Warming up ist eine Atmosphäre aus ernsthafter, realitätsbezogener Arbeit und ‚gechillter‘ entstanden, in der schöpferisches Denken und gelingen- Atmosphäre sehr gut. Im Wesentlichen gab es nur einen des Miteinander-Reden möglich geworden ist. Es geht Kritikpunkt: Einige Schülerinnen und Schüler vermissten hierbei um das individuelle aber auch um das kollektive eine Diskussion im Plenum.“ Denken und Sprechen. Die Fragen, „Wie lebe ich/Wie Und ein teilnehmender Jugendliche schrieb nach dem lebst Du in der Gemeinde?“, aber auch „Was verbindet Workshop: „Ich finde, dass man uns Jugendlichen schon uns?“ und “Was beschäftigt uns gemeinsam?“ werden er- früh beibringen sollte, wie die heutige Politik geht. Nur je- örtert. Jeder junge Mensch kann sich dabei einbringen; mand, der es früh lernt und sich beteiligt, kann später die seine Meinung, Gedanken aber auch Fragen sind wichtig richtige Entscheidung treffen. Ich z. B. werde dieses Jahr 18 für den gesamten Prozess. Die Jugendlichen arbeiten in und habe wenig bis keine Ahnung von Politik. Hätte es den Themengruppen selbstorganisiert. Den anwesenden schon früher politische Bildung gegeben, würde ich jetzt Erwachsenen können jederzeit Fragen gestellt werden. Es nicht so ins kalte Wasser geworfen werden. Und ich würde gibt nur eine klare verbindliche Vorgabe: Die Ergebnisse gerne richtig wählen, um so den deutschen Staat zu unter- werden am Ende der Einheit im Plenum bzw. in der Groß- stützen. Ich finde es sehr wichtig, Jugendliche zu ermuti- gruppe vorgestellt. gen, wählen zu gehen. Das geht aber nur, indem man mehr Die erarbeiteten Ergebnisse werden in einem zweiten Politik in der Gemeinde für Jugendliche (und Erwachsene) Schritt im Gemeinderat vorgestellt und diskutiert. Jugend- einbringt!“ liche aus den einzelnen Themengruppen stellen die Ergeb- nisse im Gemeinderat selbst vor und treten somit in den direkten Dialog mit den politisch Verantwortlichen der Ge- Politische Bildung und Jugendbeteiligung gemeinsam meinde. in einem Workshop gestalten Ein Lehrerteam eines Berufsschulzentrums hat nach einem (Xenia Beck, Ann-Kathrin Götz, Sarah Stötzel) solchen Großgruppenworkshop die beteiligten Jugendli- chen gefragt und folgendes Statement aufgrund der Rück- Auf Grund des Wunsches nach mehr Jugendbeteiligung in meldung zusammengefasst: „Meine Kollegin und ich ha- der Gemeinde Gundelfingen ergriff die Gemeinde die Ini- ben jetzt in unseren Klassen ein kleines Feedback zum tiative und startete einen schulübergreifenden Politikwork- Workshop eingeholt. Es gab fast nur positive Reaktionen. shop für die achten Klassen. Über zwei Tage hinweg arbei- 346
teten 135 Schülerinnen und Schüler der Förderschule, der KOMMUNALPOLITIK, POLITISCHE (WILLENS-)BILDUNG Gemeinschaftsschule und des Gymnasiums an politischen UND JUGENDBETEILIGUNG VERNETZT GESTALTEN Themen, die sie auf kommunaler Ebene interessieren. Der Workshop startete am Vormittag des 17. Novembers mit einer Einführung in das Programm durch den Projektlei- Verantwortung übertragen wurde und sie kreativ den ter Udo Wenzl. Er präsentierte die Auswertung der bereits Workshop begleiten konnten. im Vorfeld durchgeführten Jugendumfrage. Die Umfrage Das Gespräch mit dem Staatssekretär Volker Schebesta behandelte Themen wie z.B. das eigene Wohlbefinden in war sehr interessant. Die Schülerinnen und Schüler stellten der Gemeinde, Angebote für Jugendliche und eigene An- viele Fragen und zeigten großes Interesse. Er antwortete regungen zur Verbesserung der Situation in der Gemeinde. sehr ausführlich und diskutierte mit ihnen auch über aktu- Um sich einen besseren Überblick über die verschiedenen elle Themen, wie beispielsweise die Flüchtlingssituation in Meinungen zu verschaffen, stellte er viele Fragen zu aktu- Deutschland. Auch war ihm wichtig, dass die Schülerinnen ellen Themen, die die Jugendlichen betreffen. Zur Beant- und Schüler einen Einblick in seinen Beruf als Staatssekre- wortung der Fragen sollten sich die Schüler auf einem Mei- tär bekommen, und so erklärte er ihnen bis ins kleinste De- nungsbarometer, der von 1 (unwichtig) bis 10 (sehr wichtig) tail seinen Wochenablauf und die Vielfältigkeit seines Be- reichte, im Raum verteilen und mit der Gruppe über ihre rufs. Auch Raphael Walz erzählte im Anschluss, wie sein Positionierung diskutieren. Manche dieser Fragen wurden Beruf als Bürgermeister funktioniert und dass gerade die später in den Arbeitsgruppen wieder aufgegriffen (z.B. von Herrn Schebesta angesprochene Vielfalt den Beruf so „Wählen ab 16 – gut oder weniger gut?“). Im Anschluss da- interessant macht. Die Jugendlichen waren sehr erstaunt ran zeigte Udo Wenzl den Jugendlichen Bilder, die mit von den verschiedenen Aufgaben eines Politikers. Kommunalpolitik zu tun hatten, und die Schülerinnen und Zum Abschluss des Gesprächs lobte der Landespolitiker Schüler sollten die damit verbundenen Aufgaben der Kom- die Vorbereitung und die Art und Weise der Mitwirkung mune und des Bürgermeisters erraten und entwickeln. der Jugendlichen und ermutigte sie, ihr Interesse an der Nach motivierenden Worten des Bürgermeisters teilten Politik zu behalten und all die Dinge, die sie in der Diskus- sich die Jugendlichen in Arbeitsgruppen auf, um gemein- sion besprochen haben, auch weiter an die Gemeinderäte sam über unterschiedliche Themen zu diskutieren. Die heranzutragen, da es „wichtig ist, dass wir uns gemeinsam Schülerinnen und Schüler machten sich Gedanken über überlegen, wohin der Weg der Zukunft geht“. ihre Zukunft in der Gemeinde, über Mobilität, das Genera- Im Anschluss wurde die Diskussion ausgewertet. Die Ju- tionenverhältnis vor Ort und die Integration der geflüchte- gendlichen waren sehr zufrieden, stellten jedoch fest, dass ten Menschen in Gundelfingen. Außerdem überlegte sich „Politiker zwar viel sagen, aber gar nicht direkt auf jede eine Gruppe, was sie dem Bürgermeister schon immer ein- Frage antworten würden“. Die Jugendlichen erzählten, mal sagen wollten und was für Ideen sie zur Gestaltung dass sie sehr viel aus der Diskussion genommen haben und der Gemeinde hätten. Einer großen Gruppe von Schülern es auch eine sehr gute Vorbereitung auf die kommende war es beispielsweise ein besonderes Anliegen, dass der Gemeinderatssitzung war. alte Fußballplatz einen neuen Kunstrasen bekommt. Also Ein besonders spannender Programmpunkt für die Jugend- suchten sie nach Argumenten, informierten sich über die lichen war ein Gespräch im Anschluss mit Pavlos Wacker, möglichen Kosten für die Gemeinde, redeten mit dem Bür- der in den letzten beiden Jahren politisch aktiv geworden germeister und überlegten, wie sie selbst Geld sammeln ist. Pavlos erzählte den Jugendlichen, dass er in ihrem Alter könnten. Da auch Schülerinnen und Schüler aus anderen angefangen hat, sich für Politik zu interessieren und er- Gemeinden anwesend waren, beriet der Projektleiter sie, klärte ihnen sehr schülernah, wie wichtig es ist, sich zu be- wie sie am besten mit ihrem Bürgermeister reden können, teiligen. Er berichtete ihnen von einem Mobilitätsprojekt, damit auch in ihren Gemeinden mehr auf die Wünsche und dass er selbst gestartet hatte und ermutigte sie, sich auch Ideen der Jugendlichen eingegangen wird. für ihre Projekte und Ideen einzusetzen. Für die Jugendli- Da für den kommenden Vormittag eine Diskussion mit dem chen war es sehr wichtig, von Leuten in ihrem Alter etwas Staatssekretär im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, über Politik zu erfahren, da dies einen besonderen Anstoß Volker Schebesta, vorbereitet werden musste, wurde eine zur eigenen politischen Beteiligung gibt. Am Ende des neue Arbeitsgruppe gegründet, in der jeweils zwei Schüle- Workshops wurden die Ergebnisse des Workshops zusam- rinnen und Schüler der vorherigen Arbeitsgruppen ihre Er- mengetragen und letzte Vorbereitungen für die Fahrt in gebnisse zusammentrugen und sich gemeinsam Fragen für den Landtag nach Stuttgart und die Gemeinderatssitzung die Diskussion überlegten. Ein Lehrer gab den Jugendli- getroffen. chen eine kurze Einführung, wie man konstruktiv Fragen Wir sind der Meinung, dass der Workshop sehr wichtig für stellt und motivierte sie, viele Fragen zu stellen und ihre Achtklässler ist, da sie mit vielen verschiedenen Methoden Meinung zu äußern. angeregt werden, über politische Themen nachzudenken Im Anschluss an die Gruppenarbeitsphase setzten sich die und sich für ihre politischen Interessen einzusetzen. Wir Schülerinnen und Schüler wieder im Plenum zusammen und würden jeder Schule ein solches Projekt empfehlen! präsentierten ihre Ergebnisse. Nachdem jede Gruppe prä- sentiert hatte, äußerten sich abschließend der Bürgermeis- ters und zwei Gemeinderäte. Sie zeigten sich sehr erfreut Kommunale offene Jugendarbeit als Ort politischer über das Interesse und die Ideen der Jugendlichen und lu- Bildung und Beteiligung den sie ein, dem Gemeinderat in der nächsten Sitzung ihre (Filipe Fraga Sousa) Ergebnisse zu präsentieren. Das Einbinden der Schülerinnen und Schüler in den Work- Jugendliche an kommunalpolitischen Entscheidungen zu shop als Reporter, Filmteam oder in der Moderation ver- beteiligen, ist keine einfache, aber eine bedeutsame Auf- stärkte das Interesse noch einmal immens, da ihnen viel gabe. In Gundelfingen entsteht gegenwärtig in Gestalt von 347
Xenia Beck, Gabriele Blawert, Ann-Kathrin Götz, Volker Knoop, Filipe Fraga Sousa, Sarah Stötzel, Raphael Walz, Udo Wenzl Auch im Jugendzentrum von Gundelfingen fand ein Work- shop statt. In dem Workshop wurden Themen, Empfehlun- gen und Anregungen der Jugendlichen gesammelt und dem Bürgermeister Raphael Walz vorgestellt. Foto: Udo Wenzl Workshops eine Beteiligungsform, die überwiegend im shop im Jugendzentrum anzubieten. Wenn Jugendlichen schulischen Rahmen stattfinden soll. Die Schule ist durchaus bewusst wird, dass Kommunalpolitik sie direkt betrifft, sind der geeignete Ort für politische Bildung, um die Beteiligung sie eher bereit, sich zu engagieren. von Jugendlichen zu fördern. Ebenso bietet aber auch der außerschulische Rahmen der kommunalen und offenen Ju- gendarbeit gute Voraussetzungen für die Beteiligung bzw. Jugendbeteiligung und Bürgerengagement im Sinne demokratische Partizipation von Jugendlichen. Der Auftrag eines Generationendialogs vernetzen der Kinder- und Jugendarbeit wird unter anderem in § 11 (Gabriele Blawert) SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) konkretisiert: „Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwick- Mit dem Ziel, das gesellschaftliche und politische Leben in lung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfü- Gundelfingen mitzugestalten, hat sich 2012 der Verein gung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Men- „Bürger für Bürger e. V. – Bürgertreff Gundelfingen“ ge- schen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestal- gründet. Nach dreijähriger Tätigkeit mussten die im Bür- tet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gertreff ehrenamtlich Engagierten feststellen, dass sich gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem En- zwar viele ältere Menschen für das Leben in der Kommune gagement anregen und hinführen.“12 engagieren und bei politischen Veranstaltungen vertreten Das Jugendzentrum in Gundelfingen ist im Prinzip wie eine sind, die Jungen hingegen fehlen. Bereits anlässlich der „eigene kleine Gemeinde“, in der Jugendliche unterschied- Kommunalwahl 2014 hat der Bürgertreff eine Infoparty liche Möglichkeiten haben, sich mit ihren Interessen und durchgeführt, auf der junge Menschen mit den Kandidatin- Bedürfnissen aktiv zu beteiligen. Sie können die Alltags- nen und Kandidaten ins Gespräch kommen konnten. Mit strukturen, Programme und Projekte mitgestalten. Die Ju- Unterstützung der Gemeinde wurden 700 Erstwähler an- gendlichen können so demokratische Strukturen kennen geschrieben und eingeladen. Der Erfolg war allerdings lernen, diese einüben und dabei Verantwortung für sich mäßig – gerade mal 20 junge Menschen kamen. Daraus und die Gruppe übernehmen. zogen wir die Folgerung, dass Jugendliche frühzeitiger Wenn Jugendliche sich im Jugendzentrum aktiv beteiligen, über Möglichkeiten und Formen der Partizipation informiert dann sind sie u. a. auch daran interessiert, sich in die Kom- werden müssen. Kurzfristig angesetzte Aktionen unmittel- munalpolitik der Gemeinde einzubringen. Dafür müssen bar vor Wahlen sind ineffektiv und verpuffen rasch. Es geht die Jugendlichen aber zuerst die kommunalen Strukturen also nicht um einzelne Aktionen, sondern um den gezielten und Abläufe verstehen. Dies soll durch einen Workshop Aufbau eines demokratischen Grundverständnisses und zum Thema Kommunalpolitik im Jugendzentrum gesche- die Förderung der politischen Partizipation. hen. Darüber hinaus sollen im Workshop Themen, Anlie- Jugendbeteiligung braucht fachliche Beratung und Beglei- gen und Empfehlungen der Jugendlichen gesammelt wer- tung, die in unterschiedlicher Form geleistet werden kann. den, die anschließend an den Gemeinderat weitergege- So wurden z. B. auf Landesebene (finanzielle) Anreize ge- ben werden. Auch in der Schule finden Workshops statt. schaffen, die einen solchen Prozess unterstützen. Mit der Da aber nicht alle Jugendlichen der Gemeinde an der Allianz für Beteiligung und dem Programm „Gut beraten“ Schule erreicht werden können, ist es sinnvoll, einen Work- wurde das Vorhaben in Gundelfingen mit unterstützt.13 348
Die Kommune als Lebens- und Perspektivraum der KOMMUNALPOLITIK, POLITISCHE (WILLENS-)BILDUNG jungen Generation UND JUGENDBETEILIGUNG VERNETZT GESTALTEN (Raphael Walz) In den Köpfen vieler junger Menschen findet Kommunalpo- ANMERKUNGEN litik nur wenig Beachtung. Woran liegt das? In unserer glo- balisierten und vernetzten Welt verfügt nahezu jeder Ju- 1 Vgl. URL: http://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink& query=GemO+BW+Inhaltsverzeichnis&psml=bsbawueprod.psml&max= gendliche über ein Smartphone. Erstmals gibt es eine Ge- true [17.10.2016]. neration Heranwachsender, die eine Welt ohne Computer, 2 Vgl. URL: http://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/Startseite/ Smartphone und Tablet gar nicht mehr kennt. Nachrichten BP2016BW_ ALLG/BP2016BW_ ALLG_SEK1_GK_IK_7–8-9_03_02 [17.10.2016]. werden in Sekundenschnelle über die sozialen Medien 3 Vgl. URL: http://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/Startseite/ (WhatsApp, Facebook, Twitter, Snapchat, Instagram usw.) BP2016BW_ ALLG/BP2016BW_ ALLG_SEK1_GK_IK_7–8-9_03_02 verbreitet und geteilt. Mit Politikerinnen und Politikern ver- [17.10.2016]. 4 Vgl. URL: https://www.baden-wuerttemberg.de/de/regierung/lan- binden die jungen Menschen in erster Linie Bundespolitiker. desregierung/koalitionsvertrag/ [17.10.2016]. Nur wenige sind mit der Landespolitik vertraut. Dass es so 5 Vgl. URL: https://sozialministerium.baden-wuerttemberg.de/de/sozi- etwas wie Kommunalpolitik überhaupt gibt und was es da- ales/kinder-und-jugendliche/zukunftsplan-jugend/ [17.10.2016]. 6 Vgl. Schneekloth, Ulrich (2015): Jugend und Politik: Zwischen positivem mit auf sich hat, können nicht viele Jugendliche spontan – Gesellschaftsbild und anhaltender Politikverdrossenheit. In: Shell Deutsch- ohne Blick ins Internet – beantworten. Zwar haben gewiss land Holding (Hrsg.): Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im die meisten Jugendlichen von Gemeinderätinnen, Gemein- Aufbruch. Frankfurt am Main, S. 153–200. 7 Ebenda, S. 193. deräten und Bürgermeistern gehört, einen Zusammenhang 8 Vgl. URL: http://www.bildungsplaene-bw.de/,Lde/Startseite/ mit dem Begriff „Politik“ stellen jedoch nur wenige her. Da- BP2016BW_ ALLG/BP2016BW_ ALLG_SEK1_GK_LG [17.10.2016]. bei wächst jeder Mensch in einer Gemeinde, ob in einer 9 Vgl. URL: https://www.lpb-bw.de/bwverf/bwverf.htm [17.10.2016]. 10 Vgl. Edelstein, Wolfgang/Fauser, Peter (2001): „Demokratie lernen und Großstadt oder in einer kleinen Kommune, auf und ver- leben“. Gutachten für ein Modellversuchsprogramm der Bund-Länder- bringt hier auch große Teile seiner Freizeit. Jeder von uns Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung. Heft 96. Bonn. nutzt im Laufe seines Lebens die kommunale Infrastruktur, 11 Vgl. Himmelmann, Gerhard (2001): Demokratie als Lebens-, Gesell- schafts- und Herrschaftsform. Ein Lehr- und Studienbuch. Schwalbach/Ts. wie Straßen, Wege, Plätze, Kindergärten, Jugendzentren, 12 Vgl. URL: https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_8/ [17.10.2016]. Schulen oder Turnhallen. Veränderungen an dieser Infra- 13 Vgl. URL: http://allianz-fuer-beteiligung.de/foerderprogramme/gut- struktur sind ohne politische Entscheidungsträger, sind beraten/ [17.10.2016]. ohne Gemeinderat und Bürgermeister nicht möglich. Wenn sich Jugendliche eine neue Skateanlage oder einen UNSER AUTORENTEAM neuen Bolzplatz wünschen, dann beschäftigen sie sich be- reits mit kommunalpolitischen Themen. Dies ins Bewusst- sein der Jugendlichen zu bringen, ihnen vor Augen zu füh- ren, dass sie sich tagtäglich in ihrer Kommune bewegen und dabei an einer Vielzahl von zuvor kommunalpoltisch entschiedenen Projekten vorbeigehen, ist eine Aufgabe, der sich die Gemeinde Gundelfingen sehr gerne annimmt. Ziel ist es, die junge Generation zunächst für Kommunalpo- litik zu sensibilisieren. Ist dieser erste wichtige Schritt er- reicht, kann in einem nächsten Schritt das Interesse an der Teilhabe am kommunalpolitischen Geschehen bei den Ju- Von links nach rechts: Volker Knoop ist Direktor des Albert-Schwei- gendlichen geweckt werden. Den kommunalpolitisch Ver- zer-Gymnasiums. Gabriele Blawert, Vorstandsmitglied von „Bür- antwortlichen ist es ein perspektivisches Anliegen, junge ger für Bürger e.V“. war die Jugendbeteiligung in Gundelfingen Menschen für Kommunalpolitik zu gewinnen. Die Jugend ein großes Anliegen. Filipe Fraga Sousa ist Sozialarbeiter und ist die Zukunft einer jeden Gemeinde. Je mehr junge Men- Leiter des Jugendzentrums Gundelfingen. Raphael Walz ist seit schen sich für ihre Gemeinde interessieren und sich in ihrer 2015 Bürgermeister der Gemeinde Gundelfingen. Udo Wenzl, Gemeinde engagieren, desto positiver können Gemein- systemischer Kommunalberater, begleitet den gesamten Jugend- den in die Zukunft blicken. Wenn es gelingt, junge Men- beteiligungsprozess der Gemeinde Gundelfingen. schen für Kommunalpolitik gar zu begeistern, ist das Enga- gement für das Gemeinwesen in der Zukunft gesichert. Gerade auch vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und bildungspolitischen Initiativen hin zu mehr Ganzta- gesangeboten an Bildungseinrichtungen, kommt der Schule als Sozial- und Lebensraum junger Menschen eine hohe Bedeutung zu. Deshalb ist es richtig und wichtig, die jungen Menschen dort abzuholen. Die Kooperation von Schule und Gemeinde funktioniert in Gundelfingen bereits sehr gut. Deshalb ist der Ansatz, Schule und Kommu- nalpolitik in Workshops zusammenzubringen, äußerst vielversprechend. Denn eine Gemeinde ist nur dann leben- Von links nach rechts: Ann-Kathrin Götz (Gundelfingen), Sarah dig, wenn Gemeinschaft gelebt wird. Und Gemeinschaft, Stötzel (Heuweiler), Xenia Beck (Glottertal); Schülerinnen der Ge- so wie wir sie heute kennen und schätzen, ist ohne das En- meinschaftsschule und vom Gymnasium bildeten das Autorinnen- gagement der heutigen Jugend in Zukunft nicht denkbar. team bei dem Politikworkshop. 349
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