Entspannung in Korea? - Stiftung Wissenschaft und Politik
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SWP-Aktuell Einleitung Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Entspannung in Korea? Zur jüngsten Annäherung zwischen Seoul und Pjöngjang Eric J. Ballbach Die jüngsten Annäherungsversuche zwischen Nord- und Südkorea sind ein wichtiger erster Schritt, um die Lage auf der Halbinsel zu entspannen. Monatelang hatte sich die Konfrontation zwischen Pjöngjang und der internationalen Gemeinschaft über das nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm verschärft. Nun kam es zum ersten innerkoreanischen Dialogprozess seit Ende 2015. Er ist das Resultat einer partiellen, kurz- bis mittelfristigen Interessenkonvergenz von Nord- und Südkorea. Die größte Herausforderung für Seoul wird darin bestehen, den Gesprächskontakt mit Pjöngjang – im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen um Nordkoreas Nuklearprogramm – über das Ende der Olympischen Spiele hinaus zu verstetigen. Dabei liegt es im unmit- telbaren Interesse Deutschlands und der EU, das gegenwärtige Momentum von Dialog und Deeskalation in Korea zu unterstützen. Die deutsche und europäische Politik sollte daher in Washington und Pjöngjang aktiv für einen kreativen, flexiblen und realisti- schen Diplomatie-Ansatz werben. Ihren sichtbaren Anfang nahm die inner- dern widmen sollte: einer möglichen Teil- koreanische Annäherung mit der Neujahrs- nahme Nordkoreas an den Olympischen ansprache Kim Jong Uns am 1. Januar 2018. Winterspielen im südkoreanischen Pyeong- Erstmals seit Moon Jae-in im Mai 2017 das chang (9. bis 25. Februar 2018) sowie etwai- Amt des südkoreanischen Präsidenten gen Maßnahmen zum Abbau militärischer übernommen hatte, reagierte Nordkoreas Spannungen auf der Halbinsel. Die Neu- Staats- und Parteichef positiv auf die wie- jahrsansprache setzte eine beachtliche Ab- derholten Angebote aus Seoul, einen inner- folge von Entwicklungen in Gang. koreanischen Dialog aufzunehmen. Bis Die Administration Moon Jae-ins rea- dahin war Moon vom nordkoreanischen gierte umgehend auf das Signal aus dem Regime weitgehend ignoriert und in den Norden. Südkoreas Wiedervereinigungs- Medien des Landes mehrmals als Lakai minister Cho Myoung-gyon schlug vor, am der USA verunglimpft worden. Doch nun 9. Januar 2018 erste Gespräche abzuhalten, schlug Kim Jong Un einen direkten Aus- und nannte den Grenzort Panmunjom als tausch mit der südkoreanischen Regierung möglichen Tagungsort. Zugleich bot er an, vor, der sich zwei konkreten Themenfel- die wiederholt stillgelegte Telefonhotline Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien SWP-Aktuell 14 Februar 2018 1
zwischen Nord- und Südkorea zu reaktivie- Nuklearprogramms. Dennoch gelang es, ren – nur einen Tag später wurde sie von das Momentum des Dialogs auf inner- Pjöngjang wieder in Betrieb genommen. koreanischer Ebene aufrechtzuerhalten. Am 4. Januar gab Moon Jae-in bekannt, er So kam es am 17. Januar zu einem Treffen habe sich mit US-Präsident Donald Trump auf Ebene der Vize-Vereinigungsminister darauf verständigt, die für Februar geplan- und drei Tage später zu einem gemeinsa- ten gemeinsamen Militärübungen auf die men Dialog der beiden Koreas mit dem Zeit nach den Olympischen Spielen zu Internationalen Olympischen Komitee. verlegen. Einen Tag später stimmte Nord- Bei dem zweiten Termin ging es vor allem korea der Wiederaufnahme des bilateralen darum, die vielfältigen organisatorischen Dialogs zu. Details zu Nordkoreas Teilnahme an den Die ersten innerkoreanischen Gespräche Olympischen Spielen vorzubereiten. Am seit Dezember 2015 fanden dann tatsäch- 21. Januar besuchte ein nordkoreanisches lich am 9. Januar 2018 in Panmunjom statt. Funktionärsteam den Süden zu Vor-Ort- Angeführt wurden sie von zwei erfahrenen Besichtigungen; am 9. Februar traf die Diplomaten der beiderseitigen Beziehun- nordkoreanische Delegation ein, angeführt gen: Südkoreas Wiedervereinigungsminis- von Parlamentspräsident Kim Yong Nam ter Cho Myoung-gyon und dem nordkorea- sowie Kim Jong Uns Schwester Kim Yo Jong nischen Vertreter Ri Son Gwon, Vorsitzen- – sie ist alternierendes Mitglied des Polit- der des einflussreichen Komitees für die büros und Vizedirektorin des Zentralkomi- Friedliche Vereinigung des Vaterlandes. In tees der Arbeiterpartei. Die nordkoreani- den zwölfstündigen Gesprächen einigte sche Delegation traf im Rahmen ihres man sich auf drei zentrale Punkte: mehrtägigen Aufenthalts wiederholt auch 1. Olympia-Teilnahme Nordkoreas. Pjöngjang mit südkoreanischen Regierungsvertretern und Seoul vereinbarten, dass Nordkorea zu formellen und informellen Gesprächen eine »hochrangige Delegation« zu den zusammen. Olympischen Spielen in Pyeongchang ent- senden würde. Diese sollte neben Funktio- nären auch Athleten, Performance-Grup- Partielle Interessenkonvergenz pen, »cheering squads« und Pressevertreter zwischen Seoul und Pjöngjang umfassen. Wie Anfang Februar verlaut- Die Annäherung zwischen Nord- und Süd- barte, sollte die Delegation von Kim Yong korea, die gegenwärtig zu beobachten ist, Nam angeführt werden, dem Parlaments- läuft den Tendenzen der vergangenen Jahre präsidenten und nominellen Staatsober- zuwider. Sie ist die Folge einer partiellen haupt Nordkoreas. Interessenkonvergenz zwischen beiden 2. Militärgespräche. Beide Seiten verstän- Staaten, die zumindest kurz- bis mittelfris- digten sich darauf, Militärgespräche durch- tig bestehen dürfte. Um die Motive Seouls zuführen, die dem Abbau militärischer und Pjöngjangs zu verstehen, ist es un- Spannungen auf der koreanischen Halb- erlässlich, die jüngsten Entwicklungen insel dienen sollen. Die Gespräche sollen sowohl vor einem regionalen Hintergrund zeitnah und ohne Einbindung von Dritt- zu sehen als auch im jeweiligen innen- staaten realisiert werden. politischen Kontext Nord- und Südkoreas. 3. Fortgesetzter Dialog. Seoul und Pjöng- jang wollen den innerkoreanischen Dialog in verschiedenen Bereichen und auf ver- Südkoreas Ziel: Entspannung und schiedenen Ebenen weiterführen. friedliche Spiele Keine Übereinkunft wurde in der Frage Die Motive Seouls für den Annäherungs- der Familienzusammenführung gefunden, kurs sind von kurz- und mittelfristigen, ganz zu schweigen von der immensen aber ebenso von längerfristigen Interessen Herausforderung des nordkoreanischen bestimmt. Kurzfristig war der Wunsch nach SWP-Aktuell 14 Februar 2018 2
einer friedlichen Olympiade zweifellos der früheren Präsidenten Kim Dae-jung ein zentraler Beweggrund dafür, dass die (1998–2003) und Roh Moo-hyun (2003– Administration Moon Jae-ins rasch auf das 2008). Kerngedanke Moon Jae-ins ist die Dialogangebot des Nordens einging. Auf strategische Annahme, dass Kooperation viele Beobachter wirkte die Offerte Kim mit Pjöngjang langfristig die Wahrschein- Jong Uns wie eine List. Tatsächlich hatte lichkeit militärischer Konfrontation redu- die Moon-Administration jedoch bereits seit ziert. Die Grundzüge seiner Politik stellte Monaten über öffentliche wie auch infor- der Präsident in seiner Berliner Rede am mell-diplomatische Initiativen auf dieses 6. Juli 2017 vor. Dabei betonte er, an den »opening« hingearbeitet. Die Einbindung beiden Grundprinzipien der Denuklearisie- Nordkoreas in die Olympischen Spiele bil- rung Nordkoreas und der Vermeidung dete einen zentralen Aspekt dieser Bemü- eines militärischen Konflikts auf der Halb- hungen. So betonte Moon Jae-in nach insel festhalten zu wollen. Gleichzeitig seinem Amtsantritt immer wieder, eine verband er diese Prinzipien mit vier strate- Teilnahme des Nordens an den Spielen böte gischen Zielen: Wiederaufnahme von Ver- die Chance, in direkten Dialog zu treten handlungen und Dialog mit Nordkorea; und so die Spannungen auf der Halbinsel fortgesetzte Sanktionen, solange Pjöngjang zu reduzieren. Die Beteiligung Nordkoreas keine konkreten Schritte zur Denukleari- steigerte aus südkoreanischer Perspektive sierung unternimmt; Verteidigung und nicht nur die symbolische Bedeutung der Abschreckung; eine proaktivere Rolle Spiele, sondern verringerte auch die Gefahr Seouls bei dem Bemühen, die Nuklearfrage von Provokationen. Bislang kam es wäh- zu lösen – zu diesem Zweck sollen die rend Großsportereignissen in Südkorea nie innerkoreanischen Beziehungen gefördert zu nordkoreanischen Störmanövern, wenn und enge Konsultationen mit China und der Norden selbst am jeweiligen Wettbe- Russland angestrebt werden. werb teilnahm. Die Wiederaufnahme von Verhandlun- Der Wiederaufnahme des bilateralen gen und der Dialog mit Nordkorea sind das Dialogs ging auch eine Reihe informeller wichtigste strategische Ziel Moon Jae-ins. Kontakte zwischen offiziellen Vertretern Dabei setzt er darauf, dass parallel Dialoge beider Seiten voraus. Im Dezember 2017 zwischen Seoul und Pjöngjang (zur Lösung etwa trafen sich Abgeordnete der »Gemein- innerkoreanischer Probleme) sowie zwi- samen Demokratischen Partei« und Mitglie- schen Washington und Pjöngjang (zur der des Nationalen Olympischen Komitees Lösung der Nuklearfrage) stattfinden. So Südkoreas in China mit nordkoreanischen vertritt der Präsident zwar durchaus einige (Sport-) Funktionären. Dabei wurden erneut zentrale Elemente der Einbindungspolitik, persönliche Einladungen zur Teilnahme an die bereits Kim Dae-jung und Roh Moo- den Winterspielen übermittelt. hyun gegenüber Nordkorea betrieben. Aller- Die innerkoreanische Initiative ist je- dings lassen sich auch wesentliche Unter- doch auch deshalb so bemerkenswert, weil schiede erkennen. So stellt Moon etwa weit- die Bemühungen beider Staaten über die aus stärker die Bedeutung von Seouls Alli- Olympischen Spiele hinausgehen und dar- anz mit Washington heraus. Auch fordert auf zielen, mittelfristig die militärischen er – anders als die beiden Vorgänger –, das Spannungen abzubauen. Ob dies gelingen Sanktionsregime gegen Nordkorea konti- wird, ist offen. Doch bildet die jüngste nuierlich auszuweiten, sollte das Regime Entwicklung den ersten konkreten Erfolg seine nuklearen Provokationen fortsetzen. der auf Engagement basierenden Nord- Wiederholt bezeichnete Moon das Atom- korea-Strategie von Moon Jae-ins Adminis- programm Pjöngjangs als größte Heraus- tration. forderung, vor der Korea stehe – sollte es In vielen, wenn auch nicht allen Aspek- fortgeführt werden, seien der Friede auf der ten folgt dieser Kurs der Nordkorea-Politik Halbinsel und die Sicherheit Nordkoreas SWP-Aktuell 14 Februar 2018 3
nicht zu garantieren. Anders als seine kon- absehbare Zeit einen weit höheren Stellen- servativen Amtsvorgänger Lee Myung-bak wert einräumen als bisher. Dafür spricht (2008–2013) und Park Geun-hye (2013– nicht zuletzt die Tatsache, dass entspre- 2017) betont Moon jedoch explizit, dass die chende Inhalte den größten Raum in Kim innerkoreanischen Beziehungen federfüh- Jong Uns Neujahrsansprache einnahmen. rend von den beiden Landesteilen selbst zu So erwähnte er etwa eine Reihe geplanter gestalten seien. Er zielt darauf, die dyadi- Initiativen, mit denen die nationale Öko- sche Entwicklungsdynamik zwischen den nomie vorangebracht werden solle, und beiden Koreas zu stärken. ebenso den Ausbau des Tourismus. Seither Für die südkoreanische Administration verwies Kim mehrfach auf die Bedeutung war es damit ein wichtiger erster Schritt der 2018 anstehenden Feierlichkeiten zum zur Umsetzung ihrer Nordkorea-Strategie, 70-jährigen Jubiläum der Staatsgründung dass wieder ein Kommunikationsdraht (offiziell am 9. September). In diesem Rah- nach Pjöngjang entstand, der direkte Dia- men hat Nordkoreas Führung eine Direk- log reaktiviert wurde und Nordkorea an tive zur Verbesserung der Lebenssituation den Olympischen Spielen teilnahm. Inwie- der Bevölkerung ausgegeben. fern es Seoul gelingen wird, die eigene Stra- Dem Ziel der wirtschaftlichen Entwick- tegie im Spannungsfeld der Nuklearkrise lung steht jedoch ein zunehmend wir- weiter zu entfalten, ist aber nicht zuletzt kungsmächtiges Sanktionsregime entge- von der Motivlage Pjöngjangs sowie der gen, das Nordkorea faktisch vom interna- Bereitschaft Washingtons zum Dialog mit tionalen Handel abschneidet. Vor diesem Nordkorea abhängig. Hintergrund strebt die Führung in Pjöng- jang offenbar danach, die Folgen der Druck- politik beherrschbar (oder zumindest be- Nordkoreas Ziel: Wirtschaftsentwicklung herrschbarer) zu machen, indem sie die im Kontext der Sanktionen Beziehungen zu Seoul verbessert. Besonders Bislang hat Nordkorea nicht artikuliert, symbolträchtig ist dabei die Entsendung welche Motive hinter seiner jüngsten An- von Kim Yo Jong, die als erstes Mitglied der näherung an Südkorea stehen. Doch deutet nordkoreanischen Herrscherfamilie seit der innenpolitische Diskurs darauf hin, 1953 den Süden der Halbinsel besuchte. dass sich die nordkoreanische Führung Gerade dieser Schritt deutet darauf hin, zunehmend auf das zweite Element der dass Pjöngjang versucht, durch eine erfolg- nationalen »byungjin«-Strategie konzen- reiche Olympiade das Image Nordkoreas – triert. Diese sieht neben der Entwicklung zumindest auch in Teilen Südkoreas – und von Nuklearwaffen den simultanen Aufbau damit den internationalen Umgang mit der eigenen Wirtschaft vor. So haben seit dem Land zu verändern. Spezifische Adres- November 2017 die Verweise schlagartig saten der neuen Politik Nordkoreas könn- zugenommen, wonach es notwendig sei, ten insbesondere China und Russland sein, ökonomischen Fortschritt zu erreichen die als ständige Mitglieder des UN-Sicher- und die Lebenssituation der Bevölkerung heitsrates über die Zukunft der Sanktionen zu verbessern. In jenem Monat führte Nord- mitentscheiden werden. korea den bislang letzten Test einer Inter- kontinentalrakete durch; damit einher- gehend verkündete das Regime, der Aufbau Verstetigung des innerkoreani- seiner nuklearen Verteidigungskraft sei schen Dialogs nunmehr erfolgreich abgeschlossen. Die Annäherung zwischen Nord- und Süd- Ohne Zweifel wird die Sicherheit des korea ist gewiss ein wichtiger Schritt zum Regimes auch weiterhin oberste strategi- Abbau politischer und militärischer Span- sche Priorität besitzen; doch dürfte Pjöng- nungen, doch sie bedeutet noch keinen jang der wirtschaftlichen Entwicklung auf Durchbruch. Es gibt es viele potentielle Fall- SWP-Aktuell 14 Februar 2018 4
stricke, an denen der fragile Prozess inner- gungen in Ostasien nicht mehr verhandel- koreanischer Aussöhnung noch scheitern bar sei. könnte. Vor diesem Hintergrund besteht Mit Nordkoreas De-facto-Nuklearisierung die zentrale Aufgabe für Seoul darin, den hat sich die Gesprächsgrundlage drama- begonnenen Dialog mit Pjöngjang im tisch verändert. Die Einbindungspolitik Spannungsfeld der Nuklearfrage über die gegenüber Pjöngjang wird dadurch unmit- Olympiade hinaus zu verstetigen. Dabei telbar herausgefordert. Es bleibt das lang- sieht sich Südkorea – und die gesamte fristige Ziel der südkoreanischen Adminis- internationale Gemeinschaft – mit einer tration, dass der Norden vollständig de- Reihe handfester Herausforderungen kon- nuklearisiert wird. Dessen ungeachtet steht frontiert, was Chancen, Grenzen und Risi- Seoul kurz- bis mittelfristig vor dem Prob- ken der Einbindung Nordkoreas in künftige lem, wie mit der neuen Realität umzuge- Dialoginitiativen angeht. hen ist. Dies wirft zum einen die Frage auf, inwiefern sich Moons Nordkorea-Politik mit jener der USA vereinbaren lässt. Zum Veränderte Gesprächsbasis nach anderen gilt es, den strategischen Kern von Nordkoreas »breakout« Seouls Einbindungspolitik zu überprüfen – Seit Nordkoreas atomare Bestrebungen zu Südkorea muss für sich klären, ob es bereit einem Problem der internationalen Politik ist, die Nuklearfrage partiell von weiteren geworden sind, beeinflusst die Nuklear- Bereichen der innerkoreanischen Beziehun- frage direkt und indirekt auch die inner- gen zu entkoppeln. koreanischen Beziehungen. Doch hat die gegenwärtige Situation eine neue Qualität, weil das Land faktisch zur Nuklearmacht Zur Vereinbarkeit von Einbindungs- aufgestiegen ist. So hat Nordkorea seit dem und Druckpolitik Scheitern des Sechs-Parteien-Prozesses Angesichts der Herausforderung, die inner- (2003–2008) und insbesondere seit Amts- koreanischen Beziehungen im Spannungs- antritt Kim Jong Uns (2011) sein nukleares feld der Nuklearkrise voranzubringen, stellt Arsenal konstant ausgebaut, die Träger- sich die Frage, inwiefern Südkoreas Ein- technologien weiterentwickelt, die Spreng- bindungskurs und die von Washington ver- kraft seiner Nuklearwaffen vergrößert und tretene Politik des »maximalen Drucks« nach eigenen Angaben maßgebliche Fort- miteinander kompatibel sind. Tatsächlich schritte bei der Diversifizierung der Waffen- birgt eine umfassende Einbindungspolitik systeme gemacht. gegenüber Nordkorea ein Konfliktpotential Wichtig ist dabei, dass die Bedeutung für Seouls Beziehungen zur Schutzmacht des Atomwaffenstatus für Nordkorea weit Amerika. So warnen kritische Stimmen in über sicherheitspolitische und militärische Südkorea, den USA und Japan, hinter Kim Aspekte hinausgeht. Der Besitz eines nuk- Jong Uns Annäherungskurs stehe das Ziel, learen Abschreckungspotentials gilt nicht einen Keil zwischen Washington und Seoul nur als zentraler Garant für die eigene zu treiben, zumindest aber die einheitliche staatliche Souveränität in Anbetracht der Front der Druckpolitik gegenüber Nord- militärischen Überlegenheit Amerikas und korea aufzuweichen. Zwar verwarf Moon seiner regionalen Verbündeten. Vielmehr Jae-in öffentlich die Möglichkeit, unilateral sieht Pjöngjang im Nuklearprogramm Sanktionen aufzuheben; zudem betonte er mittlerweile auch ein identitätsstiftendes wiederholt, sowohl die USA als auch Süd- Projekt. Durch offizielle Verlautbarungen korea blieben dem Ziel von Nordkoreas wie auch in informellen Dialogen hat die Denuklearisierung verpflichtet. Doch weil nordkoreanische Führung zuletzt wieder- die Vorstellungen mitunter weit auseinan- holt geltend gemacht, dass das Programm dergehen, wie dieses Ziel am besten zu angesichts der bestehenden Rahmenbedin- SWP-Aktuell 14 Februar 2018 5
erreichen ist, könnte es trotzdem zu Span- ren einhergingen. Fortschritte in der Nuk- nungen kommen. learfrage bzw. deren vollständige Lösung Kurzfristiges Konfliktpotential zwischen sahen sie als unabdingbare Voraussetzung Seoul und Washington enthält etwa die dafür, dass es zu positiven Entwicklungen Frage, in welcher Weise die gemeinsamen in anderen Politikbereichen kommt – wie Militärübungen nach dem Ende der Olym- etwa im innerkoreanischen Handel, beim pischen Spielen wiederaufzunehmen sind. Zugang Nordkoreas zu internationalem Sollten die amerikanisch-südkoreanischen Kapital oder bei humanitärer Hilfe für das Manöver – in Dauer, Ausrichtung und Land. Im Gegensatz dazu entkoppelten die Umfang – unverändert fortgesetzt werden, Präsidenten Kim Dae-jung und Roh Moo- dürfte dies den innerkoreanischen Dialog hyun sicherheitspolitische Fragen fast negativ beeinflussen. Dies wiederum würde völlig von anderen Bereichen der inner- einen herben Rückschlag für Moons Nord- koreanischen Beziehungen. korea-Politik bedeuten. Auf praktischer Ebe- Moon Jae-in wiederum setzt eher auf ne kommt hinzu, dass Seouls Einbindungs- eine partielle Entkopplung, die auf weniger politik im Spannungsfeld eines immer brei- sensible Bereiche und insbesondere huma- teren Sanktionskatalogs operieren muss. nitäre Fragen zielt. Damit soll es möglich Unter diesen Rahmenbedingungen ist mehr werden, Raum für eine stetige Vertrauens- als fraglich, ob sich größere innerkoreani- bildung zwischen den beiden Koreas zu sche Kooperationsprojekte überhaupt wie- schaffen und mittelfristig auch Militär- deraufnehmen ließen. gespräche zu führen. Der Präsident ist über- zeugt, dass eine so sensible Krise wie die um Nordkoreas Nuklearprogramm nur Entkopplung der Nuklearfrage von dann diplomatisch überwunden werden anderen Politikbereichen? kann, wenn Vertrauen zwischen den Akteu- Die verschiedenen Administrationen der ren aufgebaut wird. Nötig sind demnach (1987 begründeten) Sechsten Republik Versuche, die Beziehungen mit Nordkorea Südkoreas unterscheiden sich hinsichtlich zu normalisieren – sowohl diejenigen Süd- ihrer jeweiligen Nordkorea-Politik vor koreas als auch jene der USA. allem in einem Punkt. Dabei ging und geht es um die Frage, ob eine Lösung des Nuk- learstreits als Vorbedingung dafür gelten Ein Prozess der kleinen Schritte soll, die innerkoreanischen Beziehungen In den vergangenen Jahren haben sich die zu entwickeln, oder ob sich bestimmte Auseinandersetzungen um Pjöngjangs Bereiche des vielschichtigen Verhältnisses Nuklearprogramm zugespitzt und die Be- von den sicherheitspolitischen Aspekten ziehungen zwischen Nord- und Südkorea des Atomkonflikts entkoppeln lassen. kontinuierlich verschlechtert. Vor diesem Präsident Moon Jae-in lehnt es ab, dass Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel, die innerkoreanischen Beziehungen voll- ob es tatsächlich Chancen gibt, die mannig- ständig durch die Nuklearfrage bestimmt faltigen Herausforderungen im Verhältnis werden. Nach seiner Überzeugung müssen zu Nordkorea durch einen »grand bargain« bestimmte Felder der bilateralen Beziehun- zu lösen. Zu weit liegen die Interessen der gen dauerhaft geregelt werden – auch und involvierten Mächte auseinander, zu groß gerade im Fall sicherheitspolitischer und ist das wechselseitige Misstrauen, als dass militärischer Spannungen. Dieser Ansatz ein umfassender Verhandlungserfolg der- unterscheidet sich maßgeblich von jenem zeit realistisch erscheint. seiner beiden direkten Amtsvorgänger. So- Dies wird auch von Vertretern der US- wohl Lee Myung-bak als auch Park Geun- Administration anerkannt. So betonte etwa hye machten geltend, dass mit Nordkoreas Nikki Haley, die amerikanische Botschafte- Streben nach Atomwaffen enorme Gefah- rin bei den Vereinten Nationen, dass sich SWP-Aktuell 14 Februar 2018 6
die Lösung der Nuklearfrage »in Phasen« auf der Halbinsel abzubauen, das interna- vollziehen müsse. Umgekehrt setzt ein pro- tionale Nichtverbreitungsregime aufrecht- zessuales Vorgehen aber voraus, dass alle zuerhalten und die Menschenrechtslage in beteiligten Akteure den politischen Willen Nordkorea zu verbessern. dafür aufbringen und auch dauerhaft auf- An sich umfasst die EU-Strategie gegen- rechterhalten. In der Vergangenheit führ- über Pjöngjang sowohl Strafmaßnahmen ten Regierungswechsel in Südkorea, den als auch Einbindungsinitiativen. Seit je- USA oder Japan wiederholt zu einer Abkehr doch 2002/2003 die zweite Nuklearkrise von der bisherigen Nordkorea-Politik des ausbrach, hat die EU eigenständige Initia- betreffenden Landes, was einen konsis- tiven politischer und diplomatischer Art – tenten Kurs verhinderte. Ob es nun aber wie etwa den von 1998 bis 2005 insgesamt darum geht, die innerkoreanischen Bezie- 14 Mal abgehaltenen politischen Dialog – hungen zu normalisieren oder die Nuklear- sukzessive verringert bzw. gestoppt. Da- frage diplomatisch zu lösen – dafür sind gegen unterstützt die EU aktiv die Auswei- jeweils langfristige Prozesse notwendig, die tung des Sanktionsregimes gegen Pjöng- ein hohes Maß an politischer Entschlossen- jang. Eine darüber hinausreichende, lang- heit in Washington, Seoul und Pjöngjang fristige Nordkorea-Strategie der EU ist nicht voraussetzen. Die entsprechende Beharr- erkennbar. Vielmehr scheint in Europa lichkeit unter Umständen auch über meh- weitgehend Konsens zu bestehen, dass die rere Administrationen hinweg aufzubrin- Möglichkeiten der EU eher begrenzt sind, gen stellt in beiden Fällen eine große Her- die Sicherheitssituation auf der koreani- ausforderung dar. Sowohl Südkorea als schen Halbinsel direkt zu beeinflussen. auch die USA sind innenpolitisch gespal- Die Europäer sind jedoch nicht zu voll- ten, was die Frage der richtigen Strategie ständiger Passivität verdammt. Zu viel steht gegenüber Nordkorea angeht. Dabei schei- auch für sie auf dem Spiel. Dies gilt vor nen die jeweiligen Positionen unvereinbar. allem für ihre ökonomischen Interessen in Unter diesen Bedingungen ist nur schwer der nordostasiatischen Region, mit der vorstellbar, dass der politische Wille vor- Europa wirtschaftlich eng verflochten ist. handen sein wird, der zur diplomatischen Ein militärischer Konflikt in Korea hätte für Beilegung der Nordkorea-Krise erforderlich die europäische Wirtschaft fatale Folgen – wäre. nicht zuletzt da unmittelbare Auswirkun- gen auf Handels- und Investitionsströme zu erwarten wären. Doch Europas Politik Implikationen für Deutschland gegenüber der Region ist nicht nur wirt- und Europa schaftlich motiviert. Berührt sind Kern- Während sich die Verhältnisse auf der Halb- interessen der EU auch durch das Risiko, insel in den vergangenen Monaten besorg- dass Pjöngjang nukleare Proliferation be- niserregend zugespitzt haben, kam auch treibt, durch die anhaltende Aushöhlung die Debatte wieder in Gang, wie Europa zu des Nichtverbreitungsvertrages (NVV) Frieden und Stabilität in Korea beitragen und die desolate Menschenrechtslage in könnte. Angefacht wurde diese Diskussion Nordkorea. Zugleich ist es ein Anliegen der nicht zuletzt durch Äußerungen von Bun- EU, dass Multilateralismus und Diplomatie deskanzlerin Angela Merkel und Außen- in Nordostasien gestärkt werden. minister Sigmar Gabriel. Beide sprachen Angesichts dieser Interessen muss die EU von der Möglichkeit, dass Deutschland und auf die Entwicklungen in Korea reagieren – Europa sich verstärkt dafür engagieren, die und sie kann das auch. So besitzt die EU Krise diplomatisch beizulegen. Formell voll- auf diplomatischer Ebene mehrere aktive zieht sich die EU-Politik gegenüber Nord- Kanäle nach Nordkorea, und sie unterhält korea gemäß dem Ansatz eines »critical gute Beziehungen zu allen anderen Staaten engagement«. Er zielt darauf, Spannungen der Region. Zunächst einmal sollten die SWP-Aktuell 14 Februar 2018 7
betreffenden Mitgliedsländer der EU die be- tionsregime aufzugeben – es bleibt ein zen- stehenden diplomatischen Drähte nutzen, trales Element des Gesamtansatzes gegen- um aktiv für eine deeskalierende Politik über Nordkorea. Wohl aber würden die und einen kreativen, flexiblen und realisti- Sanktionen auf diese Weise in eine um- schen Diplomatie-Ansatz in Washington fassendere und langfristig zielführendere und Pjöngjang zu werben. Damit ließe sich Strategie eingebettet. das gegenwärtige Momentum des Dialogs direkt befördern. Dabei geht es auch und gerade darum, kurzfristige Maßnahmen zu unterstützen. Betreffen könnte dies etwa eine Variante des als »double-freeze« bezeichneten Vor- schlags, den China und Russland unter- breitet haben. Er sieht vor, die nordkorea- © Stiftung Wissenschaft und nischen Testaktivitäten einerseits und die Politik, 2018 gemeinsamen Militärübungen Südkoreas Alle Rechte vorbehalten und der USA andererseits parallel zu stop- Das Aktuell gibt die Auf- pen. Durch einen diplomatischen Prozess, fassung des Autors wieder. der notwendigerweise auch einen direkten In der Online-Version dieser Dialog zwischen Pjöngjang und Washing- Publikation sind Verweise auf ton umfassen muss, wird sich das Ziel der andere SWP-Schriften und wichtige Quellen anklickbar. Denuklearisierung Nordkoreas zwar nicht kurzfristig erreichen lassen. Doch letztlich SWP-Aktuells werden intern einem Begutachtungsverfah- kann nur über Diplomatie – verstanden im ren, einem Faktencheck und Sinne von Staatskunst – das Worst-Case- einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen Szenario einer militärischen Konfrontation zur Qualitätssicherung der in Korea verhindert werden. SWP finden Sie auf der SWP‐ Vor diesem Hintergrund ist ebenfalls Website unter https://www. swp-berlin.org/ueber-uns/ denkbar, im Verhältnis zu Nordkorea qualitaetssicherung/ gezielt Track-II-Prozesse (nichtstaatlicher Stiftung Wissenschaft und Akteure) bzw. Track-1,5-Prozesse (staatlicher Politik und nichtstaatlicher Akteure) zu stärken. Deutsches Institut für Internationale Politik und Gefragt sind dabei einzelne europäische Sicherheit Staaten, wie vor allem Schweden, aber auch Ludwigkirchplatz 34 Deutschland. Im Rahmen solcher Dialoge 10719 Berlin finden wichtige Vorverhandlungen bzw. Telefon +49 30 880 07-0 begleitende Verhandlungen statt, die sich Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org etwa konkreten Schritten der Vertrauens- swp@swp-berlin.org bildung widmen oder in denen »rote Linien« ISSN 1611-6364 definiert werden. Einbringen ließen sich hier europäische Erfahrungen zu Themen wie Abrüstung, Vertrauensbildung, Multi- lateralismus oder Vergangenheitsaufarbei- tung. Ein multidimensionaler Dialog mit Pjöng- jang wird essentiell sein, um die sicher- heitspolitischen Herausforderungen auf der koreanischen Halbinsel langfristig zu be- wältigen. Einen solchen Dialog zu verwirk- lichen bedeutet nicht, das bestehende Sank- SWP-Aktuell 14 Februar 2018 8
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