Entspannung in Korea? - Stiftung Wissenschaft und Politik

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Entspannung in Korea?
Zur jüngsten Annäherung zwischen Seoul und Pjöngjang
Eric J. Ballbach

Die jüngsten Annäherungsversuche zwischen Nord- und Südkorea sind ein wichtiger
erster Schritt, um die Lage auf der Halbinsel zu entspannen. Monatelang hatte sich die
Konfrontation zwischen Pjöngjang und der internationalen Gemeinschaft über das
nordkoreanische Nuklear- und Raketenprogramm verschärft. Nun kam es zum ersten
innerkoreanischen Dialogprozess seit Ende 2015. Er ist das Resultat einer partiellen,
kurz- bis mittelfristigen Interessenkonvergenz von Nord- und Südkorea. Die größte
Herausforderung für Seoul wird darin bestehen, den Gesprächskontakt mit Pjöngjang –
im Spannungsfeld der Auseinandersetzungen um Nordkoreas Nuklearprogramm –
über das Ende der Olympischen Spiele hinaus zu verstetigen. Dabei liegt es im unmit-
telbaren Interesse Deutschlands und der EU, das gegenwärtige Momentum von Dialog
und Deeskalation in Korea zu unterstützen. Die deutsche und europäische Politik sollte
daher in Washington und Pjöngjang aktiv für einen kreativen, flexiblen und realisti-
schen Diplomatie-Ansatz werben.

Ihren sichtbaren Anfang nahm die inner-                             dern widmen sollte: einer möglichen Teil-
koreanische Annäherung mit der Neujahrs-                            nahme Nordkoreas an den Olympischen
ansprache Kim Jong Uns am 1. Januar 2018.                           Winterspielen im südkoreanischen Pyeong-
Erstmals seit Moon Jae-in im Mai 2017 das                           chang (9. bis 25. Februar 2018) sowie etwai-
Amt des südkoreanischen Präsidenten                                 gen Maßnahmen zum Abbau militärischer
übernommen hatte, reagierte Nordkoreas                              Spannungen auf der Halbinsel. Die Neu-
Staats- und Parteichef positiv auf die wie-                         jahrsansprache setzte eine beachtliche Ab-
derholten Angebote aus Seoul, einen inner-                          folge von Entwicklungen in Gang.
koreanischen Dialog aufzunehmen. Bis                                    Die Administration Moon Jae-ins rea-
dahin war Moon vom nordkoreanischen                                 gierte umgehend auf das Signal aus dem
Regime weitgehend ignoriert und in den                              Norden. Südkoreas Wiedervereinigungs-
Medien des Landes mehrmals als Lakai                                minister Cho Myoung-gyon schlug vor, am
der USA verunglimpft worden. Doch nun                               9. Januar 2018 erste Gespräche abzuhalten,
schlug Kim Jong Un einen direkten Aus-                              und nannte den Grenzort Panmunjom als
tausch mit der südkoreanischen Regierung                            möglichen Tagungsort. Zugleich bot er an,
vor, der sich zwei konkreten Themenfel-                             die wiederholt stillgelegte Telefonhotline

Dr. Eric J. Ballbach ist Gastwissenschaftler in der Forschungsgruppe Asien                                               SWP-Aktuell 14
                                                                                                                          Februar 2018

                                                                                                                                     1
zwischen Nord- und Südkorea zu reaktivie-       Nuklearprogramms. Dennoch gelang es,
                 ren – nur einen Tag später wurde sie von        das Momentum des Dialogs auf inner-
                 Pjöngjang wieder in Betrieb genommen.           koreanischer Ebene aufrechtzuerhalten.
                 Am 4. Januar gab Moon Jae-in bekannt, er        So kam es am 17. Januar zu einem Treffen
                 habe sich mit US-Präsident Donald Trump         auf Ebene der Vize-Vereinigungsminister
                 darauf verständigt, die für Februar geplan-     und drei Tage später zu einem gemeinsa-
                 ten gemeinsamen Militärübungen auf die          men Dialog der beiden Koreas mit dem
                 Zeit nach den Olympischen Spielen zu            Internationalen Olympischen Komitee.
                 verlegen. Einen Tag später stimmte Nord-        Bei dem zweiten Termin ging es vor allem
                 korea der Wiederaufnahme des bilateralen        darum, die vielfältigen organisatorischen
                 Dialogs zu.                                     Details zu Nordkoreas Teilnahme an den
                    Die ersten innerkoreanischen Gespräche       Olympischen Spielen vorzubereiten. Am
                 seit Dezember 2015 fanden dann tatsäch-         21. Januar besuchte ein nordkoreanisches
                 lich am 9. Januar 2018 in Panmunjom statt.      Funktionärsteam den Süden zu Vor-Ort-
                 Angeführt wurden sie von zwei erfahrenen        Besichtigungen; am 9. Februar traf die
                 Diplomaten der beiderseitigen Beziehun-         nordkoreanische Delegation ein, angeführt
                 gen: Südkoreas Wiedervereinigungsminis-         von Parlamentspräsident Kim Yong Nam
                 ter Cho Myoung-gyon und dem nordkorea-          sowie Kim Jong Uns Schwester Kim Yo Jong
                 nischen Vertreter Ri Son Gwon, Vorsitzen-       – sie ist alternierendes Mitglied des Polit-
                 der des einflussreichen Komitees für die        büros und Vizedirektorin des Zentralkomi-
                 Friedliche Vereinigung des Vaterlandes. In      tees der Arbeiterpartei. Die nordkoreani-
                 den zwölfstündigen Gesprächen einigte           sche Delegation traf im Rahmen ihres
                 man sich auf drei zentrale Punkte:              mehrtägigen Aufenthalts wiederholt auch
                    1. Olympia-Teilnahme Nordkoreas. Pjöngjang   mit südkoreanischen Regierungsvertretern
                 und Seoul vereinbarten, dass Nordkorea          zu formellen und informellen Gesprächen
                 eine »hochrangige Delegation« zu den            zusammen.
                 Olympischen Spielen in Pyeongchang ent-
                 senden würde. Diese sollte neben Funktio-
                 nären auch Athleten, Performance-Grup-          Partielle Interessenkonvergenz
                 pen, »cheering squads« und Pressevertreter      zwischen Seoul und Pjöngjang
                 umfassen. Wie Anfang Februar verlaut-           Die Annäherung zwischen Nord- und Süd-
                 barte, sollte die Delegation von Kim Yong       korea, die gegenwärtig zu beobachten ist,
                 Nam angeführt werden, dem Parlaments-           läuft den Tendenzen der vergangenen Jahre
                 präsidenten und nominellen Staatsober-          zuwider. Sie ist die Folge einer partiellen
                 haupt Nordkoreas.                               Interessenkonvergenz zwischen beiden
                    2. Militärgespräche. Beide Seiten verstän-   Staaten, die zumindest kurz- bis mittelfris-
                 digten sich darauf, Militärgespräche durch-     tig bestehen dürfte. Um die Motive Seouls
                 zuführen, die dem Abbau militärischer           und Pjöngjangs zu verstehen, ist es un-
                 Spannungen auf der koreanischen Halb-           erlässlich, die jüngsten Entwicklungen
                 insel dienen sollen. Die Gespräche sollen       sowohl vor einem regionalen Hintergrund
                 zeitnah und ohne Einbindung von Dritt-          zu sehen als auch im jeweiligen innen-
                 staaten realisiert werden.                      politischen Kontext Nord- und Südkoreas.
                    3. Fortgesetzter Dialog. Seoul und Pjöng-
                 jang wollen den innerkoreanischen Dialog
                 in verschiedenen Bereichen und auf ver-         Südkoreas Ziel: Entspannung und
                 schiedenen Ebenen weiterführen.                 friedliche Spiele
                    Keine Übereinkunft wurde in der Frage        Die Motive Seouls für den Annäherungs-
                 der Familienzusammenführung gefunden,           kurs sind von kurz- und mittelfristigen,
                 ganz zu schweigen von der immensen              aber ebenso von längerfristigen Interessen
                 Herausforderung des nordkoreanischen            bestimmt. Kurzfristig war der Wunsch nach

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Februar 2018

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einer friedlichen Olympiade zweifellos        der früheren Präsidenten Kim Dae-jung
ein zentraler Beweggrund dafür, dass die      (1998–2003) und Roh Moo-hyun (2003–
Administration Moon Jae-ins rasch auf das     2008). Kerngedanke Moon Jae-ins ist die
Dialogangebot des Nordens einging. Auf        strategische Annahme, dass Kooperation
viele Beobachter wirkte die Offerte Kim       mit Pjöngjang langfristig die Wahrschein-
Jong Uns wie eine List. Tatsächlich hatte     lichkeit militärischer Konfrontation redu-
die Moon-Administration jedoch bereits seit   ziert. Die Grundzüge seiner Politik stellte
Monaten über öffentliche wie auch infor-      der Präsident in seiner Berliner Rede am
mell-diplomatische Initiativen auf dieses     6. Juli 2017 vor. Dabei betonte er, an den
»opening« hingearbeitet. Die Einbindung       beiden Grundprinzipien der Denuklearisie-
Nordkoreas in die Olympischen Spiele bil-     rung Nordkoreas und der Vermeidung
dete einen zentralen Aspekt dieser Bemü-      eines militärischen Konflikts auf der Halb-
hungen. So betonte Moon Jae-in nach           insel festhalten zu wollen. Gleichzeitig
seinem Amtsantritt immer wieder, eine         verband er diese Prinzipien mit vier strate-
Teilnahme des Nordens an den Spielen böte     gischen Zielen: Wiederaufnahme von Ver-
die Chance, in direkten Dialog zu treten      handlungen und Dialog mit Nordkorea;
und so die Spannungen auf der Halbinsel       fortgesetzte Sanktionen, solange Pjöngjang
zu reduzieren. Die Beteiligung Nordkoreas     keine konkreten Schritte zur Denukleari-
steigerte aus südkoreanischer Perspektive     sierung unternimmt; Verteidigung und
nicht nur die symbolische Bedeutung der       Abschreckung; eine proaktivere Rolle
Spiele, sondern verringerte auch die Gefahr   Seouls bei dem Bemühen, die Nuklearfrage
von Provokationen. Bislang kam es wäh-        zu lösen – zu diesem Zweck sollen die
rend Großsportereignissen in Südkorea nie     innerkoreanischen Beziehungen gefördert
zu nordkoreanischen Störmanövern, wenn        und enge Konsultationen mit China und
der Norden selbst am jeweiligen Wettbe-       Russland angestrebt werden.
werb teilnahm.                                    Die Wiederaufnahme von Verhandlun-
   Der Wiederaufnahme des bilateralen         gen und der Dialog mit Nordkorea sind das
Dialogs ging auch eine Reihe informeller      wichtigste strategische Ziel Moon Jae-ins.
Kontakte zwischen offiziellen Vertretern      Dabei setzt er darauf, dass parallel Dialoge
beider Seiten voraus. Im Dezember 2017        zwischen Seoul und Pjöngjang (zur Lösung
etwa trafen sich Abgeordnete der »Gemein-     innerkoreanischer Probleme) sowie zwi-
samen Demokratischen Partei« und Mitglie-     schen Washington und Pjöngjang (zur
der des Nationalen Olympischen Komitees       Lösung der Nuklearfrage) stattfinden. So
Südkoreas in China mit nordkoreanischen       vertritt der Präsident zwar durchaus einige
(Sport-) Funktionären. Dabei wurden erneut    zentrale Elemente der Einbindungspolitik,
persönliche Einladungen zur Teilnahme an      die bereits Kim Dae-jung und Roh Moo-
den Winterspielen übermittelt.                hyun gegenüber Nordkorea betrieben. Aller-
   Die innerkoreanische Initiative ist je-    dings lassen sich auch wesentliche Unter-
doch auch deshalb so bemerkenswert, weil      schiede erkennen. So stellt Moon etwa weit-
die Bemühungen beider Staaten über die        aus stärker die Bedeutung von Seouls Alli-
Olympischen Spiele hinausgehen und dar-       anz mit Washington heraus. Auch fordert
auf zielen, mittelfristig die militärischen   er – anders als die beiden Vorgänger –, das
Spannungen abzubauen. Ob dies gelingen        Sanktionsregime gegen Nordkorea konti-
wird, ist offen. Doch bildet die jüngste      nuierlich auszuweiten, sollte das Regime
Entwicklung den ersten konkreten Erfolg       seine nuklearen Provokationen fortsetzen.
der auf Engagement basierenden Nord-          Wiederholt bezeichnete Moon das Atom-
korea-Strategie von Moon Jae-ins Adminis-     programm Pjöngjangs als größte Heraus-
tration.                                      forderung, vor der Korea stehe – sollte es
   In vielen, wenn auch nicht allen Aspek-    fortgeführt werden, seien der Friede auf der
ten folgt dieser Kurs der Nordkorea-Politik   Halbinsel und die Sicherheit Nordkoreas

                                                                                             SWP-Aktuell 14
                                                                                              Februar 2018

                                                                                                         3
nicht zu garantieren. Anders als seine kon-     absehbare Zeit einen weit höheren Stellen-
                 servativen Amtsvorgänger Lee Myung-bak          wert einräumen als bisher. Dafür spricht
                 (2008–2013) und Park Geun-hye (2013–            nicht zuletzt die Tatsache, dass entspre-
                 2017) betont Moon jedoch explizit, dass die     chende Inhalte den größten Raum in Kim
                 innerkoreanischen Beziehungen federfüh-         Jong Uns Neujahrsansprache einnahmen.
                 rend von den beiden Landesteilen selbst zu      So erwähnte er etwa eine Reihe geplanter
                 gestalten seien. Er zielt darauf, die dyadi-    Initiativen, mit denen die nationale Öko-
                 sche Entwicklungsdynamik zwischen den           nomie vorangebracht werden solle, und
                 beiden Koreas zu stärken.                       ebenso den Ausbau des Tourismus. Seither
                    Für die südkoreanische Administration        verwies Kim mehrfach auf die Bedeutung
                 war es damit ein wichtiger erster Schritt       der 2018 anstehenden Feierlichkeiten zum
                 zur Umsetzung ihrer Nordkorea-Strategie,        70-jährigen Jubiläum der Staatsgründung
                 dass wieder ein Kommunikationsdraht             (offiziell am 9. September). In diesem Rah-
                 nach Pjöngjang entstand, der direkte Dia-       men hat Nordkoreas Führung eine Direk-
                 log reaktiviert wurde und Nordkorea an          tive zur Verbesserung der Lebenssituation
                 den Olympischen Spielen teilnahm. Inwie-        der Bevölkerung ausgegeben.
                 fern es Seoul gelingen wird, die eigene Stra-      Dem Ziel der wirtschaftlichen Entwick-
                 tegie im Spannungsfeld der Nuklearkrise         lung steht jedoch ein zunehmend wir-
                 weiter zu entfalten, ist aber nicht zuletzt     kungsmächtiges Sanktionsregime entge-
                 von der Motivlage Pjöngjangs sowie der          gen, das Nordkorea faktisch vom interna-
                 Bereitschaft Washingtons zum Dialog mit         tionalen Handel abschneidet. Vor diesem
                 Nordkorea abhängig.                             Hintergrund strebt die Führung in Pjöng-
                                                                 jang offenbar danach, die Folgen der Druck-
                                                                 politik beherrschbar (oder zumindest be-
                 Nordkoreas Ziel: Wirtschaftsentwicklung         herrschbarer) zu machen, indem sie die
                 im Kontext der Sanktionen                       Beziehungen zu Seoul verbessert. Besonders
                 Bislang hat Nordkorea nicht artikuliert,        symbolträchtig ist dabei die Entsendung
                 welche Motive hinter seiner jüngsten An-        von Kim Yo Jong, die als erstes Mitglied der
                 näherung an Südkorea stehen. Doch deutet        nordkoreanischen Herrscherfamilie seit
                 der innenpolitische Diskurs darauf hin,         1953 den Süden der Halbinsel besuchte.
                 dass sich die nordkoreanische Führung           Gerade dieser Schritt deutet darauf hin,
                 zunehmend auf das zweite Element der            dass Pjöngjang versucht, durch eine erfolg-
                 nationalen »byungjin«-Strategie konzen-         reiche Olympiade das Image Nordkoreas –
                 triert. Diese sieht neben der Entwicklung       zumindest auch in Teilen Südkoreas – und
                 von Nuklearwaffen den simultanen Aufbau         damit den internationalen Umgang mit
                 der eigenen Wirtschaft vor. So haben seit       dem Land zu verändern. Spezifische Adres-
                 November 2017 die Verweise schlagartig          saten der neuen Politik Nordkoreas könn-
                 zugenommen, wonach es notwendig sei,            ten insbesondere China und Russland sein,
                 ökonomischen Fortschritt zu erreichen           die als ständige Mitglieder des UN-Sicher-
                 und die Lebenssituation der Bevölkerung         heitsrates über die Zukunft der Sanktionen
                 zu verbessern. In jenem Monat führte Nord-      mitentscheiden werden.
                 korea den bislang letzten Test einer Inter-
                 kontinentalrakete durch; damit einher-
                 gehend verkündete das Regime, der Aufbau        Verstetigung des innerkoreani-
                 seiner nuklearen Verteidigungskraft sei         schen Dialogs
                 nunmehr erfolgreich abgeschlossen.              Die Annäherung zwischen Nord- und Süd-
                    Ohne Zweifel wird die Sicherheit des         korea ist gewiss ein wichtiger Schritt zum
                 Regimes auch weiterhin oberste strategi-        Abbau politischer und militärischer Span-
                 sche Priorität besitzen; doch dürfte Pjöng-     nungen, doch sie bedeutet noch keinen
                 jang der wirtschaftlichen Entwicklung auf       Durchbruch. Es gibt es viele potentielle Fall-

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stricke, an denen der fragile Prozess inner-    gungen in Ostasien nicht mehr verhandel-
koreanischer Aussöhnung noch scheitern          bar sei.
könnte. Vor diesem Hintergrund besteht             Mit Nordkoreas De-facto-Nuklearisierung
die zentrale Aufgabe für Seoul darin, den       hat sich die Gesprächsgrundlage drama-
begonnenen Dialog mit Pjöngjang im              tisch verändert. Die Einbindungspolitik
Spannungsfeld der Nuklearfrage über die         gegenüber Pjöngjang wird dadurch unmit-
Olympiade hinaus zu verstetigen. Dabei          telbar herausgefordert. Es bleibt das lang-
sieht sich Südkorea – und die gesamte           fristige Ziel der südkoreanischen Adminis-
internationale Gemeinschaft – mit einer         tration, dass der Norden vollständig de-
Reihe handfester Herausforderungen kon-         nuklearisiert wird. Dessen ungeachtet steht
frontiert, was Chancen, Grenzen und Risi-       Seoul kurz- bis mittelfristig vor dem Prob-
ken der Einbindung Nordkoreas in künftige       lem, wie mit der neuen Realität umzuge-
Dialoginitiativen angeht.                       hen ist. Dies wirft zum einen die Frage auf,
                                                inwiefern sich Moons Nordkorea-Politik
                                                mit jener der USA vereinbaren lässt. Zum
Veränderte Gesprächsbasis nach                  anderen gilt es, den strategischen Kern von
Nordkoreas »breakout«                           Seouls Einbindungspolitik zu überprüfen –
Seit Nordkoreas atomare Bestrebungen zu         Südkorea muss für sich klären, ob es bereit
einem Problem der internationalen Politik       ist, die Nuklearfrage partiell von weiteren
geworden sind, beeinflusst die Nuklear-         Bereichen der innerkoreanischen Beziehun-
frage direkt und indirekt auch die inner-       gen zu entkoppeln.
koreanischen Beziehungen. Doch hat die
gegenwärtige Situation eine neue Qualität,
weil das Land faktisch zur Nuklearmacht         Zur Vereinbarkeit von Einbindungs-
aufgestiegen ist. So hat Nordkorea seit dem     und Druckpolitik
Scheitern des Sechs-Parteien-Prozesses          Angesichts der Herausforderung, die inner-
(2003–2008) und insbesondere seit Amts-         koreanischen Beziehungen im Spannungs-
antritt Kim Jong Uns (2011) sein nukleares      feld der Nuklearkrise voranzubringen, stellt
Arsenal konstant ausgebaut, die Träger-         sich die Frage, inwiefern Südkoreas Ein-
technologien weiterentwickelt, die Spreng-      bindungskurs und die von Washington ver-
kraft seiner Nuklearwaffen vergrößert und       tretene Politik des »maximalen Drucks«
nach eigenen Angaben maßgebliche Fort-          miteinander kompatibel sind. Tatsächlich
schritte bei der Diversifizierung der Waffen-   birgt eine umfassende Einbindungspolitik
systeme gemacht.                                gegenüber Nordkorea ein Konfliktpotential
   Wichtig ist dabei, dass die Bedeutung        für Seouls Beziehungen zur Schutzmacht
des Atomwaffenstatus für Nordkorea weit         Amerika. So warnen kritische Stimmen in
über sicherheitspolitische und militärische     Südkorea, den USA und Japan, hinter Kim
Aspekte hinausgeht. Der Besitz eines nuk-       Jong Uns Annäherungskurs stehe das Ziel,
learen Abschreckungspotentials gilt nicht       einen Keil zwischen Washington und Seoul
nur als zentraler Garant für die eigene         zu treiben, zumindest aber die einheitliche
staatliche Souveränität in Anbetracht der       Front der Druckpolitik gegenüber Nord-
militärischen Überlegenheit Amerikas und        korea aufzuweichen. Zwar verwarf Moon
seiner regionalen Verbündeten. Vielmehr         Jae-in öffentlich die Möglichkeit, unilateral
sieht Pjöngjang im Nuklearprogramm              Sanktionen aufzuheben; zudem betonte er
mittlerweile auch ein identitätsstiftendes      wiederholt, sowohl die USA als auch Süd-
Projekt. Durch offizielle Verlautbarungen       korea blieben dem Ziel von Nordkoreas
wie auch in informellen Dialogen hat die        Denuklearisierung verpflichtet. Doch weil
nordkoreanische Führung zuletzt wieder-         die Vorstellungen mitunter weit auseinan-
holt geltend gemacht, dass das Programm         dergehen, wie dieses Ziel am besten zu
angesichts der bestehenden Rahmenbedin-

                                                                                                SWP-Aktuell 14
                                                                                                 Februar 2018

                                                                                                            5
erreichen ist, könnte es trotzdem zu Span-     ren einhergingen. Fortschritte in der Nuk-
                 nungen kommen.                                 learfrage bzw. deren vollständige Lösung
                    Kurzfristiges Konfliktpotential zwischen    sahen sie als unabdingbare Voraussetzung
                 Seoul und Washington enthält etwa die          dafür, dass es zu positiven Entwicklungen
                 Frage, in welcher Weise die gemeinsamen        in anderen Politikbereichen kommt – wie
                 Militärübungen nach dem Ende der Olym-         etwa im innerkoreanischen Handel, beim
                 pischen Spielen wiederaufzunehmen sind.        Zugang Nordkoreas zu internationalem
                 Sollten die amerikanisch-südkoreanischen       Kapital oder bei humanitärer Hilfe für das
                 Manöver – in Dauer, Ausrichtung und            Land. Im Gegensatz dazu entkoppelten die
                 Umfang – unverändert fortgesetzt werden,       Präsidenten Kim Dae-jung und Roh Moo-
                 dürfte dies den innerkoreanischen Dialog       hyun sicherheitspolitische Fragen fast
                 negativ beeinflussen. Dies wiederum würde      völlig von anderen Bereichen der inner-
                 einen herben Rückschlag für Moons Nord-        koreanischen Beziehungen.
                 korea-Politik bedeuten. Auf praktischer Ebe-      Moon Jae-in wiederum setzt eher auf
                 ne kommt hinzu, dass Seouls Einbindungs-       eine partielle Entkopplung, die auf weniger
                 politik im Spannungsfeld eines immer brei-     sensible Bereiche und insbesondere huma-
                 teren Sanktionskatalogs operieren muss.        nitäre Fragen zielt. Damit soll es möglich
                 Unter diesen Rahmenbedingungen ist mehr        werden, Raum für eine stetige Vertrauens-
                 als fraglich, ob sich größere innerkoreani-    bildung zwischen den beiden Koreas zu
                 sche Kooperationsprojekte überhaupt wie-       schaffen und mittelfristig auch Militär-
                 deraufnehmen ließen.                           gespräche zu führen. Der Präsident ist über-
                                                                zeugt, dass eine so sensible Krise wie die
                                                                um Nordkoreas Nuklearprogramm nur
                 Entkopplung der Nuklearfrage von               dann diplomatisch überwunden werden
                 anderen Politikbereichen?                      kann, wenn Vertrauen zwischen den Akteu-
                 Die verschiedenen Administrationen der         ren aufgebaut wird. Nötig sind demnach
                 (1987 begründeten) Sechsten Republik           Versuche, die Beziehungen mit Nordkorea
                 Südkoreas unterscheiden sich hinsichtlich      zu normalisieren – sowohl diejenigen Süd-
                 ihrer jeweiligen Nordkorea-Politik vor         koreas als auch jene der USA.
                 allem in einem Punkt. Dabei ging und geht
                 es um die Frage, ob eine Lösung des Nuk-
                 learstreits als Vorbedingung dafür gelten      Ein Prozess der kleinen Schritte
                 soll, die innerkoreanischen Beziehungen        In den vergangenen Jahren haben sich die
                 zu entwickeln, oder ob sich bestimmte          Auseinandersetzungen um Pjöngjangs
                 Bereiche des vielschichtigen Verhältnisses     Nuklearprogramm zugespitzt und die Be-
                 von den sicherheitspolitischen Aspekten        ziehungen zwischen Nord- und Südkorea
                 des Atomkonflikts entkoppeln lassen.           kontinuierlich verschlechtert. Vor diesem
                    Präsident Moon Jae-in lehnt es ab, dass     Hintergrund bestehen erhebliche Zweifel,
                 die innerkoreanischen Beziehungen voll-        ob es tatsächlich Chancen gibt, die mannig-
                 ständig durch die Nuklearfrage bestimmt        faltigen Herausforderungen im Verhältnis
                 werden. Nach seiner Überzeugung müssen         zu Nordkorea durch einen »grand bargain«
                 bestimmte Felder der bilateralen Beziehun-     zu lösen. Zu weit liegen die Interessen der
                 gen dauerhaft geregelt werden – auch und       involvierten Mächte auseinander, zu groß
                 gerade im Fall sicherheitspolitischer und      ist das wechselseitige Misstrauen, als dass
                 militärischer Spannungen. Dieser Ansatz        ein umfassender Verhandlungserfolg der-
                 unterscheidet sich maßgeblich von jenem        zeit realistisch erscheint.
                 seiner beiden direkten Amtsvorgänger. So-         Dies wird auch von Vertretern der US-
                 wohl Lee Myung-bak als auch Park Geun-         Administration anerkannt. So betonte etwa
                 hye machten geltend, dass mit Nordkoreas       Nikki Haley, die amerikanische Botschafte-
                 Streben nach Atomwaffen enorme Gefah-          rin bei den Vereinten Nationen, dass sich

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die Lösung der Nuklearfrage »in Phasen«        auf der Halbinsel abzubauen, das interna-
vollziehen müsse. Umgekehrt setzt ein pro-     tionale Nichtverbreitungsregime aufrecht-
zessuales Vorgehen aber voraus, dass alle      zuerhalten und die Menschenrechtslage in
beteiligten Akteure den politischen Willen     Nordkorea zu verbessern.
dafür aufbringen und auch dauerhaft auf-          An sich umfasst die EU-Strategie gegen-
rechterhalten. In der Vergangenheit führ-      über Pjöngjang sowohl Strafmaßnahmen
ten Regierungswechsel in Südkorea, den         als auch Einbindungsinitiativen. Seit je-
USA oder Japan wiederholt zu einer Abkehr      doch 2002/2003 die zweite Nuklearkrise
von der bisherigen Nordkorea-Politik des       ausbrach, hat die EU eigenständige Initia-
betreffenden Landes, was einen konsis-         tiven politischer und diplomatischer Art –
tenten Kurs verhinderte. Ob es nun aber        wie etwa den von 1998 bis 2005 insgesamt
darum geht, die innerkoreanischen Bezie-       14 Mal abgehaltenen politischen Dialog –
hungen zu normalisieren oder die Nuklear-      sukzessive verringert bzw. gestoppt. Da-
frage diplomatisch zu lösen – dafür sind       gegen unterstützt die EU aktiv die Auswei-
jeweils langfristige Prozesse notwendig, die   tung des Sanktionsregimes gegen Pjöng-
ein hohes Maß an politischer Entschlossen-     jang. Eine darüber hinausreichende, lang-
heit in Washington, Seoul und Pjöngjang        fristige Nordkorea-Strategie der EU ist nicht
voraussetzen. Die entsprechende Beharr-        erkennbar. Vielmehr scheint in Europa
lichkeit unter Umständen auch über meh-        weitgehend Konsens zu bestehen, dass die
rere Administrationen hinweg aufzubrin-        Möglichkeiten der EU eher begrenzt sind,
gen stellt in beiden Fällen eine große Her-    die Sicherheitssituation auf der koreani-
ausforderung dar. Sowohl Südkorea als          schen Halbinsel direkt zu beeinflussen.
auch die USA sind innenpolitisch gespal-          Die Europäer sind jedoch nicht zu voll-
ten, was die Frage der richtigen Strategie     ständiger Passivität verdammt. Zu viel steht
gegenüber Nordkorea angeht. Dabei schei-       auch für sie auf dem Spiel. Dies gilt vor
nen die jeweiligen Positionen unvereinbar.     allem für ihre ökonomischen Interessen in
Unter diesen Bedingungen ist nur schwer        der nordostasiatischen Region, mit der
vorstellbar, dass der politische Wille vor-    Europa wirtschaftlich eng verflochten ist.
handen sein wird, der zur diplomatischen       Ein militärischer Konflikt in Korea hätte für
Beilegung der Nordkorea-Krise erforderlich     die europäische Wirtschaft fatale Folgen –
wäre.                                          nicht zuletzt da unmittelbare Auswirkun-
                                               gen auf Handels- und Investitionsströme
                                               zu erwarten wären. Doch Europas Politik
Implikationen für Deutschland                  gegenüber der Region ist nicht nur wirt-
und Europa                                     schaftlich motiviert. Berührt sind Kern-
Während sich die Verhältnisse auf der Halb-    interessen der EU auch durch das Risiko,
insel in den vergangenen Monaten besorg-       dass Pjöngjang nukleare Proliferation be-
niserregend zugespitzt haben, kam auch         treibt, durch die anhaltende Aushöhlung
die Debatte wieder in Gang, wie Europa zu      des Nichtverbreitungsvertrages (NVV)
Frieden und Stabilität in Korea beitragen      und die desolate Menschenrechtslage in
könnte. Angefacht wurde diese Diskussion       Nordkorea. Zugleich ist es ein Anliegen der
nicht zuletzt durch Äußerungen von Bun-        EU, dass Multilateralismus und Diplomatie
deskanzlerin Angela Merkel und Außen-          in Nordostasien gestärkt werden.
minister Sigmar Gabriel. Beide sprachen           Angesichts dieser Interessen muss die EU
von der Möglichkeit, dass Deutschland und      auf die Entwicklungen in Korea reagieren –
Europa sich verstärkt dafür engagieren, die    und sie kann das auch. So besitzt die EU
Krise diplomatisch beizulegen. Formell voll-   auf diplomatischer Ebene mehrere aktive
zieht sich die EU-Politik gegenüber Nord-      Kanäle nach Nordkorea, und sie unterhält
korea gemäß dem Ansatz eines »critical         gute Beziehungen zu allen anderen Staaten
engagement«. Er zielt darauf, Spannungen       der Region. Zunächst einmal sollten die

                                                                                               SWP-Aktuell 14
                                                                                                Februar 2018

                                                                                                           7
betreffenden Mitgliedsländer der EU die be-     tionsregime aufzugeben – es bleibt ein zen-
                                stehenden diplomatischen Drähte nutzen,         trales Element des Gesamtansatzes gegen-
                                um aktiv für eine deeskalierende Politik        über Nordkorea. Wohl aber würden die
                                und einen kreativen, flexiblen und realisti-    Sanktionen auf diese Weise in eine um-
                                schen Diplomatie-Ansatz in Washington           fassendere und langfristig zielführendere
                                und Pjöngjang zu werben. Damit ließe sich       Strategie eingebettet.
                                das gegenwärtige Momentum des Dialogs
                                direkt befördern.
                                   Dabei geht es auch und gerade darum,
                                kurzfristige Maßnahmen zu unterstützen.
                                Betreffen könnte dies etwa eine Variante
                                des als »double-freeze« bezeichneten Vor-
                                schlags, den China und Russland unter-
                                breitet haben. Er sieht vor, die nordkorea-
© Stiftung Wissenschaft und     nischen Testaktivitäten einerseits und die
Politik, 2018                   gemeinsamen Militärübungen Südkoreas
Alle Rechte vorbehalten
                                und der USA andererseits parallel zu stop-
Das Aktuell gibt die Auf-       pen. Durch einen diplomatischen Prozess,
fassung des Autors wieder.      der notwendigerweise auch einen direkten
In der Online-Version dieser    Dialog zwischen Pjöngjang und Washing-
Publikation sind Verweise auf   ton umfassen muss, wird sich das Ziel der
andere SWP-Schriften und
wichtige Quellen anklickbar.    Denuklearisierung Nordkoreas zwar nicht
                                kurzfristig erreichen lassen. Doch letztlich
SWP-Aktuells werden intern
einem Begutachtungsverfah-      kann nur über Diplomatie – verstanden im
ren, einem Faktencheck und      Sinne von Staatskunst – das Worst-Case-
einem Lektorat unterzogen.
Weitere Informationen
                                Szenario einer militärischen Konfrontation
zur Qualitätssicherung der      in Korea verhindert werden.
SWP finden Sie auf der SWP‐        Vor diesem Hintergrund ist ebenfalls
Website unter https://www.
swp-berlin.org/ueber-uns/       denkbar, im Verhältnis zu Nordkorea
qualitaetssicherung/            gezielt Track-II-Prozesse (nichtstaatlicher
Stiftung Wissenschaft und       Akteure) bzw. Track-1,5-Prozesse (staatlicher
Politik                         und nichtstaatlicher Akteure) zu stärken.
Deutsches Institut für
Internationale Politik und      Gefragt sind dabei einzelne europäische
Sicherheit                      Staaten, wie vor allem Schweden, aber auch
Ludwigkirchplatz 3­4
                                Deutschland. Im Rahmen solcher Dialoge
10719 Berlin                    finden wichtige Vorverhandlungen bzw.
Telefon +49 30 880 07-0         begleitende Verhandlungen statt, die sich
Fax +49 30 880 07-100
www.swp-berlin.org              etwa konkreten Schritten der Vertrauens-
swp@swp-berlin.org              bildung widmen oder in denen »rote Linien«
ISSN 1611-6364                  definiert werden. Einbringen ließen sich
                                hier europäische Erfahrungen zu Themen
                                wie Abrüstung, Vertrauensbildung, Multi-
                                lateralismus oder Vergangenheitsaufarbei-
                                tung.
                                   Ein multidimensionaler Dialog mit Pjöng-
                                jang wird essentiell sein, um die sicher-
                                heitspolitischen Herausforderungen auf der
                                koreanischen Halbinsel langfristig zu be-
                                wältigen. Einen solchen Dialog zu verwirk-
                                lichen bedeutet nicht, das bestehende Sank-

   SWP-Aktuell 14
   Februar 2018

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